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Bemessung im konstruktiven Betonbau

Nach DIN 1045-1 (Fassung 2008) und EN 1992-1-1 (Eurocode 2)

Bearbeitet vonKonrad Zilch, Gerhard Zehetmaier

2., neu bearb. u. erw. Aufl. 2010. Taschenbuch. xii, 628 S. PaperbackISBN 978 3 540 70637 3

Format (B x L): 19,3 x 26 cmGewicht: 1312 g

Weitere Fachgebiete > Technik > Bauingenieurwesen > Normen (Bauingenieurwesen)

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Kapitel 1Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

1.1 Verbundbaustoff Stahlbeton

Betonbauwerke sind heute in vielfältigster Gestalt Ele-mente unseres täglichen Lebens. Zwar verfügten be-reits römische Baumeister vor zwei Jahrtausenden übergrundlegende Kenntnisse zur Herstellung von Beton,aber erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde durch dasEinlegen von stählernen Bewehrungselementen derentscheidende Schritt hin zum Verbundbaustoff Stahl-beton moderner Prägung getan. Im Vergleich mit ande-ren Baustoffen kommt dem Konstruktionsbeton – einBegriff, der sowohl Stahlbeton als auch Spannbetonumfasst – angesichts der vielen Vorteile eine domi-nierende Stellung im Bauwesen zu. Das Verständnisder Wirkungsweise des Verbundbaustoffs ist allerdingsvon zentraler Bedeutung für die Bemessung und Kon-struktion von technisch und ästhetisch anspruchsvollenund zugleich ökonomischen Bauwerken.

1.1.1 Kennzeichnende Eigenschaftendes Verbundbaustoffs

Der Baustoff Beton ist dank seiner hohen Druckfes-tigkeit, der in großen Mengen vorhandenen Ausgangs-stoffe und der einfachen Herstellung in idealer Weisezur Konstruktion von druckbeanspruchten Bauteilennahezu beliebiger Form geeignet. Die fundamentaleEigenschaft des Baustoffs, die letztlich in der Ent-wicklung von bewehrtem Beton mündete, ist allerdingsseine geringe Zugfestigkeit. Die i. Allg. ein Zehntelder Druckfestigkeit nicht überschreitende Zugfestig-keit führt dazu, dass zug- bzw. auch biegebeanspruchteBauteile ausschließlich aus Beton nur in wenigen Aus-nahmefällen sinnvoll sind.

Bei bewehrten Bauteilen übernimmt der in denBeton eingebettete Stahl bei der Rissbildung diefreiwerdende Betonzugkraft. Damit kann die hoheBetondruckfestigkeit gemeinsam mit der hohen Zug-festigkeit des Stahls wirtschaftlich genutzt werden.Bewehrter Beton, also Stahlbeton und Spannbeton, istdamit ein klassischer Verbundbaustoff. Die Verbund-wirkung zwischen Beton und eingebetter Bewehrung,die u. a. durch die dem Stahl aufgeprägten Rippenerreicht wird, erzwingt, dass sich Beton und Stahlbei Beanspruchung annähernd gleich verformen undermöglicht so das statische Zusammenwirken. Diehohe Widerstandsfähigkeit bewehrten Betons gegen-über Umwelteinflüssen macht bewehrten Beton zueinem preiswerten und zugleich robusten Baustoff. Beisachgerechter Ausführung ist der eingebettete Stahldurch die hohe Alkalität des Zementsteins zudemdauerhaft vor Korrosion geschützt.

Neben der geringen Zugfestigkeit des Betons ha-ben zwei Eigenschaften Konstruktion und Formgebungvon bewehrten Betonbauteilen wesentlich geprägt undzu typischen Bauformen geführt:

• die nahezu uneingeschränkte Formbarkeit und• die monolithische Verbindung einzelner Bauteile.

Die Anpassung des Frischbetons an nahezu beliebi-ge Schalungsformen ermöglicht die Optimierung vonForm oder Querschnittsabmessungen nach dem Ver-lauf der Schnittgrößen (Abb. 1.1); die eingebettete Be-wehrung kann nach dem inneren Kraftfluss orientiertwerden. Durch die auch für abschnittweise hergestellteBauteile zu erzielende monolithische Verbindung kön-nen zum einen Bauteile hergestellt werden, die mehre-re Funktionen und Tragwirkungen in sich vereinen undzum anderen durch vielfache statische Unbestimmtheithohe Tragreserven aufweisen.

K. Zilch, G. Zehetmaier, Bemessung im konstruktiven Betonbau 1DOI 10.1007/978-3-540-70638-0, © Springer 2010

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2 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

Abbildung 1.1 Stahlbetondecke, Entwurf Pier Luigi Nervi(1953) – die Form folgt der Richtung der Hauptmomente (ausNervi u. a. 1957)

Die aufgezählten Eigenschaften bringen allerdingsauch einige Nachteile mit sich: Bei Tragwerkenaus Beton stellt das Eigengewicht im Vergleich zuStahltragwerken einen wesentlich größeren Anteilan der gesamten Belastung dar. Zudem weisenBetonbauten durch die monolithische Verbindungeinzelner Bauglieder nur eingeschränkte Variabilitätauf; Umnutzungen oder Umbauten sind unter Um-ständen mit größeren Eingriffen in das Tragwerkverbunden.

1.1.2 Tragwerke und Tragelementedes Betonbaus

Aus Stahl- und Spannbeton können die vielfältigs-ten Bauwerke – Geschossbauten, weitgespannte Hal-len, Brücken, etc. – errichtet werden. Für die Berech-nung müssen die Bauwerke allerdings auf das lastab-tragende Grundgerüst, das Tragwerk reduziert werden(Abb. 1.2). Eine Betrachtung des gesamten Tragwerksals i. Allg. räumliche Struktur repräsentiert zwar amehesten das wirkliche Tragverhalten, ist aber mit äu-ßerst hohem Aufwand verbunden und daher nur in we-nigen Fällen vertretbar. Im Allgemeinen wird das Trag-werk in einzelne Tragelemente untergliedert, denenRandbedingungen – z. B. Lagerungsbedingungen – zu-gewiesen werden, die ihr Zusammenwirken mit demübrigen Tragwerk abbilden sollen. Die Konzentrationdes Bauwerks auf das Tragwerk bzw. einzelne, mitein-ander durch Rand- oder Übergangsbedingungen ver-knüpfte Tragelemente bzw. die Überführung in ein sta-

a Isometrie

Randstütze

Unterzug (Hauptträger)

Platte

Wandscheibe

Fundament

Randunterzug

Innenstütze

Unterzug (Nebenträger)

b Grundriss

Abbildung 1.2a,b Tragwerk und Tragelemente – Stahlbe-tonskelett eines Geschossbaus

tisches System wird unter dem Begriff Modellbildungzusammengefasst.

Tragelemente werden neben ihrer Geometrie pri-mär durch die Art der Lastabtragung in Stab- und Flä-chentragwerke bzw. Stützen, Balken oder Bogen undScheiben, Platten oder Schalen unterschieden. Eindi-mensionale, d. h. linienförmige Elemente sind Stäbe,deren Querschnittsabmessungen b und h gegenüber ih-rer Länge ` klein sind; allgemein gilt als Abgrenzung` � 2b bzw. ` � 2h (Abb. 1.3a). Stützen sind überwie-gend in ihrer Achse belastete Stäbe, während Balkenals dominierende Elemente des Stahlbetonbaus vor-wiegend senkrecht zu ihrer Achse, d. h. durch Biegungbeansprucht werden. Einige typische Stabquerschnittesind in Abb. 1.4 dargestellt. Durch die monolithischeVerbindung können Stäbe zu Rahmen zusammenge-fügt werden. Gekrümmte Stäbe – Bögen – ermöglicheneine für Beton günstige Abtragung vertikaler Lastendurch Normaldruckkräfte bei Verminderung der Bie-gemomente gegenüber einem Balken gleicher Spann-weite. Im Idealfall wird für eine definierte Belastung

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1.1 Verbundbaustoff Stahlbeton 3

nxy

nxx

nyx

nyy

Scheibenmittelflächeh

b Scheibe

y

x

myx

mxx

mxy

myy

qyz

qxz

Plattenmittelfläche

h

c Platte

y

x

z

Schwerachse

a Stab

y

xz

Vz

Vy

N

Mz

My

T

h

b

l

Abbildung 1.3a–c Tragelemente – Stab, Flächentragwerke

h

b

bf

h

bw

hf

h

h

a Rechteck b Plattenbalken

c Kreis, Kreisring d Hohlkasten

Abbildung 1.4a–d Typische Stabquerschnitte des Massivbaus

mit der Form einer Stützlinie die ausschließliche Be-anspruchung des Bogens durch Druckkräfte erreicht.Bögen werden u. a. für weitgespannte Tragwerke wie

Abbildung 1.5 Maintalbrücke Veitshöchheim, DB-Hochge-schwindigkeitsstrecke Würzburg-Fulda; Stahlbeton-Stabbogen,Spannbetonhohlkasten (Der im Taktschieben hergestellte Hohl-kasten wird im Bild gerade über den Bogen geschoben; der ander rechten Bogenhälfte angehängte Ballast dient zum Ausgleichder für Bogen ungünstigen exzentrischen Belastung.) (vgl. Nau-mann u. a. 1988)

Talbrücken mit aufgeständerter oder abgehängter Fahr-bahn oder für Dachtragwerke bei Hallen eingesetzt(Abb. 1.5).

Flächentragwerke sind zweidimensionale Tragele-mente, deren Bauhöhen h im Vergleich zu den übrigenAbmessungen klein sind. Ebene Flächentragwerkewerden abhängig von der dominierenden Tragwirkungin Scheiben und Platten unterschieden. WährendScheiben primär parallel zur Mittelfläche beanspruchtwerden, erfolgt die Belastung von Platten vorwiegendsenkrecht dazu (Abb. 1.3b,c). Durch die schub- undbiegesteife Verbindung ebener Flächentragwerkeentstehen steife Faltwerke, deren Elemente sowohlScheiben- als auch Plattenschnittgrößen abtragen. ImStahlbetonbau werden Faltwerke angesichts der ein-fach zu realisierenden monolithischen Verbindungenhäufig verwendet (Abb. 1.6). Der aus Druckplatteund Stegscheibe zusammengesetzte Plattenbalkenist zwar ein klassisches Faltwerk, für die Ermitt-lung der Schnittgrößen und Beanspruchungen wirder angesichts b; h � ` i. Allg. mit ausreichenderGenauigkeit als Stab betrachtet. Ähnliches gilt fürHohlkastenträger.

Schalen als Flächentragwerke mit gekrümmtenMittelflächen werden abhängig von Form und Belas-tung i. Allg. durch Schnittkräfte parallel und senkrechtzur Mittelfläche beansprucht. Ähnlich dem Bogenist für Schalen eine Abtragung äußerer Lasten überBeanspruchungen in Schalenebene – so genannteMembranspannungen – durch die Formgebung an-zustreben; zur Aufnahme von Biegemomenten sind

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4 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

a Trapezfaltwerk

b Hohlkasten

c Plattenbalken

Abbildung 1.6a–c Faltwerke

a einfach gekrümmte Schale(Tonnenschale)

b zweifach gegensinniggekrümmte Schale(Rotationshyperboloid)

c freie Schalenform(Hängeform nach )Isler

Abbildung 1.7a–c Schalen

Schalen angesichts ihrer geringen Dicke wenig ge-eignet. Da für Beton insbesondere Druckspannungengünstig sind, werden in Schalen auftretende Zugbean-spruchungen häufig durch Vorspannung kompensiert.Zu den mathematisch beschreibbaren Schalenformenzählen einfach gekrümmte Flächen (Zylinder-schalen) und zweifach-einsinnig bzw. sinklastisch(Kugelschalen) oder -gegensinnig bzw. antiklas-tisch (Sattelflächen, Hyperbolische Paraboloide)gekrümmte Flächen (Abb. 1.7a,b). Die Optimierungder Schalenform zur Abtragung definierter Lasten aus-schließlich über Membranspannungen erfolgte in derVergangenheit u. a. durch experimentelle Methoden,etwa nach den von Heinz Isler entwickelten Verfahrender pneumatischen Formen oder der Hängeformen(Abb. 1.7c) (vgl. Ramm u. Schunck 1986). Heutewerden numerische Methoden der Formfindung überOptimierungsalgorithmen verwendet (Bletzinger u.Ziegler 2000). Die Beanspruchung von Schalenvorwiegend durch Membranspannungen führt zu

Tragwerken mit äußerst dünnen Schalenstärken vonwenigen Zentimetern.

1.2 Verhalten eines Einfeldbalkens –Versuchsbeobachtungen

Der vorwiegend senkrecht zur Stabachse belastete Bal-ken ist eines der fundamentalen Tragelemente desStahlbetonbaus. Anhand eines Versuchs an einem Ein-feldbalken nach Abb. 1.8 werden die Grundprinzipiendes Tragverhaltens und der daraus abgeleiteten Regelnzur Bemessung und Konstruktion exemplarisch vorge-stellt. Der mit zwei Einzellasten F in den Drittelspunk-ten belastete Einfeldbalken ist – der heute üblichenKonstruktionspraxis folgend – mit einer Biegezugbe-wehrung As1 und zusätzlich zwischen Lasteinleitungs-punkten und Auflagern mit vertikalen, im Abstand sw

angeordneten geschlossenen Bügeln der Querschnitts-fläche Aw (Summe beider Schenkel) zur Aufnahmeder Querkraftbeanspruchungen bewehrt. Das Eigenge-wicht des Balkens soll vernachlässigt werden.

1.2.1 Trag- und Verformungsverhalten

1.2.1.1 Zustand I – ungerissener Balken

Solange die aus den Lasten hervorgerufenen Zugspan-nungen am unteren Bauteilrand die Betonzugfestigkeitnicht erreichen, verhält sich der Stahlbetonbalken wieein Bauteil aus homogenem Material. In dem als Zu-stand I bezeichneten ungerissenen Zustand werden dieLasten durch Längs- und Schubspannungen �x , �xz

und �zx abgetragen, denen an den Einleitungspunktenkonzentrierter Kräfte – Lasteinleitungs- und Auflager-punkten – zusätzliche lokale Spannungen �z überla-gert werden. Die in Abb. 1.8c wiedergegebene lineareVerteilung der Dehnungen und Spannungen über dieQuerschnittshöhe folgt der elementaren Balkenbiege-theorie; die Dehnungsnulllinie fällt mit der Schwerach-se des Verbundquerschnitts zusammen.

Deutlich anschaulicher kann die sich tatsächlicheinstellende Tragwirkung allerdings durch ein Systemvon Hauptzug- und Hauptdruckspannungen beschrie-ben werden. In Abb. 1.8c sind die Hauptspannungstra-jektorien, die in jedem Punkt die Richtung der zueinan-der senkrecht gerichteten Hauptspannungen angeben,dargestellt. Im Bereich konstanter Biegemomente ver-laufen die Zug- und Drucktrajektorien annähernd par-allel zu den Bauteilrändern; in der Nähe des Aufla-

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1.2 Verhalten eines Einfeldbalkens – Versuchsbeobachtungen 5

l / 3

F.l / 3

l / 3 l / 3

Asw

As1

A

B

B

B

A

B

B

B

Schnitt A - A

a Geometrie und Belastung

ME

VE

b Schnittgrößen

c Hauptspannungstrajektorien (Zustand I)

Zug

Druck

l

d Auftreten erster Biegerisse (F ~ F )cr

e Ausgeprägtes Rissbild unmittelbar vor Erreichen der Bruchlast (F ~ F )u

F F

F

-F

Schnitt B-B

Dehnungen Spannungen

�c2

�c2

�c2

�s1

�s1

�s1

�c

�c

�c

�c ct,eff< f

�s

�s

�s

Fc

Fc

Fs

Fs

Abbildung 1.8a–e Einfeldbalken im Versuch

gers sind die Trajektorien um etwa 45ı gegen die Bau-teilachse geneigt. Die Durchbiegung des Balkens inFeldmitte ist in Abhängigkeit der aufgebrachten LastF in Abb. 1.9 wiedergegeben. Im ungerissenen Zu-stand (F < Fcr) verläuft die F -w-Beziehung annä-hernd linear.

1.2.1.2 Übergang zum Zustand II –gerissene Betonzugzone

Bei Erhöhung der Last wird zunächst im BereichM D const. am unteren Bauteilrand die Betonzugfes-tigkeit erreicht; erste Biegerisse treten also im Bereich

zwischen den Lasteinleitungspunkten auf und dringensenkrecht zur Richtung der Hauptzugspannungen inden Querschnitt vor. Der gerissene Querschnitt befin-det sich im Zustand II. Das aus den Einzellasten entste-hende Biegemoment wird im gerissenen Querschnittdurch ein inneres Kräftepaar aus der Stahlzugkraft undder Resultierenden der Betondruckspannungen aufge-nommen. Die Dehnungsnulllinie und damit der Hebel-arm zwischen den inneren Kräften stellt sich so ein,dass zwischen innerem und äußerem Moment Gleich-gewicht herrscht. Als Folge der gegenüber der Be-tonzugzone geringeren Dehnsteifigkeit der Bewehrungrückt die Dehnungsnulllinie näher an den gedrücktenRand; die Rissspitze reicht fast bis an die Dehnungs-

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6 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

nulllinie heran. Die Dehnungsverteilung im gerisse-nen Querschnitt kann weiterhin als linear angenom-men werden; gleiches gilt bei geringen Lasten in guterNäherung für die Verteilung der Betondruckspannun-gen in der Druckzone. Mit dem Auftreten erster Ris-se nimmt die Durchbiegung gegenüber dem Zustand Iüberproportional zu (Abb. 1.9).

Wird die Belastung weiter erhöht, treten auch Ris-se in den Bereichen zwischen den Auflagern und denLasteinleitungspunkten auf. Allerdings verlaufen dieso genannten Biegeschubrisse im Unterschied zu Bie-gerissen gegenüber der Stabachse geneigt, ungefährsenkrecht zu den Hauptzugspannungstrajektorien, d. h.annähernd parallel zur Richtung der Hauptdruckspan-nungen (Abb. 1.8e). Während für den betrachtetenQuerschnitt in Feldmitte die Dehnungen weiterhin alslinear verteilt angenommen werden können, wird dieVerteilung der Betonspannungen in der Druckzone mitweiterer Belastung völliger. Bei höheren Druckstau-chungen treten zunehmend plastische Verformungendes Betons auf; die Druckspannungen nehmen damitnicht mehr linear mit den Dehnungen zu.

Abhängig von der Funktion, die der Balken in ei-nem realen Tragwerk erfüllen müsste – etwa als Trägereiner Deckenkonstruktion – wären ab einer bestimm-ten Höhe der Belastung die auftretenden Verformun-gen bzw. die als Rissbreiten bezeichneten, sichtbarenÖffnungen der Risse für die Nutzer des Gebäudes ausästhetischen oder funktionalen Gründen nicht mehr to-lerierbar. Die Grenze der Gebrauchstauglichkeit desBalkens wäre damit erreicht; die auf Gebrauchslastni-veau möglichen bzw. zulässigen Beanspruchungen lie-gen daher i. Allg. deutlich unter der Tragfähigkeit desBauteils.

Bei hoher Belastung ist mit Ausnahme der Bereicheunmittelbar an den Auflagern der Träger auf gesamterLänge gerissen. Wenn sich keine neuen Risse mehr bil-den, ist das abgeschlossene Rissbild erreicht. Die Last-Durchbiegungs-Beziehung steigt in diesem Fall wiederannähernd linear an.

1.2.1.3 Versagen

Bei weiterer Lasterhöhung erreicht die Biegezugbe-wehrung in einem Rissquerschnitt im Bereich M Dconst. die Streckgrenze. Eine darüber hinausgehendeLasterhöhung ist bei fließender Bewehrung nur nochin geringem Umfang durch die Stahlverfestigung unddie Vergrößerung der Hebelarme zwischen Stahlzug-kraft und resultierender Betondruckkraft bei weitererEinschnürung der Druckzone möglich, geht aber ein-her mit großen Verformungen und stark anwachsenden

EII

erster Riss

Fließen desBetonstahls

Bruch

Fcr

Fu

F F

w

Durchbiegung in Feldmitte w

Belastung F

Abbildung 1.9 Last-Verformungs-Beziehung

Rissbreiten. Mit weiterer Einschnürung weist die Be-tondruckzone zunehmend Gefügeauflockerungen auf.Bei Erreichen der Maximallast ist die Tragfähigkeit derDruckzone erschöpft. Teile einer keilförmigen Bruch-zone können abgesprengt werden und führen beim be-trachteten Versuchsbalken zu einem vollständigen Kol-laps. Je nach Konstruktion und Belastung sind andereVersagensformen möglich.

1.2.1.4 Rissbildung und Verbundzwischen Bewehrung und Beton

Das Rissbild, insbesondere der Abstand benachbar-ter Risse, weist für alle Laststufen starke Unregelmä-ßigkeiten auf, da es vor allem mit der entlang desBauteils streuenden Zugfestigkeit verknüpft ist. Ei-ne exakte Vorhersage der Risslagen und des Riss-verlaufs ist daher i. Allg. nicht möglich, allerdingslassen sich Gesetzmäßigkeiten ableiten. Bereits an-gesprochen wurde, dass der Rissverlauf annäherndden Druckspannungstrajektorien folgt. Darüber hinausschwankt der Rissabstand des abgeschlossenen Riss-bildes nur in engen Grenzen. Die am unteren Quer-schnittsrand durch die Wirkung der dort eingelegtenBewehrung verteilten Risse laufen zudem in Richtungdes Druckrandes aufeinander zu und vereinigen sich zuSammelrissen. In den Rissquerschnitten muss die Be-wehrung die gesamte Biegezugkraft aufnehmen; zwi-schen den gerissenen Querschnitten verbleiben aller-dings weiterhin ungerissene Bereiche der Betonzug-zone. Durch die Verbundwirkung der Bewehrung wirdzwischen den Rissen ein Teil der Zugkraft wieder aufden Beton übertragen, die Betonstahldehnungen sinddaher selbst im mittleren Drittel des Balkens nichtkonstant, sondern nehmen zwischen den Rissen ab(Abb. 1.10).

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1.2 Verhalten eines Einfeldbalkens – Versuchsbeobachtungen 7

Betonstahldehnung

Dehnungsnulllinie

�s

Abbildung 1.10 Verlauf der Betonstahldehnungen zwischenden Rissen im Bereich M D const.

1.2.2 Versagensformen

Stahlbetonbalken können je nach Geometrie, Beweh-rungsmenge und Beanspruchung verschiedene Ver-sagensmechanismen aufweisen; das anhand des Ver-suchsbalkens nach Abb. 1.8 beschriebene Versagens-bild ist nur eines der möglichen. Eine Einordnung derVersagensformen erfolgt zweckmäßig nach den versa-gensauslösenden Beanspruchungen in:

• Biegeversagen und• Querkraftversagen (Schubversagen).

Das Bauteilversagen ist dabei stets ein lokales Phä-nomen; die Versagensmechanismen laufen in einemeng begrenzten Bereich ab, während das übrige Bau-teil weitgehend intakt bleibt. Zudem sind die Versa-gensabläufe immer mit einer Überschreitung der Trag-fähigkeit von Bewehrungsstahl oder Beton verknüpft.Ein Nachweis der Tragfähigkeit muss daher zwingendauf dem Konzept der Fehlstelle aufbauen: Das Versa-gen tritt stets an einer Fehlstelle des Bauteils ein, in derdie Baustoffeigenschaften aufgrund der stochastischenStreuung äußerst ungünstige Werte annehmen.

Biegeversagen

• Primäres BiegedruckversagenDer Beton der Druckzone wird zerstört, bevor dieBiegezugbewehrung fließt, d. h. bevor durch großeVerformungen oder breite Risse ein Versagen ange-kündigt wird (! Betonversagen, Abb. 1.11b).

• Sekundäres BiegdruckversagenDer sekundäre Biegedruckbruch entspricht demanhand des Versuchsbalkens geschilderten Versa-gensmechanismus; nachdem die Bewehrung dieStreckgrenzdehnung überschritten hat, wird durchgroße Verformungen die Druckzone stark einge-schnürt und schließlich zerstört (! Betonversagen,Abb. 1.11b).

• BiegezugversagenDie Betonstahlbewehrung reißt nach großen plasti-schen Verformungen, bevor der druckbeanspruchteBeton versagt. Eine Sonderform des Biegezugver-sagens kann bei sehr gering bewehrten Bauteilenauftreten, wenn die Bewehrung nicht in der Lage ist,die im Riss freiwerdende Betonzugkraft aufzuneh-men. Da das Bauteil bei Auftreten des ersten Ris-ses ohne Vorankündigung kollabiert, ist dieser Me-chanismus in jedem Fall durch die Anordnung ei-ner ausreichenden Menge an Betonstahlbewehrung,der Mindestbewehrung zu vermeiden (! Stahlver-sagen, Abb. 1.11c).

Querkraftversagen

Im querkraftbeanspruchten Bereich können weitereVersagensmechanismen auftreten, die hier nur ange-sprochen und in Kap. 7 näher erläutert werden:

• BiegeschubversagenBei schwach bügelbewehrten Balken oder Bautei-len ohne Querkraftbewehrung wird durch das Vor-

l / 3 l / 3 l / 3

a Geometrie und Belastung

c Biegezugversagen

b Biegedruckversagen

d Biegeschubversagen, Zugbruch der Bügel

e Stegdruckversagen

l

F F

Abbildung 1.11a–e Mögliche Versagensformen des Einfeld-balkens

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8 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

dringen eines kritischen Schubrisses und die damiteinhergehende starke Einschnürung der Druckzonedie Biege- und Querkrafttragfähigkeit so stark ver-mindert, dass ein schlagartiges Versagen der Druck-zone eintritt (! Betonversagen, Abb. 1.11d).

• Zugversagen der BügelbewehrungNach dem Fließen der Bügelbewehrung weiten sichdie Schubrisse stark auf; der Balken versagt – so-fern nicht vorher die Biegeschubtragfähigkeit derDruckzone erreicht wird (Biegeschubversagen) –letztlich durch einen Zugbruch der Bügel (! Stahl-versagen, Abb. 1.11d).

• StegdruckversagenBei Balken mit sehr starker Bügelbewehrung kannder Beton im Bereich des Steges zerstört wer-den. Allerdings tritt dieser Versagensmechanismuseher bei stark profilierten Bauteilen, z. B. Platten-balken mit dünnen Stegen, auf (! Betonversagen,Abb. 1.11e).

Neben den vorgestellten Mechanismen können wei-tere, sekundäre Versagensformen, z. B. ein Veranke-rungsversagen der Biegezugbewehrung, auftreten.

1.2.3 Prinzip der Vorspannung

Wie am Beispiel des Einfeldbalkens beschrieben, istdie im Vergleich zur Druckfestigkeit geringe Zugfes-tigkeit von Beton dafür verantwortlich, dass bereits beigeringer Belastung Risse auftreten, die die Steifigkeitdeutlich vermindern und damit größere Verformungennach sich ziehen. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhun-derts wurde daher der Gedanke verfolgt, in der Zug-zone der Betonbauteile durch Vorspannen Druckspan-nungen zu erzeugen, die den Zugspannungen aus äu-ßeren Lasten entgegenwirken. Durch die Lastspannun-gen muss zunächst der Druck abgebaut werden, bisschließlich Zug auftreten kann.

Um das der Vorspannung zugrunde liegende Prin-zip zu erläutern, sei wieder der aus Abb. 1.8 be-kannte Stahlbetonbalken betrachtet. In ein einbeto-niertes Leerrohr wird nach dem Erhärten des Betonsein Spannstahlstab eingeführt, der an beiden Endenmit Ankerplatte, Gewinde und Mutter versehen ist(Abb. 1.12a). Wird der Stab mit Hilfe der Muttern ge-gen den Beton gespannt, wird über die Ankerplatteneine exzentrische Vorspannkraft P (engl. Prestressingforce) ähnlich einer äußeren Last auf den Beton über-tragen, die neben einer Normalkraft Np D �P einentlang des Balkens konstantes Biegemoment Mp D�P � zp erzeugt. In jedem Querschnitt des Balkenssteht die Zugkraft des Spannstahlstabes mit der Beton-druckkraft im Gleichgewicht. Durch Vorspannen wird

daher in statisch bestimmt gelagerten Bauteilen einreiner Eigenspannungszustand hervorgerufen; es ent-stehen keine Auflagerreaktionen. Die Vorspannung al-lein ruft am unteren Querschnittsrand Druckspannun-gen hervor, am oberen Rand gleichzeitig geringe Zug-spannungen, wenn der Stahlstab mit zp > h=6 außer-halb des Kernquerschnitts liegt. Durch das Vorspannenentsteht neben einer Verkürzung eine Verkrümmungdes Balkens (Abb. 1.12b).

Wirken neben der Vorspannung das Eigengewichtund die beiden Einzellasten F , überlagern sich die Bie-gespannungen dem aus Vorspannung erzeugten Span-nungszustand. Die Druckspannungen am unteren unddie Zugspannungen am oberen Querschnittsrand wer-den reduziert. Die hohe Druckfestigkeit des Betonswird damit ökonomischer ausgenutzt. Wenn sich amZugrand die Spannungen aus Vorspannung und Las-ten gerade aufheben, beginnt die Dekompression desQuerschnitts (Abb. 1.12c). Wird bei weiterer Laststei-gerung die Betonzugfestigkeit am unteren Rand er-reicht, treten wie bei einem Stahlbetonquerschnitt Ris-se auf. Bei ausreichend hoher Last beginnen die Be-tonstahlbewehrung und auch der zusätzlich eingelegteSpannstahlstab zu fließen. Im bruchnahen Lastbereichwird sich damit das Tragverhalten eines Spannbeton-balkens nicht wesentlich von dem eines Stahlbeton-balkens unterscheiden; die Versagensmechanismen desvorgespannten Balkens sind mit denen des nicht vor-gespannten identisch. Für den Versagenszustand ist imSpannstahl – im Unterschied zum Betonstahl – aller-dings ein Teil der gesamten Dehnung als Vordehnungbereits vorweggenommen.

Im Vergleich mit einem Stahlbetonbalken verbleibtder Spannbetonbalken über einen deutlich größerenLastbereich ungerissen; die auftretenden Biegeverfor-mungen werden damit stark vermindert (Abb. 1.13).Durch Schwinden und Kriechen des Betons tritt nachdem Vorspannen zusätzlich zur rein elastischen Ver-formung eine allmählich auftretende Verkürzung derBetonfaser in Höhe des Spannglieds ein, die damit zueiner zeitabhängigen Verminderung der Vordehnungführt. Durch die so entstehenden Spannkraftverlustewird ein umso größerer Anteil der ursprünglichen Vor-spannung abgebaut, je geringer die Spannstahldehnungzum Zeitpunkt t D 0 war. Daher werden für die Vor-spannung nur hochfeste Stähle verwendet, die entspre-chend hoch vorgespannt werden können. Konventio-neller Betonstahl ist für das Vorspannen nicht geeignet.

Die fundamentalen Vorteile von Spannbetonbautei-len sind:

• Spannbetonbauteile weisen bei gleichem Quer-schnitt gegenüber Stahlbetonbauteilen wesentlich

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1.2 Verhalten eines Einfeldbalkens – Versuchsbeobachtungen 9

+ =

� <0

�cu = 0

� >0

s

� <0� >0

s

P

P

P

P

F F

g

b gewichtsloser Balken, vorgespannt

c Dekompression

A

A

A

A

Schnitt A-A (Feldmitte)

Betonspannungen aus Vorspannung allein

Betonspannungen aus Last und Vorspannung

a gewichtsloser Balken, Spannstahlstab noch nicht gespannt

zp

Abbildung 1.12a–c Vorspannung eines Einfeldbalkens

geringere Verformungen auf; bei vorgegebenenVerformungsgrenzwerten können Spannbetonbau-teile daher deutlich schlanker ausgeführt werden;gleichzeitig wird das Eigengewicht reduziert. DieVorspannung erschließt damit für Betonbauteileden Bereich großer Spannweiten.

• Durch Vorspannung kann die Rissbildung stark re-duziert oder ggf. ganz vermieden werden. Zudemwerden Risse, die durch eine selten auftretende Lasthervorgerufen werden, wieder überdrückt. Die Dau-

EII

erster Riss

Fließen

Bruch

Fcr

F F

w

Dekompression

Spannbeton Stahlbeton

Durchbiegung in Feldmitte infolge Fw

Belastung F

Abbildung 1.13 Last-Durchbiegungs-Beziehung – vorgespann-ter und nicht vorgespannter Balken im Vergleich

erhaftigkeit des Bauteils kann dadurch verbessertwerden.

• Die durch zyklische Belastungen – z. B. Verkehrauf Brücken – erzeugten Spannungswechsel derBetonstahl- und Spannstahlbewehrung sind bei un-gerissenen im Vergleich zu gerissenen Bauteilendeutlich reduziert. Das Risiko eines durch Materia-lermüdung ausgelösten Versagens wird damit we-sentlich vermindert.

Während für übliche Nutzungsbedingungen eine Ein-schränkung der Rissbildung erwünscht ist, sollte fürden Traglastbereich ein bevorstehender Kollaps desBauteils durch deutlich sichtbare Risse und große Ver-formungen ablesbar sein. Die Höhe der erforderlichenVorspannkraft sollte sich daher im Regelfall an den Ge-brauchsbedingungen orientieren. Die zur Sicherstel-lung der geforderten Tragfähigkeit ggf. fehlende Be-wehrungsmenge ist wirtschaftlicher durch Betonstahlzu ergänzen.

Für die Festlegung der Vorspannkraft bzw. derSpannstahlmenge ist daher von zentraler Bedeutung,unter welcher Belastung die Grenze zur Dekom-pression erreicht wird. Für die Dimensionierung derVorspannung ist dem entsprechend die Ermittlungder rechnerischen Randspannung erforderlich, diesich aus einer Differenz gleich großer Zahlen – derZugspannung aus Belastung und der Druckspan-nung aus Vorspannung – ergibt. Differenzen ähnlich

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10 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

großer Zahlen sind allerdings empfindlich gegenübergeringen Veränderungen der Eingangswerte z. B.aus Rechenungenauigkeiten. Daher sollte i. Allg.bei der Berechnung von Spannbetonbauteilen aufeine erhöhte Rechengenauigkeit, d. h. eine möglichstgenaue Ermittlung der Eingangsparameter – z. B. derQuerschnittskennwerte – geachtet werden. Für dieBemessung von Spannbetonbauteilen ist dem entspre-chend umfassende Sachkenntnis erforderlich. Hinzukommt, dass die Herstellung von Spannbetonbauteilenaufwändiger und lohnintensiver ist. Gleichzeitigstellen die verwendeten, gegenüber Betonstahl emp-findlicheren Spannstähle erhöhte Ansprüche an denKorrosionsschutz.

1.2.4 Betrachtungsebenen –Querschnitt und System

Bisher wurde das Tragverhalten des biegebeanspruch-ten Balkens nach Abb. 1.8 vorwiegend auf Quer-schnittsebene anhand der Verteilungen von Dehnun-gen und Spannungen bzw. anhand resultierender Kräf-te betrachtet. Neben der Querschnittsbetrachtung stehtgleichwertig die Betrachtung des gesamten Systemsoder von Teilsystemen auf der Grundlage einer verein-fachten Vorstellung des Kraftflusses.

Die in Abb. 1.8b wiedergegebenen Trajektorien derHauptspannungen geben den Kraftfluss in einem unge-rissenen Balken wieder. Die Trajektorien repräsentie-ren hierbei Druck- und Zugspannungsfelder, die ver-einfachend auf ihre Resultierenden reduziert werdenkönnen. Die Anzahl der Spannungsresultierenden, diein Anlehnung an Fachwerkträger als Zug- und Druck-stäbe bezeichnet werden, ist vom erwünschten Ge-nauigkeitsgrad der Modellierung des Kraftflusses ab-hängig. Die einzelnen Stäbe münden an Knoten undwerden dort gelenkig untereinander gekoppelt. Da dieSpannungsfelder grundsätzlich miteinander im Gleich-gewicht stehen, müssen auch die Stabkräfte an Kno-ten diese Bedingung erfüllen. In Abb. 1.14 ist für denbiegebeanspruchten Balken ein sehr stark abstrahier-tes Stabwerkmodell eingetragen; die über Trajektorienbeschriebenen Spannungsfelder werden allerdings an-nähernd erfasst.

Da mit zunehmender Belastung im Balken annä-hernd rechtwinklig zu den ZugspannungstrajektorienRisse entstehen, müssen die frei werdenden Zugspan-nungen durch Bewehrung aufgenommen werden. InKonsequenz müssten anstelle der in Abb. 1.14 dar-gestellten Zugstäbe Bewehrungsstäbe vorgesehen wer-den. Die prinzipielle Gleichwertigkeit von System-

und Querschnittsbetrachtung wird anhand eines Quer-schnitts im mittleren Drittel des Balkens deutlich: DieSpannungsresultierenden nach Abb. 1.14 decken sichmit dem Kräftepaar nach Abb. 1.8. Es sei allerdingsvorweggenommen, dass in realen Balken anstelle ei-nes einzelnen schrägen Stabes grundsätzlich mehrereBewehrungsstäbe eingebaut werden müssten, um diewirkliche Tragwirkung besser zu erfassen. Im Beispielnach Abb. 1.8 werden anstelle der Schrägstabes ver-tikale Bügel verwendet; Erläuterungen hierzu folgenin Kap. 7.

Fach- oder Stabwerkmodelle stellen ein äußerstwertvolles Hilfsmittel zur systematischen Abbildungdes Kraftflusses dar. Erstmals in Ritter (1899) in ein-facher Form vorgeschlagen, werden sie heute für dieBemessung nahezu beliebiger Bauteile herangezogen(Kap. 4) und bilden insbesondere die Grundlage derQuerkraft- und Torionsbemessung (Kap. 7 und 8). DieAnwendbarkeit erstreckt sich naturgemäß auch auf dieBemessung für Biegung und Normalkraft, allerdingsexistieren hierfür Verfahren auf Grundlage einer Quer-schnittsbetrachtung, die eine deutlich exaktere Vorher-sage der Verteilung von Spannungen bzw. Kräften lie-fern und primär auf einer Ermittlung der Dehnungsver-teilung im Querschnitt beruhen (Kap. 6).

1.3 Aufgaben der Bemessung –Struktur des Buches

Die Bemessung muss primär das Ziel verfolgen, einVersagen des Bauteils oder Tragwerks ausgelöst durchplanmäßige oder – in begrenztem Umfang – unplan-mäßige Einwirkungen sicher zu vermeiden und gleich-zeitig alle aus der vorgesehenen Nutzung entstehen-den Anforderungen – etwa die Begrenzung auftreten-der Verformungen – zu befriedigen. Die Bemessungzielt daher parallel auf Tragfähigkeit und Gebrauchs-tauglichkeit sowie deren Erhalt während der gesam-ten Lebensdauer des Bauwerks ab. Da weder die viel-fältigen Einwirkungen auf Bauwerke noch die Eigen-schaften der Baustoffe und Bauwerke deterministischfestgelegt werden können, sondern vielmehr stochas-tischer Natur sind, werden wahrscheinlichkeitstheore-tisch begründete Konzepte für eine Bemessung erfor-derlich. Anforderungen an Bauwerke und Wege zu de-ren Erfüllung mit Hilfe von Elementen der Zuverläs-sigkeitstheorie werden in Kap. 2 erläutert.

Die für das Verständnis der folgenden Kapitel er-forderlichen Grundlagen zum Materialverhalten vonBeton und Bewehrung sowie zu deren Zusammenwir-ken im Verbundbaustoff enthält Kap. 3, gefolgt von

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1.4 Historie 11

Zugspannungsfeld

Druckspannungsfeld

F F

Resultierende der Spannungsfelder:

Abbildung 1.14 Zusammenfassung der Spannungsfelder zu resultierenden Kräften – stark vereinfachtes Stabwerkmodell

einem Kapitel über die oben vorgestellte Betrachtungdes Kraftflusses bzw. dessen vereinfachte Abbildungin Stabwerkmodellen.

Generell werden bei ungerissenen Betonbauteilenalle Beanspruchungen durch ein System von Druck-und Zugspannungen abgetragen; durch die Rissbil-dung vollzieht sich mit der Aktivierung der Bewehrungeine Umlagerung der inneren Kräfte. Die Mechanis-men der Lastabtragung aus den möglichen Beanspru-chungen infolge Biegung, Normalkraft, Querkraft undTorsion sind daher komplex miteinander vernetzt. Tat-sächlich erlaubt das Tragverhalten der Bauteile aberdie separate Betrachtung von:

• Biegung und Normalkraft (M , N ),• Querkraft (V ) und• Torsion (T )

und ermöglicht damit eine wesentliche Vereinfachungder Bemessung. Wechselwirkungen zwischen den ein-zelnen Tragmechanismen können durch einfache Inter-aktionsbeziehungen und insbesondere durch konstruk-tive Regeln erfasst werden. Die Bemessung zur Sicher-stellung der Tragfähigkeit (! Grenzzustand der Trag-fähigkeit) wird nach Beanspruchungen getrennt in denKap. 6 (M , N ), 7 (V ) und 8 (T ) beschrieben. EineSonderform des kombinierten Biege- und Querkraft-versagens ist das Durchstanzen bei Platten (Kap. 9).Da Stahlbeton und Spannbeton parallel behandelt wer-den, ist den erforderlichen Grundlagen der Bemessungvon Spannbetonbauteilen vorab Kap. 5 gewidmet.

Die Berechnung der Verformungen von Betonbau-teilen ist für sich bereits wesentlicher Bestandteil derGebrauchstauglichkeitsnachweise, darüber hinaus al-lerdings grundlegende Voraussetzung für eine reali-tätsnahe Schnittgrößenermittlung bei statisch unbe-stimmten Systemen oder bei Tragfähigkeitsnachwei-sen nach Theorie II. Ordnung. Eine Einführung in dieBerechnung von Spannungen und Verformungen aufGebrauchslastniveau enthält Kap. 10. Darüber hinauserforderliche Nachweise zur Sicherstellung der Ge-

brauchstauglichkeit folgen Kap. 11. Der darauf fol-gende Abschnitt greift nochmals einen Nachweis imGrenzzustand der Tragfähigkeit auf, den Nachweis ge-gen Ermüdung. Da dieser Nachweis allerdings auf derBasis alltäglich wiederkehrender Lasten, also den Las-ten des Gebrauchszustandes, geführt werden muss, fin-den sich Erläuterungen hierzu im Kontext des Ge-brauchsverhaltens.

Besonderheiten bei der Bemessung statischunbestimmter Systeme, insbesondere die mit derVerformungsfähigkeit verknüpfte Schnittgrößener-mittlung und die aus eingeprägten Verformungenentstehenden Zwangbeanspruchungen (Kap. 13),Regeln zur Gewährleistung dauerhafter Bauwerke(Kap. 14) und Grundlagen der Bewehrungsführungund der konstruktiven Ausbildung biegebeanspruchterBalken (Kap. 15) schließen den Band ab.

1.4 Historie

Die Geschichte des Betonbaus – obwohl im Verständ-nis Vieler eine junge Disziplin – spannt über mehr alszwei Jahrtausende. Zumindest seit Beginn des 20. Jahr-hunderts ist der Fortschritt im Betonbau auch eng mitder Entwicklung und Fortschreibung von Normen ver-knüpft. Werdegang, derzeitigem Stand und zukünftigerEntwicklung von Normen des Stahlbeton- und Spann-betonbaus ist daher ein eigener Abschnitt gewidmet.

1.4.1 Geschichte des Betonbaus

Ein auch nur annähernd vollständiger Überblick überGeschichte und Entwicklungssprünge des Betonbausist wohl kaum möglich. An dieser Stelle seien ledig-lich die wichtigsten Entwicklungsstadien erwähnt unddie jeweils damit verknüpften Namen hervorgehoben.Viele hierüber hinausgehende Daten und Fakten zur

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12 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

Geschichte des Bauingenieurwesens im Allgemeinenund zum Betonbau im Besonderen, angefangen mitder Antike bis in die Neuzeit sind in Straub (1964)und Haegermann u. a. (1964) zu finden. Die – einendeutlich kürzeren Zeitraum umfassende – Geschich-te des Spannbetonbaus bis etwa 1950 ist in Leonhardt(1973) enthalten.

1.4.1.1 Beton in der Antike

Hydraulische Mörtel, die aus Kalk mit Zusätzen ausgemahlenem Vulkangestein – also natürlichen Puzzo-lanen – oder Ziegelmehl hergestellt wurden, waren be-reits um 1000 v. Chr. bei den Phöniziern bekannt. DieWurzeln des Betonbaus im eigentlichen Sinne sind al-lerdings in der römischen Antike zu suchen. Aus dergriechischen Tradition mehrschaliger Mauern wird invorchristlicher Zeit eine Art Gussmauerwerk zunächstaus Kalkmörtel mit Tuff-, Ziegel- und Marmorbro-cken entwickelt, das zwischen zwei Schalen aus auf-gemauertem Werkstein eingestampft wurde. Vitruv er-wähnt 13 v. Chr. in seinen „De architectura libri de-cem“, den „Zehn Büchern über das Bauen“ die Her-stellung eines aus hydraulischem Mörtel – vorwiegendaus Kalk mit natürlichen hydraulischen Zusätzen – undGesteinsbrocken bestehenden römischen Betons, demOpus Caementitium (Lamprecht 1984). Der Name be-schreibt nach heutigem Verständnis zugleich den Bau-stoff und die Bauweise selbst.

Als hydraulische Zusätze dienten natürliche Puzzo-lane – vulkanischer Tuff aus dem Gebiet um das heu-tige Pozzuoli bei Neapel – und zerstoßene Tonziegel.Der Betonkern übernahm dabei die eigentliche Trag-funktion. Große Ähnlichkeit mit dem Beton heutigerPrägung hat der bei Zweckbauten wie etwa den Fun-damenten des Colosseums in Rom verwendete OpusCaementitium, der nicht mehr zwischen Mauerscha-len, sondern gegen mehrmals verwendbare Brettscha-lungen hergestellt wurde. Die Abdrücke der Schalbret-ter sind heute noch sichtbar.

Das spektakulärste Gebäude des antiken Rom istwohl das 115–126 n. Chr. unter Hadrian erbaute Pan-theon. Rundbau und Kuppel bestehen aus Opus Cae-mentitium mit nach oben hin gestaffelter Rohdich-te der Zuschläge (Abb. 1.15). Durch den, dem heu-tigen Leichtbeton sehr ähnlichen Baustoff wird derGewölbeschub am Kuppelansatz deutlich reduziert.Die Spannweite von 43,3 m wurde selbst mit den ge-mauerten Kuppeln in Florenz (Brunelleschi, erbaut1420–1436, Spannweite 42,0 m) und Rom (Michelan-gelo und della Porta, erbaut 1588–1590, Spannweite42,6 m) nicht erreicht.

Römischer Beton mitleichten Tuffbrockenund Bims

(Betonrohdichte = 1,35)�

Tuffbrocken und

Ziegelsplitt ( = 1,50)�

Tuffbrocken und

Ziegelsplitt ( = 1,60)�

Tuff- und Ziegelbrocken

( = 1,60)�

Travertin- und Tuffbrocken

( = 1,75)�

Travertinbrocken

~ 9 m

43,30 m

Abbildung 1.15 Pantheon – Rohdichten des verwendeten OpusCaementitium (römischer Beton)

Allen Konstruktionen aus Opus Caementitum istgemein, dass sie lediglich in der Lage waren, Druck-kräfte aufzunehmen; Bewehrung im heutigen Sinnewurde nicht verwendet. In der Folgezeit ging das Wis-sen um die Herstellung von Beton vollständig verlo-ren. Als eines der letzten bedeutenden Bauwerke inder Tradition des Opus Caementitium wird häufig der1173 begonnene Schiefe Turm von Pisa angeführt. Erbesteht aus einem mit Marmor verkleideten monoli-thischen Betonring. Allerdings wurde der Beton be-reits mir derart geringer Qualität hergestellt, dass hierder Grundgedanke römischer Betonbauwerke ins Ge-genteil verkehrt wird. In einigen Bereichen nehmendie Hohlstellen bis zu 50% des Volumens ein; nichtmehr der Betonkern, sondern die dünne Marmorschaleist das primär lastabtragende Element (vgl. Leonhardt1997).

1.4.1.2 Neuzeit – Entwicklung des Stahl-und Spannbetons

bis 1850

Vor allem im durch die industrielle Revolution gepräg-ten England setzt Ende des 18. Jahrhunderts die Ent-wicklung hydraulischer Bindemittel ein. Wurden zu-nächst dem klassischen Kalkmörtel noch natürlichePuzzolane zugesetzt, gelingt James Parker 1796 derentscheidende Schritt hin zum künstlich hergestelltenhydraulischen Bindemittel; er stellt aus gebrannten to-nigen Kalken seinen Romanzement her. Der ist aller-dings nur bei ca. 1000ıC, damit nicht bis zur Sinterunggebrannt, also nach heutigem Verständnis kein Zementim engeren Sinne. 1825 bringt der Maurermeister Jo-seph Aspdin seinen Portlandzement äußerst erfolgreichauf den Markt. Der Name geht auf einen Vergleich mit

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1.4 Historie 13

dem auf der Halbinsel Portland an der englischen Ka-nalküste abgebauten hochwertigen Naturstein zurück.Erst 1844 führt Isaac Charles Johnson den Brand biszur Sinterung bei 1400–1450ıC ein und erreicht damiteine deutliche Verbesserung der Materialeigenschaf-ten. Das handwerkliche Experimentieren mit dem neu-en Baustoff bringt zu Beginn des 19. Jahrhunderts be-reits die ersten vollständig aus Beton errichteten Ge-bäude hervor. Bereits wenige Jahre später – gegen dieMitte des 19. Jahrhunderts – wird von Versuchen zurKombination von Beton mit Seilen, Drahtgeflecht undEisenstäben berichtet – allerdings noch völlig ohnetechnisches Verständnis für die Wirkungsweise.

1850 bis 1900

1855 nimmt in Stettin das erste deutsche Portlandze-mentwerk seinen Betrieb auf, gleichzeitig veröffent-licht Max von Pettenkofer das bis dahin geheim ge-haltene Herstellungsverfahren von Portlandzement. Imselben Jahr erhält Joseph Luis Lambot, provencalischerGutsbesitzer, ein Patent auf die Herstellung von Was-serbehältern und Booten aus Zementmörtel mit Draht-geflechtbewehrung – und kommt damit seinem Lands-mann Joseph Monier, einem Gärtner, der in ähnli-cher Technik Blumenkübel fertigt, zuvor. 1867 erhältauch Monier das erste einer Reihe von Patenten fürverschiedene Bauteile, die jetzt schon mit Stäben be-wehrt sind (Abb. 1.16). Er errichtet 1875 auch die welt-weit erste Brücke aus „ Eisenbeton“. Allerdings zei-gen Moniers Konstruktionen, dass er noch keine klareVorstellung von der Wirkungsweise des Verbundbau-stoffs hat – ganz im Gegensatz zum Juristen T. Hyatt(USA), der zur gleichen Zeit in VeröffentlichungenTragverhalten und Verbundwirkung des Eisenbetonsbeschrieb. Durch den Erwerb der Monier’schen Li-

Abbildung 1.16 Zeichnungen aus einem Patent Joseph Moniersaus dem Jahr 1878

zenzrechte für Deutschland 1884 durch C. Freytag undC. Heidschuch, 1886 durch G. A. Wayss beginnt auchin Deutschland die Anwendung des Eisenbetons ingroßem Umfang.

Ein Meilenstein in der Entwicklung ist die An-wendung von Eisenbeton für Wände, Deckenplattenund Gewölbe im 1884–1894 errichteten Reichstags-gebäude in Berlin. In Zusammenhang mit den hierfürdurchgeführten Versuchen veröffentlicht M. Koenen,damals Bauleiter des Reichstagsgebäudes und späterLeiter der Firma Beton- und Monierbau, erste Berech-nungsverfahren, die klar die Wirkungsweise des Ei-senbetons zeigen. Parallel dazu entwickelt der Fran-zose F. Hennebique monolithische Skelettkonstruktio-nen unter der Prämisse sparsamsten Materialeinsatzesund führt damit den Plattenbalken als die wohl typisch-ste Konstruktionsform des Eisenbetonbaus ein. Nochvor der Jahrhundertwende taucht die Idee des Vorspan-nens von Beton auf: der Amerikaner Jackson erreichtmit Gewindestäben im Beton nur geringe Spannkräfte;der Berliner Ingenieur Döhring nimmt diese Idee auf,spannt aber mit Drähten – und mit mehr Erfolg – vorund erhält dafür 1888 ein Patent. 1898 wird in Berlinder Deutsche Beton-Verein (DBV) gegründet.

1900 bis 1945

Nach der Jahrhundertwende setzt eine rasante Weiter-entwicklung des Eisenbetons ein. Emil Mörsch (1872–1950) führt zunächst im Auftrag der Firma Wayss& Freytag, ab 1916 als Professor für Eisenbeton-bau an der TH Stuttgart, umfangreiche Versuche anStahlbetonbauteilen durch. Bereits 1902 veröffentlichter, aufbauend auf den Ergebnissen, die erste wirk-lichkeitsnahe Theorie des Eisenbetons. Die ArbeitenMörschs, von ihm zusammengefasst im zweibändigenWerk „Der Eisenbetonbau – seine Theorie und Anwen-dung“, bilden nahezu weltweit und über einige Jahr-zehnte – in Teilen sogar bis heute – die Grundlage derBemessung. Gleichzeitig entwirft er richtungweisendeBauwerke, wie etwa die 1903 bis 1904 errichtete und2000 abgebrochene Isarbrücke in Grünwald bei Mün-chen mit zwei jeweils 70 m weit gespannten Dreige-lenkbogen (Abb. 1.17). 1907 wird der Deutsche Aus-schuss für Eisenbeton gegründet. Er firmiert ab 1942unter dem Namen Deutscher Ausschuss für Stahlbe-ton (DAfStb) – und folgt damit der Namensänderungdes Baustoffs selbst. Der Ausschuss gibt 1916 die „Be-stimmungen für die Ausführung von Bauwerken aus Ei-senbeton“ heraus. Im September 1925 erscheint derenNeuausgabe unter gleichem Titel erstmals als NormDIN 1045.

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14 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

Abbildung 1.17 Isarbrücke in Grünwald, erbaut 1903–1904nach Plänen von Emil Mörsch

Parallel zur Entwicklung des Stahlbetons werdendie Grundlagen des Spannbetonbaus gelegt. EinWegbereiter des Spannbetons ist der französischeIngenieur Eugène Freyssinet (1879–1962), der klarerkennt, dass Schwinden und Kriechen eine wesent-liche Rolle bei Spannkraftverlusten spielen, dahereine dauerhafte Wirkung der Vorspannung nur durchhohe Stahlspannungen zu erzielen ist. Er erhält 1928ein Patent für sein Spannverfahren, dem weitereFolgen. 1935 wird durch Wayss & Freytag der Begriff„Spannbeton“ eingeführt. Ein Jahr später wird nachden Entwürfen Franz Dischingers (1887–1953) mitder Bahnhofsbrücke in Aue/Sachsen die weltweiterste Spannbetonbrücke errichtet – allerdings mitextern geführten, d. h. außerhalb des Betonquer-schnitts liegenden, hängewerkartig angeordnetenStäben aus Stahl vergleichsweise geringer Festigkeit.1938 führt E. Hoyer die Spannbettvorspannung mitKlaviersaitendraht ein. Die stationär im Spannbettgefertigten, 100 m langen Träger werden nach demErhärten des Betons in die gewünschten Längenzerschnitten. Bereits 1943 liegt der Entwurf einer

Abbildung 1.18 Dischinger-Schale; Versuchsbelastung durchdie Mitarbeiter des DYWIDAG-Konstruktionsbüros (1931)

Abbildung 1.19 Brücke über den Salginatobel (Robert Mail-lart, 1929)

Norm für Spannbetonbauwerke vor; die Einführungwird noch 10 Jahre auf sich warten lassen.

Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entste-henden Betonbauwerke sind teils noch stark vom Ge-danken der Materialersparnis geprägt, gleichwohl wer-den wegweisende Bauten errichtet. Die rasche Weiter-entwicklung des Betonbaus ab Mitte der 20’er Jahreist unter anderem verbunden mit den Namen Franz Di-schinger und Ulrich Finsterwalder (1897–1953), spä-ter auch Hubert Rüsch (1904–1979), die spektakulä-re Betonschalen wie etwa die Zeiss-Planetarien oderdie Großmarkthallen in Frankfurt und Leipzig (1927mit 5820 m2 die weltweit größte überdachte Fläche)entwerfen (Abb. 1.18).1 International starken Einflussüben Robert Maillart (1872–1940, Schweiz; u. a. Sal-ginatobelbrücke, Abb. 1.19), Pier Luigi Nervi (1891–1979, Italien; vgl. Abb. 1.1) und Eduardo Torroja(1899–1960, Spanien) aus.

1945 bis heute

Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg stehtangesichts des enormen Bedarfs an Wohn- undGewerbebauten sowie Bauwerken der Infrastruktureinerseits, der allmählichen Verschiebung des Ver-hältnisses von Lohn- zu Materialkosten andererseits,im Zeichen der Rationalisierung von Bauverfahren(vgl. Abbn. 1.21 und 1.22). Unter anderem steigtdie Verwendung von Fertigteilen im Hoch- undIndustriebau sprunghaft an (Abb. 1.20). Parallel zurtechnischen Entwicklung wird Beton und insbeson-dere Sichtbeton – nicht zuletzt durch die Bauten LeCorbusiers (1887–1965) – in der Architektur derModerne salonfähig. Einen nicht unbeträchtlichen

1 Die in Abb. 1.18 abgebildete Versuchsschale existiert nochheute und kann in Wiesbaden-Erbenheim besichtigt werden.

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1.4 Historie 15

Abbildung 1.20 Ästhetisch anspruchsvolles und rationellesBauen mit Fertigteilen: Wohnanlage Genter Straße, München(A: Steidle und Partner; 1972)

Anteil an der Entwicklung hatte dabei der Spannbeton.1950 entsteht mit der von Finsterwalder geplanten,mit DYWIDAG-Stabspanngliedern vorgespanntenLahnbrücke Balduinstein die erste Spannbetonbrückeim Freivorbau, einem heute auch für weitgespannteBogen verwendeten Bauverfahren (Abb. 1.22).

Drei Jahre später erscheint die unter Federführungdes damaligen Professors für Massivbau der TH Mün-chen, Rüsch, erarbeitete Spannbetonnorm DIN 4227 –die weltweit erste ihrer Art. Bereits 1952 wird dieFIP – Fédération International de la Précontrainte insLeben gerufen; ein Jahr später wird das CEB – ComitéEuropéen du Béton gegründet, das 1976 in ComitéEuro-International du Béton umbenannt wird. Bei-de technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen habenden Wissens- und Erfahrungsaustausch zum Ziel; dieerstgenannte speziell auf dem Gebiet des Spannbetons,letztere für den Stahlbeton. Zudem sollen ihre Mitglie-der international einheitliche technische Regeln nachaktuellsten Erkenntnissen erarbeiten, die als Grundla-ge für Normen dienen können (vgl. Abschn. 1.4.2).FIP und CEB vereinigen sich 1998 zur fib – fédérationinternational du béton mit Sitz in Lausanne.

Abbildung 1.21 Herstellung des Bogens einer Talbrücke – Teu-felstalbrücke bei Jena (1938); Spannweite 138 m; Herstellungdes Stahlbetonbogens auf Leergerüst (Nachtaufnahme)

Abbildung 1.22 Herstellung des Bogens einer Talbrücke –Brücke über den Svinesund zwischen Schweden und Norwe-gen (2005); Spannweite 247 m; Herstellung des Stahlbetonbo-gens im Freivorbau Blaschko u. Torka (2005)

Neben dem Freivorbau etabliert sich ein weiteres, äu-ßerst effizientes Bauverfahren für über mehrere Felderdurchlaufende Spannbetonbrücken: Von Fritz Leon-hardt (1909–1999) und Willi Baur wird das Takt-schiebeverfahren entwickelt und erstmals in Reinform1965 beim Bau der Innbrücke Kufstein eingesetzt (vgl.Abb. 1.5). Zeitgleich wird von Hans Wittfoht ein an-deres Verfahren zum rationellen Bau von Spannbe-tonbrücken eingeführt: Vorschubrüstungen – erstmalsbeim Bau der Krahnenbergbrücke bei Andernach ein-gesetzt (vgl. Wittfoht 1964) – erlauben die fast in-dustrielle Herstellung durchlaufender Spannbetonbal-ken und tragen damit in den Folgejahren zum gewalti-gen Ausbau der Infrastruktur bei (Abb. 1.23). Vor al-lem aber Leonhardt, von 1957 bis 1974 Professor fürMassivbau an der TH Stuttgart, ist in der zweiten Hälf-te des 20. Jahrhunderts durch wegweisende Konstruk-tionen – u. a. den in Stuttgart erbauten, weltweit erstenFernsehturm – wichtiger Impulsgeber der Entwicklungim Betonbau.

Mit dem Ziel, effiziente und dauerhafte Konstruk-tionen zu schaffen, werden Betone mit deutlich er-weitertem Leistungsspektrum entwickelt. 1990 wirdfür hochbelastete Stützen des Trianon-Hochhauses inFrankfurt/Main erstmals in Deutschland großmaßstäb-lich Hochleistungsbeton verwendet. Die Anwendungvon Betonen mit Druckfestigkeiten z. T. weit über60 N/mm2 bis ca. 130 N/mm2 setzt im internationalenVergleich spät ein, ist aber heute größtenteils norma-tiv erfasst. Die ersten Brücken aus Hochleistungsbe-ton in Deutschland entstehen 1998 bei Sasbach undBuchloe. Parallel dazu wird Selbstverdichtender Betonentwickelt, bei dem die Verdichtungsarbeit nach dem

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16 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

Abbildung 1.23 Bau einer Spannbetonbrücke mit Vorschubrüs-tung heute

Einbringen des Betons in die Schalung entfällt. DasEntwicklungspotential für Betone ist dabei lange nochnicht ausgereizt; derzeit wird intensiv an der Entwick-lung ultrahochfester Betone gearbeitet, die Druckfes-tigkeiten oberhalb von 300 N/mm2 erreichen können.Aus den Unzulänglichkeiten, die einigen Konstruktio-nen im Zuge der stürmischen Fortschritte der Spannbe-tonbauweise eigen waren, wurden mittlerweile Lehren

Abbildung 1.24 Bang-Na-Expressway, Bangkok – Hochstraßein Segmentbauweise; Blick in einen durch externe Spanngliedervorgespannten Hohlkasten

gezogen, die zur Entwicklung externer oder verbund-loser Spannglieder im Brückenbau, damit zu äußerstrobusten Konstruktionen geführt haben (Abb. 1.24).

1.4.2 Normung

Durch den europäischen Einigungsprozess vollzogsich die Entwicklung und Fortschreibung von Be-tonbaunormen in den letzten Jahrzehnten als dualerProzess mit national gültigen DIN-Normen auf dereinen und europäisch-einheitlichen Regelwerken aufder anderen Seite. Mit der zukünftig geltenden NormEN 1992-1-1 findet diese duale Entwicklung ihrenAbschluss.

1.4.2.1 DIN-Normen

Die Entwicklung deutscher Betonbaunormen bis in diebeginnenden 80’er Jahre ist ausführlich in Goffin u. a.(1982) dargestellt; die wesentlichen Eckdaten sind:

1916 Als Vorläufer der Normen gibt der DeutscheAusschuss für Eisenbeton die Bestimmungen fürdie Ausführung von Bauwerken aus Eisenbetonheraus.

1925 Die Bestimmungen des Deutschen Ausschuss fürEisenbeton werden erstmals als DIN 1045 ver-öffentlicht. Überarbeitungen folgen 1932, 1937,1943 und 1959.

1953 Als weltweit erste Spannbeton-Norm wirdDIN 4227 herausgegeben.

1972 Angesichts des erweiterten Kenntnisstandeswird eine grundlegende Überarbeitung derDIN 1045 erforderlich. Als wesentliche Neue-rung wird die n-freie Bemessung, d. h. dieBiegebemessung heutiger Prägung über Grenz-dehnungen eingeführt. Zur Beschreibung derSpannungsverteilung in der Betondruckzonewird das Parabel-Rechteck-Diagramm vor-geschlagen. 1975, 1978 und 1988 erscheinenaktualisierte Neuausgaben der DIN 1045.

1979 DIN 4227 wird in überarbeiteter Form alsDIN 4227 Teil 1 veröffentlicht; neue Erkennt-nisse z. B. zur Rissbreitenbeschränkung undder Querkraftbemessung, desgleichen Erfah-rungen mit neuen Bauweisen machen eineNeuausgabe erforderlich. Zwischen 1981 und1986 werden Teile zur teilweisen Vorspannung,zur Segmentbauart, zu Spannleichtbeton und

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1.4 Historie 17

Vorspannung ohne Verbund ergänzt. 1988 wirdder ursprüngliche Teil 1 neu herausgegeben.

2001 DIN 1045 erscheint vollständig überarbeitet invier Teilen. Teil 1 fasst die bisher in getrenntenNormen geregelte Bemessung von Stahlbeton-und Spannbetonbauteilen zusammen. Mit derNeuausgabe der DIN 1045 werden die zukünfti-gen europäischen Normen auf nationaler Ebenebereits vorweggenommen.

2008 Die Teile 1 bis 3 der DIN 1045 werden neu her-ausgegeben; Teil 1 enthält neben einigen Druck-fehlerkorrekturen auch zusätzliche Klarstellun-gen der bisheringen Regeln sowie einige neue,mit dem Eurocode abgeglichene Regeln z. B. inBezug auf die Bemessung von Schubfugen. Mitder Ausgabe 2008 erscheint die letzte Fassungder DIN 1045 vor dem Übergang zu den Euro-codes.

1.4.2.2 Normenentwicklungauf europäischer/internationaler Ebene

Als Vorläufer europäischer Normen können die vonCEB und FIP gemeinsam herausgegebenen Mustervor-schriften angesehen werden. 1978 erscheint der CEBFIP ModelCode 1978. Er vereint das aktuelle Wis-sen zur Bemessung im Stahlbeton- und Spannbeton-bau und bietet gleichzeitig ein zuverlässigkeitstheore-tisch fundiertes Sicherheitskonzept auf Grundlage vonTeilsicherheitsbeiwerten. 1991 wird der CEB FIP Mo-delCode 1990 veröffentlicht, der neben Regeln auchumfangreiche Erläuterungen zu Grundlagen und Mo-dellen enthält. Die Mustervorschriften dienen als we-sentliche Basis der durch den europäischen Einigungs-prozess initiierten Vereinheitlichung technischer Re-geln (vgl. Breitschaft 1995; Litzner 2002):

1975 Die Kommission der Europäischen Gemein-schaft beschließt auf Grundlage der 1957geschlossenen Römischen Verträge die Schaf-fung harmonisierter technischer Regeln für dasBauwesen, der EUROCODES, um Handels-hemmnisse zu beseitigen.

1987 Die Einheitliche Europäische Akte tritt mit demZiel in Kraft, einen europäischen Binnenmarktzu schaffen. 1988 folgt die vom Ministerrat derEG verabschiedete Bauproduktenrichtline alseiner der wesentlichen Eckpfeiler der Harmoni-sierung technischer Regeln, in der die primärenAnforderungen an Bauprodukte (MechanischeFestigkeit, Standsicherheit, Dauerhaftigkeit,etc.) definiert werden. Die Aufgabe, EURO-

CODES zu erarbeiten, wird 1989 an dasCEN (Comité Européen de Normalisation)übertragen.

1992 In der ersten Phase auf dem Weg zu einheit-lichen europäischen Normen wird der Teil1-1 des EUROCODE 2 (EC 2) Planung vonStahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil1-1: Grundlagen und Anwendungsregeln fürden Hochbau als Vornorm zur probeweisenAnwendung veröffentlicht. Die europäischenNormen bestehen jeweils aus einem Grundteil(hier dem Teil 1-1), der durch weitere Teilefür spezifische Konstruktionen oder Bauweisen(z. B. dem Teil 2 für den Brückenbau) ergänztwird. In Deutschland kann der Grundteil desEC 2, herausgegeben als DIN V ENV 1992-1-1damit als Alternative zu DIN 1045 angewendetwerden. Die Norm baut dabei im Wesentlichenauf dem CEB FIP ModelCode 1978 auf.

2004 Eine Neufassung des EUROCODE 2, Teil1-1 erscheint als EN 1992-1-1. Die CEN-Mitgliedsorganisationen, z. B. das DIN, sindverpflichtet, EN 1992-1-1 als Ersatz für natio-nale Normenwerke nach einem vorgegebenenZeitplan verbindlich einzuführen.

1.4.2.3 Gegenwart und Zukunft

In Deutschland ist derzeit DIN 1045 Tragwerke ausBeton, Stahlbeton und Spannbeton, Teil 1 Bemessungund Konstruktion für die Bemessung von Tragwer-ken des allgemeinen Hochbaus verbindlich. Die Normbaut auf dem 1992 veröffentlichten Grundteil des EC 2auf, wurde aber umfassend umstrukturiert, enthält ei-ne Reihe aktualisierter Regelungen und nimmt da-mit Inhalte der 2004 erschienen EN 1992-1-1 vorweg.Für Brückenbauwerke existiert der auf Grundlage derDIN V ENV 1992-1-1 erarbeitete und an DIN 1045-1angepasste DIN-Fachbericht 102 Betonbrücken.

In absehbarer Zeit werden in den CEN-Mitgliedsstaaten2 die nationalen Regelwerke durchEN-Normen ersetzt werden. Das vollständige, euro-paweit einheitliche Regelwerk für den Entwurf, die

2 CEN-Mitgliedsstaaten sind die 27 Länder der EuropäischenUnion (im Einzelnen: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutsch-land, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Itali-en, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Ös-terreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Slowakei,Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, dasVereinigte Königreich und Zypern – Stand 2009) sowie die Mit-gliedsstaaten der Europäischen Freihandelszone EFTA (im Ein-zelnen: Island, Norwegen und die Schweiz; Liechtenstein ist anden schweizerischen Normen orientiert).

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18 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

Berechnung und die Bemessung von Tragwerkenumfasst insgesamt 10 einzelne Pakete, die EUROCO-DES (EC), die wiederum in verschiedene, teils aufspezifische Anwendungsbereiche bezogene Teile z. B.zur Bemessung für den Brandfall oder den Brückenbauuntergliedert sind:

EC 0 EN 1990 – Grundlagen der TragwerksplanungEC 1 EN 1991 – Einwirkungen auf TragwerkeEC 2 EN 1992 – Stahlbeton- und

SpannbetontragwerkeEC 3 EN 1993 – StahlbautenEC 4 EN 1994 – VerbundtragwerkeEC 5 EN 1995 – HolzbauwerkeEC 6 EN 1996 – MauerwerksbautenEC 7 EN 1997 – GeotechnikEC 8 EN 1998 – Auslegung von Bauwerken gegen

ErdbebenEC 9 EN 1999 – Aluminiumbauten

Für die Einführung des europäischen Regelwerkeswerden inhaltlich zusammengehörige Normenteile zuNormenpaketen geschnürt – für den Betonhochbauz. B. die Teile 1-1 (Grundlagen) und 1-2 (Brandbe-messung) der EN 1992 zusammen mit den relevantenLastnormen der Reihe EN 1991, Regeln zur Bemes-sung von Gründungen (EN 1997) und für die Erdbe-benbemessung (EN 1998). Einen Meilenstein in derÜberführung der nationalen Normen in europäisch-einheitliche Regeln stellt das DoW (engl. Date ofWithdrawal) dar, der Zeitpunkt, an dem die widerspre-chenden nationalen Normen vom Normungsinstitut –in Deutschland vom DIN – zurückgezogen werdenmüssen. Für den Betonhochbau muss dies u. a. durchden Rückzug von DIN 1045-1 bis spätestens zum März2010 geschehen.

Bauaufsichtliche Relevanz erhält DIN EN 1992-1-1in Deutschland allerdings erst mit der Aufnahme in dieMusterliste der Technischen Baubestimmungen3 unddie anschließende bauaufsichtliche Einführung. Diesist nach derzeitigem Stand frühestens Anfang 2011 zuerwarten.

In Österreich wird der Wechsel zuÖNORM EN 1992-1-1 dagegen bereits frühervollzogen; die Koexistenzperiode, in der die EU-ROCODES gleichwertig mit nationalen Normenverwendet werden dürfen, endet bereits Mitte 2009.Ab diesem Zeitpunkt stellen die EUROCODES den

3 Die Liste der Technischen Baubestimmungen enthält techni-sche Regeln für die Planung, Bemessung und Konstruktion bau-licher Anlagen, die auf Grundlage des § 3 der Musterbauordnungeingeführt und damit allgemein verbindlich sind. Die Musterlis-te der Technischen Baubestimmungen kann unter www.dibt.deeingesehen werden.

Stand der Technik dar, die bis dahin geltenden Regel-werke – für die Bemessung im Betonbau insbesonderedie Reihe ÖNORM B 4700 – sind dann außer Kraftgesetzt.

1.5 Normengrundlage

Der Band verfolgt das Ziel, die Grundlagen der Be-messung von Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen vordem Hintergrund des Tragverhaltens auf mechanischerBasis und damit weitgehend unabhängig von Normenzu beschreiben. Der Transfer des Grundlagenwissensin das Handwerkszeug für die alltägliche, praktischeBemessung führt allerdings unmittelbar auf die jeweilsgeltenden Bemessungsnormen. Im vorliegenden Bandwerden als Bezugsdokumente die derzeit verbindlicheNorm DIN 1045-1 sowie parallel die zukünftig maß-gebende Norm EN 1992-1-1 gegenübergestellt.

Eine Besonderheit der EUROCODES ist deren Auf-bau; die einzelnen Teile – auch EN 1992-1-1 – beste-hen aus folgenden Elementen:

• Hauptteil• normative oder informative Anhänge• Nationaler Anhang

Der Text des Hauptteils – in EN 1992-1-1 zwölfKapitel einschließlich Titelblatt und Vorwort – so-wie die Anhänge A bis J, die ergänzende Informa-tionen u. a. zum Kriechen und Schwinden (informa-tiver Anhang ) oder zu den geforderten Eigenschaf-ten von Betonstählen (normativer Anhang) enthalten,sind für alle Mitgliedsländer des CEN inhaltlich iden-tisch. Eingeführt wird das Regelwerk in den einzel-nen Staaten als Übersetzung des englischen Originals;die deutsche Fassung – als DIN EN 1992-1-1 veröf-fentlicht – ist daher wortgleich mit den in Österreichals ÖNORM EN 1992-1-1 und in der Schweiz alsSN EN 1992-1-1 veröffentlichten Normentexten.

In dem europaweit einheitlichen Text sind aller-dings einige Punkte ausgespart, die hoheitliche Be-lange der einzelnen CEN-Mitgliedsstaaten betreffen.Hierzu gehören die Sicherheit, Dauerhaftigkeit undWirtschaftlichkeit baulicher Anlagen. Parameter, diediese Bereiche berühren, u. a. Teilsicherheitsbeiwerte,Anforderungsklassen der Betondeckungen zur Sicher-stellung der Dauerhaftigkeit, etc., werden ebenso wieausschließlich regional gültige Größen – z. B. Schnee-lastzonen – als länderspezifisch festzulegende Parame-ter (engl. Nationally Determined Parameters, NDPs)bezeichnet und in den nationalen Anhängen durch je-des Mitgliedsland individuell bestimmt. In EN 1992-1-1 können an insgesamt 122 stellen nationale Festle-

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Literatur 19

gungen getroffen werden; zu länderspezifisch festzule-genden Parametern enthält der Normentext allerdingsempfohlene Werte. In nationalen Anhängen kann zu-dem die normativ verbidliche Anwendung einzelner, inder einheitlichen Fassung als informativ gekennzeich-neter Anhänge vereinbart werden. Darüber hinaus kön-nen sie ergänzende Regeln und Hinweise enthalten,die dem Inhalt von EN 1992-1-1 nicht entgegenstehendürfen, allerdings auch nicht zwingend ihre Entspre-chung in den nationalen Anhängen anderer Länder fin-den müssen.

Für die Tragwerksplanung sind daher neben denRegeln in EN 1992-1-1 auch die Festlegungen desje-nigen nationalen Anhangs bindend, der von dem Land,in dem das Bauwerk errichtet wird, erarbeitet und ein-geführt wurde.

In Deutschland werden die länderspezifischen Fest-legungen des nationalen Anhangs als DIN EN 1992-1-1/NA herausgegeben; mit der Veröffentlichung desWeißdrucks des Nationalen Anhangs DIN EN 1992-1-1/NA ist Anfang 2010 zu rechnen.4 In Österreichwurden die nationalen Festlegungen als eigen-ständige ÖNORM B 1992-1-1, die zusammen mitÖNORM EN 1992-1-1 zu verwenden ist, bereitsAnfang 2007 herausgegeben. Anders als in Österreichwurde in Deutschland versucht, durch die geschickteWahl der NDPs zusammen mit einer Reihe vonErgänzungen eine weitgehende Übereinstimmungmit der nationalen Vorgängernorm, in dem Fall mitDIN 1045-1 zu erreichen.

In der Schweiz wird auf die Erarbeitung eines na-tionalen Anhanges verzichtet; die für SN EN 1992-1-1 länderspezifisch festzulegenden Parameter müssenzwischen Planer und Bauherrn projektbezogen fest-gelegt werden. Die in den letzten Jahren erarbeite-ten nationalen Regelwerke – für den Betonbau v. a.SIA 262 – werden als den Eurocodes nicht widerspre-chend erachtet und können damit weiterhin angewandtwerden.

Darstellung von NormenbezügenDie – typografisch abgesetzten – Normenbezüge in die-sem Band spiegeln im Vergleich mit den vorangestell-ten phänomenologischen Beschreibungen und mecha-nisch begründeten Modellen die zugehörigen Regeln nachDIN 1045-1 und EN 1992-1-1 wieder. Auf eine wörtlicheWiedergabe wird zugunsten einer gestrafften, inhaltlich al-lerdings vollständigen Darstellung verzichtet.5

4 Die hier vorgestellten nationalen Regelungen basieren auf demGelbdruck (Entwurf) von DIN EN 1992-1-1/NA vom September2008; im Vergleich mit der letztlich geltenden Fassung könnensich noch geringfügige Änderungen ergeben.5 In diesem Buch werden Vorzeichen bei Spannungen und Deh-nungen mechanisch korrekt verwendet (! Zug positiv, Druck

Dabei wird der Inhalt von EN 1992-1-1, dem EURO-CODE 2, Teil 1-1, in der eingeführten, europaweit einheit-lichen Fassung dargestellt. Den in EN 1992-1-1 für länder-spezifisch festzulegende Parameter (NDPs) empfohlenenWerten werden die Festlegungen nach den beiden Natio-nalen Anhängen Deutschlands und Österreichs, also dieRegeln nach:

D DIN EN 1992-1-1/NA

A ÖNORM B 1992-1-1

in tabellarischer Form am Ende des Normentextes gegen-übergestellt. Über die NDPs hinaus werden die wesentli-chen nationalen Ergänzungen der beiden Länder angege-ben.

NDP EU D A

˛cc 1,0 0,85 1,0

Variable empfohlener Wert nach Wert nachWert DIN EN 1992-1-1/NA ÖNORM B 1992-1-1

Normenbezüge bei BeispielenDie in diesem Band enthaltenen Beispiele folgen – soweitnicht ausdrücklich anders vermerkt – DIN 1045-1 (Fas-sung 2008).

Mischungsverbot!Sowohl DIN 1045-1 als auch EN 1992-1-1 bilden in sichgeschlossene Normenwerke mit jeweils abgestimmtenBerechnungsformaten und Konstruktionsregeln. Grund-sätzlich gilt daher ein Mischungsverbot; die Bemessungvon Betonbauteilen muss durchgängig nach den Bestim-mungen einer der beiden Normen erfolgen. EN 1992-1-1muss zudem mit jenem nationalen Anhang angewandtwerden, der von dem Land, in dem die bauliche Anlageerrichtet wird, eingeführt wurde.

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negativ). In EN 1992-1-1 wird allerdings – im Gegensatz zuDIN 1045-1 – auf die Angabe von Vorzeichen bei Spannun-gen und Dehnungen, z. B. bei den Schwindmaßen oder denSpannungs-Dehnungs-Linien für Beton, verzichtet. Um eineeinheitliche Darstellung zu erreichen, werden im vorliegendenBand – soweit nicht explizit anders angegeben – auch die Kenn-größen nach EN 1992-1-1 vorzeichenrichtig und damit abwei-chend vom Normentext angegeben.

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20 1 Betonbauteile – Grundlagen, Tragverhalten

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