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DIGITALTRENDS LfM Ausgabe 2016 Barriere- freiheit Gaming Quantified Self Wearables

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DIGITALTRENDS LfM

Ausgabe 2016

Barriere-freiheit

Gaming

QuantifiedSelf

Wearables

Impressum

HerausgeberLandesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)Zollhof 240221 DüsseldorfTel.: 0211 - 77 00 7- 0Fax: 0211 - 72 71 70Homepage: www.lfm-nrw.deE-Mail: [email protected]

Verantwortlich für den InhaltSabrina NennstielDavid Gerl

RedaktionProf. Dr. Klaus GoldhammerDr. Katrin Penzel, Mathias Birkel, Christine LinkGoldmedia GmbH Strategy Consulting

RedaktionsschlussJuni 2016

Satz/LayoutMerten Durth, Disegno GbR Visuelle Kommunikation, Wuppertal

DruckBörje Halm

CopyrightLfM, Juni 2016

BildnachweiseTitel: Philips DesignS. 3 foxfoto, Uwe VölknerS. 5 goldmediaS. 6 Wearable Technologies AG

www.wearable-technologies.comS. 8 Pressefotos jawbone, fitbitS. 9 Alf Dahl

alfdahl.com/2014/09/runscribe-laufanalyse-2-0/S. 10 alexey_boldin/fotolia.comS. 11 Syda Productions/fotolia.com S. 12-13 gettyimages/spreephoto.deS. 14 SamsungS. 15 klesign/fotolia.comS. 15-17 greta und starksS. 16-17 peshkova/fotolia.comS. 18 Pressefoto www.bragi.comS. 18 Pressefoto www.adidas-group.com/de

INHALT

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AUFBLENDE Computer allerorten: Die Wearables rücken vorDie Zukunft des Computers liegt in seinem Verschwinden:Die Wearables kommen! 4

THEMA Fokus TechnikWearables – Wie funktionieren die eigentlich? 8

THEMA Wearables und VideoNeue Dimensionen für Bewegtbildformate. Medien mit Körperkontakt und Rundumblick mittels Sensoren 12

THEMA Wearables und BarrierefreiheitUntertitel und Audiodeskription per App – barrierefreies Kino durch Wearables 15

THEMA Wearables und AudioVom Wearable zum Hearable? Audiobasierte Wearable-Technologien 18

THEMA Wearables und GamingWearables und Gaming: keine Spielkonsole zum Anziehen 20

TREND Smart Clothing Invisibles: Wie Technologien in intelligenter Kleidung und Schmuck verschwinden 26

TREND GesundheitstrackingGesundheitstracking, Fitnessarmbänder und Co. – neue Möglichkeiten für die Versorgung? 30

TREND Quantified SelfDer Trend zur Selbstvermessung 32

PERSPEKTIVEN DatenschutzVermessen und verraten 34

NRW DIGITAL 37

PERSPEKTIVEN Die Zukunft mit WearablesVernetzte Körper: Beginnt nun das Zeitalter des Cyborgs? 38

ABBLENDE Was wurde eigentlich aus dem Virtual Boy von Nintendo?Datenbrillenhype der 90er Jahre: der Virtual Boy von Nintendo 42

KALENDER 44

Wearables sind der nächste große Schritt der Technisie-

rung des Alltags, ist sich Medienökonom Klaus Goldham-

mer sicher. Mit speziellen Funkchips und winzigen Akkus

rücken die Computer immer weiter an uns heran oder

gleich in uns hinein. So wird der Personal Computer nach

Goldhammer nun tatsächlich persönlich: Ob in Uhren,

Brillen, unsichtbar in der Kleidung oder als Implantat.

Er begründet er in seinem Artikel, warum Wearables die

Zukunft gehört.

Wearables haben gerade für behinderte Menschen einen

großen Mehrwert. In Deutschland engagiert sich Seneit

Debese des Berliner Start-ups Greta & Starks für die

Bar riere freiheit von audiovisuellen Inhalten. Ihre App

„Greta“ flüstert Audiodeskription, während „Starks“

Untertitel einspielt. Hör- und sehbeeinträchtigte Men-

schen können damit Filme auf besondere Weise genießen.

Digitaltrends LfM erfuhr im Interview, dass es demnächst

auch eine Untertitel-Brille geben soll.

Die Spiele der Zukunft kleben uns am Körper. Smart -

watches und Virtual-Reality-Brillen geben erste Ausblicke

darauf, wie Gaming und Wearables zusammenpassen. Und

Smartphones deuten heute schon an, wie das Leben in

einer Welt voll interaktiver Unterhaltungsangebote aus -

sehen könnte. Für Multimedia-Journalist Jan Bojaryn

sind Spiele der Härtetest für Wearables. Noch steht die

Branche der Wearable Games ganz am Anfang.

Hinter „Quantified Self“ stehen Menschen mit dem Streben

nach Selbsterkenntnis durch Zahlen. Die Basis dafür:

Immer leistungsfähigere Hardware und deren fortschrei-

tende Miniaturisierung. Unser Autor Arne Tensfeldt ist

Mitbegründer der deutschen Quantified-Self-Bewegung

und beschreibt aus seiner Sicht Ziele und Entwicklungen

dieses internationalen Trends zur Selbstvermessung.

Die oft als gesundheitsfördernd beworbenen Fitness tracker

und -apps haben neue Risiken. Die Daten, die sie erheben,

können auf vielfältigen Wegen bei jemandem landen, der

sie gegen die Benutzer verwendet. Dass die Geräte gehackt

werden, gehört dabei für Zeit-Online-Redakteur Patrick

Beuth noch zu den unwahrscheinlichsten Szenarien. Rele-

vanter: Wird ein Tracker- oder App-Anbieter verkauft, kön-

nen auch alle Kundendaten beim neuen Besitzer landen.

Es ist noch nicht lange her, da waren Online- und Offline-Zeiten für jeden von uns klar ab-grenzbar. Im Zeitalter von stationären Computern, Laptops und Konsolen war offensichtlich,wann wir uns im Internet bewegten und wann wir offline waren. Mit dem Siegeszug mobilerEndgeräte wie Smartphones oder Tablets begann auch der Durchbruch des allgegenwärtigenInternets. Mittlerweile tragen die meisten von uns ein vernetztes Gerät jederzeit und ständigbei sich. Kaum vorstellbar, dass wir wegen einer E-Mail heute noch nach Hause oder ins Büromüssen. Die Grenzen zwischen Offline und Online sind schon heute kaum mehr zu erkennen.

Dabei verschwinden auch physische Grenzen. Dank fortschreitender Miniaturisierung findensich vernetzte Mini-Chips nicht nur in unzählige Haushaltsgegenständen oder zukünftig auch in intelligenten Verpackun-gen, die über den Produktzustand Auskunft geben und das Mindesthaltbarkeitsdatum obsolet machen könnten. Sie findensich zunehmend auch in zahlreichen Dingen, die wir direkt an oder bald sogar in uns tragen können. Versteckt in Uhren,Brillen, Kleidung und Medikamenten oder Implantaten sollen sie unser Leben erleichtern und optimieren: Die Rede istvon Wearables.

Während Wearables in den vergangenen Jahren v. a. durch die Fitnessbranche mit zahlreichen Uhren und Trackern in allerMunde waren, ist aktuell v. a. der Fashion-Bereich ein großes Thema. Einstige, auf Technik fokussierte Konzerne wie Tele-kom oder Google drängen immer mehr in den Lifestyle-Bereich ihrer Nutzer und entwickeln Technologien zum Anziehen,sogenannte Smart Fashion oder intelligente Kleidung, bei der etwa Sakkos oder Jeans mit Hilfe von elektrisch leitendemGarn bspw. zur Bedienoberfläche für Smartphones werden.

Auch die Computerspielbranche wird durch Wearables revolutioniert: Zahlreiche Video-Spiele-Hersteller drängen 2016erstmals mit ihren Virtual Reality-Brillen auf den Markt. Ob Oculus Rift, HTC Vive oder Playstation VR – sie alle stehen nochganz am Anfang und der Kampf gegen die aufkommende Übelkeit bei der Bewegung in virtuellen 360-Grad-Räumen hatgerade erst begonnen.

Zentrale Aufgabe für uns als Landesmedienanstalt ist neben der Entwicklung digitaler Märkte und Formate auch die Auf-klärung und Information über neue Technologien und Anwendungen. Wearables sehen wir als einen weiteren innovativenSchritt auf dem Weg in die Digitalisierung. Deshalb freue ich mich, Ihnen mit der vorliegenden aktuellen Ausgabe der Digitaltrends LfM an vielen anschaulichen Beispielen zeigen zu können, wie Wearables schon heute die unterschiedlichs-ten Bereiche unseres Lebens beeinflussen.

Neben Themen wie Selbstvermessung und Gesundheitstracking durch Wearables stellen wir neueste technische Entwick-lungen im Bereich Audio, Video und Gaming vor. Wir zeigen, wie die kleinen Minicomputer auch beim Stichwort Barriere-freiheit zukünftig eine wichtige Rolle spielen können. Wir zeigen aber auch, wie sie das Thema Datensicherheit und Daten-transparenz neu entfachen.

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der spannenden Lektüre rund um das Thema Wearables.Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der LfM

EDITORIAL

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S. 19 Pressefoto www.soundbrenner.comS. 19 Pressefoto http://blog.toyota.co.uk/toyota-project-blaid-blind-visually-

impaired-peopleS. 20-25 Pressematerial der beteiligten Hersteller S. 26 Pressefoto JuneS. 26 dpa/Henning KaiserS. 27 Foto: Liselotte Fleur, Design: Pauline van Dongen NL http://www.ecouterre.com/wp-content/uploads/2015/03/pauline-van-

dongen-solar-shirt-3.jpgS. 28 Pressefoto warmX – silverSunS. 28 Pressefoto mimobaby.comS. 29 dpa/Britta PedersenS. 30-31 arrow/fotolia.comS. 30 Donghee Son and Jongha Lee www.scinexx.de/wissen-aktuell-17395-2014-03-31.html S. 31 www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/01/12/erstes-

krankenhaus-verschreibt-elektronische-tablette Proteus Digital Health

S. 31 www.wareable.com/health-and-wellbeing/bodycap-smart-pills-for-sport-2034

S. 33 www.franzbischof.deS. 34 Dolgachov/thinkstockS. 34 http://edition.cnn.com/2016/01/22/tech/koby-soto-fitbit-heartbreak/S. 35 gettyimages/John FedeleS. 36 gettyimages/Justin Sullivan/StaffS. 38-39 Composer/fotolia.comS. 38 Peter-Michael ZieglerS. 39 http://www.foxnews.com/tech/slideshow/2013/11/11/awesome-tech-cant-

buy-yet.html#/slide/xnt---nfc-implantS. 40-41 gettyimages/Mark Runnacles S. 40 Carlos Arturo TorresS. 40 University of California San DiegoS. 42-43 Eli Hodapp, Wikimedia Commons

Die vorliegenden Artikel und Meinungen der Autoren spiegeln nicht in jedem Falle dieMeinung des Herausgebers wider.

AUFBLENDE | COMPUTER ALLERORTEN: DIE W

EARABLES RÜCKEN VOR

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„Die Zukunft des Computers liegt in seinem Verschwinden“,sagte Donald Norman schon 1998 in seinem Buch „The In-visible Computer“. Dieser Vision kommen wir fast zweiJahrzehnte später immer näher. Die Hardware, mit der wiruns im Internet und durch das digitale Leben navigieren,wird zunehmend kleiner und unsichtbarer. Kein Gegenstandist mehr sicher davor, mittels IP-Adresse online erreichbarzu sein. Konsequenterweise macht das World Wide Webauch keinen Halt vor den Dingen, die wir mit, an undsogar bereits in uns tragen. So nutzen Miniaturtechnologienden Körper als Datenquelle und erlauben dem Nutzer (undvielleicht auch der Medizin- und Versicherungswirtschaft)durch Vernetzung vertiefte Einblicke, hoffentlich mitfreundlichen Absichten.

Der Computer wird allgegenwärtig. Davon sprach auchschon der US-amerikanische Wissenschaftler und InformatikerMark Weiser Ende der achtziger Jahre – zu einer Zeit, alsdie Welt noch über klobige PCs staunte, sprach er bereitsvon „Ubiquitous Computing“. Nach seiner Vision des Com-puters der Zukunft verschwinden die PCs und werden durch„intelligente“ Minigeräte ersetzt. Wir sind mit dem Weara-ble-Trend mittendrin. Komplette Computer sind bereits fürfünf Dollar erhältlich. Auch die Maße schrumpfen immerweiter, auf Daumennagelgröße und weniger.

Aufblende: Was versteht man unter Wearables?

Unter „Wearable Computing“ versteht man in erster Liniemobile Computersysteme zur Messung und Verarbeitungvon Daten. Dazu müssen diese möglichst klein sein. Zumeistwerden sie derzeit via Internet, Bluetooth oder NFC miteinem Smartphone verbunden, um die gesammelten Datenzu speichern und auszuwerten. Im Unterschied zu anderenmobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets steht beiihrer Nutzung nicht die Interaktion mit dem Gerät selbstim Mittelpunkt, sondern die Tätigkeit, die durch einWearable aufgezeichnet wird. Sie sollen ihre Nutzerbegleiten, aber nicht stören – sie sollen unauffällig sein. Dafür passen sich die Geräte dem Lifestyle ihrer Nutzer an.

Die smarten Begleiter gibt es heute in Form von Armbändernund Uhren, Brillen und Schuhen, Schmuck, aber auch alsTattoos, Kontaktlinsen oder Implantate. Shooting Starunter den Wearables war zunächst die digitale DatenbrilleGoogle Glass, um die es inzwischen stiller geworden ist.Stark verbreitet sind aber die Fitness-Armbänder von Nikeoder Jawbone. Smartwatches sind noch enger an dasSmartphone gekoppelt und können neben der Datensamm-lung eingehende Anrufe, E-Mails und Nachrichten oderNavigationshinweise anzeigen. Smart Clothing oder soge-nannte E-Textilien treiben die Wearables-Evolution voranund eröffnen weitere neue Optionen der automatisiertenDatenerfassung in der Jacke oder den Laufschuhen.

Von A wie Autotür bis Z wie Zuckerwert – Anwendungen für Wearables sind unbegrenzt

Der Einsatz von Wearables im privaten und beruflichenAlltag ist so vielfältig, wie die Technologie an sich. Wasfrüher einmal mit Hörgeräten anfing, ist heute der Fit-nessbereich. Die Gesundheitsbranche gilt als Motor desWearables-Trends. Dauerhaft am Handgelenk, in Sportswearoder Schuhen getragen, sorgen Fitness-Tracker dafür, dasswir uns stets über die Leistungswerte unseres Körpers in-formieren können. Mittels Sensoren werden bspw. Puls-frequenz, Hauttemperatur, Schrittzahl und die am Tag zu-rückgelegten Kilometer, der Kalorienverbrauch, der Blut-zuckerwert oder gar die Qualität des Schlafes gemessen.

Auch sogenannte Tech-Tattoos bzw. Bio-Wearables könnensolche Daten erfassen. Hierbei werden Sensoren zusammenmit leitender Farbe auf die Haut aufgetragen, vergleichbarmit Kinder-Abzieh-Tattoos, und die gemessenen Daten viaBluetooth oder Wifi an das Smartphone übertragen. Dabeisind die Erkenntnisse manchmal banal: Wir können unserenaltbekannten schlechten Gewohnheiten auf die Spur kom-men. Im besten Falle motiviert dies, den Tag gesünder zugestalten. Im schlechtesten Fall erfahren davon noch andere,sei es Facebook oder die eigene Krankenversicherung.

Die Zukunft des Computers liegt in seinemVerschwinden: Die Wearables kommen!Wearables sind der nächste große Schritt der Technisierung des Alltags. Mit speziellen Funkchips und winzigen Akkus rücken die Computer immer weiter an uns heran oder gleich in uns hinein. So wird der Personal Computer nun tatsächlich persönlich: Ob in Uhren, Brillen, unsichtbar in der Kleidung oder als Implantat: Wearables haben Zukunft. Im privaten Bereich, in der Freizeit, beim Thema Sicherheit oder der Gesundheitsvorsorge. Auch in den Arbeitsalltag ziehen Wearables ein. Sie befördern Trends wie die Quantified-Self-Bewegung, die Selbstvermessungdes Daseins, und revolutionieren ganz nebenbei die Computerspielbranche. Doch was ist dran am Hype um die Mini-computer am Körper?

AUFBLENDE | COMPUTER ALLERORTEN: DIE W

EARABLES RÜCKEN VOR

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Wearables fungieren aber nicht nur als reine Activity-Tracker oder Personal Trainer. Sie greifen aktiv in dasAusüben bestimmter Tätigkeiten und damit auch direkt inunsere Gesundheit ein: Zur Vorbeugung von Rückenschmer-zen scannen z.B. Sensor-Gurte die Körperhaltung ihrerTräger. Sie erkennen, ob und wie ein Nutzer sitzt, stehtoder liegt. Sobald der Gurt eine ungünstige Position re-gistriert, meldet er sich, sodass der Nutzer sich wiederaufrichten kann.

Die Technik verschmilzt dabei immer mehr mit den Dingenselbst: Mode- und Schmuckdesigner sind dabei, dasAussehen von Wearables so zu gestalten, dass diese kaummehr sichtbar in unserer Kleidung und in Accessoires in-tegriert sind. So warnen bspw. Armreifen schon mit ein-gebauten Sensoren zur Messung von UV-Strahlung vordem drohenden Sonnenbrand. Auch auf dem Gebiet dersogenannten „Smart Fashion“ kommt immer mehr funkti-onserweiterte Sportswear auf den Markt, die der Kontrollebestimmter Körperfunktionen dient (siehe Seite 26).

» Der vernetzte Körper ist keine Utopiemehr, erste „Body-Hacker“ sind längstunter uns. «

Zunehmend erleichtern Wearables aber auch unserenAlltag: Video-Brillen navigieren uns über die in das Blickfeldeingeblendeten Wegbeschreibungen. T-Shirts mit inte-grierten Solarzellen zum Aufladen mobiler Endgeräte gibtes bereits. Bewegungssensoren in Ringen machen denFinger zum drahtlosen Zeigegerät für Smart-TVs oder Com-puter. Armbanduhren oder Laufschuhe lassen sich beiVerlust via GPS-Tracker auffinden und damit auch ihre(minderjährigen) Träger. Smarte Strampelanzüge sindkonsequenterweise die Babyphones von heute. Nicht zuletztöffnen unter die Haut implantierte Chips bereits Woh-nungs- und Autotüren, identifizieren ihren Träger in Si-cherheits- und Schließsystemen oder regeln einfach nurdie Temperatur im Wohnzimmer. Der vernetzte Körper istkeine Utopie mehr, und erste „Body-Hacker“ sind längstunter uns (siehe Seite 38).

Quelle: Goldmedia Analyse | © Goldmedia 2016

Ø A N Z A H L V E R N E T Z T E R G E R Ä T E P R O H A U S H A LT I N D E U T S C H L A N D 2 0 0 0 - 2 0 2 0

Auf dem Weg zum allgegenwärtigen Internet

2000

0,5 0,7 0,6

0,8

1,9

0,8

0,7

0,2

0,9

0,5

0,9

0,4

0,6 1,4

0,4

1,1

2,3

1,8

1,4

1,1

13,5

2,1

2 0 05 2010 2015 2020

IoT-Geräte

Laptops

Smart TVs

Tablets

Smartphones

PCs

VernetzteSpielekonsolen

Wearables

10:00

2 0 1 5 = Ø 7 , 3 V E R N E T Z T E G E R Ä T E P R O H A U S H A L T2 0 2 0 = Ø 2 3 , 7 V E R N E T Z T E G E R Ä T E P R O H A U S H A L T

Der Einzug des Internets in unseren Alltag: Im Jahr 2020 hat ein deutscher Haushalt im Durchschnitt schon mehr als 20 vernetzte Geräte.

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VR-Produkt dieser Dekade war der 1995 von Nintendo ein-geführte Virtual Boy (siehe Seite 42). Ähnlich wie heutesah es damals für einige wenige Jahre ganz danach aus,als würden Wearable-Technologien in den Massenmarktvorstoßen.

Doch die damaligen Geräte brauchten sehr teure Hardware,waren umständlich und langsam. Die Technik war nochnicht ausgereift und von Vernetzung keine Rede. Dank derfortschreitenden Miniaturisierung, durch die auf immerkleineren Chips immer größere Datenmengen gespeichertwerden können, des schnellen Internets und der flächen-deckenden Verfügbarkeit von Smartphones ist es möglich,dass Wearables heute einen neuen Massenmarkt begründen.Die Routine und Regelmäßigkeit, mit der die meisten Men-schen ein elektronisches Gerät wie das Smartphone ständigbei sich tragen, senkt die Hemmschwelle gegenüber dieserTechnik zusätzlich.

Wie weit ist der Weg zum massentauglichen Universalbegleiter?

Die Prognosen der Analysten bescheinigen Wearables einbeachtliches Marktpotenzial. 2016 sollen bereits 94Millionen Wearables allein aus dem Segment Fitness (u.a.Armbänder, Brustgurte, Sportuhren) weltweit verkauftwerden (Gartner, 2016). Das größte Verbreitungspotenzial

Auch ins Arbeitsumfeld drängen Wearables: Größter Vorteilist der Abruf von Arbeitsinformationen über eine Sprach-funktion oder die grafische Anzeige in einer Brille vor allembei Reparatur-, Montage- und Produktionsabläufen, zumBeispiel in der Automobilindustrie. Mitarbeitern werdenSchritt-für-Schritt-Anweisungen durch die Brille direkt vordie Augen projiziert; sie können per Video den Rat vonKollegen einholen, wie zum Beispiel das Auto montiertwird oder wo passende Teile im Lager zu finden sind.

Wearables sind nicht neu. Schon in den 60er Jahren ging es los

Wearables sind keine Erfindung der 2000er. Bereits seitMitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden viele ver-schiedene Wearables ausprobiert. Bspw. entwickelten dieUS-amerikanischen Mathematiker Edward Thorp und ClaudeShannon Mitte der 1960er Jahre einen zigarettenschach-telgroßen Computer, um Vorhersagen beim Roulettespielzu treffen. HP brachte bereits 1977 mit der HP-01 Taschen-rechnerruhr die erste Smartwatch auf den Markt. Damalswurden auch die ersten Prototypen für VR-Brillen entwickelt.

Diese frühen Gehversuche in der virtuellen Realität mögenzwar noch eher freakige Forschungsprojekte gewesen sein.Sie lieferten aber die Grundlagen für den ersten Daten-brillen-Hype in den 1980er und 90er Jahren. Das bekannteste

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wird den Smartwatches zugeschrieben. Hier werden für2016 rund 50 Millionen verkaufte Geräte und ein weltweiterUmsatz von 11,5 Milliarden US$ prognostiziert.

Folgt man diesen Einschätzungen, so werden 2017 – sechsJahre nach dem Launch von Fitbit und vier Jahre nachdem Marktstart der Apple Watch – rund 180 Millionen Wearables weltweit verkauft werden. Vergleicht man diesallerdings mit den Verkaufszahlen von Smartphones imJahr 2013 – sechs Jahre nach dem Markteintritt von ApplesiPhone – kann von einem massiven Kassenschlager nochnicht so recht die Rede sein: Damals wurden knapp eineMilliarde Smartphones verkauft.

und 360Grad-Videos massenmarkttauglich zu machen,denn die Zielgruppen im Entertainment-Sektor sind attraktivund hungrig auf Neues. Aber auch hier wird der Erfolgvom Marketing und einem attraktiven Preis abhängen.

Welche Produkte und Technologien zukünftig die Nase vornhaben werden und ob tatsächlich unsere gesamte Umwelt„versmartet“ wird, entscheidet sich letztendlich auch ander Datenschutzfrage. Die Forderung, Datensammlung, -verarbeitung und -speicherung transparenter zu gestaltenbzw. zu regeln, steigt mit der zunehmenden Verbreitungvon Wearables.

Noch werden potenzielle Nutzer durch ihr Datenschutz-Bedürfnis vom Kauf eines Wearables möglicherweise ab-gehalten. Zu unsicher erscheint ihnen, wer wann auf per-sönliche Daten Zugriff hat. Zudem fürchten viele SmartGlasses als eine Art Überwachungskamera, die unbemerktvertrauliche Gespräche oder andere Lebensinhalte auf-zeichnet (sog. Lifelogging). In den USA existieren bereitsVerbotszonen für die Google Glass. Sie sollen verhindern,dass Nutzer unbemerkt Menschen oder Dinge filmen. Auchdie von Google bereits geblockte automatische Gesichts-erkennungssoftware rief Datenschützer aufs Programm.Den Spagat zwischen Daten sammeln und Daten schützen,den müssen Anbieter und Gesellschaft in einer Welt derWearables noch hinkriegen.

Dennoch: Es wird immer einfacher, intelligente Minicomputerdirekt an den Menschen zu bringen. Die Wearables kommen.Zu vielversprechend ist der Nutzen beispielsweise in derIndustrie, in der Gesundheits- oder Entertainmentbranche.Die „verschwundenen“ Computer werden immer leichtertragbar. Ob sie aus Datenschutzperspektive unerträglichoder für den einzelnen Nutzer erträglich sind, wird derWettbewerb zeigen.

Prof. Dr. Klaus Goldhammer

Klaus Goldhammer gründete 1998 dieGoldmedia GmbH Strategy Consulting,deren Schwerpunkt die Unternehmens-beratung im TIME-Markt ist. Seit 2011ist er zudem als Honorarprofessor für Medienökonomie an der Freien Universi-tät Berlin tätig. Der geborene Rhein -länder studierte in Berlin und LondonPublizistik und Betriebswirtschaftslehre.

Über den Autor

» Noch halten zu hohe Anschaffungs-kosten und kein überzeugender Mehr-wert viele Konsumenten vom Kauf eines Wearables ab. «

Grund dürfte sein, dass viele in den Smartwatches keinewirkliche Innovation erkennen: Zu hohe Anschaffungskostenund kein überzeugender Mehrwert halten die Konsumentenvom Kauf ab, zeigen Nutzerstudien (Kentico, 2016). Diemeisten Funktionen sind schließlich auch auf dem ohnehinvorhandenen Smartphone abrufbar. Andere kaufen dieUhr nicht, weil sie schlicht und einfach zu neu sei. Manwarte auf einen Nachfolger bzw. auf getestete Versionen,um Ärger mit fehlerhafter Software zu vermeiden. Dagegenzeigen Wearables im Bereich Gesundheit und Fitness schonjetzt ein hohes Potenzial für den Massenmarkt. Nichtzuletzt können wir mit dem Wearable auch unseren Nar-zissmus befriedigen: Eine auf Facebook gepostete Laufstreckewird gern geliked.

Ausblick: Nutzungspotenzial und Datenschutz sind die Gatekeeper

Während Smartphones und Tablets heute fest im Alltagverankert sind, müssen Wearables ihr Potenzial und ihrenEinfluss auf Arbeitswelt und Gesellschaft noch beweisen.Eine gefährliche Nähe zum Technik-Gimmick bleibt vorerst.Zudem sind derzeit die meisten Hersteller noch mit teurenObjekten auf dem Markt, die eher Early Adopter und Tech-nikbegeisterte ansprechen. Mit zunehmender Entwicklung,sinkenden Preisen und nutzungsorientierten Anwendungenwird die Bereitschaft der Konsumenten, sich ein Wearablezuzulegen, aber vermutlich steigen.

Auf dem Games- und Videomarkt aber bewegt sich 2016schon einiges: Viele große Hersteller gingen und gehen indiesem Jahr erstmalig mit speziellen Virtual-Reality-Brillenan den Start (siehe Seite 24). Die aktuellen Projekte OculusRift und Morpheus haben das Potenzial, virtuelle Realität

» Ob unsere gesamte Umwelt tatsäch-lich „versmartet“ wird, entscheidet sich letztendlich auch an der Daten-schutzfrage. «

THEMA | FOKUS TECHNIK

8

Nicht nur auf Technikmessen, auch im Alltag sind Wearablesimmer häufiger zu sehen. Insbesondere Fitness-Armbänderund Smartwatches, also mit dem Smartphone gekoppelteDatenuhren, zieren die Handgelenke von immer mehr Nut-zern. Dort sammeln sie Daten – je nach Modell beispielsweisedie Anzahl der Schritte, die Pulsfrequenz, die Hauttemperaturund sogar die Menge des abgesonderten Schweißes. Nachtsregistrieren die Geräte, wie oft sich die Träger umdrehen.So wird die Qualität des Schlafes ermittelt.

Smartwatches können zusätzlich noch eine Reihe vonSmartphone-Funktionen am Handgelenk des Nutzers an-zeigen. Dazu zählen etwa eingehende Anrufe, aber auch E-Mails oder andere Nachrichten. Eigene Apps bringen News-Inhalte auf die Smartwatch, auch in sozialen Netzwerkenlässt sich mit den Uhren surfen. Aktuell haben die meistenSmartwatches gegenüber Fitness-Armbändern einen Nachteilbei der Nutzungsdauer: Die Akkus der Uhren halten meistnur einen Tag, die der Armbänder bis zu einer Woche.

Wearables werden aber nicht nur am Handgelenk getragen,sondern auch auf dem Kopf: Datenbrillen wie die GoogleGlass oder Sonys SmartEyeglass projizieren Informationen

Wearables – Wie funktionieren die eigentlich?Smartwatches, Fitness-Armbänder, Datenbrillen – der Begriff „Wearable“ ist mindestens so breit gefächert wie diemöglichen Nutzungsszenarien der betreffenden Geräte. Alle sammeln mit Hilfe von Sensoren Daten – aber was ver-birgt sich eigentlich hinter dem ominösen „Daten sammeln" und wie genau werden sie gesammelt? Was passiert mitdiesen Daten und wem nützen sie letztendlich? Ein Überblick.

THEMA | FOKUS TECHNIK

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» Wearable – ein weitgefasster Begriff mit teilweise stark unterschiedlichen Ziel-gruppen. «

» Ohne Daten-Synchronisation mit Hersteller-Servern sind viele Wearablesin der Nutzung stark eingeschränkt. «

auf ein kleines Display, das der Nutzer direkt vor dem Augehat. So können etwa Richtungsanweisungen unauffälligam Rande des Betrachtungsfeldes angezeigt werden. Der-artige Brillen können auch Daten sammeln, allerdingswerden sie dazu nicht so häufig verwendet wie Fitness-Armbänder und Smartwatches – was auch daran liegt,dass Smart Glasses bisher noch nicht sehr verbreitet sind.Google etwa hat sein Modell erst kürzlich aus dem Verkaufgenommen, um eine komplett neue Version zu entwerfen.

Welche Daten werden eigentlich gesammelt?

Bei allen Betrachtungen zu Wearables spielt der Aspekt„Daten sammeln“ eine große Rolle – aber was heißt daseigentlich genau? Die meisten Wearables, besonders Fit-ness-Armbänder und Smartwatches, verfügen über zahlreicheSensoren, die auf kleinstem Raum viele Werte messen kön-nen. Dazu gehören unter anderem Lagesensoren, Magnet -messer sowie Gyrometer. Mit Hilfe dieser Bauteile lassensich unter anderem durch Bewegungen des Nutzers sowieErschütterungen beim Laufen Schritte messen oder durchgemessene Drehungen während der Nacht die Qualität desSchlafes bestimmen. Dabei registrieren die Bewegungs-sensoren des Wearables verstärkte Bewegungen währendder Nacht und interpretieren dies als Anzeichen fürunruhigen Schlaf; liegt der Nutzer still, zeichnet das GerätTiefschlaf auf. Fehlerfrei ist die Messung durch Bewegungs-sensoren nicht: Gerade bei der Schrittzählung führt einruckartiges Bewegen des Armes häufig zu Fehlzählungen.

Mit Hilfe der Schrittanzahl lässt sich auch die ungefähreEntfernung, die der Nutzer zurückgelegt hat, berechnen.Wearables mit eingebautem GPS-Empfänger haben hiereinen Vorteil, da sie mit den GPS-Daten diese Berechnungdeutlich genauer durchführen können. Barometer ermöglicheneine Höhenmessung, mit der auch die ungefähre Anzahl

der gestiegenen Treppenstufen pro Tag ermittelt werdenkann. Insgesamt bieten schon die kleinsten Fitness-Armbändermittlerweile eine recht große Bandbreite an messbarenoder zumindest interpolierbaren Variablen, die manchmalnur auf den Daten weniger Sensoren basieren.

Verarbeitet werden diese Daten meist innerhalb einer App,die auf dem per Bluetooth verbundenen Smartphone in-stalliert ist. Hier werden die Daten ausgewertet und fürden Nutzer übersichtlich dargestellt – etwa in Form vonDiagrammen. Ohne ein Smartphone können die meistenWearables zwar Daten sammeln ( je nach Modell zwischenwenigen Tagen und bis zu zwei Wochen), irgendwann musssich das Gerät aber mit einem Smartphone synchronisieren,um die Werte auszutauschen. Grundsätzlich gilt also: Ohneein Smartphone ist ein Wearable eher nutzlos.

Dies gilt besonders für Smartwatches, die nicht nur Schrittemessen und den Puls überwachen, sondern auch Benach-richtigungen anzeigen und die Verwendung von Apps er-

Auch ein mit Sensoren bestückter Schuh kann dank der Messung von Erschütterungen die Anzahl der Schritte messen.

möglichen. Zwar können auch diese in gewissem Rahmenunabhängig von einem Smartphone funktionieren – etwaum Musik abzuspielen. Und auch die Datensammlung kannbis zu zehn Tage ohne Verbindung erfolgen. Neue Datenwerden dann aber natürlich nicht mehr übertragen, sodassdas Wearable regelmäßig mit dem Smartphone verbundenwerden sollte, um die Daten zu synchronisieren und einÜberschreiben zu verhindern. Auch für Datenbrillen istdie Verbindung zu einem Mobiltelefon wichtig, da hier dieFunktionen meist noch stärker als bei aktuellen Smart-watches auf einer Verbindung zum Internet basieren. Ohne

10

diese können keine Benachrichtigungen, Routenanwei-sungen oder sonstige Inhalte angezeigt werden.

Daten werden verschlüsselt auf Servern gespeichert

Um die Datenflut auszuwerten, stellen viele Herstellervon Fitness-Wearables eigene Apps zur Verfügung. Fastimmer ist für die Nutzung der Apps ein Benutzerkontonötig, womit die Speicherung und Verarbeitung der Datenauf Servern des Herstellers verbunden ist. Dies geschiehtzwar verschlüsselt, manch einer fühlt sich aber dennochnicht wohl dabei, seine persönlichen Daten bei einemfremden Unternehmen zu speichern. Wer das nicht möchte,hat ein Problem: Die Funktion der Tracker ist dann zumeistauf ein Minimum reduziert. Auch Google bietet eine Fit-ness-App an, die die Daten vieler Fitness-Armbänder undSmartwatches auswerten und darstellen kann. Auch hierfindet natürlich eine Synchronisation mit den Google-Servern statt.

Wer sich darauf einlässt, persönliche Daten einem Unter-nehmen anzuvertrauen, kann mit Hilfe der vom Fitness-Armband oder Smartwatch gemessenen Werte seine sport-lichen Aktivitäten planen und verfolgen. Zahlreiche Appsbieten mittlerweile ganze Trainingsprogramme an, die derNutzer abarbeiten kann. Auch lassen sich nicht nur Schritte,also Laufen und Joggen, mit den Wearables aufzeichnen:Manche Geräte erkennen anhand der Bewegungen desTrägers andere sportliche Tätigkeiten, wie etwa Radfahrenoder Krafttraining.

Auch das Gesundheitswesen interessiert sich zunehmendfür die Selbsterfassung von körperlichen Daten: Sowohlmedizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser als auchKrankenkassen können von unserer Datensammelwut pro-fitieren. Zum einen im positiven Sinne, wenn beispielsweiseÄrzte bestimmte Parameter eines Pa-tienten aus der Ferne über-wachen können; zumanderen aber wäre

es durchaus problematisch, wenn Krankenkassen etwaaufgrund der Daten die Risikoanalysen ihrer Patientenneu berechnen. Derartige Szenarien sind aktuell noch Zu-kunftsmusik und klingen auch dank der Rechtslage zumindestin Deutschland wenig realistisch – je mehr sich Fitness-Tracker allerdings durchsetzen, desto wahrscheinlicherkönnte es sein, dass Versicherungen hier aktiv werden.Dem Versicherten könnten hier deutliche Nachteile ent-stehen, etwa wenn die Versicherung der Meinung wäre,dass man sich zu wenig bewegt und daher in eine höhereRisikogruppe fällt. Nach aktuellem Datenschutzrecht dürfteeine derartige Praxis nicht zulässig sein. Denkbar wäreaber, dass sich Hersteller und Versicherungen mit – häufigvon den Nutzern nicht gelesenen – AGBs absichern.

Smarte Brillen könnten die Logistik revolutionieren

Dass der Oberbegriff Wearables ein vielfältiger ist, zeigtsich auch in den Anwendungsszenarien der verschiedenenGeräte. Haben Fitness-Armbänder und Smartwatches einerecht klare, auf den Nutzer im Consumer-Bereich ausge-richtete Anwendung, ist das bei den Smart Glasses, denDatenbrillen, etwas anders. Deren zukünftiger Nutzendürfte zu einem großen Teil im professionellen Sektorliegen, also etwa in der Logistik, in der Lagerwirtschaftoder anderen Bereichen, wo bisher noch häufig auf Inven-tarlisten geschaut wird. Beim Kosmetikhersteller Baboroder beim Automobilhersteller VW ist dies heute schonRealität. Informationen werden statt auf Tablets, Laptopsoder Klemmbrettern auf dem kleinen Display der Datenbrilledirekt neben dem Auge des Mitarbeiters angezeigt.

Bei VW wird die Brille seit 2015 bei der Bereitstellung vonBauteilen eingesetzt: Dem Mitarbeiter werden alle nötigenInformationen zu verschiedenen Bauteilen angezeigt,

gleichzeitig hat er zumArbeiten die Händefrei. Da die Kamera derBrille auch den Barco-

de scannt, bekommt derTräger unmittelbar die

Rückmeldung, ob erdas richtige Teil aus-

gewählt hat. Da-rüber hinauskönnten mit Hil-fe automatisier-ter Datenauf-zeichnungen In-f o r m a t i o n e nüber den realen

THEMA | FOKUS TECHNIK

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Tobias Költzsch ist Autor bei Golem.de –eine auf IT, Technik und Wissenschaftspezialisierte Fach-Website. Hier schreibter vor allem über mobile Entwicklungen,Smart Home und Automotive. Er interes-

siert sich für alles, was mit Android läuft, und ganz gene-rell für Smartphones, Tablets und Gadgets.

Über den Autor

Ablauf manueller Prozesse gesammelt und durch derenAuswertung Fehlermuster in der Logistik schnell aufgedecktwerden.

Auch bei Reparaturarbeiten können Smart Glasses hilfreichsein: Die Arbeitsschritte wären auf dem Display zu sehen,der Träger müsste die einzelnen Schritte dann nur nochbefolgen. So ließen sich auch komplizierte Reparaturenvon Mitarbeitern durchführen, die sich mit der Materienicht auskennen. Von der Sensorik her bieten aktuelle Da-tenbrillen bereits die nötige Hardware, in Verbindung miteinem leistungsfähigen Smartphone zudem auch die er-forderliche Rechenleistung. Mit Geräten wie der GoogleGlass, die einen eingebauten Akku und keine Kabel hat,ist der Träger zudem in seiner Bewegung nicht eingeschränkt– externe Akkus am Gürtel sind bei den aktuellen Gerätennicht mehr nötig.

Privatanwender sehen sich bei der Nutzung von Datenbrillenderzeit noch zahlreichen Anfeindungen gegenüber. Nachder Markteinführung der Google Glass häuften sich dieMeldungen über Gewaltanwendungen gegen die Trägerdieser Datenbrillen. Zu misstrauisch sind viele Menschennoch gegenüber einem technischen Gadget, das irgendwanneinmal in der Lage sein könnte, mit Hilfe der eingebautenKamera Informationen über Personen im unmittelbarenUmfeld aus dem Internet zu ziehen. Auch lassen sich mitder in fast allen Smart Glasses eingebauten Kamera relativunbemerkt Videos anfertigen, was viele Menschen stört.Aus diesem Grund wurden Datenbrillen in den USA auchrecht schnell in Kinos verboten.

Die Technik wird immer kleiner und damit auch dieWearables

In der Zukunft dürften technische Komponenten weiterschrumpfen – entsprechend kleiner und auch unauffälligerwerden Wearables künftig sein. Das betrifft sowohl Fit-ness-Armbänder, Smartwatches und Datenbrillen, aberauch noch viel kleinere Formen von Geräten, etwa Anhängerohne Display. Bei entsprechend kleinerer Größe und ver-lässlicher drahtloser Ladung ist auch der Einsatz als Im-plantat denkbar – offen ist hier allerdings die Frage nachdem Auslesen der Daten. Bisherige Versuche mit Implantatenbeschränkten sich meist auf RFID-Chips, mit denen sichder Träger etwa an automatischen Türen ausweist unddiese damit öffnen kann (siehe Seite 30).

Für die meisten Hersteller von Wearables im Consumer-Bereich ist der Markt aktuell noch so interessant, dass imGrunde ständig neue Geräte veröffentlicht werden. Dietatsächlichen technischen Neuerungen sind jedoch mituntermarginal. Spannender in Bezug auf die technischen Mög-lichkeiten dürfte der Markt für Datenbrillen sein: Hier stehtdie Entwicklung noch am Anfang. Wohin die Reise in diesemBereich geht, ist aktuell noch nicht ganz absehbar.

Tobias Költzsch

» Dank kleinerer Technik werden Datenbrillen künftig im professionellen Bereichverstärkt zur Anwendung kommen. «

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einer Automarke. Seine Schriften und Ideen sind Inspirationfür technische Innovationen. Statuen und Büsten von ihmstehen in Palo Alto, am MIT in Boston, in Kroatien undSerbien – er gilt heute als Jahrhundertfigur.

Technologie wird unverzichtbar wie die Luft zum Atmen

100 Jahre sind vergangen von der ersten Formulierung biszur Akzeptanz einer Technologie im Alltag. Erste Vorläuferder Wearables kamen in den 80er Jahren in Form vonQuartz- oder Digitaluhren mit Taschenrechner in Mode.Heute sind Wearables Teil einer neuen Technologiewellemit Körperkontakt. Die Geräte mit ihren Sensoren sind Da-

„Ein preiswerter Empfänger, nicht grösser als eine Uhr,wird erlauben, überall zu hören, an Land oder zur See,wird Sprache und Musik von anderen Orten empfangen.“Der serbische Erfinder Nikola Tesla hat damit schon 1904(!) etwas beschrieben, das heute kaum aus unser allerHände wegzudenken ist. Dieses Zitat wird heute als ersteBeschreibung von Funktion und Gestalt eines Handys,Smartphones oder auch Wearables in Form einer Smartwatchinterpretiert.

Tesla (1856 – 1943) genoss um die vorletzte Jahrtausend -wende eine Art Erfinder-Popstar-Status. Er starb verarmtund vergessen, wird aber seit einigen Jahren vor allem imSilicon Valley wiederentdeckt. Tesla ist heute Namensgeber

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EARABLES UND VIDEO

12Unser Autor Kay Meseberg ist Projektleiter ARTE360 VR bei ARTE und war maßgeblich am Aufbau der inter-aktiven und bimedialen Plattform ARTE Future beteiligt. Seit 2015 verantwortet er die Aktivitäten des Sen-ders im Bereich 360°-Video und Virtual Reality und entwickelte die Plattform ARTE360 VR. Darüber berichteter in seinem Artikel zum Einfluss von Wearables auf die Welt der bewegten Bilder. Meseberg arbeitete vorARTE als Redakteur und Autor für ARD, ZDF, 3sat und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter dreiGrimme-Online-Awards.

Wenn eine jahrhundertalte Idee oder ein jahrtausendealter Traum plötzlich Wirklichkeit werden, dann ist das einefaszinierende Sache. Wearables und andere Geräte mit Körperkontakt sind die aktuelle Etappe einer technologischenEntwicklung, deren Chancen und Risiken derzeit auch im Entertainmentbereich intensiv ausgelotet werden. Der jahrtausendealte Traum von der Immersion trifft schon heute auf ein breites Interesse in allen Generationen.Der Schlüssel zu all dem sind Sensoren.

Neue Dimensionen für Bewegtbildformate. Medien mit Körperkontakt und Rundumblick mittels Sensoren

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EARABLES UND VIDEO

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tensammler und gerade in Verbindung mit einem verbundenenSmartphone Teil einer Entwicklung, bei der die Technologie– Stichwort: Internet der Dinge – immer mehr zum unver-zichtbaren Teil des Lebens wird, ähnlich der Luft zum Atmen.So zumindest die von Investoren getriebenen Träume ausdem Silicon Valley, wo ungeduldig nach dem nächstenGoldrausch „Designed in California“ geforscht wird.

Smartphone und Wearables funktionieren erst dank Sen-soren. Diese Sensoren wiederum sammeln Daten. Datenwerden als neues Öl gehandelt, als neue Ressource der di-gitalen Industrie – Chancen und Risiken inklusive. Dennder große Datenrausch hat bereits im vergangenen Jahr-hundert begonnen und tritt nun mit dem „In-Mode-Kommen“ der Wearables in eine neue, körperbezogenePhase und macht auch vor den Medien nicht halt.

Medien mit Körperkontakt

So werden auch TV- und Video-Formate zunehmend be-einflusst und können in ganz neue Dimensionen vordringen.ARTE-Programme wie etwa die Webdokureihen „Do NotTrack“, „In Limbo“ und „Big Data“ reflektieren die große

und weite Datenwelt und sensibilisieren den Zuschaueraus verschiedenen Perspektiven für das Thema. Das Da-ten-Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Erst jetztwird nach und nach begonnen, diese Datenwelt mit ihrenmultimillionen Sensoren auszuloten und für neue und in-novative Projekte zu nutzen.

Ein Beispiel sind die Arbeiten des jungen Wissenschafts-journalisten Jakob Vicari, „Journalist des Jahres 2015“des Journalisten-Magazins Medium. Beim Formatfestivaldes Medien- und Innovationszentrums in Potsdam Babels-berg gewann er zudem den ersten Platz mit seiner „Sen-sor-Live-Reportage“ (http://sensor-live-reportage.de/),bei der sich mittels Sensoren eine erfrischende und über-raschende Live-Story entwickelt.

Rundumblick mit 360° und Virtual Reality

Sehr viel stärker im Fokus stehen dagegen Bildschirme,über die sich neuartige Bewegtbildinhalte transportierenlassen – auch sie funktionieren nicht ohne Sensoren. DieAbrufe von Videos via Smartphone und Tablet steigen be-kanntlich schon seit Jahren steil an, und dank Sensoren

» Schon Walt Disney, Steven Spielberg oder Werner Herzog träumten davon, den Zuschauer komplett in den Bann einer Geschichte zu ziehen. «

können nun ganz neue Formen der Gestaltung von Video-inhalten entwickelt werden.

Und wieder steht dabei eine sehr alte Idee Pate: Die Ideevon der Immersion. Sie ist noch viel älter als Teslas Vorausblickauf Smartphone oder Smartwatch. Immersion ist das Ein-tauchen in die künstliche Welt einer Geschichte. Geträumthaben davon bereits die Erfinder des griechischen Theaters.Die Erfinder des Kinos, die Gebrüder Lumière, haben dieIdee zu Zeiten Teslas aufgegriffen, sind aber noch an denUnzulänglichkeiten der Technik gescheitert. Nichtsdestotrotzträumten ein Sergej Eisenstein, ein Walt Disney, ein StevenSpielberg, ein Werner Herzog weiter davon, den Zuschauerkomplett in den Bann einer Geschichte zu ziehen.

Heute sieht es nach einer Wiedergeburt von Virtual Realityaus – ein neuer Anlauf, Immersion technisch zu realisieren.Mit Hilfe von Sensoren lassen sich Bewegungen in real ge-filmten Orten oder virtuell erschaffenen Räumen simulieren.Das funktioniert heute auf vielerlei Art: auf dem Computer(http://arte.tv/magazine/360/de), in sozialen Netzwerken,per ARTE360-App und mit neuartigen Virtual Reality-Head-sets. Der Zuschauer steht mittels 360-Grad-Technologieplötzlich mitten in der Handlung und hat den Rundumblick.Er kann sich durch den Raum bewegen, als wäre er selbstdort, ohne den Fortgang der Erzählung zu unterbrechen.So werden auch die sonst hinter dem Kameramann ver-borgenen Ansichten für ihn jederzeit sichtbar.

360°-Video und Virtual Reality stehen für einen Wandel inder Betrachtung von bewegten Bildern und Geschichten.Der Zuschauer schaut nicht mehr nur auf einen Bildschirm,sondern befindet sich plötzlich mitten im Geschehen. Um

den Nutzer herum findet die Geschichte statt. Es entstehtder Eindruck, tatsächlich vor Ort zu sein, je nach Motivführt das zu verblüffenden und packenden Erlebnissen:Den Mont Blanc besteigen – kein Problem. Bei einer Auf-führung der Mailänder Scala dabei sein, ohne nach Italienzu reisen. Oder doch gleich in die Stratosphäre auf 42 Ki-lometer Höhe fliegen – auch das macht die Technik möglich.All das natürlich virtuell.

Gerade mit App und Headset hat der Zuschauer das Gefühl,Teil einer Geschichte zu werden – gerade dank Sensoren.Manchen begabten Regisseuren gelingt es bereits, Zuschaueraller Generationen mit immersiven Filmen so intensiv zupacken, dass den Betrachtern Augen und Münder offenstehen. Kinderkrankheiten wie Grobkörnigkeit des Bildesoder ein selten einsetzender leichter Schwindel müssennoch behoben werden. Doch es bahnen sich viele neue fil-mische Erlebnisse an, die auf eine alle Generationen um-fassende, breite Gunst treffen werden. Wie genau aber derFilm oder die Erfahrung aussehen, die das Genre definierenwird, ist noch offen: wir dürfen gespannt sein.

Kay Meseberg

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EARABLES UND VIDEO

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Kay Meseberg ist Projektleiter ARTE360VR bei ARTE und war maßgeblich am Aufbau der interaktiven und bimedialenPlattform ARTE Future beteiligt. Seit2015 verantwortet er die Aktivitäten

des Senders im Bereich 360°-Video und Virtual Reality.Meseberg arbeitete vor ARTE als Redakteur und Autor fürARD, ZDF, 3sat und erhielt zahlreiche Auszeichnungen,darunter drei Grimme-Online-Awards.

Über den Autor

Mit neuen VR-Brillen entsteht der Eindruck, tatsächlich vor Ort zu sein.

Kopfhörer zur Verfügung gestellt, die sonst nur visuellaufgenommen werden können. Die App „Starks“ stelltfür gehörlose Zuschauer ebenfalls dramaturgisch relevanteInformationen per Untertitel bereit, u.a. um auch Ge-räusche zugänglich zu machen. Beide Apps synchronisierensich mit dem Kinoton, und der Nutzer kann sich entspannt

Frau Debese, wie funktionieren „Greta“ und „Starks“genau? Die speziell für blinde Menschen entwickelte App „Greta“

liefert Audiodeskriptionen, d.h. während der Nutzer imKino oder zu Hause einen bereitgestellten Film ansieht,werden ihm wichtige Informationen der Handlung über

Untertitel und Audiodeskription per App –barrierefreies Kino durch WearablesSind für die meisten Menschen Wearables nicht zwingend notwendige, sondern zusätzlicheGeräte, die den Alltag erleich tern, können die Minicomputer für behinderte Menschen einengroßen Mehrwert darstellen. Wearables machen ihnen bestimmte Tätigkeiten überhaupterst möglich und bringen Lebensqualität (wieder zurück). In Deutschland engagiert sichSeneit Debese, Geschäftsführerin von Greta & Starks Apps UG, für die Barrierefreiheit vonaudiovisuellen Inhalten. Mit ihren Apps sowie demnächst auch mit einer speziellen Unterti-tel-Brille bietet sie Lösungen an, um hör- und sehbeeinträchtigten Menschen ein uneinge-schränktes Filmerlebnis im Kino und zu Hause zu verschaffen. Ihre App „Greta“ flüstertAudiodeskription, während „Starks“ Untertitel einspielt. Digitaltrends LfM traf sich mitihr zum Interview.

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EARABLES UND BARRIEREFREIHEIT

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Die Datenbrille, die in Kombination mit der App „Starks“ das Lesen von Untertiteln erst richtig komfortabel macht, wird wahrscheinlich

im Herbst 2016 auf den Markt kommen.

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EARABLES UND BARRIEREFREIHEIT

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zurücklehnen und den Film genießen. Die Innovationliegt darin, dass unabhängig vom Filmmedium per Appauf dem eigenen Smartphone oder Tablet Audiodeskrip-tionen bzw. Untertitel verfügbar sind. Es gäbe nochandere Möglichkeiten, Filme barrierefrei zu machen,z.B. durch die Installation von Hardware in den Kinos.Dies ist aber sehr kostspielig und aufwendig. Zusätzlicharbeiten wir im Moment an einer Datenbrille, die inKombination mit der App „Starks“ das Lesen von Unter-titeln erst richtig komfortabel machen wird, sie wirdwahrscheinlich im Herbst 2016 auf den Markt kommen.

Woher stammt die Motivation, ein Angebot für Hör-bzw. Sehgeschädigte zu entwickeln? Das Bewusstsein für dieses Problem erhielt ich, als ich

eine Reportage über eine blinde Läuferin gedreht habe.Die junge Frau wollte gerne öfter mit ihren sehendenFreunden ins Kino gehen. Das war für sie immer eine un-angenehme Situation, da ihr bestimmte Informationennicht zugänglich waren und Freunde ihr oft Dinge insOhr flüstern mussten – eine deutliche Einschränkungfür alle Beteiligten. Wenn man sonst keine Berührungs-punkte mit blinden oder gehörlosen Menschen hat, dannsind einem solche Dinge einfach nicht bewusst. Nachdieser Begegnung wollte ich Audiodeskriptionen einfacherund flächendeckend zugänglich machen. Mit der FirmaEricsson entwickelten wir dann eine erste Betaversion.Nach positiven Rückmeldungen von Anwendern habenwir dann die Technologie weiter verbessert.

Funktionieren „Greta“ und „Starks“ mit allen Filmenim Kino und auch zu Hause? Sind noch andere Einsatz-möglichkeiten denkbar? Die Apps funktionieren über alle Rezeptionskanäle,

immer wenn ein Film irgendwo läuft, also im Kino, aufDVD, auf ITunes, über VoD oder im Fernsehen. Bedingungist, dass es eine barrierefreie Fassung gibt, diese beiuns durch den Verleiher zur Bereitstellung beauftragtwurde und vorher auf das Smartphone runtergeladen

wurde. Wir wurden auch schon von Museen und Freizeit-parks angefragt, die ihren Besuchern bestimmte Filmebarrierefrei zugänglich machen wollen. Später sollen dieApps dahingehend weiterentwickelt werden, dass auchTheaterstücke barrierefrei gemacht werden können.

Um barrierefreies Kino erleben zu können, müssen dieNutzer eine App auf dem Smartphone installieren. Al-lerdings sind Smartphones für blinde Menschen heutenoch keine Selbstverständlichkeit. Wie erreichen Siedennoch ihre Zielgruppe? Smartphones sind bei blinden oder gehörlosen Menschen

schon sehr beliebt. Während früher spezielle Telefonefür blinde Menschen nötig waren, ist die Benutzungsmarter Geräte heute viel einfacher geworden. Dennbereits seit mehreren Jahren sind bei den meisten Handy-Herstellern standardmäßig Features integriert, die Bar-rierefreiheit ermöglichen. So können mittlerweile Nach-richten bzw. sämtliche Inhalte vorgelesen werden. Trotz-dem versuchen wir über Branchenverbände, die wir vonAnfang an in die Entwicklung unserer Apps einbezogenhaben, unsere Zielgruppen anzusprechen und auf dieMöglichkeiten weiter aufmerksam zu machen. Aber auchüber unsere bundesweiten Partnerkinos und deren PRerreichen wir mögliche Nutzer.

Für hörbeeinträchtigte Kinozuschauer entwickeln Sieaktuell eine spezielle Datenbrille. Ist denn analog fürdie „Greta“-App ebenfalls ein autarkes Wearable ge-plant? Nein, aktuell nicht. Wir sehen es gerade als großen

Vorteil, dass kein extra Gerät benötigt wird, um barrierefreiFilme bspw. im Kino zu sehen. Die Datenbrille fürgehörlose und internationale Besucher ist ein eigen-ständiges Gerät, das auch mit anderen Apps funktionierenwird. Sie macht das Lesen der Untertitel einfacher, dasie nicht mehr vom Display des Smartphones abgelesenwerden müssen. In Verbindung mit Kopfhörern ist dasbei der Audiodeskription nicht notwendig.

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EARABLES UND BARRIEREFREIHEIT

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Was waren die größten Herausforderungen bei der Um-setzung ihrer Idee? Die Finanzierung der nächsten Schritte ist immer die

größte Herausforderung. Am Anfang haben wir Förder-mittel von Kultur- und Filminstituten erhalten, inzwischenkönnen wir weitere Entwicklungen über den Umsatz fi-nanzieren, den wir selbst generieren. Die Apps sinddabei kostenfrei. Die Kinos engagieren sich in der Kom-munikation der Möglichkeit, barrierefrei Filme zu sehen.Dies ist von Vorteil für die Kinos und auch für die Film-verleiher. Unsere eigentlichen Kunden, die uns beauftragenund uns bezahlen, sind die Verleiher.

Wie nehmen die Nutzer die Angebote auf? Die Nutzer nehmen unsere Angebote sehr gut auf. Für

viele gab es früher überhaupt gar kein Kinoerlebnis. Dashat sich mit unseren Apps stark verändert. Die Menschenerleben neue Möglichkeiten der Teilhabe und sind totalbegeistert. Sie wünschen sich, dass noch mehr Filmebereitgestellt werden.

Begegnen Ihnen auch Bedenken von Seiten der Nutzerbezüglich Datenschutz und wie entgegnen Sie denen? Ich kann Bedenken von Nutzern, gerade was Datenschutz

angeht, gut verstehen. Es besteht zwar die Möglichkeit,sich per Facebook anzumelden, falls man z.B. über diegesehenen Filme kommunizieren möchte. Man kann dieAnwendungen aber auch komplett ohne Registrierungnutzen. Obwohl es natürlich Marketingvorteile gäbe,erheben wir keine persönlichen Nutzungsdaten. Wir re-gistrieren ausschließlich die anonymen Downloadsta-tistiken, also welche Filme heruntergeladen wurden.

Vielen Menschen fehlt der Mehrwert bei Wearables. Die-ser ist bei ihrer Dienstleistung ja ganz offensichtlich.Werden sich Wearables bei blinden bzw. allgemein beibehinderten Menschen evtl. schneller durchsetzen alsbei der Allgemeinheit? Ich denke, das kommt ganz speziell auf das jeweilige

Produkt an. Unsere Zielgruppe umfasst nach unserenSchätzungen ca. 6,9 Mio. Menschen in Deutschland. Fürunsere Anwendungen gibt es also ein großes Potenzial.Unsere Untertitel-Datenbrille z.B. ist sehr nützlich underfreut sich schon jetzt großer Nachfrage. Nicht nur vonSeiten künftiger Nutzer, auch die Kinos fragen bereitsan. Und das Smartphone ist ja in gewisser Weise auchein Wearable, das für blinde und gehörlose und natürlichsehende und hörende Menschen äußerst hilfreich ist.

Das Interview führte Christine Link

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Kabelloser In-Ear-Kopfhörer zur Kommunikations-steuerung

Passende Musik zur Laufgeschwindigkeit

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EARABLES UND AUDIO

Vom Wearable zum Hearable? Audiobasierte Wearable-TechnologienNach der Google Glass soll in den Entwicklungsabteilungen des Internetriesen auch an einem Wearable ohne Displaygearbeitet werden, welches allein auf die Audio-Komponente setzt. Funktionieren könnte es wie die ursprünglicheGoogle-Glass-Brille durch Schallübertragung über Knochenschall. Und auch der japanische Elektronikkonzern Sonytüftelt aktuell an einem Halsband-ähnlichen, sprachgesteuerten Wearable unter dem einfachen Namen „N“, daskopfhörerlos Informationen ausgibt und auch über Sensoren zur Bewegungserfassung sowie zum GPS-Tracking ver-fügt. Noch ist unklar, wann diese Geräte tatsächlich bei den Nutzern ankommen. Tatsache aber ist: Viele hilfreicheaudiobasierte Wearable-Technologien sind bereits auf dem Markt. LfM Digitaltrends stellt einige ausgewählte An-wendungen aus dem Bereich Wearables und Audio vor.

„The Dash“ des deutschen Start-ups Bragi soll als ersterkabelloser In-Ear-Kopfhörer die wichtigsten Features fürMusikinteressierte, Sportler und Business-Leute vereinen:Mit seinem vier Gigabyte-Speicher fungieren die Kopfhörerals stand-alone Music-Player. Über eine Reihe von Sensorenkann das knopfgroße Wearable Herzfrequenz, Sauerstoff-sättigung oder Körpertemperatur, aber auch Schrittzahloder Beschleunigung messen und wird so zum Fitnesstracker.Schließlich können durch Wisch- und Tippgesten am Touchs-creen eingehende Anrufe durch-, Musik an- oder sämtlicheAußengeräusche abgestellt werden. Über Noise-Cancel-ling-Funktionen lassen sich wie bei einem Hörgerät gezieltbestimmte Geräusche verstärken. Die Datenauswertungkann optional über das Smartphone erfolgen.

Zusammen mit Spotify hat Adidas eine Smartphone-Appspeziell für Jogger entwickelt, mit der die Schrittgeschwin-digkeit und die Beschleunigung eines Laufs ermittelt werdenkönnen und die anhand des Laufrhythmus die passendeMusik einspielt. Adidas Go soll die Motivation beim Joggensteigern und das Lauferlebnis insgesamt verbessern. Dabeikönnen lokal gespeicherte Tracks auch der Laufgeschwin-digkeit angepasst werden. Darüber hinaus verfügt die Appüber die üblichen Features einer Fitness-Tracking-App wieMessung von Entfernung, Zeit, Tempo etc.

Taktgeber für Musiker

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EARABLES UND AUDIO

Orientierung im Raum für Blinde

Mit Soundbrenner Pulse entwickelte ein Berliner Start-upein Wearable speziell für Musiker. Das vibrierende Metronomgleicht einer Armbanduhr und kann so direkt am Fuß, amOberarm oder anderswo am Körper befestigt werden. MitHilfe der Vibrationen wird der Takt an den Körper weiter-gegeben, ist der Rhythmus spürbar. Das ist vor allem fürdie Mitglieder einer Band interessant, denn so könnenalle Mitglieder dasselbe Metronom-Signal nutzen undbleiben besser im Timing.

Ein Wearable, das blinden und sehbehinderten Menschenzu mehr Mobilität verhelfen soll, ist der vom AutoherstellerToyota entwickelte Schal bzw. Kragen namens Blaid. Umden Hals getragen, analysiert das Gerät mittels eingebauterKamera die Umgebung und wertet die Video-Informationendurch einen speziellen Algorithmus aus. Über Vibrationund Lautsprecher leitet das Wearable den Nutzer durchGebäude und Räume und kann den Träger so bspw. aufTreppen, Aufzüge, Toiletten oder Ausgänge hinweisen.Basis für den Orientierungsdienst ist eine stetig anwachsendeDatenbank von Gebäude-Videos, die zum einen von denNutzern selbst und zum anderen von den MitarbeiternToyotas angefertigt wurden.

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EARABLES UND GAMING

Millionen Spieler werden 2016 erstmals Virtual Reality(VR) erfahren. Wie eine Taucherbrille schnallt man sichden Bildschirm vor das Gesicht. Wenn die virtuelle Weltscharf und schnell genug umgesetzt wird, dann fühlt essich tatsächlich so an, als sei man körperlich an einem an-deren Ort, außerhalb der Realität. Auf Spieler wartet nachder ersten Überwindung ein Aha-Effekt. Auf Spielemacherwarten vor allem neue Herausforderungen. Wie interagiertman mit der Welt? Wie bewegt man sich darin? VR-Spielegeben bisher eher einfache Antworten: Die VR-Brille OculusRift wird mit einem Xbox-One-Controller ausgeliefert.Spieler finden die Knöpfe darauf blind. Gespielt wird meistim Sitzen. Selbst in diesem traditionellen Modus funktio-nieren Spiele allerdings anders.

Am Anfang steht der Kampf gegen die Übelkeit

Zu Beginn des aktuellen VR-Booms galten Egoshooternoch als das ideale Genre für VR: „Doom“ oder „Half-Life2“ so spielen, als sei man wirklich dabei. Das aber entpupptesich als Achterbahnfahrt mit bösem Ausgang. Akrobatische

Bewegungen durch virtuelle Räume schlagen den meistenSpielern auf den Magen. Auch die Interaktion mit der Weltfühlte sich merkwürdig an. Wer die virtuellen Arme aus derEgoperspektive sieht, der will instinktiv die eigenen Händebenutzen, nicht Knöpfe auf einem Controller drück en.

Erfolgreicher sind dagegen interaktive Erfahrungen ander Grenze zum Spiel. In dem Tauchgang „Ocean Rift“steuert der Nutzer eine Kamera unter Wasser. An einemWal vorbeizuschwimmen, wäre auf dem Bildschirm langweilig– in der virtuellen Realität ist es erhebend. SchnellereSpiele müssen Wege finden, Übelkeit zu bekämpfen. DerWeltraum-Shooter „EVE Valkyrie“ setzt Spieler in dasCockpit eines Raumschiffes; das gibt dem Gehirn einen vi-suellen Anker. Dass ein klassisches Spielgenre sich einfachübersetzen lässt, ist aber die Ausnahme.

Alex Schwartz vom VR-Pionier Owlchemy Labs sieht seineZunft ganz am Anfang: „Wir lernen gerade erst, was funk-tioniert und was nicht.“ Sein Studio gibt eine der erfolg-reichsten Antworten darauf, wie ein VR-Spiel auf dem ak-

Die Spiele der Zukunft kleben uns am Körper. Smartwatches und Virtual-Reality-Brillen geben erste Ausblicke darauf, wie Gaming und Wearables zusammenpassen. Aber die beiden Kategorien sind grundverschieden. Und viele weitere Gadgets warten noch auf die Anprobe. Smarte Armbänder, Sensor-Westen, Ohrhörer und Augmented-Reality-Brillen könnten im Gaming-Markt eine Rolle spielen. Doch die Branche der Wearable Gamessteht noch ganz am Anfang.

Wearables und Gaming: keine Spielkonsole zum Anziehen

tuellen Stand der Technik aussehen kann. Im satirischen„Job Simulator 2050“ findet sich der Nutzer an deprimie-renden Arbeitsplätzen vom Schnellrestaurant bis zumGroßraumbüro wieder. Spieler stehen herum, können abermit jedem Gegenstand interagieren. Das alberne Experimentlebt von seinem starken Gefühl der Präsenz – vom Eindruck,man sei tatsächlich an den Arbeitsplätzen anwesend. Nichtnur die leistungsfähige VR-Brille und das Spielen im Stehentragen zum Eindruck bei. Auch die Interaktion mit derWelt funktioniert anders. Das Spiel erscheint als Gratis-Beigabe zur HTC Vive. Diese VR-Brille arbeitet mit neuartigenBewegungscontrollern und einem Sensor, der den Standortdes Spielers im Raum erfasst. Diese Erweiterungen können

VR-Spiele laut Schwartz zugänglicher machen. Statt dieSteuerung mit einem klassischen Controller zu lernen,könnten auch Nichtspieler intuitiv mit der virtuellen Weltumgehen. „Sogar die Großmutter unseres CTOs kann denJob Simulator spielen.“

Virtuelle Realität startet langsam, Augmented Rea-lität kommt später

Natürlich werden für VR auch komplexere Spielerfahrungenentwickelt. Aber selbst die Entwickler wissen, dass sieganz am Anfang stehen – und dass sich Standards nochentwickeln müssen. Erste VR-Brillen sind 2016 erschienen,aber sie sind mit ihren hohen Preisen ganz auf EarlyAdopter ausgerichtet.

Wie groß der Markt für die Brillen wirklich wird, hängtnicht nur vom kreativen und technischen Fortschritt ab,sondern auch vom Unbehagen der Kunden. Nicht jederwill sich ein technisches Gerät vor das Gesicht schnallenund sich damit von der Außenwelt abkapseln. AugmentedReality (AR) könnte sich zu einer Alternative entwickeln,

» Entwickler wissen, dass sie ganz amAnfang stehen – dass sich Standards,Genres und Konventionen noch ent -wickeln. «

» Spiele sind der Härtetest für Wearables. Nirgendwo sonst werden die Geräte solange und so intensiv bedient. «

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Im „Job Simulator 2050“ wird eine Berufswelt simuliert, wie sich die

Computer der Zukunft unsere heutige Zeit vorstellen.

denn sie ergänzt die Umwelt nur um digitale Inhalte, stattsie zu ersetzen. Wer sich eine Microsoft Hololens-Brilleaufsetzt, der kann virtuelle Gegenstände im Wohnzimmerum sich herum platzieren, Nachrichten auf der Kühl-schranktür schauen und Minecraft auf dem Sofatischspielen. Aber der Dauertrend AR lässt noch lange auf sichwarten. Ein erstes Entwicklermodell der Hololens-Brilleerscheint dieses Jahr für 3.000 US-Dollar. Mögliche Kon-kurrenten wie etwa das US-Start-up Magic Leap veröffent-lichen bisher nur Konzeptvideos, in denen Spielelementedurch die Realität geistern. Offizielle Produktvorstellungenstehen noch aus.

Die Smartwatch ist für Games noch nicht geknackt

Den Sprung in den Massenmarkt hat ein anderes Weara-ble-Produkt bereits geschafft: die Smartwatch. Die AppleWatch ist immerhin ein Millionenseller, auch wenn derKonzern keine genauen Zahlen nennt. Doch im Vergleichzur altmodischen Armbanduhr ist die Batterie der Apple-Uhr mickrig, das Gehäuse klobig und der Bildschirm klein.Die intuitive Touchscreen-Bedienung des ersten iPhoneswar ein Erfolgsgeheimnis. Auf der Apple Watch müssenNutzer leicht oder fest tippen, müssen an der kleinen,seitlichen Krone drehen. All das muss erst erlernt werden.

Unbestritten ist der Nutzen einer Smartwatch für vieleAnwendungen des mobilen Alltags: Nachrichten überfliegen,den Weg finden, bezahlen. Aber welche Rolle zukünftigSpiele am Handgelenk einnehmen werden, ist noch offen.Die Apple Watch mag die erste interessante Wearables-Plattform für Spielemacher sein, aber der Boom bleibtnoch aus. Die bislang besten Titel denken vor allem dieLektionen des Smartphone-Gamingsweiter – einfache Bedie-nung, kurze Spiel-sitzungen.

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Mikrosoft HoloLens erfasst Gesten, Sprache und Umgebung in Echtzeit.

Spiele werden allgegenwärtig – und kleiner

Smartwatches haben mit VR-Brillen wenig gemein – tat-sächlich sehen sich viele Virtual-Reality-Entwickler nichteinmal als Teil der Wearable-Branche. Aber beide Bewe-gungen geben einen ersten Ausblick auf den Spielemarktder Zukunft. Andere Gerätekategorien werden seit Jahrenvor allem auf Fachmessen präsentiert. Funkende Armbänder,Textilien mit eingewebten Sensoren, smarte Ohrhörerkönnten sich als Wearables etablieren. Anders als beiVirtual Reality ist Gaming hier aber kein Türöffner. Alsowarten Spielemacher ab. Erst muss sich das Wearable ver-kaufen, dann beginnt die Entwicklung neuer Spiele. Eswird noch Jahre dauern, bis sich die gesellschaftlichenAuswirkungen einschätzen lassen. Verlieren sich Spielerin virtuellen Welten? Das hängt davon ab, wie groß undimmersiv die Welten noch werden. Ordnen wir unser Lebeneines Tages etwa den Missionszielen einer allgegenwärtigenGamification unter? Bisher werden vor allem Jogger an-gesprochen.

Sicher ist: Wir bewegen uns bereits mit dem Smartphoneauf eine Welt voller interaktiver Erfahrungen und ständigverfügbarer Unterhaltung zu. Diese Entwicklung wird sichdurch Wearables weiter verstärken und neue Spieleerfah-rungen ermöglichen. Klassische Spiele an Konsole und PCwerden darüber nicht aussterben, aber sie wirken wohlzunehmend altmodisch. So wie ein Buch.

Jan Bojaryn Auf dem Zifferblatt gedeihen möglichst simple Spielideen.Das Anwendung „Streaks“ führt einen Highscore zu einerTo-do-Liste täglich wiederkehrender Aufgaben. „Zombies,Run!“ begleitet die Jogging-Runde mit einem Hörspiel, ge-koppelt an die tatsächliche Laufleistung. Gamification arbeitetoft mit simplen Spielelementen. Dafür reicht das begrenzteInterface einer ständig griffbereiten Smartwatch aus.

Spiele sind der Härtetest für Wearables. Nirgendwo sonstwerden die Geräte so intensiv bedient. Hier müssen siebeweisen, wie ausgereift die Bedienung funktioniert, wierobust die Technik verarbeitet ist, wie lange die Akkushalten. Aber gekauft werden sie nicht in erster Linie zumSpielen. Sie funktionieren eher so wie Smartphones. Nichtnur selbsterklärte Gamer wollen so ein Gerät haben. Undein Großteil der Nutzer will von dem Gerät auch unterhaltenwerden. Deswegen haben Spiele auf Wearables das Zeugzum Massenphänomen – sie können ein viel größeres Pu-blikum ansprechen als PC und Spielkonsolen.

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» Smartphones deuten an, wie das Leben in einer Welt voll interaktiver Unterhaltungsangebote aussehen könnte. «

Jan Bojaryn ist freier Journalist inDresden. Er schreibt seit rund zehnJahren für Tageszeitungen, Techno-logie-Portale und Kulturzeitschriften.Seine Themen sind Videospiele, Netz-kultur, Heimelektronik, Technik undGesellschaft.

Über den Autor

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EARABLES UND GAMING

VR-Brillen – Modelle für Early Adopter / Diese VR-Brillen sind 2016 aktuell

Oculus Rift HTC Vive Playstation VR Gear VR

Erschienen im März 2016 für 700

Euro. Die Brille benötigt einen

leistungsstarken Gaming-PC. Hin-

ter der Plattform stehen viele

namhafte Entwickler – und das

Unternehmen Facebook. Gespielt

wird meist im Sitzen.

Erschienen im April 2016 für 900

Euro. Den Aufpreis gegen über

Konkurrent Rift rechtfertigt der

Hersteller mit besonderen Extras:

Spezialcontroller erlauben eine

natür liche Bedienung. Sensoren

erfassen die Bewegung des Spie -

lers im Raum. Dafür müssen Spie-

ler aufstehen – und Platz in der

Wohnung schaffen.

Erscheint im Oktober 2016. Sonys

VR-Lösung erscheint als Playsta-

tion-4-Zubehör und wird wohl

vor allem im Sitzen gespielt. Die

Brille (ohne Konsole) kostet 400

Euro. Brille und Spielkonsole sind

einem PC mit Vive oder Rift tech-

nisch unterlegen, kosten aber

deutlich weniger. Sie haben 2016

die besten Chancen auf den Mas-

senmarkt.

Erstmals erschienen im Dezember

2015 für 100 Euro. Die Zubehör-

Brille für aktuelle Samsung Ga-

laxy-Smartphones gibt einen Aus-

blick, wie VR als Massenmedium

aussehen könnte – weniger auf-

wändig, aber mobil und einfach

zu nutzen.

Wie wird sich VR in den kommenden Jahren entwickeln? 2016 wird ein wichtiges Jahr für VR, weil die ersten

Brillen beim Publikum ankommen. Von den Early Adopterswerden wir viel lernen. Alles Weitere ist Spekulation.Aber wir glauben, dass VR sich bis 2019 zum Massenme-dium entwickelt.

Sie werden dann noch VR-Spiele machen? Wir wollen Crytek mit unseren aktuellen Spiele-Projekten

und unserer eigenen Engine als führendes VR-Unter-nehmen etablieren, für Inhalte und für Technologie. Wirglauben, dass uns VR erhalten bleibt. Und wenn dasstimmt, dann werden wir ganz bestimmt auch in fünfJahren noch Teil der Szene sein.

Gehört VR für Sie zum Wearable-Trend? Man trägt die Brillen zwar am Körper, aber sie sind nicht

unbedingt Teil des Trends. Eher Teil eines eigenen, neuenMediums.

Funktionieren konventionelle Spielgenres auch in VR? Wenn ein Spiel die Mechanik und die Neuerungen von

VR wirklich nutzen soll, dann muss es von Grund auf fürdie Plattform entwickelt werden. Einige Genres bietensich gut für VR an, werden dadurch sogar besser, anderemüssen neu erfunden werden oder funktionieren garnicht. VR ist ein neues Medium. Man kann seine Erfahrungals Spielemacher einsetzen, aber muss alles hinterfragen.Kamerasteuerung und Bewegung ist ein Kernproblem.Wenn sich der Spieler in eine Richtung bewegt, aber ineine andere schaut, kann sich das unangenehm anfühlen.Wenn man aber die entscheidenden Probleme löst, kanndas Ergebnis wirklich atemberaubend sein.

Wie unterscheidet sich das Spielen in VR vom Spielenvor herkömmlichen Bildschirmen? Der Spieler fühlt sich in der Welt wirklich präsent. Das

öffnet viele neue Möglichkeiten. In unserem Free-Clim-bing-Spiel „The Climb“, das wir für Oculus Rift entwickeln,kann einigen Spielern wirklich schwindlig werden, wennsie weit oben sind. Einige schwitzen und halten denController fester, weil sie Höhenangst bekommen. MitVR können Menschen Dinge erleben, die im echten Lebenzu gefährlich oder unmöglich wären.

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„Bis 2019 zum Massenmedium“Interview mit Elijah Freeman, Executive Producer des VR-Spiels „The Climb“ beim Spiele-Studio Crytek.

THEMA | W

EARABLES UND GAMING

TREND | SMART CLOTHING

Einen Computer zum Anziehen? Das hört sich futuristisch an, wird aber kommen. Seit Jahren wird bereits anintelligenten Fasern und E-Textilien geforscht, um eines Tages maßgeschneiderte, anziehbare Computer und Wearableszu nutzen. Textile Schaltkreise, aber auch kleinste flexible Sensoren und Aktoren verschwinden in Kommunikati-onswesten oder auch in Schmuckstücken.

Invisibles: Wie Technologien in intelligen-ter Kleidung und Schmuck verschwinden

Zukunftsvision oder Gegenwartsoption

Ob solche Ideen eher Vision bleiben oder als ernsthafteOption in Betracht kommen, hängt zunächst vom techno-logischen Fortschritt ab. Mit Smart-Fashion-Produktenkönnen sowohl Modebewusste als auch funktionell Inte-ressierte gleichermaßen trendy gekleidet sein.

Entscheidend wird aber sein, welche Innovationen demNutzer sinnvoll erscheinen. Wo sieht der Träger einen wirk-lichen zusätzlichen Nutzen? Wo gehen neue Funktionen,Bedienkomfort, Bequemlichkeit, Zuverlässigkeit, mehr Le-bensqualität mit einem positiven ästhetischen und modi-schen Gefühl einher? Gegenwärtig steht noch funktions-erweiterte Sportswear bei der Integration von High-Techim Vordergrund. So bietet der Handel bereits zu einem er-schwinglichen Preis eine Fitness-Tracking-Kappe, welchedie Herzfrequenz, die Schrittzahl und den Kalorienverbrauchper Hautkontakt über einen integrierten Sensor in derStirn misst und die Daten anschließend auf ein Smartphoneoder Tablet überträgt.

Die Integration von intelligenten Technologien dient vorallem der Erweiterung menschlicher Sinne, beinhaltetaber auch Kontrollfunktionen, wie z.B. beim Ambiotex-

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» Mit Smart-Fashion-Produkten könnensowohl Modebewusste als auch funktio-nell Interessierte gleichermaßen trendygekleidet sein. «

Das ambiotex-Shirt misst u.a. den Stresspegel des Nutzers und ist v.a. für

Bundeswehr und Polizei interessant.

Shirt. Das Hightech-Shirt der Firma ambiotex erfasst Vitalwerte in Echtzeit und ist zusätzlich mit Bewegungs-und Sturzsensor ausgestattet.

Gemeinsam mit den Entwicklungen der „Embedded“-Tech-nologien, die auch unter dem Begriff „Internet der Dinge“gegenwärtig in aller Munde sind, bieten digitaler Schmuckund smarte Bekleidung zahlreiche neue Anwendungen,die helfen, die Lebensqualität zu erhöhen, indem sie Warn-funktionen oder auch direkte Kommunikationsdiensteübernehmen.

Trendthema Smart Fashion

Beispiele für smarte Fashion-Produkte waren auf jüngstenMessen wie der CeBiT, der CES, der Medica oder auch aufder FashionTech in Berlin zahlreich zu sehen. Allerdingswird dabei nicht immer das Massenmarktpotenzial hinterder Idee sichtbar. Oft sind die Designentwürfe von der HauteCouture geprägt, sodass der praktische tägliche Einsatz aussolchen „unsichtbaren“ Technologien verdeckt bleibt.

Bereits Ende der 90er Jahre fanden in Deutschland dieersten Messen statt, z. B. die Avantex, die eine ganzeHalle mit smarten Entwürfen und Prototypen füllten. Auchinternational gab es zahlreiche Konferenzen und Kongressezu E-Textilien. Militärische Anwendungsmöglichkeiten aberführten lange zu Geheimhaltungen.

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TREND | SMART CLOTHING

Auf der Fashion Tech 2016 wurde ein T-Shirt von der De-signerin Pauline van Dongen vorgestellt, das mit 120 ein-gearbeiteten Solarzellen über einen USB-Anschluss kleinereEndgeräte aufladen kann. Da für das Funktionieren derWearables Energie benötigt wird, bilden solche Konzeptewertvolle Grundlagen für den generellen Durchbruch diesersmarten Fashion. Solartaschen sind bereits seit vielenJahren auf dem Markt zu finden, wie z.B. von SunnyBag,und auch an Badeanzügen haben sich Unternehmen wiez.B. Triumph bereits vor Jahren versucht.

Trotz alledem fehlen sogenannte Killeranwendungen. DerNutzen der Technologien in Textilien muss so überzeugen,dass Bekleidung ohne Funktionen oder bessere Alternativeneinfach nicht mehr vorstellbar wären.

Smarte Bekleidung im medizinischen Bereich

Viele sehen im medizinischen und Gesundheits-Bereichdas größte Potenzial für intelligente Bekleidung, Textilienund Schmuck. In der Kombination mit Sensoren und Aktorensind sie in der Lage, bestimmte Einschränkungen des Men-schen zu verbessern, seine Sinne zu erweitern oder Not-signale zum Beispiel vor einem Herzinfarkt abzusetzen.

Leicht verständliche Lösungen, wie kabellose beheizbareRückenbandagen mit modernster Infrarot-Technik, machensich dabei bereits die Kombination von Textilien und Hoch-technologie zunutze. Aber auch beheizbare Strümpfe und

Unterwäsche sind seit vielen Jahren – allerdings nur alsNischenprodukte – im Markt erhältlich. Gerade für die Pro-blematik von Muskel- und Skeletterkrankungen, die mitSchmerzen und auch hohen volks- und betriebswirtschaft-lichen Kosten verbunden sind, lassen sich zahlreiche in-novative Entwicklungen beobachten. So zum Beispieltextile Knietrainer, die sich das Prinzip der Biomechanikzu eigen machen und durch eingearbeitete Federn dieKniemuskulatur dauerhaft trainieren.

TREND | SMART CLOTHING

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E-Textilien als Teppiche vermögen neurologisch geschädigtenDiabetikerfüßen Unterstützung zu bieten. Textilien könnenWundheilungsprozesse überwachen und Bewegungsabläufebeobachten. Biofeedbacksysteme, Exoskelette oder smarteProthesen können in Verbindung mit oder auch ohne dieAnbindung an telemedizinische und E-Health-Systeme we-sentliche Beiträge zu effizienteren und erfolgreicherenTherapie- oder Rehabilitationsmaßnahmen leisten. Ana-tomisch passgerechte Handschuhe mit gestickten Finger-elektroden tragen zur Verbesserung des sensomotorischenVerhaltens bei.

Besonders gefragt sind Baby-Überwachungssysteme, diehelfen, den plötzlichen Kindstod zu vermeiden. Der Mimo-Strampler der Firma Rest Devices zum Beispiel ist mit At-mungssensoren ausgestattet. Mittels WiFi werden Datenwie Temperatur, Schlafphasen, Atmungs- und Bewegungs-muster als Statistiken aufbereitet und an das Smartphoneübertragen.

Smart Clothing eröffnet also zahlreiche Chancen, birgtaber gleichzeitig auch unterschiedliche Risiken. So kannsich zum Beispiel eine technische Abhängigkeit oder garTotalüberwachung entwickeln, z.B. durch die alleinigeKompatibilität zu Smart-Home-Geräten von Google. Deshalbsollte bei all diesen Anwendungen immer transparent sein,wer welche Daten zu welchem Zweck wo speichert, verarbeitetund sogar nutzt.

» Bisher fehlen sogenannte Killeranwendungen, die so überzeugen, dass Bekleidungohne neue Funktionen nicht vorstellbar wäre. «

Ruhigen Schlaf für die Eltern verspricht der mimo Babystrampler.

TREND | SMART CLOTHING

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Fitness- und Funprodukte

Der Alltag zeigt, dass Menschen in bestimmten SituationenÜberwachung als nützlich empfinden, besonders hinsichtlichihres eigenen Fitnesszustandes. Damit eröffnet sich po-tenziell ein weitaus größerer Markt als jener, der bereitsheute von smarten Armbändern oder auch „schlauen“Laufschuhen bedient wird. Diese Wearables sind mittlerweilebereits allgegenwärtig und werden mit anderen Fitness-Gadgets zunehmend gern genutzt.

Sogenannte Charmed Badgets wurden ursprünglich zumAustausch von Visitenkarteninformationen entwickelt undgelten mittlerweile als modernes Zubehör von Konferenz-organisatoren, um Informationen über Infrarot-Schnitt-stellen zu übertragen. Tragbare High-Tech findet man vorallem in Accessoires und Smartwatches, wie der Apple Uhr.

Aber auch Mode-Accessoires werden zu wichtigen Trägernvon High-Tech-Utensilien. So avancieren Ohrstecker zuLautsprechern und Informationssystemen, Ansteckbroschenzu digitalen Ausweisen, Kontaktanzeigen und Türöffnernoder Ähnlichem. Ringe signalisieren per Datenfunk denGrad der Erreichbarkeit seines Trägers, wie etwa beimMOTA DOI Smart Ring. Mit ihm werden über Vibration ein-gehende Calls, neue Textmessages oder Social-Media-In-formationen angezeigt. Auch in Schmuckarmbändern stecktnützliche High-Tech, wie in dem UV-Armband JUNE, dasmit einem Sensor die UV-Dosis des Tages misst und beihoher Sonnenstrahlung Alarm schlägt. Interessante Ap-plikationen bieten sich auch für smarte Manschettenknöpfe.

Diese eignen sich gut für die Integration von Chips, Mikro-phonen und anderer Technik. Bei Brookstone zum Beispielkann man in den USB-Manschettenknöpfen zwei oder vierGigabyte Daten transportieren und einen WLAN-Hotspoteinrichten.

Astrid Böger arbeitet seit April 2016 beider inoges AG mit den SchwerpunktenEntwicklung und Vertrieb von Technolo-gien zur Rehabilitation, Aufbau eines Ex-pertennetzwerkes und politischen Netz-werkes in Berlin und NRW. Sie wirkte ab

2012 in der Deutschen Telekom Healthcare and SecuritySolutions GmbH als Business Market Manager für Tele -medizin und war zuvor als Juniorprofessorin für WearableTechnologies an der Brandenburgischen TechnischenUniversität tätig.

» Viele Sicherheitsaspekte müssen für den breiten Einsatz von „Invisibles“als Schmuck oder Bekleidung für dieneuen Big-Data-Anwendungen noch geklärt werden. «

Über die Autorin

Sicherheit und Datenschutz

Die ersten Ideen zu smarter Bekleidung zielten auf neueFunktionen, die vor allem gesundheitlich nützlich oderfitnessmäßig anspornend sind. Der Pionier der Wearable-Entwicklungen, der kanadische Informatiker Steve Mann,stellte die digitale Erfassung des gesamten menschlichenSeins, der Bewegungen, Aktivitäten, Vitaldaten, Kontext-informationen der Umwelt etc., in den Mittelpunkt. Alldiese Informationen in ihrer Gesamtheit würden dazudienen, ein nahezu perfektes Abbild des Menschen zuzeichnen.

Allerdings machen sie ihn dadurch „gläsern“ und manipu-lierbar. So sind viele Sicherheitsaspekte für den breitenEinsatz von „Invisibles“ als Schmuck oder Bekleidung fürdie neuen Big-Data-Anwendungen noch zu klären. Zur Be-ruhigung für Überängstliche sei gesagt: Es ist noch einweiter Weg, bis der Hut wirklich schlauer wird als der Kopf!

PD Dr.-Ing. Astrid Böger

30eingelagerten Medikamenten veranlassen. Auch mit solchenSystemen ließe sich die Medikation insbesondere bei de-menten Patienten und Patientinnen optimieren. Die Pflegekönnte sich viel stärker auf die wichtigen psychosozialenAspekte konzentrieren.

Gesundheitstracking, Fitnessarmbänderund Co. – neue Möglichkeiten für die Versorgung?Gesundheitstracking ist mehr als nur ein Werkzeug für gesundheitsbewusste Hobbysportler oder Menschen mit Hangzur Selbstvermessung. Auch Patienten und Patientinnen können von den Möglichkeiten des Gesundheitstrackingsprofitieren, wenn es gelingt, die neuen technischen Anwendungen systematisch in die Versorgung zu integrieren. DerBeitrag skizziert die Optionen anhand einiger Beispiele.

Gesundheitstracking: noch nicht fit für das Gesund-heitswesen?

Vornehmlich wird Gesundheitstracking heute als Tool fürSportler und Sportlerinnen oder besonders gesundheits-bewusste Menschen wahrgenommen, bei denen die Selbst-vermessung sogar zum Lebensthema werden kann (sieheSeite 32). In Zukunft werden wir alle aber möglicherweisenach dem Training unsere High-Tech-Sportbekleidung nichtmehr unbeaufsichtigt in der Umkleidekabine liegen lassen,sondern ähnlich sorgfältig schützen wie heute schon unserSmartphone. Nicht etwa, weil wir Angst vor dem Diebstahlder teuren Laufshirts haben, sondern weil die verschwitzteBekleidung mehr über uns verraten könnte als uns liebist. Forscher der University of California haben publiziert,dass sie erfolgreich an tragbaren Schweiß-Sensoren arbeiten(Nature 529, 2016.). Diese können z.B. auf der Rückseiteeiner Smartwatch angebracht werden und kontinuierlichdie chemischen Bestandteile des menschlichen Schweißesanalysieren (pH-Wert, Laktat, Zucker, Harnstoff, Ascorbinsäureusw.). So könnte der Sportler sein Training auf genialeinfache Art und Weise anhand des aus dem Schweiß be-rechneten Laktatwertes steuern. Aber auch Erkrankungen,wie z.B. Depressionen, sollen erkennbar sein! An medizini-schen Modellen für die Analyse von bis zu zwanzig Parameternwerde derzeit den Forschern zufolge weiter gearbeitet.

Ein anderes eindrucksvolles Beispiel für Gesundheitstrackingsind Sensoren, die direkt in ein Medikament eingebrachtwerden und so eine objektive Kontrolle der Therapietreuedes Patienten ermöglichen. Der Sensor funkt unmittelbarnach der Einnahme an einen körpernah getragenen Emp-fänger bestimmte Messwerte. Gerade bei schweren psy-chischen Erkrankungen (z.B. Schizophrenie, Depression)sollen so durch die rechtzeitige Kontrolle der Medikamen-teneinnahme hohe Kosten und Patientenrisiken vermiedenwerden. Forscher arbeiten auch bereits an Wearables inForm eines Pflasters (Nature Nanotechnology 9, 2014).Das Pflaster ist Träger entsprechender Sensoren, die beibestimmten Messwerten die Ausschüttung von im Pflaster

» Gesundheitstracking unterstützt dieLebensstiländerung. «

Gesundheitstracking kann präventiv wirken

Vor allem bei der Prävention und Therapie von Diabetesmellitus Typ 2, die wie kaum eine andere Erkrankung le-bensstilbedingt ist, können Gesundheitstracker wichtigeDienste leisten. Eine zu reichhaltige Ernährung, gepaartmit zu wenig Bewegung und Übergewicht sind die wichtigstenRisikofaktoren. Gesundheitstracker können hierbei aufvielfältige Weise unterstützen: das Bewegungsverhaltenmessen, über verbrauchte Kalorien informieren, das Trai-ningspensum steuern und sogar das Ernährungsverhaltendurch Apps dokumentieren. Ein Foto der Mahlzeit wird zu-künftig genügen, um deren Kohlenhydratgehalt zu be-stimmen. Da die Lebensstiländerung vielen Betroffenensehr schwerfällt, ist es für das therapeutische Gesprächsehr hilfreich, wenn Arzt und Patient eine gemeinsameobjektive Grundlage haben.

Intelligente Pflaster überwachen die Vitaldaten ihres des Trägers

und setzen bei Bedarf Medikamente frei

TREND | GESUNDHEITSTRACKING

TREND | GESUNDHEITSTRACKING

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Datenschutz ist eine Herausforderung

Gerade solche Bonusprogramme stehen aber unter Daten-schutzgesichtspunkten im Fokus der Kritik. Die Befürchtungist, dass die Daten zu individuellen Risikoprofilen verdichtetwerden, die später auch zur Risikoselektion bei den Kran-kenkassen führen. Bereits erkrankte Versicherte müssten– so die Befürchtung – mit höheren Prämien die Bonus-programme für die jungen Gesunden finanzieren.

Rainer Beckers, Jahrgang 1963, ist Phi-losoph und Gesundheitswissenschaftler.Nach Tätigkeiten für verschiedene Ver-bände und Krankenhausträger kam er2001 zur ZTG (Zentrum für Telematik und

Telemedizin GmbH.) Seit 2009 ist er deren Geschäftsfüh-rer. Sein fachlicher Schwerpunkt ist die Weiterentwick-lung der strukturellen Rahmenbedingungen für die flä-chendeckende Nutzung der Telemedizin.

Über den Autor

» Gesundheitstracking steigert die Patientenautonomie. «

» Wir brauchen moderne Vergütungs-systeme. «

Die individuellen Ressourcen des Patienten können durchGesundheitstracking viel gezielter für die Krankheitsbe-wältigung eingesetzt werden. Aus der Forschung ist bekannt,

wie wichtig ein regelmäßiges Feedback für Lebensstilver-änderungen ist. Gesundheitstracking kann durch das sehrunmittelbare und objektive Feedback über physiologischeGrößen die gesamte Motivation für gesundheitsbezogenesVerhalten entscheidend fördern. Dennoch ist Gesundheits-tracking bis dato nur ansatzweise Teil einer gezielten me-dizinischen Versorgung.

Der Weg bis zum Patientenalltag ist noch weit

Bei Diagnose und Therapie in der Arztpraxis und im Kran-kenhaus spielt Gesundheitstracking bisher so gut wie keineRolle, und der Weg zu einer regelhaften Finanzierung diesermodernen Medizin ist noch sehr weit. Generell würde dieNutzung von Gesundheitstracking den genannten Beispielenzufolge eine personalisierte Medizin unterstützen. Das ge-samte Krankheitsgeschehen könnte durch entsprechendaufbereitete Daten sehr viel besser interpretiert werden.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Vergütungsfähigkeitder neuen Leistungsprozesse. Erst wenn niedergelasseneÄrztinnen und Ärzte sowie die Krankenhäuser die denkbarenneuen Services auch abrechnen können, ist eine flächen-deckende Nutzung von Gesundheitstracking im Sinne derPatientinnen und Patienten als Regelversorgung denkbar.Zwar fördern die Krankenkassen bereits Gesundheitstracking,insbesondere über finanzielle Anreize für ihre Versicherten.Aber so wertvoll solche kassenindividuellen Angebote auchsind, sie werden angesichts der zergliederten Kassenland-schaft in Deutschland mit ca. 120 Krankenkassen letztlichimmer punktuell bleiben und eher präventiven Charakterhaben. Die Ärzteschaft ist nicht einbezogen. So verfügt dieAOK Nordost bspw. über ein spezielles Bonusprogramm, wel -ches umfangreich gesundheitsrelevantes Verhalten per Appund/oder Fitnesstracker auswertet. Als Prämie winkt z.B. einFitnessarmband. Andere Krankenkassen werden nachziehen.

Mit dem Gesundheitstracking werden unvorstellbare Da-tenmengen produziert, die vielfaches – vor allem aberökonomisches – Interesse wecken. Technologisch scheintdieser Trend dennoch unaufhaltsam zu sein, da schon dieglobale Produktion und die offensichtlich hohe Akzeptanzbei den ( jüngeren) Nutzerinnen und Nutzern kaum nocheine Steuerung über nationale Regelungen erlauben. Fürdie systematische Nutzung im Versorgungsprozess ist einein dieser Hinsicht fundierte Entscheidungsmöglichkeit derPatientinnen und Patienten eine wichtige Voraussetzung.Sie sollten wissen, worauf sie sich einlassen. D.h., dassdie Hersteller bzw. Anbieter zum einen klar darlegenmüssen, wer welche Daten einsehen und nutzen kann.Zum anderen müssen auch die technischen Maßnahmendes Datenschutzes (z.B. Verschlüsselungsverfahren, Spei-cherort usw.) nachvollziehbar dargelegt werden.

Rainer Beckers

Die elektronische Tablette von Proteus Digital Health soll sicherstellen,

dass Patienten ihre Arzneimittel nehmen.

Smarte Pillen können die Kerntemperatur des Körpers messen und alarmie-

ren beim Erreichen von Grenzwerten.

TREND | QUANTIFIED SELF

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Wie in Tausendundeiner Nacht schwebt man auf einem Datenteppich durch die Informationswolken. Auf dem Weg zuneuen Zielen und dem besseren Ich. Die Rede ist jedoch nicht von Märchen, sondern dem neuen Lifestyle der Selbst -vermesser. Immer leistungsfähigere Hardware und die fortschreitende Miniaturisierung von Hardwarekomponentensind Nährboden für die wachsende Bewegung der Selbstoptimierer.

Der Trend zur Selbstvermessung

Unser Autor Arne Tensfeldt ist Mitbegründer der deutschen Quantified-Self-Bewegung. Aus dieser Sicht be-schreibt er für Digitaltrends LfM Ziele und Entwicklungen dieser internationalen Bewegung zur Selbstver-messung. Als Sportler setzt sich der studierte Fitnessökonom selbst mit dem Nutzen unterschiedlicherGadgets für Gesundheit und Training sowie dem Einfluss der Ernährung auf die körperliche Leistungsfähigkeitauseinander. Auf seinem YouTube-Channel www.youtube.com/c/arnetensfeldt stellt er derartige Selbstver-suche regelmäßig vor.

Hinter dem Begriff „Quantified Self” stehen Menschen mitdem Streben nach „self-knowledge through numbers” – also der Selbsterkenntnis durch Zahlen. Den Grundsteinder inzwischen internationalen Bewegung legten Gary Wolfund Kevin Kelly 2007 mit dem Blog www.quantifiedself.com.Die Wired-Journalisten initiierten damals auch die erstensogenannten „Show and Tells“. Bei diesen Communitytreffenvermitteln sich die Aktiven Eindrücke von Selbstversuchen,deren praktischen Umsetzungen sowie den gewonnenenErkenntnissen.

Höher, schneller, weiter? – Nicht immer.

Das Ziel der Selbsterkenntnis ist nicht zwangsläufig anden Willen nach Verbesserung und Optimierung gekoppelt.Häufig ist der Ursprung der zum Teil wissenschaftlich ge-prägten Auseinandersetzung vielmehr das Bestreben nacheinem besseren Verständnis von Zusammenhängen. Diedifferenzierte Betrachtung der eigenen Person ist auchnicht in jedem Fall an eine von Ehrgeiz angetriebene Mo-tivation geknüpft. Häufig ist der Antrieb vielmehr das In-teresse an komplexen Mustern von z.B. Gewohnheiten,Persönlichkeitsmerkmalen sowie sport- und ernährungs-physiologischen Gesetzmäßigkeiten.

Klassifizierung der Selftracker

Ginge man von dem Stereotypen eines Selftrackers aus,stellt man sich diesen vielleicht als jung gebliebenen Tech-nikfreak vor. Dieser besitzt überdies noch einen leichtenHang zur Egozentrik. Wie sonst wäre das datengetriebeneund mit Hilfe von allerlei technischen Gadgets unterstützteStreben nach immer mehr Wissen über die eigene Personzu erklären? In der Tat mag es diesen Typus geben, aber:Es ist immer nur eine Splittergruppe der deutlich facet-tenreicheren Bewegung. Diese umfasst Schüler, Studenten,Angestellte und Selbstständige, Ärzte, Künstler, IT-Profisund Entwickler. Die Liste der unterschiedlichen Teilnehmerder meist in den Großstädten angesiedelten Gruppen ist

mannigfaltig. Jeder besitzt ganz individuelle Zielsetzungenund Fragestellungen, mit denen er sich auseinandersetzt.

Woher kommen die Daten – Was wird gemessen?

Die Betrachtung der zur Analyse herangezogenen Infor-mationen ist vielschichtig. Vereinfacht können die Datenin drei Ebenen gegliedert werden. Sie werden sprichwörtlichdurch die Nähe zu uns unterschieden: Außen, das heißtunsere Umwelt, am Körper und sogar innerhalb von diesemkönnen Daten generiert, dokumentiert und ausgewertetwerden. Allgemeine Wetterdaten, Luftqualität und Tem-peratur, aber auch Informationen wie unterschiedlicheVerbrauchsdaten von z.B. Wasser oder Strom können vonInteresse sein.

Apps und Tools auf PC und Smartphone erstellen Nut-zungsstatistiken, berechnen die Intensität sozialer Inter-aktion und können E-Mails analysieren. Dem Wert, wieviele Minuten beispielsweise vergehen, bis man auf eineversendete E-Mail eine Antwort erhält, steht die Zeit ge-genüber, die man selbst verstreichen lässt, ehe man eineRückantwort verfasst.

Neben der schier grenzenlosen Datenflut, welche in derUmwelt und der Auseinandersetzung mit ihr erfasst werdenkönnen, stehen die körpernahen Informationen. Im Kosmosdieser personenbezogenen Daten gibt es inzwischen eineregelrechte Schwemme von Gadgets und Trackern fürFitness, Gesundheit, für spezifischen Sport oder auch alsLifestyle-Accessoire. Zählt man das Smartphone mit derFülle an Apps zu diesem Pool an Gerätschaften hinzu, istdie Nutzerschar nahezu gigantisch.

Fast alle Apps für Sport, Fitness oder Ernährung enthaltenFunktionen wie Logbücher, um Erfolge und weitere Infor-mationen zu verwalten. Unabhängig davon, ob dies unterdem Buzzword „Quantified Self” geschieht oder nicht,gehört auch dieser Sektor zweifelsohne in die Betrachtungdes Trends.

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TREND | QUANTIFIED SELF

Erfasst werden Mahlzeiten mit den enthaltenen Makronähr -stoffen und Kalorien, Trainingseinheiten mit ihren sportart -spezifischen Werten wie zurückgelegte Kilometer, bewegteGewichte und verbrannte Energie. Mit der richtigen Ausrüs -tung stehen dem Hobbysportler inzwischen Analysen zurVerfügung, die zum Teil einer modernen Leistungsdiagnos -tik gleichen.

Analysen gehen jedoch auch im wahrsten Sinne des Wortesunter die Haut. Es können Biomarker wie unterschiedlicheStoffwechselmerkmale in Blut, Speichel oder Urin untersuchtwerden. Ob mit Messgeräten oder Einsendetests, die inspezialisierten Laboren ausgewertet werden, nahezu allesist möglich. Dem „Gesundheits-Geek” steht inzwischenein ganzer Strauß von Tests und Untersuchungen zur struk-turierten Selbstvermessung zur Verfügung.

Bei all den Daten: Wo bleibt das subjektive Empfinden?

Bei der Betrachtung der zahllosen Einsatzbereiche, indenen harte Fakten und Daten als Entscheidungsgrundlagedienen, drängt sich die Frage auf, ob das subjektive Emp-finden überhaupt noch eine Rolle spielt. Schaut man sichdie Menschen hinter Experimenten und Selbstversuchenjedoch genauer an, zeigt sich meist ein anderes Bild. ImQuantified-Self-Umfeld nehmen die gesammelten Infor-mationen i.d.R. keinen übergeordneten Stellenwert ein.Vielmehr geht es um die symbiotische Ergänzung von denaus der Datenanalyse gewonnenen Erkenntnissen sowiedem Bauchgefühl. Die subjektive Wahrnehmung wird quasiüber die Datenbasis einem Realitätscheck unterzogen.

Entscheidungen stehen somit auf einer stärkeren Basisaus zwei Säulen: Gefühl und Fakten.

Brauchen wir noch einen Arzt? Risiken der Selbstanalyse

Wenn in Zukunft jeder seine eigene Diagnostik betreibt,wird der Arzt dann überflüssig? Sicher nicht. Das Bestrebennach Selbsterkenntnis und einem tieferen Verständnis,wie wir als Menschen „ticken” und welchen Nutzen wir ausdem Wissen um Gewohnheiten und Funktionsweisen erlangenkönnen, das ist das Ziel. Angestrebt wird nicht Autonomiegegenüber der klassischen Medizin, wohl aber eine größereMündigkeit gegenüber den „Göttern in Weiß”. Genau indiesem Punkt liegt jedoch auch eine nicht zu verachtendeBrisanz: Bin ich als Analyst meiner eigenen Daten überhauptin der Lage, diese richtig zu interpretieren? Fehlt mir nichtan vielen Stellen wichtiges Grundlagenwissen, um ermittelteWerte entsprechend einordnen und bewerten zu können?Hier lauert das Risiko, vorschnell aus eigenen Daten mithilfevon „Doktor Google” falsche Schlüsse zu ziehen. Aus diesenGründen kann die Selbstvermessung und können alle Me-thoden der Quantified-Self-Bewegung nur ein ergänzenderPart in dem mit dem Arzt geführten Austausch sein.

Arne Tensfeldt

Arne Tensfeldt ist Mitbegründer derdeutschen Quantified-Self-Bewegung.Als Sportler setzt sich der studierte Fit-nessökonom selbst mit dem Nutzen un-terschiedlicher Gadgets für Gesundheit

und Training sowie dem Einfluss der Ernährung auf diekörperliche Leistungsfähigkeit auseinander.

Über den Autor

» Jeder besitzt ganz individuelle Zielsetzungen und Fragestellungen, mit denen ersich selbst beobachtet. «

Arne Tensfeld beim Lauf an der Alster. Immer im Blick: Die Daten auf seinen Fitness-Apps.

Als Koby Soto im Januar 2016 das Ergebnis einer Herzfre-quenzmessung auf Twitter veröffentlichte, kam die ersteReaktion von Fitbit. Der Hersteller von Fitness-Wearablesbot Soto eine tröstende Umarmung an. Denn das Diagrammmit dem sprunghaften Pulsanstieg, das der 28-jährige

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PERSPEKTIVEN | DATENSCHUTZIsraeli aller Welt präsentiert hatte, zeigte den Moment, indem sein Lebensgefährte völlig unerwartet am Telefonihre Beziehung beendete.

Das Veröffentlichen von Fitnessdaten in sozialen Netzwerkenist fester Bestandteil der Quantified-Self-Bewegung. VieleSelbstvermesser sind auch Selbstdarsteller. Häufig gehtes ihnen darum, ihre Werte mit denen ihrer Freunde zuvergleichen und sich so gegenseitig zu härterem Trainingzu motivieren. Koby Sotos Beispiel aber zeigt eindrücklich,dass Aktivitäts-Apps, Smartwatches, Fitnesstracker undandere Wearables mehr sein können als bloße Schrittzählerund Pulsmesser. Ähnlich wie Mobiltelefone, die alleinanhand der Verbindungs- und Standortdaten sehr viel überden Alltag ihrer Besitzer verraten, protokollieren auch dieHandgelenkscomputer die Lebensumstände ihrer Träger.

Die oft als gesundheitsfördernd beworbenen Fitnesstracker und -Apps haben neuartige Risiken und Nebenwirkungen.Die Daten, die sie erheben, können auf vielfältigen Wegen bei jemandem landen, der sie gegen die Benutzer verwendet.Dass die Geräte gehackt werden, gehört dabei noch zu den unwahrscheinlichsten Szenarien.

Vermessen und verraten

» Ähnlich wie Mobiltelefone protokol-lieren auch die Handgelenkscomputerdie Lebensumstände ihrer Träger. «

Koby Soto twitterte einen Screenshot seiner Herzfrequenz am Tag als ihm

das Herz gebrochen wurde.

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In Deutschland ist ein solches Scoring auf der Basis vonSocial-Media-Einträgen und Körperfunktionsdaten bisherkaum mehr als eine böse Vorahnung von Verbraucher-schützern. In anderen Ländern wie Kenia, Tansania, Mexikound sogar Polen lassen sich Menschen für Mikrokredite

PERSPEKTIVEN | DATENSCHUTZ

Fitnesstracker sind natürlich ausdrücklich dazu da, Datenzu erheben. Deswegen werden sie hergestellt und mittler-weile zigmillionenfach verkauft. Zu den Risiken und Ne-benwirkungen der oft als gesundheitsfördernd beworbenenGeräte und Apps gehört aber eben auch, dass die erhobenenDaten bei jemandem landen können, der sie gegen dieBenutzer verwendet.

Beispiel eins: In Kanada hat eine ehemalige Fitnesstrainerinin einem Schadenersatzverfahren versucht, durch dasTragen eines Fitbit-Armbands gerichtsfest nachzuweisen,dass sie seit einem Unfall ein weniger aktives Leben führenmuss als andere Frauen in ihrem Alter. Der Bewegungstrackersoll belegen, dass sie an Lebensqualität eingebüßt hat.Das wäre also ganz im Sinne der Trägerin und Klägerin.Denkbar ist aber auch der umgekehrte Fall: In einem Straf-verfahren, beispielsweise wegen des Verdachts auf Versi-cherungsbetrug, kann ein Staatsanwalt einen Wearable-Anbieter wie Jawbone mit einem richterlichen Beschlusszur Herausgabe von Nutzerdaten zwingen. Zeigen dieseDaten, dass ein angebliches Unfallopfer trotz gegenteiligerBehauptungen weiterhin sportlich aktiv ist, würde dasden Betrugsverdacht mindestens erhärten.

Beispiel zwei: An einer Universität im US-BundesstaatOklahoma sind Erstsemester dazu verpflichtet, einen Fit-nesstracker von Fitbit zu tragen und jeden Tag mindestens10.000 Schritte zu gehen. Außerdem müssen sie wöchentlichmindestens 150 Minuten „intensiver Aktivität“ nachweisen,gemessen an der Herzfrequenz. Die Daten fließen in dieSportnote ein.

Tausche Fitnessdaten gegen Bonusmeilen

Beispiel drei, zwar fiktiv, aber absolut im Bereich des Mög-lichen: In bestimmten Scoring-Verfahren wäre das, wasKoby Soto veröffentlicht hat, ungemein wertvoll für Un-ternehmen, die festlegen, wie kreditwürdig jemand ist.Daten über das physische und psychische Wohlbefindeneines Menschen, über seinen Tagesablauf, seinen Bezie-hungsstatus, seinen Schlafrhythmus, seine körperlicheAktivität – in diesem Fall sogar alles in einem Tweet –passen perfekt zu den Algorithmen von Scoring-Start-upswie Lenddo, Branch oder InVenture. Diese Algorithmensind Geschäftsgeheimnisse. Aber dass es für einen Kredit-nehmer von Vorteil wäre, wenn der Kreditgeber ihn alsfrisch getrennt, emotional instabil und unausgeschlafeneinstuft, darf bezweifelt werden.

» Quantified-Self-Anhänger, die nicht zu Quantify-Someone-Else-Opfern werdenwollen, haben zumindest einige Einflussmöglichkeiten. «

» Wird ein Tracker- oder App-Anbieterverkauft, landen in der Regel auch alleKundendaten beim neuen Besitzer. «

hingegen längst freiwillig überwachen, indem sie eineApp der Scoring-Unternehmen installieren, die unter an-derem ihr Kommunikationsverhalten protokolliert. Ver-schiedene Studien legen nahe, dass eine beachtliche Zahlvon Menschen bereit wäre, auch Fitness- und andere sehrpersönliche Daten mit Unternehmen zu teilen, um Kredite,Rabatte oder auch nur Payback-Punkte und Bonusmeilenzu bekommen.

Bring your own Spionagewerkzeug

Beispiel vier ist zwar technisch möglich, aber doch eherhypothetisch: Durch Hackerangriffe auf Apps und Wearableskönnten Unbefugte an persönliche Daten gelangen. Sicher -heitsforscher der Universität Toronto haben unlängst he-rausgefunden, dass einige populäre Fitnesstracker und -apps derart unsicher konzipiert sind, dass jemand unbe-merkt Nutzerdaten abfangen, auslesen oder auch verändernkönnte.

Ein attraktives Ziel von Kriminellen werden die Geräte undAnwendungen deswegen aber eher nicht. Es fehlt schlichtan einleuchtenden Motiven, warum sich jemand die Mühemachen sollte, einzelne Nutzer herauszupicken und auszu-spionieren. Erpressung mit verräterischen Gesundheits-,Fitness- oder auch Standortdaten ist zwar vorstellbar,aber doch vergleichsweise abwegig.

Allenfalls als Mittel zur Industriespionage sind gehackteWearables noch einigermaßen einleuchtend. Wenn es mög-lich ist, die Geräte, beziehungsweise die Fitness-Apps aufdem Smartphone, mit Schadcode bzw. Viren anzureichern,müssten die Täter nur noch warten, bis das Opfer seinGerät mit zur Arbeit nimmt, wo es sich ins Firmennetz ein-wählen könnte. Bring your own device – BYOD – kann indiesem Zusammenhang tatsächlich gefährlich werden,zumal viele Unternehmen auf diesen Angriffsvektor bisherkaum vorbereitet sein dürften.

Quantified-Self-Anhänger, die nicht zu Quantify-Some one-Else-Opfern werden wollen, haben zumindest einige Ein-flussmöglichkeiten. Die Vorsichtsmaßnahmen können schonbei der Anschaffung beginnen. Dazu gehört, die Nutzungs-und Datenschutzbestimmungen der Produkte zu lesen undzu vergleichen. Was dort praktisch immer steht: Wird einTracker- oder App-Anbieter verkauft, an einen größerenMitbewerber oder an Investoren, landen in der Regel auchalle Kundendaten beim neuen Besitzer. Die Datenschutzbe-stimmungen von Fitbit und Jawbone etwa bestätigen dasunmissverständlich. Was dort zumindest stehen sollte: Obund unter welchen Bedingungen ein Anbieter sich vorbehält,welche Art von Nutzerdaten an Auskunfteien, Pharmafirmenoder werbetreibende Unternehmen zu verkaufen.

Sinnvoll kann es auch sein, die Speicherung von Daten aufdas Gerät selbst zu beschränken, den Upload in die Cloudalso zu deaktivieren. Das ist jedoch nicht in allen Fällenmöglich, weil viele Anbieter nicht nur Hardware oder Appsverkaufen, sondern auch Nutzerdaten analysieren wollen.Wenigstens das automatische Posten von Trainingsergebnissenin sozialen Netzwerken aber lässt sich immer ausschalten.

Ab 2018 kommt noch ein juristisches Abwehrmittel gegenDatenmissbrauch hinzu. Wenn dann die europäische Daten-schutz-Grundverordnung in Kraft tritt, gilt das in Artikel 5beschriebene Prinzip der Zweckbindung: Daten dürfen voneinem Unternehmen demnach nur zu vorher mit dem Nutzervereinbarten Zwecken verarbeitet werden. Ob sich die Anbietervon Fitnesstrackern eine der vorgesehenen Ausnahmerege-lungen zunutze machen können, werden allerdings wohlGerichte entscheiden müssen. Es ist also noch nicht abzusehen,wer dann tröstende Umarmungen nötig hat.

Patrick Beuth

PERSPEKTIVEN | DATENSCHUTZ

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Patrick Beuth, Jahrgang 1977, studiertein Köln und absolvierte ein Volontariatbei der Frankfurter Rundschau. Anschlie-ßend war er Redakteur in den RessortsMagazin und Politik. Seit August 2011

ist er Redakteur für Digitalthemen bei ZEIT ONLINE.

Über den Autor

Mit den gesammelten Fitnessdaten werden auch andere Umstände aus dem Alltag der Wearable-Nutzer sichtbar.

NRW DIGITAL

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NRW digitalDie Netzneutralität ist und bleibt auch im laufenden Jahrein wichtiges Thema, die LfM hat dazu u.a. ein Gutachtenvon Prof. Dr. Bernd Holznagel (Institut für Informations-,Telekommunikations- und Medienrecht der UniversitätMünster) zur Europäischen Verordnung zur Sicherung desoffenen Internets durchführen lassen.

Ein weiteres aktuelles zentrales Thema sind die sogenanntenIntermediäre, also Suchmaschinen, Soziale Netzwerke undNachrichten-Aggregatoren, denen eine zunehmende Be-deutung bei der öffentlichen Meinungsbildung zukommt.In Workshops hat sich die LfM diesem Thema zugewandtund wird es zukünftig weiter untersuchen und begleiten.

Zur Zukunft des Radios hat die LfM am 24. Mai ein Fachge-spräch veranstaltet, bei dem sich Experten und Vertreterder Branche ausgetauscht haben und die technischen,ökonomischen, rechtlichen sowie programmlichen Gege-benheiten und Anforderungen diskutiert haben.

Videos zum Thema VerschlüsselungWie sieht ein sicheres Passwort aus und wie verschlüsseltman seine Daten? Diesen und weiteren Fragen zum ThemaVerschlüsselung widmen sich unsere neuen Erklärvideos,die wir zusammen mit Spiegel Online, dem Zentrum fürKunst und Medientechnologie und der Werbeagentur Scholzund Volkmer produziert haben.

Genauere Informationen zur LfM, unseren Aktivitäten zur Digitalisierung und alle Publikationen und Videos finden Sieauf unserer Website unter www.lfm-nrw.de. Dort stehen Ihnen alle Inhalte auch mobil zur Verfügung.

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PERSPEKTIVE | DIE ZUKUNFT MIT W

EARABLES

Vernetzte Körper: Beginnt nun das Zeitalter des Cyborgs?Das Geschäft mit Smartwatches, Fitness-Trackern, Datenbrillen & Co. boomt. Doch das ist nur der Anfang. Tausendesogenannter Body-Hacker weltweit vollziehen bereits den nächsten Schritt: Sie tragen Wearables nicht mehr auf derHaut, sondern lassen sich Elektronik gleich in den Körper implantieren. Ein ganz besonderes Wearable für Kinder istunter Beteiligung des dänischen Spielwarenherstellers Lego entstanden.

Begegnet man Hannes Sjöblad zum ersten Mal, würdekaum jemand vermuten, dass sich hinter dem smart-ju-gendlichen Äußeren des 39-jährigen Schweden eine Be-sonderheit verbirgt: Sjöblad ist ein sogenannter Body-Hacker und gehört damit zu einer stark wachsenden Gruppevon Menschen, die sich auch ohne medizinische IndikationElektronik in den Körper implantieren lassen.

„In meiner linken Hand beispielsweise sitzt ein kleinerNFC-Transponder, der unter anderem mehrere Schlüsselersetzt, die ich bislang zum Öffnen von Türen mit mir he-rumgetragen habe“, erklärt Sjöblad. „Über die auf demChip gespeicherten Daten weise ich mich an Schließsystemenaus, die mir Zutritt zu meinen Büroräumen gewähren,identifiziere mich an Gemeinschaftsgeräten wie Druckeroder Kopierer und schalte darüber nachts auch die Alarm-anlage ein.“

Untergebracht ist der Transponder in einem kleinen Glas-zylinder, der ähnlich wie beim Chippen von Haustierenüber eine Hohlnadel in eine Hautfalte zwischen Daumenund Zeigefinger eingeführt wird. Die verwendete Daten-übertragungstechnik NFC (Near Field Communication)kennt man auch von kontaktlos auslesbaren Chipkartenwie dem elektronischen Personalausweis: Nähert sich Sjö-blads Hand einem NFC-Lesegerät, versorgt dieses den im-

plantierten Transponder mit Energie und dekodiert dieDaten, die der Chip übermittelt.

„Auf dem wiederbeschreibbaren Transponder-Chip ist Platzfür rund 800 Byte an Daten – das reicht auch für eine elek-tronische Visitenkarte“, erzählt Sjöblad. „Wer ein NFC-fähiges Smartphone besitzt und gerne meine Kontaktdatenhätte, muss das Telefon nur kurz über meine Hand bewegen.Schon werden die Daten in die eigene Kontakte-App ein-gelesen.“ Im Stockholmer Innovations- und Start-up-Zentrum „Epicenter“, wo Sjöblad arbeitet und die Funktioneines „Chief Disruption Officer“ bekleidet, haben sichbereits mehr als 400 Personen ebenfalls einen solchenNFC-Chip einsetzen lassen.

Hannes Sjöblad hat in Schweden das Body-Hacker-Netzwerk BioNyfiken ge-

gründet und trägt selbst ein NFC-Implantat in der linken Hand.

PERSPEKTIVE | DIE ZUKUNFT MIT W

EARABLES

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Roboterarm für Kinder

„Elektronische Implantate sind für uns auch deshalb sehrinteressant, weil sie ganz neue Möglichkeiten bieten, deneigenen Körper ohne Umweg über zusätzliche Geräte mitTechnologien zu verbinden, die im Rahmen des sogenanntenInternet of Things eine immer größere Verbreitung finden“,erläutert Sjöblad, der im Jahr 2014 mit BioNyfiken ein ei-genes Body-Hacker-Netzwerk in Schweden gegründet hat.„Im Prinzip arbeiten wir also vor allem an neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen, die es so bislang noch nicht gab.“ Dabei profitieren die Body-Hacker nicht zuletzt von derrasant fortschreitenden Miniaturisierung von Elektronik.Einzelne Chips und Sensoren sind mit bloßem Auge heuteoft kaum noch zu erkennen. Und auf wenigen Kubikzenti-

metern lassen sich inzwischen komplette Computersystememit hoher Rechenleistung unterbringen, für die vor einpaar Jahren noch die Anschaffung eines Servers nötig war.Sogenannte Mini-Computing-Plattformen wie „Arduino“oder „Raspberry Pi“, die lediglich ein paar Euro kosten,sind immer häufiger auch im Medizintechnik-Bereich an-zutreffen – etwa als Steuereinheiten für intelligente Pro-thesen.

Was mit relativ geringen Mitteln in der modernen Prothetikheute bereits möglich ist, zeigt unter anderem ein Projekt,an dem der dänische Spielzeughersteller Lego beteiligtist. Für Kinder, deren Unterarm von Geburt an verkümmertist oder später amputiert werden musste, hat der kolum-bianische Industriedesigner Carlos Arturo Torres einenbionischen Ersatz-Greifarm konzipiert, der zahlreiche Hard-und Software-Komponenten aus Legos Robotik-Plattform„Mindstorms“ enthält.

Zentrales Element des sogenannten „IKO Creative ProstheticSystems“ sind mehrere myoelektrische Sensoren, die elek-trische Spannungsänderungen der Haut erfassen, die beiMuskelkontraktionen im verbliebenen Armstumpf entstehen.Mit ein wenig Übung können Kinder, die den bionischenGreifer über ihrem Armstumpf tragen, diese Muskelkon-traktionen so kontrollieren, dass sie reproduzierbare Steu-erbefehle erzeugen, die dann beispielsweise zum gezieltenBewegen von Fingern einer künstlichen Hand führen.

» Body Hacker: Immer mehr Menschen lassen sich auch ohne medizinische Indikation Elektronik in den Körper implantieren. «

Untergebracht ist der NFC-Transponder in einem 12 Millimeter langen und

2 Millimeter dünnen Glaszylinder, der über eine Hohlnadel in eine Hautfalte

zwischen Daumen und Zeigefinger eingeführt wird.

Schnittstellen zum Gehirn

Immer häufiger tauchen im Wearables-Kontext auch Kon-zepte für sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCI)auf. Die aus der klinischen Neurologie stammenden Systemesind in der Lage, Hirnaktivitäten in Form von Elektroenze-phalogrammen (EEG) aufzuzeichnen und die Daten indigitale Steuersignale umzuwandeln. Dazu erfassen ander Kopfhaut angebrachte Elektroden Potenzialänderungen,die bereits entstehen, wenn Probanden nur daran denken,etwa den linken Fuß oder die rechte Hand zu bewegen.Allerdings sind professionelle EEG-Geräte in der Regel nurfür den Einsatz in Kliniken, Facharztpraxen oder Laboratorienausgelegt. Bioinformatiker und Gehirnforscher der Universityof California in San Diego haben jetzt aber ein mobilesEEG-System für den Massenmarkt vorgestellt, das mit 64Kanälen arbeitet, trockene Elektroden verwendet, EEG-Daten in Echtzeit per Funk übermittelt und nahezu überallgetragen werden kann.

„Dieses neue EEG-Wearable öffnet den Weg zu einer Unzahlvon praktischen BCI-Anwendungen“, verdeutlichen dieWissenschaftler. Nutzer könnten zum Beispiel Programmeauf ihrem Computer künftig über abgeleitete Gehirnströmesteuern oder Funktionen auf ihrem Smartphone auf dieseWeise aktivieren. Und selbst Autofahren per Gedankenkraftist längst keine Utopie mehr: Chinesische Forscher zeigtenunlängst, dass sich mit einem entsprechend umgerüstetenSerienfahrzeug zumindest Vor- und Rückwärtsfahren sowieAnhalten umsetzen lassen.

Torres hat außerdem eine Schnittstelle entwickelt, an diesich statt einer künstlichen Hand auch direkt Spielzeugaus dem Hause Lego andocken lässt – ein Bagger mit be-weglicher Schaufel zum Beispiel oder ein Raumgleiter mit(virtuellen) Laserwaffen. Für ihr Greifarm-Wearable, dasim 3D-Druckverfahren jeweils individuell angepasst wirdund eine direkte Verbindung zwischen der Physiologieihres Körpers und einer ausführenden mechanischen Einheitherstellt, können die Kinder sogar selbst Spielzeug entwerfenund programmieren.

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EARABLES

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Chip-Implantate würden die Interaktion mit dem sogenannten „Internet

der Dinge“ deutlich erleichtern, erklärte Sjöblad in einer Keynote anlässlich

der CeBIT 2016.

Gemeinsam mit Lego hat der Industriedesigner Carlos Arturo Torres ein

elektronisches Wearable für Kinder mit körperlichen Einschränkungen

konzipiert. Der bionische Greifarm enthält zahlreiche Hard- und Software-

Komponenten aus Legos Robotik-Plattform „Mindstorms“.

Ein neues mobiles EEG-Headset, das Wissenschaftler der University of

California in San Diego entwickelt haben, könnte die Nutzung von Brain-

Computer-Interfaces (BCI) dramatisch ausweiten.

Die Kosten für den bionischen Greifarm beziffert Torresauf rund 5.000 US-Dollar; hinzu kommen 1.000 Dollar füreine Maßanfertigung des Prothesenschafts im 3D-Drucker.Anfang des Jahres wurde das System mit dem NetexploGrand Prix 2016 ausgezeichnet. Dem Netexplo-Forum fürdigitale Innovationen gehören zahlreiche renommierteUniversitäten weltweit an, darunter das MIT Media Lab inBoston, die Stanford University in Kalifornien, die OxfordUniversity in Großbritannien oder auch das südkoreanische„Advanced Institute of Science and Technology“ (KAIST).

» Body-Hacker profitieren von der rasant fortschreitenden Miniaturi -sierung der Elektronik. «

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EARABLES

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Auch die schwedischen Bio-Hacker um Hannes Sjöbladexperimentieren mit dem Gehirn. Unter anderem habensie ein Do-it-Yourself-Gerät zur transkraniellen Gleich-stromstimulation (tDCS) entwickelt. Über Kopfhaut-Elek-troden wirkt dabei ein schwacher elektrischer Strom durchden Schädelknochen hindurch auf das Gehirn, was neueneuronale Verknüpfungen hervorrufen und die geistigeLeistungsfähigkeit steigern soll.

„Wir probieren nach Möglichkeit alles aus, was dem mensch-lichen Körper neue Fähigkeiten verleiht“, fasst Sjöbladzusammen. Und damit befindet er sich in Deutschland of-fenbar in guter Gesellschaft: Laut einer Studie des Mei-nungsforschungsinstituts TNS Emnid, für die im Sommer2015 knapp 1.000 Personen befragt wurden, kann sicheine Mehrheit (51 Prozent) der Bevölkerung hierzulandedurchaus vorstellen, künftig mit Chip-Implantaten zuleben, wenn diese zur „Steigerung der geistigen Fähigkeiten“beitragen. Das Zeitalter der Cyborgs kann also beginnen.

Peter-Michael Ziegler

Peter-Michael Ziegler arbeitet seit 2001als Redakteur beim Computermagazin c'tin Hannover. Zuvor studierte er Architek-tur, Medizin und Publizistik und absol-vierte eine Ausbildung als IT-System-

Kaufmann. Er schreibt unter anderem über IT-Projektesowie Hightech- und Forschungsthemen.

Über den Autor

» Autofahren per Gedankenkraft ist längst keine Utopie mehr. «

dem preisgünstigen Speichermedium CD-ROM, auf das einhalbes Gigabyte Daten passen. Und Games-MarktführerNintendo? Mitte der 90er-Jahre war-ten Spieler rund um den Globusgespannt auf die nächste Konsolevon Gunpei Yokoi, dem erfolg-reichsten Spiel-zeug-ErfinderJapans. DerNintendo-Inge-nieur ertüfteltemechanischeGadgets wie dieU l t r a - H a n d(1966) oder dieTeufelstonne, ab1980 die erstenmobilen Spielgeräte Game & Watch,schließlich einen tragbaren LC-Bild-schirm, der sich durchsetzt und welt-weit über 100 Millionen Mal verkauft– den Game Boy. Dessen Erfolg willNintendo fortsetzen und wagt sichdabei auf radikal andere Wege als dieMitbewerber Sega und Sony: Statteiner TV- und Wohnzimmer-Konsole konzipieren Yokoi undsein Team einen futuristischen 3D-Helm, der seinen Benutzervöllig von der echten Welt abschließt. Mit je einem LCDfür rechtes und linkes Auge gaukelt der Virtual Boy demSpieler ein stereoskopisches Bild vor.

Blindflug mit Brille

Da das Gerät nicht in Großrechner-Preisregionen, sondernfür den Kinder- und Heimmarkt produziert und vermarktetwird, geht Nintendo viele technische Kompromisse ein:Der Virtual Boy stellt keine Farben, sondern nur rote Pixel

Un-Wearable: Der Virtual Boy von Nintendo

IT-Insider mit gutem Gedächtnis erleben aktuell ein Déjà-vu – einen Rückflug in die Multimedia-Aufbruchszeit derfrühen 90er-Jahre: Fachwelt und Presse schwärmen vonstereoskopischer Grafik, Head-Tracking und VirtuellerRealität. In den Medien und auf Messen tummeln sichTypen mit Head Mounted Display, komischen Riesenbrillen,die den User vom Alltag in eine künstliche Wirklichkeit be-fördern. Der Internet-Riese Facebook legt zwei MilliardenDollar für das VR-Labor Oculus auf den Tisch – ein Start-upmit Sitz im sonnigen Kalifornien (wo sonst?), aber nochohne vermarktbares Produkt. Facebook zahlt fürs bloßeVersprechen, und auch andere Konzerne stecken viel Geldin die VR-Zukunft: Samsung (Gear VR), der Playstation-Hersteller Sony (Project Morpheus) sowie der taiwanesischeSmartphone-Konzern HTC, der den Cyberspace zusammenmit US-Spielevertrieb Valve erobern möchte.

Aufregung, Vorfreude und Hype um die Möglichkeitenprivater VR-Systeme (sowie den erhobenen Zeigefinger be-züglich der Risiken und Nebenwirkungen) gab's vor gut 20Jahren schon einmal: Anfang der 1990er taumelt die Com-puter- und Medienwelt im Virtual-Reality-Fieber, angefixtdurch die SciFi-Romane des William Gibson, durch Cyber-punk-Filme und Techno-Musik, vor allem aber durch den ra-santen Fortschritt der Computer-Technik. Dank RISC-Pro-zessoren wird fotorealistische 3D-Grafik machbar und er-schwinglich, erst für Wissenschaft und Forschung, dann fürFilm, TV und Werbung, bald auch für den Heimanwender.

An der Spitze der technischen Entwicklung stehen damalsdie großen Videospielfirmen Nintendo, Sega und NewcomerSony, die in 3D-Technik investieren und Partnerschaftenmit Chip-Produzenten wie Silicon Graphics (SGI), ARM,NEC, Toshiba und Hitachi schließen. Sowohl Sega als auchSony bauen Spielkonsolen mit RISC-3D-Prozessor sowie

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ABBLENDE | WAS W

URDE EIGENTLICH AUS DEM VIRTUAL BOY VON NINTENDO?

Datenbrillenhype der 90er Jahre: der Virtual Boy von Nintendo Rückblende auf die späten 80er und 90er Jahre: Cyberspace in jedem Haushalt? Der japanische Videospiel-PionierNintendo infiziert die Welt mit „Super Mario“, „Tetris“ und dem tragbaren Entertainment-Wunder „Game Boy“. Undbereits Mitte der 90er verspricht er ein Virtual-Reality-System fürs Wohn- und Kinderzimmer. Der „Virtual Boy“ istmit Sicherheit das ungewöhnlichste Spielzeug, das jemals ein Qualitätssiegel von Nintendo erhält. Die Stereo-Brillewiegt fast ein Kilo, wird zum größten Flop der Firmengeschichte und beendet die Karriere ihres visionären ErfindersGunpei Yokoi.

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Winnie Forster wird im Jahr der erstenMondlandung geboren, mit Atari-Konso-len und 8-Bit-Computern sozialisiert undarbeitet nach Abitur und Zivildienst beider IT-AG Markt & Technik. Er war leiten-

der Redakteur der damals führenden Computer- & Video-spiel-Zeitschrift „PowerPlay“, Mitbegründer der „VideoGames“, ab 1994 Redaktionschef der Cybermedia Verlags-GmbH, die Fachmagazine wie „M! Games“ und „Audio-Vision“ herausgibt. Im 21. Jhd. führt er den BuchverlagGameplan.de. Forster lebt, arbeitet und spielt am bayri-schen Ammersee.

Über den Autor

auf schwarzem Hintergrund dar, liefert nicht Raumklang,sondern nur schnödes Stereo. Er erkennt keine Kopfbewegung(im Gegensatz zu heutigen VR-Brillen), benötigt sechsBatterien (doppelt so viele wie der Game Boy) und bleibtdamit abhängig vom Stromnetz. Auch wegen seines Gewichtsund wegen Sicherheitsbedenken – der Spieler ist blind fürseine Umwelt – nicht tragbar, benötigt der Virtual Boyeine stabile Unterlage und starre Sitzposition.

Die Öffentlichkeit reagiert skeptisch auf das „32-Bit VirtualImmersion-System“ (Nintendo) bzw. die „unbeweglicheTabletop-Konsole auf Stelzen“ (so das Handbuch der Spiel-konsolen und Heimcomputer). Kunden, Handel, nichtzuletzt Game-fremdelnde Eltern befürchten gesundheitlicheSchäden durch lange Virtual-Boy-Sitzungen und Pixel-FX,

die direkt vor den Augen flim-mern. Auch wenn, soweit be-kannt, kein Kind oder Seniordurchs Virtual-Boy-Spiel zu

S c h a d e nkommt, sinddie Sorgennicht völligunberech-tigt: Dennstatt Spaßzu machen,strengt dieNintendo-Er findung

Rücken und Augen an und führtzu Schwindel und Nackenstarre.

Bereits vor der japanischenMarkteinführung im Juni 1995stößt Virtual Boy auf Kritikund Spott, was in eisiges Des-interesse umschlägt, als dieKonsole zwei Monate später

in US-Ketten wie Toys'r Us auftaucht: 180 Dollar, ohneBatterien, aber mit Gutschein dafür. Trotz günstigem Preissind die Verkaufszahlen mickrig. Da Nintendo noch dietraditionelle TV-Konsole Nintendo 64 in petto hat (Markt-einführung Mitte 1996), zeigt die Konzernführung keineGeduld und verbannt die Cyber-Hardware bereits wenigeMonate nach der Geburt auf eine winzige Fläche der Nin-tendo-Herbst-Messe. 1996 wird der US-Verkaufspreis aufunter 100 Dollar halbiert, dann auf Ramsch-Niveau gedrückt,der Europa-Start erst verschoben, dann ganz abgesagt.Obwohl Nintendo die glücklose Hardware fallen lässt wieeine heiße Kartoffel, kostet sie die Marktführerschaft, die

Sony nun mit der Playstation übernimmt. Als „one of ga-ming’s biggest disasters“, wie das US-Medium Wareable.comim Rückblick urteilt, beendet Virtual Boy auch die Karriereihres Erfinders Yokoi, dessen weiteres Leben kurz undtragisch ist. Das Game-Boy-Genie verlässt seinen lang-jährigen Arbeitgeber und baut für den SpielzeugkonzernBandai den Game-Boy-Rivalen Wonderswan, erlebt dessenVeröffentlichung jedoch nicht mehr. Am 4. Oktober 1997stirbt Yokoi, 56, bei einem Autounfall, um den sich heuteVerschwörungstheorien ranken.

Posthumer Erfolg

Mit tragbaren DS-Konsolen und Wii-Bewegungsspielenerholt sich Nintendo im 21. Jahrhundert von der Virtual-Reality-Schlappe und kehrt mit Sport-Software und Fit-ness-Spielen an die Spitze des Konsolen-Zirkus zurück.Nun, da sich VR-Geräte von Oculus, Sony und HTC demMassenmarkt nähern, warten Spieler rund um den Globuswieder auf die Reaktion des Branchenprimus: Wird Nintendosnächste Konsole VR-tragbar sein, oder scheut der gebrannteKonzern das Feuer?

Mit insgesamt einer Million verkaufter Geräte und nur 20austauschbaren Spielmodulen geht Virtual Boy als winzigeFußnote in die Firmengeschichte ein – die bis heute einzigeNintendo-Konsole, die nicht in deutschen Geschäftenankam. Erst in den letzten Jahren erwacht und steigt dasInteresse an der missglückten 3D-Hardware, sodass sichVirtual Boy letztendlich als gute Geldanlage für die wenigenKäufer erweist. Als Sammlerstück, das sich Game-Gourmetsgerne in die Vitrine stellen, ist ein gebrauchter VirtualBoy heutzutage ab 300 Euro zu haben.

Winnie Forster

ABBLENDE | WAS W

URDE EIGENTLICH AUS DEM VIRTUAL BOY VON NINTENDO?

KalenderJUNI28.06. Medienversammlung 2016 – Netzethik

Kölnwww.lfm-nrw.de/medienversammlung

JULI 01.07. Hate Speech – Hass im Netz

Fachtagung von LfM, LVR-Landesjugendamtund AJSKölnwww.ajs.nrw.de

05.07. 1. Regionaltag der LfM-Stiftung Vor Ort NRWMünsterwww.lfm-nrw.de/foerderung/vor-ort-nrw/regionaltag-muenster

05.-06.07. Lokalrundfunktage 2016Branchentreff für den lokalen und regionalenRundfunkNürnbergwww.lokalrundfunktage.de

AUGUST 17.- 21.08. Gamescom

Celebrate the gamesKölnwww.gamescom.de

29.08.- 01.09. 24. Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in der WissenschaftInnsbruckwww.gmw2016.at

SEPTEMBER 02.-07.09. Internationale Funkausstellung IFA

Consumer Electronics UnlimitedBerlinwww.ifa-berlin.de

06.09. Präsentation des Digitalisierungsberichts2016Berlin

08.-12.09. International Broadcasting Convention –IBC 2016Amsterdamwww.ibc.org

14.-15.09. Dmexco Digital Marketing Exposition & ConferenceKölnwww.dmexco.de

20.09. DDJ Meetup NRW – DatenjournalismusEssenwww.correctiv.org/bildung/ddj/meetups

21.-22.09 Lokal-TV-Kongress 2016Potsdamwww.lokal-tv-kongress.de

22.09. Kommunikationskongress 2016Internationale Fachtagung für Public RelationsBerlinwww.kommunikationskongress.de

22.-23.09. Swiss Media ForumDer Schweizer MedienkongressLuzernwww.swissmediaforum.ch

26.-27.09. BDZV-ZeitungskongressBerlinwww.bdzv.de

26.-27.09. Social Media ConferenceMeets Content MarketingHamburgwww.socialmediaconference.de

OKTOBER06.10. Deutscher Radiopreis

Ein Preis für QualitätHamburgwww.deutscher-radiopreis.de

07.-14.10 Cologne ConferenceInternationales Film- und Fernsehfestival KölnKölnwww.cologne-conference.de

12.-13.10. NEOCOMConnecting CommerceDüsseldorfwww.neocom.de

17.-20.10. MIPCOM 2016The world's entertainment content marketCanneswww.mipcom.com

19.-20.10. Apps World EuropeApps from Conception to IPOLondonhttps://world.apps-world.net

25.-27.10. MEDIENTAGE MÜNCHENMobile & Me – Wie das Ich die Medien steuertMünchenwww.medientage.de

NOVEMBER 02.-04.11. viscom frankfurt 2016

Internationale Fachmesse für visuelle KommunikationFrankfurtwww.viscom-messe.com

18.11. DDJ Meetup NRW - DatenjournalismusEssenwww.correctiv.org/bildung/ddj/meetups

18.-20.11. 33. Forum Kommunikationskultur der GMK 2016Software takes command – Medienbildung undMedienpädagogik für Kinder, Jugendliche undFamilien heuteCottbuswww.gmk-net.de

28.11. Tag der MedienkompetenzDüsseldorfwww.tagdermedienkompetenz.de