die untersuchungen von niels stensen über die haut. versuch einer kritischen betrachtung

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Die Untersuchungen von Niels Stensen uber die Haut. Versuch einer kritischen Betrachtung von WKE KOHLSMT UND CARL SCHIRREN* Einleitung Unter den Personlichkeiten vergangener Jahrhunderte, die sich sehr eingehend mit medizinischen Problemen befasst haben und deren Forschungen bis in die Gegenwart hinein bemerkbar sind, ragt aus der Zeit des XVII. Jahrhunderts Niels STENSEN hervor, von dem selbst zahlreiche wertvolle Publikationen, und iiber dessen Bedeutung eine grosse Zahl von wissenschaftljchen Arbeiten vorhanden ist.' Es erschien uns reizvoll, aufgrund unserer bisherigen Kenntnisse iiber den Forscher Niels STENSEN unter speziell dennatologischen Ge- sichtspunkten eine Bearbeitung seiner Schriften vorzunehmen; auf diese Weise sollte die Moglichkeit eroffnet werden, den Aussagen von STENSEN nachzugehen und sie auf ihre Aussagekraft kritisch zu prii- fen. Unsere Mitteilung beruht auf dem Studium der Originalarbeiten von STENSEN; zum grossen Teil wurden diese Arbeiten aus den lateinischen Originaltexten in die deutsche Sprache iibersetzt, teilweise wurde auf Obersetzungen von G. SCHEIU zuriickgegriffen.* Im XVII. Jahrhundert - dern Zeitalter des Barock - zeigten die Menschen ihre Lebensfreude und ihre Freude an der Kunst in vielen herrlichen Kunstschatzen. Doch auch in der Naturwissenschaft wurde die positive Einstellung zum Leben durch Forschungen und grosse Entdeckungen deutlich. Es sei an Miinner wie KEPLER, GALILEI, NEWTON, HARVEY, MALPIGHI, DESCARTES, SPINOZA und LELBNIZ erinnert. Auch auf dem Gebiet der Medizin wurden grund- legende Entdeckungen gemacht. Es besteht jedoch kein Zweifel dariiber, dass bei allem Respekt vor den Leistungen dieser Zeit auch kritische Stimmen laut wurden, die weniger giinstige Beurteilungen der damali- * Univcrsiclts-HauMinik, HunburpEppeodorf. H.mbur& D.B.R. Cenraunu 1970: vol. IS, m. 1: pp. 51-71 4.

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Page 1: Die Untersuchungen von Niels Stensen über die Haut. Versuch einer kritischen Betrachtung

Die Untersuchungen von Niels Stensen uber die Haut. Versuch

einer kritischen Betrachtung von

W K E KOHLSMT UND CARL SCHIRREN*

Einleitung Unter den Personlichkeiten vergangener Jahrhunderte, die sich sehr eingehend mit medizinischen Problemen befasst haben und deren Forschungen bis in die Gegenwart hinein bemerkbar sind, ragt aus der Zeit des XVII. Jahrhunderts Niels STENSEN hervor, von dem selbst zahlreiche wertvolle Publikationen, und iiber dessen Bedeutung eine grosse Zahl von wissenschaftljchen Arbeiten vorhanden ist.' Es erschien uns reizvoll, aufgrund unserer bisherigen Kenntnisse iiber

den Forscher Niels STENSEN unter speziell dennatologischen Ge- sichtspunkten eine Bearbeitung seiner Schriften vorzunehmen; auf diese Weise sollte die Moglichkeit eroffnet werden, den Aussagen von STENSEN nachzugehen und sie auf ihre Aussagekraft kritisch zu prii- fen. Unsere Mitteilung beruht auf dem Studium der Originalarbeiten von STENSEN; zum grossen Teil wurden diese Arbeiten aus den lateinischen Originaltexten in die deutsche Sprache iibersetzt, teilweise wurde auf Obersetzungen von G. SCHEIU zuriickgegriffen.* Im XVII. Jahrhundert - dern Zeitalter des Barock - zeigten die

Menschen ihre Lebensfreude und ihre Freude an der Kunst in vielen herrlichen Kunstschatzen. Doch auch in der Naturwissenschaft wurde die positive Einstellung zum Leben durch Forschungen und grosse Entdeckungen deutlich. Es sei an Miinner wie KEPLER, GALILEI, NEWTON, HARVEY, MALPIGHI, DESCARTES, SPINOZA und LELBNIZ erinnert. Auch auf dem Gebiet der Medizin wurden grund- legende Entdeckungen gemacht. Es besteht jedoch kein Zweifel dariiber, dass bei allem Respekt vor den Leistungen dieser Zeit auch kritische Stimmen laut wurden, die weniger giinstige Beurteilungen der damali-

* Univcrsiclts-HauMinik, HunburpEppeodorf. H.mbur& D.B.R.

Cenraunu 1970: vol. IS, m. 1: pp. 51-71

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gen Zeit gaben. So schrieb J. W. von GOETHE 1795 in seiner "Mor- phologie" uber die vergleichende Anatomie:

.Man wendete. wie in anderen Wissenschaften. so auch hier, nicht genug gelauterte Vorstellungsarten an. Man verlor sich in leere Spekulationen, 2. B. iiber die Seek der Tiere usw. Die Anatomie du; Menschen bis in die feinsten Teile zu verfolgcn, ward cine unendliche Arbeit gefordert. Ja sogar diese, der Madizin untergeordnete. konnte nur von wenigen als cin besonderes Studium betrieben werden. Noch wenigere hatten Neigung. Zeit, Vermiigen und Gclcgcnheit, in der vergleichenden Anatomic etwas Bedeutendes und Zusammenbingenda zu leisten..'

GOETHE ubte also deutlich Kritik am systematischen bezw. unsyste- matischen Vorgehen der damaligen Zeit und schreibt an anderer Stelle uber die vergleichende Anatomie jener Zeit: sWie nothig es war, den menschlichen Korper zu zergliedern, um ihn niiher kennenzulernen, sahen die Ante nach und nach wohl ein, und immer ging das Zerglie- dern der Thiere neben dem Zerghedern des Menschen, obschon mit ungleichem Schritte, fort. Theils wurden einzelne Bemerkungen auf- gezeichnet, man verglich gewisse Theile verschiedener Thiere; allein ein ubereinstimmendes Ganzes zu sehen blieb nur immer ein frommer Wunsch, und wird es vielleicht noch lange b1eiben.e' Man hat danach den Eindruck, dass im XVII. Jahrhundert zu unwissenschaftlich vor- gegangen wurde, wenigstens was die Meinung spaterer Beobachter be- trifft.

Vertieft man sich dagegen in die Studien der hervorragenden For- scher dieser Zeit, d a m wird man eines besseren belehrt. Ein besonderes Beispiel f i r systematisches und methodisches Vorgehen, das beispielhaft bis in unsere Z i t wirkt, liefert Niels STENSEN (1638-1686). Seine Methoden der Forschung, der kritischen Betrachtung und sein systema- tisches Vorgehen sind auch im XX. Jahrhundert noch durchaus modern und erneut aktuell. Ober die Methode, die er bei DESCARTES ken- nengelernt hatte, schreibt er spater: .An DESCARTES tadle ich also nicht seine Methode, sondern dass er sie nicht anwendet. Der Methode verdanke ich die Erkenntnis meiner Vorurteile. as

Von besonderer Bedeutung fiir seine Neigung zur Forschung war das Zusammentreffen von STENSEN mit Thomas BARTHOLIN. STEN- SEN war 1656-1659 Student der Anatomie und Medizin an der Ko- penhagener Universitiit und hatte Th. BARTHOLIN zu seinem geisti-

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gen Mentor gewiihlt. Der besondere Eifer und das Entdeckertalent sei- nes Lehrers haben STENSEN tief beeindruckt und ihm ganz offensicht- lich die Richtung fiir seinen eigenen Lebensweg gewiesem6 Th. BAR- THOLIN befasste sich vor allem mit dem Verlauf der Chylus- und Lymphgefiik. Zwischen Lehrer und Schiiler bestand nicht nur wahrend der Studienjahre STENSEN’S in Kopenhagen, sondern auch spater ein Vertrauensverhaltnis besonderer Art, das aus dem Briefwechsel beider deutlich wird. So antwortet BARTHOLIN an STENSEN, nachdem ihm dieser die Entdeckung des Ductus parotideus mitgeteilt hatte, folgen- des: DDeinen F l e a in der Durchforschung der Geheimnisse des menschlichen Korpers, wie Deine gliicklichen Entdeckungen wissen die Gelehrten unseres Vaterlandes nicht genug zu preiscn . . . Mit WHAR- TON teilst Du das Verdienst, indem Du seinem inneren Kana1 einen ausseren hinzugefiigt und so die Quellen des Speichels entdeckt hast, uber die bisher Viele gar manches getraumt haben. die aber vor euch keiner, um mich so auszudriicken, mit dem Finger zeigen k0nnte.e’ Die streng methodische Art STENSEN’S machte ihn zum Vorlaufer der Er- forschung neuer Wissensgebiete: Geologie, Palaontologie und Kristal- lographie; seine umfassende philosophische Schulung im S i e der m Universitasa erlaubte es STENSEN, fur seine Forschungen bestimmte Prinzipien aufzustellen, nach denen er dann systematisch vorging. Ober- all in seinen Schriften und Protokollen begegnen wir der Feststellung, dass der Forscher nur das als wahr annehmen diirfe, was ihm die Er- fahrung mit Hilfe der ausseren Sinne als wahr gezeigt bezw. bestatigt hat; alles muss der Forscher selbst gesehen haben, die Spekulation wird von ihm nachdriicklich zuriickgewiesen. E r beschreibt selbst nur das, was er gesehen hat und wendet sich damit von der Art vieler seiner Zeitgenossen ab, die sich bei der Sektion und bei der Beobachtung zu- satzlich von Spekulationen leiten liessen und diese mit in ihre Befunde aufnahmen.’

Vor diesem geistigen Hintergmnd, der das Konzept STENSENs auch im spateren Leben bei allen weiteren Forschungen auf anderen Ge- bieten der Wissenschaft gewesen ist, mussen wir auch seine grosse Rede aus dem Jahre 1673 sehen, die er bei seiner letzten Demonstration in der Anatomie des Theatrum anatomicum von Kopenhagen an einer Frauenleiche hielt. Ober die Haut fiihrt er dabei aus:

~ B e i m Menschen sieht man nur die aussere Oberflache und zwar nur einen klcinen Teil d a Menschen. Was anden sieht man denn gewohnlich

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vom ganzen Mcnschcn als scin Gesicht und seine Hkde? In dcr Tat, wcr den tat&hlichcn Untcrschicd zwischcn der wirklichen und dcr scheinbaren ObefiLhe der Kiirper kennt, odcr wer wenigstcns c h M b SLOP au die Haut heranbringt, der wird zugeben, dass wir von dcr mensch- lichen Haut nur einigc ihnr griibercn Vorspriinge, wie die hikhsten xhrcnspitza tines weit entfernt licgendea Ackcrs sehen. Wenn aber diese Hand, dcren schones und wohlproportioniertes Aukre so oft den ganzcn S i des Bctrachtcrs fessclt, wit cin kuchtender KristaU auch zugleich die Perlenfarbc der darunter verborgencn Sehncn darbietcn wiirde, wer wiirde sich da nicht cine vie1 griissere Lust fiir den betrach- tenden Gck! versprechen?

WCM schon cin geringer Teil der ausscrcn Gestalt des Menschen so rcizcnd ist und den Blick so schr fesstlt, wclchen Liebrciz wiirden wir sehcn und wclche Freude wiirden wu cmpfmdcn, wenn wir das gesamte Kunstwerk des Korpcrs, wenn wir die Secle, dcr so zahlreiche und so kunstfertige Werlueuge diencn, behchtcn diirfcn? - hlchra sunt, quae videntur, pulchriora. quae xiuntur, longe pulcherriaa, quae ignorantur. - Blciben wir also nicht rnit den Sinncn haften, sondcrn schen wir mit den Augen des Gektes durch die Augen des Korpen wie durch cin Feaster tines ausserordentlich kunstfertigcn Palastes hinaus auf diese lieblichste aller Witsen. auf dcr jcde Blume ein Organ ist und jcdes Organ ein Wunder. a*

Man erinnert sich bei diesen Worten an das Gedicht BAbendlieda von Gottfried KELLER, das mit den Versen schliesst:

STrinkt, 0 Augen, was die Wimper halt, von dem goldnen Oberfluf3 der Welt."*O

STENSEN war zu diesem Zeitpunkt bereits 35 Jahre alt und hatte den Ductus S T E N 0 " U S (1660), sowie die spater nach FALLOT benannte Tetralogie (1665) entdeckt.'' Er war 1667 zum Katholizis- mus konvertiert und stand jetzt unmittelbar vor dem Empfang der Priesterweihe (1675).

Aussagen iiber die Haut STENSEN konnte sich nicht ausschliesslich mit anatomischen For- schungen beim Menschen beschiiftigen, weil Lichen in jener &it nur bedingt fiir Sektionen zur Verfugung standen; er arbeitete daher auch vergleichend-anatomisch und hat hier vor allem seine grundlegenden Studien an Fischen, aber auch an anderen Tieren vorangetrieben.'* Die beim Tier getroffenen Feststellungen waren fur ihn kein AnlaB,

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um jekt entsprechende Ruckschlusse auch auf die Verhaltnisse beim Menschen zu ziehen, sondern er machte seine Aussagen nur dam, wenn er eine Bestatigung dafiir beim Menschen wirklich gefunden hatte.

Die meisten Aussagen uber die Haut fmden wir bei den Beschrei- bungen der Fischsektionen. So entdeckte er z.B. in der Haut des Aales ein sehr weitvemeigtes Kanalsystem und beschreibt dabei folgender- maBen:

sDa wir hier die Hautgefak der Fische abhandeln, sei es erlaubt, zu- gleich einen Gang zu beschreiben, den ich in Gegenwart meines be- ruhmten Freundes F. RED1 in der Haut des Aales beobachtet habe. Hinter dem Kopf, ungef;ihr am Anfang des Riickenmarkes fand sich in der Haut selbst eine Hohlenbildung, von der auf beiden Seiten ein Gang herabfiihrte, welcher an einer Stelle, nachdem er zwischen Bauch und Ruckgrat fast die Mitte erreicht hat, in gerader Richtung von dort zum Schwanz immer an den Seiten des Fisches entlang herablief. In diesem Gang fanden sich auf beiden Seiten neben der grossen Hohlenbildung drei weitere Hohlraume, die in einigem Abstand voneinander waren. Ein Teil des Ganges, der zwischen den einzelnen Hohlraumen m u - treffen ist, war von innen mit einer knorpelartigen Substanz uberzogen. Dadurch war der game Verlauf dieses Ganges auf beiden Seiten bis zum Schwanz aus mehreren recht harten Rohren zusammengesetzt. Zwischen diesen Rohren ragten Papillen hervor, die so perforiert waren, dass die Luft zwar leicht einen Ausweg, die Sonde jedoch schwer einen Eingang fmden konnte. Wenn man den mittleren Hohlraum, der sich hinter dem Kopf befand, aufblies, dam schwollen die Hohlbildungen an; die Luft fand jedoch keinen Ausweg ausser in die Papillen, die ent- lang der Seitenlinie angeordnet waren. Ausser den kleineren Papillen gab es auch grossere, jedoch seltener, die in der unmittelbaren Umge- bung des Kopfes oberhalb der Seitenlinie lagen, gegen den Schwanz hin in jene Linie selbst ragten. Das ist die Beschreibung eines neuen Ganges, den ich erstmalig in der Haut des Aales gesehen habe. Bei anderen Fischen habe ich dasselbe zugleich mit noch geraumigeren Hohlbildungen in der Niihe des Kopfes beobachtet; im grossen und gan- zen bin ich davon uberzeugt, dass bei allen Fischen, die an der Seiten- h i e Papillen aufweisen, ein M i c h e r Gang zu entdecken ist. Welchem Zweck ein von so vielen Lochern durchsetzter Gang dienen kann, das wage ich nicht zu entscheiden, da ich ihn ausnahmslos leer und nicht einmal mit einer Spur von schleimiger Fliissigkeit vorfand. a”

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STENSEN liefert mit dieser Beschreibung eine ausserordentlich cha- rakteristische Darstellung eines fiir ihn bezeichnenden Vorgehens und seiner SchluBfolgerungen: Feste Befunde werden beschrieben, Ver- mutungen werden nicht ausgesprochen oder wenn es dennoch erfolgt, dam weist er ausdriicklich darauf hin, dass es sich um Vermutungen handelt. m S E N hat keine Deutung dieses Befundes geben konnen und betont das auch ausdriicklich. Er hatte, ohne es zu wissen, das Cleichgewichtsorgan der Fische entdeckt.

Im April 1664 beschreibt er anl&slich der Sektion von zwei Rochen die Schleimdriisen in der Fischhaut, die ebenfalls von ihm erstmals ent- deckt worden waren. In sDe anarome rajae episrolau (164) schreibt er: SBetrachtete man den Rochen von der umgekehrten Seite, dann sah man auf der gesamten Oberflache iiberall unzahlige schwarze Flecken verstreut (man konnte sie fiir schwarze Glaskiigelchen halten, wenn sie nicht flach waren) und anschliessend daran ebenso viele, wegen ihrer tieferen Lage jedach weniger erhohte, schwbliche Streifen. Man konn- te nicht nur durch das Einfiihren einer Nadel in ein Loch dieser Flecken zeigen, dass es sich urn eine Art von hohlen Gefaen handelte. Ausser- dem zeigt die in ihnen vorhandene Flussigkeit undeutlich an, was dann das Auspressen der dem Auge glasartig erscheinenden Flussigkeit durch die Miindungen der Flecken offen darlegte, dass es niimlich Gefbse sind, die an der Oberflache eine Fliissigkeit absondern, die hinsichtlich Farbe und Konsistenz der von anderen Lebewesen aus den eigentlichen Driisen ausgeschiedenen Lymphe durchaus tihnlich ist. Man wird mir sicher gem zugestehen, dass es sich hierbei urn jene Fliissigkeit handelt, wel- che den Rochen schlupfrig macht. Ich konnte nun ausfuhren, daB ich nicht nur durch dieses Phiinomen, sondern auch aufgrund mehrerer an- derer zu der Ansicht gekommen sei, dass alle Fische wenn auch nicht ganz ahnliche, so doch wenigstens analoge, in der Haut verlaufende GefaBe besitzen. Ferner, dass man uberhaupt und im allgemeinen klei- ne, auf der Oberflache vorhandene Flecken verstreut vermuten muss. Ich wiirde jedoch keinen allgemeinen Glauben finden, sondern mich vielmehr dem allgemeinen Tadel aussetzen, da man mich eines bei Ana- tomen sehr hadig vorkommenden Fehlers zeihen wiirde: durch eine einzige Beobachtung zu einem generellen SchluB hingerissen zu wer- den.ul*

In .Canis Carchriue dissecturn capura heiBt es dann: sMeine aller- dings unsichere Meinung uber die menschliche Haut, deren exkretori-

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sche Gef& an den Driisen entstehen, ist die, dass sich entweder diese Driisen unter der Haut ausbreikn oder dass sie in die Haut eingeflochten werden oder dass sie nach beiden Seiten verteilt werden. Da nun die Transpiration, die schon von den Alten beobachtet worden ist, durch die Experimente des SANCTORIUS’’ eine Bestatigung erfahren hat, wird danach gesucht, von welchen Teilen jener Stoff komme als auch auf welchem Wege dieser Stoff ausgeschieden wird. Viele glauben, dass von den im Kopf, Thorax und Bauch liegenden Eingeweiden, ja sogar von jeder beliebigen Stelle des gesamten Korpers der gleiche Stoff her- vorfliesst und durch die Poren der dazwischenliegenden Teile und der Haut selbst wieder herausfliegt. Andere meinen wiederum, dass der Stoff durch die Arterien zur Haut gebracht werde und dann durch die in der Haut befindlichen Poren hinaustritt. Ich erkenne es gerne an, dass es einen bestimmten Stoff gibt, der jeden Moment sogar die grosse Dichte unseres Korpers durchdringt und dass dieser feine Stoff die meisten los- lichen Teile unseres Korpers von den innersten Schlupfwinkeln her rnit sich zu fuhren vermag. Ein Beispiel dafiir bietet sich uns im Horn des Hirsches an, bei dem wir einen Saft (chymia) finden. Mir erscheint die- ses mindestens wahrscheinlich, ich halte es aber auch fur sicher, dass dickere Korperstoffe, die bei der Transpiration entweder in Form von Dampf oder von Flussigkeit abgehen, durch die Arterien bis zu den Driisen der Haut weggeschafft werden und von dort dann durch beson- dere Gefak herausgetrieben werden.

Substantia cutis sIch glaubte damals, dass die Fasern entweder in die Haut selbst oder in eine Membran ausgestreckt werden, die mit der Haut fest verbunden ist; ich halte es aber fur unzweifelhaft, dass die Ansatzstelle der Haut selbst zukommt. Bei Schlangen und Vipern sind die Sehnen der Mus- keln ebenso mit der Haut verbunden; das habe ich d m zuverl&sig erfahren, als ich die Muskeln bei Vipern und Schlangen untersuchte. So haben am menschlichen Korper die Bauchmuskeln mehrere Sehnen, die mit der Haut zusammenhhgen, besonders in jenem Teil der sLinea albaa, der oberhalb des Nabels liegt. Dasselbe sieht man auch an den Seiten der Linea alba, wean man bei der Sektion einige Finger breit von der Mitte parallel zur Linea alba die Haut auseinanderschneidet und lediglich die Haut mit dem darunterliegenden Fett von den angren-

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zenden Muskeln trennt; denn nur durch diese Trennung kann demon- striert werden, dass der wahre Verlauf der Sehnenfasern, die durch das Fett in der Mitte der Haut zusammenhiingen, dort zu sehen ist, wo sie in der Mitte gegen die Seiten hin in die Haut gefiihrt werden. Am Ellenbogen kann man dasselbe beobachten; dort inserieren die Sehnenfasern nach allen Seiten in die Haut, sonst liegen sie in der Mitte, wo sie der Haut weniger anhigen. Ich verschweige, dass in der Hand- flache, der FuBsohle und am ganzen Korper verteilt die vexhiedensten Muskeln vorhanden sind, die mit der Haut in einem gewissen Umkreis zusammenhiingen und dass die= deshalb mit dem Namen spanniculi carnosia bezeichnet werden. Aus der iiberlieferten Historie wissen wir, dass die Sehnen zu der zusammengesetzten Substanz der Haut zusam- menlaufen. Da ich beim Hundehai beobachtet habe, dass die Hautge- f a e ihre Driise unter der Haut besiken, und ich in der Haut eine zahl- lose Menge von Sehnenfasern ausgedehnt sehe, so halte ich es fur sicher, dass der grosste Teil der Haut aus Fasern der Arterien, Venen, Nerven und Sehnen geflochten ist. Von den Driisen beim Menschen, wie ich es oben e r w h t e , zweifele ich, ob sie entweder in der Haut oder unter der Haut oder iiberall zu fmden sind.a”

Vusu excretoriu cutis

BDa ich an Kopfen von Haien und in der Haut des Rochens iihnliche Gef& beobachtet habe, besteht fiir mich keinerlei Zweifel dar- uber, dass eine fettige Fliissigkeit die Obefflache der Fische bestreicht und von diesen Quellen abzuleiten ist. Offenkundig ist daher der FleiB der schopferischen Natur, welche die Obefflache der Fische eingefettet hat. Denn auf diese Weise konnen die Fische leichter die hindernden Wasser teilen; ich behaupte, dass am Maul reichliche Quellen dieser fettigen Fliissigkeit sind. Die Kraft des widerstrebenden Wassers preBt durch das Zusammendriicken der Haut von dort die schmierige Fliissig- kei t aus .IB

Von Holger JACOBSEN, einem begeisterten Schuler STENSEN’s sind uns Kollegaufzeichnungen erhalten geblieben, die dieser w-nd der Vorlesungen anfertigte und die unter der Bezeichnung DAddictata in Riolani Enchiridion A n a t o m i c ~ m ~ ’ ~ Beachtung gefunden haben; hierin setzt STENSEN sich sehr kritisch mit RIOLAN auseinander und sagt u.a.: SWeder die Haare noch die Nagel sind Exkremente, denn

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sie besitzen eigene Gef5.k und eine Verbindung mit den iibrigen Teilen des Korpers, sie wachsen usw. . . . Was von der Duplizitiit des Haut- chens (Cuticula) gesagt wird, das betrifft den Beginn der Dickhautig- keit und stammt vom Austrocknen der transpirierenden Substanz, wie bei einer Kruste auf der Zunge oder wie bei der dicken Haut an Hiin- den und Funen. Es ist sicher, dass das Hautchen durchdringbar und poros ist; sonst wiirde weder die nicht wahrnehmbare Substanz der Transpiration (Perspiratio insensibilis) mit dem Blut abgehen, noch wiirden die feineren Teilchen der von auL3en applizierten Medikamente ins Blut iibergehen.

Man schreibt vie1 dem Hautchen zu, was allerdings der darunter- liegenden Haut zukommt. So scheint die Farbe der Haut durch das Hautchen hindurch. Bei Masern, Ausschlagen und hervorstehenden Blbchen liegt die wichtigste Ursache darin, dass eine Flussigkeit durch die in der Haut befindlichen Engen des Blutbehalters hindurchsickert. Diese Fliissigkeit farbt entweder das Hautchen durch ihre Eigenfarbe oder aber sie macht die Haut durch ihre Scharfe (acrimonia) dicker. Ob die Haut die Ausscheidungen des gesamten Korpers iibernimmt? Es ist sicher, dass durch die Engen der Blutgefse, die uber die Haut verstreut sind, e k e Substanz ausgehaucht wird, die vielleicht nicht ganz u n W c h der Ausscheidung durch die Lungen sein durfte. Es ist allerdings nicht sicher, ob aus den Organen im Brustkorb und in der Bauchhohle etwas dorthin gelangt.

Wenn im warmen Korper durch plotzliches Auftreten von Kalte die gegenseitige Wirksamkeit der Flussigkeiten im Blut gestort wird, dann wird auch der SchweiB unterdriickt; dieses Phaenomen schreibt man den engen Poren zu, die den Ausgang verschliessen, wahrend es doch auf das verhinderte Ausscheiden der Teile aus dem Bluk zuriickzufiih- ren ist. Ein gutes Beispiel hierfur hat man bei den Fieberkranken, die augenblicklich fast alles abgehen sehen, wenn sie vor der Krisis ein schweiatreibendes Mittel einnehmen und wenn dann wahrend des Schwitzens Kalte hinzutritt. Die Gefahr bei bosartigen Fieberkrankhei- ten stammt also daher, dass bei Kalte das Austreten der Teile aus dem Blut verhindert wird, wahrend diese Krankheiten durch schweiBtreiben- de Mittel sicher kuriert werden. Eine Ansteckung konnte sich durch die eingeatmete Luft auf dem Wege iiber die Hautporen und die Lungen, wie auch mittels fliissiger und fester Teile durch den Nahrungskanal dem Korper mitteilen, so wie die Nahrungs- und Heilmittel ihm ihre

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Kriifte zufiihren. Die fettige Membran wird meistens das subcutane Fett- gewebe genannt, weil sie keine echte Membran ist, sondern Fett, das den Zwischenraum zwischen den Fasern ausfillt.a20

Lymphknoten und Lymphe In seiner Schrift sDe musculis et glandulis observationum specimens sekt STENSEN sich sehr eingehend mit dem Driisen- und Lymphsy- stemz' auseinander; er versteht unter konglomeraten Driisen die ei- gentlichen Driisen des Organismus, wiihrend unter der Bezeichnung konglobate Driisen die Lymphknoten zusammengefasst sind. Unter anderem behandelt er die Schleimdriisen des Mundes und des Schlun- des, die Ohrenschmalz- und SchweiBdriisen, den Speichelgang, die Ge- fsisse der Wangen, die Unterzungengef&, die GefaBe des Gaumens, der Epiglottis und der Nase, der Augenlider.

Ober den Bau tier Lymphknoten schreibt er: Goweit die Lymphknoten beobachtet worden sind, ist von ihnen be-

kannt, dass sie Arterien und zudem Venen und Nerven und auch je zwei Arten von Lymphgef&n in sich vereinigen; die einen sind zu- fuhrende, die anderen hinausfiihrende; hierdurch unterscheiden sie sich von den konglomeraten Driisen, die lediglich ausfuhrende Gef& be- sitzen. Die Substanz selbst, die uberall an den GefaBsthmen lagert, nimmt eine Gestalt an, die keinem angemessener verglichen werden kann als einem Nierenkorper, dem sie nicht in der Farbe, dagegen in der Gestalt sehr ahnlich ist. Die konglobaten Driisen sind auf3en kugel- formig, innen zwar nicht wie eine Schiissel ausgehohlt, aber Du wirst dennoch iiberall zwischen den vorspringenden GefaI3en einen Spalt fmden, durch welchen die Wurzeln des ausfuhrenden LymphgefaBes mit nur einer Membran herauskommt, wenn Du auf die herkommliche Art und Weise eine Trennung versuchst. Wenn Du die Spitze des Messers um die Klippe fiihrst, dann wirst Du an der ausseren Oberflache sehen, dass die h e , die aus den zahlreichen verschiedenen zufuhrenden Lyrnphgef&n hervorgehen, in die Substanz mit zahlreicher Nachkom- menschaft an Zweigen hineingehen; das bezeugt die Parotis conglobata beim Schaf und beim Kalb mit einem eleganten Schema. In dreifacher Weise ergibt sich bei der Untersuchung dieser Driisen eine Differenz der Lymphgef&, die geradenwegs ihren Inhalt in das Blut zuriick- W e n . Andere niimlich breiten sich an der Oberflache der Driisen aus.

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diese sind von friiheren Quellen her ohne Unterschied zu fmden; man- che fiihren von dem Hohlraum einer Driise in die Wolbung einer an- deren fort; die ubrigen breiten sich von dem Hohlraum dieser Driisen immerfort bis zu einer Hohlung aus.

Die Ansatzstelle der LyrnphgefuPe an den Venen muss man unge- fahr im Grenzgebiet der Axillaris- und der Jugularis-Venen auf beiden Seiten demonstrieren. Auf der rechten Seite das, was bei Tieren aus den rechten vorderen Teilen (das sind der rechte Pleurasack, der rechte VorderfuB und die rechte Seite des Kopfes) zusammenflieljt, auf der linken Seite aber ausser den analogen GefaBen der linken Seite auch der Thoracicus selbst, der aufnimmt, was alles von den unteren Ge- bieten kommt und vor dem Einfugen der oberen GefaBe vereinigt wird. Das gemeinsame Zusammentreffen von allem, was auf der linken Seite zusammenflieBt, bildet weder einen Behalter, noch gibt es dort Klap- pen, noch - was BILSIUS uns einreden woUte - schafft es seinen Inhalt durch eine einzige Offnung in die Cava fort. Denn niemals sind weniger als twei, oft aber drei, bisweilen auch vier entdeckt worden und sie ergiessen sich tatsachlich auf diesem Wege in das Blut, in den Chylus und in die Lymphe, wie die Beobachter zuverlibsig rnitgeteilt haben. Die so zusammenlaufenden Gef& habe ich durch einfachen Druck bald mit Lymphe, bald mit Milch gefullt; auf diese Weise habe ich durch verschiedenartige Bewegung dem Blut einen Weg erofhet, ohne irgend- wie die Gefak oder die Klappen zu beschadigen.

Alle Drusen selbst sind innere Organe, in denen die Lymphgefbse ihre Wuneln ausbreiten. Das alles riit uns der Verstand fur wahr zu halten, weil er es durch das Zeugnis der Sinne beweist.P

Disk ussion STENSEN lbst in seinen Arbeiten eine iiberaus Hare Vorstellung von der Wissenschaft erkennbar werden. Als Aufgabe der Naturwissenschaft sieht er folgende Fakten an: Beobachtung, Beschreibung, Kennzeich- nung, Systematisierung, Aufstellung und Konstruktion von Naturge- setzen. Auf diese Weise ist die Moglichkeit gegeben, aus den jeweiligen Gegebenheiten kunftige Zustiinde vorauszubestimmen.

Fur das XVII. Jahrhundert gibt STENSEN damit ein wahrhaft re- volutionierendes Programm und klagt gleichzeitig uber die MiBstiinde

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der damaligen Zeit auf dem Gebiet der Wissenschaft Die Professoren und Forscher begnugten sich mit Vorfiihrungen, welche schon von den Alten beschrieben worden waren; sie vertuschten nach STENSEN auf diese Weise ihr eigenes Nichtwissen und Nichtkonnen. Eigene Unter- suchungen und Erfahrungen waren damals bei vielen Universitatsleh- rern klein geschrieben. So formuliert er in jener beriihmten Rede w Dis- cours sur Punutomie du cerveuu - 1 6 6 5 ~ unter anderem: wWir wer- den uns weiterhin in traurige Unwissenheit hiillen, wenn wir uns mit dem biBchen Kenntnis zufrieden geben, das uns die Alten in ihren Schriften hinterlassen haben, wenn nicht die Miinner, die am besten geeignet sind, Untersuchungen anzustellen, ihre Arbeit, ihre Tatigkeit und ihre Studien zusammenschlieBen, um zu einer sicheren Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen. Das muss doch letztlich das grok Ziel derer sein, die mit Ehrlichkeit und Ernst denken und studieren.au

STENSEN wiinschte damals eine echte Zusammenarbeit aller Wissen- schaftler, urn nur der Sache sich zuwenden zu konnen und hier echte Fortschritte zu machen. Nationahtiiten und Rivalitaten liess er nicht gelten. Er hatte am eigenen Leibe erfahren, dass ein junger Wissen- schaftler auf das Mikenatenturn angewiesen war, wenn er Arbeitsma- terialien erhalten wollte, urn mit h e n wertvolle Erkenntnisse zu gewin- nen. So war STENSEN viele Jahre am Hofe der GroBhenoge von Me- dici in Florenz gewesen und hatte deren Gastfreundschaft und deren Mizenatenturn reichlich genossen.

In der Driisenforschung ist SIENSEN seiner Liebe zur Systematik treu geblieben. Er beschreibt sehr genau und geordnet die einzelnen Gefae, Giinge und Driisen. Trotz der zahlreichen Einzelheiten, in die er sich zu verlieren scheint, merkt man h e r wieder sehr deutlich, dass er einen sehr guten Oberblick uber die Driisenforschung besaB. Das Gebiet der Driisen und LymphgefiBforschung galt in der Mtte des XVII. Jahrhunderts als Thema der Zeit. Beriihmte Miinner wie Joh. van HORNE, G. ASELLI, F. de le BOE (SYLVIUS), J. G. W " G , J. PECQUET, Th. BARTHOLIN, Th. WHARTON haben auf diesem Gebiet wichtige Entdeckungen gernacht. Den groBten und besten Wber- blick uber die Bedeutung der Driisen und der Lymphgeffi scheint aber ganz offensichtlich SIENSEN gehabt zu haben. Er machte sich Gedanken iiber die physiologische Funktion und brachte immer wie- der die Humorallehre in die Diskussion. STENSEN beschrieb sehr genau die Lage, die Gestalt und das Aus-

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when der Gefak und der Driisen. Das war erforderlich, urn auf dem Sektor der Forschungen dieses Gebietes voranzukommen. Wem man seine Beschreibung des Ductus parotideus liest, d a m ist man erstaunt von der Einfachheit und Klarheit seines Stiles; man fragt sich mit Recht, warum dieser Gang, der spater Ductus Stenonianus benannt wurde, nicht schon vie1 friiher von anderen Forxhern entdeckt wurde. Durch diese Entdeckung und durch die Schulung, die er bei Th. BAR- THOLIN erhalten hatte, erhielt STENSEN offensichtlich den Anreiz, sich mit der Driisenlehre zu beschaftigen. Schon im Jahr 1661 erwiihnt STENSEN bei der Bestitigung der von ihm 1660 gemachten Entdeck- ung des Ductus parotideus die Entdeckung neuer LymphgefaBe und Speicheldriisen. Eine genauere Beschreibung gibt er allerdings erst spa- ti^.^' Er beobachtete die Klappen der Lymphgefak und verschaffte sich durch die Ligatur der Aorta Erleichterung bei der Untersuchung der auf diese Weise blutleer gemachten Korperteile." Die Einteilung der Driisen in sconglomerataa und ~conglobata~ hatte SYLVTUS ge- geben, STENSEN iibernahm sie von ihm.26 Der Unterschied zwischen den beiden Driisenarten wird bei STENSEN sehr deutlich herausge- stellt. Die konglomeraten Driisen senden ihren Liquor in Hohlungen wie Augen, Nase, Mund und den Diinndarm; sie haben nur ein einziges exkretorisches GefaB und sind von unregelmkiger Gestalt. Die kon- globaten Driisen schicken den Liquor in die Venen zuriick und besitzen zu- sowie abfuhrende Lymphgefiik. Sie haben eine konvex-konkave Gestalt ?'

Lage und Umgebung der Glandula parotis schildert er besonders ein- drucksvoll. Auch die Verzweigungen des N e w s facialis werden be- schrieben. Hier begegnet uns STENSEN als subtiler Praeparator: Ge- nauso wie er geistige Probleme analysiert, geht er hier mit dem Sezier- messer vor, um alle Einzelheiten der Organ- und Gewebestruktur zu erkennen. Die Parotis ist eine gemischte Driise mit konglobaten und konglomeraten Anteilen. Der Speichel ist nach STENSEN Mittel zur Fortbewegung und zur Auflosung der Nahrung. Er ist aus verschiede- nen Stoffen zusammengesetzt und bildet in den Driisen selbst seinen Stoff. Das hat STENSEN klar erkannt, obwohl es zahllose Theo- rien iiber den Ursprung des Speichels gab. Er erwtihnt auch, dass Nerven am Speichelflua beteiligt sind; seine Gedanken dariiber lassen eine Ah- nung vom sog. vegetativen Nervensystem deutlich werden. Der Mecha- nismus der Speichelbereitung und des Speichelausflusses in der gerade

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benotigten Menge fmdet eine mathematische Lijsung, wie sie zu dama- liger &it gem angewendet wurde @ESCARTES).28

Wie uber den Speichel, so hat er sich auch uber die Triinenfliissigkeit Gedanken gemacht. Die Triinenflut wird durch mechanische und ner- vale Reize hervorgemfen und nimmt ihren Ursprung in der Triinen- driise; es bedarf nach !STENSEN also nicht umstkdlicher Ableitungen, wie Herkudt von Dlimpfen oder aus der Gehimfliissigkeit. Das klingt bei ihm alles sehr einfach und klar, und doch haben sich Mhner wie SCHNEIDER und DESCARTES dariiber die Kopfe zerbrochen. STENSEN entdeckte die Ausfuhrungsghge der Triinendriise in den Augenlidern des Augen-Nasen-Winkels; seine Beschreibung des Ductus nasolacrymalis liest sich wie in einem Anatomiebuch der Gegenwart.29

Die Huut hat STENSEN vornehmlich als Mittel zum Zweck ange- sehen. Sie miisse weggeschnitten werden, um in die Tiefe zu gelangen. Er sieht sie einmal als Hulle des gesamten Korpers an und betont dann an anderer Stelle auch wiederum ihre Funktion als Ausscheidungsor- gan, wobei der Begriff der SHaut als Organa bei ihm nicht vorkommt; das sollte erst Ferdinand von HEBRA fast 300 Jahre spater tun.’O Er sieht die Haut als Eingangspforte zu weiteren Kunstwerken Gottes an. Erne systematische Emteilung der verschiedenen Hautschichten finden wir nicht bei ihm; MALPIGHI hatte diese gegeben.” Mikroskopische Studien hat er speziell an der Haut wohl nicht vorgenommen, obwohl er das Mikroskop kannte; man muss vermuten, dass er sich moglicher- weise aus Zeitgriinden nicht niiher mit mikroskopischen Studien be- schaftigen konnte oder sogar ~ollte.’~ Die Haut wird von ihm fast nur im Zusammenhang mit seinen Driisenstudien und der Muskeluntersuch- ung erw2hnt. Er h a t die Haut fur eine driisenartige Substanz, die sich nur dadurch von den iibrigen Driisen unterscheidet, dass sie noch Haar- wuneln enthalt. Diese Annahme der Haut als Driisen-Struktur hat er aus seinen Untersuchungen bei den Fischen gewonnen, in deren Haut sehr viele Driisen vorhanden sind.

STENSEN’S Vermutung einer .Penpiratio insensibilisa war absolut folgerichtig, wenn er auch die niiheren Zusammenhiinge der Ausschei- dung uber die Haut nicht kl2ren konnte, weil ihm hienu die erforder- lichen chemischen und physiologischen Kenntuisse fehlten. Wir beob- achten gerade bei seiner Erorterung uber die SPerspirato insensibilisa sein systematisches, methodisches Vorgehen: Zunachst wird in extenso sehr detailliert beschrieben, was er sieht, und d a m erst folgen die Ge-

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danken uber die Funktion des von ihm Gesehenen; diesen Gang behat er immer wieder bei und lost sich niemals aus diesem stamen Schema, das den Dermatologen durchaus vertraut anmutet, geht doch auch er nach diesen Geseken bei der Diagnosestellung einer Hauterkrankung vor. Wenn STENSEN etwas vermutet, d a m gibt er es im Text h e r sehr genau an. Seine Gedanken uber die Funktion der Haut, wie auch die der Muskeln usw., um das an dieser Stelle einzuflechten, sind als Vorboten der im XX. Jahrhundert von BENNINGHOFF3' vertretenen mfunktionellen Anatomiec anzusehen. Fast 300 Jahre beschiiftigte man sich von anatomischer !kite mit der reinen Description von Einzelheiten des Organismus, bis man mit B E N " G H 0 F F dazu uberging - gewis- sennaBen auf STENSEN's Spuren wandelnd - auch in der Anatomie *funktionella zu denken. STENSEN'S Schlussfolgerungen z.B. im Hin- blick auf das .Hen. als Muskela sind fiir die damalige Zeit absolut re- volutionierend. Wenn er ahnliche Feststellungen nicht auch fur die Haut getroffen hat, dann beruht das einmal sicher darauf, dass die naturwis- senschaftliche Forschung damals noch ganz in den Anfhgen steckte; zum anderen dad man nicht ubersehen, dass die Funktionen der Haut vor allem aus ihrem feingeweblichen Bau verstandlich werden; STEN- SEN konnte derartige Aussagen dementsprechend aufgrund seiner ma- kroskopisch-anatomischen Studien uberhaupt nicht machen. STENSEN hat die experimentellen Untersuchungen von SANCTORIUS uber die Ausscheidungsfunktion der Haut aufgrund eigener Beobachtungen wei- terentwickelt, wobei wir uns dariiber klar sein mussen, daB wir von sei- nen Aussagen nicht zu vie1 erwarten durfen entsprechend dem Stand der allgemeinen wissenschaftlichen Forschung jener &it und dem Feh- len jeglicher chemischer Voraussetzungen; gerade letztere haben es uns in der Gegenwart erst ermoglicht, diese festumrissenen Aussagen uber die Ausscheidungsfunktion der Haut darzulegen. STENSEN's Feststel- lungen in dieser Richtung eilen seiner Zeit sicher weit voraus.

Die Haut ist nach STENSEN durchdringbar und p ros . Diese Fest- stellung belegt er damit, dass er auf die Ausscheidung durch die Haut hinweist und zum anderen dem Horer bezw. Leser das Eindringen von Medikamenten durch die Haut von aussen in den Korper in die Erin- nerung ruft. Wir sehen hier also wiederum seine folgerichtige Denk- weise, die nur auf eigenen Beobachtungen anderer Autoren beruht. Mit dem Begriff mCuticulac meint STENSEN ganz offensichtlich die Epider- mis; das ist die ausserste Schicht der Haut, die sich nach ihm schon im

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Wasser des Amnions bildet bezw. durch den Korper selbst gebildet wird.’ Nach RIOLAN und anderen Zeitgenossen entsteht die Cuticula durch Austrocknung an der Luft. Die Verdickung der Epidermis z.B. an den Handtellern und FuBsohlen kommt nach STENSEN durch einen Austrocknungsprozess der transpirierenden Substanz auf der Haut zu- stande. Vom Absterben der Zellen und von der Zellregeneration wul3te STENSEN nichts, er konnte es allerdings auch nicht wissen, weil die Voraussetzungen dafiir nicht gegeben waren.

Der Stoffwechsel der Haut findet bei STENSEN grosses Interesse. Seiner Meinung nach verhindert Kate die Ausscheidung von Stoffen; hierdurch sollen Krankheiten entstehen. Wir erkennen hier sehr deut- lich den EinnuS der Krasenlehre. Eme Infektion bei ansteckenden Krankheiten kann nach STENSEN nicht nur uber den Magendarmtrakt und iiber die Atemluft geschehen, sondern sie kann auch durch die Po- ren der Haut erfolgen. Das subcutane Fettgewebe beschreibt er sehr detailliert, doch gibt er Unkenntnis uber den Stoffwechsel des Fettge- webes ausdriicklich zu. Die Pigmentierung der Haut e r f i r t bei ihm eine wesentlich andere Deutung, als sie die Zeitgenossen gaben. In sei- ner Auseinandersetzung mit RIOLAN uber dessen .Enchiridion anato- micum et pathologicuma (vgl. Holger JACOBSEN SAddictata in Rio- lani enchiridion anatomkum) weicht er von RIOLAN ab, der die Farbe des Blutes fiir die Hautfarbe (Pigmentierung) verantwortlich gemacht hatte und erkliirt, dass die Pigmentierung auf einer Substanz beruhen musse, die durch die B l u t g e f a ausgeschwitzt wird und ihrerseits an der Hautfarbstoffbildung beteiligt sei. Das ist zweifellos eine neue Er- kliirung, die bis dahin nicht getroffen worden war.35

Schlussbetrachtung Wenn man zu den Befunden STENSEN’S und den aus ihnen abgeleite- ten Aussagen kritisch Stellung nehmen will, dann muss man vor allem die Zeit beriicksichtigen, in der STENSEN gelebt hat und seine Unter- suchungen anstellte. Wir fmden hiexzu bei GOETHE in seinen .Maxi- men und RefleXionenP eine sehr interessante Aussage: .Die ausser- ordentlichen Miinner des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts waren selbst Akademien wie HUMBOLDT zu unserer Zeit. A l s nun das Wissen so ungeheuer iiberhandnahm, taten sich Privatleute zusam- men, um, was den einzelnen unmoglich wird, vereinigt zu 1eisten.a Wir

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konnen daraus ableiten, dass es vor allem die Zunahme des Wissens gewesen ist, die in den auf STENSEN folgenden Jahrhunderten bis in die Gegenwart hinein das Auftreten so universaler Geister verhindert hat. Die damalige Zeit mit dem Aufstreben der Wissenschaft und dem Auf- kommen immer neuer Entdeckungen war also geradezu pradestiniert fur universale M b e r . Umsomehr verdient gerade STENSEN unsere besondere Bewunderung, wed er nicht den allgemein ublichen Weg des Theoretisierens und der Hypothesenbildung aufgrund bestimmter Ein- zelbefunde gegangen ist, sondern sich immer wieder auf den Boden der exakten, von ihm selbst ermittelten Tatsachen stellte. Herman GRIMM macht uns in seinen Berliner Universitatsv~rlesungen'~ auf verwandte Zuge bei GOETHE aufmerksam, der in seiner Universalitat den glei- chen Weg naturwissenschaftlicher Forschung gegangen ist. Im XVLI. Jahrhundert war die Wissenschaft seit der Entdeckung des

Mikroskopes vermehrt auf analytische Grundlagenforschung ausgerich- tet. STENSEN war also ein echtes Kind seiner &it, wenn er ebenfalls den Dingen auf den Grund gehen und sie erforschen wollte.

Hinzu tritt zu diesem Forscherdrang nun die bereits in den ersten Mitteilungen STENSEN's deutlich zu Tage tretende, schier uber- schwbgliche Bewundemng des jungen STENSEN fur Gottes Werk. Die- ser Charaktenug la& uns den spateren Lebensweg STENSEN's ver- sthdlich erscheinen. Uns Menschen des XX. Jahrhunderts ist im all- gemeinen eine sehr vie1 niichternere, realistischere und mehr selbstver- sthdliche Einstellung den Forschungsergebnissen gegenuber zu eigen. So sind die Ausfuhrungen STENSEN'S 1673 in Kopenhagen wohl vor allem unter dem Aspekt der sechs Jahre vorher erfolgten Konversion zum katholischen Glauben zu verstehen. Hier tritr uns STENSEN in seiner tiefen Glaubigkeit und Verehrung Gottes entgegen. Immer noch ist er durchdrungen von dem Streben nach Wahrheit (certitudo), das uns bereits in den Jahren seines Studiums so sehr imponierte. Jetzt tritt zu diesen Momenten eine Verinnerlichung STENSEN'S, der alles von einer hoheren Warte betrachtet. So ist z.B. die Formulierung SDer Ana- tom ist ein Zeigestab in der Hand Gottesa vor allem unter diesen Ge- sichtspunkten zu verstehen. STENSEN will jetzt nicht nur die eigenen Entdeckungen und Feststellungen darstellen, sondern er sieht sie bei allem Respekt vor seinem streng methodischen, naturwissenschaftlich- en Vorgehen vorwiegend als DWerke Gottesa an. Mit den Worten BUnd das ist der wahre Zweck der Anatomie, die Zuschauer durch das stau-

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nenswerte Kunstwerk des Korpers zur Wurde der Seele und folgerichtig durch die Wunder der beiden zur Kenntnis und Liebe des Schopfers emporzuhebena hebt er seine Erkenntnisse auf eine hohere Ebene und gibt h e n einen ethischen Wert.

Trotz der sehr genauen Beschreibung von Details besikt STENSEN in der Driisenforschung einen umfassemden Oberblick. Hinsichtlich ei- ner geschlossenen Darstellung uber die Ergebnisse der Haut- und Drii- senforschung kommt er nicht zu dem geplanten Werk. Er geht h e r wieder in Briefen u.a. darauf ein, dass er die Dinge spater genau zu- sammenstellen wolle; dafiir hat er d a m jedoch keine &it mehr gefun- den." Man muss sich fragen, warum dieser sich selbst und anderen gegenuber so kritische Forscher, der immer nach scertitudoa strebte, diesen letzten Schritt d a m nicht mehr getan hat; eine Antwort ver- mogen wir nur schwer zu geben. Einmal mussen wir beriicksichtigen, dass die gesamte Forschungszeit von STENSEN insgesamt nur 10 Le- bensjahre umfasste - ein verschwindend geringer Zeitraum, wenn wir dazu in Rechnung stellen, dass es sich zumeist um Reisejahre gehandelt hat. Zum anderen ist es wohl so, dass !jT"SEN in den spateren Jahren durch andere Probleme so sehr in Anspruch genommen wurde, dass er fur die griindliche, umfassende Bearbeitung dieser Dinge zu sehr ab- gelenkt war. Wenn wir uns damn erinnern, dass STENSEN bei seiner grossen Kopenhagen-Rede im Jahr 1673 unmittelbar vor dem Empfang der Priesterweihen stand und mit dieser Rede gewissermassen seine na- turwissenschaftliche Periode abschloss, d a m wird uns verstiindlich, wie- so er fiir die Bearbeitung dieser rein naturwissenschaftlichen Fragestel- lungen jetzt keine Gelegenheit mehr frnden konnte: Es gab fur ihn wichtigere ProblemeJ9. Vom Standpunkt unserer gegenwartigen Wis- senschaft miissen wir es bedauern, dass STENSEN dieser grosse Wurf nicht mehr gelingen kOMte. Andererseits miissen wir mit Respekt fest- stellen: Fur den Menschen Niels STENSEN war nur dieser vorgezeich- nete Weg moglich.

Zusammenfassung:

Die Untersuchungen von Niels STENSEN uber die Haut und uber die Lymphknoten werden zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung ge- macht. Anhand der aus dem Lateinischen ubersetzten Originalarbei- ten STENSEN'S werden die wichtigsten Aussagen von ihm zum Thema

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wiedergegeben und eingehend diskutiert. Die von STENSEN getroffe- nen Feststellungen hinsichtlich der Haut und ihrer Anhangsorgane wer- den im einzelnen belegt und auf ihre Aussagekraft untersucht. Es kann dabei gezeigt werden, dass STENSEN sich mit der Haut im Rahmen sei- ner anatornischen Studien allgemein beschiiftigt hat; seine Erkenntnkse sind fur das XVII. Jahrhundert ausserordentlich bemerkenswert und der damaligen Zeitrichtung weit vorauseilend.

A N M E R K U N G E N

1. N. Sfenonis: Opera philosophica 1-11, Ed. V. Maur (Copenhagen 1910) mit Bio- graphic und Bibliographic und Wiirdigung der Forschung, die auf C. C. A . Gosch: Udsigt over Danmarks zoologiske Litteratur (Ksbenhavn 1870-1878) Bd. 1- Bd. 3 aufbaut. Ferncr: N. Sfenonis: Epistolae et epistolac ad cum datae, 1-11. Ed. G . Scherz (Hafniac-Friburgi 1952) mit ausfuhrlicher Litcraturangabe, sowic per- sonalhistorischer Einfiihrung und Wiedergabc zeitgcnijssischcr Dokumente. Hin- sichtlich der Biographien xi auf W. Plenkers: Der Dane Niels Stensen (Freiburg/ Br. 1884) und auf G. Scherz: Entwicklung und Ergebnisse dcr Nick Stensen- Forschung in den letzten Jahrzehnten (Medizinhistorischcs Journal I, Heft 43-53, 1966 - Hildesheim) venviesen.

2. Die kommentierten Originaltexte finden sich in Opera philosophica und in Ubcr- setzungen bei G. Scherz: Pionier der Wissenschaft. Nick Stensen in seinen Schriften (Kopenhagen 1963).

3. Goerhe, Joh. Wolfgang von: Morphologie. (!%mtlichc Werke in 40 Biindcn, Band 36, p. 274. - Stuttgart und Tubingen - Cotta 1840).

4. Goerhe (vgl. Anmerkung 3) p. 319. Aus der gesamten Abhandlung geht hervor, dass Goerhe N. Sfensen in seine Betrachtungen nicht naher einbczogen hat, mog- lichenveise ihn nicht gekannt hat; besonden interessant sind abet seine Xusserun- gen uber die allgemeine naturwissenschaftliche Forschung im XVI. und XVlI. Jahrhunderl, die ja auch durch Sfensen mehrfach cine starke Kritik erfahren hatte.

5. N . Sfenonis Opera theologica I und 1. Ed. K. Larsen et G. Scherz (Hafniac 19411 1947) 1, 390.

6. Siehe A. Garboe: Thomas Banholin (Ksbenhavn 1949/50) Bd. 1, 120 ff. u. Bd. 2.50 ff . - Ausserdem C. Scherz: Vom Wcge Niels Stensens. (Kopenhagen 1956) p. 35.

7. W. Plenkers: Der Dane Nick Stensen (Freiburg/Br. 1884) p. 14. Ausserdem Epistolae et epistolae ad cum datae I , 138 ff.

8. Vgl. hinsichtlich Sfensen’s Forschungsmethode. welche die Beobachtung. cine wcitreicbendc Schlussfolgerung und den Hinweis auf die Bcdcutung der einzelnen Entdeckung fur die gesamte Wissenschaft verbindet, Opera philosophica. sowie G. Scherz: Foncher und Denker im Barock (Stuttgart 1964) p. 234 ff. Ausserdcm G. Scherz: Pionier dcr Wissenschaft, Teil 111.

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opera philosophica 2,254 ff; G. Scherc Pionier der Wisxnschaft p. 292. Gotdried Keller: Briefe und Gedichte. W. Langewiesche-Brandt: Ebcnhausen 1925, p. 428. OpGra phiosophica 1.3 ff. und 2,308. G. Scherz: Pionier der Wissenschaft p. 50 f f . 66,175 ff. H . P . Philipscn: Ductus parotideus Stenonianus (Tandkgebladct 64.221- 248, 1960 - Kebcnham); hicr ausfiihrliche Literatur- und historische Obcrsicht. - C. Schirren: Nick Stensen entdeckte vor 300 Jahren die spater nach Fa11ot btnannte Tetralogic (Med. Welt 1965, 278-280). VgL G. Schcrz: Nicls Stenscn. Forscher und Denkcr im Barock. p. 191 ff hin- sichtlich der Untersuchungm auf dem Gebiet der vergleichenden Anatomic. Opera philosophica 2,117 ff und G. Schcrz: Pionier der Wissenschaft 166 f f . opera philosophica 2.1 18 ff und G. Scherz: Pionier der Wissenschaft, 163 ff . S. Sunctorio berichtet iiber die Transpintion in: Ars Sanctorii: De statica medica (Venetiis 1634); seine Lehre uber die transpiratio insensibilis hatte er jedoch schon 1612 vorgelegt. Vgl. Opcra pbilosophica 1, 324. Opera philosophica 2.1 18 und G. Schrn: Pionier dcr Wissenschaft, 164 ff. Opera philosophica 2.1 19. Opera philosophica 2.149 ff. Opera philosophica 2.293-297. Opera philosophica 2, 296 ff. Opera philosophica 1,167 ff. Opera phiiosophica 1, 187-1 89. Opera philosophica 2.26 und G. Scherz: Pionier der Wissenschaft p. 132. Opera philosophica 1.187 ff. Opera philosophica 2,125 und G. Schcn: Pionier dcr Wissenschaft p. 172. iiber das sog. Stensenexperiment. Opera philosophica 1.183 und G. Schcrz: Pionier dcr Wissenschaft p. 61 ff. Opera philosophica 1.191; G. Scherz: Pionier dcr Wissenschaft p. 65 ff. Vgl. auch Francisci de Ic Boc Sylvii Opera Medica (Arnstclcdami 1680). wo vor allem p. 3 11 ff und 692 diesc beidcn Driisenarten bcschriebcn wcrden. Opera philosophica 1.18 ff und 183 ff. Opera philosophica 1.81 ff und 186. G. Schcrz: Pionier der Wisscnschaft p 64 ff. Ferdinand vou Hcbro (18 1 6 1 880). Begriinder dcr Wiener DermatologcnSchule. sah in d a SHaut ein Organ d a Korpers. und sctrte sich damit in Widcrspruch zu d a bis d a b geltenden Lchrmcinung in der Mcdizin von den krankhaften S f t e n als herrschender Gmndidee (humorale Auffassung). Er fasste seine Lehre in den Worten zusammcn: .Die objektiven Symptome sind sozusagen die Buch- stabcn. welchc durch die Erkrankung auf die Haut geschricben werden; unserc Aufgabe bleibt es nur, die Schrift zu cntziffern..

(Vgl. hienu L. Arzr: Ferdinand Ritter von Hcbra. Wien. Klin. Wschr. 61,864. 1949).

Die Grundthcscn von Hebra sind zusammengcfasst in: F. Hebra: Allgemcine Pathologie und Symptomatologie der Hautkrankbeiten. In Lchrbuch dcr Haut- krankheitcn von F. Hebra und M . Kaposi, Erlangcn: Enke 1874, p. 3-42.

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Marcello Malpighi (1628-1 694): Begriinder der mikroskopischen Anatomic und Histologic. Er befasstc sich mit der Bschreibung der Hautstrukturen (Rete Malpighii). Vgl. h i c m M . Malpighi: De stmctura glandulamm conglobatarum consimiliurnque partium. Epistola vom 8. Dezcmber 1688. In M. Malpighi: Opera posthuma (Amstelodami 1698) p. 139 ff. Auf die Kenntnis Stensen's V O U Y Mikroskop wekt soeben G. Scherz: Niels Stensen und Galileo Galilei (Saggi su Galilco Galilci, Fireme: G. Barbera Editore - 1967. Esuatto p. 1 1 112) hin. Danach hat schon der Student Stensen cifrig mikroskopiert und sich spatcr ein Mikroskop in Holland entlichcn, um die von Molpighi ent- deckten Lungenbkschen beobachten zu konnen (Opera philosophica 1.13 1). Dar- iibcrhinaus hat er sich intensiv praktisch mit der Problematik des Mikroskopes unter physikalischen Gesichtspunktcn auscinandcrgesctzt (siehe bei G . Scherz: Stensen und Galilei). Alfred Eenninghoff (1890-1953), Anatom in Kiel und Marburg, der baonden durch eine funktionclle Betrachtung der Anatomic hervorgctreten ist. Vgl. z. B. Funktioncllc Anpassung im Bereich des Bindegewebes (Verh. Anat. Ges. 1931 Anat. Anz. Erg. H. 72, 72, 1931) und A . Bcnninghoff: Lchrbuch der Anatomic des Menschen. J. F. Lthmann: Munchen und Berlin 1940. Bd. II/2. p. 245/247. Vgl. hierzu die Ausfiihrungcn iiber die Haut in DAddictata in Riolani Enchiridion anatomicurns (Aufzeichnungen von H. lacobsen uber Stensen's Demonstrationen in Kopcnhagen 1673). Opera philosophica 2.293-297. Opera philosophica 2.52 1 . Goethes Werke. Auswahl in zwanzig Teilen. 20. Teil Maximen und Reflexionen. Herausgg. v. R. Pechel. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart. Deutsches Verlagshaus Bong & Co. (Naturwissenschaft Nr. 820). Herman Grimm: Goethe. Berliner Univcrsitatsvorlcsungen aus den Jahren 1874- 1875. Herausgg. von Wilhelm Hansen, Maximilian Biicherei Band 3. Dctmold- Hiddesen 1948 p. 419 ff. Vgl. Opera philosophica 1,187 ff. Stensen bringt in der Einleitung zum Prodomus sehr deutlich zum Ausdruck, in welcher Weise er durch die unmittelbar aufeinan- der folgcndcn anatomischen Probleme von einer ausfiihrlichen, zusammenfassen- den Darstellung vorhergehender Probleme abgehalten wurde. Er hielt es fur gut. sich auch diesbeziiglich der Vorsehung zu uberlassen (Opera philosophica 2,184; G. Scherz: Pionier dcr Wissenschaft p. 296 ff). MeMach gibt er zu erkennen, dass er die Absicht habe, sowohl die Driisen- und Muskellehrc, als auch die Ergebnisse der geologischen Forschung zusammenfassend darzustellen. Nach seiner Priestenvcihe widmete er sich ausschliesslich dcr Seclsorge und dem geistlichcn Leben; natunvissenschaftlichc Probleme beriihrten ihn nur noch am Rande. Vgl. auch N . Srensen Hirtenpflicht: mit einer Einleitung von G. Scherz (Miinster 1961). I. von Rosen: Erinnerungen an N . Srensen (Hildesheim 1962). N . Srensen: Brief iiber meine Konvenion. (Kopenhagen: Arne Frost-Hansens Verlag 1967).