die uhr tickt ab symptombeginn

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Systemische Thrombolyse beim akuten ischämischen Insult Die Uhr tickt ab Symptombeginn Fragestellung: Welche Rolle spielt das Zeitintervall zwischen Beginn der klinischen Symptomatik beim akuten ischämischen Insult und Beginn der systemischen rombolyse für den Out- come? Hintergrund: Die systemische rombolyse mit Gewebeplasmi- nogenaktivator (rt-PA) ist die einzig zugelassene medikamen- töse erapie des akuten ischämischen Insults in einem Zeit- fenster von 4,5 Stunden. Randomisierte Studien und Metaana- lysen haben eindeutig gezeigt, dass der erapieeffekt mit dem Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der rombolyse abnimmt. Dies wurde auch in großen Registern wie dem „Get with the Guidelines Register“ in den USA [1] und SITS-MOST [2] in Europa gezeigt. Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine retrospek- tive Auswertung des Schlaganfallregisters von Baden-Würt- temberg mit insgesamt 84.439 Patienten mit akutem ischämi- schem Insult. 10.263 Patienten (entsprechen 12%) wurden ly- siert und 74.176 Patienten (entsprechen 88%) erhielten keine rombolyse. Für den primären Endpunkt wurde die modifi- zierte Rankin-Skala zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus dichotomisiert in einem Wert von 0 und 1 für einen guten Outcome und 2 bis 6 für einen schlechten Outcome. Außerdem wurde die Sterblichkeit im Kran- kenhaus ausgewertet. Ergebnisse: Im Baden-Würt- tembergischen Schlaganfall- register wurden im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Dezember 2012 insgesamt 109.284 Patienten mit akutem Schlaganfall registriert. Patien- ten, die mit rombektomie behandelt wurden, und Patienten mit unvollständigen Datensätzen wurden von der Analyse aus- geschlossen. Das mittlere Alter betrug 73 Jahre und 48% der Pa- tienten waren Frauen. Das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und stationärer Aufnahme betrug bei 32% unter drei Stunden und bei 5% 3 bis 4,5 Stunden. Der mittlere Wert auf der NIHSS-Skala betrug 6,5 und war bei Patienten die ly- siert wurden, deutlich höher als bei Patienten, die keine rom- bolyse erhielten. 26 % der Patienten wurden in einem Schlagan- fallzentrum, 19% in einer regionalen Stroke Unit und 39% in einer lokalen Stroke Unit behandelt. 5,5 % der Patienten erlitten eine Pneumonie und 0,3% eine Lungenembolie. Die mittlere Dauer des Krankenhausaufenthaltes betrug zehn Tage. Es ergab sich ein eindeutiger statistischer Zusammenhang zwischen Zeit- intervall, Beginn der Symptomatik und erapieerfolg. So lag die adjustierte Odds Ratio (OR) für Patienten die im Zeitinter- vall zwischen 0 und 90 Minuten behandelt wurden bei 2,49, mit einer Number needed to treat (NNT) für einen guten Outcome von 4,5. Für das Zeitfenster 91 bis 180 Minuten betrug die OR 1,86 und die NNT 6,4 und für das Zeitintervall 181 bis 270 Mi- nuten betrug die OR 1,26 mit einer NNT von 18. Verglichen wurden diese Ergebnisse mit den Ergebnissen der großen ran- domisierten Studien, wobei sich sehr ähnliche OR und NNT fanden. Bezüglich der Sterblichkeit ergab sich kein Unterschied zwischen den Patienten mit oder ohne Lyse. Schlussfolgerungen: Der Einsatz der rombolyse beim aku- ten ischämischen Insult ergibt Ergebnisse, die denen der großen randomisierten Studien vergleichbar sind. Kritische Parameter für einen guten Outcome ist das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der rombolyse. Jenseits eines Zeitintervalls von 270 Minuten steigt jedoch die Mortalität sig- nifikant an. Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen Door-to-needle-time so kurz wie möglich halten Diese Analyse der großen Datenbank des Baden-Württem- bergischen Schlaganfallregisters zeigt eindeutig, dass der wesentlichste Faktor für einen guten Outcome beim akuten ischämischen Insult das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der Lyse ist. Die Erweiterung des therapeutischen Zeitfensters von 3 auf 4,5 Stunden bedeutet daher nicht, dass mehr Zeit für die Evaluation der Patienten bis zum Beginn der Thrombolyse zur Verfügung steht. Es soll- ten daher alle Anstrengungen unternommen werden, das Zeitintervall der Door-to-needle-time so kurz wie möglich zu gestalten. Beruhigend ist, dass die Ergebnisse aus Baden-Württemberg mit denen der großen randomisierten Studien und denen an- derer großer Register übereinstimmen. Referenzen: 1. Saver JL et al. JAMA 2013; 309: 2480–8 2. Wahlgren N et al. Stroke 2008; 39: 3316–22 Gumbinger C, Reuter B, Stock C et al; AG Schlaganfall. Time to treatment with re-combinant tissue plasminogen activator and outcome of stroke in clinical practice: retrospective analysis of hospital quality assurance data with comparison with re- sults from randomised clinical trials. BMJ 2014; 348: g3429 Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen Direktor der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen E-Mail: [email protected] journal club 11 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (7-8)

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Systemische Thrombolyse beim akuten ischämischen Insult

Die Uhr tickt ab SymptombeginnFragestellung: Welche Rolle spielt das Zeitintervall zwischen Beginn der klinischen Symptomatik beim akuten ischämischen Insult und Beginn der systemischen � rombolyse für den Out-come?

Hintergrund: Die systemische � rombolyse mit Gewebeplasmi-nogenaktivator (rt-PA) ist die einzig zugelassene medikamen-töse � erapie des akuten ischämischen Insults in einem Zeit-fenster von 4,5 Stunden. Randomisierte Studien und Metaana-lysen haben eindeutig gezeigt, dass der � erapiee� ekt mit dem Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der � rombolyse abnimmt. Dies wurde auch in großen Registern wie dem „Get with the Guidelines Register“ in den USA [1] und SITS-MOST [2] in Europa gezeigt.

Patienten und Methodik: Es handelt sich um eine retrospek-tive Auswertung des Schlaganfallregisters von Baden-Würt-temberg mit insgesamt 84.439 Patienten mit akutem ischämi-schem Insult. 10.263 Patienten (entsprechen 12%) wurden ly-siert und 74.176 Patienten (entsprechen 88%) erhielten keine � rombolyse. Für den primären Endpunkt wurde die modi� -zierte Rankin-Skala zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus dichotomisiert in einem Wert von 0 und 1 für

einen guten Outcome und 2 bis 6 für einen schlechten Outcome. Außerdem wurde die Sterblichkeit im Kran-kenhaus ausgewertet.

Ergebnisse: Im Baden-Würt-tembergischen Schlaganfall-register wurden im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Dezember 2012 insgesamt

109.284 Patienten mit akutem Schlaganfall registriert. Patien-ten, die mit � rombektomie behandelt wurden, und Patienten mit unvollständigen Datensätzen wurden von der Analyse aus-geschlossen. Das mittlere Alter betrug 73 Jahre und 48% der Pa-tienten waren Frauen. Das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und stationärer Aufnahme betrug bei 32% unter drei Stunden und bei 5% 3 bis 4,5 Stunden. Der mittlere Wert auf der NIHSS-Skala betrug 6,5 und war bei Patienten die ly-siert wurden, deutlich höher als bei Patienten, die keine � rom-bolyse erhielten. 26% der Patienten wurden in einem Schlagan-fallzentrum, 19% in einer regionalen Stroke Unit und 39% in einer lokalen Stroke Unit behandelt. 5,5% der Patienten erlitten eine Pneumonie und 0,3% eine Lungenembolie. Die mittlere Dauer des Krankenhausaufenthaltes betrug zehn Tage. Es ergab sich ein eindeutiger statistischer Zusammenhang zwischen Zeit-intervall, Beginn der Symptomatik und � erapieerfolg. So lag die adjustierte Odds Ratio (OR) für Patienten die im Zeitinter-vall zwischen 0 und 90 Minuten behandelt wurden bei 2,49, mit einer Number needed to treat (NNT) für einen guten Outcome von 4,5. Für das Zeitfenster 91 bis 180 Minuten betrug die OR 1,86 und die NNT 6,4 und für das Zeitintervall 181 bis 270 Mi-nuten betrug die OR 1,26 mit einer NNT von 18. Verglichen wurden diese Ergebnisse mit den Ergebnissen der großen ran-domisierten Studien, wobei sich sehr ähnliche OR und NNT fanden. Bezüglich der Sterblichkeit ergab sich kein Unterschied zwischen den Patienten mit oder ohne Lyse.

Schlussfolgerungen: Der Einsatz der � rombolyse beim aku-ten ischämischen Insult ergibt Ergebnisse, die denen der großen randomisierten Studien vergleichbar sind. Kritische Parameter für einen guten Outcome ist das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der � rombolyse. Jenseits eines Zeitintervalls von 270 Minuten steigt jedoch die Mortalität sig-ni� kant an.

– Kommentar von Hans-Christoph Diener, Essen

Door-to-needle-time so kurz wie möglich haltenDiese Analyse der großen Datenbank des Baden-Württem-bergischen Schlaganfallregisters zeigt eindeutig, dass der wesentlichste Faktor für einen guten Outcome beim akuten ischämischen Insult das Zeitintervall zwischen Beginn der Symptomatik und Beginn der Lyse ist. Die Erweiterung des therapeutischen Zeitfensters von 3 auf 4,5 Stunden bedeutet daher nicht, dass mehr Zeit für die Evaluation der Patienten bis zum Beginn der Thrombolyse zur Verfügung steht. Es soll-ten daher alle Anstrengungen unternommen werden, das Zeitintervall der Door-to-needle-time so kurz wie möglich zu gestalten.Beruhigend ist, dass die Ergebnisse aus Baden-Württemberg mit denen der großen randomisierten Studien und denen an-derer großer Register übereinstimmen.

Referenzen:

1. Saver JL et al. JAMA 2013; 309: 2480 – 82. Wahlgren N et al. Stroke 2008; 39: 3316 – 22

Gumbinger C, Reuter B, Stock C et al; AG Schlaganfall. Time to treatment with re-combinant tissue plasminogen activator and outcome of stroke in clinical practice: retrospective analysis of hospital quality assurance data with comparison with re-sults from randomised clinical trials. BMJ 2014; 348: g3429

Prof. Dr. med. Hans-ChristophDiener, Essen

Direktor der Klinik für Neurologie,Universitätsklinikum EssenE-Mail: [email protected]

journal club

11In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2014; 16 (7-8)