die zukunft der aneurysma-therapie in deutschland ? weg von den mindestmengen?

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Gefässchirurgie 2008 · 13:321–322 DOI 10.1007/s00772-008-0637-1 © Springer Medizin Verlag 2008 E. S. Debus1 · H.-H. Eckstein2 1 Abt. Allgemein-, Gefäß- und Visceralchirurgie, GefäßCentrum Hamburg Harburg, Asklepios Klinik Harburg 2 Klinik für Gefäßchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München Die Zukunft der Aneurysma- therapie in Deutschland – weg von den Mindestmengen? Editorial Am 01. Juli 2008 trat ein strukturpoli- tisch wegweisendes Dokument des Ge- meinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft (http://www.g-ba.de/informationen/ beschluesse/644/). In diesem Manuskript werden Anforderungen für die Behand- lung des abdominellen Aortenaneurysma definiert, die Inhalte zu künftiger Struk- tur, Prozess und Outcome festlegen. Dieses Dokument hat Gesetzescharakter und ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeu- tung. Zum einen wird erstmals in der ope- rativen Medizin ein Weg zur Schwerpunkt- bildung beschritten, der nicht primär den Ansatz der Mindestmengenregelung an das Zentrum stellt. Vielmehr sollten bestimmte Strukturmaßnahmen vorgehalten werden, nach denen ab dem 01. Juli 2009 die Ver- sorgung von Patienten mit abdominellen Aortenaneurysmen (infra- und suprare- nal) erfolgen muss. Zum anderen wird un- missverständlich festgelegt, dass die offene und endovaskuläre Versorgung von Bauch- aortenaneurysmen künftig untrennbar mit der Gefäßchirurgie verbunden ist. Es ist künftig nicht ausreichend, dass ein Gefäß- chirurg in der zugelassenen Einrichtung tä- tig ist – nein, er muss die Versorgung selbst übernehmen. Worum geht es im Einzelnen? Die Ziele der Vereinbarung umfassen fol- gende Strukturvoraussetzungen: 1. die Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Bauchaortenaneurysma, und 2. die Gewährleistung und Verbesserung einer qualitativ hochwertigen Versor- gung dieser Patientinnen und Patienten unabhängig von Wohnort oder sozioö- konomischer Situation. Einer Einrichtung, die künftig Aorten- aneurysmen behandelt, muss der fachlich leitende Arzt/Ärztin und mindestens ein weiterer klinisch tätiger Arzt/Ärztin ange- hören, die über die Facharztanerkennung Gefäßchirurgie oder die Anerkennung für den Schwerpunkt Gefäßchirurgie ver- fügen. Diese Ärztinnen und Ärzte müssen darüber hinaus entsprechend dem tech- nischen und medizinischen Fortschritt mit allen gängigen Verfahren zur Behandlung von Bauchaortenaneurysmen vertraut sein. Zudem wird für die stationäre Ver- sorgung ein Arzt/Ärztin mit Erfahrungen in der Gefäßchirurgie benötigt. Die Ein- richtung muss über einen eigenständigen gefäßchirurgischen Dienst verfügen. Zu jeder Zeit muss dieser Dienst mindestens durch einen Facharzt/-ärztin für Gefäß- chirurgie sichergestellt sein. Die Einrich- tung soll darüber hinaus die Weiterbil- dungsmöglichkeit für den Facharzt für Ge- fäßchirurgie bzw. im Schwerpunkt für Ge- fäßchirurgie (gemäß alter Weiterbildungs- ordnung, Übergangsregelung) anbieten. Auch der Pflegedienst der Einrichtung im Intensivbereich muss einen möglichst hohen Anteil an Gesundheits- und Kran- kenpflegerinnen/-pflegern mit abgeschlos- sener Weiterbildung im Bereich Intensiv- pflege sicherstellen. Bis zum 31. Dezem- ber 2013 kann an Stelle einer Fachweiter- bildung eine mindestens fünfjährige Er- fahrung in der Intensivpflege treten. Die Stationsleitungen müssen einen Leitungs- lehrgang absolviert haben. Die Narkose im Rahmen der Operation muss durch ei- nen Facharzt/-ärztin für Anästhesiologie durchgeführt werden, der mit dem spe- ziellen intraoperativen Management bei diesen Eingriffen vertraut ist. Operations- saal und Intensivstation sind in der Ein- richtung vorzuhalten. Was bedeuten diese Vorgaben? Diese zum 01. Juli 2008 in Kraft getre- tene Bestimmung des G-BA ist aus Sicht der Gefäßchirurgie sehr zu begrüßen. Sie stellt eine klare Richtlinienkompetenz für unser Fachgebiet dar und strebt eine Op- timierung der aktuellen Versorgungsquali- tät in Deutschland an. Seit den ersten Pu- blikationen zur Frage des Mindestmen- geneinflusses auf das Therapieresultat wird auch hier intensiv über die Umset- zung diskutiert. Was sich für die Knieen- doprothetik, das Pankreaskarzinom und das Ösophaguskarzinom durchgesetzt 321 Gefässchirurgie 5 · 2008 |

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Gefässchirurgie 2008 · 13:321–322DOI 10.1007/s00772-008-0637-1© Springer Medizin Verlag 2008

E. S. Debus1 · H.-H. Eckstein21 Abt. Allgemein-, Gefäß- und Visceralchirurgie, GefäßCentrum Hamburg Harburg, Asklepios Klinik Harburg 2 Klinik für Gefäßchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

Die Zukunft der Aneurysma-therapie in Deutschland – weg von den Mindestmengen?

Editorial

Am 01. Juli 2008 trat ein strukturpoli-tisch wegweisendes Dokument des Ge-meinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft (http://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/644/). In diesem Manuskript werden Anforderungen für die Behand-lung des abdominellen Aortenaneurysma definiert, die Inhalte zu künftiger Struk-tur, Prozess und Outcome festlegen. Dieses Dokument hat Gesetzescharakter und ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeu-tung. Zum einen wird erstmals in der ope-rativen Medizin ein Weg zur Schwerpunkt-bildung beschritten, der nicht primär den Ansatz der Mindestmengenregelung an das Zentrum stellt. Vielmehr sollten bestimmte Strukturmaßnahmen vorgehalten werden, nach denen ab dem 01. Juli 2009 die Ver-sorgung von Patienten mit abdominellen Aortenaneurysmen (infra- und suprare-nal) erfolgen muss. Zum anderen wird un-missverständlich festgelegt, dass die offene und endovaskuläre Versorgung von Bauch-aortenaneurysmen künftig untrennbar mit der Gefäßchirurgie verbunden ist. Es ist künftig nicht ausreichend, dass ein Gefäß-chirurg in der zugelassenen Einrichtung tä-tig ist – nein, er muss die Versorgung selbst übernehmen.

Worum geht es im Einzelnen?

Die Ziele der Vereinbarung umfassen fol-gende Strukturvoraussetzungen:

1. die Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Bauchaortenaneurysma, und

2. die Gewährleistung und Verbesserung einer qualitativ hochwertigen Versor-gung dieser Patientinnen und Patienten unabhängig von Wohnort oder sozioö-konomischer Situation.

Einer Einrichtung, die künftig Aorten-aneurysmen behandelt, muss der fachlich leitende Arzt/Ärztin und mindestens ein weiterer klinisch tätiger Arzt/Ärztin ange-hören, die über die Facharztanerkennung Gefäßchirurgie oder die Anerkennung für den Schwerpunkt Gefäßchirurgie ver-fügen. Diese Ärztinnen und Ärzte müssen darüber hinaus entsprechend dem tech-nischen und medizinischen Fortschritt mit allen gängigen Verfahren zur Behandlung von Bauchaortenaneurysmen vertraut sein. Zudem wird für die stationäre Ver-sorgung ein Arzt/Ärztin mit Erfahrungen in der Gefäßchirurgie benötigt. Die Ein-richtung muss über einen eigenständigen gefäßchirurgischen Dienst verfügen. Zu jeder Zeit muss dieser Dienst mindestens durch einen Facharzt/-ärztin für Gefäß-chirurgie sichergestellt sein. Die Einrich-tung soll darüber hinaus die Weiterbil-dungsmöglichkeit für den Facharzt für Ge-fäßchirurgie bzw. im Schwerpunkt für Ge-fäßchirurgie (gemäß alter Weiterbildungs-ordnung, Übergangsregelung) anbieten.

Auch der Pflegedienst der Einrichtung im Intensivbereich muss einen möglichst hohen Anteil an Gesundheits- und Kran-kenpflegerinnen/-pflegern mit abgeschlos-sener Weiterbildung im Bereich Intensiv-pflege sicherstellen. Bis zum 31. Dezem-ber 2013 kann an Stelle einer Fachweiter-bildung eine mindestens fünfjährige Er-fahrung in der Intensivpflege treten. Die Stationsleitungen müssen einen Leitungs-lehrgang absolviert haben. Die Narkose im Rahmen der Operation muss durch ei-nen Facharzt/-ärztin für Anästhesiologie durchgeführt werden, der mit dem spe-ziellen intraoperativen Management bei diesen Eingriffen vertraut ist. Operations-saal und Intensivstation sind in der Ein-richtung vorzuhalten.

Was bedeuten diese Vorgaben?

Diese zum 01. Juli 2008 in Kraft getre-tene Bestimmung des G-BA ist aus Sicht der Gefäßchirurgie sehr zu begrüßen. Sie stellt eine klare Richtlinienkompetenz für unser Fachgebiet dar und strebt eine Op-timierung der aktuellen Versorgungsquali-tät in Deutschland an. Seit den ersten Pu-blikationen zur Frage des Mindestmen-geneinflusses auf das Therapieresultat wird auch hier intensiv über die Umset-zung diskutiert. Was sich für die Knieen-doprothetik, das Pankreaskarzinom und das Ösophaguskarzinom durchgesetzt

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hat, war – trotz wiederholt nachgewie-senem Effekt – für das Aortenaneurysma bis jetzt nicht entschieden. Die besondere Problematik im Gegensatz beispielsweise zur Karotischirurgie liegt hier darin, dass das Outcome nach Aortenaneurysmaaus-schaltung nicht allein durch die Quali-tät und die Erfahrung des Chirurgen de-finiert ist, sondern das Umfeld in der pe-ri- und postoperativen Therapie ebenso in das Gesamtergebnis eingeht. Diese Proble-matik hat der G-BA in dem hier vorlie-genden Papier auf intelligente Weise gelöst. Erstmals wurden Vorgaben zur struktu-rellen Qualität der versorgenden Einrich-tung gemacht, so dass die Aneurysmaver-sorgung nicht direkt an Mindestzahlen ge-knüpft ist.

Welche Auswirkungen ergeben sich?

Auch wenn keine Anforderungen an Min-destmengen gestellt werden, so ist davon auszugehen, dass die Versorgung von Bauchaortenaneurysmen künftig einem Zentralisierungsprozess unterworfen sein wird, womit sekundär eine nicht unerheb-liche Steigerung der Fallzahlen pro Zen-trum eintreten wird. Dies betrifft nicht ausschließlich die elektive Behandlung, sondern z.T. auch die Notfallsituation. Hierzu heißt es wörtlich:

„Wird eine Patientin oder ein Patient mit einem Bauchaortenaneurysma in einem Krankenhaus aufgenommen bzw. ein solches während des stationären Aufent-haltes in einem Krankenhaus festgestellt, welches die Anforderungen gemäß Abs. 1 nicht erfüllt, und ist eine chirurgische Notfallbehandlung des Bauchaortena-neurysmas erforderlich, so muss unmit-telbar während oder nach der Einleitung der lebensrettenden Sofortmaßnahmen Kontakt mit den rufbereiten Ärztinnen oder Ärzten einer möglichst nahe gele-genen Einrichtung gemäß § 1 Abs. 2 auf-genommen und eine Verlegung der Pati-entin oder des Patienten dorthin zum ge-eigneten Zeitpunkt in Abhängigkeit von der Transportfähigkeit vorgenommen werden. Ist aus medizinischen Grün-den eine Verlegung der Patientin oder des Patienten nicht vertretbar, ist zu klä-ren, ob die Notfalloperation in der auf-

nehmenden Einrichtung aus vitaler Indi-kation zur Blutungskontrolle begonnen und unter Hinzuziehung eines externen gefäßchirurgischen Teams dort beendet werden kann. Eine anschließende Verle-gung in die spezialisierte Einrichtung zur Nachbehandlung ist möglichst anzustre-ben. Die Krankenkasse übernimmt die Fahrkosten.“

Die Krankenhäuser sind gehalten, sich bis spätestens 01. Juli 2009 auf diese Rahmen-bedingungen vorzubereiten. Schätzungen des G-BA zufolge wird diese Vorlage er-heblichen Einfluss auf die künftige Ent-wicklung der Patientenströme haben. Es wird davon ausgegangen, dass etwa 50% der Patienten, die heute an einem Aorten-aneurysma in Deutschland operiert wer-den, derzeit an Einrichtungen behandelt werden, die den künftigen Anforderungen nicht entsprechen. Sie müssen künftig in zugelassene Zentren verlegt werden. Die Vereinbarung fordert auch, dass beide Ver-fahren im jeweiligen Zentrum zur Verfü-gung stehen müssen und „aus einer Hand“ angeboten werden sollen. Dies ist gut für die Methoden und besonders gut für die Patienten! Die immer noch anzutreffen-de Praxis, gelegentlich ein Aortenaneurys-ma offen zu operieren wird damit ein En-de haben.

Neben den direkten Folgen für Kran-kenhäuser und Patienten hat diese Vor-lage richtungweisenden Charakter für die Organisation der künftigen Weiter-bildungsstruktur in Deutschland. Eine 4-jährige Weiterbildung in der Gefäßchirur-gie ist damit an Zentren gebunden, die of-fene und endovaskuläre Aneurysmachir-urgie durchführen. Aus der Sicht der Ge-fäßchirurgie können wir demnach davon ausgehen, dass die Zahl der endovasku-lären Rekonstruktionen insgesamt stei-gen wird, was mit einer erheblichen Zu-nahme der gefäßchirurgischen Expertise in interventionellen Techniken verbunden sein dürfte.

Die Entscheidung des G-BA ist zu-kunftsorientiert und wird weit reichende Konsequenzen haben. Sie ist mit einer Spezialisierung von Leistungen verknüpft und bedeutet damit zugleich eine Stär-kung unseres Fachgebietes. Sie wird zu ei-ner erheblichen Steigerung der interventi-onellen Expertise führen und erfüllt damit

die Vorgaben unserer aktuellen Weiterbil-dung. Das vorliegende Dokument ist da-her aus unserer Sicht begrüßenswert.

E. S. Debus

H.-H. Eckstein

KorrespondenzadresseProf. Dr. E. Sebastian Debus

Abt. Allgemein-,  Gefäß- und Visceralchirurgie GefäßCentrum  Hamburg Harburg Asklepios Klinik HarburgEißendorfer Pferdeweg 5221075 [email protected]

Prof. Dr. H.-H. EcksteinKlinik für Gefäßchirurgie, Klinikum rechst der Isar, Technische Univer-sität MünchenIsmaningerstr. 22,  81675 München [email protected]

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