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ISSN 1616-7627 Herbst 2004 Ausgabe 005

ErgonomieL e h r s t u h l f ü r E r g o n o m i e Boltzmannstr. 15 • 85747 Garching • Tel. 089 - 289-15388 • Fax 089 - 289-15389 • Internet: www.ergonomie.tum.de

EEDDIITTOORR IIAALL

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Leserinnen und Leser, liebe Freunde der Ergonomie,

nach den Aufregungen unserer 111-er Jahres-feier im letzten Jahr ist nun wieder Normalitäteingetreten. In der 5. Ausgabe unserer Lehr-stuhlzeitung möchten wir Ihnen einen Einblick inunsere Tätigkeiten im Umfeld ergonomischerPrüf- und Bewertungsverfahren vermitteln. Diese beziehen sich auf Erfahrungen vor Ort inBetrieben, in welchen wir die Möglichkeit hatten,die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzenzu untersuchen und Verbesserungsvorschläge zumachen. Sie kommt aber auch in unserem Auf-wand für die Normung und Standardisierungergonomischer Forderungen zum Ausdruck.Nicht zuletzt versuchen wir schon seit mehr als10 Jahren durch die Entwicklung von Gestal-tungs- und Bewertungswerkzeugen die Akzep-tanz und die Verwirklichung von ergonomischenForderungen zu verbessern.

Die Zusammenarbeit mit der Industrie und damitdie Chance ergonomisches Gedankengut auchwirklich so zu realisieren, dass es im Alltag An-wendung findet, hat sich im vergangen Jahrebenfalls sehr positiv entwickelt: So konnten wirfür einen Leitfaden der Software-Ergonomie desVDMA, unser Know-how einbringen und damitwesentlich den Tenor dieses Leitfadens bestim-men. Dieser Leitfaden wurde kurz vor Redak-tionsschluss dieser Zeitung publiziert. In einemKooperationsprojekt zusammen mit BMW sindunter meiner Leitung drei weitere Lehrstühle derTUM, einer der LMU und einer der UniversitätRegensburg zusammen geschlossen, um miteinem in die weitere Zukunft gerichteten Blick dieinformatorische Belastung des Autofahrers unterdem Aspekt des Komforts und der Sicherheit zuoptimieren.

Auch in der von der Firma Audi getragenenAußenstelle INI.TUM der Technischen Universitätist der Lehrstuhl für Ergonomie mit zwei Projek-ten vertreten, welche die Nutzungshäufigkeitenund die Akzeptanz von Systemkomponenten inmodernen Automobilen zum Gegenstand haben. Ein weiteres vom BMBF gefördertes Projekt mitBosch und DaimlerChrysler befasst sich ebenfallsmit der Akzeptanz und der ergonomischenGestaltung von einer neuen die Sicherheitbeeinflussenden Informationsaufbereitung.

Es mag nun der Eindruck entstehen, dass dieseProjekte alle den gleichen Gegenstand zur For-schung haben. Tatsächlich ist aber die Art der imFahrzeug zu bewältigenden Informationen sovielfältig und teilweise auch andersartig, dass eszwischen diesen Forschungsarbeiten praktischzu keinen Überschneidungen kommt.

In der Zusammenschau all dieser Projekte aller-dings sowie der ohnedies am Lehrstuhl laufendenArbeiten, aber auch der Ergebnisse externerDissertationen wird sich unser Bild vom in techni-schen Systemen Information verarbeitendenMenschen immer mehr konkretisieren.

Ich hoffe, dass wir dadurch dem Ziel eines auto-nomen Menschmodells immer näher kommen,mit dem man schon im CAD in der Definitions-und Konzeptphase eines Produktes oder einerProduktionsanlage quasi virtuelle Experimentemachen kann und durch Veränderung derBedingungen schon lange vor der Existenz einesbegreifbaren Prototypen deren Wirkung auf dieLeistung und das Wohlbefinden des späterenNutzers vorhersagen kann. Damit wäre einwesentlicher Beitrag zu dem Schritt von der sog.korrektiven Ergonomie, die bislang immer nochdie beherrschende Praxis darstellt, zur prospekti-ven Ergonomie getan, der die Ergonomie in eineReihe mit den anderen anerkannten technischenDisziplinen stellen würde, die ihr Gewicht geradedurch die sichere Vorausberechnung vonEigenschaften eines technischen Produkteshaben.

Ich wünsche Ihnen Spaß bei der Lektüre dieserZeitung und hoffe, dass Sie den einen oder ande-ren Gedanken herauspicken können, der Ihnen inIhrem beruflichen Alltag nützlich sein kann.

Prof. Dr. Heiner BubbOrdinarius

Schwerpunkt: Ergonomische Prüf- undBewertungsverfahren

Ergonomische Gestaltung von Produktionsarbeits-plätzen- nur eine Frage der Unternehmenskultur?Heinzpeter Rühmann

Europäische Ansätze zur Bewertung von Arbeitsplätzenund Produkten- „genial oder schitzophren“? Peter Schäfer

Bewertungsverfahren im Gestrüpp der europäischen(CEN) und der internationalen (ISO) Ergonomie -neue Ansätze aus der „Münchner Werkstatt“ Peter Schäfer

Was bringt die Modellierung des Menschen? Thomas Seitz

Mit welchen Bewertungsverfahren ist der Sitzkomfortim Auto zu ermitteln? Christian Mergl

Prüfung und Bewertung im Gestaltungsprozess leichtgemacht durch EKIDES Iwona Jastrzebska-Fraczek

Kommunikation als Bewertung von Ergonomie-Wissenschaft verständlich? Stephan Hummel

Die Qualität der Lehrerbildung kommt nicht von alleine- Evaluation der Lehrer-Fort- und -WeiterbildungHerbert Rausch

Evaluation von Software am Bespiel einer eLearning-Anwendung Rolf Zöllner

Wie gut entspricht eine eLearning-Anwendung ergono-mischen Kriterien? Die Checklisten zur Produktanalyse inEKIDES Rolf Zöllner

Ergonomie kommunizieren, ergonomisch kommunizieren! Rolf Zöllner & Werner Zopf

Das neue Raumgefühl am LfE — eine Verwandlungs-Geschichte Martin Haberzettl

Veröffentlichungen

Vermischtes aus dem Lehrstuhl / PersonaliaPromotionen, neue Mitarbeiter, Verabschiedungen, Gäste,Ehrungen, Nachruf Prof. Dr. med. Dr.-Ing. W. Diebschlag

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Ergonomische Bewertung und Gestaltung von Produktionsarbeits-plätzen- nur eine Frage der Unternehmenskultur?

Heinzpeter Rühmann

"Wir wollen keine roten Arbeitsplätze" war der Tenor eines Roundtable-Gesprächs,das im Anschluss an eine Lehrstuhlführung für Betriebsärzte der BMW AG am 22.September 2003 stattfand. Und einer unserer Gäste fügte hinzu: "Das ist fester Be-standteil unserer Unternehmenskultur". "Rote Arbeitsplätze" sind nach der bei derBMW Group eingeführten ABA-Methode Arbeitsplätze, die aus ergonomischer Sichtals unzulässig zu bewerten sind, für den Mitarbeiter ein erhöhtes Verletzungs- und/oder Erkrankungsrisiko bedeuten und Änderungsmaßnahmen dringend erforderlichmachen.Die Anforderungs- und Belastbarkeits-Analyse (ABA) wurde im Rahmen des vomBundesministerium für Forschung und Technologie geförderten Vorhabens "Humani-sierung der Arbeitswelt" bei der BMW AG entwickelt und wird heute flächendeckendin allen Werken eingesetzt. Die ABA-Methode besteht aus zwei Teilen: Mit ABA-Techwerden vorhandene oder zu planende Produktionsarbeitsplätze ergonomisch bewer-tet, während ABA-Med die standardisierte Bewertung ärztlicher Atteste von Mitarbei-tern mit Leistungseinschränkungen ermöglicht, um für Leistungsgewandelte einenadäquaten Arbeitsplatz zu finden.

Mit 19 Merkmalen wie z. B. Heben und Tragen, Arbeiten über Schulterhöhe, Beweg-lichkeit des Rumpfes und des Hüftgelenkes, Lärm, Beleuchtung usw. wird der Ar-beitsplatz in seiner Anforderungsstruktur beschrieben. Eine Bewertung der Anforde-rungshöhe (Höhe der Belastung in Kombination mit der Dauer der Belastung) erfolgtüber ein Ampel-System mit den Abstufungen: grüngrün (vernachlässigbares Risiko, keineMaßnahmen) - gelbgelb (geringes Risiko, baldige Maßnahmen erforderlich) - rotrot (hohesRisiko, Maßnahmen dringend erforderlich).Ergonomische Prüfverfahren mit Bewertungen in Form von Ampelsystemen sind weitverbreitet, z.B. die OWAS-Methode (Ovako Working Posture Analysing System) zurBewertung der bei der Arbeit eingenommenen Körperhaltungen oder das an unse-rem Lehrstuhl entwickelte Ergonomische Datenbanksystem mit Rechner gestütztemPrüfverfahren EKIDES (Ergonomics Knowledge and Intelligent Design System) undallgemein akzeptiert, weil sie das Bewertungsergebnis in einem plausiblen Code dar-stellen.

MotiveDie Motive für die Einrichtung ergonomisch günstig gestalteter Produktionsarbeits-plätze bzw. für die ergonomische Bewertung vorhandener Arbeitsplätze sind vielfältig.

Rechtliche Aspekte: Anfang der 70er Jahre sind in Deutschland Gesetze undVerordnungen erlassen worden, die dem Arbeitgeber die Berücksichtigung der "gesi-cherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse" bei der Gestaltung menschlicherArbeit zwingend vorschreiben. Von Bedeutung sind hier das Betriebsverfassungsge-setz (BetrVG), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), die Gefahrstoffverordnung(GefStoffV) und das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andereFachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG).Der Artikel 6 der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie (89/391/EWG) schreibt dem Arbeitge-ber die Berücksichtigung des Faktors "Mensch" bei der Arbeit vor. Dies gilt insbeson-dere für die Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie für die Auswahl von Arbeitsmitteln,Arbeits- und Fertigungsverfahren, vor allem im Hinblick auf eine Erleichterung beieintöniger Arbeit und bei maschinenbestimmtem Arbeitsrhythmus sowie auf eine Ab-schwächung ihrer gesundheitsschädigenden Auswirkungen.Während Artikel 6 den Arbeitgeber zu Maßnahmen der "Verhältnisergonomie" ver-pflichtet (Schaffung Menschen würdiger Verhältnisse am Arbeitsplatz) richtet sich Ar-tikel 13 (89/391/EWG) an den Arbeitnehmer und verpflichtet ihn … nach seinen Mög-lichkeiten für seine eigene Sicherheit und Gesundheit … Sorge zu tragen. Damit wirdder Mitarbeiter unter Berücksichtigung der situativen Arbeitsplatzfaktoren zur "Verhal-tensergonomie" angehalten (dem gesundheitsgerechten Verhalten am Ar-beitsplatz).

Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Verhaltensergonomie oft die einzige Möglichkeitdarstellt, mit der sich der Mitarbeiter vor einem erhöhten Gesundheitsrisiko schützen kann, undnicht immer stellen derartige Maßnahmen eine Bankrotterklärung der Verhältnisergonomie dar.Häufig sind die Arbeitsbedingungen durch eingeführte Arbeitsmittel und Arbeitsabläufe so, wiesie schon immer waren und auch bleiben werden, weil technische Änderungen an den Arbeits-plätzen zwar prinzipiell möglich, aber oft wirtschaftlich nicht vertretbar sind. Man denke bei-spielsweise an Kfz-Reparaturbetriebe, mit Überkopfarbeiten in der Grube oder an der Hebe-bühne.Bild 1 veranschaulicht, dass die ergonomischen "Kosten" von Maßnahmen der Ver-

Univ. Prof. Dr.-Ing. Peter Rühmann ist Extraordina-rius am Lehrstuhl für Ergonomieder TU München

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haltensergonomie vergleichsweise niedrig liegen, geringe Eingriffe in die Organisati-onsstruktur zur Folge haben, ihre Wirkungen aber eher langsam und zeitverzögerterfolgen. Maßnahmen der Verhältnisergonomie zeigen dagegen eine schnelle Wir-kung, sind aber mit hohen Kosten und stärkeren Eingriffen in die Organisationsstruk-tur verbunden.

Betriebswirtschaftliche Aspekte: Der Betrieb erwartet im Zusammenhang mitergonomisch optimierten Arbeitsplätzen eine Leistungssteigerung seiner Mitarbeiterin effizienten Arbeitsprozessen, eine Minimierung des Ausschusses, die Reduzierungvon Ausfallzeiten wegen Krankheit und Arbeitsunfällen und die damit einhergehendeSenkung der Lohnfortzahlungskosten, eine Minderung der Fluktuation und ggf. denWegfall von Erschwerniszulagen. In diesem Kontext ist auch von Interesse, dass einAusfalltag den Betrieb tatsächlich den fast vierfachen Betrag des Bruttoarbeitsentgel-tes des Mitarbeiters kostet:

1. Direkte Personalkosten:Bruttoarbeitsentgelt: 100%Personalnebenkosten: 83%

2. Arbeitsplatzkosten: 103%3. Folgekosten:

Personalmehrkosten: 48%Produktionsausfallkosten: 36%

Summe: 370%

Volkswirtschaftliche Aspekte: Die Schätzung der Produktions-ausfälle durch Arbeitsunfähigkeit gibt volkswirtschaftlich gesehen einmögliches Präventions- und Nutzenpotenzial an. Bei einer durch-schnittlichen Arbeitsunfähigkeit von 14,2 Tagen je Arbeitnehmerergaben sich für das Jahr 2002 insgesamt ca. 491 Millionen Arbeitsun-fähigkeitstage (=1,35 Millionen ausgefallene Erwerbsjahre). Ausgehendvon diesem Arbeitsunfähigkeitsvolumen schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutzund Arbeits-medizin die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt ca.45 Milliarden Euro, was einem Anteil von etwa 2,1% am Bruttonationaleinkommenentspricht.

Zu diesem Leistungsausfall addieren sich Behandlungs- und Rehakosten von rund50 Milliarden Euro, wobei 20 bis 30% der genannten Kosten als arbeitsbedingt ange-sehen werden. Mit der Beseitigung organisatorischer, sicherheitstechnischer und er-gonomischer Defizite in den Betrieben wird ein Einsparpotenzial von mehr als 30 Mil-liarden Euro erwartet.Jede Volkswirtschaft muss sich ihre sozialen Sicherungssysteme verdienen. Staatli-che Systeme können aber immer nur das leisten, was durch die Leistungsfähigkeitund den Leistungswillen der Erwerbstätigen erwirtschaftet wird. Von einem Politikerwurde das in jüngster Zeit treffend so formuliert: "Eine Kuh, die auf der Erde Milchgibt und im Himmel frisst, gibt es nicht."

Humanitäre Aspekte: Arbeitsprozesse müssen nicht nur wirtschaftlich sein,zugleich müssen die arbeitenden Menschen ausführbare und erträgliche (d.h.schädigungslose) Arbeitsbedingungen vorfinden, wobei die Arbeit nach Arbeits-aufgabe, Arbeitsinhalt und Arbeitsumgebung sozial angemessen (d.h. zumutbar)sowie persönlichkeitsförderlich sein sollte (vgl. Kerndefinition der Arbeitswissen-schaft). Die Ergonomie bemüht sich dabei vorrangig um die Muss-Anforderungen fürgesundheitlich unbedenkliche Arbeitsbedingungen.

Aus der aktuellen sozialpolitischen Diskussion ist abzuleiten, dass die Frage nach der Zumut-barkeit einer Arbeit mit der (schon vor einem Jahrzehnt vorhergesagten) unabdingbar notwendi-gen Reformpolitik in Deutschland verknüpft ist. Das mit der hohen Arbeitslosenquote begründe-te Postulat: "Jede Arbeit ist zumutbar, wenn sie den Arbeitslosen wieder in ein Beschäftigungs-verhältnis führt" steht im krassen Gegensatz zu dem arbeitswissenschaftlichen Verständnisüber zumutbare Arbeit, das einerseits voraussetzt, dass die Arbeitsanforderungen der Mitar-beiterqualifikation weitgehend entsprechen und dass andererseits die Arbeit vom Mitarbeiterselbst als zumutbar empfunden wird.

Ergonomie in der PraxisEine "flächendeckende" Berücksichtigung ergonomischer Anforderungen bei der Be-wertung und Auslegung von Arbeitsplätzen (wie mit ABA-Tech bei der BMW Group)ist nur von der Großindustrie leistbar. Viel wichtiger wäre eine Umsetzung arbeitswis-senschaftlicher Erkenntnisse im Mittelstand, denn der Mittelstand stellt etwa 90 bis95 Prozent aller Betriebe dar, bietet den größten Teil aller Ausbildungsplätze und 3

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VerhaltensergonomieGA: Gesundheitl . Aufklärung

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VU: Vorsorgeuntersuchung

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AU: Gestaltung der Arbeitsumgebung

Verhältnisergonomie

Quelle: Landau, 2002

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VerhältnisergonomieVerhältnisergonomie

Quelle: Landau, 2002

Bild 1: Ergonomische "Kosten" vonMaßnahmen

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einen großen Teil aller Beschäftigungsverhältnisse überhaupt. Die Großindustrieist wichtig, aber für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, fürstabile Beschäftigungsverhältnisse, für genügend Ausbildungsplätze tragen vorallem das Handwerk und der Mittelstand Verantwortung.Um die mittelständische Industrie in Fragen zur Produkt- und Produktionsergo-nomie zu unterstützen, wurde das "Ergonomie Kompetenz Netzwerk (ecn)" insLeben gerufen, das bislang allerdings nur in einem sehr bescheidenen Umfangin Anspruch genommen wurde. Es bedarf hier in aller Regel einer Initialzün-dung, um den Ergonom im Produktionsbereich auf den Plan zu rufen. Meistsind es ins Stocken geratene Auseinandersetzungen zwischen der Geschäfts-leitung und dem Betriebsrat, in eher selten Fällen geht die Initiative von einemengagierten Betriebsleiter aus, der auch auf Grund des hohen Krankenstandesdie Unternehmensleitung vom Sinn und Zweck ergonomischer Maßnahmen anArbeitsplätzen in der Produktion überzeugen konnte.

Ein BeispielKlein- und Mittelbetriebe der Metall verarbeitenden Industrie können ihre Posi-tion am Markt nur dann behaupten, wenn sie mit modernen Bearbeitungstech-nologien Schritt halten. Deshalb zeigt sich hier meist ein und dasselbe Bild:Moderne Bearbeitungszentren zur vollautomatischen Bearbeitung von Rohtei-len, umgeben von untauglichen, z.T. gefährlichen Betriebsmitteln (verbeultenGitterboxen, schadhaften Standrosten, auf dem Boden herumliegenden Druck-luftschläuchen usw.) und Arbeitsplätzen - meist veralteten Werkbänken -, dieweder für die anfallenden Nacharbeiten (z.B. Entgraten) und Kontrolltätigkeiten(Mess- und Dokumentationsaufgaben) noch für die unterschiedlich großen

Mitarbeiter angepasst werdenkönnen. Ein Beispiel für dieseSituation gibt Bild 2.

Bild 2: Arbeitsplatz neben einemBearbeitungszentrum für die manuelleNachbearbeitung von Werkstücken

Um die aus diesen situativenArbeitsplatzfaktoren resultieren-den Belastungen und Bean-spruchungen für den Mitarbeiterobjektiv zu erfassen, kann dieErgonomie ein umfangreichesInstrumentarium anbieten. Aufder anderen Seite sollen ergo-

nomische Analysen in mittelständischen Unternehmen fast nichts kosten.

Physiologische Messungen am Mitarbeiter werden in aller Regel vom Betriebs-rat ebenso abgelehnt wie Videoaufnahmen am Arbeitsplatz (z.B. für eine nach-folgende OWAS-Auswertung mit dem Ergoplayer). Im Hinblick auf diese Ein-schränkungen haben wir ein sehr einfaches Analysewerkzeug entwickelt, dasschon häufig im Rahmen von Studienarbeiten in Betrieben eingesetzt wurdeund den Handlungsbedarf plausibel darstellt.

Durch Beobach-tung der Tätigkei-ten an einemausgewählten Ar-beitsplatz wird dieGesamttätigkeit inTeilarbeiten ge-gliedert, wobeiauch die bei die-sen TeilarbeiteneingenommenenKörperhaltungenberücksichtigt wer-den. Die Teilarbei-ten und Körper-haltungen bildeneine Excel-Matrixfür eine Arbeitsab-laufstudie mit dem

Ziel, die Zeitanteile für die Tätigkeiten zu ermitteln, die in unphysiologischenKörperhaltungen (sog. Zwangshaltungen) ausgeführt werden müssen (Bild 3).

Durch Anklicken einer Zelle wird für je-de beobachtete Kombination von Teil-arbeit und Körperhaltung die Zeit so-lange registriert und zu ggf. bereits fürdiese Kombination gespeichertenZeiten addiert bis eine neue Zelleangeklickt oder das Programm been-det wird.

Die Notebook-Analyse vor Ort ist eine Zeit-aufnahme, allerdings mit einem anderenFokus als die üblichen Zeitaufnahmen derArbeitsvorbereitung. Der Betriebsrat drücktdann das, was wir vorhaben, gegenüberden Mitarbeitern in einer ihm geläufigenSprache etwa so aus: "Die TU Münchenmacht hier demnächst Zeitaufnahmen …",was für unsere Analysen nicht gerade för-derlich ist. Es bedarf dann einiger Geduld,das Vertrauen der Mitarbeiter für unserVorhaben zu gewinnen. Die Erfahrung lehrt,dass erst Analysen am 3. oder 4. Tag, wenndie "Zeitaufnahme" zur Routine gewordenist, zu brauchbaren Ergebnissen führen.

Bild 4 zeigt das Ergebnis einer Arbeits-ablaufstudie an dem in Bild 2 darge-stellten Arbeitsplatz, an dem Alumini-umgehäuse mit relativ geringenAbmessungen (Masse 5 kg) bearbeitetwerden.

Bild 4: Zeitanteile für Teilarbeiten und Körper-haltungen

Auffällig sind die hohen Zeitanteile fürTätigkeiten, die in ungünstigen Körper-haltungen ausgeführt werden. Etwa50% der Tätigkeiten sind nur in ge-beugter oder gebückter Körperstellungdurchzuführen.

Bild 5:Zwangs-haltungbeim Ent-graten vonWerk-stücken

Arbeitsablaufstudieaufr. Stehen gebeugt St. gebückt St. Gehen Hocken Knien Summe:

Werkstücktransport 8,08 8,08Werkstück um-/positionieren 8,20 8,20Säubern 0,00Werkstück spannen/lösen 0,00Messinstr./Werkzeug holen 0,00Bohrungen entgraten 6,41 5,51 11,92Kanten entgraten 0,00Messen/Prüfen 5,28 5,28Werkstück kennzeichnen 2,00 2,00Schreibarbeit 0,00Konservieren u. Verpacken 8,12 6,56 14,69von Gitterbox/Pal. entnehmen 0,00in/auf Gitterbox/Pal. legen 0,00Gewindehülsen einpassen 0,00Bearbeitung kontrollieren 0,00undefiniert 0,00

0,000,000,000,000,000,000,00

Summe: 22,73 5,51 2,00 8,08 5,28 6,56 0,00

Vor dem Starten der Aufzeichnung in die Matrix klicken.

Aufzeichnung starten Aufzeichnung stoppen

Bild 3: Excel-Matrix für Arbeitsablaufstudien

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Für die besonders kritischen, hoheSorgfalt erfordernden ArbeitsvorgängeKanten entgraten und Messen/Prüfenwie auch das Ausfüllen von Qualitäts-protokollen (Schreibarbeit) müssen dieMitarbeiter Zwangshaltungen ein-nehmen (Bild 5).

Obwohl die Gestaltungsfehler an die-sem Arbeitsplatz offensichtlich sind,müssen sie gegenüber der Geschäfts-leitung mit "Maß und Zahl" argumen-tiert werden. Mit dem Gitterrost alsStandfläche für den Mitarbeiter wird ei-ne akzeptable Arbeitshöhe für die Be-dienung des Bearbeitungszentrums er-reicht. Die vor dieser Standfläche fürdie manuelle Nachbearbeitung ange-ordneten Werkbänke werden damit vielzu niedrig. Die Europaletten, auf denendie Rohteile angeliefert und auf dieFertigteile später abgelegt werden, ste-hen auf dem Hallenboden, unterhalbder Standfläche des Mitarbeiters, wo-durch tiefes Herunterbücken zur Teile-entnahme bzw. -ablage notwendigwird.Mit diesem Analyseergebnis (und demauffallend hohen Krankenstand) konn-te die Geschäftsleitung davon über-zeugt werden, die Umgestaltung vonzunächst nur einem Arbeitsplatz inAngriff zu nehmen. Anschließend da-ran sollte der Effekt dieser Maßnah-men ermittelt werden. Bild 6 zeigt denumgestalteten Arbeitsplatz.

Als wesentliche Änderungen sind her-vorzuheben:

Die Bereitstellung der Rohteilesowie die Ablage von Fertigteilenerfolgt in aufklappbaren Gitter-boxen (oder Paletten), wobei dieZugriffshöhe mit einem elektro-hydraulischen Flachhubtisch vari-iert werden kann. Eine Schwenk-einrichtung, mit der die Zugriffs-bedingungen noch weiter ver-bessert werden können, ist nach-rüstbar.Die manuelle Nachbearbeitung derWerkstücke wird an einem höhen-verstellbaren Arbeitstisch (Tisch-höhe 720 mm bis 1070 mm) mit ei-ner statischen Tragkraft von 3000N durchgeführt. Am ursprünglichen Arbeitsplatzstellten die am Boden herumlie-genden Druckluftschläuche eineerhebliche Stolpergefahr dar.Diese Gefährdung der Mitarbeiterwurde beseitigt durch unter derArbeitsplatte angebrachte An-schlüsse für Druckluftwerkzeuge(Bild 7). Als Druckluftschläuchewerden nun Spiralschläuche ausPolyurethan verwendet, die sichbei einer Blocklänge von 50 cmauf eine maximale Arbeitslängevon 3 m ausziehen lassen, umsowohl Werkstücke auf dem Ar-

beitstisch als auch in der Maschi-nenaufspannung bearbeiten zukönnen. Die Druckluftwerkzeugekönnen rechts neben dem Arbeits-tisch in eine Ablage geklemmt wer-den. Somit sind die Werkzeugeauch besser vor Verschleiß undVerschmutzung geschützt (EineWerkzeugzuführung von oben wur-de von den meisten der befragtenArbeiter als eher nachteiligempfunden).Als weiteres Problem derArbeitsplätze wurden dieStandflächen für die Mitar-beiter identifiziert, die ent-weder auf dem Betonbodender Halle oder auf Podestenaus (z.T. schadhaften) Gitter-rosten stehen. StundenlangesGehen auf hartem Untergrundführt zu einer erheblichenStoßbelastung der Gelenke.Am umgestalteten Arbeitsplatzwerden daher Kunststoffmat-ten mit eingesetzten Anti-rutschstopfen verwendet.

Die Ergebnisse einer nach der Umge-staltung durchgeführten Arbeitsablauf-studie bei der Bearbeitung der glei-chen Aluminiumgehäuse (vgl. Bild 4 und 5) sprechen für sich: Teilarbeitenin stark gebückter Körperstellung konn-ten ganz vermieden werden undder Anteil der gebeugten Steh-haltungen an der gesamtenZykluszeit beträgt nur noch 17%(gegenüber mehr als 50% in ge-beugter und gebückter Körperstel-lung am ursprünglichen Arbeits-platz; vgl. Bild 8).

Kosten oder wie sich ergono-mische Maßnahmen "rechnen"Einen Wirtschaftlichkeitsnachweisfür Arbeitsplatzgestaltungsmaß-nahmen zur betrieblichen Ge-sundheitsförderung zu führen,gestaltet sich schwierig. Trotzdem gilt der Anspruch, dass der Arbeits-und Gesundheitsschutz sich für dasUnternehmen "rechnen" soll. Grundsätzlich gibt es hier vier Sicht-weisen: die menschliche, die gesell-schaftliche, die volkswirtschaftliche unddie betriebswirtschaftliche Sicht.Maßnahmen der Gesundheitspräven-tion lassen sich nicht auf eine reineKosten-Nutzenkalkulation reduzieren.Gesundheitsziele sind in erster Linieethisch zu begründen und lassen sichnicht einfach in betriebswirtschaftlichenGrößen beziffern.

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Bild 6: Umgestalteter Arbeitsplatz an einemBearbeitungszentrum

Bild 7: Höherverstellbarer Arbeitstisch mitWerkzeughalterungen

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Bild 8: Zeitanteile für Teilarbeiten undKörperhaltungen nach der Um-gestaltung des Arbeitsplatzes

Schätzung der volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle und der ausgefallenenBruttowertschöpfung durch Arbeitsunfähigkeit 2002

Inwiefern lohnen sich also gesundheitsförderndeMaßnahmen für den Betrieb?

Erfahrungen zeigen, dass z.B. die Produktivität davonabhängt, in welchem Maße sich die Beschäftigten beach-tet und geachtet fühlen. Produktionsausfälle durch belas-tende Arbeitsplätze können vermieden werden.Maßnahmen zur betrieblichen Arbeitssicherheit und zumGesundheitsschutz sind Potenzialinvestitionen in das Hu-manvermögen des Unternehmens. Dabei zielen diesesowohl kurzfristig auf die Verbesserung der Wirtschaft-lichkeit als auch mittel- und langfristig auf die Erhöhungder Wettbewerbsfähigkeit ab. Motivierte und gesundeMitarbeiter sind das größte Kapital der Unternehmen.Aus Unternehmenssicht sind vor allem jene Kosten zunennen, die sich aus Fehlzeiten, Fluktuation, verringerterquantitativer und qualitativer Leistung, innerer Kündi-gung und aus Produktionsausfällen ergeben. Hinzu kom-men die beträchtlichen indirekten Kosten, z.B. in Gestaltdes Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungsbei-trägen. Den Aufwendungen für präventiv wirkendeMaßnahmen steht die Entlastung der Sozialversiche-rungen gegenüber. Dies kommt allen, über verringerteBeiträge, speziell jedoch den Unternehmen zugute. Problematisch bei jeder Wirtschaftlichkeitsrechnung ist,dass der Erfolg der umgesetzten Maßnahmen sich in"nicht stattgefundenen Ereignissen" (Unfälle oder ar-

beitsbedingte Erkrankungen) niederschlägt. Wenngleich alle genannten Chancen, diesich aus einer verbesserten Produktionsergonomie ergeben, rein hypothetisch sind,rechnen lässt sich immer: Im vorliegenden Fall betrugen die Investitionskosten für ei-nen Arbeitsplatz ca. 5.000,-- Euro. Bei einem angenommenen Durchschnittslohn vonEuro 15,-/Stunde und einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden ergibt sich ein Brutto-arbeitslohn von Euro 120,-- pro Tag. Den Betrieb kostet ein Ausfalltag etwa 370%des Bruttoarbeitslohnes, also 444,-- Euro, d.h. die Investition würde sich durch 11eingesparte Fehltage rechnen. Nimmt man eine Krankheitsquote von 6% bei 200 Ar-beitstagen an und somit durchschnittlich 12 Fehltage pro Mitarbeiter und betrachtetca. 30% der Fehltage als arbeitsbedingt, wäre eine theoretische Einsparung von et-wa 3 Fehltagen pro Jahr und eine Amortisation nach rund 4 Jahren erzielbar, Einspa-rungen durch Abschreibungen nicht gerechnet.Produktionsergonomie prägt zweifellos die Unternehmenskultur, so nach dem Motto:"Wer gut zu seinen Mitarbeitern ist, achtet auch auf Qualität und ist somit auch gutzu seinen Kunden".Die soziale Sicherung steht auf zwei Säulen: Auf der eigenverantwortlichen Vorsorgeund auf der staatlichen Fürsorge, die außer auf die Einkommenssicherung auch aufdie Vermeidung von Risiken durch vorbeugende Maßnahmen abstellt (Unfallverhü-tung, Gesundheitsvorsorge) sowie auf die Wiedergewinnung der Gesundheit undArbeitsfähigkeit (Rehabilitation). Für die Volkswirtschaft wird hier ein Einsparpotenzialauf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt. Produktionsergonomie - auf breiterer Frontbetrieben - könnte somit langfristig eine zusätzliche Chance für die Sicherung der so-zialen Systeme sein, deren Kosten in bedrohlichem Umfang gestiegen sind.

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apl.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Peter Schaefer ist am Lehrstuhlfür Ergonomie der TU MünchenSpezialist für Normungsfragen

Europäische Ansätze zur Bewertung von Arbeitsplätzen undProdukten - "genial" oder "schitzophren"?

Peter Schaefer

Schutzschirm ErgonomieEigentlich ist Leben immer gefährlich - am Arbeitsplatz, zuhause, beim Sport, ... .Immer wieder kann es uns an die Gesundheit gehen, etwa per Lärm, per Chemie,per physischen und psychischen Lasten und vielem mehr.Gleichzeitig aber ahnen wir, dass es dabei um etwas ganz besonderes geht. Knackigausgedrückt „ist Gesundheit zwar nicht alles, aber alles ist nichts ohne Gesundheit“(Schopenhauer).Und deshalb ist es auch Sache der Ergonomie, sich um möglichst effizienten Schutzvor eben diesen gesundheitlichen Gefahren zu kümmern - soweit sie dies auch wirk-lich kompetent kann. Insbesondere geht es dabei um Arbeitsschutz und um Verbrau-cherschutz gleichermaßen.

Dies versucht die Ergonomie, nach Art des TÜV anzupacken: einerseits stampft sie möglichst "gute" Bewertungsverfahren aus dem Boden; andererseits drängt sie aber auch in Richtung klar definierter Grenzwerte - nicht

zuletzt hat dies auch einen sehr "politischen" Aspekt; und letztendlich geht es natürlich auch darum, diese "hausgemachten"

Verfahren vor Ort auch tatsächlich umzusetzen.

Europäische ErgonomieDie gesamte "Bewertungsmaschinerie" in Sachen Ergonomie wurde innerhalb derletzten 10 bis 15 Jahre von der Europäischen Seite her recht gründlich aufgerollt. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind einerseits beeindruckend, was die neuentstandenen Bewertungsverfahren betrifft. Andererseits wird aber der dort einge-schlagenen Weg vielerorts auch als ein wenig befremdlich, wenn nicht gar als"schizophren" empfunden. Das liegt nicht zuletzt an der Zweigleisigkeit, mit der die EU generell die Bewertungs-problematik anpackt. Der für die Ergonomie interessante Teil des EWG-Vertrags von1957 ist in Abb. 1 in seiner Grundstruktur skizziert. Darin sind es lediglich die beidenArtikel 95 (ehem. Artikel 100a) und 137 (ehem. Artikel 118a) dieses Vertrags, die daskomplette Fundament für die Europäische Ergonomie bilden. Gleichzeitig sind esaber auch genau diese beiden Artikel, welche die genannte Zweigleisigkeit lostreten.

So beginnen die Probleme schon gleich damit, dass es zwei unterschiedlicheBrüsseler Generaldirektionen gibt, die sich unabhängig voneinander um die Realisie-rung dieser beiden "Ergonomie-Artikel" kümmern: Die Generaldirektion "Binnenmarkt" (GD III) betreut die Maschinenrichtlinie

(89/392 EEC). Diese ist ein Ableger von Art. 95 und bildet ihrerseits dieGrundlage für die gesamte CEN-Normung in Sachen Ergonomie.

Demgegenüber zielt die Generaldirektion "Soziale Angelegenheiten (GD V) aufdie Rahmenrichtlinie 89/391 EEC ab. Diese Richtlinie bildet sozusagen ganzwörtlich den Rahmen für einen ganzen Satz weiterer Einzelrichtlinien im Bereichder Ergonomie.

Damit wird deutlich, dass es in beiden Fällen zwar um Gesundheitsschutz geht, diesaber mit sehr unterschiedlicher Stossrichtung: GD III bemüht sich darum, dass in Europa nur sichere Maschinen frei gehandelt

werden - das CE-Zeichen verspricht Konformität mit CEN-Normen und gilt indiesem Sinne sozusagen als Gütesiegel. Gleichzeitig wird bei Waren mit CE-Zeichen aber noch eins draufgesetzt: gegen solche Waren dürfen auch keinenationalen Handelshemmnisse mehr aufgebaut werden, im Sinne eines offenenEuropäischen Binnenmarkts. Vom Ansatz her sind CEN-Normen somit reineHandelsnormen.

Demgegenüber bemüht sich GD V ausschließlich um Sicherheit am Arbeitsplatz.Dies geschieht anhand der genannten Rahmenrichtlinie incl. des ganzenSchwarms an Einzelrichtlinien. Auf dieser Schiene wird versucht, sozialeStandards einheitlich für ganz Europa festzulegen.

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Und genau darin liegt der Knackpunkt der genannten "Schizophrenie": einerseits ist man am freien Handel sicherer Produkte sehr wohl interessiert -

und dazu soll Sicherheit auch sehr genau definiert sein; andererseits wehren sich die EU-Mitgliedsstaaten aber vehement gegen

einheitliche Sozialstandards an ihren Arbeitsplätzen, die man ihnen perRichtlinien von außen her aufdrängen möchte - schließlich geht es hier ja um dieeigene Wettbewerbsfähigkeit. So gesehen sollte die Sicherheit am Arbeitsplatzalso möglichst schwammig oder am besten gar nicht definiert sein.

Dies erklärt die bestehende Asymetrie in der ergonomischen Wahrnehmung, wennes um Europa geht. CEN Normen benennen als Produktnormen in der Regel immergut definierte Grenzwerte. Demgegenüber weichen die Richtlinien der GD V generellauf wortreiche aber zumeist zahlenfreie Empfehlungen in Sachen Arbeitsplätze aus.

Eigene AktivitätenTrotz dieser sehr gespaltenen Situation in der Europäischen Ergonomie haben sichin letzter Zeit permanent neue Ansätze im weiten Bereich der Bewertungsergonomieentwickelt - nicht zuletzt auch auf Initiative unseres Münchener Instituts.Immerhin ist es auf diese Weise bislang gelungen, verschiedene Aspekte einereigenen und recht grundlegenden Bewertungsphilosophie auf Europäischer undinternationaler Ebene zu etablieren.

Bild 1: Die Europäischen Verträge als Basis der Europäischen Ergonomie

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Bewertungsverfahren im Gestrüpp der Europäischen (CEN) und derinternationalen (ISO) Ergonomie- neue Ansätze aus der "Münchner Werkstatt"

Peter Schaefer

Europäische ErgonomieDie Bewertung äußerer Einflüsse hat unter ergonomischen Aspekten immer sehr vielmit dem Aufspannen von Schutzschirmen zu tun - speziell im Bereich Arbeitsschutzund Verbraucherschutz. Genau dieses versucht die "Münchner Ergonomie" schonseit langem, auf eine möglichst rationale Grundlage zu stellen. Natürlich provoziertso etwas immer Selbstbeharrungskräfte aller Art. Da trifft es sich gut, dass im Zugedes Europäischen Zusammenschließens sich auch so etwas wie eine Europäischeund eine internationale Ergonomie entwickelt - dort nämlich sind die "ergonomischenEisen" z. Z. noch ziemlich "heiß" und die genannten Selbstbeharrungskräfte dem-nach etwas geringer. Auf diesen Zug ist deshalb auch die "Münchner Ergonomie" schon seit längerem auf-gesprungen mit einer Reihe von Ansätzen im Sinne der angestrebten Rationalität.

Schwerpunkt MSDEin deutlicher Schwerpunkt unserer eigenen Aktivitäten im Europäischen Verbundliegt im Bereich der Lasten- und Haltungsbewertung. Beides hat sehr viel mit Erkran-kungen des Muskel Skelett Systems (MSD) zu tun - MSD: Musculo-Skeletal-Disor-ders. Das erhebliche Interesse an diesen Arbeiten erklärt sich aus den hohen Fehl-zeiten, die in der Arbeitswelt auf MSD zurückgeführt werden (>30 %).

Was machen MSD-Bewertungsverfahren eigentlich?Im Prinzip versucht jedes MSD-Bewertungsverfahren zunächst einmal, drohendeGefahren möglichst präzise zu prognostizieren. Das heißt, wie groß ist die Wahr-scheinlichkeit, dass mindestens eine Erkrankung aus einem Pool möglicher MSDs tatsächlich

auftritt, beim Umgang mit eben diesem Produkt oder an eben diesem Arbeitsplatz, bei

der real gegebenen Zielgruppenpopulation?

Die nächste und ganz entscheidende Frage ist dann: welches Gefahrenpotential istman dabei bereit, gerade noch so zu akzeptieren?Mit der Beantwortung dieser Frage hat man sich letztendlich aber schon auf einenGrenzwert festgelegt - und zwar auf sehr rationale Art und Weise. Dessen genauerZahlenwert wird dann im "Räderwerk der Wissenschaft" ziemlich eigenständig produ-ziert - nach den Regeln der Kunst eben. Jedes Bewertungsverfahren kann danneindeutig entscheiden, ob es sich im konkreten Fall etwa um "rote" (gefährliche) oderum "grüne" (ungefährliche) Arbeitsplätze oder Produkte handelt.So gesehen, mag dies sehr klar und einfach erscheinen - in der praktischenUmsetzung wirkt ein solcher Ansatz aber nicht selten außerordentlich provokativ.Daher ist das ein ziemlich brodelndes Umfeld, in dem Europäische Grenzwert-Definitionen teilweise schwimmen. MSDs stecken dabei mittendrin.

MehrheitsschutzEin erster Trend bei Europäischen Grenzwerten geht in Richtung Mehrheitsschutz.Das bedeutet, dass eine definierte Mehrheit tatsächlich geschützt sein soll, sofernein ebenfalls definierter Grenzwert nicht überschritten wird. Das Instrumentariumdazu bilden experimentell ermittelte Ursache-Wirkungs-Beziehungen und der sog. Perzentilansatz.

Ursache-Wirkungs-BeziehungenZu den einfacheren Ursache-Wirkungs-Beziehungen gehören beispielsweiseMaximalkraftverteilungen (s. Abb. 1).

Eine solche Verteilung beschreibt den wachsenden Prozentsatz P einer Bevölke-rungsgruppe, die ebenfalls ansteigende Lasten nicht mehr bewegen kann.Beispielsweise kann in Abb. 1 eine Minderheit von 15 % ein Gewicht von 20 kg oder200 N nicht mehr heben - d. h. eine Mehrheit von 85 % kann dies aber noch sehrwohl. Die Last als Ursache kann also Versagen beim Heben bewirken - im Sinne un-serer Ursache-Wirkungs-Relation.Eine andere und etwas komplexere Ursache-Wirkungs-Beziehung geht beispiels-weise der Frage nach, - wie weit eigentlich die Erkrankungswahrscheinlichkeit mit

Bild 1: Maximalkraftverteilung einerbekannten Zielgruppe bei einerdefinierten Tätigkeit.

apl.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Peter Schaefer ist am Lehrstuhlfür Ergonomie der TU MünchenSpezialist für Normungsfragen

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zunehmendem Bewertungsindex anArbeitsplätzen und bei Produkten an-steigt?

Beispielsweise kann man repetitiveArbeiten mit dem sog. OCRA-Indexbewerten und gleichzeitig die MSD-Erkrankungswahrscheinlichkeitenexperimentell feststellen (s. Abb. 2;Colombini, 2000; Occipinti, 1998).

Dabei sollen Erkrankungen definitions-gemäß immer schon dann gegebensein, wenn mindestens ein Elementaus einem Pool möglicher MSDsvorliegt. Die Erkrankungswahrschein-lichkeit selbst bemisst sich dann amProzentsatz der jeweiligen MSD-Patienten (PPA) - PPA: Percentage ofPersons Affected. Realistischerweise ist dabei jedemOCRA-Wert kein fester PPA-Einzelwertzugeordnet, sondern immer eine gan-ze Verteilung möglicher PPA-Werte (s.Abb. 2). Aber so ist halt das Leben -nicht selten einfach ein wenig diffus.

Auf der anderen Seite ist der OCRA-Index selbst ein rein technisches Maß,das sich aus einer ganzen Reihe un-terschiedlicher Arbeitsplatzmerkmalereproduzierbar berechnet.

Der PerzentilansatzDoch nun zur ganz entscheidendenFrage: wie kommt man denn von allden unterschiedlichen Ursache-Wir-kungs-Beziehungen zu wohl definier-ten Grenzwerten?Dieser Schritt lässt sich per Perzentil-ansatz recht elegant erledigen undbaut sich aus zwei kleineren Schritt-chen auf:

Stufe 1: es wird eine bestimmte Ratefestgelegt, bis zu der manbereit ist, Misserfolge zu to-lerieren;

Stufe 2: diese Rate definiert dannihrerseits Grenzwerte übereine Ursache-Wirkungs-Beziehung.

Beispiel 1: Im Falle der Lastgrenzenbesteht der Misserfolg darin, dassLasten eben nicht mehr bewältigt wer-den können - sofern es sich um Kapa-zitätsgrenzen handelt. In der Euro-Norm EN 1005/3 hat man sich miss-erfolgsmäßig auf einen Prozentsatzvon 15 % festgelegt - 15 % der avisier-ten Zielgruppe schaffen die entspre-chenden Grenzlasten also nicht. DerGrenzwert selber ist dann nichts ande-res als das 15. Perzentil der jeweiligenMaximalkraftverteilung - z. B. 200 N inAbb. 1.Nicht zuletzt damit wird der enormepolitische Stellenwert solcher Grenz-wertdefinitionen deutlich: einerseits eröffnet man auf diese

Weise Jobs für eine große

Mehrheit (85%), andererseits schließt man aber

eine scharf umrissenen Minderheit(15%) definitiv von diesen Jobsaus.

Selbstverständlich ist die Bemessungdieser Minderheiten offen - 5%, 10%,15%, 20%, .... .Aber genau dieseEntscheidung ist eben eine wirklicheAufgabe der Politik und keine Frageder Wissenschaft.

Beispiel 2: Im Falle der MSD-Gren-zen verhält es sich im Prinzip ähnlich -nur ein wenig komplexer. Auch hier geht es zunächst um eine 1.politische Entscheidung: welchenKrankenstand (PPAcrit) gedenkt mandenn so eben noch zu akzeptieren?. In prEN 1005/5 und ISO 11228/3 hatman sich an der "roten Grenze" aufPPAcrit = 8,7 % festgelegt. Daraus be-rechnet die Wissenschaft dann eineExzesswahrscheinlichkeit p mit anstei-gendem OCRA-Index. Dies sind dieüberschießenden roten Flächen inAbb. 3 - oberhalb des akzeptiertenKrankenstands (PPAcrit). Damit wirddie Irrtumswahrscheinlichkeit erfasst,mit der dieser kritische Krankenstandletztendlich vielleicht doch überschrit-ten werden kann.An dieser Stelle ist dann eine 2. politi-sche Entscheidung fällig.Dementsprechend hat man sich inprEN 1005/5 und ISO 11228/3 auf eineeinheitliche Irrtumswahrscheinlichkeitvon 10 % festgelegt. Der entsprechen-de Perzentilwert liefert dann im unte-ren Teil von Abb. 3 die "rote" OCRA-Grenze mit OCRAL = 3,39.

Auch in diesem Beispiel gibt es natür-lich politische Aspekte. Mit diesemGrenzwert schützt man zwar einegroße Mehrheit von 100 - 8,7 = 92,3%. Gleichzeitig lässt man aber eineMinderheit von 8,7 % im "Feuer ste-hen" - dies allerdings mit geringer Irr-tumswahrscheinlichkeit (10 %), d. h.mehr als 8,7 % dürften es eigentlichwirklich nicht sein.

Politische ProvokationenSo sind es speziell die politischen As-pekte von Beispiel 1 und Beispiel 2,die gelegentlich ausgesprochen provo-kativ wirken. Insbesondere ist es diegewerkschaftliche Seite, die sich mitdieser Vorgehensweise recht schwertut. Natürlich wehrt sich jeder mitfüh-lende Mensch dagegen, Minderheitenirgendwie "anbrennen" zu lassen - unddiese Minderheiten dann auch nochzahlenmäßig zu benennen.Andererseits steigen die Kosten fürArbeitsschutz und Verbraucherschutzdramatisch an, je kleiner man dieseMinderheiten wählt. Angesichts dieserZwickmühle weist beispielsweise die

Bild 2: Krankenstand (PPA) beiwachsendem OCRA-INDEX

Bild 3: Das Verfahren zur Bestimmungvon OCRA-Grenzwerten

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Kommission Arbeitsschutz undNormungwww.kan.de

LiteraturColombini D., Occhipinti E.,

Delleman N., Fallentin N.,Kilbom A., GriecoA.,"Exposure assessmentof upper limb repetitive mo-vements: a ConsensusDocument." InternationalEncyclopaedia ofErgonomics and HumanFactors, Editor in Chief W.Karwowski. 2000

EN 1005/3, Safety ofmachinery - Part 3:Recommended force limitsfor machinery operation.

ISO 11228/2, Ergonomics -Manual handling - Part 2:Pushing and pulling.

ISO 11228/3, Ergonomics -Manual handling - Part 3:Handling of low loads athigh frequency.

Occhipinti E., 1998, OCRA, aconcise index for theassessment of exposure torepetitive movements ofthe upper limbs,Ergonomics 41, N.9.

prEN 1005/5, Safety ofmachinery - Part 5: Riskassessment for repetitivehandling at high frequency

Bild 4: ZielgruppenorientierteGrenzwerte, zusammengesetztaus "synthetischenVerteilungen"

Geschäftsstelle der diesen An-satz ziemlich empört als "zynisch" zu-rück - schließlich versucht man hier,menschliches Leid gegen Kosten"buchhalterisch" aufzurechnen.Dennoch befürchten wir unsererseits,dass sich solch unangenehme Ent-scheidungen letztendlich nicht vermei-den lassen - denn das berühmte "Null-Risiko" gibt es nun mal leider nicht,auch wenn wir alle das nur ungernwahrhaben wollen. Aber natürlich kannman diese Problematik, zumindestüber eine gewisse Zeit lang, sehr wohlauch zu ignorieren versuchen.

Welche Zielgruppe?Leider lässt die Ergonomie oft auchgerne die Frage offen, auf welche Ziel-gruppen das schöne neue Instrumen-tarium denn nun eigentlich angewen-det werden soll. Immerhin könnenUrsache-Wirkungs-Beziehungen starkwechseln, je nachdem, ob es sichetwa um Frauen oder Männer handelt,oder um jung oder alt. Natürlich wirktsich dies auch auf die Lage der ent-sprechenden Grenzwerte aus.Selbstverständlich ergeben sich beiLastenmanipulationen etwa in Senio-renheimen ganz andere Grenzwerteals beispielsweise für ein olympischesTeam von Gewichthebern.Und genau diesen Zielgruppeneffektmöchte man neuerdings im Europäi-schen und internationalen Bereich sehrgenau beachten. Ziel ist es dabei, dasexakte demographische Profil einergegebenen Zielgruppe möglichst reali-tätsnah mitspielen zu lassen. Deshalbhat man beispielsweise in EN 1005/3unter dem Namen "Synthetische Ver-teilungen" eines unserer "MünchnerVerfahren" übernommen, um genaudiesen Zielgruppeneffekt zu erreichen.Unter dem Aspekt Körperkräfte läuft"unser" Verfahren in etwa so: zunächst einmal startet man mit

der Maximalkraftverteilung einerausgewählten Zielgruppe - dassind junge Frauen zwischen 20und 30 Jahren;

natürlich beziehen sich derenMaximalkräfte auf den jeweilsaktuellen Anwendungsfall;

aus dieser Referenzgruppe ent-wickelt man dann auf synthetischeArt und Weise Maximalkraftvertei-lungen anderer Altersgruppen fürFrauen und Männer;

all diese Verteilungen werdendann gewichtet, je nachdem wiestark jede einzelne Untergruppe inder Zielpopulation anteilsmäßigvertreten ist (s. Abb. 4);

schließlich summiert man all dieseGruppenverteilungen einfach aufund findet damit die gewünschteMaximalkraftverteilung (s. Abb. 4,links) - sozusagen maßgeschnei-dert für die gegebene Zielgruppe;

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K A N

der Grenzwert selber folgt dannals das 15. Perzentil direkt aus dergefundenen Maximalkraftvertei-lung (s. Abb. 4, rechts).

AusblickBislang ist es gelungen, ein ganzesBündel "hausgemachter" Ansätze ausder "Münchner Werkstatt" in der Euro-päischen Ergonomie zu etablieren.Diese erlauben nicht nur eine klareTrennung zwischen Zuständigkeitenvon Politik und Wissenschaft. Darüberhinaus richten diese Ansätze jedesBewertungsverfahren auch sehr genauauf die aktuell gegebene Zielgruppeaus.Eine solch exakte Zielgruppenorientie-rung ist neu im Bereich der Ergonomieund entwickelt deshalb auch einengewissen Expansionsdruck - etwa inRichtung Internationale Ergonomie.Beispielsweise werden die beschriebe-nen Ansätze z. Z. in ISO 11228/2integriert, und zwar auf doppelte Artund Weise: einerseits wird die beschriebene

Zielgruppenorientierung in den"Kraftteil" dieses Standards über-nommen - es geht hier um Schie-ben und Ziehen. Nur hat man hiernoch eins draufgesetzt: das Ver-fahren beachtet nicht nur das ge-gebene Zielgruppenprofil nachAlter und Geschlecht. Es richtetsich zudem auch nach den aktuellgegebenen Körperhöhen-Vertei-lungen - für eher kleine Japanergelten somit andere Grenzwerteals etwa für hochgewachseneAmerikaner.

andererseits hat man das Verfah-ren für den "Wirbelsäulen-Teil"desselben Standards so verän-dert, dass sich damit auch ziel-gruppenorientierte Grenzwerte fürdie Kompressionsfestigkeit derLendenwirbelsäule berechnen las-sen. Dies steht allerdings indirekter Opposition zur aktuellenNIOSH-Grenze in den USA -NIOSH: National Institute forOccupational Safety and Health.Deshalb wäre es nicht erstaunlich,wenn gerade diese Grenzwert-frage in Zukunft noch sehrspannend wird.

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Bild 1: Simulation von Körperhaltungenin Abhängigkeit geometrischerRandbedingungen. (Foto Audi AG)

Bild 2: Die Modellierungspyramide mitden drei zentralen Ebenen derSimulation. Die Basis derPyramide ist gekennzeichnetdadurch, dass die Modellie runghier eine überschaubareKomplexität hat, während mitzunehmender Höhe der Pyra-mide auch die Komplexität derModellierung zunimmt.

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Was bringt die Modellierung des Menschen?

Thomas Seitz

In den letzten zehn Jahren hat sich die Computersimulation des Menschen stark ver-breitet. Die Anwendung reicht dabei von der Ergonomie über Biomechanik undMedizin bis hin zum Einsatz für Unterhaltungszwecke in Film und Fernsehen. Vorallem der hier im Vordergrund stehende Einsatz im Bereich Ergonomie ist im Hinblickauf Verbreitung und Akzeptanz von Bedeutung. So findet sich heute praktisch keinEntwickler von Arbeitsplätzen mehr, der nicht Menschmodelle (wie z.B. Safework,Jack oder RAMSIS) für die ergonomische Auslegung benutzt. Der Einsatz vonMenschmodellen ist vielfältig, wird jedoch von den Anwendungen des Automobilbausdominiert aber auch vorangetrieben. Immer häufiger wird die ergonomischeMenschsimulation für die Gestaltung anderer Arbeitsplätze eingesetzt, wie für Flug-zeuge, Produktionsanlagen oder Operationssäle.

Die Ebenen der MenschmodellierungBei der Simulation des Menschen stellt sich die Frage, was charakteristisch für denMenschen ist. Je nach Anwendungsfall, stehen hier unterschiedliche Aspekte imVordergrund. Während für Film und Fernsehen der realistische visuelle Eindruck des

Menschen hinsichtlich äußerer Form und Bewegung im Vordergrund steht,ist dies im technischen Bereich eher sekundär. Hier stehen vor allem dieReproduzier- und Bewertbarkeit im Vordergrund, was bedeutet, dass z.B.eine Körperform bzw. Anthropometrie eine Aussage darüber zulassenmuss, wie viele Menschen durch die simulierten Maße repräsentiert werdenoder wie viele Menschen eine bestimmte Haltung im PKW einnehmen undob sie diese Haltung als gut oder schlecht bewerten würden (vgl. Abb. 1).

Die in Abbildung 2 gezeigte Modellierungspyramide zeigt die wichtigstenEbenen der Menschmodellierung. Die Basis stellt dabei die GeometrischeModellierung dar. Hierzu zählt die klassische Anthropometrie, in der Längenund Umfangsmaße eruiert und simuliert werden. Über die Anthropometriewird zum einen die äußere Form von Menschen beschrieben und zum an-deren die Beweglichkeit über die Beschreibung des Skeletts. Damit defi-niert die Anthropometrie die charakteristischen Merkmale der Oberflächeund Kinematik eines Menschen.

In der zweiten Ebene werden physikalische Eigenschaften des Menschen modelliert,so dass die Voraussetzung für Wechselwirkungen zwischen dem Menschmodell undder Umwelt gelegt ist. Zu den physikalischen Eigenschaften zählt z.B. die Dichte vonGewebe und Knochen, so dass das Körpergewicht in Abhängigkeit einer Anthropo-metrie ermittelt werden kann. Neben der Dichte ist die Elastizität von Gewebe einwichtiger Parameter, denn hierüber wird zum einen ein realistischer Kontakt zwi-schen Menschmodell und Umwelt gewährleistet, zum anderen können bei (hoch)dynamischen Bewegungen und Schwingungen die sich verändernden Trägheits-tensoren bestimmt werden (vgl. Problem der "Schwabbelmassen").

In der dritten Ebene der Modellierungspyramide steht die Psycho-physische Model-lierung. Darunter sind im weitesten Sinne Verhaltensmodelle zu verstehen, die Reak-tionen des Menschen auf seine Umwelt beschreiben. Hierunter fallen z.B. statischeHaltungsmodelle (wie sie für ergonomische Studien im Fahrzeugbau verwendetwerden). Sie beschreiben, welche Körperhaltung eine Person in Abhängigkeit geo-metrischer Randbedingungen und Kräfte einnimmt. Erweitert wird diese Verhaltens-modellierung durch das Beschreiben von Bewegungsabläufen. Die Wechselbezie-

hung zwischen psychischen (weichen) und physischen (harten) Einflussfaktorenhinsichtlich menschlichen Verhaltens steht dabei in engem Zusammenhang mit

der Größe aufzubringender Kräfte und dem empfundenen Diskomfort.Prinzipiell lässt sich sagen, dass eine Haltung oder Bewegung um so mehr

von harten Einflussfaktoren dominiert wird, je höher die Kraft ist, die von außen aufeine Person wirkt. Je geringer die Kräfte sind, die vom Körper durch die Muskulaturkompensiert werden müssen, umso mehr weiche Faktoren (also psychischeEinflussfaktoren, wie z.B. Diskomfort oder Gewohnheiten) auf eine Haltung oderBewegung kann es geben. Die Verhaltensmodellierung auf der psycho-physischenEbene stellt eine große Herausforderung dar, da sie zum einen messtechnischschwierig zugänglich ist und zum anderen vielfältige Lösungen von Problemenmöglich sind (man denke zum Beispiel an die vielfältigen Möglichkeiten sich aufeinen Stuhl zu setzen).

Geometrische Modellierung

Physikalische Modellierung

Psycho-physische

Modellierung

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Bild 3: Simulation komplexer Ar-beitsplätze - hier ein Opera-tionssaal für minimal-invasiveChirurgie. Die Mensch-modellierung hilft hierbei dievielfältigen Wechselwir-kungen und Auswirkungender Arbeitsplatzgestaltung aufeinzelne Mitarbeiter und dasTeam als ganzes hinsichtlichInformationsaustausch, Kör-perhaltungen, Belastungenund Sicht- und Ablesbarkeitenzu simulieren.

Dr. rer. nat. Thomas Seitz ist amLehrstuhl für Ergonomie der TUMünchen Spezialist für Mensch-modellierung und Anthropometrie

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Trotzdem können heute durch verschiedene Ansätze aussagekräftige Simulationendurchgeführt werden, die es erlauben Arbeitshaltungen zu erzeugen, Kräftezu bestimmen, Belastungen zu simulieren und Diskomfort zu vergleichen.

Einsatz und Anwendung von MenschmodellenDie Gestaltung moderner Arbeitplätze ist oft sehr komplex, so dass dieDimensionierung auf Basis von Tabellenwerten meistens nicht mehrausreichend ist. Ferner werden in der Regel Arbeitsplätze am Computer unterBenutzung von 3-D-CAD-Systemen entwickelt, womit die Integrationdreidimensionaler Menschmodelle eine logische Konsequenz ist.Menschmodelle können von Anfang an bei der Produkt- undArbeitsplatzentwicklung eingesetzt werden. Damit lassen sich sehr früh virtuelldie Rahmenbedingungen einer angestrebten Konstruktion hinsichtlich derErgonomie definieren. Während früher z.B. in der Autoindustrie mittels zweidi-mensionaler Schablonen Fahrzeugkonzepte am Reißbrett entstanden sind,wird dies heute in 3-D durchgeführt. Damit kann ein Konzept wesentlichdetaillierter bei gleichzeitig geringerem Zeitaufwand erstellt werden. Einanderer Effekt des Einsatzes von Menschmodellen ist, dass der Aufbau vonModellen des Arbeitsplatzes zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt derProduktentwicklung erfolgen kann, da durch die Simulation die Auswirkung ei-nes Arbeitsplatzdesign auf eine Population frühzeitig ermittelt wird (man denkebeispielsweise an Sicht- und Erreichbarkeiten). Dadurch werden heute vieleMillionen Euro Entwicklungsgelder jährlich gespart.Wie oben erwähnt, kann die Arbeitsplatzgestaltung ein sehr komplexesProblem sein. Abbildung 3 zeigt einen Operationsarbeitsplatz für minimal-inva-sive Chirurgie. Zur optimalen Gestaltung dieses Operationssaals müssendiverse Randbedingungen erfüllt werden. So muss der Operateur einenkomfortablen Zugang zum Patienten haben, gleichzeitig müssen aber dieAssistenten und OP-Schwestern ebenso guten Zugang zu ihren Arbeitsfeldernam Patienten haben. Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass alleMitarbeiter Zugriff auf wichtige Informationen über den Stand der OP haben(z.B. Sicht auf Monitore) und kein Mitglied des OP-Teams die Sicht eines anderenbehindert. An die Gestaltung des Operationssaals schließt sich nahtlos dieGestaltung der Bedienelemente (Laparoskop, Computer, Lampen, etc.) an.

Durch die heutigen Möglichkeiten der Menschmodellierung können alle dieseProbleme durch Simulation gelöst werden. Beim Beispiel Operationssaal sindhinsichtlich denkbarer Lösungen viele Varianten möglich. Die Realisierung dieserVarianten als Simulation erlaubt einen objektiven Vergleich und Bewertung der Vor-und Nachteile verschiedener Lösungen. Ohne Menschmodellierung könnte hierlediglich durch aufwändigen Modellbau und Versuchen mit Probanden eineArbeitsplatzgestaltung und -bewertung erfolgen.

ZusammenfassungDer heutige Stand der Menschmodellierung erlaubt es, menschliches Verhalten zu si-mulieren, so dass eine Bewertung hinsichtlich der ergonomischen Gestaltung vonArbeitsplätzen erfolgen kann. Durch die Simulation des Menschen wird heute in derProduktentwicklung Zeit und Geld gespart. Dadurch können Ressourcen frei ge-macht werden, die der Kreativität und Vollständigkeit bei der Findung von optimalenArbeitplätzen zu Gute kommen, wodurch sich die Qualität und Perfektion erhöht, mitder Arbeitsplätze und Produkte gestaltet werden .

Der heutige Stand der Forschung erlaubt in allen drei Ebenen der Menschmodellie-rungspyramide valide Simulation von Teilaspekten durchzuführen. Nichtsdestotrotz stehen die Forschungen vor allem in den beiden höchsten Ebenen,der physikalischen und der psycho-physischen Modellierung noch in den Kinder-schuhen. Zukünftige Arbeiten können hier entscheidende Beiträge zum tieferenVerständnis menschlichen Verhaltens und Empfindens leisten, die es vielleicht einesTages erlauben, die Vielfalt menschlicher Ansprüche hinsichtlich einer angenehmenArbeitsumwelt valide simulieren zu können.

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Mit welchen Bewertungsverfahren ist der Sitzkomfort im Auto zuermitteln?

Christian Mergl

Wieso ist ein Sitz nicht wie der andere?Sitzentwickler stehen in der Praxis immer wieder vor dem Problem einen neuentwickelten Sitz bewerten zu müssen. Häufig brauchen Sie eine Antwort auf dieFrage, ob der Sitz genauso gut wie der ausgewählte Referenzsitz ist, oder nicht.Haben die Spezialisten sich eine Meinung gebildet, ist es des Weiterenaußerordentlich schwierig ihre Ergebnisse objektiv zu belegen und so Änderungenbeispielsweise der Sitzmechanik durchzusetzen. Es fehlt hier ein objektivesBewertungsverfahren, das wiederholbar repräsentative Ergebnisse eines Sitzesbezüglich dessen Komfortempfinden liefert.

Die Dimensionen des SitzkomfortsDas so genannte Komfortempfinden eines Menschen auf einem Fahrzeugsitz setztsich aus mehreren Dimensionen zusammen. Zum einen spielt die Druckverteilungzwischen Mensch und Sitz eine wichtige Rolle. Andere Einflussgrößen sind dieDämpfungseigenschaften bei einwirkenden äußeren Schwingungen für den sogenannten "dynamischen Sitzkomfort" oder das "Mikroklima", das durch die Wasser-dampfdurchlässigkeit des Sitzes bestimmt wird. Des Weiteren hat auch die Seiten-führung des Sitzes bei Kurvenfahrten einen entscheidenden Einfluss auf den Ge-samteindruck des Sitzes. Unter all diesen verschiedenen Einflussfaktoren haben wirfür unsere wissenschaftliche Betrachtung den Einfluss der Druckverteilung ausge-wählt. Die Druckverteilung hat in erster Linie Einfluss auf die statische Dimension desSitzkomforts. Dieser "statische Sitzkomfort" kann nun seinerseits wieder in dreizeitliche Anteile zerlegt werden. Der erste Kontakt mit dem Sitz, auch Ansitzkomfortgenannt, beschreibt die Empfindung während des Hinsetzens. Dieser Ansitzkomfortspielt sich also in der ersten Minute des Kontaktes zwischen Mensch und Sitz ab.Danach folgt der Kurzzeitkomfort, dessen zeitlicher Rahmen sich von ca. der erstenMinute bis zur 30. Minute erstreckt. Alles über dreißig Minuten kann dem Langzeit-komfort zugeordnet werden. Im Rahmen dieser Forschung liegt der Fokus auf demKurzzeitkomfort, der nach derzeitigen Forschungsergebnissen maßgeblich aus derDruckverteilung resultiert.

Was ist unter "Komfort" zu verstehen?Als nächstes stellt sich die Frage, was unter Komfort überhaupt zu verstehen ist undwie man ihn erfassen oder messen kann. Hierfür wird zunächst eine Definition desBegriffes Komfort benötigt. Hertzberg versuchte 1958 Komfort als Abwesenheit vonDiskomfort zu erklären. Jedoch zeigten Zhang und Helander, dass Komfort und Dis-komfort nicht die Extrema einer kontinuierlichen Skala darstellen, sondern unab-hängig voneinander sind. In einer Clusteranalyse zeigten sie, dass Komfort mit denBegriffen des "Gefallens" zusammenhängt, während Diskomfort das "Erleiden"beschreibt. Nach dem Modell von Zhang und Helander stehen die Achsen von Kom-fort und Diskomfort senkrecht zueinander. Dies hat zur Folge, dass durchaus zurgleichen Zeit Komfort und Diskomfort empfunden werden kann und eben dies ent-spricht den Erfahrungen aus dem wirklichen Leben. Ein Beispiel für das gleichzeitigeAuftreten dieser Empfindungen ist die Fahrt mit einem reinrassigen Sportwagen, vondem man schon lange geträumt hat. Während der Fahrt ist zweifellos der Gefallens-aspekt sehr hoch, da es sich toll anfühlt einen solchen Wagen zu fahren.Andererseits sind objektiv hohe Diskomforteinflüsse vorhanden. Dies sind zumBeispiel die Schwingungen durch das hart gefederte Sportfahrwerk.Für eine objektive Erfassung ist nun nur der Diskomfort zugänglich, da sich nur derDiskomfort mit objektiv messbaren Größen, wie der Druckverteilung zwischenMensch und Sitz oder den Schwingungen in Verbindung bringen lässt.

Bewertungsverfahren für den statischen Sitz-DiskomfortAls Bewertungsverfahren für den statischen Sitzdiskomfort wird ein Modell benötigt,

Dipl.-Ing. Christian Mergl ist amLehrstuhl für Ergonomie Spezialistfür Untersuchungen zu Komfortund Diskomfort

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das einen Zusammenhang zwischen der objektiv messbaren Druckverteilung unddem Diskomfort herstellt. Dieses Modell kann dann im nächsten Schritt genutztwerden um die Druckverteilung eines Hardwaresitzdummys zu interpretieren. Mitdem Hardwaredummy kann auf Fahrzeugsitzen im Package eine repräsentativeDruckverteilung gemessen werden. Mit Hilfe des Modells für den Sitzdiskomfort istsomit eine Aussage über den Diskomfort auf diesem Sitz möglich.

Das Modell:Das Modell für den untersuchten Kurzzeitkomfort wurde anhand von 20 Versuchs-personen und sechs verschiedenen Sitzmodifikationen ermittelt. Zum derzeitigenStand existiert ein offenes Modell für die Sitzfläche. Dieses Modell besagt, dass diegesamte Form der Druckverteilung wichtig ist, nicht einzelne Parameter, wie dermaximale Druck. Die Form lässt sich über mehrere Kenngrößen beschreiben:

Dies ist zum einen die Verteilung der Last innerhalb der Sitzfläche. So sollennach dem Modell ca. 57% der Last innerhalb der Sitzfläche durch dieSitzbeinhöcker aufgenommen werden. Ist es mehr oder weniger Last steigt derDiskomfort.

Der Gradient innerhalb der Druckverteilung sollte möglichst gering sein. Der maximale Druck sollte einen Grenzwert von ca. 1,5 N/cm2 nicht

überschreiten.Ein weiteres Modell für die Sitz- und Lehnenfläche wurde von Hartung (LfE)entwickelt, das in Kürze veröffentlicht wird.

Der Hardwaredummy:Der Dummy entspricht der Anthropometrie eines Mannes des 50. Perzentils. DesWeiteren werden alle Eigenschaften des Menschen bezüglich des statischen Sitzensso naturgetreu wie möglich abgebildet. Das Skelett besteht aus Aluminium, dieMuskelpakete der Beine werden durch Wassertaschen repräsentiert, das Bindege-webe und die Haut werden mit Hilfe von Silikon modelliert. Darüber hinaus verfügtder Dummy über eine eingebaute Sensorik, mittels derer die Druckverteilung in derKontaktfläche zum Sitz gemessen werden kann. Dies sind zum einen 175 Folien-sensoren und fünf hochauflösende Druck-Scherkraftsensoren an exponierten Kno-chenstellen, wie den Sitzbeinhöckern. Darüber hinaus verfügt er noch über achtSpitzendrucksensoren, die den Druck entlang der Wirbelsäule aufnehmen. ErsteTests haben gezeigt, dass der Dummy in der Lage ist ähnliche Sitze anhand derDruckverteilung besser zu unterscheiden, als der lebende Mensch als "Prüfkörper".

Anwendungsbereiche und AusblickDie Anwendung des Dummys in Kombination mit dem Modell zur Prognose desSitzdiskomforts aus der Druckverteilung ist beispielsweise in der Sitzentwicklung fürAutomobile denkbar. Hier kann ein Sitzprototyp schnell und wiederholbar mit einemReferenzsitz verglichen und so die Sitzentwicklung verbessert und beschleunigt wer-den. Außerdem könnten die Ergebnisse eines solchen objektiven Bewertungsver-fahrens als Argumentationsunterstützung für Änderungen beispielsweise am Sitz-gestell dienen. Weitere Anwendungsbereiche sind z.B. Passagiersitze im Flugzeug,im Bus oder in der Bahn. Ein mögliches Anwendungsfeld ist auch die Gestaltung vondruckentlastenden Kissen für Rollstuhlfahrer.Derzeit ist mit Hilfe des Modells nur eine Vorhersage bezüglich des kurzzeitigen, sta-tischen Sitzdiskomfort möglich. Momentan wird an einem Modell zur Prognose desLangzeitdiskomforts gearbeitet, mit Hilfe dessen aus der Druckverteilung im Sitz aufden zu erwartenden Diskomfort nach mehreren Stunden geschlossen werden kann.

Abb. links:VersuchsaufbauHardwaredummy

Abb. rechts:„Hardware-Körper-schale“ mit Sensoren

Abbildung einer Druckverteilung

Dynamischer Sitzkomfort:Hierunter ist der subjektive Eindruckwährend des Sitzens zu verstehen, dersich hauptsächlich durch Schwingungender Fahrzeugkarosserie und damit desSitzes ergibt. Hierzu zählen Schwingun-gen, die durch das Überfahren vonHindernissen zustande kommen oderdurch die Schwingungen des Motors.

Statischer Sitzkomfort:Im Gegensatz zum dynamischen ist derstatische Sitzkomfort alleine durch densubjektiven Eindruck, der sich durchden Sitz ergibt, gekennzeichnet. Hierbeiwerden alle Schwingungen vermieden.

Mikroklima:Klimatische Bedingungen (Temperatur,Feuchtigkeit), die zwischen menschli-chem Körper und Kleidung und z.B. indiesem Anwendungsfall Sitz bestehen.

Package:in diesem Zusammenhang versteht mandie geometrische Anordnung vonSitzen, Pedalen und Lenkrad im Auto.

Gradient [der; lateinisch] Gefälle: die Abnahme einer physikalisch-mathe-matischen Größe (Vektor) pro Längen-einheit.

Anthropometrie:ist die Lehre von der Vermessung desmenschlichen Körpers in anthropolo-gischen Klassifizierungen und Ver-gleichen. In diesem Zusammenhangversteht man den Körperbau desMenschen unter diesem Begriff.

Perzentil:Wenn bei der Beinlänge von Männerndas 5. Perzentil 964 mm beträgt, dannheißt das, dass 5% aller Männer Beinehaben, die kürzer als 964 mm sind.

Clusteranalyse:Statistisches Verfahren, durch dasgroße Elementmengen durch Bildunghomogener Klassen u. Gruppen sinnvollstrukturiert werden sollen.

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Prüfung und Bewertung im Gestaltungsprozess leicht gemacht durch EKIDES

Iwona Jastrzebska-Fraczek

Ergonomics Knowledge and Intelligent Design System (EKIDES) ist sowohl einDesign Tool, das die aktuellen ergonomischen Erkenntnisse über die Gestaltungtechnischer Systeme in Form einer elektronischen Datenbank bereitstellt als auch einBewertungstool für technische Systeme, Produkte und Arbeitsplätze.

EKIDES ist ein Programm für deutsch- oder englischsprachige Konstrukteure,Arbeitsgestalter, Sicherheitsingenieure und Arbeitsmediziner zur Unterstützung beider täglichen Arbeit. Die Durchführung von Bewertungen mit unterschiedlichem Zeitaufwand und Detail-lierungsgrad ermöglicht dem Benutzer eine flexible Betrachtung des analysiertenProdukts oder des Arbeitsplatzes.

Die Vorteile der Benutzung von EKIDES im Gestaltungsprozess sind:

Schneller Zugang zur kurz und prägnant dargestellten ergonomischenGestaltungsinformationenAktuelle Informationen über FachliteraturSchnelle Übersicht über den ergonomischen Zustand der Produkte undArbeitsplätze dank Einsatz von ChecklistenSensibilisierung der Mitarbeiter für Arbeitssicherheit und Ergonomie im Betrieb. Datenbank gesicherte Informationen für Mitarbeiter-Schulungen.Zeitersparnis durch frühzeitige Optimierungsmöglichkeiten

Die Darstellung von ergonomischen Erkenntnissen in einer Datenbank mit mehrerenÜberprüfungsmethoden, Checklisten, Animationen und kleinen Experimenten spartZeit bei der Optimierung technischer Systeme. Die Ergebnisse dieser Bewertungenund Analysen können ergänzt und gespeichert werden oder zur Diskussion undSchulung im Gestaltungsprozess benutzt werden.In nächster Zukunft wird in EKIDES eine neue Checkliste im Bereich Software imple-mentiert, die in enger Verbindung mit der neusten VDMA - Richtlinie "LeitfadenSoftwareergonomie, Gestaltung von Bedienoberflächen" stehen wird.

Der Gestaltungsprozess, bestehend aus 6 Phasen (siehe Abbildung 1) wird durchEKIDES in den drei zentralen Phasen unterstützt:

in der Gestaltung (durch die Bereitstellung ergonomisches Wissen, ergonomi-sche Anforderungen sind kurz und prägnat formuliert und in Datenblättern darge-stellt)

in der Visualisierung (durch positive und negative Beispiele, vor allem ausge-arbeitet am Beispiel von der Softwaregestaltung)

in der Evaluation (durch drei unterschiedliche Methoden der rechnergestützterergonomischen Prüfung)

Je besser die Gestaltung durch die Beachtung ergonomischer Anforderungen unddurch die Unterstützung des Ingenieurs oder Systementwicklers mit Visualisierungenund veranschaulichenden Experimenten vorbereitet ist, desto besser wird das gestal-tete Produkt oder der Arbeitsplatz bewertet. Das Ziel im Gestaltungsprozess ist, dassdie Phasen 3-4-5 möglichst wenig wiederholt werden müssen. Dadurch könnenKosten reduziert und viel Zeit gespart werden. Außerdem sind ergonomische Gestal-tungsmaßnahmen in frühen Gestatungsprozessphasen am effizientesten.

Unterstützung in der Gestaltung und Visualisierung durch EKIDES

Ekides (Ergonomics Knowledge and Intelligent Design System) ist einDatenbanksystem mit rechnergestütztem Prüfverfahren. Die Software enthält ergono-mische Anforderungen für die Gestaltung, verschiedene Methoden der Arbeitsplatz-analyse und Bewertung, Literaturrecherche und Definitionssammlung grundlegenderarbeitswissenschaftlicher Begriffe.Die ergonomischen Daten von EKIDES sind anwendungsspezifisch strukturiert. Inder Abb. 3 ist ein Strukturbeispiel der technischen Komponenten dargestellt.

Bild 1: Phasen des Gestaltungsprozesses

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Aus der Übersicht im Bereich "Prüf- und Wartungsmittel" kann ein Datenblatt "Anschlussteile, Gestaltung" aufgerufen werden.

Die Datenblätter beinhalten die ergonomischen Sollvorgaben mit einerBedeutsamkeitscodierung für Gesundheit, Sicherheit, Leistung, Funktionsfähigkeitund Komfort und Angabe der Quelle. Die ergonomischen Anforderungen sind kurzund prägnant formuliert. Dadurch ist gewährleistet, dass der Benutzer schnellInformationen bekommt, was wiederum Zeit im Gestaltungsprozess einspart.Möchte der Benutzer wissen, welche ergonomischen Aspekte in der Gestaltung vonMontage-, oder Büroarbeitsplätzen zu beachten sind, kann er schon aus der Ansichtder wichtigen Bereiche, bezogen auf das zu gestaltender Objekt, die Informationenentnehmen (siehe Abbildung 4). Das "Datenblatt" oder die "Checkliste" stellt einewertvolle Hilfe bei der Gestaltung dar, weil Sie anhand der dort aufgeführten ergono-misch relevanten Angaben nichts Wesentliches vergessen können.

Die Visualisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, besonders in der Softwaregestal-tung, spielt bei der Entwicklung neuer Technologien eine immer größere Rolle. Diebekannten Gestaltungsprinzipien, wie Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschrei-bungsfähigkeit, Steuerbarkeit (Navigation) , Erwartungskonformität, Fehlerrobustheit,Individualisierbarkeit und Lernförderlichkeit nutzen dem Softwareprogrammiererwenig, wenn sowohl die Definitionen dieser Begriffe als auch die Ausarbeitungen invielen Publikationen zu diesem Thema entweder sehr allgemein oder nur spezifischauf einzelne Untersuchungen bezogen sind.Integriert im neuen EKIDES-Modul Softwaregestaltung sind Beispiele für die Visuali-sierung und die Simulation dargestellt und ergänzt mit kleinen Experimenten ausdem Bereich der Dialog- und Web-Gestaltung.

Beispiele für Softwaregestaltung sind in 11 Gruppen zusammengefasst. Sie berück-sichtigen sowohl die 7 Gestaltungsprinzipien nach ISO 9241 Teil 10 (Aufgabenan-gemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Steuerbarkeit , Erwartungskonformität,Fehlerrobustheit, Individualisierbarkeit und Lernförderlichkeit) als auch systemergo-nomische Gestaltungsprinzipien (Bubb 1993) wie Rückmeldung und Kompatibilität.Die ergonomischen Anforderungen sind durch positive und negative Beispielekonkretisiert.

Unterstützung in der Evaluation durch EKIDESRechnergestützte Prüfverfahren

Das ergonomische Prüfverfahren bietet dem Benutzer eine beliebige Zusammen-stellung der ergonomischen Anforderungen, die für eine konkrete Prüfaufgabenotwendig ist.

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Bild 2 links: EKIDES Hauptmenü

Bild 3 rechts:Strukturbeispiel der technischenKomponenten

Bild 1: Datensammlung aus dem BereichMontagearbeitsplätze und aus demBereich Software-Gestaltung

Dr.-Ing. (pl) I. Jastrzebska-Fraczek ist am Lehrstuhl für Ergonomie Spezia-listin für ergonomische Prüfverfahrenund Untersuchung der menschlichenZuverlässigkeit

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Der Einsatz der rechnergestützten ergonomischen Prüfverfahren (Abbildung 5)erfolgt in drei Stufen:

1. Vorbereitung des Protokoll-/Berichtsvordruckes (Auswahl der für einekonkrete Prüfaufgabe zutreffenden Prüfpositionen aus der Datenbank)

2. Durchführung der ergonomischen Prüfung mit festgelegten Methoden vorOrt (Eintragung der Ist-Feststellungen in den im Rechner gespeichertenVordruck)

3. Erstellung des Prüfberichts (Zusammenstellung nicht erfüllter Prüfpositionenin Form einer Liste, Grafische Darstellung nicht erfüllter Prüfpositionenhinsichtlich ihrer Bedeutung und Bewertungsstufe)

Nachdem die Prüfung abgeschlossen ist, kann ein Bewertungsprofil angesehenwerden (Abbildung 6). Aus diesem Profil ist zu entnehmen, wie viel Prüfpositionen fürdie ergonomische Prüfung ausgewählt wurden, welche Bedeutung diese Prüfposi-tionen haben und welche davon nicht erfüllt sind.Die Anwendung von EKIDES in mehreren Industriezweigen hat gezeigt, dass durchgezielte Bewertungen von Arbeitsplätzen und Produkten eine Verbesserung ausergonomischer Sicht erzielt wurde.

Diese Evaluierungsmethodeist detailliert und dient demZiel, dem Ingenieur oder demSystementwickler Daten zuliefern, die den gesichertenergonomisch-arbeitswissen-schaftlichen Erkenntnissenentsprechen. Die Überprü-fung des Soll- Wertes mitdem Ist-Wert nimmtmanchmal sehr viel Zeit inAnspruch. Auch ein Inventarmit modernen Messein-richtungen muss zur Verfü-gung stehen.

Die gestalterischen Defizite werden aber präziser entdeckt und können schnellerbeseitigt werden.

2.2 Checklisten für Produktanalysen und Arbeitsplätze

Die Checklisten stellen ein Hilfsmittel für eine eher globale und qualitative Überprü-fung der benutzergerechten Auslegung von definierten Arbeitsplätzen (Büro-/Bild-schirmarbeitsplatz, Prozesssteuerungs-, Überwachungs-, Werkstoffbearbeitungs-,Montage- und Bauarbeitsplatz) und Produkten dar (siehe Abbildung 7). Diese Ana-lyse dient der Aufdeckung von Schwachpunkten bei Produkten. Für jedes Produktoder Arbeitsplätzen sind eine Anzahl von Analysebereichen vorgesehen.

Abbildung 5 Struktur des Ergonomischen Prüf-verfahrens

Abbildung 6 Grafische Darstellung - AktuellesAnalyseergebnis

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Das Analyseergebnis steht in Textform und als Grafik zur Verfügung und kannausgedruckt werden. Für jedes einzelne Problem ist festgelegt, ob dieses für dasKriterium Gesundheit, Sicherheit, Leistung, Komfort oder Funktionsfähigkeit /technische Zuverlässigkeit bzw. Recht bedeutsam ist.

Eine Auflistung aller Checkpositionen, sortiert nach Bereichen oder Kriterien(Gesundheit, Sicherheit, Leistung, technische Zuverlässigkeit oder Komfort) lassensich anschauen, ausdrucken oder nur eine Mängelliste einsehen.Diese Evaluierungsmethode ist einfacher, sie deckt Probleme auf und benötigt einenmittleren Zeitaufwand

2.3 Usabilitymessung - Messmethode der Benutzerakzeptanz imSoftwaremodul

Das Softwaremodul in EKIDES enthält eine neue subjektive schnelle Usability-Bewertungmethode (siehe Abbildung 9). Die Methode eignet sich besonders für dieUntersuchungen in Usability Labors. Die Kriterien der Bewertung wurden auf sechsreduziert, wobei die Definitionen der Funktionalität und Effizienz, Rückmeldung,Navigation, Erlernbarkeit, Fehlermeldung und Visueller Gestaltung nach demAnklicken der Bereichsbezeichnung in einem kleinen Fenster erscheinen (sieheAbbildung 9)Zusätzlich stehen dem Benutzer Hilfe-Fragen zur Verfügung, die das Urteil über dieergonomische Qualität erleichtern. Als zusätzliche Unterstützung der subjektivenBewertung dienen zahlreiche positive und negative Beispiele, die angeschaut wer-den können, wenn der Benutzer die "Smilies" anklickt.

Sicherlich ähnelt diese Art von Akzeptanz-Messung der von zahlreichen Checklistenund ähnlichen Spinnennetz-Methoden ([2], [5], [6]); in diesem Fall werden aber dieErgebnisse in einer Datenbank gespeichert und können auf Dauer eine sehr wichtigeRolle spielen, wenn die Kommentarsammlung von vielen Benutzer beachtet wird.

Abbildung 7 Checklisten für Produkte

Abbildung 8 Struktur der Evaluierung mittels einer Checkliste

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Die subjektive Bewertung kann sofort nach dem Start beginnen. Die Benutzer verge-ben der bewerteten Software in jeder Kategorie (in jedem Bereich) die Punkte (0 -sehr schlecht bis 10 - seht gut) durch Schieben der Zeiger im jeweiligen Slider. DieNoten von 0 bis 10 werden in den im Fenster erscheinenden Koeffizienten in 0 bis1,0 umgerechnet. Die Veränderung der Grafik ist durch die Mausbewegung gewähr-leistet. In dieser Weise wird dem Softwareentwickler sofort rückgemeldet in welchemBereich die Software zu verbessern ist. Die jeweilige subjektive Bewertung des An-wenders ist mit der Farbe grün dargestellt und kann in der Datenbank gespeichertwerden. Kommentare zu jedem Bereich können auch geschrieben werden. Die blaueDarstellung kennzeichnet Mittelwerte der Bewertung, durch bisherige andere Be-nutzer. In der Abbildung 9 ist es sichtbar, dass dieser Betrachter die Software inBereich Rückmeldung, Navigation und Fehlermeldung überbewertet hat. Die Mittel-werte für diese Software sind kleiner als die subjektive Bewertung durch denBenutzer. Nur im Bereich der Funktionalität und Effizienz, Erlernbarkeit und VisuelleGestaltung ist der Anwender der Meinung, dass die Software schlechter als derDurchschnitt (Anzahl der Bewertungen n=12) zu bewerten ist. Diese Methode kann auch dem einzelnen Software-Betrachter Auskunft darübergeben, ob andere Benutzer, bezogen auf einzelnen Bereiche (wie Visuelle Gestal-tung oder Navigation) im Durchschnitt der gleichen Meinung sind.Die Evaluierungsmethode dient der summarischen Bewertung durch Experten oderBenutzer. Der Zeitaufwand ist gering

3 AusblickIn der nächsten Zukunft wird in EKIDES eine neue Checkliste im Bereich Softwareimplementiert, die in enger Verbindung mit der neusten VDMA - Richtlinie "LeitfadenSoftwareergonomie, Gestaltung von Bedienoberflächen" stehen wird.Das System wird u.a. auch durch den breiten Benutzerkreis ständig weiter entwickeltund ergänzt.

4 LiteraturBubb, H. (1993): Systemergonomische Gestaltung; In: Schmidtke, H. (Hrsg.), Ergonomie, C. Hanser Verlag,

München, 3. Auflage Bubb, H. Jastrzebska-Fraczek I. (2003) Software Evaluation by the ergonomic assessment tool EKIDES. In

Proceedings of 10 th International Conference HCI, Volume 3, Human-Centred Interaction: Cognitive, Socialand Ergonomic Aspects. 1218-1222, LEA, Mahwah, New Jersey, London

Harker S, Tilley J (2003) Developing for the subjektive evaluation of the usability of interactive consumer products. InProceedings of IEA Seoul proceeding

Jastrzebska-Fraczek I, Bubb H (2003) Ergonomic Analysis of WEB Page with SEA - Tool. In Proceedings Quality ofWork and Products in Enterprises of the Future, Munich, Germany 989-992, Verlag Ergonomia, Stuttgart

Jastrzebska-Fraczek I., Bubb, H. (2003): Software Design and Evaluation by Ergonomics Knowledge and IntelligentDesign System (EKIDES) In PsychNology Journal, Volume 1, Number 4, 378-390

Lin X.X. Choong Y.Y. Salvendy G (1997) A Proposal Index of Usability: A Mathod for Comparing the Relative Usabilityof Different Software Systems Behavior & Information Technology 16 4/5, 267-278

Nielsen J (1993) Usability Engineering Academic Press Chapter,115Jeffries R, Turner AA, Polson PG, Atwood ME (1981) The processes involved in designing software. In: Anderson JR

(ed.) Cognitive skills and their acquisition. Erlbaum, Hillsdale, NJ, 255-283Schmidtke, H., Jastrzebska-Fraczek, I. (2000) The ergonomic database system (EDS) - an example of computer-

aided production of ergonomic data for the design of technical systems. In: Landau, K. (Ed.) Ergonomic SoftwareTools in Product and Workplace Design. Verlag ERGON, Stuttgart

VDMA Richtlinie Leitfaden Softwareergonomie, Gestaltung von Bedienoberflächen. VDMA, Fachverband Software2004

VDMA Methoden & Verfahren, Teil 1 + Teil 2, 2001

Abbildung 9 Usability screening als Bewertungs-system zur Nutzerakzeptanz

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Kommunikation als Bewertung von Ergonomie-- Wissenschaft verständlich?

Stephan Hummel

Was hat Kommunikation mitErgonomie zu tun?Diese Frage lässt sich auf den erstenBlick nicht leicht beantworten, wennman sich oder andere fragt, was unterdem Begriff Ergonomie verstandenwird. Manchmal bereitet es selbstErgonomen Probleme, diesen Fach-bereich in eindeutigen und kurzenMerkmalen verständlich und erschöp-fend zu beschreiben. Als ich Freunden die Frage nach ihremVerständnis von Ergonomie stelltebekam ich Antworten wie: "Ihr machtDinge besser … , oder so.", "Das istdoch heute überall drin!", oder "… mein DVD-Spieler hat davon nichtsabbekommen." Ehrlich gesagt wusste ich auch nichtrecht viel mehr, als ich vor kurzem vonder kognitiven Neuropsychologie in dieErgonomie wechselte. Ergonomie istanscheinend überall, erwünscht, not-wendig und offensichtlich schwer greif-bar. Das liegt vor allem auch an derTatsache, dass sich Ergonomie in ei-nem sehr breiten Feld bewegt. Wie der Name schon sagt, befasst sichErgonomie mit Regeln oder Gesetzen(von griechisch "nomos") die menschli-che Arbeit (von griechisch "ergon") be-treffend. Ob es sich nun um die Bediensicher-heit von Steuerpulten in Kernkraftwer-ken, Videorecordern oder den Sitzkom-fort im Auto handelt.

Ergonomie erscheint immer und überall!

Man mag sich nun fragen, worin sichder Kommunikationsbedarf, oder auchder Kommunikationsprofit für die Ergo-nomie begründet. Braucht sie den In-formationsaustausch außerhalb derFachwelt? Diese Frage muss manganz klar mit ja beantworten. Sie"funktioniert" scheinbar einfach im Hin-tergrund, ohne ins Bewusstsein derEndverbraucher gelangen zu müssen.Der Austausch von Information ist fürdie Ergonomie aber in zweierleiHinsicht elementar. Als ersten Punktmöchte ich hier den Publikationsaspektnennen, der zweiten Punkt beziehtsich auf den Evaluationsaspekt.

Wissenschaft lebt davon, sich mitzutei-len. Erkenntnisse, die nicht publiziertwerden, sind für alle Beteiligten wert-los. Es gibt keine Wissenschaft um derWissenschaft willen. Auf diesen Um-stand bezieht sich der Publikations-

aspekt. Obwohl sich diese Art derKommunikation heute üblicherweisefast ausschließlich auf sehr abstraktemNiveau auf Kongressen und in Fach-zeitschriften abspielt, ist sie auch indieser Form unbedingt nötig, um Ergo-nomie letztendlich praktisch durch diejeweiligen Entscheidungsträger in dieNeuproduktplanung einfließen zulassen. Dass Publikation aber auch bedeutet,mit der nicht-wissenschaftlichen Öffent-lichkeit in Kontakt zu treten, wird spä-ter noch angesprochen.Der Evaluationsaspekt bezieht sich aufden Bereich der Forschung. Die Ergonomie bezieht ihr Wissen überdie Praktikabilität und Effektivität vonArbeitsmitteln aus einer schier uner-schöpflichen Quelle, dem Menschen.Von der Kommunikation zwischenForscher und Anwender hängt in ent-scheidender Weise die Qualität derentstehenden Richtlinien und Gestal-tungsprinzipien ab. Kommunikation be-zieht sich in diesem Fall nicht nur aufdas Gespräch, sondern umfasst auch,unter den Gesichtspunkten der Objek-tivität, Reliabilität und Validität, dieVersuchsplanung, das Fragebogen-und Interviewdesign, oder andereRückmeldesysteme wie das WorldWide Web. Sowohl bei der Wissensgenerierung,als auch in der Fachwelt ist Kommuni-kation zwischen den Beteiligten ele-mentar und wird auch praktiziert.Warum ist aber in der Öffentlichkeit sowenig über Ergonomie bekannt. Hieröffnet sich nun ein spannendes Pro-blemfeld der wissenschaftlichen Ergo-nomie und es schließt sich der Kreiszu den Eingangsworten dieses Arti-kels. Wissen muss nicht nur geschaf-fen, sondern auch einer breiten Öffent-lichkeit vermittelt werden.Wissensvermittlung darf sich nicht nurauf die Universität beschränken.Ziel muss es sein, die Kommunikationzwischen Ergonomie und dem Anwen-der zu fördern und so einfach undtransparent wie möglich zu gestalten.Dies hat mehrere Gründe. Eine wissenschaftliche Disziplin kannes sich nicht leisten, auf Daten, egalwelcher Art, zu verzichten. Der Nutzerist der beste Rückkoppelungs- undEvaluationsmechanismus für ange-wandte Ergonomie. Eine für denNutzer ergonomisch gestaltete Umge-bung muss auch von ihm positiv odernegativ bewertet werden können. Fürdie Mitarbeit der Nutzer liegt jedoch ei-ne Holschuld der Wissenschaft vor, diediese Art der Kommunikation ermög-lichen sollte. In gleicher Weise besteht auch eineBringschuld der Wissenschaft gegen-über der Öffentlichkeit, was Grund-lagen- und angewandte Forschungen

Nicht immer ist auch Ergonomie vor-handen, wo “ergonomisch“ draufsteht.

Dipl.-Psych. Stephan Hummel ist am Lehrstuhl für Ergonomie und ander neugegründeten Ingolstädter TU-Dependance INI.TUM tätig

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an Erkenntnissen erbracht haben. Diesmuss in einer didaktisch gut gewähltenForm geschehen, sodass auch kom-plexere Zusammenhänge leicht ver-ständlich werden. Das sorgt für Trans-parenz, Wissen, Akzeptanz und letzt-lich für Kompetenz.

Als Beispiel einer solchen Kommuni-kationsmöglichkeit könnte man sichbeispielsweise ein Webportal, odereinen Teil einer Webseite vorstellen, indem der Nutzer direkt seine Meinungüber den Aufbau oder die Bedien-freundlichkeit dieser Seite und seinemInhalt abgeben kann. Wichtig ist, dieBewertung darf nicht zeitintensiv sein.Wenige multiple-choice Fragen sindvöllig ausreichend. Viele Bewertungs-formen dauern zu lange und schürendie Erwartung der Langeweile undAnstrengung. Dies schreckt Nutzer da-von ab, sein Feedback zu geben. Auchvorstellbar sind Maßnahmen, die denNutzer beim Besuch von fachspezifi-schen Seiten den Umgang mit wissen-schaftlichen Begrifflichkeiten erleich-tern, wie beispielsweise die Einblen-dung eines Glossars als Scrollbar amSeitenrand. Ergonomie ist in unserer technisiertenWelt allgegenwärtig und für jedenwichtig, sei es nun bei der Entwicklungeiner industriellen CNC-Fräse oder derBedienung eines Videorekorders imheimischen Wohnzimmer.Ergonomische Erkenntnisse dürfen da-her nicht im viel beschworenen "Elfen-beinturm der Forschung" für Fachleuteverborgen bleiben. Vielmehr soll durch transparente undadressatengerechte Kommunikationdieser Forschungsergebnisse jeder un-mittelbar die Vorteile und den Nutzenerkennen können, die ihm durch ange-wandte Ergonomie zuteil werden. Aufdiese Weise entsteht ein "ergonomi-sches Bewusstsein" in der Öffentlich-keit, das die Unabdingbarkeit der An-passung unserer technischen Umweltan die Erfordernisse und Bedürfnissedes Menschen beinhaltet - kurzumeine Öffentlichkeit, der die fundamen-tale Bedeutung der Ergonomie be-wusst ist.Also: Ergonomie, quo vadis???

Die Qualität der Lehrerbildungkommt nicht von alleine

Evaluation der Lehrer-Fort- und -Weiter-bildung in der Fakultät für Maschinen-wesen an der TU-München

Herbert Rausch

An der Technischen Universität Mün-chen werden seit 40 Jahren Lehrer-innen und Lehrer ausgebildet.Besonders in den technisch - orientier-ten beruflichen Fachrichtungen Metall-technik, Elektrotechnik und Bauwesenhat sich die enge Verbindung vonLehre und Forschung bewährt, da dietechnische Entwicklung sich sehrschnell auf berufliche Qualifikationenauswirkt und die Dozenten durch ihreForschungstätigkeiten die angehendenLehrerinnen und Lehrer mit aktuellenInformationen versorgen können. DerBedarf einer qualitativ hochwertigenLehrerfort- und -weiterbildung beginntbereits wenige Jahre nach dem Staats-examen. Die Fakultät für Maschinen-wesen an der Technischen UniversitätMünchen bietet entsprechende Veran-staltungen an. Sowohl die Mitarbeiterals auch die Ausstattung garantierenbeste Voraussetzungen für effektiveFortbildungsmaßnahmen.

Allerdings zeigt nicht zuletzt die Pisa-studie, dass fachliche Kompetenz undtechnische Ausstattung alleine nichtausreicht, um hohe Bildungsstandardszu erfüllen. In der Lehre und damitauch in der Lehrerfortbildung regeltsich Qualität nicht von alleine auf einakzeptables Niveau.

Die Fakultät für Maschinenwesen setztdaher auf zwei Maßnahmen, um dieQualität der Lehrerfortbildung dauer-haft zu gewährleisten:- Zum einen soll eine umfassende

wissenschaftliche Evaluation anhandanerkannter Kriterien und MaßstäbeLehrenden und Lernenden die Qua-lität einzelner Lehrveranstaltungenaufzeigen.

- Zum anderen konkurrieren modulareLerneinheiten von unterschiedlichenAnbietern, z. B. von Lehrstühlen,aber auch von externen Organisa-tionen.

Auf diese Weise kann ein Markt ent-stehen, der über das Zusammenspielvon Angebot und Nachfrage die Qua-lität nachhaltig beeinflusst. Dies betrifftsowohl die angebotenen Inhalte, danur bedarfsgerechte Inhalte nachge-fragt werden, als auch die Methoden.Fortbildungswillige Lehrkräfte undVerantwortliche der Schulverwaltungenerhalten über die Evaluierung und über

Multiplechoice-Verfahren[englisch, "mehrfache Auswahl"]Testverfahren, bei dem dieVersuchsperson aus mehreren vorgege-benen Antworten die richtige auswählensoll.

Wahrig Deutsches Wörterbuch

Quo vadis? = Wohin gehst du?Titel eines berühmten Romans vonSienkiewicz (1896) [lat., eigentlich: Quovadis, Domine? „Wohin gehst du,Herr?“ (in der christl. Legende Fragedes aus dem Kerker entflohenen Petrusan den ihm erscheinenden Christus)]

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Erfahrungsberichte von Kollegen Infor-mationen über die methodisch didakti-sche Durchführung. Die Anbieter erfah-ren unmittelbar über die Teilnehmer-zahlen eine Rückmeldung über denBedarf und die Qualität ihrer Lernein-heit. Da die Vergütung sich an denTeilnehmerzahlen orientiert, ist eineausreichende Motivation zu erwarten,um dauerhaft Verbesserungen zu initi-ieren.

In einem Pilotversuch hat die Fakultätfür Maschinenwesen bereits solcheLernmodule in Form von "Workshops"angeboten. Sechs Module aus denBereichen Produktentwicklung, Ma-schinenelemente, Raumfahrttechnik,Bioverfahrenstechnik, Fertigungstech-nik und Ergonomie (s. Bild 1) standenzu Auswahl. In kleinen Gruppen mit biszu 10 Personen (Bild 2) sollten dieLehrerinnen und Lehrer Einblicke inaktuelle Forschungsvorhaben gewin-nen, Informationen über aktuelle Pro-blemstellungen und Forschungsergeb-nisse des Maschinenbaus erhalten,selber mit modernsten Forschungs-einrichtungen Aufgaben lösen undweitergehendes umfangreiches Infor-mationsmaterial erhalten. Die Lehrkräfte konnten in den Work-shops erkennen, dass aktuelle Pro-blemstellungen aus der High-Tech-Forschung durchwegs die an denSchulen zu vermittelnden Grundlagenvoraussetzen. Auf diese Weise sinddie Lehrkräfte in der Lage, ihren Schü-lern inhaltlich aktuelle und motivieren-de Problemstellungen zu bieten undkönnen mit solchen Beispielen die Be-deutung des schulischen Wissenseindrucksvoll veranschaulichen. Organisatorischwurden dieWorkshops alseine eintägigeVeranstaltungzentral von derFakultät offeriert.Schulen undVerantwortlicheaus dem Bereichder Lehrerfort-bildung erhielteneine Einladungmit einem detail-lierten Prospekt.Es meldeten sich60 Teilnehmer,die überwiegendprivat dieTeilnehmerge-bühr entrichteten.Damit waren allePlätze vergeben.

Die Evaluierung sollte konkreteAnsätze für Verbesserungen liefernund die Qualität der Veranstaltungerfassen.Mit einem standardisierten, anonymenFragenbogen wurden neben allge-meinen Angaben folgende Kriterienuntersucht: Auswahl der Fachinhalte Art der Durchführung / Methodik Fachkompetenz /Engagement/

Vermittlungsfähigkeit desDozenten

Schriftlichen Unterlagen Organisation Gesamteindruck

Die Kriterien wurden jeweils mit einer6-stufigen Likertskala skaliert. Ein Fra-gebogen sollte zu Beginn der Veran-staltung die Erwartungen und dieQualität der Vorinformationen erfassen.

Der zweite Fragebogen wurde nachder Veranstaltung bearbeitet, um dieQualität der Kurse zu messen.

Der dritte Fragebogen soll nach Ablaufvon zwei Jahren die Langzeiteffekteund die Nachhaltigkeit aufdecken.

Die Ergebnisse der ersten und zweitenUmfrage sind in Tabelle 1 zusammen-gefasst. Es beteiligten sich 22 Gymna-siallehrer und 32 Lehrkräfte aus beruf-lichen Schulen. Insgesamt wurden 54Fragebögen ausgewertet.

Die inhaltliche Relevanz wurde sowohlfür die private als auch für die unter-richtliche Verwendung als mittelmäßigeingestuft, wobei die Teilnehmer nachder Veranstaltung mehr Anwendungs-

Bild 2: Teilnehmer am WorkshopRaumfahrttechnik bereiten ei-nen Mikrometeoriteneinschlagvor

Bild 1: Werbeflyer des Ergonomie -Workshops

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gebiete sahen. Die private Bedeutung wird dabei etwas höher eingeschätzt (2,78 zu3,24). Der Umfang und der Schwierigkeitsgrad entsprachen den Erwartungen. Die Art der Durchführung, die Abwechslung und die Mitwirkungsmöglichkeitenwurden gut beurteilt. Mit den konkreten Verbesserungsvorschlägen der Teilnehmerkönnen einzelne Phasen noch verbessert werden. Sehr gute Werte für die Fachkom-petenz der Dozenten (1,39), großes Engagement (1,65) und Vermittlungsfähigkeit(1,64) zeigen, dass auch kritische Lehrkräfte die persönlichen Leistungen und dieKompetenz der Dozenten anerkannten. Die Berufsschullehrer hoben die fachlicheKompetenz besonders hervor. Die bereitgestellten Unterlagen waren vollständig(1,83), eher zu umfangreich (3,96) und in ansprechender Form (2,02) vorbereitetworden. Für die Organisation gab es ebenfalls gute Noten, wobei die Vorab-Informa-tionen nur befriedigend (3,39) bewertet wurden und deshalb überarbeitet werdensollten. Interessant erscheinen die Urteile über die Kosten. Das eher negative Vor-aburteil (3,77) wurde nach der Veranstaltung leicht nach oben korrigiert (3,58). Vorallem die Gymnasiallehrer waren mit den Kosten nicht zufrieden (4,75), während dieBerufsschullehrer (2,89) hier eher eine angemessene Vergütung sahen, wohl weil ko-stentransparente Fortbildungen hier bereits üblich sind und die Kosten teilweise vonden Regierungen übernommen wurden. Zusammenfassend fällt das Gesamturteilbeider Lehrergruppen (Gymnasiallehrer 2,08, Berufsschullehrer 2,04) gut aus.

Inwieweit diese Bewertung sich nach längerer Zeit verändert, soll eine die dritteBefragung aufdecken. Die Lehrkräfte werden über die Anwendungsmöglichkeiten imSchulalltag und nach der Durchsicht der schriftlichen Unterlagen ein weiteres Urteilabgeben.

Die Evaluierung beruht ausschließlich auf subjektiven Einschätzungen der Teilneh-mer. Für die Auswahl der Lerninhalte wird dabei unterstellt, dass Lehrkräfte ihrenFortbildungsbedarf selbst zuverlässig einschätzen können. Um die Valididät zu über-prüfen, könnten zusätzlich "Experten", z. B. aus dem Bereich der staatlichen Schul-aufsicht und der Wissenschaft, befragt werden oder die angebotenen Inhalte mit denLehrplänen verglichen werden. Hier wird unterstellt, dass Lehrkräfte, anders alsSchüler, als "Experten" betrachtet werden können, die aufgrund ihrer Ausbildung undUnterrichtserfahrung bei der subjektiven Bewertung diese Vorgaben mitberücksichti-gen. Die "Experten" aus der Forschung und Lehrerbildung sind als Anbieter bereitsintegriert. Zudem fließen mittelfristig die Urteile der Schulbehörden durch die Finan-zierung und Auswahl einzelner Fortbildungsmaßnahmen entsprechend den Markt-gesetzen systembedingt mit ein.

Um die Effektivität der Vermittlung (Methodik) zu beurteilen, könnten neben den sub-jektiven Urteilen der Teilnehmer z. B. lernzielorientierte Tests durchgeführt werden.Die Konzeption der hier vorgestellten Fortbildungsmaßnahmen sieht dies nicht vor,da auch bei erheblichen Aufwand für diese sehr heterogenen und sich schnelländernden Lernziele kaum valide Ergebnisse zu erwarteten sind. Mittelfristig er-scheint der Weg über konkurrierende Angebote deutlich wirksamer und ökonomi-scher. Die methodisch "fachkundigen" Teilnehmer können aus unterschiedlichenAngeboten im eigenen Interesse die Effektivsten auswählen und steuern so über dieNachfrage auch die methodische Qualität.

Die Evaluation hat das Konzept mit

forschungsnahen, aktuellen Inhalten und konkreten Bezügen zumSchulunterricht,

problemorientierter Gruppenarbeit mit detailliertem Informationsmaterial und marktwirtschaftlicher Regulierung der Qualität

im ersten Versuch eindrucksvoll bestätigt. Es bietet den Lehrstühlen eine Plattform,um Technik breit zu präsentieren und gemeinsam für Technik und technisch orientier-te Berufe zu werben. In den nächsten Angeboten sollen die Themen weiter adressa-tengerecht erweitert werden und neben den Workshops auch Demonstrationen,Vorträge und Praktika in Absprache mit den Schulbehörden angeboten werden.

Dr.-Ing. Herbert Rauschist am Lehrstuhl für ErgonomieSpezialist für Lehrerfortbildung undFachdidaktik Arbeitslehre

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Tabelle 1: Ergebnisse der Befragungvor und nach der Veran-staltung.

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Inhalte arithm. Mittel werte Die angebotenen Fachinhalte 1 2 3 4 5 6 vorher nachher erscheinen mir allgemein als sehr wichtig völlig unbedeutend 2,29 2,43 sind für meinen Unterricht sehr wichtig völlig unbedeutend 4,02 3,24 sind für mich privat sehr wichtig völlig unbedeutend 2,77 2,78 Der Umfang der angebotenen Inhalte war viel zu groß viel zu gering 3,12 der Schwierigkeitsgrad erscheint mir als viel zu gering viel zu groß 3,45 Methodik Die Art der Durchführung erscheint mir als sehr effektiv völlig unbrauchbar 2,15 meine Mitwirkungsmöglichkeiten waren sehr gut viel zu gering 2,58 Abwechslungsreichtum sehr kurzweilig sehr langweilig 2,0 Dozent Fachkompetenz sehr hoch gering 1,39 Engagement sehr groß gering 1,65 Vermittlungsfähigkeit (Auftreten, Sprache, ..) sehr gut schwach 1,64 Schriftliche Unterlagen Umfang zu wenig zu viel 3,96 Vollständigkeit sehr umfassend sehr lückenhaft 1,83 Verständlichkeit sehr gut unverständlich 2,05 Form (Layout, Format..) sehr ansprechend schlampig 2,02 Organisation Die Organisation klappte perfekt war chaotisch 2,13 2,20 Der Zeitrahmen war zu kurz zu lang 3,02 2,65 Betreuung sehr angenehm abweisend 1,52 Informationen umfassend desolat 3,39 1,83 Kosten äußerst preiswert sehr teuer 3,77 3,58 Gesamturteil Die Veranstaltung würde ich mit folgender Schulnote (1..6) beurteilen: 2,23 2,05

Impressum:Herausgegeben vom Lehrstuhl für ErgonomieTechnische Universität MünchenBoltzmannstrasse 1585747 GarchingTel. 089/ 289-15388 www.ergonomie.tum.de

Verantw. i.S.d.P.: Prof. Dr. H. BubbLayout: Werner ZopfRedaktion: Dr. Herbert Rausch, Werner ZopfDruck: Inhouse production LfEISSN: 1616-7627

Dr. Jörn Zülch in den Ruhestand verabschiedet

Dr. Zülch tritt mit Wirkung vom 1. Juli 2004in den Ruhestand. Nach dem Studium derElektrotechnik und einem kurzenZwischenspiel in der Industrie begann erseine akademische Laufbahn am 1. Juli1976 bei Prof. Müller-Limmroth am Institutfür Arbeitsphysiologie. Im Dezember 1983promovierte er mit dem Thema"Experimentelle Untersuchung zurEntfernungseinstellung des menschlichenAuges bei kontinuierlich verändertemSollwert der Sehentfernung". Licht,

Beleuchtung und die Gestaltung von optischen Informationsmitteln unterBerücksichtigung der Eigenschaften des menschlichen Auges wurdendann Gegenstand seines weiteren beruflichen Lebens. Er übernahm amInstitut für Arbeitsphysiologie die Leitung der Gruppe Optik und bliebdann auch bei der Auflösung des Instituts und der Übernahme in denLehrstuhl für Ergonomie der Spezialist für Licht und Beleuchtung. Wirverdanken ihm den sachgerechten Aufbau unseres optischen Laborsund einige wichtige optische Demonstrationsobjekte für die Vorlesungund das Praktikum. Er hielt für Lehramtskandidaten die Vorlesung

"Grundzüge der Anatomie und Physiologie", die niemand am Lehrstuhlnach seinem Weggehen übernehmen konnte. Sie wird jetzt aus derFakultät für

Medizin bestritten. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen seinerfreundlichen und immer hilfsbereiten Art den Kollegen und denStudenten gegenüber, seiner Gelassenheit, auch einmal für einenWissenschaftler unangenehme Aufgaben verwaltungstechnischer Naturzu übernehmen, und nicht zuletzt wegen seines profunden Know-howsin allen beleuchtungstechnischen Fragen werden wir ihn vermissen. Mit ihm haben wir zudem unser Standbein im Bereich der Normungergonomischer Bildschirmeigenschaften verloren ohne einen adäquatenErsatz benennen zu können.

Wir wünschen ihm für seinen „3. Lebens-abschnitt“ eine gute, gesunde Zeit und hof-fen, ihn bei den regelmäßigen Feiern des Lehrstuhls an Weihnachten und beimSommerfest, aber auch zwischen durchrecht oft wieder willkommen heißen zu können.

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Evaluation von Software am Bespiel einer eLearning - Anwendung

Rolf Zöllner

"Wie gut kommt der User mit meiner Software zurecht?" "Warum nur verwendet dasneue Tool niemand?" "Wie sollen wir den Prototypen unserer Applikationweiterentwickeln, damit er den Anforderungen der Anwender entspricht?" "Erfüllt dieteure Anwendung überhaupt ihren Zweck?"Diese und ähnliche Fragen stellen sich jedem Software-Entwickler oder IT-Entschei-der, wenn neue Software-Anwendungen erstellt oder kommerzielle Lösungen einge-führt werden. Für die systematische und fundierte Beantwortung stehen die Prüfme-thoden und -verfahren der Evaluation bereit, mit deren Hilfe wissenschaftlich begrün-dete Aussagen getroffen werden.

Eine besonders effektive und effiziente Methode der Evaluation ist die systemergo-nomische Herangehensweise (siehe VDMA- Leitfaden Softwareergonomie; Riegler,2004). Die systemergonomischen Prüfmethoden fokussieren den Informationsflusszwischen Mensch und Maschine im Allgemeinen bzw. Mensch und Software imBesonderen. Ausgangspunkt ist die spezifische Aufgabe, die der Nutzer mit der Software-Applika-tion bewältigen will. Demnach ist zu prüfen, inwieweit die Software ihren Zweck er-füllt, d.h. inwieweit der Nutzer bei der Erreichung seiner Ziele unterstützt wird. Dazuist die Eingabe des Nutzerwillens in die Maschine und die Rückmeldung der Wirkungdurch die Maschine erforderlich. Der Nutzer muss stets den Systemzustand erken-nen können, d.h. welche Wirkung seine Bedienaktionen hatten und welchen aufga-benbezogenen Erfolg er damit erzielt. Ein dritter Aspekt ist die Betrachtung der Kom-patibilität, d.h. wie groß der kognitive Aufwand für den Nutzer ist, um die gebotenenInformationen aufgabenorientiert zu verarbeiten.

Evaluieren, damit die Kundenzufriedenheit steigtGanz allgemein geht es bei der Evaluation darum, den Wert einer Software - sei esfür den Nutzer oder das Unternehmen als Ganzes - festzustellen (Scriven, 1980).Evaluation ist aber nicht nur eine ziel- und zweckorientierte Erfolgskontrolle, vielmehrsoll sie im Idealfall den Software-Entwicklungsprozess begleiten und dem Entwicklerkonkrete Planungs- und Entscheidungshilfen an die Hand geben, wie er seine Soft-ware-Anwendung noch besser machen kann (Wottawa & Thierau, 1990). Schließlichsoll am Ende der Produktentwicklung eine maßgeschneiderte Lösung stehen, dieden Erwartungen, Bedürfnissen und Anforderungen der Zielgruppe exakt entspricht.In der Konsequenz werden Kunden gewonnen, die zufrieden sind, gerne wieder einProdukt des Software-Entwicklers kaufen und ihre guten Erfahrungen an anderepotenzielle Neukunden weitergeben - die beste und billigste Werbung für die Soft-ware.

Was wird bei einer Evaluation untersuchtAbbildung 1 gibt einen Überblick über wesentliche Zielkorridore, die durch die

Evaluation von Software-Anwendungen eröffnet werden und im Zuge der hierexemplarisch aufgezeigten entwicklungsbegleitenden Evaluation einereLearning-Anwendung, konkretisiert wurden. Die hier beschriebeneEvaluation setzte an drei Punkten an. An erster Stelle steht der Nutzer imengeren Sinne. Hier wird vor allem auf die konativ-motivationalenAspekte Bezug genommen und untersucht, inwieweit der Software-Nutzer die realisierte Anwendung annimmt oder ablehnt. Weiterhin wirddie Nutzungsmotivation festgestellt. Letztere versteht sich als der Einsatzvon Zeit- und Arbeit, zudem der Nutzer bereit ist, sich mit der Softwareauseinanderzusetzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die

Bereitschaft Zeit und Arbeit zu investieren wird dabei umso größer sein, jegrößer der erwartete und erfahrene Nutzen der Software für die

Zielerreichung ist. Auf emotionaler Ebene steht dieser Aspekt mit derNutzerzufriedenheit in Beziehung.

Der Aspekt "Nutzungsmotivation" steht über die konativ-motivationalen Aspekte imengen Zusammenhang mit der tatsächlichen Nutzung der Software, dem so ge-nannten "performanten Nutzungsverhalten". Die Evaluation von Software verstehtsich in diesem Zusammenhang als Erfolgskontrolle und trifft eine Aussage zur sub-jektiv-erlebten oder objektiv-gemessenen Effektivität und Effizienz der Software fürdie Aufgabenbewältigung und Ziel-Erreichung. Unter diesem Vorzeichen sollenanhand der Evaluation Aussagen getroffen werden, wie durch die Nutzung der Soft-

Abbildung 1 Zielkorridore der Evaluation vonSoftware

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ware die Vorteile für den einzelnen Anwender und/oder für das Unternehmen alsGanzes maximiert werden können.

Dieser Aspekt führt unmittelbar zu drei weiteren Fragestellungen, die mit Hilfe derEvaluation von Software beantwortet werden: Wie gut ist meine Anwendung im Vergleich zu anderen vergleichbaren

Anwendungen? Wie kann ich meine Anwendung kundenorientiert weiterentwickeln und

noch besser machen? Wie kann die Qualität meiner Anwendung sichergestellt werden?

Die beiden letztgenannten Fragen werden durch die entwicklungs- und einsatzbe-gleitende Evaluation von Software beantwortet. Der Softwarenutzer kann aufgrundseiner unmittelbaren Nutzungserfahrung konkrete Hinweise und Verbesserungsvor-schläge aus der Praxis geben. Die erste Frage kann sich dagegen einerseits daraufbeziehen, in wie weit die umgesetzten Veränderungen einer Weiterentwicklung ein-und derselben Software positive oder negative Wirkung hatten. Andererseits kannaber auch ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Produkten vorgenommen wer-den. Ziel ist es dann, ein begründetes Urteil darüber zu fällen, welche Software fürden beabsichtigten Einsatzzweck und die Nutzerzielgruppe besser geeignet ist.

Evaluation eines Lernmoduls im BMBF-Projekt Integral IISo unterschiedlich Evaluationen zur Prüfung von Software-Anwendungen auch seinmögen, gemeinsam ist allen die systematische Vorgehensweise, die dem wissen-schaftlichen Kenntnisstand und den Methodenstandards entsprechen sollte. ImFolgenden wird anhand eines konkreten Beispiels die praktische Umsetzung einerentwicklungsbegleitenden Evaluation von Software am Beispiel einer eLearning-Anwendung beschrieben.

Ein Lernmodul über die Gestaltung von Stellteilen zur Steuerung von KraftfahrzeugenIm Rahmen des BMBF-Projektes Integral II (BMBF, 2004), das die Entwicklung,Erprobung und Evaluation eines multimedialen Lehrsystems zur Vermittlung vonarbeitswissenschaftlichen Lehrinhalten an derHochschule zum Gegenstand hatte, wurde amLehrstuhl für Ergonomie der Technischen Uni-versität München eine Lerneinheit über dieGestaltung von Stellteilen zur Steuerung vonKraftfahrzeugen erarbeitet. Das erstellte Lern-modul können Interessierte im World WideWeb unter der URLhttp://www.integral2.iaw.rwth-aachen.deaufrufen und nutzen. Die Weiterentwicklungdieses Lernmoduls wird kontinuierlich vorange-trieben und durch Evaluationsläufe begleitet.Bisher wurden zwei Evaluationsläufe vorge-nommen, welche den Entwicklungsprozessmaßgeblich beeinflussten.

Die Grundkonzeption des Lernmoduls realisierteine konsequente handlungsorientierte Aus-richtung: Die Studenten erarbeiten sich daseinschlägige Fachwissen und die entsprechen-den Methodiken anhand von detailliertenProblemstellungen und praktischen Anforderungen. Der Einsatz vielfältiger multime-dialer Informationseinheiten (siehe Abb. 2), wie Grafiken, Abbildungen, Videosequen-zen u.a. unterstützt die Effektivität und die Effizienz des Lernprozesses und der akti-ven Wissenskonstruktion. Die inhaltliche Bezugnahme auf ergonomische Werkzeu-ge, Datenbanken und Simulationsmodelle wie z. B. das anthropometrische Mensch-modell RAMSIS, das Datenbanksystem CAHR (=Connectionism Assessment ofHuman Reliability; Sträter, 1997) zur Bewertung der menschlichen Zuverlässigkeitoder das ergonomische Expertensystem EKIDES (=Ergonomics Knowledge andIntelligent Design System; Schmidtke, Jastrzebska-Fraczek, 2003) unterstreicht denarbeitswissenschaftlichen Praxisbezug. Zur Einschätzung des Lernerfolges erhaltendie Studenten über vielfältige Kontrollfragen detaillierte Rückmeldung über ihren indi-viduellen Lernfortschritt. Der modulare Aufbau der einzelnen Informations-, Metho-den- und Aufgabenbausteine des Lernmoduls eröffnen den Studierenden möglichstweite Entscheidungsfreiräume und Lösungswege. Zudem erleichtert das Modulkon-zept die kontinuierliche Aktualisierung und die inhaltliche Verzahnung der Lerneinheitmit dem universitären Lehrsystem. Durch die webbasierte Realisierung können sich

Abbildung 2 Startseite des Lernmoduls

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Studenten zeit- und ortsunabhängig dieinteressierenden Wissensinhalteschnell und effektiv aneignen.

Die Evaluation der LerneinheitAusgehend von den Zielkorridoren derEvaluation (siehe Abbildung 1) wurdedas Lernmodul in zwei Entwicklungs-stufen bewertet. Die Evaluation desLernmoduls zielte darauf ab Kenngrö-ßen zu generieren, die einerseits Aus-sagen darüber ermöglichen, inwieweitdie Anforderungen und Erwartungender Studenten durch die eLearning-Anwendnung getroffen werden.Andererseits sollten die ErgebnisseVerbesserungspotenziale und Anhalts-punkte für die Weiterentwicklung desLernmoduls aufgrund der Nutzungser-fahrungen der Studenten liefern. Diebeiden Evaluationsläufe wurden mittelseines standardisierten Fragebogensvorgenommen. Die inhaltliche Konzep-tion des Prüfinstruments orientiertesich an den systemergonomischenGrundmaximen. Die neun inhaltlichenDimensionen (siehe Tabelle 1) desFragebogens beinhalten dazu Frage-stellungen, welche die abstrakten

Zielkorridore konkretisieren und "mess-bar" machen. Dazu beurteilen die Stu-denten auf einer fünfstufigen Bewer-

tungsskala, inwieweit sie den konkre-ten Fragestellungen zustimmen odersie ablehnen. Eigene Kommentare undVerbesserungsvorschläge konnten dieStudenten am Ende des Fragebogensadressieren. Abbildung 3 skizziert dasVorgehen bei der Entwicklung desEvaluationsfragebogens.

Die beiden Evaluationsläufe fanden imRahmen des "Ergonomischen Prakti-kums", Modul Regelungstechnik statt.Mit dem Ziel weiterführende Informa-tionen zur Gestaltung der Lernsituationzu erhalten wurde eine quasiexperi-mentelle Situation geschaffen undbeim ersten Evaluationslauf zwei In-struktionsbedingungen für die Bearbei-tung des Lernmoduls eingeführt: DieBedingung "ohne Aufgabenblatt" ver-langte von den Studenten die Bearbei-tung der Lerninhalte ohne weitereHinweise zur Aufgabenstellung.Didaktischen Überlegungen folgend er-hielten die Studenten unter der zweitenBedingung "mit Aufgabenblatt" zusätz-liche Instruktionen und sollten anhandeines "roten Fadens" vorgegebeneAufgaben mit dem erworbenen Wissenbearbeiten. Der zweite Evaluationslauferfolgte mit dem, anhand der Ergebnis-se des ersten Evaluationslaufes wei-terentwickelten Lernmoduls.

Als Ergebnis konnten sowohl durch dieerste als auch durch die zweite Evalu-ation wichtige Anregungen und Ent-scheidungshilfen für die nutzergerech-te Weiterentwicklung des Lernmodulsgewonnen werden. Die erhobenenNutzerurteile zeigten einerseits, wowelcher Handlungsbedarf für Verbes-serungsmaßnahmen bestand undandererseits welche Aspekte bereitsgut den Nutzeranforderungen entspra-chen. So wünschten die befragtenStudenten insbesondere eine Steige-rung der Interaktivität und der Multi-medialität. Über die generierten statisti-schen Kennzahlen konnten zudem dieinteressierenden Fragestellungen derZielkorridore der Evaluation (sieheAbb.1) beantwortet werden.

Setzt man den ersten Evaluationslaufals Baseline-Messung an, so zeigt derinferenzstatistische Vergleich derKennzahlen aus beiden Evaluations-läufen, ob die Veränderungen undWeiterentwicklungsmaßnahmen die er-hoffte Wirkung hatten. Dies konnte bei-spielsweise hinsichtlich der vorgenom-menen Modifikationen zur inhaltlichenAuswahl und Abfolge der Lerninhaltegezeigt werden: Die Hervorhebungund Akzentuierung des "roten Fadens",entlang dem sich die Studenten dieLerninhalte erschließen, führte bei derBewertungsdimension "didaktische

Abbildung 3Vorgehen bei der Entwicklung desFragebogens

Tabelle 1Dimensionen des Evaluations-instruments28

<1> Didaktische Struktur Der Anschnitt behandelt inhaltliche Aspekte und betrachtet vorrangig Auswahl und Abfolge der Lerninhalte in Abhängigkeit zu den Lehrzielen.

<2> Lernmotivation Inwieweit die Studenten durch die Lerneinheit zur Aus-einandersetzung mit den Lerninhalten angeregt wird, erfasst der Abschnitt „Lernmotivation“.

<3> Subjektive Lernerfahrung Im Abschnitt „subjektive Lernerfahrung“ bewerten die Studenten ihre Lernerfahrungen und wie sie subjektiv den Lernerfolg einschätzen.

<4> Technische Umsetzung Aspekte der ergonomischen Benutzerführung und des Pro-grammablaufs sind Thema dieses Abschnittes.

<5> Interaktivität Die Möglichkeiten aktiv in den Programmablauf eingreifen zu können werden sind Gegenstand dieses Abschnittes.

<6> Adäquate Multimedialität Der Abschnitt verlangt eine Bewertung der Auswahl, der Gestaltung und der Zusammenstellung der lernunterstützenden Medienangebote.

<7> Hilfestellungen Die angebotenen Unterstützungen für den Lernprozess und die Bedienbarkeit der Software werden im Abschnitt „Hilfestellungen“ bewertet.

<8> Fachrelevanz und Praxisbezug Der Abschnitt verlangt die Bewertung der Inhalte der Lerneinheit im Hinblick auf die subjektiv vermutete Bedeutung für Studium und Beruf.

<9> Gesamtbewertung Dieser Abschnitt liefert ein Gesamturteil und bewertet die Zufriedenheit und die Nutzeneinschätzung der Studenten.

Akze p ta nz Z u fr ie de n he it

Nu tzu n gs -mo ti va tio n

Nutzer

Ben ch -ma rkin g

Qu ali tä ts-s ich e ru n g

We it eren t-w ick lu n g

Software

Ef fek t ivit ät Ef fiz ien z

N ut zen -max imieru n g

Nutzung

EvaluationZiele der

Evaluation

Bewertungs-dimensionen

konkrete Fragenzu den einzelnen

Bewertungsdimensionen

<1><2><3><…>

<1>???

Definition

Operationalisierung

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Struktur" zu signifikanten Verbesserun-gen der Beurteilungen. Damit korres-pondierend wurde die subjektive Lern-erfahrung signifikant besser bewertet -ein Zusammenhang, der auch als Indi-kator für die Validität des eingesetztenEvaluationsfragebogens zu werten ist.

Die Analyse des quasi-experimentellenUntersuchungsdesigns gab Anhalts-punkte über den Einfluss der Instruk-tionssituation auf den Lernprozess undlieferte interessante Gestaltungshin-weise. Die meisten Studenten gingenbeim Erarbeiten der Lerninhalte nachInhalt und Aufbau des Aufgabenblattesvor und nicht, wie beabsichtigt, anhandder inhaltlichen Struktur des Lernmo-duls. Als Konsequenz daraus wurdendie Aufgabenstellungen in der weiter-entwickelten Version in das Lernmodulintegriert. Die Wirksamkeit dieser Maß-nahmen zeigte die oben beschriebeneVerbesserung der Bewertungen derdidaktischen Struktur und der subjekti-ven Lernerfahrung. Die varianzanalyti-sche Untersuchung des Datenmateri-als aus dem ersten Evaluationslauf lie-ferte zudem unerwartete Hinweise aufgeschlechtsspezifische Unterschiededer Bewertungen in Abhängigkeit zurInstruktionsbedingung. Die Ergebnisselassen tendenziell auf unterschiedli-ches Lernverhalten von weiblichen undmännlichen Studenten schließen.Abbildung 4 zeigt diese statistischeInteraktion am Beispiel der Bewertungder Verständlichkeit der Lerninhalte:Während die männlichen Studentenden Lernstoff unabhängig vom Aufga-benblatt als verständlich einstuften, istdas für die weiblichen Studenten nurunter der Instruktionsbedingung "mitAufgabenblatt" der Fall. Das Datenmaterial kann dahingehendinterpretiert werden, dass die Studen-tinnen eher pragmatisch-problemorien-tiert an die Lerneinheit herangingen -die Studentinnen erwarteten von derLerneinheit konkrete Fragestellungenanhand derer die Lerninhalte erarbeitetund vertieft werden konnten. Dagegenlässt sich die Herangehensweise dermännlichen Studenten eher als idealis-tisch und intrinsisch-motiviert beschrei-ben. Diese Interpretation wurdegestützt durch weitere Antwortmusterbei den Fragen zur "didaktischenStruktur", insbesondere hinsichtlich derEinschätzung, inwieweit der inhaltlicheAufbau der Lerneinheit klar erkennbarund Aufgabenstellung sowie Zielset-zung der Lerneinheit offensichtlichwaren.

Fazit: Kosteneinsparung und zufriedene NutzerDie begleitende Evaluation des Lern-moduls zeigt, dass die kontinuierliche

Prüfung eines Prototypen an Stichpro-ben der späteren Nutzerzielgruppe ei-ne zielgerichtete und begründete Wei-terentwicklung ermöglicht: Das Ergeb-nis ist eine effektive eLearning-Anwen-dung, die von Studenten angenommenwird. Weiterhinkönnen durch frü-hzeitige und re-gelmäßige, be-reits im Ent-wicklungsprozesseinsetzende Eva-luationen erheb-liche Kosten ver-mieden werden.Diese Kosten ent-stehen dann,wenn das fertigeEndprodukt nichtden Nutzer-erwartungen und -anforderungenentspricht undkeine Akzeptanz findet. In diesem Fallsind entweder aufwändige nach-trägliche Produktanpassungen vorzu-nehmen oder es muss, gemäß demPush-Prinzip, mit teuren Marketing-maßnahmen die "Werbetrommelgerührt" und Kundenakzeptanz und -zufriedenheit "künstlich" geschaffenwerden. Demgegenüber steht der rela-tiv geringe Zeit- und Kostenaufwandfür eine entwicklungsbegleitende Eva-luation, die bereits frühzeitig die ziel-gruppengerechte Gestaltung und dieQualität der Anwendung sicherstellt. Imvorgestellten Praxisbeispiel wurdeaufgrund der zielgruppenspezifischenAnforderung eine strukturierte und an-gepasste Form der Präsentation desLernstoffes realisiert, welche eineDifferenzierung nach dem Vorwissen,der individuellen Leistungsfähigkeit so-wie eine Anpassung an individuelleLernstile und -gewohnheiten ermög-licht. Durch die Evaluierung wurdensignifikante, geschlechtsspezifischeAnforderungen und Wünsche derBenutzerführung gefunden, die bei derweiteren formalen Gestaltung gut be-rücksichtigt werden können. Durch die-se Maßnahmen ist davon auszugehen,dass die Erwartungen und Anforderun-gen der Studenten noch besser getrof-fen werden, damit die Studenten gerneund effektiv mit der eLearning-Anwen-dung lernen.

Im Artikel verwendete Begriffe werdennachfolgend erklärt . . .

Abbildung 4 Interaktion der Instruktionsbe-dingung "ohne Aufgabenblatt" vs. "mit Aufgabenblatt" mit demGeschlecht "weiblicher Student" vs. "männlicher Student"

Literatur

Bubb, H. (1993). Systemergonomie. In H.Schmidtke (Hrsg.) Ergonomie. pp.305-458. München: Hanser.

BMBF (2004). Kursbuch elearning 2004.Produkte aus dem Förderprogramm.Sankt Augustin: DLR.

Deutsche Gesellschaft für Evaluation(2002). Standards für Evaluation.Köln: DeGEval.

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EvaluationEvaluation ist die systematische Untersuchung des Nutzens oder Wertes eines Gegenstandes. Solche Evaluationsgegenstände kön-nen z.B. Programme, Projekte, Produkte, Maßnahmen, Leistungen, Organisationen, Politik, Technologien oder Forschung sein. Dieerzielten Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen müssen nachvollziehbar auf empirisch gewonnen qualitativen und/oderquantitativen Daten beruhen (Deutsche Gesellschaft für Evaluation, 2002).

Inferenzstatistische VerfahrenInferenzstatistische Verfahren geben an, wie gut aufgrund einer Untersuchung an einer Stichprobe aus einer Grundgesamtheit auf dieVerteilung der untersuchten Merkmale aller Personen in dieser Grundgesamtheit geschlossen werden kann. Ein wichtiger Bereich derInferenzstatistik ist die Überprüfung statistischer Hypothesen, z.B. ob sich Mittelwerte unterscheiden u.a.

VarianzanalyseDie Varianzanalyse ist ein statistisches Verfahren zur Überprüfung von Mittelwertsunterschieden zwischen Gruppen.

ValiditätDie Validität bezeichnet die Gültigkeit eines psychologischen Messinstrumentes wie z.B. eines Fragebogens oder eines Tests. Sie gibtan, wie gut das Instrument in der Lage ist das zu messen, was es zu messen vorgibt.

Quasiexperimentelle UntersuchungQuasiexperimentelle Untersuchung sind Untersuchungen, bei denen die Zugehörigkeit der Untersuchungsteilnehmer zu den Ver-suchsbedingungen vorgegeben ist bzw. eine zufällige Zuteilung nicht möglich oder sinnvoll ist.

Systemergonomische HerangehensweiseDie systemergonomische Herangehensweise untersucht die prinzipielle Struktur der Einbindung des Menschen in ein komplexesSystem, das aus dem Systemelement Mensch und dem Systemelement Maschine (z.B. technische Geräte, wie z.B. Autos, Ferti-gungsroboter, Computer u.a.) besteht. Ihr Ziel ist es, ausgehend von der zur erfüllenden Aufgabe, Hinweise für die Gestaltung derInteraktion, d.h. des Informationsflusses, zwischen Mensch und Maschine zu erhalten.

MaschineEine Maschine bezeichnet im Allgemeinen eine mechanische, aus zueinander beweglichen Teilen zusammengesetzte Vorrichtung,die primär das Ziel hat, Energie umzusetzen und die als eigenständige Einheit unabhängig von der Umgebung funktionsfähig ist. Imvorliegenden Zusammenhang wird der Begriff Maschine in einem erweiterten Verständnis gebraucht und bezeichnet allgemein techni-sche Systeme also auch PC und Software-Technik.

Kognitiver AufwandDer kognitive Aufwand bezeichnet hier die Art und das Ausmaß der mentalen Informationsverarbeitungsprozesse, die ein Mensch vor-nehmen muss, um Information zwischen verschiedenen Informationskanälen umzucodieren.

Konativ-motivationaleKonativ-motivationale Aspekte bezeichnen Gegebenheiten der Gerichtetheit einer Person auf, für die Zukunft, angestrebte Ziele, d.h.es geht hier um die Frage des "Wollens".

Performantes VerhaltenPerformantes Verhalten bezeichnet in der Psychologie tatsächlich ausgeführte und damit beobachtbare Aktionen und Handlungen ei-ner Person.

Begriffserklärungen:

Referenzen:

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Abbildung 1Screenhot zur Detailanalyse"Inhaltliche Aufbreitung"

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Wie gut entspricht eine eLearning-Anwendung ergonomischenKriterien?Die Checklisten zur Produktanalyse in EKIDES

Rolf Zöllner

Wie kann ich schnell und unkompliziert die ergonomischen Schwachpunkte einereLearning-Anwendung herausfinden? Das Ergonomics Knowledge and Intelligent Design System (EKIDES; Schmidtke, H.,Jastrzebska-Fraczek, I.; 2000) bietet für diese Frage eine spezielle Checkliste an, mitder sich eLearning-Anwendungen mit minimalem Zeit- und Arbeitsaufwand bewerten

lassen. Entwicklervon eLearning-Anwendungenkönnen so denneuesten StandergonomischerKenntnisse be-reits in den frü-hen Stadien derSoftwarekonzep-tion und -entwick-lung berücksich-tigen.

Entscheidern, dieüber Auswahl undEinsatz von

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AnthropometrieDie Anthropometrie und Menschmodellierung beschäftigt sich mit der Untersuchung von Aspekten wie Körpermaße, Haltung undBewegung, Sitzen, Komfort sowie Kräfte. Ziel der Untersuchungen ist eine mathematische Formulierung menschlicher "Parameter".

Menschmodell RAMSISRAMSIS steht für "Rechnerunterstütztes Anthropologisches Mathematisches System zur Insassen-Simulation" und unter Einbindungdeutscher Automobilfirmen und Sitzhersteller in Auftrag gegeben. Das für das Menschmodell notwendige ergonomischeDatenmaterial erstellte der Lehrstuhl für Ergonomie der Technischen Universität München. Mit Hilfe von RAMSIS lassen sich in rech-nergestützten Konstruktionsprogrammen (=CAD-Programme) menschliche Körpermaße oder Bewegungsmuster aber auchKomfortempfinden bereits im CAD-Programm simulieren. Somit spart man Zeit und Geld in der Entwicklung neuer Arbeitplätze, wie z.B. Autocockpit oder ein Zugfahrerstand, da der aufwendige Modellbau und das Testen mit realen Versuchspersonen vom Computerübernommen werden kann.

CAHRCAHR (Sträter, 1997) bedeutet "Connectionism Assessment of Human Reliability" und ist ein Datenbanksystem zur Bewertung dermenschlichen Zuverlässigkeit. CAHR ist ein Werkzeug für die Analyse von Ereignissen in Prozessen oder Abläufen, die durch fehler-hafte menschliche Handlungen oder durch Faktoren in der Organisation verursacht wurden.

Ergonomics Knowledge and Intelligent Design System (EKIDES)EKIDES (Schmidtke & Jastrzebska-Fraczek; 2003) ist ein PC-basiertes Expertensystem, das die aktuellen ergonomischenErkenntnisse über die Gestaltung technischer Systeme in mehreren Sprachen bereitstellt. EKIDES unterstützt die nutzergerechteAuslegung und Bewertung von technischen Systemen, Produkten und Arbeitsplätzen.

Systemergonomische GrundmaximenDie Systemergonomie untersucht die Interaktion in Mensch-Maschine-Systemen anhand folgender grundlegender Fragestellungen 1. Funktion: "Was will der Operateur (handelnde Mensch) bezwecken und inwieweit kommt ihm das technische

Arbeitsmittel dabei entgegen?"2. Rückmeldung: "Kann der Operateur erkennen, ob er etwas bewirkt hat und welchen Erfolg er hatte?" (Rückmeldung)3. Kompatibilität: "Wie groß ist der Umcodierungsaufwand zwischen verschiedenen technischen Informationskanälen?"

InteraktivitätBei der Gestaltung von Lernprogrammen bezeichnet Interaktivität die Möglichkeiten des Nutzers, in den Programmablauf derSoftware aktiv einzugreifen und steuernd einwirken zu können. Die Interaktivität dient u.a. dem individualisierterem Lernen. Sokönnen Auswahl und Art der Darstellung von Information dem Vorwissen, den Interessen und den Bedürfnissen der Lernenden ange-passt bzw. von diesem manipuliert werden.

MultimedialitätMultimedialität bezeichnet die gleichzeitige Kombination und Integration unterschiedlicher Medien wie Text, Bild, Ton, Animation undVideo mit dem Ziel einer abwechslungsreichen und adäquaten Präsentation von Informationen. Ein Ziel ist es, durch Multimedia auchkomplexe Sachverhalte verständlich präsentieren zu können.

Intrinsische MotivationJemand ist intrinsisch-motiviert, wenn er an der Leistungserbringung aus eigenem inneren Antrieb heraus interessiert ist. AufBelohnung oder Anerkennung durch Dritte wird dabei kein Wert gelegt - die Sache wird um ihrer selbst willen getan.

Begriffserklärungen:

ScreeningverfahrenScreening-Verfahren bezeichnen diagnostischeInstrumente mit deren Hilfe eine globale Analysedes Problembereichs für die grobe Auslese vonUrsachen oder die Hypothesengenerierunggewonnen werden. Die Ergebnisse desScreenings geben Gegenstand und Richtung dernachfolgenden detaillierten Analysen vor.

Win-Win-SituationEine Win-Win-Situation liegt dann vor, wenn zwei(oder mehr) Beteiligte aus einem gemeinsamenUnterfangen einen Nutzen für sich ziehenkönnen. Dies ist z.B. bei einem Verkaufsgeschäftder Fall: Der Verkäufer erhält als Nutzen seineBezahlung, der Käufer die erbrachte Leistungoder Ware.

Tabelle 1 Die Bereiche der Grobanalyse

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eLearning-Anwendungen bestimmen, wird durch die Checkliste ein wichtiges Hilfs-mittel zur Bewertung an die Hand gegeben, das Entscheidungs- undPlanungssicherheit schafft.

Die ergonomische Prüfung mit der rechnergestützten Checkliste ist denkbar einfach:Der Prüfer entscheidet für jeden Analysebereich, ob er für die zu bewertendeApplikation relevant ist. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die sechs Analysebereiche der Checkliste. Werdenin einem Analysebereich Probleme erwartet, so kann

anhand der bereichsspezifischen Checkpunkte eine detaillierte Analyse vorgenommen werden. Ergänzendlässt sich die Checkliste "Software" hinzuziehen, um die programmiertechnische Umsetzung der eLearning-Software ergonomisch zu beurteilen. Mit wenigenMausklicks wird so ein ergonomisches Screening zur globalen und qualitativen Überprüfung der benutzerge-rechten Auslegung der eLearning-Software durchgeführt.So werden Qualität der eLearning-Anwendung und Ak-zeptanz der Nutzer sichergestellt. Die Vorteile liegen aufder Hand: Wissen wird durch die Anwendung effektiv undeffizient vermittelt und damit der Nutzen sowohl für denNutzer als auch für den Anbieter der eLearning-Softwaremaximiert - eine klassische Win-Win-Situation.

Analysebereiche Anzahl der Checkpunkte

Didaktischer Aufbau kennzeichnet Ziele, Inhalte, Methoden und Medien der Informationsvermittlung

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Didaktische Hilfen alle den Lernprozess unterstützenden Medien im „virtuellen“ Unterricht

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Inhaltliche Aufbereit ung behandelt die lernzielspezifische Auswahl und Aufbereitung der Lerninhalte

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Motivationsgehalt das Anregungspotenzial ist ein wichtiger Faktor für Mitarbeit und Engagement des Lernenden

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Mediale Aufbereitung ein wesentlicher Faktor für die Förderung des Lernfortschrittes

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Lernfortschritt alle Informationen, die dem Lerner helfen seinen aktuellen Kenntnisstand zu überprüfen

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Ergonomie kommunizieren, ergonomisch kommunizieren!

Rolf Zöllner & Werner Zopf

Missverständnisse entstehen dann, wenn zwei Kommunikationspartner einvernehm-lich davon ausgehen, sie sprechen über die gleiche Sache, aber in Wirklichkeit "Äpfelmit Birnen" vergleichen. Diese Falle schlägt insbesondere dann gerne zu, wennFachbegriffe aus dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch bemüht werden.Wissenschaftliche Begriffe sind oft abstrakt, um einen unzulässigen Reduktionismuszu vermeiden. Auch sind sie zumeist Fremdsprachen entlehnt oder eigens kreierteKunstwörter mit dem Ziel, den bezeichnenden Sachverhalt von der Alltagsspracheabzuheben und präzise von anderen wissenschaftlichen Konstrukten abzugrenzen.Doch ist die Bedeutung des Begriffes oft nicht zur Genüge bekannt oder weichtinhaltlich von der wörtlichen Übersetzung der Begriffsbestandteile ab. Im täglichenGespräch werden derartige Fachbegriffe oftmals wie "leere Worthülsen" verwendet.Ihre Bedeutung schöpfen die Begriffe dann aus den individuellen Erfahrungen derKommunikationspartner, bekannten prägnanten Beispielen, vermuteten Ähnlichkeitenoder rein aus den Erwartungen, die sich aus dem Kontext ergeben. Die Folge:Missverständnissen sind Tür und Angel geöffnet. Ziel und Zweck der Kommunikation,Botschaften inhaltlich unverfälscht von der Erlebenswelt eines Senders in die Erle-benswelt eines Empfängers zu transportieren werden verfehlt.

Ergonomie kommunizierenDer Begriff Ergonomie kann zu diesen "schwierigen" Begriffen gezählt werden. Wasunter Ergonomie verstanden wird, hängt im Wesentlichen davon ab, aus welcher"Ecke" der Gesprächspartner stammt. Daraus ergeben sich die Erwartungen undstillschweigenden Prämissen, die von den Kommunikationspartnern für das Begriffs-verständnis zugrunde gelegt werden. Im groben Überblick lassen sich zumindest dreiGruppen finden, die den Begriff Ergonomie mit unterschiedlichen Schwerpunkt-setzungen verstehen. Die Wissenschaft als "Ergonomie-Produzent" zielt auf denErkenntnisfortschritt und den Wissensgewinn ab. Dem entsprechend sind Verständ-nis und Sprachgebrauch research-driven, d.h. akademisch-präzie und der "reinenLehre" verpflichtet. Andererseits gibt es aber auch die Kunden des "Produktes"Ergonomie. Das sind die Vertreter aus der Dienstleistungs-, Investionsgüter- undKonsumgüterindustrie. Hier trifft der Begriff "Ergonomie" auf völlig unterschiedlicheverständnisbestimmende Voraussetzungen und Erwartungen: Wettbewerb, Kosten-optimierung und Gewinnmaximierung bestimmen hier die Entscheidungen. In derKonsequenz werden Verständnis und Sprachgebrauchan Kriterien wie Kosten-Nutzenrelationen, monetärenGrößen und der Steigerung von Leistungsfähigkeit undZuverlässigkeit festgemacht und verstanden. Undschließlich gibt es noch den "Kunden des Kunden", denKonsumenten, der die Produkte der Industrie kaufensoll. Der Konsument orientiert seine Entscheidungeneinerseits an eher rationalen Kriterien wie dem Preis-Leistungsverhältnis, der Gesundheitsförderlichkeit oderSicherheit. Andererseits kommen auch eher irrationaleAspekte zum tragen, wie Ästhetik und Design, Komfort,aber auch das Image von Produkt und Marke. DieseKriterien sind wiederum die Grundlage für das Ver-ständnis des Ergonomie-Begriffes.

Diese theoretische Analyse zeigt bereits erheblicheUnterschiede in den Voraussetzungen, die das Grund-verständnis des Ergonomie-Begriffes prägen und entsprechende Erwartungen und"Voreinstellungen" an die Kommunikation setzen. Eine beispielhafte empirischeAnalyse zum Verständnis von Ergonomie auf dem Markt zeigt denn auch eineDiskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch und der Art wie das"Business" den Begriff Ergonomie verwendet.

"In welchem Zusammenhang verwendet der Markt den Begriff Ergonomie?" lautetedie untersuchungsleitende Frage, die beispielhaft durch eine Internet-Analysebeantwortet wurde. Konkret wurde am 04. Mai 2004 mit Hilfe der SuchmaschineGoogle die Suchbegriffe "Ergonomie", "ergonomisch" und "ergonomics" eingegeben.Die ersten 20 Suchergebnisse wurden als Quasi-Zufallsstichprobe betrachtet. Vonden so gefundenen 60 Resultaten waren inhaltlich 44 verwertbar. Das Ergebnis derAuswertung lieferte vier Hauptklassen, die in Abbildung 1 gezeigt werden.

Abbildung 1In welchem Kontext wird der Begriff"Ergonomie" verwendet? Ergebnisseeiner Internet-Recherche

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Ergebnisse einer Internet-RechercheDemnach wurde der Begriff Ergonomie in elf Prozent der Fälle als Merkmal für spezi-fische Produkte aus dem Inneneinrichtungsbereich, d.h. im Zusammenhang mitStühlen, Tischen und Betten verwendet. Fragen der Benutzerfreundlichkeit undUsability von Software thematisierten 18 Prozent der Suchergebnisse. Im akademi-schen Kontext tauchten die Suchbegriffe mit einem Anteil von 14 Prozent auf. Hierwurde auf Expertenorganisationen und spezifische Projektarbeiten verwiesen. Mitmehr als der Hälfte (57 Prozent) thematisierte das Gros der Suchergebnisse aller-dings die Gestaltung von Arbeitsplätzen. Diese Suchergebnisse wurden in einem zweiten Analyse-Schritt nochmals eingehen-der unter die Lupe genommen. Die differenzierte Betrachtung der inhaltlichenSchwerpunkte dieser Webseiten zeigt Abbildung 2. Demzufolge behandelten beinahedie Hälfte der Suchergebnisse den Aspekt der Gesundheitsförderlichkeit bei derGestaltung von Arbeitsplätzen im Allgemeinen (28 Prozent) und bei der Gestaltungvon Bildschirmarbeitsplätzen im Besonderen (16 Prozent). Auf die Gestaltung derArbeitszeit, respektive bei Schichtarbeit nahmen acht Prozent der SuchergebnisseBezug. Ergonomie als besonderes Kaufkriterium für gewerbliches Büromobiliarwurde in 24 Prozent und als Produktmerkmal von Arbeitsmitteln (v.a. PC-Eingabe-geräte wie Maus und Tastatur) in 14 Prozent der Fälle genannt - in beiden Fällenstand ebenfalls die Gesundheitsförderlichkeit der "ergonomischen" Produkte imVordergrund.

Bereits diese Momentaufnahme der Internet-Recherche lässt folgendes Fazit zu:Der Begriff "Ergonomie" wird im Alltagsverständnisvorwiegend im Zusammenhang mit der Minimierungvon Belastungen für eine gesundheitsförderlicheGestaltung von Arbeitsplätzen gebraucht. Damit istein genuines und wichtiges Tätigkeitsfeld der Ergo-nomie angesprochen. Dennoch greift diese Auffas-sung für ein ganzheitliches und umfassendes Ver-ständnis des Ergonomie-Begriffes sicherlich noch zukurz, um auch dem vollen Potenzial ergonomischerund arbeitswissenschaftlicher Methoden und Ansätzegerecht zu werden. So liegt der wesentliche Aspektergonomischer Bemühungen in der Steigerung derLeistungsfähigkeit und der Qualität der Aufgaben-erfüllung von Mensch-Maschine-Systemen, der in

den Ergebnissen der Internetrecherche nicht kommuniziert wurde.

Ergonomisch kommunizierenUnd hier schließt sich der Kreis: Ergonomie kommunizieren, bedeutet also auchergonomisch kommunizieren. Damit ist gemeint, den Adressaten "dort abzuholen, woer steht" und die Inhalte empfängergerecht zu kommunizieren. Aus systemergonomi-scher Perspektive (Bubb, 1993) kann die Kommunikationssituation als Informations-fluss in einem "Mensch-Mensch-System" betrachtet werden, mit der Aufgabenstel-lung eine Botschaft sinnerhaltend vom Sender zum Empfänger zu transportieren.Dazu ist vom Sender eine Informationseingabe zu leisten, d.h. er muss die Botschaftformulieren und auf ein Trägermedium z.B. Sprache bannen. Die Eingabe ist dabeiso zu gestalten, dass auf dem Transportweg zwischen Sender und Empfänger keineReduktion der Information durch Störungen erfolgt (Verrauschen). Weiterhin ist beider Formulierung der Botschaft ein entscheidendes Problem zu beachten: Die Bot-schaft stammt aus der Erlebens- und Erfahrungswelt des Senders und erhält durchdiese seine spezifische Sinnhaftigkeit (vgl. Konstruktivismus ; Watzlawick, 2003).Trifft die gesendete Botschaft beim Empfänger ein, wird sie zunächst kodiert undanschließend in die Erlebens- und Erfahrungswelt des Empfängers eingefügt.Nachdem nun aber davon auszugehen ist, dass sich die Realitäten von Sender undEmpfänger unterscheiden, wird sich auch die jeweilige Sinnhaftigkeit der Botschaftunterscheiden. Je weiter die Realitäten der Kommunikationspartner differieren, d.h.je kleiner der gemeinsame Erfahrungshorizont ist, desto größer wird der Sinn-Unter-schied zwischen der gesendeten und der empfangenen Botschaft sein. Die Qualitätder Aufgabenerfüllung "Botschaft übermitteln" wird gering sein. Was ist zu tun? Dieser Effekt kann im Sinne eines Regelkreises durch eine verständnisanzeigendeRückmeldung des Empfängers an den Sender kontrolliert werden. Doch muss dieseRückmeldung wiederum über eine Kommunikationssituation erfolgen - die Botschaftwird gemäß der jeweiligen Erlebens- und Erfahrungswelt interpretiert. Im ungünsti-gen Fall kommt es so zu den eingangs beschriebenen Missverständnissen. Imgünstigen Fall erkennt der Sender, ob seine Botschaft "sinngemäß" beim Empfängerangekommen ist. Zudem legt die Systemergonomie nahe, die Botschaft möglichst

Abbildung 2Differenzierte Betrachtung desKontextes "Gestaltung vonArbeitsplätzen"

Dipl.-Psych. Rolf Zöllnerist am Lehrstuhl Spezialist für dieBereiche Information, Kommunikationund Wissensmanagement.

Werner Zopfist Grafik-Designer und Spezialist für visuelle Kommunikation am Lehrstuhl.

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kompatibel zu halten. Damit ist gemeint, Art und Struktur der Inhalte, z.B. Wortwahl,Formulierungen u.a. an den Voraussetzungen des Empfängers auszurichten. Das er-fordert vom Sender der Botschaft sicherlich die Bereitschaft sich empathisch in dieErlebenswelt des Empfängers hineinzuversetzen, "mit" zu denken und an den richti-gen Stellen adäquate Rückmeldung einzufordern. Eine griffige kommunikations-wissenschaftliche Richtlinie für die skizzierte adressatenadäquate Kommunikations-situation beschreibt beispielsweise die so genannte Lasswell-Formel (Lasswell, 1948)mit fünf griffigen Fragen, die der Sender einer Botschaft an sich stellen sollte:

Konkret bedeutet dies für die Wissenschaft in einer Kommunikationssituation mit demKunden der Ware "Ergonomie", marktgerecht das Leistungsspektrum ergonomischerErkenntnisse und Forschungsergebnisse mitzuteilen. Das bedeutet jedochkeineswegs von den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit und Methodenstandardsabzurücken. Vielmehr muss in der Sprache und Erlebenswelt des Kundenkommuniziert werden und die Position der Wissenschaft als Know-how-Dienstleisterhervorgehoben werden. "Ergonomie kommunizieren" heißt in diesem Sinne geradeauch dem Empfänger die Vorteile, die ihm aus der Anwendung ergonomischerKenntnisse entstehen, soweit möglich vom Kunden-Blickwinkel (vgl. vermutetesAutostereotyp ; Stryker, 1976) problem- und anwendungsbezogen zu kommunizierenund den individuellen Kundennutzen herauszustellen. Der Wissenschaftler fügt ausseinem spezifischen Verständnis des Ergonomie-Begriffes erweiternde inhaltlicheBedeutungsstücke in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen des Empfängersein (vgl. Piagets Konzept des kognitiven Schemas ; Ginsburg & Opper, 1998). Aufdiese Weise wird Wesen, Sinn und Zweck ergonomischer Forschungstätigkeitempfängergerecht kommuniziert, das Verständnis für Ergonomie auf dem Markterweitert und Ergonomie als "Produkt" überzeugend darstellbar.

Also, verkaufen Sie Ihre Äpfel nicht als Birnen, damit sie nicht für Tomatengehalten werden!

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Watzlawick, P. (2003) Wie wirklich ist die Wirk-lichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen.München: Piper.

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who says Wer ist der Sender der Botschaft? In welcher Rolle und mitwelchem "Standing" tritt er gegenüber dem Empfänger auf?

what Was ist der Inhalt, der mit durch die Botschaft transportiertwerden soll? Wie sind Art und Struktur der Botschaft?

in which channel Was ist das geeignete Medium, um die Botschaft demEmpfänger zu übermitteln (verbal, non-verbal, medial)?

to whom Wer ist der Empfänger der Botschaft? In welcher Rolle tritter auf? Wie ist das Verhältnis zum Sender der Botschaft?

with what effect Was soll mit der Botschaft erreicht werden? Was sindZielsetzung und intendierte Wirkung der Kommunikation?

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Das neue Raumgefühl am LfE — eine Verwandlungsgeschichte

Martin Haberzettl

„Die Ergonomie“ hat ein neues attraktives Gewand. Was mit einem spontanen "Wieschaut's denn hier aus…?" begann, lief auf eine komplette Umgestaltung desEingangs- und Arbeitsbereichs für Studenten hinaus. Der so genannte "Allraum" desLfE wurde im Juni mit einfachen Mitteln umgestellt und aufgewertet.Der LfE besitzt im Vergleich mit anderen Lehrstühlen einen sehr großen Raum alsEmpfangsbereich. Dieser ist auch zugleich Informations- und Arbeitsraum fürStudenten und dient mit vielen Schränken auch als Bibliothek und Lagerraum fürAkten und Büromaterial. Diese Multi-Funktionalität war bisher nicht sehr attraktiv undräumlich eher willkürlich zusammengestellt. Auch das trostlose grau in grau desMobiliars und der relativ hohe Geräuschpegel durch mehrere (ältere) Server mittenim Raum wirkten wenig einladend.Da ich wegen einer Semesterarbeit viel Zeit im Allraum verbrachte und meist denEindruck hatte, in einem unfertigen Großraumbüro "auf dem Präsentierteller" zusitzen, machte ich mir ausführlich Gedanken darüber, wie ich es schaffen könnte,mich hier wohl zu fühlen. Diesen Eindruck teilten viele meiner Kommilitonen undauch viele Mitarbeiter des LfE stimmten mir zu, dass es hier "nicht sehr aufgeräumt"aussehe. Ich kenne die meisten Räumlichkeiten anderer Lehrstühle der Fakultät Maschinen-wesen und stellte fest, dass man diesen Empfangs- und Arbeitsraum am LfE wesent-lich attraktiver und repräsentativer gestalten könnte. Der Lehrstuhl für Ergonomiemüsste sich besser verkaufen. Und dies mit einfachsten Mitteln. Meine Idee einerUmgestaltung des Allraums stellte ich zunächst Professor H. Bubb vor, der zwarerstaunt war, aber sogleich zustimmte und nun auf konkrete Vorschläge gespanntwar. Als HiWi (Werksstudent) plante ich jetzt die genaue Umsetzung meiner Gedan-kenspiele. Zunächst stellte ich die meiner Meinung nach wichtigsten Argumente undGründe für einen Umbau des Allraums zusammen:• Der Lehrstuhl für Ergonomie sollte auch Ergonomie greifbar repräsentieren. Die

Ergebnisse der Forschungstätigkeit und die Umsetzung in Alltagsprodukte sollten,möglichst zum Gebrauch, ausgestellt werden. Auch theoretische Erkenntnisse zurergonomischen Arbeitsplatzgestaltung sollte der Lehrstuhl zu allererst an sichselbst praktisch umsetzen.

• Die funktionale Aufteilung des relativ großen Raumes kann durch neue räumlicheAnordnung des Mobiliars erheblich auf die Anforderungen der Nutzer hin optimiertwerden.

• Verbesserung der Arbeitsbedingungen des einzelnen Nutzers mit durchdachterAnordnung der Arbeitsplätze im Rahmen der Möglichkeiten.

• Verbesserung des allgemeinen Raumklimas, der so genannten "Wohlfühl-Faktoren", zur Leistungssteigerung der hier arbeitenden Studenten undMitarbeiter.

• Neue Besucher sollen sich intuitiv zurecht finden und in der Umgebung wohlfühlen.

• Und besonders wichtig: Der erste Eindruck zählt!

Besonders bei Studenten, die sich "nur mal informieren" wollen, ist der erste Ein-druck der Räumlichkeiten durchaus entscheidend, ob man hier tatsächlich arbeitenwill oder sich überhaupt erst weiter mit dem Lehrstuhl beschäftigt.

Mit diesen Argumenten rief ich alle Mitarbeiter am Lehrstuhl auf, mir ihre Ideen für ei-ne Umgestaltung des Allraums zukommen zu lassen, damit ich diese mit meineneigenen Vorstellungen kombinieren könnte. Es zeigte sich durchaus reges Interesseund es stellte sich heraus, dass die meisten Beteiligten ähnliche Vorstellungenhatten. Dies erleichterte die Umsetzung meines Konzepts, das ich inzwischen in ein3D-Simulations-Tool (einen simplen kommerziellen Einrichtungsplaner) implementierthatte. Dazu scannte ich die Grundrisse des Allraums am PC ein und erstellte dasmaßstabsgetreue Mobiliar. Dann verbrachte ich tage- bzw. nächtelang mit virtuellem"Möbelrutschen" am PC, bis ich ein passendes Lösungs-Konzept gefunden hatte.

Die zur Umsetzung nötigen Maßnahmen, aber auch die Randbedingungen für dasgesteckte Ziel fasste ich dann zusammen:• Aus Kostengründen möglichst mit dem vorhandenen Mobiliar auskommen.• Für die Anordnung der Computerarbeitsplätze (gewünscht sind 8 statt früher 6)

müssen die Netzwerk- und Stromanschlüsse im Boden berücksichtigt werden.• Die Feuerlöscher, die Heizung, ein Großteil der Glasflächen und die vorhandenen

Schaukästen dürfen nicht verstellt werden.• Wichtige Laufwege sollen freigehalten bzw. erhalten werden.

Martin Haberzettlist am Lehrstuhl studentische Hilfskraftund engagierter Fachschafts-Mitarbeiter

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• Sinnvolle Arbeitsplatz-Anordnungen (Gruppen- und Einzelarbeitsplätze) sowieergonomische Bewegungsfreiräume sollen berücksichtigt werden.

• Zur funktionalen Aufteilung des Raumes sind Raumteiler verschiedenerGestaltung nötig.

• Zur Verbesserung der Arbeitsumgebung und insbesondere des Raumklimas("Wohlfühl-Faktoren") sind mehrere größere Pflanzen gewünscht und vorgesehen.Diese als Hydrokulturen angesetzte Pflanz-Arrangements sollen auch als Raum-teiler funktionell eingesetzt werden. Bei Bedarf Installation von Pflanz-Lampen annotwendigen Stellen.

• Neusortierung der bisher thematisch verstreuten Schrankinhalte und anschließen-de Verlagerung von wenig / nicht gebrauchten Schränken in andere Räumlich-keiten. Dadurch werden automatisch auch andere Räume des Lehrstuhls gleichmit neu gestaltet.

• In der Ergonomie (mit-)entwickelte Produkte als teils nutzbare Präsentationen derLehrstuhlarbeit im Allraum platzieren: Hörsaal-Bestuhlung, höhenverstellbarerArbeitstisch, Weltraumstuhl, RAMSIS-Manikin als Wegweiser…

• Die neue funktionale Gliederung des Allraumes soll mit moderatenVerschiebungen des Mobiliars realisiert werden.

• Entfernung nicht mehr benötigter PC-Komponenten bzw. Austausch durchmodernere Systeme.

• Optische Aufwertung des Raumes durch Bilder oder Grafiken, die thematisch derErgonomie zugeordnet werden können und farbliche Akzente setzen. Hierbeisollten die bedeutenden Wirkungen der Farben auf den Menschen berücksichtigtwerden (Farbenlehre).

Diese Punkte, umgesetzt in ein Gesamtkonzept, präsentierte ich allen Mitarbeitern,um nach einer kurzen Feedback-Runde die Zustimmung zur Umsetzung zu erhalten.Die Anschaffung der Pflanzen wurde beschlossen und mir die Auswahl und Bestel-lung übertragen. Dazu wandte ich mich nach ausführlicher Recherche über für Büro-räume passende Pflanzen an die mir von Fachleuten empfohlene Firma "Mohr-Hydro" in München. Diese beriet mich auch mit einer unverbindlichen Ortsbesichti-gung ausführlich und gewährte für die ausgewählten Pflanz-Arrangements auchzweistelligen Rabatt.Die Pflanzen ließ ich "just in time" anliefern, da sie sozusagen als Möbelstücke sofortmit einbezogen wurden. An einem Wochenende (um den laufenden Betrieb nicht zustören) Anfang Juni setzte ich das "Möbelrutschen" um:Der Empfangsbereich wurde großzügiger angelegt, mit dem Informationsbereichkombiniert und deutlicher vom Arbeitsbereich getrennt. Der mittige Durchgang wurdegeschlossen, um ein von "Laufkundschaft" ungestörtes Arbeiten im hinteren Teil desRaumes zu ermöglichen. Es wurden zwei Info-Pinwände montiert, um die Aushängean der Glastür des Eingangs entfernen zu können. Der klare Einblick beim Betretendes Lehrstuhls ist wieder möglich. Die Präsentationswand des Lehrstuhls dient nunihrem eigentlichen Zweck der Eigenwerbung an unübersehbarer Position. Der Besu-cher wird durch die Anordnung auch gleich zum Sekretariat als erste Anlaufstellegelenkt.Ein separater Kommunikationstreff für kleine Besprechungen wurde angelegt, wofürein elektrisch höhenverstellbarer Arbeitstisch der Firma Büro Concept AG zur Verfü-gung gestellt wurde. Dieser soll auch als Versuchsobjekt zur Optimierung undWeiterentwicklung dieses Produkts dienen - „Meckern“ ist also hier erwünscht. Diegraue Schrankwand mit Aktenmaterial wurde nach "Entrümpelung" und Sortierung inandere Räume verlagert, um Platz zu schaffen. Durch die nun freie Wand wirkt derRaum größer und heller. Die Bibliotheks-Schränke wurden räumlich zusammenge-fasst. Die Server wurden in einem Laborraum neu aufgestellt. Dadurch fiel der per-manente Geräuschpegel weg, was zu spontanem, positivem Erstaunen der Nutzerdes Allraums führte. Ein gut erreichbarer Multimedia-Tisch fasst nun den gemeinsa-men Drucker, den Kopierer und zukünftig einen Multimedia-PC mit Scanner und CD-Brenner für Studenten zusammen. Die Funktionsbereiche und die einzelnen Arbeits-plätze werden durch Pflanzen und Mobiliar optisch getrennt. Die Pflanzen werten dieräumliche Qualität erheblich auf und tragen zu einem spürbar angenehmen Arbeits-klima bei. Die Wandlung ist jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen, es werdendie geplanten Bilder, der RAMSIS-Wegweiser und weitere funktionelle Details schritt-weise umgesetzt.Dieses Ergebnis ist nun für jeden Besucher des Lehrstuhls sichtbar und rief bisherfast ausschließlich positive Reaktionen hervor. Besuchen auch Sie uns und machenSie sich selbst ein Bild von praktisch angewandter Ergonomie. Es hat sich zeigt, dass man mit einfachsten Mitteln bereits erstaunliche Veränderun-gen erzielen und zugleich ergonomische Grundsätze umsetzen kann. Die Erfahrung, bei Weitem nicht nur aus diesem Projekt zeigt, dass Ergonomie invielen Bereichen unseres Lebens eine bedeutende Rolle spielt, obwohl wir unsdessen nicht bewusst sind. 36

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Wissenschaft muss nicht trocken und theoretisch sein und bringt nicht nur abstrakteErgebnisse hervor, die in Tabellenwerken und für Laien meist schwer verständlichenVeröffentlichungen rezitiert werden. Der gesunde Menschenverstand birgt enormesergonomisches Bewusstsein von Natur aus.Denn Ergonomie fängt bei jedem persönlich im Kleinen an, individuell und unkompli-ziert: -wie man seinen eigenen Schreibtisch ordnet, -wie man seine Möbel im Zim-mer arrangiert, die Beleuchtung von Räumen, farbliche und akustische Eindrücke, -welche Umgebung man spontan als angenehm empfindet…Denken Sie beim nächsten Aufräumen daran. Viel Vergnügen.

Der „alte Allraum“

Der „Allraum“ in digitaler Planung, links räumliche Darstellung,rechts Grundriß.

Der neue „Allraum“

Gesamtansicht vom Eingang aus,dahinter der Arbeitsbereich derStudenten und der Blick zum Eingang

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Veröffentlichungen am Lehrstuhl 2003 / 2004

Vereczkei, A., Feussner, H., Negele, T., Fritzsche, F., Seitz, T., Bubb, H., Horváth,Ö.P., "Ergonomic assessment of the static stress confronted by surgeons du-ring laparoscopic cholecystectomy", Surg. Endosc. 18, p. 1118 - 1122, 2004

Seitz, T., Bubb, H., Feussner, H., Fritzsche, F., Schneider A., Marcos, P. undVereczkei, A., "CAD-gestützte Arbeitsplatzauslegung im Operationssaal", In:Tagungsband zum 50. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, 25.- 26. März, Zürich, 2004

Seitz, T., Marcos, P., Rodriguez-Flick, D., Vereczkei, A., Wichert, A., Bubb, H. undFeussner, H., "Ansätze zur Analyse und Verbesserung einesOperationsarbeitsplatzes in der minimal-invasiven Chirurgie", Z. ARB. WISS.(58), 3, S. 227 - 231, 2004

Wichert, A., Marcos-Suarez, P., Vereczkei, A., Seitz, T., Bubb, H., and Feussner, H.,"Improvement of the Ergonomic Situation in the Integrated Operating Roomfor Laparoscopic Operations", In: Proceedings of the Conference onComputer Assisted Radiology and Surgery, June 23 - 26, Chicago, 2004

Schröder, F. und Seitz, T., "Verbesserte Ergonomie durch Schwenksitz", LindeTechnology, Heft 1, 2004

Uhr, M., Seitz, T. und Bönisch, B., "Networking for Ergonomists - PhD-Rotary Storygoes on", In: Tagungsband zum 50. Kongress der Gesellschaft fürArbeitswissenschaft, 25. - 26. März, Zürich, 2004

Riechelmann, E., Zöllner, R., Vollerthun A. (2004). Process Optimization andInnovative Work Environment For Concurrent Engineering: Case Studies inthe Aero Engines Industry. Proceedings of the 1st International ConferenceVirtual Design and Automation, June, 3rd - June 4th 2004, Virtual Design andAutomation Centre (VIDA). Poznan University of Technology , Poznan,Poland.

Zöllner, R. and Rausch, H. (2004). eLearning in der Hochschule. Ein Lernmodul zurVermittlung arbeitswissenschaftlicher Inhalte am Beispiel der Gestaltung vonStellteilen zur Steuerung von Kraftfahrzeugen. In J. Pangalos, S. Knutzen, F.Howe (Hrsg.). Informatisierung von Arbeit, Technik & Bildung. Tagungsbandzur GTW-Herbstkonferenz 2004. S. 234-237. Hamburg: TU-Hamburg-Harburg.

Bubb, H. Jastrzebska-Fraczek I. (2003). Software Evaluation by the ergonomicassessment tool EKIDES. In Proceedings of 10 th International ConferenceHCI, Volume 3, Human-Centred Interaction: Cognitive, Social and ErgonomicAspects. S. 1218-1222, LEA, Mahwah, New Jersey, London.

Bubb, H. Jastrzebska-Fraczek I. (2003). Development of technical InformationProcessing with the System Ergonomic Analysis/Assessment Tool (SEATool). In Proceedings of 15th Trennial Congress of the InternationalErgonomics Association, August 24-29, 2003, Seoul, Korea.

Bubb, H. & Zöllner, R. (2003). Systemergonomische Gestaltung vonInformationsflüssen in komplexen Systemen. In H. Luczak (Hrsg.)Kooperation und Arbeit in vernetzten Welten. Stuttgart: ergonomia.

Jastrzebska-Fraczek I., Bubb, H. (2003). Ergonomic Analysis of WEB Page with SEA- Tool. In H. Strasser, K. Kluth, H. Rausch, H. Bubb (Eds.). Quality of workand products in enterprises of the future. Proceedings of the Annual SpringConference of the GfA on the occasion of the 50th Anniversary of theFoundation of the Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, 989-992. Stuttgart:ergonomia.

Jastrzebska-Fraczek I., Bubb, H. (2003). Software Design and Evaluation byErgonomics Knowledge and Intelligent Design System (EKIDES) InPsychNology Journal, Volume 1, Number 4, 378-390.

Jastrzebska-Fraczek I. (2003). Komfort des Suchens und des Findens am Beispielder Suchfunktionen in EKIDES. Ergonomie aktuell, ISSN 1616-7627,Ausgabe 4, 19-20.

Fukuda, R., Voggenberger, T., Sträter, O., Bubb, H. (2003). Analysis ofcommunication in nuclear power plant. In H. Strasser, K. Kluth, H. Rausch,H. Bubb (Eds.). Quality of work and products in enterprises of the future.Proceedings of the Annual Spring Conference of the GfA on the occasion ofthe 50th Anniversary of the Foundation of the Gesellschaft fürArbeitswissenschaft, 615-618. Stuttgart: ergonomia.

Fukuda, R., Bubb, H. (2003). Eye tracking approach for Gerontechnology, UniversalAccess in HCI. Inclusive Design in the Information Society: Volume 4 of theProceedings of HCI International 2003, 206-210.

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Fukuda, R., Voggenberger, T., Sträter, O., Bubb, H. (2003). Measuring the quality ofgroup interaction in nuclear power plant environments by using eyemovement behavior, Ergonomics in the Digital Age. Proceedings of the 15thTriennial Congress of the International Ergonomics Association and the 7thJoint Conference of Ergonomics Society of Korea / Japan ErgonomicsSociety.

Fukuda, R., Bubb, H. (2003). Analysis of web use of elderly people using eyetracking, Ergonomics in the Digital Age. Proceedings of the 15th TriennialCongress of the International Ergonomics Association and the 7th JointConference of Ergonomics Society of Korea / Japan Ergonomics Society.

Fukuda, R., Bubb, H. (2003). Eye tracking study on Web-use: Comparison betweenyounger and elderly users in case of search task with electronic timetableservice, PsychNology Journal, 1(3), 202-229.

Fukuda, R., Voggenberger, T. (2003). Group Interaction in High Risk Environments:Communication in Nuclear Power Plants (Phase 2). GRS-A-3176,Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS): Köln.

Fukuda, R. (2004). Ergonomische Gestaltung der Webauftritte - Analyse desmenschlichen Verhaltens bei der Webnutzung und darauf basierende nutzer-spezifische Vorschläge. Utz Verlag: München.

Schröder, F., Hudelmaier, J. und Seitz, T., Einfluss eines schwenkbaren Fahrersitzesauf die Ergonomie beim Rückwärtsfahren, Tagungsbeitrag zur HeidelbergerFlurförderzeug-Tagung des VDI, 11.-12. März, Heidelberg, 2003.

Mergl, C. (2003). Method and apparatus for predicting seat discomfort. In H.Strasser, K. Kluth, H. Rausch, H. Bubb (Eds.). Quality of work and productsin enterprises of the future. Proceedings of the Annual Spring Conference ofthe GfA on the occasion of the 50th Anniversary of the Foundation of theGesellschaft für Arbeitswissenschaft. Stuttgart: ergonomia.

Mergl, C. (2003). Entwicklung eines Finite-Elementmodells des Menschen anhandvon 3D-Scannerdaten zur Prognose des Sitzkomforts, Ergonomie aktuell,ISSN 1616-7627, Ausgabe 4, 13-15.

H. Strasser, K. Kluth, H. Rausch, H. Bubb (2003). Quality of work and products in en-terprises of the future. Proceedings of the Annual Spring Conference of theGfA on the occasion of the 50th Anniversary of the Foundation of theGesellschaft für Arbeitswissenschaft. Hrsg:Helmut Strasser, Kluth, Karsten,Rausch, Herbert, Bubb, Heiner. Stuttgart: ergonomia.

Seitz, T., "Videobasierte Messung menschlicher Bewegungen konform zumMenschmodell RAMSIS", Dissertation, Technische Universität München,2003. (PDF-File)

Seitz, T., "Diskomforteinfluß auf die reale Hüftpunktlage", Ergonomie aktuell, ISSN1616-7627, Heft 4, 2003

Seitz, T., Garcia-Gil, H., Stüdeli, T. and Menozzi, M., Digital image processing for thedetermination of body movements in young children, In: Proceedings of theInternational Spring Conference on Occasion of the 50th Annivarsary of theFoundation of the Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V., Munich, May7th-9th, 2003

Bönisch, B., Seitz, T. und Krueger, H., Networking for Ergonomists - A new PhD-Rotary-Program, In: Proceedings of the International Spring Conference onOccasion of the 50th Annivarsary of the Foundation of the Gesellschaft fürArbeitswissenschaft e.V., Munich, May 7th-9th, 2003

Zöllner, R. (2003). Analysis of communication-processes in the development ofcomplex products. In H. Strasser, K. Kluth, H. Rausch, H. Bubb (Eds.).Quality of work and products in enterprises of the future. Proceedings of theAnnual Spring Conference of the GfA on the occasion of the 50thAnniversary of the Foundation of the Gesellschaft für Arbeitswissenschaft.Stuttgart: ergonomia.

Zöllner, R. (2003). Komfortempfinden und Nutzungsmotivation für dasWissensmanagement. Ergonomie aktuell, 4, 16-17.

Riechelmann, E., Vollerthun, A., Zöllner, R., Fenske, P. (2003). Optimierung derverteilten Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen. In E. Riechelmann ,C. Steiner, A. Vollerthun, R. Zöllner, A. Dietz, P. Fenske , M. Spieck, J. Hagg.,P. Kreilkamp (Hrsg.). Pilotprojekt "Entwurf komplexer Produkte in verteiltenEntwicklungsumgebung", pp. 7-44. München: DLR.

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Innenminister Dr. G. Beckstein, FrauSonja Ströbl, Dr.-Ing. M. Schweigertund Prof. Dr. Otto Meitinger bei derVerleihung

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Dr.-Ing. Manfred Schweigert erhält Joseph-Ströbl-Preis 2003

Seit 1991 werden jährlich drei Förderpreise der Joseph-Ströbl-Stiftungvergeben. Das Preisgeld von 10 000 Euro teilen sich immer ein Mediziner,ein Verkehrstechniker und ein Journalist. Die Preisträger 2003 waren Dr.Erwin Stolpe, Arzt der Luftrettung in Harlaching, Manfred Schweigert, derAblenkungen beim Blick des Autofahrers untersuchte, und Rita Bourauel,die Leiterin des Verkehrswacht-Magazins "mobil und sicher". Dr. Manfred Schweigert, Entwicklungsingenieur bei BMW Forschung undTechnik, bis vor kurzem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fürErgonomie der TUM in Garching (Prof. Heiner Bubb), erhielt den mit 2 500Euro dotierten Preis der Joseph-Ströbl-Stiftung im Bereich Verkehrstechnik.Die Auszeichnung wird jährlich vom Bayerischen Innenministerium fürherausragende Leistungen auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit ver-geben. Schweigert arbeitet auf dem Gebiet des Fahrerblickverhaltens und dessenBeeinflussung durch optische und akustische Nebenaufgaben. Seine wissenschaft-lichen Arbeiten bieten tiefere Einblicke in das Verhalten des Fahrers. Diese Erkennt-nisse erlauben, die Bedienung von Assistenzsystemen und Zusatzaufgaben imFahrzeug unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit zu bewerten. Damit liefern sieeinen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung solcher Systeme.

Prof. Heiner Bubb fasste in seiner Laudatio die Verdienste Schweigerts mit denWorten zusammen: "Herr Schweigert hat eine umfangreiche Arbeit über das Fahrer-blickverhalten vorgelegt, welche das Wissen auf diesem Gebiet bedeutend voran-getrieben hat. In internationalen Vorträgen hat er damit auch schon Aufsehen erregt."Und: "Die neuen Ergebnisse bezüglich der Blickabwendungen und derresultierenden Fahrfehler werden die weitere Forschung wie auch die Beurteilungvon Fahrerassistenz-Systemen beeinflussen wie auch das vom Autor erarbeiteteSchalenmodell der Kompensation von Aufmerksamkeitsentzug. Ich freue mich, dass ihm der Ströbl-Preis des Jahres 2003 verliehen wird undgratuliere dazu ganz herzlich."Dem kann sich das Lehrstuhlteam nur uneingeschränkt anschließen!

Gesellschaft für Arbeitswissenschaft verleiht Goldene Ehrennadel

Der Präsident der GfA, Herr Prof. Dr. Ekkehard Frieling verlieh Herrn Prof. Dr. HeinerBubb anlässlich der GfA-Frühjahrskonferenz in Zürich die Goldene Ehrennadel fürseine 28-jährige GfA-Mitgliedschaft. Urkunde und Ehrennadel konnte Prof. Bubb infolge weiterer Terminverpflichtungenleider nicht persönlich in Zürich entgegen nehmen. Wir gratulieren Ihm für seine Treue und sein unermüdliches Engagement.

Nachruf für Prof. Dr. med. Dr.-Ing. Wilfried Diebschlag

Dr. Florian Heidinger

Wilfried Diebschlag, Jahrgang 1938, absolvierte drei Hochschulstudien:Bauingenieurwesen an der TH Darmstadt (Vordiplom) und TH München (Diplom),Arbeits- und Wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium (TH München) undHumanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München.Entsprechend dieser einerseits technisch-wirtschaftswissenschaftlichen und anderer-seits medizinischen Ausrichtung war es nur folgerichtig, dass sich Wilfried Diebschlagauch einem Arbeits- und Forschungsgebiet zuwandte, das an der Nahtstelle der tech-nischen und medizinischen Wissenschaften angesiedelt ist. Viele Jahre war er beiProfessor Müller-Limmroth am Institut für Arbeitsphysiologie der Techn. Univ. Mün-chen tätig. Hier folgten auch die Promotionen zum Dr.-Ing. und Dr.med. mit arbeits-physiologischen Fragestellungen sowie die Habilitation für angewandte Physiologie.Parallel dazu ab-solvierte er die Facharztausbildung zum Arzt für Arbeitsmedizin undwurde 1983 zum apl. Professor ernannt. Nach der Emeritierung von Professor Müller-Limmroth und der Auflösung des Instituts für Arbeitsphysiologie war Professor WilfriedDiebschlag dann am Lehrstuhl für Ergonomie der TU München tätig, der seinerzeitvon Professor Schmidtke geleitet wurde. An diesem Lehrstuhl, dessen Leitung

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zwischenzeitlich von Professor Bubb übernommen wurde, war er dann auch biszum Ende seiner beruflichen Tätigkeit im Jahr 2003 aktiv. Professor Diebschlag musste seine beruflichen Aktivitäten aus gesundheitlichenGründen vorzeitig beenden und verbrachte im Ruhestand das letzte Jahr gemein-sam mit seiner Frau und seiner Tochter bei Klagenfurt in Österreich.

Die zentrale Leidenschaft von Herrn Professor Diebschlag lässt sich direkt aus sei-nen beruflichen Aktivitäten ableiten: In erster Linie beschäftigten und faszinierten ihnFragestellungen an der Schnittstelle zwischen den medizinischen und der techni-schen Wissenschaften, wobei er darauf Wert legte, auch Fragen der wirtschaftlichenMachbarkeit einzubeziehen.Diese interdisziplinäre Denkweise prägte sein berufliches Lebenswerk. Dazu kam,dass sich Wilfried Diebschlag nicht nur aktuellen Standardthemen zuwandte, son-dern insbesondere auch oftmals wenig beachtete, aber dennoch wichtige Themenaufgriff. In seinen ersten Forschungsarbeiten beschäftigte er sich mit der menschge-rechten Gestaltung von Bekleidung, insbesondere Arbeitskleidung. Hier betrieb erGrundlagenuntersuchungen zur Frage der menschlichen Schweißsekretion und dendaraus resultierenden Anforderungen an den Wärme- und Feuchtetransport durchdie einzelnen Bekleidungsschichten, wobei er sich insbesondere auch dem Funkti-onssystem Fuss -Schuh zuwandte. Er war einer der Pioniere, die sich mit der gesundheitlichen Problematik der sitzen-den Körperhaltung und den daraus resultierenden Anforderungen an die Gestaltungvon Sitzmöbeln, insbesondere von Bürostühlen und Kfz-Sitzen, systematisch ausei-nandersetzte. Gerade auch im Bereich der Sitzgestaltung forschte Professor Dieb-schlag nicht `für die Schublade`, sondern er konnte durch seine vielfältigen Kontaktezur Industrie erreichen, dass die Erkenntnisse aus der Forschung auch tatsächlicham Produkt umgesetzt wurden. Seine Untersuchungsergebnisse gingen auch in all-gemeine Prüfstandards zur Bewertung von Sitzmöbeln unter ergonomischen Aspek-ten ein. Neben der sitzenden Körperhaltung und der damit verbundenen Gestaltung von Sit-zen befasste sich Professor Diebschlag auch mit der stehenden Körperhaltung undder Gestaltung von Schuhen sowie der liegenden Körperhaltung und der Gestaltungvon Liegesystemen, wobei jeweils biomechanische und mikroklimatische Aspekte imVordergrund seiner Betrachtungen standen.Weitere wesentliche Forschungsbereiche von Herrn Diebschlag waren pharmakolo-gische Fragestellungen sowie die Thematik "Hausstaub- und Nahrungsmittelaller-gien" - wie überhaupt das Thema "Ernährung als zentrale Leistungsvoraussetzung,insbesondere die Nahrungsergänzung" ein über Jahre hinweg immer wieder be-leuchteter Ansatz in seiner Arbeit war.

In den letzten Jahren seines beruflichen Wirkens konnte Professor Diebschlag seinevorangegangenen Aktivitäten zusammenführen, und zwar bei der Bearbeitung desbekanntermaßen sehr komplexen Themenbereichs "Maßnahmen zur betrieblichenGesundheitsförderung": Von der richtigen sitzenden und stehenden Körperhaltung ineiner ergonomisch sinnvoll gestalteten Arbeitsumgebung tagsüber hin zur richtigenKörperlagerung für maximale Erholung nachts - bei gleichzeitig gezielter Ernäh-rungsweise und physiologisch optimierter Arbeitskleidung - um nur einige wesentli-che Aspekte hervorzuheben. Dabei arbeitete er auch immer daran den Nachweis zuführen, dass betriebliche Gesundheitsförderung auch unter wirtschaftlichen Aspek-ten richtig ist ("Return on Investment").

Wichtig war ihm bei seinen Arbeiten immer, dass er sich nicht mit qualitativen Aus-sagen wie "größer oder kleiner, dicker oder dünner" - wie er es selbst formulierte -zufrieden geben wollte, sondern er forderte "mit Maß und Zahl" unterlegte quantitati-ve Aussagen. Diesem Anspruch wurde Professor Diebschlag unter anderem auchselbst dadurch gerecht, dass er unzählige Zahlen, Daten und Fakten aus dem medi-zinischen und technischen Bereich parat hatte. Mit dieser Vielzahl und Vielfalt anverfügbaren Informationen beeindruckte Professor Diebschlag seine Zuhörer, egalob Kollegen, Studenten oder auch wissenschaftliche Laien: So war der technischvorgebildete Zuhörer in aller Regel überrascht von den medizinisch-physiologischenBezügen, die er herstellte, während der eher medizinisch orientierte Gesprächspart-ner oftmals über die technischen Ausführungen staunte.Es ist nicht möglich, alle Aktivitäten von Professor Diebschlag an dieser Stelle zubenennen, nur die wesentlichsten wurden angesprochen. Dennoch mag dasBeschriebene einen Eindruck von seiner Leidenschaft und Produktivität vermitteln,mit der er sich seiner Arbeit widmete. Vieles von dem, was er begonnen und vermittelt hat, wird von den Zuhörern seinerzahlreichen Vorträge und Vorlesungen, den Lesern seiner Bücher und Aufsätzesowie auch den Kollegen und Mitarbeitern, die er für "seine" Themen begeisterte,fortgeführt werden. 41

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Unsere frischgebackenen Doctores:

Im Laufe des vergangenen Jahres konnten vier Doktoranden des Lehrstuhlsihre Doktorprüfung mit Erfolg ablegen. Wir gratulieren!

Frau Dr. rer. nat. Ryoko FukudaErgonomische Gestaltung der Webauftritte -Analyse des menschlichen Verhaltens bei derWebnutzung und darauf basierendenutzerspezifische Vorschläge

Herr Dr. rer. nat. Thomas SeitzVideobasierte Messung menschlicher Bewegungen konform zum Menschmodell RAMSIS

Herr Dr.-Ing. Robert RasslAblenkungswirkung tertiärer Aufgaben im Pkw –Systemergonomische Analyse und Prognose

Außerdem gratulieren wir dem stolzen Papa zurglücklichen Geburt einer Tochter am 10. 10. 04

Herr Dr.-Ing. Pei-shih HuangRegelkonzepte zur Fahrzeugführung unterEinbeziehung der Bedienelementeigenschaften

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Im Rahmen der Zusammenarbeit mit INI.TUM heißen wir als Mitarbeiter am Lehrstuhl herzlich willkommen: Dipl.-Psych. Heike Sacher, Dipl.-Psych. Stephan Hummel und Dipl.-Ing. Marcus Schneid.

Im Laufe des Jahres stießen zu uns als neue Mitarbeiter am Lehrstuhl: Dipl.-Ing. Martin Wohlfarter, Dipl.-Ing. Christian Lange und Dipl.-Ing. Ulrich Bergmeier. Als Gastwissenschaftler für einJahr begrüßen wir Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jae-Woo Yoo aus Korea, der sich im Besonderen mit dem Thema„Ergonomie für Menschen mit Behinderungen“ auseinandersetzt.

Wir wünschen allen neuen Kollegen viel Erfolg und gutes Gelingen ihrer Projekte und Arbeiten.

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Ergonomische Gestaltung der Webauftritte - Analyse des menschlichen Verhaltens bei derWebnutzung und darauf basierende nutzerspezifische Vorschläge

Dr. rer. nat. Ryoko Fukuda

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der ergonomischen Gestaltung von Webauftritten. Das WWW hatsich in den letzten zehn Jahren schnell verbreitet. Am Anfang wurde es nur in beschränkten Berei-chen wie in der Informatik genutzt und war hauptsächlich Fachleuten zugänglich. Mittlerweile hat sichjedoch das WWW einer breiten Bevölkerungsschicht erschlossen. Das Profil der Nutzer (Alter, Berufusw.) und der Zweck der Nutzung sind dabei sehr unterschiedlich. Um für alle Leute einfach bedien-bare Webseiten zu gestalten, müssen zuerst die Verhaltensmuster bei der Webnutzung erfasstwerden. Die Webnutzung von Senioren ist daher ein neues Thema. Diese Arbeit soll dazu beitragen,die Ansprüche der Senioren aufzuzeigen und Gestaltungshinweise zu geben. Gleichzeitig wird derUnterschied zwischen Anfängern, die ebenso wie Senioren "schwach" bei der Nutzung sein können,und erfahrenen Nutzern analysiert, wodurch die Empfehlung zu einer "für alle Leute guten Gestaltung"der Webauftritte möglich wird. In diesem Themengebiet wurden bisher nur wenig ergonomische Untersuchungen durchgeführt. Vondaher hat diese Arbeit auch in diesem Punkt eine große Bedeutung. Das menschliche Verhalten wirdnach verschiedenen Aspekten beobachtet, womit der Einfluss der Webgestaltung auf die Informa-tionssuche im WWW erklärt wird. Eine Kombination von objektiven und subjektiven Bewertungskri-terien sorgt für eine überzeugende Auswertung der Untersuchung. Aus den durch die Untersuchungfestgestellten Problemen werden dann Gestaltungsempfehlungen formuliert. Die Empfehlungen unterergonomischen Gesichtspunkten können zur benutzerfreundlichen Gestaltung eines Webauftrittssicherlich beitragen.Durch die oben genannten Aufgaben wird diskutiert, wie "Ergonomie für Senioren" verwirklicht werdenkann. In der heutigen alternden Gesellschaft werden "seniorengerechte" Technologien, Produkte,Einrichtungen und Umgebungen benötigt. Diese Arbeit soll die Möglichkeit und Wichtigkeit der Ergo-nomie für Senioren zeigen.

Videobasierte Messung menschlicher Bewegungen konform zum Menschmodell RAMSIS

Dr. rer. nat. Thomas Seitz

Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein Ansatz unter Verwendung des Menschmodells RAMSIS ent-wickelt, um auf Basis von Videobeobachtungen, Bewegungen des Menschen dreidimensional zu mes-sen. Ausgehend von biologischen Prinzipien der Bewegungserkennung wurde ein modellbasiertesVerfahren erarbeitet, das - ohne eine Präparierung der Versuchsperson mit Markern - Bewegungenerfassen kann. Das System arbeitet zur Bildgewinnung mit Standardvideotechnik. In die digitalisiertenBildsequenzen wird nach einer Kalibrierung ein individuelles und dreidimensionales Modell projiziert.Dadurch werden Modellbereiche mit Bildbereichen assoziiert und durch Detektieren von Bildverände-rungen kann die Bewegung des Probanden in eine Bewegung des Modells überführt werden. Mit Hilfedieses Ansatzes können konform zum verwendeten Menschmodell Bewegungsdaten ohne physischeBeeinflussung des Probanden erhoben werden. Somit wird die Messung ungestörter Bewegungenmöglich.

Auf Grundlage dieser Arbeit können in Zukunft Haltungs- und Bewegungsmessungen konform zumMenschmodell RAMSIS einfacher und schneller durchgeführt werden. Damit ist eine Erleichterung derForschungen auf dem Gebiet des Human Modeling, insbesondere der Modellierung von Bewegun-gen, erreicht worden. Dieser Ansatz erlaubt es modellbasiert und ohne Verwendung von Markern dieBewegung von Menschen zu messen. Daher werden die Probanden in keiner Weise bei ihrerBewegung behindert oder eingeschränkt, wie dies bei Markersystemen der Fall ist - ungestörte Bewe-gungen können beobachtet werden. Aufgrund der nicht zwingend nötigen Präparierung von Proban-den können außerdem wesentlich mehr Versuche pro Zeiteinheit durchgeführt werden, als dies heuteder Fall ist.Die Kopplung von Videoaufnahmen an das Menschmodell RAMSIS erlaubt eine Reihe nützlicherInterpretationen der gemessenen Haltungen, die ergonomische Untersuchungen erleichtern. So könn-ten beispielsweise mit Hilfe des Systems dynamische Arbeitplatzuntersuchungen durchgeführt und mitHilfe der Haltungsinformationen im Sinne der in der Ergonomie etablierten OWAS-Methode analysiertwerden. Ferner können mit Hilfe des individuellen Menschmodells kinematische Aspekte einer Be-wegung untersucht werden, so dass z.B. aus den Trägheitstensoren einzelner Körperelemente undden gemessenen Bewegungsbahnen die dynamischen Belastungen des Körpers ermittelt werdenkönnen (Zauner [80]). Ein weiteres Entwicklungspotenzial stellt die Onlinefähigkeit dar, so dass z.B.der Einsatz in Virtual Reality Umgebungen in Frage käme oder allgemein beim Visualisieren vonnatürlichen Bewegungen, wie es für die Produktions- und Produktplanung nötig ist. Heute werden dortTracking-Systeme benutzt, die ohne Modell und mit Markern arbeiten.

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Ablenkungswirkung tertiärer Aufgaben im PkwSystemergonomische Analyse und Prognose

Dr.-Ing. Robert Rassl

Die Bedienung von Nebenaufgaben im Fahrzeug bedeutet unweigerlich eine Ablenkung des Fahrers.Nebenaufgaben, die nicht direkt mit der Fahraufgabe in Verbindung stehen und ausschließlich demZufriedenstellen von Komfort-, Unterhaltungs- oder Informationsbedürfnissen der Insassen dienen, wer-den als tertiäre Aufgaben bezeichnet.Tertiäre Aufgaben im Pkw stehen anders als die primären und se-kundären Aufgaben nicht direkt mit der Fahraufgabe in Verbindung. Oberstes Ziel bei der Gestaltungtertiärer Aufgaben ist eine geringe Ablenkung des Fahrers. Zur entsprechenden Beurteilung neuerBedienkonzepte werden in der Regel Labor- oder Realversuche mit Prototypen durchgeführt. Um zukünftig diesen Aufwand reduzieren und das Ablenkungspotenzial bereits bei der Planung theore-tisch beurteilen zu können, bieten sich die systemergonomischen Gestaltungsmaximen zur metho-dischen Aufgabenanalyse und Ablenkungsprognose an. Die systemergonomische Betrachtung ermög-licht eine Soll- und Ist-Darstellung von Aufgaben, bei denen die Informationsumsetzung in Mensch-Maschine-Systemen im Vordergrund steht. Die Soll-Darstellung beschreibt das Bedienkonzept ausSicht der Aufgabe sowie des Anwenders und nimmt keine Rücksicht auf vorgesehene oder bestehendeKonfigurationen. Die Ist-Darstellung gibt die geplante oder verwirklichte Systemauslegung wieder. MitHilfe eines Soll-/Ist-Vergleichs können damit Abweichungen vom systemergonomischen Optimum de-tektiert werden.Die vorliegende Arbeit weist nach, dass mit einer systemergonomischen Analyse bereits bei der Ent-wicklung ohne aufwändige Versuche die Ablenkungswirkung zu prognostizieren und zu reduzieren ist.Neun tertiäre Aufgaben mit insgesamt 36 systemergonomisch unterschiedlichen Auslegungen werdendazu in einem Fahrzeug simuliert und in Realversuchen mit 26 Probanden untersucht. Dabei werdenmaximale Blickabwendungen von der Verkehrssituation von bis zu 16 Sekunden gemessen. Allgemeinist bei systemergonomisch schlechten Auslegungen eine signifikant größere Ablenkung festzustellen.Basierend auf den Erkenntnissen sind neun Regeln für die Gestaltung tertiärer Aufgaben formuliert, dieauch bei Fragen der Software-Ergonomie angewendet werden können.

Regelkonzepte zur Fahrzeugführung unter Einbeziehung der Bedienelementeigenschaften

Dr.-Ing. Pei-shih Huang

Die konventionellen, rein mechanischen Bedienelemente haben im allgemeinen festgelegte Über-setzungsverhältnisse und übertragen die Stellbefehle des Fahrers immer gleich. Das zwingt oft zueinem Kompromiss zwischen verschiedenen Auslegungszielen, beispielweise bei der Lenkung zwi-schen Agilität, Stabilität und Komfort für alle Fahrgeschwindigkeiten und Fahraufgaben. Dieser Ziel-konflikt kann durch die sogenannte By-Wire Technologie entschärft werden. Die Fahreigenschaften zwi-schen Fahrzeug und Straße bleiben zwar konventionell, die Vorgabe und Rückmeldung können jedochbei den neu geregelten Systemen mit der By-Wire Technologie per Software beeinflusst werden. Somitkann der subjektive Fahreindruck des gesamten Fahrer-Fahrzeug-Systems gezielt verändert werden. Inder vorliegenden Arbeit wurde untersucht, welche Vorgabe und Rückmeldung zur Fahrzeugführung amBedienelement für das gesamte Fahrer-Fahrzeug-System am besten geeignet sind. Zuerst wurdeversucht, die Korrelation zwischen subjektiven Bewertungen und objektiven Messgrößen aufzuklären.Die daraus für den Fahrer relevanten Fahrzustandsgrößen wurden für die Ableitung des passendenRegelkonzeptes verwendet. Der Bediener empfindet die Vorgabe und Rückmeldung gleichzeitig undgleichwertig, so dass sie kombiniert betrachtet werden müssen. Durch eine Vierpol-Darstellung aus derNetzwerktheorie können die Vorgabe und Rückmeldung in Beziehung gesetzt (Hannaford, 1989) unddamit auf diese Weise die Regelkonzepte zur Fahrzeugführung sehr anschaulich und systematischanalysiert werden. Verschiedene Ansätze wurden dazu gegenübergestellt. Die in der Praxis immer auf-tretende Systemverzögerung sowie der querdynamische Grenzbereich wurdenebenfalls mitberücksichtigt. Bei einem wegbehafteten passiven oder aktiven Bedienelement mit Feder-Dämpfer-Eigenschaft für dieLängsführung hat sich das Regelkonzept Kraftvorgabe zur Fahrgeschwindigkeit als günstig heraus-gestellt. Im Fall eines isometrischen Bedienelementes sollte dagegen die Kraftvorgabe proportional zurLängsbeschleunigung gewählt werden.Für die Querführung bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten eignet sich das Regelkonzept der Kraftvor-gabe zur Giergeschwindigkeit und Positionsrückmeldung aus dem Krümmungsradius und bei mittlerenund höheren Fahrgeschwindigkeiten wird das Regelkonzept mit der Kraftvorgabe zur Querbeschleuni-gung und Positionsrückmeldung aus der Giergeschwindigkeit berechnet.Somit können mit diesen hier vorgestellten Methoden neue Regelkonzepte zur Fahrzeugführung ent-worfen und bewertet werden. Die Kompromisse bei konventionellen Fahrzeugen sollten dadurchabgeschafft oder zumindest reduziert werden, sodass der subjektive Fahreindruck erhöht wird.

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