die zukunft der energieversorgung – herausforderungen und chancen

16
Erneuerbare Energien DOI: 10.1002/ange.200602373 Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen Nicola Armaroli* und Vincenzo Balzani* StichwɆrter: Erneuerbare Energien · Kohlenwasserstoffe · Photochemie · Rohstoffe · Solarenergieumwandlung · Wissenschaft und Gesellschaft Mit dem Wandel umgehen Fragen sind nie indiskret. Antworten bisweilen. Oscar Wilde Auf jede Generation warten neue Chancen und Herausforderungen. In einem begrenzten System wie der Erde kɆnnen aber die Chancen, die eine Ge- neration wahrgenommen hat, folgende Generationen vor Herausforderungen stellen. Die Ausbeutung von fossilen Brennstoffen erɆffnete den reichen westlichen LȨndern im 20. Jahrhundert große MɆglichkeiten, doch nun muss sich die Menschheit mit den Folgen auseinandersetzen. Die Reserven an fossilen Brennstoffen gehen zur Neige, [1] und ihr Verbrauch fɒhrt zu Gesund- heitsschȨden und Umweltverschmut- zung und erzeugt Treibhausgase, die zur ErderwȨrmung beitragen. Derzeit ver- schlingt unser wachsender Durst nach Ȕl nahezu 1000 Barrel pro Sekunde; [2] umgerechnet sind dies 2 Liter pro Erd- bewohner und Tag (Abbildung 1). [3] Der globale Energieverbrauch betrȨgt zur- zeit 13 Terawatt (TW), also 13 Billionen Watt. Wie lange kann das so weiterge- hen? Die Energieversorgung ist das zen- trale Thema des 21. Jahrhunderts. Hie- rin liegt unsere wichtigste Aufgabe, hier mɒssen wir grundsȨtzliche Fragen be- antworten und lebenswichtige Ent- scheidungen treffen. KɆnnen Wohlbe- finden, oder gar Glɒck, an einem hohen Pro-Kopf-Energiekonsum gemessen werden? Sollen wir uns schrittweise vom Verbrauch fossiler Brennstoffe ab- kehren? Werden wir eine Energiequelle finden, die fossile Treibstoffe ersetzen kann ? Kann die Chemie zur LɆsung des Energieproblems beitragen? Werden alle Menschen den Lebensstandard von Industrienationen genießen kɆnnen, ohne dass die Erde zerstɆrt wird? Wer- den wir unsere Ziele in den nȨchsten Jahrzehnten alleine mithilfe von Wis- senschaft und Technik erreichen? Soll- ten wir als Bɒrger der westlichen Welt uns neue soziale und Ɇkonomische Ver- haltensweisen zu eigen machen? KɆn- nen die Einwohner armer LȨnder ihre LebensqualitȨt verbessern? Vor vierzig Jahren machten uns die ersten Aufnahmen der Erde aus dem All unmissverstȨndlich klar, dass unser Planet wie ein Raumschiff durch das Universum treibt. Als Passagiere dieses Raumschiffs sollten wir sehr daran in- teressiert sein, LɆsungen fɒr die Ener- giefrage zu finden. Als Eltern wollen wir die Erde fɒr die kommenden Genera- tionen in einem guten Zustand hinter- lassen. Als Wissenschaftler sind wir verpflichtet, uns an der Diskussion ɒber die drohende Energiekrise zu beteili- gen. Als Chemiker kɆnnen wir Ener- gietechnologien verbessern und mɆgli- cherweise sogar einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, das Energiepro- blem auf lange Sicht zu lɆsen. Schließ- lich reisen wir als Bɒrger reicher Na- tionen in der ersten Klasse von Raum- schiff Erde, und daher sollten wir uns fragen, wie wir den Passagieren helfen kɆnnen, die weniger komfortabel un- tergebracht sind. Gewiss fɒhrt unsere konsumorientierte Lebensweise zu ei- ner Ungleichheit. Und genau diese Un- gleichheit zwischen den Bewohnern der Erde ist ihr herausragendes Charakte- ristikum und, langfristig gesehen, das gefȨhrlichste Problem. Bei der Suche nach einem Weg aus der Energiekrise [*] Dr. N. Armaroli Molecular Photoscience Group Istituto per la Sintesi Organica e la FotoreattivitȤ Consiglio Nazionale delle Ricerche Via Gobetti 101, 40129 Bologna (Italien) Fax: (+ 39) 051-639-9844 E-Mail: [email protected] Prof. Dr. V. Balzani Dipartimento di Chimica „G. Ciamician“ UniversitȤ di Bologna Via Selmi 2, 40126 Bologna (Italien) Fax: (+ 39) 051-209-9456 E-Mail: [email protected] Abbildung 1. Eine durchschnittliche amerikani- sche Familie inmitten der von ihr in einem Jahr verbrauchten ȔlfȨsser (1970). Heutzuta- ge ist der Konsum um ca. 40% hɆher. „Unser wachsender Durst nach Ȕl verschlingt derzeit fast 1000 Barrel pro Sekunde.“ Essays 52 # 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Upload: nicola-armaroli

Post on 06-Jun-2016

226 views

Category:

Documents


10 download

TRANSCRIPT

Page 1: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Erneuerbare EnergienDOI: 10.1002/ange.200602373

Die Zukunft der Energieversorgung –Herausforderungen und ChancenNicola Armaroli* und Vincenzo Balzani*

Stichw�rter:Erneuerbare Energien · Kohlenwasserstoffe ·Photochemie · Rohstoffe · Solarenergieumwandlung ·Wissenschaft und Gesellschaft

Mit dem Wandel umgehen

„Fragen sind nie indiskret. Antwortenbisweilen.“Oscar Wilde

Auf jede Generation warten neueChancen und Herausforderungen. Ineinem begrenzten System wie der Erdek�nnen aber die Chancen, die eine Ge-neration wahrgenommen hat, folgendeGenerationen vor Herausforderungenstellen. Die Ausbeutung von fossilenBrennstoffen er�ffnete den reichenwestlichen L&ndern im 20. Jahrhundertgroße M�glichkeiten, doch nun musssich die Menschheit mit den Folgenauseinandersetzen. Die Reserven anfossilen Brennstoffen gehen zur Neige,[1]

und ihr Verbrauch f3hrt zu Gesund-heitssch&den und Umweltverschmut-zung und erzeugt Treibhausgase, die zurErderw&rmung beitragen. Derzeit ver-schlingt unser wachsender Durst nach6l nahezu 1000 Barrel pro Sekunde;[2]

umgerechnet sind dies 2 Liter pro Erd-bewohner und Tag (Abbildung 1).[3] Derglobale Energieverbrauch betr&gt zur-zeit 13 Terawatt (TW), also 13 Billionen

Watt. Wie lange kann das so weiterge-hen?

Die Energieversorgung ist das zen-trale Thema des 21. Jahrhunderts. Hie-rin liegt unsere wichtigste Aufgabe, hierm3ssen wir grunds&tzliche Fragen be-antworten und lebenswichtige Ent-scheidungen treffen. K�nnen Wohlbe-finden, oder gar Gl3ck, an einem hohenPro-Kopf-Energiekonsum gemessenwerden? Sollen wir uns schrittweisevom Verbrauch fossiler Brennstoffe ab-kehren? Werden wir eine Energiequellefinden, die fossile Treibstoffe ersetzenkann? Kann die Chemie zur L�sung des

Energieproblems beitragen? Werdenalle Menschen den Lebensstandard vonIndustrienationen genießen k�nnen,ohne dass die Erde zerst�rt wird? Wer-den wir unsere Ziele in den n&chstenJahrzehnten alleine mithilfe von Wis-senschaft und Technik erreichen? Soll-ten wir als B3rger der westlichen Weltuns neue soziale und �konomische Ver-haltensweisen zu eigen machen? K�n-nen die Einwohner armer L&nder ihreLebensqualit&t verbessern?

Vor vierzig Jahren machten uns dieersten Aufnahmen der Erde aus dem Allunmissverst&ndlich klar, dass unserPlanet wie ein Raumschiff durch dasUniversum treibt. Als Passagiere diesesRaumschiffs sollten wir sehr daran in-teressiert sein, L�sungen f3r die Ener-giefrage zu finden. Als Eltern wollen wirdie Erde f3r die kommenden Genera-tionen in einem guten Zustand hinter-lassen. Als Wissenschaftler sind wirverpflichtet, uns an der Diskussion 3berdie drohende Energiekrise zu beteili-gen. Als Chemiker k�nnen wir Ener-gietechnologien verbessern und m�gli-cherweise sogar einen entscheidendenBeitrag dazu leisten, das Energiepro-blem auf lange Sicht zu l�sen. Schließ-lich reisen wir als B3rger reicher Na-tionen in der ersten Klasse von Raum-schiff Erde, und daher sollten wir unsfragen, wie wir den Passagieren helfenk�nnen, die weniger komfortabel un-tergebracht sind. Gewiss f3hrt unserekonsumorientierte Lebensweise zu ei-ner Ungleichheit. Und genau diese Un-gleichheit zwischen den Bewohnern derErde ist ihr herausragendes Charakte-ristikum und, langfristig gesehen, dasgef&hrlichste Problem. Bei der Suchenach einem Weg aus der Energiekrise

[*] Dr. N. ArmaroliMolecular Photoscience GroupIstituto per la Sintesi Organicae la Fotoreattivit0Consiglio Nazionale delle RicercheVia Gobetti 101, 40129 Bologna (Italien)Fax: (+39)051-639-9844E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. V. BalzaniDipartimento di Chimica „G. Ciamician“Universit0 di BolognaVia Selmi 2, 40126 Bologna (Italien)Fax: (+39)051-209-9456E-Mail: [email protected]

Abbildung 1. Eine durchschnittliche amerikani-sche Familie inmitten der von ihr in einemJahr verbrauchten DlfEsser (1970). Heutzuta-ge ist der Konsum um ca. 40% hHher.

„Unser wachsender Durst nach�l verschlingt derzeit fast1000 Barrel pro Sekunde.“

Essays

52 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 2: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

sollte daher die Chance nicht ungenutztverstreichen, ein wenig von dieser Un-gleichheit abzubauen und eine friedli-chere Welt zu schaffen. Unsere Gene-ration wird letztlich daran gemessenwerden, wie wir die Energiekrise be-w&ltigen.

Ein ungesundes Wachstum ineiner ungleichen Welt

„Es gibt nur zwei Familien auf dieserWelt, wie meine Großmutter zu sagenpflegte: die, die etwas haben und die, dienichts haben.“Miguel de Cervantes, Don Quixote

Energie ist wohl das wichtigste, aberkeinesfalls das einzige Problem derMenschheit: Auch Nahrung, Wasser,Gesundheit, Umwelt, Bildung, Bev�l-kerung, Krieg und Demokratie w&ren zuerw&hnen. All diese Probleme – mitAusnahme der Demokratie vielleicht –sind untrennbar mit der Energieversor-gung verkn3pft.[4] Es ist leicht einzuse-hen, dass ein Krankenhaus viel Energieben�tigt. Schwerer tut man sich daschon mit den gigantischen Energie-mengen, die der Bau und Betrieb einesTarnkappenbombers verschlingen. Diemoderne Agrarindustrie, die westlicheKonsumenten mit Nahrung und Deli-katessen jedweder Art verw�hnt, z&hltzu den gr�ßten Energieverbrauchern.Beispielsweise muss f3r 1 kg Rindfleischdie Energie von 7 Litern 6l aufgewen-det werden. Fberspitzt formuliert nutztdie moderne industrielle Landwirtschaftdas Land, um 6l und Gas in Nahrungumzuwandeln.

Abgesehen vom Licht der Sonne istdie Erde ein geschlossenes System. Derzweite Hauptsatz der Thermodynamikbesagt nun, dass es in einem geschlos-senen System Grenzen gibt, die nicht3berschritten werden k�nnen; augen-scheinlich ist dieses simple Prinzip eini-gen 6konomen nicht bekannt. Wird3rfen nie vergessen, dass unser Wirt-

schaftssystem auf das nat3rliche Kapitaldes Planeten angewiesen ist (etwa aufSauerstoff, Wasser oder die Artenviel-falt). Gl3cklicherweise erneuert sich einTeil dieses Kapitals selbstt&tig durch dieEinwirkung von Sonnenlicht auf dieBiosph&re, doch wenn wir das nat3rlicheKapital 3ber seine Regenerationsf&hig-keit hinaus beanspruchen, pl3ndern wirdie Schatzkammer der Erde. Im Jahr1961 sch�pfte die Menschheit 70% derKapazit&t der globalen Biosph&re aus, inden 1980ern stieg dieser Wert auf 100%,und 1999 erreichte er 120%.[5] DieseStatistik sagt nicht mehr und nicht we-niger, als dass wir 3ber unsere Verh&lt-nisse leben. Dar3ber hinaus nutzen wirfreiz3gig Rohstoffe, die nicht durch dieBiosph&re regeneriert werden k�nnen.In diese Klasse fallen nicht nur die fos-silen Brennstoffe, die beim Gebrauchunwiederbringlich verloren gehen, son-dern auch Metalle.[6] Die Kapazit&t vonRaumschiff Erde ist begrenzt. W3rdenalle 6.5 Milliarden Menschen den heu-tigen Lebensstandard von Nordameri-kanern genießen, so br&uchten wir zweiweitere Ausfertigungen unseres Plane-ten, um sie zu versorgen.[5] Selbstver-st&ndlich tr&gt auch Europa maßgeblichzur Ausbeutung der Erde bei: Die ter-restrische Biosph&re Europas absorbiertgerade einmal 10% der anthropogenenCO2-Produktion des Kontinents.[7]

Offene und versteckteEnergiekosten

„Der Kampf um das Dasein ist vor allemund wird in immer st%rkerem Maße ein

Kampf um die Beherrschung und dieErzeugung von Energie.“Ludwig Boltzmann

Was ist also Energie? Die Antwortf&llt nicht leicht. Wir k�nnten 3ber dieEnergie dasselbe sagen wie der heiligeAugustinus 3ber die Zeit (Bekenntnisse,XI, 14): „Was ist also die Zeit? Wennmich niemand danach fragt, weiß ich es,wenn ich es aber einem, der mich fragt,erkl�ren sollte, weiß ich es nicht.“

Energie ist allgegenw&rtig – mal&ußert sie sich als W&rme, mal alsElektrizit&t oder als Bewegung, die,ohne dass wir es merken, jeden Augen-blick unseres Lebens gestaltet (Abbil-dung 2). Doch auch gebildete B3rgervon Industrienationen sind sich ihrerBedeutung kaum bewusst, und so ist

unser k3mmerliches Wissen 3ber Ener-gie in einem un3bersehbaren Missver-h&ltnis zu unserem hohen Verbrauch.Diese Situation steht insbesondere Eu-ropa nicht gut an, das sich selbst auf demWeg zur Wissensgesellschaft sieht.[8]

Fragen Sie irgendjemanden, wieEnergie erzeugt wird, oder wie vielEnergie er verbraucht. Meist werden dieAntworten ebenso entt&uschend aus-fallen wie auf die Frage nach dem

„Unsere Generation wirdletztlich daran gemessenwerden, wie wir die Energie-krise bew*ltigen.“

„Unser k+mmerliches Wissen+ber Energie ist in einemun+bersehbaren Missverh*ltniszu unserem hohen Verbrauch.“

Abbildung 2. Energieleistung fIr Menschen in WohlstandslEndern: Um einen Fernseheranzutreiben, bedarf es der Muskelkraft von 2 Menschen, ein Waschgang mit einer energieeffizi-enten Waschmaschine benHtigt bereits 15 Helfer, und der Start einer voll beladenen Boeing 747wEre nur unter Mithilfe von 1.6 Millionen „Energiesklaven“ mHglich.

AngewandteChemie

53Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 3: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Strompreis oder nach M�glichkeiten,wie man Strom sparen k�nnte. AlsLehrende sollten wir uns daher fragen:Welches Wissen 3ber Energie vermit-teln unsere Schulen und Universit&ten?

In den vergangenen Jahren sind dieEnergiekosten sp3rbar gestiegen, undman ist allgemein der Ansicht, Energiesei nun ausgesprochen teuer. Doch ha-ben wir wirklich Grund, uns zu bekla-gen? Der aktuelle „hohe“ Preis derwertvollsten Energiequelle, 6l, betr&gtetwa 70 US-Dollar pro Barrel, also 0.44US-Dollar pro Liter. Roh�l ist somitbilliger als einige Mineralw&sser im Su-permarkt. Ein Liter Benzin kostet zur-zeit an einer europ&ischen Tankstelleetwa 1.3 Euro – ein Glas Wasser imRestaurant ist deutlich teurer. Tankenist also immer noch billiger als Trin-ken.[9]

Diese Energief3lle hat aber ihrenPreis, und der wird nicht direkt vomeinzelnen Konsumenten oder von denEnergieversorgern gezahlt, sondern diegesamte Gesellschaft tr&gt die Folgenvon sozio�konomischen Sch&den undUmweltverschmutzung. So geht in Eu-ropa die &rztliche Versorgung der Ver-letzten von Autounf&llen (Folge einesenergieintensiven Verkehrmittels) zu-lasten des Staatshaushalts. Zu den ver-steckten Energiekosten z&hlen direktenegative Auswirkungen bei Entde-ckung, F�rderung, Transport und Um-wandlung von Energieressourcen eben-so wie Langzeiteffekte wie Gesund-heitssch&den durch Luftverschmut-zung.[10, 11] Versteckte Kosten sind ver-mutlich das gr�ßte Tabu imEnergiegesch&ft. Einige Nebenwirkun-gen des Energiekonsums werden kom-

menden Generationen 3berlassen (z.B.radioaktiver Abfall); andere, wie dieriesigen Aufwendungen f3r Milit&rein-s&tze zur Sicherung der Energieversor-gung, belasten unsere Gesellschaft jetztschon. Hier muss man sich nur ins Ge-

d&chtnis rufen, dass der erste Golfkrieg(1990–1991) ungef&hr 80 Milliarden US-Dollar verschlang. Dieser immense Be-trag wird aber durch die Kosten desnoch laufenden zweiten Golfkriegs umein Vielfaches 3bertroffen werden(Abbildung 3). Selbst im Friedensch3tzt eine gigantische Sicherheitsma-schinerie wichtige Energietransportwe-ge und -anlagen (Pipelines, Seewege,Raffinerien etc.). Diese Kosten findennicht direkt Eingang in den 6lpreis.

Europa bem3ht sich nun um einefundierte Erfassung der verstecktenEnergiekosten.[12] Die Europ&ischeUnion (EU) ver�ffentlichte k3rzlichSch&tzwerte f3r die zus&tzlichen Kostenbei der Erzeugung von Elektrizit&t ausverschiedenen Quellen. Demnach istElektrizit&t, die in Deutschland ausKohle erzeugt wird, mit Zusatzkostenvon 0.73 Euro-Cent pro kWh belastet;der Wert f3r Windenergie ist zehnmalgeringer.[13] Diese und &hnliche Datenmachen deutlich, dass einige erneuer-bare Energieformen bei Ber3cksichti-

gung der versteckten Kosten – auch�konomisch gesehen – schon jetzt mitetablierten Technologien konkurrierenk�nnten.

Eine noch schwerwiegendere Belas-tung, die Energiekonsumenten der ge-samten Weltbev�lkerung aufb3rden, istder Eingriff in den Kohlenstoffkreislauf,der zur Erderw&rmung f3hrt. Die Koh-lenstoffmenge von ungef&hr 7 Gt proJahr, die wir in die Luft entlassen er-scheint zwar klein gegen3ber dem na-t3rlichen Austausch zwischen Biosph&reund Atmosph&re (ca. 200 Gt pro Jahr),sie reicht jedoch auf lange Sicht aus, umdie CO2-Konzentration stetig zu stei-gern (um 30% seit der industriellenRevolution). Dadurch ver&ndert sichdie Strahlungsbilanz der Erde, und zu-s&tzlich zu den nat3rlichen Klima-schwankungen werden auch unnat3rli-che Ver&nderungen ausgel�st.[14] Diewahrscheinlichsten Szenarien sehen im-mer h&ufigere Wetterextreme – starkeWirbelst3rme, D3rren, schwere Nieder-schl&ge und Hitzeperioden. Am h&rtes-ten treffen diese „externen“ Effektenaturgem&ß die sozial Schwachen, wiedie Nachwirkungen des Hurrikans Kat-rina in New Orleans gezeigt haben.Anders ausgedr3ckt: Die reichen Ener-giekonsumenten verursachen einenSchaden, unter dem vor allem die Ar-men zu leiden haben.

Energie und Lebensqualit*t

„Man bekommt nie genug von dem,was man nicht braucht, um gl(cklich zusein.“Eric Hoffer

Energie ist in jeder Ware enthalten,und sie liegt jeder Dienstleistung zu-grunde. Deshalb steigert sie den Le-bensstandard. Weil mehr Energie mehrWaren erzeugen und mehr Dienstleis-tungen erm�glichen sollte, k�nnte manmeinen, dass das Wohlbefinden mitwachsendem Energiekonsum automa-tisch zunimmt. Dies stimmt aber nicht soganz: Die Lebensqualit&t ist zwar w&h-rend des Aufstiegs eines Wirtschafts-raums streng mit dem Energiekonsumverkn3pft, doch nach dieser Phase, inindustrialisierten Nationen, bestehtpraktisch kein Zusammenhang mehr.[11]

Erreicht der Pro-Kopf-Energiever-Abbildung 3. Die „strategische Energieellipse“: Im Gebiet zwischen der Arabischen Halbinselund Westsibirien lagern ungefEhr 70% der bekannten Dl- und Gasreserven.

„Einige Nebenwirkungen desEnergiekonsums werden kom-menden Generationen +berlas-sen, andere belasten unsereGesellschaft jetzt schon.“

Essays

54 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 4: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

brauch das Rquivalent von 2.6 Tonnen6l pro Jahr (ton of oil equivalents, toe),so erfolgt keine weitere Verbesserung.Dagegen verl&uft der 3berm&ßige Kon-sum von Energie und Nahrung exaktparallel. Die Nation mit dem h�chstenAnteil an 3bergewichtigen oder fett-s3chtigen Menschen (USA: 130 Millio-nen, entsprechend 64%) ist auch dieje-nige mit dem h�chsten Pro-Kopf-Ener-gieverbrauch (8 toe). Ein Amerikanerkonsumiert soviel Energie wie 2 Euro-p&er, 10 Chinesen, 20 Inder oder30 Afrikaner.[11] Kalorien sind aus bio-logischer wie aus sozialer Sicht nur so-lange gesund, wie sie in genau der rich-tigen Menge aufgenommen werden:gerade „genug“, aber nicht „zuviel“.[15]

Die Energieaufnahme oberhalb einerSchwelle verringert die Effizienz einerPerson (Fettleibigkeit) oder einer Ge-meinschaft (Verkehrsstaus), sie erzeugtzus&tzlichen M3ll, treibt die Behand-lungskosten und verst&rkt nicht zuletztdie Ungleichheit.

Als in einer Samstagnacht im Sep-tember 2003 in ganz Italien die Lichterausgingen, schlugen die meisten Politi-ker und 6konomen, wie nach jedemgr�ßeren Stromausfall, als L�sung denBau neuer Kraftwerke vor – obwohlzum Zeitpunkt des Stromausfalls weni-ger als 30% der nationalen Produkti-onskapazit&t ausgelastet waren. Stattdie Energieversorgung auszubauen,sollten Industrienationen angesichts ei-ner „Energiekrise“ besser den Energie-bedarf reduzieren. Die reichen L&nderk�nnten ihren Energieverbrauch pro-blemlos um 25% senken, ohne dass dieBev�lkerung in irgendeiner HinsichtVerzicht 3ben m3sste.[16]

Da eine erhebliche Energiemenge indie Herstellung industrieller Produktefließt, sollte viel Energie einzusparensein, wenn man auf langlebige Produktesetzt. Leider widerspricht dieser Vor-schlag dem Mantra vom immerw&hren-den Wirtschaftswachstum.

Fossile Brennstoffe

„Kann Sonnenenergie nur in Formfossiler Brennstoffe durch die moderneZivilisation genutzt werden?Das ist die Frage.“Giacomo Ciamician

6l ist das wertvollste Luxusgut desWelthandels: Tag f3r Tag wechselt 6l imWert von ungef&hr sechs MillionenDollar den Besitzer.[17] Wir konsumie-ren 85 Millionen Barrel 6l pro Tag, undder Bedarf steigt, vor allem wegen derzunehmenden Zahl an Automobilen inAsien. Sollten China und Indien, in de-nen heute nicht einmal 20 Autos auf1000 Einwohner kommen, in einerWeise wie Europa mit Autos versorgtwerden (ungef&hr 700 Autos auf 1000Einwohner), so w3rde diese Blechlawi-ne 28 Millionen Barrel 6l pro Tag ver-brauchen – ann&hernd das Dreifacheder heutigen F�rdermenge von Saudi-Arabien.

Unsere auf 6l versessene Zivilisati-on wird sich mit einem Problem aus-einandersetzen m3ssen, das das Ener-gieszenario einschneidend ver&ndernwird: dem 6l-Peak.[18] Seit Anfang des20. Jahrhunderts ist der Bedarf an 6lstetig gestiegen, aber die Versorgungkonnte stets mithalten: Wir brauchtenmehr 6l, und wir bekamen es pro-blemlos. Es zeichnet sich jedoch ab, dassdie Versorgung die immer h�hereNachfrage eines Tages nicht mehr wirddecken k�nnen. An diesem Tag werdendie 6lreserven zwar noch nicht aufge-braucht sein, aber er markiert das Endeder Rra des „leichten 6ls“. Pessimistenglauben, dass der 6l-Peak bereits er-reicht w&re, Optimisten[19] geben diesemEreignis noch 30 Jahre. Doch selbstwenn die Optimisten Recht behalten,liegt der 6l-Peak in nicht allzu fernerZukunft: Die Kinder von heute werdenin 30 Jahren immer noch jung sein.

6l ist der ideale Treibstoff, denn esist fl3ssig und kann dadurch leicht ge-

f�rdert und transportiert werden. Auseinigen Anwendungen ist 6l praktischnicht mehr wegzudenken: Wie sollte einJumbojet mit einem festen oder gasf�r-migen Treibstoff fliegen?

Der Gas-Peak wird sp&ter erwartetals der 6l-Peak. Einen Vorgeschmackerlebte Europa aber schon im Winter2006. Der Versorgungsengpass beimrussischen Erdgas zeigte, wie anf&lligdas Verteilungssystem dieser wertvollenEnergiequelle ist. Wir sollten auch be-r3cksichtigen, dass in Zukunft ein er-heblicher Teil des russischen Gases sei-nen Weg nach S3den, in die aufstre-benden L&nder Asiens, nehmen k�nnte.Dem Transportproblem kann prinzipielldurch den Bau von Fl3ssiggastankernund Wiedervergasungsanlagen begegnetwerden. Diese Infrastruktur ist aberextrem kostspielig und unterliegt stren-gen Sicherheitsauflagen. Aus diesemGrund befinden sich die meisten kali-fornischen Wiedervergasungsanlagenvor der mexikanischen K3ste.[20] DasUnfallrisiko ist gering, aber man weiß janie …

Kohle ist der schmutzigste fossileBrennstoff. Das eigentliche Problem derKohle wird, 3ber die kommenden100 Jahre gesehen, nicht die Verf3gbar-keit, sondern die Umweltvertr&glichkeitsein. Man kann sich dies vor Augenf3hren, wenn man bedenkt, dass eindurchschnittliches 1000-MW-Kraftwerkt&glich 100 Zugladungen Kohle ben�-tigt. Außerdem w3rde die Verwendungderjenigen Energiequelle, die denTreibhauseffekt am st&rksten anheizt,allen Ans&tzen f3r eine weltweite Kli-mapolitik zuwiderlaufen. AnsehnlicheBetr&ge wurden in Projekte investiert,um die Auswirkungen von Kohle auf dasKlima durch Kohlevergasung oderdurch Kohlenstoffsequestrierung abzu-mildern. Diese Technik zielt darauf ab,den Austritt von CO2 aus station&renQuellen (z.B. als Abgase aus Kraftwer-ken) in die Atmosph&re zu verhindern;es sind aber noch unz&hlige technische,�konomische und politische Hindernis-se zu 3berwinden.[21,22] Kohle hat einenweiteren ernsten Nachteil: Ihre unterir-dische F�rderung ist alles andere als einTraumjob. Und die wenigsten Energie-konsumenten aus den reichen L&ndernf3hlen sich zu dieser Aufgabe berufen.

Es kann also kein Zweifel daranbestehen, dass wir fr3her oder sp&ter

„In industrialisierten L*ndernbesteht praktisch kein Zusam-menhang mehr zwischenLebensqualit*t und Energie-konsum.“

„Statt die Energieversorgungauszubauen, sollten Industrie-nationen angesichts einer,Energiekrise‘ besser denEnergiebedarf reduzieren.“

AngewandteChemie

55Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 5: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

von fossilen Brennstoffen auf eine, wieauch immer geartete, erneuerbare Ener-giequelle umschwenken m3ssen (Ab-bildung 4),[23]

Kernenergie

„Kernkraftwerke sind so sicher wieSchokoladenfabriken.“The Economist, 29. M1rz 1986

(4 Wochen vor dem Reaktorungl8ck

von Tschernobyl)

Kernenergie wird durch Kernspal-tung oder Kernfusion erhalten. W&h-rend die Kernspaltung weithin zurStromerzeugung genutzt wird, kam manbei der Kernfusion noch nicht 3ber dasStadium von Laborexperimenten[24]

hinaus (Bomben ausgenommen). Dieam h�chsten technisierten Nationenhaben sich vor kurzem zu dem ProjektITER zusammengeschlossen, dessenZiel es ist, bis zum Jahr 2050 die Nutz-barkeit der Kernfusion f3r zivile Zwe-cke nachzuweisen. Ein Erfolg ist aberselbst in Anbetracht der hohen Investi-tionen (ungef&hr 10 Milliarden Euro,

also ca. 2 Euro pro Erdbewohner) un-gewiss.

Zurzeit sind weltweit 441 Kern-kraftwerke am Netz. Diese Zahl wird inden n&chsten Jahren vermutlich abneh-men, da die 26 in Bau befindlichenKraftwerke kaum all die alten Reakto-ren ersetzen werden, die kurz vor demAbschalten stehen, und man vor derweiteren Planung eine Kl&rung der Ge-setzeslage abwartet.[25] Die Weiterent-wicklung der Kernspaltung zur Ener-giegewinnung st�ßt auf eine Reihe vonSchwierigkeiten. Im Prinzip sind diemodernen Reaktoren sicher, aber dasUngl3ck von Tschernobyl, dessen ma-terielle und psychologische Konsequen-zen immer noch schwer abzusch&tzensind, ist nicht vergessen. Fberdies habennoch nicht einmal die USA einen si-cheren Weg zur Abfallbeseitigung ge-funden, obwohl viel in ein nationalesEndlager im Yucca Mountain investiertwurde.[26] Davon abgesehen ist es ausmoralischer Sicht fraglich, ob radioak-tiver Abfall, der Tausende von Jahrenweiterstrahlen wird, zuk3nftigen Gene-rationen 3berlassen werden darf. Diezivile Nutzung der Kernenergie ist un-zertrennlich mit der Waffentechnologieverkn3pft (wie die aktuelle Iran-Affaireeinmal mehr zeigt), und eine Verbrei-tung von Atomwaffen ist mehr als unserzerbrechliches Raumschiff Erde vertra-gen kann. Kernreaktoren sind vorran-gige Angriffsziele f3r Terroristen undextrem teuer in Aufbau, Sicherung undDemontage.

Die Entwicklung der Kernenergiewurde in verschiedenerlei Hinsicht starksubventioniert. In den VereinigtenStaaten stellt beispielsweise das Price-Anderson-Gesetz einen Fundus von200 Millionen US-Dollar f3r Versiche-rungskosten zur Verf3gung, die andersnicht aufzubringen w&ren. Falls n�tig,kommt letztlich wieder der Steuerzahlerauf. Nach Meinung von Experten ist esfraglich, ob in der USA ohne diese Un-

terst3tzung auch nur ein einziges Kern-kraftwerk gebaut worden w&re.[10]

Um wirksam zur Energieversorgungder Zukunft beizutragen, sollte dieKernenergie f3r einen l&ngeren Zeit-raum 10 TW Leistung bereitstellen. ZurProduktion dieser gewaltigen Energie-menge w3rden 10000 Kernkraftwerkemit einer Elektrizit&tsleistung von ei-nem Gigawatt (1 GWe) ben�tigt. ImLaufe der n&chsten 50 Jahre m3sste alsojeden zweiten Tag irgendwo ein neuerKernreaktor gebaut werden.[27, 28] DieseAnsammlung von Kraftwerken w3rdedie gesamten Uranreserven der Erdeaber binnen 10 Jahren verschlingen. Dasverbrauchte Brennmaterial m3sste auf-bereitet und in Br3terreaktoren genutztwerden, und diese Technologie w&renach ihrer Entwicklung an L&nder wei-terzugeben, die ihren zus&tzlichen Ener-giebedarf auf diese Weise zu deckenw3nschen.[29] Die 3blichen Aufberei-tungsprozesse sehen aber die Abtren-nung von Plutonium vom radioaktivenMaterial vor, sodass es leichter w3rde,sich Plutonium f3r Atomwaffen zu ver-schaffen. Die Bush-Regierung hat vorkurzem den Kongress ersucht, 40 Milli-arden US-Dollar als Startkapital f3r einehrgeiziges Programm zur Verf3gung zustellen: Die Globale Kernenergiepart-nerschaft (Global Nuclear EnergyPartnership, GNEP) verfolgt das Zieleiner verbesserten Wiederverwertungvon Nuklearabf&llen.[29] Im Erfolgsfallk�nnten die Vereinigten Staaten undihre Partner Entwicklungsl&ndern ab2025 neue Kernbrennstoffe und kleineKernreaktoren zur Verf3gung stellen.Diese Empf&ngernationen w3rden sichim Gegenzug bereit erkl&ren, auf eineeigene Urananreicherung zu verzichtenund den verbrauchten Brennstoff zurAufbereitung zur3ckzugeben. DerartigeInitiativen w3rden die Entwicklungs-l&nder allerdings stark von fremderTechnologie abh&ngig machen, und ihrepolitische Selbst&ndigkeit st3nde ernst-lich auf dem Spiel.

Sonnenenergie

„Die Rolle des fallenden Wasser aberwird bei der Maschine des Lebens vonden Sonnenstralen (bernommen; ohnedie Sonnenstralen kann das rad des Le-bens nicht im Gang erhalten werden und

Abbildung 4. „The Photochemistry of the Fu-ture“: In einer entsprechenden Science-VerHf-fentlichung (Lit. [23]) forderte Giacomo Ciami-cian 1912 den Umschwung von fossilen auferneuerbare Energiequellen. Fast einhundertJahre spEter ist dies notwendiger denn je.

„Die zivile Nutzung derKernenergie ist unzertrennlichmit der Waffentechnologieverkn+pft.“

Essays

56 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 6: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

wir werden noch genauer erforschenm(ssen, auf welchen Verh%ltnissen undNaturgesezen diese merkw(rdige Um-wandlung der Sonnenstralen in Nah-rungsmittel und W%rme beruht.“Wilhelm Ostwald, Die M8hle des Lebens

Wie bereits erw&hnt ist das Raum-schiff Erde ein geschlossenes System.Zu unserem Gl3ck verf3gen wir aber3ber eine unersch�pfliche Energiever-sorgung: 120000 TW an elektromagne-tischer Strahlung str�men von der Son-ne auf die Erdoberfl&che – viel mehr, alsdie Menschheit ben�tigt. W3rde man0.16% der Landfl&che der Erde mitSolarzellen bedecken, die Sonnenener-gie mit 10% Effizienz umwandeln, sost3nden 20 TW Leistung zur Verf3gung(Abbildung 5).[30] Das w&re nahezu dasDoppelte des weltweiten Konsums anfossiler Energie, und es entspr&che derLeistung von 20000 1-GWe-Kernkraft-werken.

Die Sonnenenergie birgt ein außer-gew�hnliches Potenzial als saubere und�konomische Energieform. Doch siekann nicht als solche eingesetzt werden,sondern sie muss erst eingefangen undin eine andere, anwendbare Energie-form umgewandelt werden. Da dieSonneneinstrahlung diffus (ca. 170Wm�2) und nicht gleichbleibend starkist, sollte die Umwandlung die Konzen-tration und Lagerung einschließen.Keines der derzeit gebr&uchlichen Ver-fahren zur Konversion von Sonnen-energie in W&rme, Elektrizit&t oder

Brennstoffe kann sich bei den heutigenHandelspreisen mit fossilen Brennstof-fen messen. Bezieht man aber die ver-steckten Kosten der Energie aus fossilenBrennstoffen mit ein, dann sieht dieSache schon ganz anders aus.

Einige Wissenschaftler sind der An-sicht, dass es in Zukunft mithilfe vonSolarenergiesatelliten (solar power sa-tellites, SPS) m�glich sein wird, imWeltall Energie zu sammeln und diese inForm von Mikrowellenstrahlung zurErde zu senden. Futuristische Anwen-dungen wie diese werden wir bei derfolgenden Diskussion nicht ber3cksich-tigen.

Umwandlung von Sonnenenergiein W*rme

Der direkteste Weg, Sonnenenergiezu nutzen, sind Solarw&rmekollektoren,in denen eine Fl3ssigkeit aufgeheiztwird, um Heißwasser zur Verwendungim Haushalt oder f3r Heizzwecke zuerzeugen. Diese 3beraus einfachen Sys-teme sind nicht auf die Konzentrationvon Sonnenlicht angewiesen. Der Marktf3r Solarw&rmekollektoren ist zwischen2001 und 2004 um 50% gewachsen; derAnteil der EU betr&gt 13%. (2004wurden 1.6 Millionen Quadratmeter in-stalliert.)[31] Die h�chste Dichte an So-larw&rmesystemen findet sich in Israel(740 m2 pro 1000 Einwohner, zehnmalso viel wie in Deutschland), wo Kollek-toren zur Heißwassererzeugung f3r die

meisten Geb&ude gesetzlich vorge-schrieben sind. Die weltweite Kollekto-renfl&che von 110 Millionen Quadrat-metern (77 thermische Gigawatt, GWth,als Maß f3r die W&rmeerzeugungska-pazit&t) kann fast 40 Millionen Haus-halte versorgen, also 2.5% der rund1.6 Milliarden Haushalte der Erde.[31]

Etwas unerwartet ist es vielleicht, dass3ber 50% des Energieverbrauchs mo-derner Haushalte auf eine triviale T&-tigkeit entfallen: das Erw&rmen vonWasser zum Heizen, Waschen und Ko-chen. Daher w3rde die Verbreitung vonSolarw&rmewandlern die Energie- undUmweltbilanz f3r den Haushaltssektorschon deutlich verbessern.

Sch&tzungen zufolge hat die Berei-tung von Heißwasser mit Sonnenenergieanstelle von fossilen Brennstoffen imJahr 2004 den CO2-Ausstoß um 25 bis30 Millionen Tonnen gemindert. EinigeGroßst&dte, allen voran Barcelona undOxford, haben Solarw&rmesysteme f3rNeubauten zur Auflage gemacht, unddie Ergebnisse k�nnen sich sehen las-sen. Eine wichtige Verbesserung derSolarw&rmewandlung best3nde im Bauvon Systemen, die tags3ber W&rmesammeln, diese in Form eines Phasen-3bergangs speichern und auf Abrufkontrolliert freisetzen.

Mit Sonnenenergie k�nnen auchhohe Temperaturen erreicht werden,indem man die Strahlung durch Spiegelb3ndelt. Das konzentrierte Sonnenlichtkann dann durch W&rmeturbinen inElektrizit&t umgewandelt werden oderthermochemische Prozesse wie die Me-than-Reformierung und die Reduktionvon Metalloxiden antreiben.[28] Nachjahrelanger Stagnation haben Hoch-temperatur-Solarw&rmesysteme k3rz-lich wieder mehr Aufmerksamkeit aufsich gezogen. In Spanien floriert derMarkt, und einige Entwicklungsl&nderplanen Projekte.[31] Gesucht werdenMaterialien, die unter den hohen Tem-peraturen und korrosiven Bedingungenvon Solar�fen best&ndig sind.

Abbildung 5. Zur Erzeugung von 20 TW, dem voraussichtlichen weltweiten Leistungsbedarf inder Mitte dieses Jahrhunderts, mIssten 0.16% der LandflEche (rote Quadrate) mit Solarkollek-toren von 10% Effizienz bedeckt werden. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. NathanLewis, Caltech, Pasadena.)

„:ber 50% des Energiever-brauchs moderner Haushalteentfallen auf das Erw*rmenvon Wasser zum Heizen,Waschen und Kochen.“

AngewandteChemie

57Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 7: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Solarelektrizit*t

Solarelektrizit&t wird in Photovol-taik(PV)-Zellen oder mithilfe vonHochtemperatursystemen erzeugt. Dieerste Methode verspricht mit Abstandam meisten f3r die verbreitete Strom-erzeugung. PV-Zellen eignen sich f3rviele Anwendungen; besonders wichtigwerden sie, wenn kein Stromnetz ver-f3gbar ist. Ungef&hr 1.6 MilliardenMenschen leben ohne jede Stromver-sorgung, und ein Großteil dieser Armenwohnt in Gebieten, die schon aus Kos-tengr3nden nicht an ein Stromnetz an-geschlossen werden. In Industrienatio-nen k�nnen die Solarzellen auf Haus-d&chern (Module oder Solarbatterien)durch einen Inverter an das Stromnetzangeschlossen werden und Energie indieses einspeisen (netzgekoppelte PV-Systeme). Zwischen 2002 und 2004 stiegdie Zahl der netzgekoppelten Solar-PV-Zellen j&hrlich um 60%, und heute sind3ber 400000 D&cher best3ckt (davon200000 in Japan und 150000 inDeutschland).[31]

In konventionellen PV-Zellen ent-stehen Elektronen und L�cher, wennPhotonen mit einer Energie oberhalbder Bandl3cke eines Halbleiters absor-biert werden; ihren Energie3berschussgeben diese Elektronen in Form vonW&rme ab. Die thermodynamischeObergrenze f3r die Energiekonversi-onseffizienz liegt unter diesen Bedin-gungen bei 31%. Diese Grenze kannprinzipiell durch Systeme der zweitenGeneration 3berwunden werden, diep-n-Halbleiterkontakte in Tandemkon-figuration enthalten („Multi-junction-Solarzellen“).[28]

Die 3blichen PV-Zellen der erstenGeneration aus kristallinem Siliciumarbeiten mit 5–15% Effizienz bei einerLebensdauer von ungef&hr 30 Jahren.Die Energiekosten f3r netzgekoppelteSysteme betragen 0.20–0.40 US-Dollarpro kWh (aus fossilen Brennstoffen ge-wonnener Strom kostet zwischen 0.03(Nebenzeiten in Industriel&ndern) und0.80 US-Dollar pro kWh (l&ndlicheGebiete)).[31] Bis sich eine Solarzelleamortisiert, vergehen etwa 2–4 Jahre,und 3ber ihre gesamte Betriebzeit pro-duziert sie Elektrizit&t, deren Wert gr�-ßenordnungsm&ßig das Zehnfache derProduktionskosten betr&gt.[28] Im Jahr2004 waren 3ber die ganze Welt PV-

Zellen mit einer Kapazit&t von 1.8 GWinstalliert.[31]

Wenn man die versteckten Kostenber3cksichtigt, dann kann Solarelektri-zit&t schon heute preislich mit aus fos-silen und Kernbrennstoffen gewonnenerElektrizit&t mithalten. Man kann aberdavon ausgehen, dass verst&rkte For-schungsaktivit&ten neue Konzepte,Bauformen, Materialien und Technolo-gien hervorbringen werden, die die Ef-fizienz der Zellen erh�hen und ihreKosten reduzieren.

In den vergangenen zehn Jahrenwurden Festk�rper-PV-Zellen auf derGrundlage molekularer organischerSysteme entwickelt, wie sie auch inFernsehbildschirmen verwendet wer-den. Ihre Energiekonversionseffizienzist noch gering (unter 5%), doch sie sindvielversprechend im Hinblick auf dieKonstruktion billiger, leichter und fle-xibler Solarzellen. Die Entwicklunghoch effizienter organischer Solarzellenk�nnte sogar zu Solarkonversionsan-strichen f3hren, die ein großfl&chigesEinfangen und Umwandeln von Son-nenenergie erm�glichen w3rden.[28]

Sonnenenergie kann auch durchphotoelektrochemische Zellen in elek-trische Leistung umgewandelt werden,in denen eine Halbleiterelektrode miteinem Elektrolyt in Kontakt steht, derein Elektronenrelais enth&lt. Der sta-bilste, und daher am h&ufigsten einge-setzte, Halbleiter ist TiO2, das jedochwegen seiner großen Bandl3cke (3.0 eV,ca. 410 nm) nur wenig Sonnenlicht ab-sorbiert. Um dieses Problem zu l�sen,wurden Farbstoffmolek3le auf d3nnenFilmen gesinterter kristalliner TiO2-Na-nopartikel adsorbiert.[32] Die Farbstoff-molek3le injizieren bei Anregung durchSonnenlicht Elektronen in das TiO2, waszu einer Ladungstrennung f3hrt. DerReiz dieser farbstoffsensibilisierten So-larzellen liegt in den niedrigen Kostenf3r TiO2 und in ihrer leichten Herstel-lung. PV-Labormodelle erreichten be-reits 11% Effizienz, gr�ßere Modulesind aber noch nicht auf diesem Stand.

Brennstoffe aus Sonnenenergie

In punkto Lagerung und Transportsind fl3ssige Brennstoffe die g3nstigsteEnergieform. Da Sonnenenergie nichtgleichm&ßig verf3gbar ist, sollte sie in

nutzbare chemische Brennstoffe umge-wandelt werden. Solarelektrizit&t kanndie Elektrolyse von Wasser zu H2 undO2 antreiben, dieses Verfahren ist abersehr teuer. Daher w&re es g3nstiger, dasSonnenlicht direkt zur Produktion vonBrennstoffen zu nutzen (z.B. von Me-thanol).[33]

Die nat!rliche Photosynthese er-zeugt mithilfe von Sonnenlicht Brenn-stoffe, produziert Biomasse und – aufder geologischen Zeitskala – letztlichauch fossile Brennstoffe, die aber zur-zeit ungef&hr 500000mal so schnell ver-braucht werden, wie sie neu entstehen.Sonnenlicht kann durch Photosynthesezu maximal 6.7% in chemische Energieumgewandelt werden, doch nur einBruchteil dieses Wertes ist realistisch.Global werden nur 0.3% der auf Land-fl&chen einfallenden Sonnenenergie inPflanzen gespeichert, und hiervon istwiederum nur ein Bruchteil nutzbar.[11]

Daher w&re viel gewonnen, wenn mandie Effizienz der nat3rlichen Photosyn-these verbessern k�nnte. Zu diesemZweck ist es unumg&nglich, die mole-kularen Grundlagen des Prozesses auf-zukl&ren (Abbildung 6). Photosyntheti-sierende Organismen sammeln Lichtmithilfe von Antennensystemen ausPigment-Protein-Komplexen. Die ein-gefangene Anregungsenergie wird anProteine im reaktiven Zentrum weiter-geleitet, wo sie durch einen Elektro-nentransfer unter Beteiligung angereg-ter Zust&nde in ein elektrochemischesPotential umgewandelt wird. DieQuanteneffizienz dieses Ladungstren-nungsschritts betr&gt nahezu 100%. Dieentstehenden Oxidations- und Reduk-tions&quivalente werden anschließenddurch thermische Elektronentransfer-schritte zu katalytischen Zentren trans-portiert, wo sie Wasser oxidieren undBrennstoffe wie Kohlenhydrate produ-zieren k�nnen.

Die M�glichkeit einer k!nstlichenPhotosynthese[34] – und ihre Notwen-digkeit – wurde durch den italienischenChemiker Giacomo Ciamician (Abbil-dung 7) schon vor knapp einhundertJahren vorhergesagt:[23] „Wo es eine rei-che Vegetation gibt, kann die Photoche-mie den Pflanzen !berlassen werden,und durch eine gezielte Kultivierungk'nnte man das Sonnenlicht f!r indu-strielle Zwecke nutzen. In W!sten, diekeinerlei Kultivierung zulassen, sollte die

Essays

58 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 8: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Sonnenenergie mithilfe von Photoche-mie k!nstlich f!r praktische Zweckenutzbar gemacht werden. In Trockenzo-nen werden Industriegebiete ohne Rauchund Schornsteine entstehen; W�lder vonGlasr'hren werden sich !ber die Pflan-zen erstrecken und Glasgeb�ude werden!berall aufschießen; darin werden die

photochemischen Prozesse ablaufen, diebislang das Geheimnis der Pflanzenwaren. Doch die Menschheit wird siedurch Fleiß dazu bringen, mehr Fr!chtezu tragen als in der Natur, denn die Naturkennt – im Unterschied zum Menschen –keine Eile. Und sollte in ferner Zukunftalle Kohle aufgebraucht sein, dann wird

das die Zivilisation nicht ber!hren, denndas Leben und die Zivilisation werdenbestehen solange die Sonne scheint!“.

Die effiziente Erzeugung saubererBrennstoffe durch Sonnenenergie w&redie gr�ßte Entdeckung der modernenNaturwissenschaften. Auf dem Weg zudiesem Ziel sind noch viele Aufgaben zumeistern, einige Resultate stimmen aberschon optimistisch.[35]

Eine �konomische und umweltver-tr&gliche Produktion von Brennstoffenmit Sonnenenergie muss von reichlichvorhandenen, billigen Rohstoffen wieWasser und Kohlendioxid ausgehen.Die aktuelle Forschung konzentriertsich auf zwei Reaktionen: die Spaltungvon Wasser in molekularen Wasserstoffund molekularen Sauerstoff[36] und dieReduktion von Kohlendioxid zu Etha-nol in w&ssriger L�sung unter Bildungvon Disauerstoff. Am besten konstruiertman k3nstliche Photosynthesesystemef3r die praktische Brennstoffproduktionmithilfe von Sonnenenergie, indem mansich an der molekularen und supramo-lekularen Organisation des nat3rlichenPhotosyntheseprozesses orientiert: DerLichtsammelschritt sollte zu einer La-dungstrennung f3hren, auf die hin einLadungstransport die Oxidations- undReduktions&quivalente an katalytischeZentren bef�rdert, an denen Sauerstoffund Wasserstoff separat erzeugt werden(oder CO2 reduziert wird). Bez3glichder einzelnen Teilschritte der k3nstli-chen Photosynthese sind durchaus Er-folge zu vermelden, die Integration derKomponenten in einem funktionsf&hi-gen System gelang aber noch nicht.[37]

Schwierigkeiten ergeben sich da-raus, dass es sich bei der Bildung vonWasserstoff und Sauerstoff aus Wasser(und auch bei der Reduktion von CO2)um Mehrelektronenprozesse handelt,w&hrend die Lichtabsorption ein Ein-photonenprozess ist, der zu einerEinelektronen-Ladungstrennung f3hrt

Abbildung 6. Die SchlIsselschritte der natIrlichen Photosynthese: Sonnenlichtsammlung durchPigmente, Energietransfer zum Reaktionszentrum, Ladungstrennung, Erzeugung vonKohlenhydraten und Sauerstoff. (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Lella Serroni, Universi-tEt Messina.) D Donor, A Acceptor P Photosensibilisator.

Abbildung 7. Giacomo Ciamician, BegrInder der Photochemie und Vordenker der Energiewen-de. Das große Bild zeigt ihn um 1910 auf dem Dach seines Labors an der UniversitEt Bolognabeim Betrachten von ReaktionsgefEßen unter Sonnenbestrahlung.

„Die effiziente Erzeugungsauberer Brennstoffe durchSonnenenergie w*re die gr?ßteEntdeckung der modernenNaturwissenschaften.“

AngewandteChemie

59Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 9: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

(Abbildung 8). Katalysatoren m3ssendiese Einphotonenereignisse zu Prozes-sen koppeln, die die ben�tigte Zahl anRedox&quivalenten f3r die Brennstoff-produktion aufbringen. Insbesonderef3r die Erzeugung von Sauerstoff sindaber noch keine effizienten Katalysato-ren verf3gbar. K3rzlich wurde dieStruktur eines Sauerstoff entwickelndenZentrums der nat3rlichen Photosynthe-se aufgekl&rt;[38] m�glicherweise k�nnenauf der Grundlage dieser Erkenntnisseeffiziente k3nstliche Katalysesystemeentworfen werden.

Die Untersuchung von Hybridsys-temen mit nat3rlichen und k3nstlichenKomponenten erwies sich als erfolgrei-cher: Ein Beispiel hierf3r ist die Kon-struktion einer Protonenpumpe aus ei-ner k3nstlichen Donor-Acceptor-Triadeund ATP-Synthase, die in ein Liposominkorporiert war.[39]

Biomasse ist und bleibt eine wichtigeRessource f3r die Energieerzeugung. InEntwicklungsl&nder wird sie h&ufig ge-nutzt, um Energie f3r kleine Produkti-onsst&tten bereitzustellen, aber auchallgemein, denn das Verbrennen vonFeuerholz in 6fen f3hrt zu schwerenGesundheitssch&den.[40] Um nennens-werte Energiemengen aus Biomasse zuerzeugen, ben�tigt man sehr viel kul-tivierbares Land und entsprechend gro-

ße Wassermengen. Legt man den mo-mentanen Konsum zugrunde, so m3ss-ten Europa oder die USA, um nur 5%ihres Benzin- und Dieselverbrauchs zudecken, schon 20% ihrer Kulturfl&chezu diesem Zweck abstellen.[41]

In den Industrienationen wird festeBiomasse eingesetzt, um W&rme oderElektrizit&t zu gewinnen. Fl3ssigeBrennstoffe wie Ethanol und Biodieselwerden aus Nutzpflanzen erhalten(33 Milliarden Liter im Jahr 2004 – un-gef&hr 3% der 1200 Milliarden LiterBenzin, die global verbraucht wur-den).[31] Ethanol wird in Brasilien ausZuckerrohr und in den VereinigtenStaaten aus Mais erzeugt. Das brasi-lianische Zuckerrohr-Ethanol-System3berf3hrt 33% der geernteten Prim&r-energie in Ethanol;[42] im Jahr 2004 lie-ferte es 44% aller (Nicht-Diesel)Treib-stoffe. Getankt wird reines Ethanol(E95) oder eine Ethanol/Benzin(25:75)-Mischung (E25). Fber die H&lfte allerNeuwagen, die in Brasilien verkauftwerden, fahren mit reinem Ethanol odermit dem Ethanol/Benzin-Gemisch. DieMischungen E85 und E10 (mit 85%bzw. 10% Ethanol) erfreuen sich in denUSA zunehmender Beliebtheit. Dasamerikanische Mais-Ethanol-Systemverwertet angeblich 54% der geernte-ten Prim&renergie.[43] Das Zumischen

von Biotreibstoffen ist in manchenL&ndern, auch in Indien und China,mittlerweile vorgeschrieben, und einigeeurop&ische L&nder gew&hren Steuer-freiheit f3r Biodiesel. Beispielsweisestieg in Deutschland die Biodiesel-Pro-duktion im Jahr 2004 um 50%. Die EUhat sich f3r das Jahr 2010 einen Bio-treibstoff-Anteil von 5.75% zum Zielgesetzt. Schließlich ist der Nettoener-giegewinn bei der Produktion von Bio-diesel aus Sojabohnen noch deutlichh�her als bei der Produktion von Bio-ethanol aus Mais.[44]

Die wichtigsten Ziele der aktuellenBiomasseforschung sind 1) die bessereUmwandlung von Cellulose in Zuckerf3r die Ethanolproduktion,[16,45] und2) Vergasungstechniken, um Synthese-gas, eine CO/H2-Mischung, f3r denAufbau von Brennstoffen zu erhal-ten.[28, 29]

Windenergie, Wasserkraftund weitere erneuerbareEnergieformen

„Gelobt seist Du, Herr,mit allen Wesen, die Du geschaffen,der edlen Herrin vor allem,Schwester Sonne,die uns den Tag herauff(hrtund Licht mit ihren Strahlen,die Sch5ne, spendet;gar pr%chtig in m%chtigem Glanze. –Gelobt seist Du, Herr,durch Bruder Wind, –Gelobt seist Du, Herr,durch Schwester Quelle, –Gelobt seist Du, Herr,durch unsere Schwester,die Mutter Erde“Sonnengesang des heiligen Franziskus

Windkraft

Die Stromerzeugung aus Windener-gie hat eine Reihe unbestrittener Vor-teile: 1) garantierte Verf3gbarkeit desPrim&r-„Treibstoffs“ – kostenfrei undzeitlich unbegrenzt; 2) keine Emissio-nen in die Atmosph&re oder uner-w3nschte W&rmeentwicklung; 3) einevergleichsweise einfache Technik;4) kurze Bauzeiten und eine hohe Fle-xibilit&t f3r Kraftwerke von einigen kWbis zu Hunderten von MW. Der Preisder Windelektrizit&t wird daher auf

Abbildung 8. Die SchlIsselschritte in der kInstlichen Photosynthese: Sonnenlichtsammlungdurch molekulare Antennen, Energietransfer zum Reaktionszentrum, Ladungstrennung, Wasser-spaltung unter Bildung von Wasserstoff und Sauerstoff auf zwei Seiten einer Membran (abge-wandelt aus Lit. [37]).

Essays

60 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 10: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

lange Sicht sicher sinken, und dieseEnergieform wird zunehmend mit eta-blierten Verfahren konkurrieren. Nach-teile ergeben sich aus den nat3rlichenSchwankungen, der Entfernung zwi-schen Windenergieparks und dem Ver-braucher sowie &sthetischen und �kolo-gischen Erw&gungen. Weltweit k�nntensch&tzungsweise 2–6 TWe durch Nut-zung von Windenergie erzeugt wer-den.[30]

Der Windenergiemarkt konzentriertsich auf wenige L&nder (Spanien,Deutschland, Indien, die USA und Ita-lien zeigten 2004 den gr�ßten Zuwachs),aber neue, umsatztr&chtige M&rkte tunsich unter anderem in Russland, Chinaund Brasilien auf. Im Jahr 2004 wurden6000 Windkraftturbinen mit einerdurchschnittlichen Gr�ße von 1.25 MWhergestellt.[31] Nach Angaben der euro-p&ischen Windenergiegesellschaft (Eu-ropean Wind Energy Association,EWEA)[46] werden bis zum Ende dieseJahrzehnts in Europa Windkraftturbi-nen mit 75000 MW Leistung installiertsein, was dem h&uslichen Stromver-brauch von nahezu 200 Millionen Eu-rop&ern entspricht. Europas großesWindenergiepotenzial k�nnte prinzi-piell unseren gesamten Elektrizit&ts-bedarf decken.

Wasserkraft

Wasserkraftturbinen sind eine der&ltesten Technologien zur Stromerzeu-gung. Daher f&llt eine Bewertung hierleichter.[16] Der schwerwiegendsteNachteil von Wasserkraftwerken ist derEingriff in die Natur. Ihre Infrastrukturbeansprucht weltweit eine Fl&che von300000 km2 (etwas so viel wie Italien)f3r die Produktion von nur 3% der ge-samten Prim&renergie (total primaryenergy supply, TPES).[47] In Entwick-lungsl&ndern wurden im Laufe des 20.Jahrhunderts beim Bau großer Stau-d&mme 40 bis 80 Millionen (armer)Menschen mit schwerwiegenden sozia-len und �konomischen Folgen zwangs-umgesiedelt. Stauseen 3berschwemm-ten arch&ologische St&tten und einzig-artige nat3rliche 6kosysteme, und dasLeben in ablaufenden Fl3ssen war oftstark betroffen (z.B. im Colorado).Unl&ngst wurde auch nachgewiesen,dass die absterbende Vegetation in

Stauseen erhebliche Mengen an CO2

und CH4 freisetzt. Diesen Nachteilenstehen viele Vorteile der Wasserkraftgegen3ber: 1) die niedrigsten Betriebs-kosten und Kraftwerke mit einer l&n-geren Lebensdauer als bei anderenStromerzeugungsverfahren; 2) die fle-xible Umwandlung der potenziellenEnergie bei hohem Elektrizit&tsbedarf(binnen Sekunden); 3) die zuverl&ssigeVersorgung mit Trink- und Brauchwas-ser; 4) der Schutz gegen periodischeFberflutungen, die in manchen F&llensch&dlich sein k�nnen. Die Erde verf3gt3ber ein riesiges Wasserkraftpotenzial,doch nur ein kleiner Teil kann unter�konomischen und �kologischen Ge-sichtspunkten nachhaltig genutzt wer-den. Aktuelle Sch&tzungen beziffern dienoch erschließbaren Wasserkraftres-sourcen auf weniger als 0.5 TW.[28]

Das Potenzial f3r neue Wasserkraft-Großprojekte in Europa ist zwar mini-mal, aber auch viele kleine Kraftwerkek�nnen zur zuk3nftigen Stromerzeu-gung beitragen. Diese Situation trifftman auch in den meisten Entwick-lungsl&ndern an: In China erhalten bei-spielsweise Millionen l&ndlicher Haus-halte ihren Strom schon jetzt von klei-nen Wasserkraftwerken.[16, 31]

Weitere erneuerbare Energiequellen

Die Natur h&lt einige weitere M�g-lichkeiten zur Energiegewinnung f3runs bereit. Die wohl wichtigste ist diegeothermische Energie aus dem heißenInneren unseres langsam abk3hlendenPlaneten. Schon vor 3ber hundert Jah-ren wurde gezeigt, dass Erdw&rme inbestimmten Gebieten Italiens gewon-nen und in Elektrizit&t umgewandeltwerden kann. Die F�rderkapazit&tenf3r geothermische Energie zur direktenNutzung wurden zwischen 2000 und2005 nahezu verdoppelt (Zunahme um13 GWth); 13 L&nder begannen in die-sem Zeitraum, die Erdw&rme zu nut-zen.[31] Die gesamte geothermischeEnergie an der Erdoberfl&che betr&gt12 TW (3ber die kontinentale Landfl&-che), praktisch kann aber nur einBruchteil davon verwertet werden, der3–5% des heutigen weltweiten Ener-giekonsums decken w3rde. Die Ener-giequelle ist daher vor allem f3r ausge-w&hlte Regionen interessant.[16]

Als kleinere Energieressourcenk�nnten sich Temperaturgradienten inMeeren und Seen erweisen, ebensoStr�mungen und Wellen. Die Gravita-tion zwischen Erde und Mond wird inGezeitenkraftwerken an einigen K3stender Nordhalbkugel genutzt, da großeWassermassen in einer vergleichsweisekurzen Zeit verschoben werden. DieGesamtenergie aller Gezeiten- undMeeresstr�mungen der Welt bel&uftsich auf weniger als 2 TW, in einemvielseitigen Energieportfolio sind sieaber – besonders f3r die regionale Ver-sorgung – zu ber3cksichtigen. Ein in-teressantes aktuelles Beispiel stammtaus Toronto, wo kaltes Wasser aus tiefenSchichten des Ontariosees Klimaanla-gen in B3ros und Wohnungen ver-sorgt.[48]

Die Wasserstoffwirtschaft

„Ich glaube, daß eines Tages Wasserstoffund Sauerstoff, aus denen sich Wasserzusammensetzt, allein oder zusammenverwendet, eine unersch5pfliche Quellevon W%rme und Licht bilden werden,st%rker als Steinkohle. …Das Wasser ist die Kohle der Zukunft.“Jules Verne, Die geheimnisvolle Insel

Die Medien vermitteln gelegentlichden Eindruck, das Energieproblemk�nnte in K3rze durch Wasserstoff ge-l�st werden (Abbildung 9), der umsonstaus Wasser erh&ltlich ist, und das Themaist sogar zum Politikum aufgestiegen.[49]

Die meisten Forscher halten einen bal-digen Wechsel zur Wasserstoffwirtschaftaber f3r unwahrscheinlich oder gar un-m�glich, da noch einige wissenschaftli-che und technische Hindernisse 3ber-wunden werden m3ssen.[49–52]

Die Reaktion von molekularemWasserstoff, H2, mit Sauerstoff liefertW&rme und Wasser. In einer Brenn-stoffzelle kann aus molekularem Was-

„Die Medien vermittelngelegentlich den Eindruck, dasEnergieproblem k?nnte inK+rze durch Wasserstoff gel?stwerden.“

AngewandteChemie

61Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 11: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

serstoff und Sauerstoff Elektrizit&t er-zeugt werden, wobei ebenfalls W&rmeund Wasser anfallen. Wenn man 6leinfach so gegen Wasserstoff alsBrennstoff austauschen k�nnte, w&renalle unsere Energie- und Umweltpro-bleme gel�st. Leider kommt Wasserstoffauf der Erde aber nicht in molekularerForm vor: Er kann nicht „gef�rdert“werden, sondern man muss ihn unterEnergieaufwand aus wasserstoffreichenVerbindungen herstellen. Daher istWasserstoff keine alternative Energie-quelle, sondern eine sekund&re Ener-gieform, und darin besteht das zentraleProblem der Wasserstoffwirtschaft: WieElektrizit&t muss Wasserstoff mithilfevon fossilen Brennstoffen, Kernenergieoder erneuerbaren Energiequellen er-zeugt werden, bevor er als Energietr&-ger verwendet werden kann. Gegen3berElektrizit&t hat Wasserstoff aber denVorteil der Lagerf&higkeit.

Auch wenn seine Anwendung keineUmweltprobleme verursacht, kann manWasserstoff doch kaum als eine „sau-bere“ Energieform bezeichnen – er istso „sauber“ oder „schmutzig“ wie diePrim&renergie, aus der er erzeugt wird.Wasserstoff aus fossilen Brennstoffenoder Kernenergie ist mit allen Proble-men dieser Energiequellen behaftet.Die Umwandlung fossiler Brennstoffein Wasserstoff in abgelegenen Regio-nen, um einen sauberen Brennstoff f3rGroßst&dte zu erzeugen, ist naturgem&ßineffizient, denn die Verschmutzung derAtmosph&re macht nicht an GrenzenHalt.[53]

Sauberen Wasserstoff erh&lt mannur durch Einsatz erneuerbarer Ener-giequellen. Dazu kann man prinzipiellvor der Elektrolyse von Wasser zun&chst

Elektrizit&t erzeugen (aus Windenergieoder durch Photovoltaikzellen) oder ei-ne direkte photochemische Wasserspal-tung anstreben.

Das Potenzial erneuerbarerEnergien

„Der einzige Weg, die Grenzen desM5glichen zu finden, ist es, dahinterzum Unm5glichen fortzuschreiten.“Arthur C. Clarke, Profile der Zukunft

In den vergangenen Jahren wurdezunehmend auf erneuerbare Energiengesetzt. Zwischen 2000 und 2004 betrugdas durchschnittliche j&hrliche Wachs-tum f3r netzgekoppelte Solar-PV 60%,f3r Windenergie 28%, f3r Biodiesel25%, f3r Solarw&rme 17%, f3r isolierteSolar-PV 17%, f3r Erdw&rme 13% undf3r Ethanol 11%.[31] Ein solcher Anstiegbei allen erneuerbaren Energieformentr&gt entscheidend zur Erweiterung desEnergieportfolios eines jeden Landesbei.

Solarw&rme ist herk�mmlichenVerfahren bei der Erzeugung von hei-ßem Wasser ebenb3rtig; in Brasiliensteht Ethanol gleichberechtigt nebenBenzin; Wasserkraft, geothermischeEnergie und einige Biomasse-Verfahrenreichen an Energie aus fossilen Brenn-stoffen (2–4 US-Cent pro kWh) undKernenergie heran (4–6 US-Cent prokWh); Windenergie ist an g3nstigenStandorten konkurrenzf&hig, und auchSonnenenergie sollte diesen Stand inIndustrienationen um 2010 erreichen(f3r Regionen mit hoher Sonnenein-strahlung).

W&hrend die Brennstofferzeugungmit Sonnenenergie noch nicht so weitist, liefern Solarw&rme und -elektrizit&tbereits betr&chtliche Energiemengen.Bis 2015 will China Solarw&rmekollek-toren auf 230 Millionen Quadratmeterninstallieren – das ist das Doppelte derweltweit aktuell genutzten Fl&che. So-larw&rmekollektoren k�nnen großeTeile des W&rmebedarfs decken, f3r dieheute die Verbrennung von fossilenBrennstoffen und Biomasse aufkommt.

Solarelektrizit&t kann in Industrie-und Entwicklungsl&ndern vorteilhaftgenutzt werden. 2005 bezogen mehr als2 Millionen Haushalte in Entwick-lungsl&ndern Strom aus eigenen Solar-

zellen. Wie wichtig Fortschritte auf die-sem Gebiet sind und wie sehr der Marktgewachsen ist, zeigt sich darin, dassweltweit sch&tzungsweise 350 MillionenHaushalte nicht an eine zentraleStromversorgung angeschlossen sind.Dezentrale Stromerzeugungssystemek�nnten einen teuren Ausbau der Netze3berfl3ssig machen, so wie einige Ent-wicklungsl&nder das Stadium eines fes-ten Telefonnetzes ausließen und direktbei der Mobiltelefonie einsetzten.

In manchen Industrienationen3bersteigt die Nachfrage f3r netzge-koppelte PV-Systeme die Produktions-kapazit&ten, obwohl Solar-PV zu denam schnellsten wachsenden Industrie-zweigen der Welt z&hlt. Die Produkti-onskapazit&ten f3r Module wurden inChina im Jahr 2004 verdoppelt. Indienswichtigster Solar-PV-Hersteller steiger-te seine Produktion von 8 MW (2001)auf 38 MW (2004). Große Kapazit&tenentstehen auch an neuen Standorten aufden Philippinen, in Thailand und in an-deren L&ndern. Eine substanzielle, dochnicht ausreichende Produktionssteige-rung ist auch in Europa zu verzeichnen,wo es die beiden f3hrenden Hersteller,QCell in Deutschland und Isofoton inSpanien auf 75 bzw. 53 MW brachten.[31]

Die Windenergie erlebt ebenfallseinen weltweiten Aufschwung. Wennman die, besonders in Europa, zuneh-mende Zahl an Windparks an Land undauf See betrachtet, ist es kaum nochzeitgem&ß, von einer „alternativen“Energieform zu sprechen.

Auf den D&chern und in die W&ndevon Neubauten k�nnen Solarw&rme-und PV-Systeme integriert werden.Auch eine Mischung aus kleinen Wind-kraftturbinen und PV-Systemen und/oder Solarw&rmekollektoren ist denk-bar. Betriebsfertige isolierte PV-Syste-me sind erh&ltlich, ebenso wie Contai-ner mit Komplettsystemen aus PV-Mo-dulen, kleinen Turbinen und leistungs-f&higen Batterien. Die Industrie erneu-erbarer Energien macht auf vielenTeilgebieten im Jahrestakt sichtbareFortschritte.

Weltweit f�rdern mindestens 48L&nder, darunter alle 25 EU-Nationenund 14 Entwicklungsl&nder, die Nut-zung von erneuerbaren Energien in ir-gendeiner Weise. So unterst3tzt eineeurop&ische Solarw&rmetechnologie-Organisation seit kurzem aufstrebende

Abbildung 9. Ein islEndischer Bus mit Brenn-stoffzellentechnologie. Spaltung und Rekombi-nation von Wasser ereignen sich bildlich beimDffnen und Schließen der TIr.

Essays

62 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 12: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Industriezweige mit hohem technologi-schem Potenzial.[54] Europa will bis 2010durch erneuerbare Energien 21% desElektrizit&tsbedarfs und 12% des ge-samten Energiebedarfs decken. Banken,Investoren und weltweite Großunter-nehmen interessieren sich verst&rkt f3rerneuerbare Energien. Das Wachstumdieses Zweiges wird von wenigstens 150namhaften Tr&gern unterst3tzt. Fber1.7 Millionen Arbeitspl&tze waren 2004direkt an erneuerbare Energien gekop-pelt: 400000 in der brasilianischenEthanolindustrie, 250000 in der chine-sischen Solarw&rmeindustrie, 130000 inDeutschland an erneuerbare Energienaller Art und 15000 in der europ&ischenWindenergieindustrie.[31] DetaillierteSch&tzungen geben Auskunft dar3ber,wie viele Arbeitspl&tze durch die Ent-wicklung verschiedener erneuerbarerEnergien geschaffen werden k�nnten.

Vieles deutet also darauf hin, dassMensch und Umwelt stark von derSonnenenergie und anderen erneuer-baren Energien profitieren werden. Esliegt an der Politik, diese Entwicklungvorausblickend durch eine zuverl&ssigeUnterst3tzung und die direkte Einbin-dung von Entscheidungstr&gern vor Ortanzutreiben. In einigen L&ndern werdenerneuerbare Energien bereits durchvielf&ltige Initiativen gef�rdert.

Trotz des schnellen Wachstums istder Anteil erneuerbarer Energieformenan der gesamten Versorgung sehr ge-ring: Wenn man die Wasserkraft aus-nimmt, sind es weltweit 0.5% der TPESund 2% der Elektrizit&t;[55] 3ber einDrittel davon wird in Europa produ-ziert.[56] Die Entwicklung der erneuer-baren Energien muss forciert werden,aber dies kann nur durch wissenschaft-liche Fortschritte gelingen. Die Unter-st3tzung von Forschungsprojektenk�nnte binnen weniger Jahre zu effizi-enteren und billigeren Materialien f3rSolarenergiekonversionssysteme f3h-ren. Auch die Erzeugung von Brenn-stoffen durch k3nstliche Photosyntheseist ein realistisches Fernziel. Wie imApril 2005 beim Basic Energy ScienceWorkshop on Solar Energy Utilizationbetont wurde,[28] verschmelzen in derForschung zur SolarenergiekonversionPhysik, Chemie und Biologie mit denNanowissenschaften. Die gr�ßten wis-senschaftlichen Fortschritte haben sichstets an Schnittstellen zwischen unter-

schiedlichen Fachrichtungen ereignet.Antworten auf so grundlegende Fragen,wie sie mit dem Energieproblem ver-

bunden sind, kann nur ein interdiszipli-n&rer Ansatz geben. Und da schwierigewissenschaftliche Fragen oft bemer-kenswerte Antworten hervorbringen,[57]

wird die L�sung des Energieproblemsviele Denkanst�ße f3r andere Gebieteliefern.

Antworten

„Lieber mit Vorhersehbarem rechnen alssich von Unerwartetem (berraschenlassen.“AndrA Isaac

Zu Beginn dieses Essays haben wirdarauf hingewiesen, dass das Energie-problem mit vielen sozialen Faktorenverkn3pft ist, die wir zun&chst betrach-ten m3ssen, bevor wir Entscheidungentreffen, die unser Leben und, viel st&r-ker, das Leben unserer Kinder und En-kel ver&ndern. Nach der obigen Dis-kussion k�nnen wir einige Antwortenvorschlagen, die naturgem&ß kaum we-niger komplex sind als die eingangsaufgeworfenen Fragen.

K'nnen Wohlbefinden, oder garGl!ck, an einem hohen Pro-Kopf-Ener-giekonsum gemessen werden? NEIN.Eine Erh�hung des Energiekonsumsf�rdert den materiellen Fortschritt, l�staber nicht die 3brigen Probleme derMenschen in Industriel&ndern. Wirm3ssen unsere Energiepolitik &ndern,und einsehen, dass eine Wohlstandsge-sellschaft der Energiekrise nicht durcheine Steigerung der Energieproduktionbegegnen kann. Gl3ck sollten wir da-gegen in immateriellen Werten undFreundschaften suchen.

Sollen wir uns schrittweise vom Ver-brauch fossiler Brennstoffe abkehren?JA, und zwar aus drei Gr3nden: 1) fos-sile Brennstoffe sind eine nicht erneu-erbare Energiequelle, die zur Neige

geht; 2) der Einsatz fossiler Brennstoffef3hrt zu schweren Gesundheitsproble-men und zu einer irreversiblen Sch&di-gung der Umwelt; 3) fossile Brennstoffesollten als Ausgangsmaterial f3r diechemische Industrie zur3ckgehaltenwerden. Energie aus fossilen Brenn-stoffen sollte nur noch genutzt werden,um einen glatten Fbergang zu neuenEnergiequellen zu gew&hrleisten.

Werden wir eine Energiequelle fin-den, die fossile Brennstoffe ersetzenkann? JA. Hier kommen zwei Alterna-tiven infrage: Sonnenenergie (stellver-tretend f3r andere erneuerbare Ener-gieformen) und Kernenergie. Diesebeiden Energieformen sind nicht nurtechnisch, sondern auch unter sozialenErw&gungen vollkommen unterschied-lich.

Kernenergie, die, wie heute 3blich,durch Kernspaltung gewonnen wird, istweder sauber noch unersch�pflich.Dar3ber hinaus handelt es sich um einehoch konzentrierte Energieform, dieunter strenger technischer, politischerund milit&rischer Kontrolle gehaltenwerden muss, denn sie bedarf einesgroßen Kapitals, kann zu katastrophalenUnf&llen f3hren und ergibt schwer zuentsorgenden Abfall. Ein Missbrauchvon Nuklearmaterial und die Verbrei-tung von Atomwaffen sind weitere Ri-siken. Die Entwicklung der Kernenergiewird der Energieverschwendung Vor-schub leisten, den Unterschied zwischenreichen und armen Nationen vergr�ßernund die Weltlage weiter destabilisieren.

Sonnenenergie ist leicht erh&ltlichund unersch�pflich. Sie kann auf derganzen Welt durch eine Reihe einfacher,aber noch recht teurer Technologiengenutzt werden. Als wenig konzentrier-te Energieform kann die Sonnenenergieumgewandelt werden, ohne dassschwere Ungl3cke oder Missbrauch zubef3rchten sind; auch milit&rische An-wendungen sind unwahrscheinlich. Ausdem gleichen Grund ist ein 3berm&ßigerVerbrauch bei Sonnenenergie unwahr-scheinlich, wodurch auch die 3brigenRessourcen der Erde geschont werden.Die gleichm&ßige Verteilung (Abbil-dung 10) 3ber die ganze Welt wird Un-terschiede verringern, denn die meistenarmen L&nder k�nnten sich ausreichendmit Sonnenenergie versorgen. Entspre-chende Technologien helfen daher, dieArmut abzumildern.

„Die L?sung des Energiepro-blems wird viele Denkanst?ßef+r andere Wissenschaftsgebie-te liefern.“

AngewandteChemie

63Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 13: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

Kann die Chemie zur L'sung desEnergieproblems beitragen? JA. DieKonversion von Sonnenenergie in So-larw&rme, Solarelektrizit&t oder Brenn-stoffe erfordert spezielle Materialien,und die Umwandlung in zwei dieser dreiEnergieformen schließt chemische Pro-zesse ein. Die Entwicklung und experi-mentelle Erprobung neuer Materialienkann die Leistungsf&higkeit von Licht-sammelsystemen, Energiewandlern undEnergiespeichersystemen deutlich ver-bessern. Die Chemie kann bei der Suchenach neuen Energietechnologien denWeg weisen, daher ist die L�sung derEnergiekrise ihre „große Herausforde-rung“.[27,28,57]

Werden alle Menschen den Lebens-standard von Industrienationen genießenk'nnen, ohne dass die Erde zerst'rtwird? NEIN. Selbst wenn das Bev�lke-rungswachstum einmal aufh�rt (wovonman ausgeht), reichen die Ressourcennicht aus, um allen Menschen den Le-bensstandard zu gew&hrleisten, derheute in Industrienationen 3blich ist.Um einen hohen Lebensstandard auf-rechtzuerhalten, werden wir die wich-tigsten Rohstoffe mithilfe von Sonnen-energie zur3ckgewinnen m3ssen.

Werden wir unsere Ziele in denkommenden Jahrzehnten alleine mithilfevon Wissenschaft und Technik errei-chen? NEIN. Selbst wenn Wissenschaftund Technik die Sonnenenergie in vol-lem Ausmaß zug&nglich machen k�n-nen, sollten wir nicht vergessen, dassunser Raumschiff Erde ansonsten eingeschlossenes System ist, dessen nat3r-liches Kapital wir schon heute 3ber dieRegenerationsf&higkeit hinaus bean-spruchen. Angesichts des Bev�lke-rungswachstums m3ssen wir daher dieRessourcen so gut es geht wiederver-wenden. Wir m3ssen einsehen, dass wirnicht nur auf der Erde leben, sondernauch ihr Schicksal teilen.[59]

Sollten wir als B!rger der westlichenWelt uns neue soziale und 'konomischeVerhaltensweisen zu eigen machen? JA.Wir sollten unsere Lebensweise aus zweiGr3nden &ndern: Erstens m3ssen wiruns von dem Glauben an ein immer-w&hrendes Wachstum abkehren, dasdem zweiten Hauptsatz der Thermody-namik widerspricht. Zweitens wissenwir, dass unsere Konsumwut die Un-gleichheit f�rdert.

In reichen L&ndern verwischt dieGrenze zwischen „genug“ und „zuviel“.

Wir stimmen bestenfalls zu, dass Ener-gie effizienter genutzt werden sollte.Eine h�here Effizienz hat aber nichtsvon Nachhaltigkeit – im Gegenteil: sie

kann den Energiekonsum sogar nocherh�hen. Wenn wir beispielsweise dieEnergieeffizienz der Autos verbessern,werden die Verbraucher von dem hiereingesparten Geld andere Dinge erwer-ben, die m�glicherweise noch wenigernachhaltig sind (schnellere Autos zumBeispiel). Im dritten Jahrtausend m3s-sen wir die Probleme der Welt anderswahrnehmen und neue Denkans&tzeentwickeln: Wenn wir das �kologischeGleichgewicht halten wollen, m3ssenwir die Zul&nglichkeit in den Mittel-punkt stellen, und nicht mehr die Effi-zienz.[60]

K'nnen die Einwohner armer L�n-der ihre Lebensqualit�t verbessern? JA,das k�nnen sie. Die Frage ist nur, ob wirihnen dabei helfen. Auch in dieser Be-ziehung sollten wir unsere Lebensweiseumstellen. Zwischen 2002 und 2030 wirdder Energieverbrauch von USA undKanada voraussichtlich um das Rqui-valent von 5.7 Millionen Barrel pro Tag(million barrel of oil equivalent per day,mbpd) steigen, da die Bev�lkerung um88 Millionen Menschen zunehmen wird.Ein Bev�lkerungsanstieg um 383 Mil-lionen in Indien wird dagegen nur zueiner Steigerung um 1.4 mbpd f3hren,ein Bev�lkerungsanstieg um 164 Mil-lionen in China zu einer Steigerung um1.5 mbpd.[61]

Um den großen Unterschied zwi-schen Reichen und Armen beim Ener-gieverbrauch zu verringern, sollten dasWachstum in den Wohlstandsgesell-schaften gestoppt und die Energiever-sorgung in armen L&ndern verbessertwerden. Diese Forderung ist sicherlichrealistischer als der Versuch, von denReichen eine Senkung ihres Energie-verbrauchs zu verlangen. Doch leiderversagt diese Strategie angesichts man-gelnder Ressourcen f3r 6.5 MilliardenEnergiekonsumenten. Jeder Schritt inRichtung einer gleichm&ßigeren Vertei-

Abbildung 10. Die jEhrliche Sonneneinstrahlung auf eine waagrechte OberflEche in Europa inkWhm�2. Die Werte fIr Rom und London unterscheiden sich lediglich um den Faktor 1.6 (Datendes Forschungszentrums der EuropEischen Kommission). Rote Punkte markieren GroßstEdte.

„In reichen L*ndern verwischtdie Grenze zwischen ,genug‘und ,zuviel‘.“

Essays

64 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 14: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

lung und eines h�heren Lebensstan-dards f3r die Armen muss daher mitEinschnitten bei den Reichen einher-gehen.

Als Wissenschaftler k�nnen wir da-zu beitragen, indem wir Entwicklungs-l&nder darin unterst3tzen, eigene For-schungseinrichtungen aufzubauen, so-dass sie gezielt L�sungen f3r ihre Pro-bleme finden k�nnen, seien es nun dieEnergieressourcen, Gesundheit undHygiene, Landwirtschaft, 6kologie oderAusbildung. Bei der Bek&mpfung ex-tremer Armut sprechen die UN-Mil-leniumentwicklungsziele einer moder-ner Energieversorgung eine entschei-dende Rolle zu.[62]

Schlussfolgerungen

„Wenn unsere schwarze und nerv5seKohle-Zivilisation von einer ruhigerenSonnenenergie-Zivilisation abgel5stw(rde, w%re das dem Fortschritt unddem Wohlbefinden nicht abtr%glich.“Giacomo Ciamician

Die L�sung der Energiekrise erfor-dert sofortiges und globales Handeln imRahmen einer Strategie, die die Be-grenztheit der Ressourcen der Erdeber3cksichtigt. Als erster Schritt sollteder Verbrauch von fossilen Brennstof-fen drastisch eingeschr&nkt werden.Dies betrifft vorrangig die wohlhaben-den L&nder, deren maßloser Konsumenorme Reserven verschlingt, riesigeAbfallmengen produziert und die Un-terschiede zwischen Arm und Reichweiter steigert. Der zweite Schritt be-st3nde darin, unverz3glich eine For-schungsinitiative auf den Weg zu brin-gen, um erneuerbare Energien besser zunutzen. Auch diese Aufgabe f&llt denIndustrienationen zu, in denen die wis-senschaftliche Forschung konzentriertist.[63] Die unterschiedlichen Formen er-neuerbarer Energie sollten dabei auchunter Standortaspekten abgewogenwerden. Mit dem technologischen Fort-schritt, wird es f3r jede Gemeinschaftund jedes Land leichter werden, dieverf3gbaren Energiequellen zu er-schließen und das Energieportfolio zuerweitern.

Die verantwortlichen Politiker allerNationen sollten Energiefragen h�chstePriorit&t einr&umen. Der Weg aus der

Abh&ngigkeit von fossilen Brennstoffenist ein globales Problem und mit vielenSchwierigkeiten verbunden. Da abzu-sehen ist, dass seine L�sung l&ngere Zeitben�tigen wird, b3rdet jeder weitereAufschub den kommenden Generatio-nen nur mehr Verantwortung auf.

Forscher m3ssen durch technologi-sche Neuerungen zur Energiewendebeitragen. Aber das alleine gen3gtnicht: Sie sind moralisch verpflichtet,die 6ffentlichkeit 3ber die Dringlich-keit und Vielschichtigkeit des Energie-problems aufzukl&ren. Den Entschei-dungstr&gern gegen3ber m3ssen sieklarstellen, dass die Energiefrage nichtim Zeitrahmen einer Politikerkarrieregel�st werden kann. Jeder Wissen-

schaftler, der die Folgen des zweitenHauptsatzes der Thermodynamik kennt,sollte also 6konomen und Politikernvermitteln, was Nachhaltigkeit bedeu-tet: die Abkehr vom Glauben an einimmerw&hrendes Wirtschaftswachs-tum.[64]

Wir d3rfen auch nicht vergessen,dass keine erneuerbare Energiequelleder Welt f3r das aufkommen kann, waswir mit leichter Hand verschwenden.Jede Nation, Gemeinschaft, ja jedereinzelne B3rger sollte sich dar3ber klarwerden, was er wirklich ben�tigt. DerKonsum oberhalb einer solchen Grenzeist kein Zeichen von gesellschaftlichemErfolg, sondern ein Hindernis auf demWeg zu einer friedlichen Welt. DerSchl3ssel zu unserer Zukunft liegtletztlich in dem Wort „genug“. Anfangsmag dieses Wort vielleicht schwierigauszusprechen sein, doch das Leben ineiner Welt, die kein „genug“ kennt, istschon heute gef&hrlich, und in wenigenJahrzehnten wird es rundweg unm�glichsein. Wenn verantwortungsbewussteWissenschaftler die Bedeutung desWortes „genug“ erkl&ren, sollte dieseSituation f3r uns alle Menschen, auchf3r die Politiker, leichter verst&ndlichwerden.

Die Energiekrise ist eine Heraus-forderung, gleichzeitig er�ffnet sie aberauch die Chance, ein neues Bewusstseinf3r unsere Welt und die von uns ge-schaffene Gesellschaft zu entwickeln.F3r Wissenschaftler wird es leichterwerden, aktiv f3r die Erhaltung der Er-de einzutreten und – beim großen Un-terschied zwischen Reichen und Armenbeginnend – soziale und politischeMissst&nde zu korrigieren. Wir wissennur zu gut, dass das Zusammenlebenumso schwieriger wird, je ungleicher dieMenschen sind. Ronald Reagans An-

satz, die Probleme der Welt auf die Ar-men abzuw&lzen, ist untauglich, undwenn sich nichts &ndert, werden sich dieArmen 3ber kurz oder lang gegen dieReichen erheben. Wir verdr&ngen dasProblem der Ungleichheit allzu gerne,aber auf lange Sicht muss auch daf3reine L�sung gefunden werden. Die Erdeliegt in unseren H&nden. Werden wir diewissenschaftlichen und technischenHerausforderungen meistern? Undwird es uns gelingen, eine weniger un-gleiche Zivilisation aufzubauen und ei-ne friedlichere Welt zu schaffen? Dazubedarf es nicht nur weiser Politiker,sondern auch verantwortungsbewussterWissenschaftler.

Nat3rlich k�nnen in den kommen-den Jahrzehnten durch Fortschritte inWissenschaft und Technik neue Ener-giequellen erschlossen werden. So w3r-de etwa die Entwicklung einer nutzba-ren Kernfusion das Energieproblem ander Wurzel packen. Doch leider k�nnenwir uns nicht darauf verlassen. EineDrosselung des Energiekonsums undder Einsatz erneuerbarer Energien sinddagegen gangbare Alternativen. Zwark�nnte man die Ausweitung von Solar-energietechniken f3r unrealistisch er-achten, aber spotteten nicht auch diePferdeh&ndler 3ber die ersten Automo-bile – bevor diese ihren Pferden denRang abliefen. Frei nach dem Motto„keine Experimente“ neue Gas- und

„Wissenschaftler sind moralischverpflichtet, die �ffentlichkeit+ber die Dringlichkeit undVielschichtigkeit des Energie-problems aufzukl*ren.“

„Die Erde liegt in unserenH*nden. Wird es uns gelingen,eine weniger ungleiche Zivili-sation aufzubauen und einefriedlichere Welt zu schaffen?“

AngewandteChemie

65Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

Page 15: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

6lreserven auszubeuten, wird von vie-len Analysten k3hn als Allheilmittel f3rdie Energiekrise vorgeschlagen. Damiterinnern sie an Dinosaurier in einerWelt, die sich stetig weiterentwickelt,oder an Informatiker, die in den 1970erndas Zeitalter der Personalcomputernicht nahen sahen.

Zum Abschluss dieses Essays wollenwir uns fragen, welche Rolle unseremKontinent, Europa, zukommen wird.Die EU-L&nder genießen die h�chsteLebensqualit&t, obwohl sie 3ber diewenigsten herk�mmlichen Energiere-serven verf3gen.[56] Die 6lf�rderung inder Nordsee erreichte Ende der 1990ereinen H�hepunkt, ist aber im Nieder-gang begriffen. Norwegen und Groß-britannien, die beiden gr�ßten F�rder-l&nder Europas, verf3gen 3ber lediglich1.2% der bekannten 6lreserven derWelt. Die Gasreserven von Norwegen

und den Niederlanden machen zusam-men 2.1% der gesamten Gasvorkom-men aus. Bei Kohle sieht es auch nichtbesser aus: Deutschland und Polen ver-f3gen 3ber nur 2.3% aller f�rderbarenVorkommen. Und Kernenergiebef3r-worter, die auf eine „unabh&ngige En-ergieversorgung“ pochen, sollten zurKenntnis nehmen, dass nirgends in Eu-ropa Uran- oder Thoriumreserven ver-zeichnet sind. Wenn eine Region derWelt eine Energiewende dringend n�tighat, dann ist es Europa.

Die geringen Ressourcen schreibenEuropa einen Sparkurs vor: Wir m3ssenunsere begrenzten Energiereservenkl3ger nutzen. Ein Beispiel: Um eineEinheit Licht mit einer herk�mmlichenWolframdrahtlampe zu erhalten, ver-braucht ein Kraftwerk 100 EinheitenPrim&renergie – 99 Einheiten werdenbei der Stromerzeugung und -3bertra-gung oder in der Gl3hlampe als W&rmeverbraucht. Besser w&ren eine Kraft-W&rme-Kopplung (CHP)[65] und einFbergang zu Festk�rperbeleuchtung.[66]

Erneuerbare Energiequellen sindgleichm&ßig 3ber die ganze Welt ver-teilt, auch 3ber Europa. Die Sonnen-

einstrahlung ist in Italien durchschnitt-lich nur 1.5-mal so hoch wie inDeutschland (Abbildung 10). Europamuss auch weiterhin eine Vorreiterrollebei erneuerbaren Energien spielen, da-mit wir nicht, wie heute, Energieres-sourcen von anderen Kontinenten kau-fen m3ssen, sondern bald in der Lagesein werden, Energie an die 3brige Weltweiterzugeben. Die europ&ischen Insti-tutionen stimmen uns optimistisch, dassdies im Rahmen von internationalenBeziehungen geschehen kann, die fairersein werden als im bestehenden 6lzeit-alter. Europa muss eine einschneidende,wenn auch abgestufte, wirtschaftlicheStrukturreform in die Wege leiten: wegvon nicht erneuerbaren Energieres-sourcen wie fossilen Brennstoffen, hinzur unersch�pflichen, weit wenigersch&dlichen Sonnenenergie. UnserKontinent ist intellektuell, kulturell undwirtschaftlich in der Lage, diesen Um-schwung einzuleiten.

Europ&ischen Universit&ten f&llt ei-ne wichtige Rolle dabei zu, eine neueGeneration verantwortungsbewussterB3rger zu formen, die sich als aktiveMitglieder einer Gesellschaft f3hlen,[67]

um, gem&ß dem Strategiepapier ausdem Treffen des Europ&ischen Rats inLissabon (2000): „die Union zum wett-bewerbsf�higsten und dynamischstenwissensbasierten Wirtschaftsraum in derWelt zu machen – einem Wirtschafts-raum, der f�hig ist, ein dauerhaftesWirtschaftswachstum mit mehr und bes-seren Arbeitspl�tzen und einem gr'ßerensozialen Zusammenhalt zu erzielen“.[8]

Eine solche Wissensgesellschaft mussauf Werten wie bewusstem Handeln,Mitgef3hl und Solidarit&t gr3nden. Undwenn wir durch die geringere Konzen-tration der Sonnenenergie gezwungensein werden, unser Lebensweise deut-lich zu ver&ndern, wird das nicht not-wendigerweise bedeuten, dass unserLeben in einer friedlicheren Welt weni-ger angenehm sein wird. Sicher aberwerden Milliarden heute noch Unter-privilegierter ein besseres Leben f3hrenk�nnen.

Online ver�ffentlicht am 14. November 2006

Fbersetzt von Dr. Volker Jacob, Mannheim

[1] M. R. Simmons, Wenn der W!ste das ;lausgeht. Der kommende ;lschock in

Saudi-Arabien – Chancen und Risiken,Wiley, Hoboken, NJ, 2006.

[2] P. Tertzakian, A Thousand Barrels aSecond, McGraw-Hill, New York, 2006.

[3] R. A. Kerr, R. F. Service, Science 2005,309, 101.

[4] Kurioserweise werden „Kriege umEnergie“ gelegentlich als „Kreuzz3gef3r die Demokratie“ verkauft.

[5] M. Wackernagel, N. B. Schulz, D.Deumling, A. C. Linares, M. Jenkins, V.Kapos, C. Monfreda, J. Loh, N. Myers,R. Norgaard, J. Randers, Proc. Natl.Acad. Sci. USA 2002, 99, 9266 – 9271.

[6] R. B. Gordon, M. Bertram, T. E. Grae-del, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2006,103, 1209 – 1214.

[7] I. A. Janssens, A. Freibauer, P. Ciais, P.Smith, G. J. Nabuurs, G. Folberth, B.Schlamadinger, R. W. A. Hutjes, R.Ceulemans, E. D. Schulze, R. Valentini,A. J. Dolman, Science 2003, 300, 1538 –1542.

[8] Sondertagung des Europ�ischen Rats inLissabon 2000, Schlussfolgerungen desVorsitzes : http://www.europarl.euro-pa.eu/summits/lis1_de.htm, 2000.

[9] In Wohlstandsl&ndern ist die Qualit&tdes Leitungswassers hervorragend, undzudem ist es sehr billig. Dennoch be-vorzugen viele Menschen Mineralwas-ser oder andere Getr&nke, die etwa dasTausendfache kosten. An diesem Bei-spiel zeigt sich gut der verschwenderi-sche Umgang mit Energie: Einerseitswird viel Energie aufgewendet, umHaushalte mit Trinkwasser zu versor-gen, das dann zum gr�ßten Teil in Toi-lettensp3lungen und zum Bew&ssernvon G&rten verwendet wird. Anderer-seits fließt viel Energie in die Produkti-on einer großen Palette von Getr&nken,die teilweise richtiggehend ungesundsind.

[10] D. M. Kammen, S. Pacca, Annu. Rev.Environ. Resour. 2004, 29, 301 – 344.

[11] V. Smil, Energy, Oneworld, Oxford,2006.

[12] Siehe zum Beispiel http://www.externe.info/.

[13] EU-Kommission, 2003, External Costs—Research Results on Socio-Environmen-tal Damages due to Electricity andTransport : http://www.externe.info/externpr.pdf.

[14] R. A. Kerr, Science 2006, 311, 1698 –1701.

[15] I. Illich, Die sogenannte Energiekrise,Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1974.

[16] V. Smil, Energy at the Crossroads, MITPress, Cambridge, MA, 2003.

[17] D. OWRourke, S. Connolly, Annu. Rev.Environ. Resour. 2003, 28, 587 – 617.

[18] K. S. Deffeyes, Beyond Oil, Hill andWang, New York, 2005.

[19] P. W. Huber, M. P. Mills, The BottomlessWell, Basic Books, New York, 2005.

„Wenn eine Region der Welteine Energiewende dringendn?tig hat, dann ist es Europa.“

Essays

66 www.angewandte.de � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67

Page 16: Die Zukunft der Energieversorgung – Herausforderungen und Chancen

[20] P. Roberts, The End of Oil, MarinerBooks, Boston, 2004.

[21] S. Anderson, R. Newell, Annu. Rev.Environ. Resour. 2004, 29, 109 – 142.

[22] R. H. Socolow, Sci. Am. 2005, 293, 49 –55.

[23] G. Ciamician, Science 1912, 36, 385 –394. Die Zitate wurden aus dem Engli-schen 3bertragen.

[24] W. E. Parkins, Science 2006, 311, 1380.[25] M. Inman, Science 2005, 309, 1170 –

1171.[26] J. Johnson, Chem. Eng. News 2005, 83

(June 6), 32 – 34.[27] R. Eisenberg, D. G. Nocera, Inorg.

Chem. 2006, 45, 6799 – 6801.[28] US Department of Energy Office of

Science, Basic Research Needs for SolarEnergy Utilization : http://www.er.doe.gov/bes/reports/files/SEU_rpt.pdf, 2005.

[29] G. Hess, Chem. Eng. News 2006, 84(March 27), 34 – 36.

[30] R. F. Service, Science 2005, 309, 548 –551.

[31] Worldwatch Institute, Washington, DC,2005, Renewables 2005—Global StatusReport : http://www.worldwatch.org/press/news/2005/11/06/.

[32] M. Gr&tzel, Inorg. Chem. 2005, 44,6841 – 6851.

[33] G. A. Olah, A. Goeppert, G. K. S. Pra-kash, Beyond Oil and Gas: The Metha-nol Economy, Wiley-VCH, Weinheim,2006.

[34] Artificial Photosynthesis (Hrsg.: A.Collings, C. Critchley), Wiley-VCH,Weinheim, 2005.

[35] K. Maeda, K. Teramura, D. L. Lu, T.Takata, N. Saito, Y. Inoue, K. Domen,Nature 2006, 440, 295.

[36] V. Balzani, L. Moggi, M. F. Manfrin, F.Bolletta, M. Gleria, Science 1975, 189,852 – 856.

[37] V. Balzani, A. Credi, M. Venturi, Mo-lecular Devices and Machines, Kap. 5,Wiley-VCH, Weinheim, 2003.

[38] K. N. Ferreira, T. M. Iverson, K. Magh-laoui, J. Barber, S. Iwata, Science 2004,303, 1831 – 1838.

[39] G. Steinberg-Yfrach, J. L. Rigaud, E. N.Durantini, A. L. Moore, D. Gust, T. A.Moore, Nature 1998, 392, 479 – 482.

[40] Millionen Einwohner armer L&nderleiden an schweren Atemwegserkran-kungen, die auf den Einsatz von Bio-masse�fen in unzureichend gel3ftetenWohnr&umen zur3ckzuf3hren sind.

[41] Internationale Energiebeh�rde, Bio-fuels for transport—An internationalperspective, 2004 : http://www.iea.org/textbase/nppdf/free/2004/biofuels2004.pdf.

[42] K. S. Kheshgi, R. C. Prince, G. Marland,Annu. Rev. Environ. Resour. 2000, 25,199 – 244.

[43] Eine Neubewertung der Energiebilanzf3r Bioethanol: R. Hammerschlag, En-viron. Sci. Technol. 2006, 40, 1744 – 1750.

[44] J. Hill, E. Nelson, D. Tilman, S. Polasky,D. Tiffany, Proc. Natl. Acad. Sci. USA2006, 103, 11206 – 11210.

[45] G. Hess, Chem. Eng. News 2006, 84(March 6), 50 – 56.

[46] Die europ&ischen Windenergiegesell-schaft und die Europ&ische Kommissi-on, 2003, Wind Energy, the facts. AnAnalysis of Wind Energy in the EU-25:http://www.ewea.org/index.php?id= 91.

[47] Eine deutlich kleinere Fl&che(150000 km2) von Photovoltaikzellenmit 10% Effizienz w3rde prinzipiellausreichen, um den gesamten Weltener-giebedarf zu decken.

[48] http://www.enwave.com/enwave/.[49] S. G. Chalk, J. Romm, M. Jacoby, Chem.

Eng. News 2005, 83 (August 22), 30 – 35.[50] N. Armaroli, V. Balzani, Energia Oggi e

Domani, Bononia University Press,Bologna, 2004.

[51] R. Coontz, B. Hanson, Science 2004, 305,957.

[52] U. Bossel, The Hydrogen „Illusion“:http://www.efcf.com/reports/, 2004.

[53] H. Akimoto, Science 2003, 302, 1716 –1719.

[54] http://www.esttp.org/cms/front_content.php.

[55] Internationale Energiebeh�rde, KeyWorld Energy Statistics, 2005 :http://www.iea.org/dbtw-wpd/Textbase/nppdf/free/2005/key2005.pdf.

[56] US Energy Information AdministrationDatabase: http://www.eia.doe.gov/.

[57] D. Kennedy, C. Norman, Science 2005,309, 75.

[58] R. E. Smalley, MRS Bull. 2005, 30, 412 –417.

[59] R. W. Kates, Annu. Rev. Energ. Environ.2001, 26, 1 – 26.

[60] T. Princen, The Logic of Sufficiency,MIT Press, Cambridge, MA, 2005.

[61] EU-Kommission, Anhang zum Gr!n-buch: Eine europ�ische Strategie f!rnachhaltige, wettbewerbsf�hige undsichere Energie, 2006.

[62] http://www.un.org/millenniumgoals/.[63] D. King, Nature 2004, 430, 311 – 316.[64] Ein Gutachter bemerkte kritisch, dieser

Essay zeige, warum es Wissenschaftlernnicht erlaubt sein sollte, 3ber Wirtschaftoder Politik zu schreiben: Sie w3sstenein paar Textbruchst3cke, kannten aberdie Melodie nicht. Wir fragen uns, wel-ches „Lied“ den 6konomen und Politi-ker durch den Kopf geht, die auf einerSteigerung des Bruttosozialprodukts(BSP) der Industrienationen bestehen,wo doch bekannt ist, dass diese dieMenschen nicht gl3cklicher macht (sie-he dazu D. Kahneman et al., Science2006, 312, 1908 – 1910). Auch begreifensie nicht, dass ein h�heres BSP f3r einenh�heren Verbrauch von Ressourcensteht, die zumeist aus &rmeren L&nderngenommen werden, und eine gr�ßereMenge an Abfall produziert, der sofort3ber die ganze Welt verteilt (z.B. Koh-lendioxid) oder sp&ter in arme L&nderabgeschoben wird (z.B. Elektronik-schrott). Die massiven Umweltver-schmutzungen und die damit verbunde-nen sozialen Unruhen in China, der„Fabrik der Welt“, sollten Grund zurBesorgnis geben.

[65] J. Johnson, Chem. Eng. News 2003, 81(October 6), 20 – 23.

[66] Siehe zum Beispiel:http://www.olla-project.org.

[67] R. R. Ernst, Angew. Chem. 2003, 115,4572 – 4578; Angew. Chem. Int. Ed.2003, 42, 4434 – 4439.

AngewandteChemie

67Angew. Chem. 2007, 119, 52 – 67 � 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de