die plancksche entdeckung und die philosophischen grundfragen der atomlehre

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Heft 10 ~V. ]-IEISENBERG: Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre 227 1958 (Jg. 45) Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre*) Von W. HEISENBERG, GSttingen Wenn im folgenden von den philosophischen Aus- wirkungen der Planckschen Entdeckung die Rede sein soll, so mug zuvor die Frage aufgeworfen werden, wie tiberhaupt eine spezielle naturwissenschaftliche Entdeckung etwas mit allgemeinen philosophischen Problemen zu tun haben kann. Offenbar ist dies nur dann m6glich, wenn dutch die Entdeckung Fragen sehr allgemeiner Art gestellt oder beantwortet werden; Fragen, die nicht so sehr ein spezielles Gebiet tier Naturwissenschaft als vielmehr die wissenschaftliche lVIethode schlechthin oder die Grundvoraussetzungen aller Naturwissenschaft zum Ziel haben. Das be- riihmte Beispiel dafiir, dab dies m6glich ist, gibt in der Physik die Newtonsche Mechanik, die zum Beginn der Neuzeit neu die Frage gestellt hat, was fiberhaupt mit dem Wort ,,Verst~indnis" oder ,,Erkl~rung der Natur" gemeint sein k6nne. Der aul3erordentliche Einflub der Newtonschen ,,Principia" auf das Denken der tolgenden Jahrhunderte beruhte nicht auf den speziellen Axiomen oder Ergebnissen dieser Newton- schen Mechanik -- etwa auf der bekannten Formel: Kraft = Masse X Beschleunigung --, sondern auf der Tatsache, dab zum erstenmal Naturerscheinungen in ihrem zeitlichen Ablauf mathematisch beschrieben werden konnten, also auf dem Nachweis, daI3 eine solche mathematische Naturbeschreibung grundditz- lich m6glich ist. Wenn in dieser Weise spezielle Entdeekungen in der Naturwissenschaft Einflul3 gewinnen k6nnen auf das Denken ganzer Jahrhunderte, so ~iu/3ert sich dieser Einflul3 doch nicht darin, dab die Entdecknngen etwa eine Entscheidung herbeifiihrten zwischen ver- schiedenen widerstreitenden philosophischen Syste- men oder dab sie die sichere Grundlage schi~fen far ein neues derartiges System. So eng kann der Zu- sammenhang zwischen Naturwissenschaft und Philo- sophie nie werden. Auch die folgenden i)berlegungen diirfen nicht dahin miBverstanden werden, als sollte von der Quantentheorie oder der Atomtheorie her Stellung genommen werden fiir oder gegen eines der frtiheren oder heutigen philosophischen Systeme. Das Interesse des Naturforschers an den philosophischen Denkweisen ist yon anderer Art. Ihn interessieren vor allem die Fragestellungen, erst in zweiter Linie die Antworten. Die Fragestellungen scheinen ihm wert- voll, wenn sie in der Entwicklung des menschlichen Denkens fruchtbar geworden sin& Die Antworten k6nnen in den meisten Ffillen nur zeitbedingt sein; sie mtissen durch die Erweiterung unserer Kenntnisse yon den Tatsachen im Lauf der Zeit an Bedeutung verlieren. Insbesondere wiirde es dem Geist der Natur- wissenschaft in jeder Weise zuwider laufen, wenn man versuchen wollte, irgendwelche bestimmten Antwor- ten zum Dogma zu erheben. Wir miissen also im Gegenteil versuchen, ohne Vorurteil aus den neuen Tatsachen und aus den alten und neuen Fragestel- lungen so v/el wie m6glich zu ]ernen. *) Vortrag, gehalten am 25. April 1958 in Berlin bei der Feier VOn ~V[Ax PLANCKS 100. Geburtstag. Naturwiss. 1958 Nach diesen Vorbemerkungen soll die Frage nach der philosophischen Bedeutung der Planckschen Ent- deckung gestellt werden. Welche l~'ragen allgemeiner Art sind damals durch eine Erkenntnis fiber das doch sehr spezielle Problem der W~irmestrahlung aufge- worfen worden ? Was kann die Plancksche Formel 1) 8~ s hv ~ ~ ca e kvlkT -1 fiir die Philosophie bedeuten ? Man kann den grund- s~itzlichen Charakter des Neuen, das im Jahr t900 durch PLANCK in die moderne Naturwissenschaft ein- getreten ist, vielleicht am besten durch den Hinweis deutlich machen, dab hier jenes Problem erneut zur Diskussion gestellt wurde, um das bereits vor zweiein- halb Jahrtausenden PLATO und DEMOI~RIT gerungen haben, das den entscheidenden Punkt der Meinungs- verschiedenheit zwischen diesen beiden Philosophen bezeichnet hat. Hier mul3 kurz ein Blick auf die Geschichte der griechischen Atomphilosophie geworien werden. Das systematische Denken der griechischen Naturphilo- sophen von THALES bis DEMOI~Rrr hatte schlieglich zur Frage nach den kleinsten Teilen der Materie ge- fiihrt. An die Stelle der in die Paradoxie miindenden Polarit~it yon Sein und Nichtsein bei PARMENIDES hatte DEMOKRIT die Polarit~it zwischen dem Vollen und dem Leeren, n~imlich zwischen den Atomen und dem leeren Raum, gesetzt. Das Seiende war nach DEMOK~IT unendlich oft vorhanden, eben als kleinster, unver~inderlicher und unteilbarer Bestandteil der Ma- terie. Das verschiedenartige Geschehen in der Welt erkl~irte sieh durch die verschiedenartige Lagerung und Bewegung der Atome im leeren Raum. Ebenso, wie die Trag6die und die Kom6die mit den gleichen Buchstaben geschrieben werden kSnnen, so kann, nach DE~OKRIT, sehr verschiedenartiges Geschehen durch die gleichen Atome verwirklicht werden. Nach dem Wesen der Atome abet, warum sie gerade so und nicht anders seien, wurde nicht mehr gefragt. Die Atome waren das schlechthin Gegebene, sie waren unteilbar, unver~tnderlich, das eigentlich Seiende, aus dem alles zu erkl~iren war, das aber selbst keiner Erkl~irung mehr bedurite. Auch PLATO hat wesentliche Elemente der Atom- lehre fibernommen. Den vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer, entsprechen bei ihm vier Sorten kleinster Teilchen. Diese Elementarteilchen sind nach PLATO mathematische Grundgebilde yon hoher Symmetrie. Die kleinsten Teile des Elements Erde werden als Wiirfel, die des Elements Wasser als Ikosaeder, die des Elements Luft als Oktaeder und schliel31ich die des Elements Feuer als Tetraeder vor- gestellt. Aber diese Elementarteilchen sind bei PLATO nicht unteilbar. Sie k6nnen in Dreiecke zerlegt und ~) Hierin bedeuten: ov die r~iumliche Dichte der Hohlraumstrah- lung yon der Sehwingungszahl v, h und h die Planeksche und die Boltzmannsche Konstante, T die absolute Temperatur undc die Lieh tgesehwindigkeit. 19b

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Page 1: Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre

Heft 10 ~V. ]-IEISENBERG: Die Plancksche En tdeckung und die phi losophischen Grundfragen der Atomlehre 227 1958 (Jg. 45)

Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre*)

Von W. HEISENBERG, GSttingen

Wenn im folgenden von den philosophischen Aus- wirkungen der Planckschen Entdeckung die Rede sein soll, so mug zuvor die Frage aufgeworfen werden, wie tiberhaupt eine spezielle naturwissenschaftliche Entdeckung etwas mit allgemeinen philosophischen Problemen zu tun haben kann. Offenbar ist dies nur dann m6glich, wenn dutch die Entdeckung Fragen sehr allgemeiner Art gestellt oder beantwortet werden; Fragen, die nicht so sehr ein spezielles Gebiet tier Naturwissenschaft als vielmehr die wissenschaftliche lVIethode schlechthin oder die Grundvoraussetzungen aller Naturwissenschaft zum Ziel haben. Das be- riihmte Beispiel dafiir, dab dies m6glich ist, gibt in der Physik die Newtonsche Mechanik, die zum Beginn der Neuzeit neu die Frage gestellt hat, was fiberhaupt mit dem Wort ,,Verst~indnis" oder ,,Erkl~rung der Natur" gemeint sein k6nne. Der aul3erordentliche Einflub der Newtonschen ,,Principia" auf das Denken der tolgenden Jahrhunderte beruhte nicht auf den speziellen Axiomen oder Ergebnissen dieser Newton- schen Mechanik -- etwa auf der bekannten Formel: Kraft = Masse X Beschleunigung --, sondern auf der Tatsache, dab zum erstenmal Naturerscheinungen in ihrem zeitlichen Ablauf mathematisch beschrieben werden konnten, also auf dem Nachweis, daI3 eine solche mathematische Naturbeschreibung grundditz- lich m6glich ist.

Wenn in dieser Weise spezielle Entdeekungen in der Naturwissenschaft Einflul3 gewinnen k6nnen auf das Denken ganzer Jahrhunderte, so ~iu/3ert sich dieser Einflul3 doch nicht darin, dab die Entdecknngen etwa eine Entscheidung herbeifiihrten zwischen ver- schiedenen widerstreitenden philosophischen Syste- men oder dab sie die sichere Grundlage schi~fen far ein neues derartiges System. So eng kann der Zu- sammenhang zwischen Naturwissenschaft und Philo- sophie nie werden. Auch die folgenden i)berlegungen diirfen nicht dahin miBverstanden werden, als sollte von der Quantentheorie oder der Atomtheorie her Stellung genommen werden fiir oder gegen eines der frtiheren oder heutigen philosophischen Systeme. Das Interesse des Naturforschers an den philosophischen Denkweisen ist yon anderer Art. Ihn interessieren vor allem die Fragestellungen, erst in zweiter Linie die Antworten. Die Fragestellungen scheinen ihm wert- voll, wenn sie in der Entwicklung des menschlichen Denkens fruchtbar geworden sin& Die Antworten k6nnen in den meisten Ffillen nur zeitbedingt sein; sie mtissen durch die Erweiterung unserer Kenntnisse yon den Tatsachen im Lauf der Zeit an Bedeutung verlieren. Insbesondere wiirde es dem Geist der Natur- wissenschaft in jeder Weise zuwider laufen, wenn man versuchen wollte, irgendwelche bestimmten Antwor- ten zum Dogma zu erheben. Wir miissen also im Gegenteil versuchen, ohne Vorurteil aus den neuen Tatsachen und aus den alten und neuen Fragestel- lungen so v/el wie m6glich zu ]ernen.

*) Vortrag, gehalten am 25. April 1958 in Berlin bei der Feier VOn ~V[Ax PLANCKS 100. Geburtstag.

Naturwiss. 1958

Nach diesen Vorbemerkungen soll die Frage nach der philosophischen Bedeutung der Planckschen Ent- deckung gestellt werden. Welche l~'ragen allgemeiner Art sind damals durch eine Erkenntnis fiber das doch sehr spezielle Problem der W~irmestrahlung aufge- worfen worden ? Was kann die Plancksche Formel 1)

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~ ~ ca e k v l k T - 1

fiir die Philosophie bedeuten ? Man kann den grund- s~itzlichen Charakter des Neuen, das im Jahr t900 durch PLANCK in die moderne Naturwissenschaft ein- getreten ist, vielleicht am besten durch den Hinweis deutlich machen, dab hier jenes Problem erneut zur Diskussion gestellt wurde, um das bereits vor zweiein- halb Jahrtausenden PLATO und DEMOI~RIT gerungen haben, das den entscheidenden Punkt der Meinungs- verschiedenheit zwischen diesen beiden Philosophen bezeichnet hat.

Hier mul3 kurz ein Blick auf die Geschichte der griechischen Atomphilosophie geworien werden. Das systematische Denken der griechischen Naturphilo- sophen von THALES bis DEMOI~Rrr hatte schlieglich zur Frage nach den kleinsten Teilen der Materie ge- fiihrt. An die Stelle der in die Paradoxie miindenden Polarit~it yon Sein und Nichtsein bei PARMENIDES hatte DEMOKRIT die Polarit~it zwischen dem Vollen und dem Leeren, n~imlich zwischen den Atomen und dem leeren Raum, gesetzt. Das Seiende war nach DEMOK~IT unendlich oft vorhanden, eben als kleinster, unver~inderlicher und unteilbarer Bestandteil der Ma- terie. Das verschiedenartige Geschehen in der Welt erkl~irte sieh durch die verschiedenartige Lagerung und Bewegung der Atome im leeren Raum. Ebenso, wie die Trag6die und die Kom6die mit den gleichen Buchstaben geschrieben werden kSnnen, so kann, nach DE~OKRIT, sehr verschiedenartiges Geschehen durch die gleichen Atome verwirklicht werden. Nach dem Wesen der Atome abet, warum sie gerade so und nicht anders seien, wurde nicht mehr gefragt. Die Atome waren das schlechthin Gegebene, sie waren unteilbar, unver~tnderlich, das eigentlich Seiende, aus dem alles zu erkl~iren war, das aber selbst keiner Erkl~irung mehr bedurite.

Auch PLATO hat wesentliche Elemente der Atom- lehre fibernommen. Den vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer, entsprechen bei ihm vier Sorten kleinster Teilchen. Diese Elementarteilchen sind nach PLATO mathematische Grundgebilde yon hoher Symmetrie. Die kleinsten Teile des Elements Erde werden als Wiirfel, die des Elements Wasser als Ikosaeder, die des Elements Luft als Oktaeder und schliel31ich die des Elements Feuer als Tetraeder vor- gestellt. Aber diese Elementarteilchen sind bei PLATO nicht unteilbar. Sie k6nnen in Dreiecke zerlegt und

~) Hierin bedeuten: ov die r~iumliche Dichte der Hohlraumstrah- lung yon der Sehwingungszahl v, h und h die Planeksche und die Boltzmannsche Konstante, T die absolute Temperatur u n d c die Lieh tgesehwindigkeit.

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Die Natur- 228 W. HEISENBERG: Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre wissenschaften

arts Dreiecken wieder aufgebaut werden. Daher kann z.]3. aus zwei Elementarteilchen Luit und aus einem Elementarteilchen Feller ein Elementarteilchen Was- ser aufgebaut werden. Die Dreiecke selbst sind nicht Materie, sie sind nur noch mathematische Form. Bei PLATO ist also das Elementarteilchen nickt das sctfleehthin Gegebene, Unver~tnderliche and Unteil- bare; es bedarf nock eiaer Erld{iruag, und die Frage nach dem Warllm tier Elementarteilchen wird yon PLATO allf Mathematik zllrtickgefiihrt. Die Elemen- tarteilchen haben die ihnen yon PLATO zugeschriebene Form, weil sie die mathematisch sch6nste and ein- fachste Form ist. Die letzte Wurzel der Erschei- nungen ist also nieht die Materie, sondern das mathe- matische Gesetz, die Symmetrie, die mathematische Form. Der Kampf um den Primat der Form, des Bildes, der Idee auf der einen Seite tiber die Materie, das materiell Seiende auf der anderen oder umgekehrt der Materie ~iber das Bild, also der Kampf zwischen Idealismus und Materialismus hat in der Geschichte der Philosophie immer wieder das menschliehe Denken in Bewegung gesetzt. Dem Naturwissenschaftler mag der Unterschied zwischen den beiden Auffassungen manchmal nicht allzu wichtig erscheinen. Aber schon PLATO selbst hat den Gegensatz als so tiei empfunden, dab er den Wunsch geguBert haben soil, die Bticher des DEMOKRIT sollten verbrannt werden.

Was aber hat die Plancksche Entdeckung mit dieser alten Frage zu tun ? Ftir die Chemie des 19.Jahr- hunderts waren die Atome als die kleinsten Teile der chemischen Elemente gegeben. Sie waren nicht mehr selbst Gegenstand der Forsehung. Der Zug von Dis- kontinuitat oder Uastetigkeit, der sich in der atomaren Strllktur der Materie gezeigt hatte, muBte zllniichst ohae ErM~irung hingenommen werden. Die Planck- sche Entdeckllng abet machte offenbar, dab dieses selbe Element von Unstetigkeit noch an anderen Stellen, n~mlich in der W~rmestrahlung, auftAtt, wo es sicher nicht einfach als Folge der atomaren Struktur der Materie aufgefaBt werden kann. In anderen Wor- ten: Die Plancksche Entdeckung legte den Gedanken nahe, dab dieser Zug von Unstetigkeit im Natur- geschehen, der sieh in der Existenz der Atome und in der W~irmestrahlung unabh~ngig hubert, als Folge eines viel allgemeiaeren Naturgesetzes verstanden werden mtiBte. Damit t r i t t also yon neuem der Ge- dallke PLATONs in die Naturwissenschaft ein, dab der atomaren Struktur der Materie letzten Endes ein mathematisches Gesetz, eine mathematische Sym- metrie zugrunde liege. Die Existenz der Atome oder der Elementarteilchen als Ausdruck einer mathema- tischen Struktur, das war die neue MSglichkeit, die PLANCK mit seiner Entdeckung aufgezeigt hatte, und bier bertihrt er Grundfragen der Philosophie.

Freilieh war der Weg zu einem wirkliehen Ver- st~ndnis dieser Zusammenh~inge noch sehr weit. Zu- n~chst verging noch einmal ein Vierteljahrhundert, bis auf Grund der Bohrschen Theorie des Atombaus eine widerspruchsfreie mathernatisehe Formulieruag der Planckschen Quantentheorie gegeben werden konnte. Aber auch damit war man noch welt yon einem vollen Verst~ndnis der Struktur der Materie entfernt.

Immerhin war mit der Planekschen Entdeckung ein ganz neuer Typus yon Naturgesetz als m6glieh erkannt worden, und darnit kommen wir zu spezielle-

ren physikalischen Fragen. Die frtiher mathematisch formulierten Naturgesetze, etwa in der Newtonschen Mechanik oder in der W/irmelehre, enthielten als sogenannte ,,Konstanten" nur die Eigenschaften der K6rper, auf die sie aagewendet werden sollten. Es gab in ihnen aber keine Konstanten vom Charakter eines universellen Mal~stabs. Die Gesetze der Newtonschen Mechanik z. ]3. konnten im Prinzip auf die Bewegung eines fallenden Steins, auf die Bahn des Mondes um die Erde oder den StoB eines atomaren Teilchens angewandt werden. Uberall schien grunds~tzlich das Gleiche zu geschehen. Die Plancksct~e Theorie enthielt aber das sogenannte ,,Planeksche Wirkungsquantum". Damit war ein bestimmter MaBstab in der Natur ge- setzt. Es war klargestellt, dab die Phiinomene dort, wo die vorkommenden Wirkungen sehr groB gegen die Plancksche Konstaate sind, grunds~tzlieh anders ablaufen als dort, wo sie mit dem Plaackschen Wir- kungsquantum vergleichbar werdea. Da die Ereignisse unserer t~igliehen Erfahruagen stets mit Wirkungen zu tun haben, die sehr groB gegen die Plancksche Kon- stante sind, war die M6glichkeit angedeutet, dab die Ph~inomeae im atomaren Bereich Ziige aufweisen, die sich unserer unmittelbaren Anschauung tiberhaupt entziehen. Es konate sich um Vorg~nge handeln, die zwar noch in ihren Auswirkungen experimentell beob- achtet und rational rnit den Mitteln der Mathematik analysiert werden k6nnen, yon denen wit uns aber kein Bild mehr maehen kSnnen. Der unanschauliche Charakter der modernen Atomphysik beruht letzten Endes auf tier Existeaz des Planckschen Wirkungs- quantums, auf dem Vorhandeasein eines MaBstabs yon atomarer Kleinheit in den Naturgesetzen.

Schon wenige Jahre nach der Plaackschen Ent- deckung sind zum zweiten Male Naturgesetze formu- liert worden, die eine solche MaBstabskonstante ent- halten. Diese zweite Konstante selbst, die Lichtge- schwindigkeit, war allerdiags den Physikern schon laage Zeit bekannt. Ihre grunds~ttzliche Rolle als MaBstab in den Naturgesetzen ist aber erst durch EINSTEINs Relativit~itstheorie verstanden worden. Zwischen Raum und Zeit, den scheinbar ganz unab- hiingigen Anschauungsformen, in denen wir das Ge- sehehen begreifen, bestehen Beziehungen, und in der mathematischen Formulierung dieser Beziehungen er- scheint die Lichtgesehwindigkeit als die charakteristi- sche Konstante. Unsere t5gliche Erfahrung hat fast immer mit ]3ewegungsvorg~ingen zu tun, die langsam im Vergleich zur Liehtgesehwindigkeit ablaufen. Da- her ist es nicht tiberraschend, wenn uasere Anschau- ung versagt bei Vorgiingen, die sieh mit Geschwindig- keiten in der N~he der Liehtgeschwindigkeit abspielen. Die Lichtgeschwindigkeit ist eia yon der Natur ge- setztes MaB, das nicht iiber bestimmte Dinge in der Natur, sondern fiber die allgemeine Struktur yon Raum und Zeit Auskunft gibt. Unserer Ansehauung ist diese Struktur aber nicht mehr unmittelbar zu- g~nglich.

Als die grunds~ttzliche Bedeutung der beiden uni- versellen Naturkonstanten, des Planckschen Wirkungs- quantums und der Lichtgesehwindigkeit, erkannt war, lag es aahe, die Frage zu stellen, wieviele unabh~tngige derartige Naturkonstanten es iiberhaupt geben kann. Die Antwort lautet, dab es mindestens drei solche nni- verselle Konstanten geben muB, dab aber wahr- scheinlich alle anderen Naturkonstanten durch zum

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Heft IO W. HEISENBERG: Die P l ancksche E n t d e c k u n g u n d die ph i lo soph i schen G r u n d f r a g e n der A t o m l e h r e 2 2 9 4958 (Jg. 45)

Teil noch unbekannte mathematische Beziehungen auf diese drei zuriickgefti1irt werden k6nnen. DaB gerade drei solche unabh~ingige nattirliche MaBein1ieiten exi- stieren mtissen, kann sic1i der Piiysiker oder Tec1iniker am einfac1isten durch die f)berlegung klarmachen, dab schon die tiblichen physikalischen oder technischen MaBsysteme stets drei solche MaBeinheiten enthalten, etwa die Einheit der L~inge, tier Zeit und der Masse: Zentimeter, Sekunde und Gramm. Wenn man an die Stelle dieser drei, dnrch Konvention festgesetzten MaBeinheiten nattirliche MaBeinheiten setzen will, so muB man also dem Plancksehen Wirkungsquantum und der Lichtgesc1iwindigkeit noch eine weitere Kon- stante zuftigen. Die atomare Struktur der Materie legt es nahe, als dritte Einheit eine L~inge yon atomarer Gr613enanordnung zu w~hlen, etwa eine L~tnge yon der Ordnung des Durc1imessers einfacher Atomkerne. Eine pr~tzise Formulierung dieser L~tngeneinheit aber kann erst gegeben werden, wenn es gelingt, die Na- turgesetze mathematisch auszudrticken, in denen die L~ngenein1ieit als wesentliche Gr613e vorkommt. Wieder wtirde man erwarten, dab unsere anschau- lichen Begriffe ftir Ph~inomene anwendbar sind, die sick in R~tumen abspielen, die groB gegen jene ato- mare L~ingeneinheit sind, dab dagegen im Bereich der kleinsten L~inge, wie man diese Konstante auch ge- nannt hat, die Erscheinungen wesentlich anders als in unserer gewohnten Welt ablaufen.

Aber mit dieser (~berlegung eilen wir der Ent- wicklung, so wie sie sich in den vergangenen Jahr- ze1inten wirklich vollzogen hat, weft voraus. Zu- n~ichst hat te die Plancksche Entdeckung j a nur die M6glichkeit sichtbar gemacht, die atomare Struktur der Materie aut mathematisc1i formulierte Natur- gesetze, d.h. auf mat1iematische Formen, zurtickzu- ftihren. Obwohl man sic1i damals kaum eine Vor- stellung davon bilden konnte, um was far mathema- tische Formen es sick dabei schlieBIich handeln wtirde, so war doch der Atomp1iysik damit ein Ziel gesetzt. Der Blick der Naturforscher wurde gerichtet auf den noch fernen Gipfel der Atomt1ieorie, yon dem aus nicht nur die Existenz der Elementarteilchen und aller aus ihnen bestehenden atomaren Gebilde, sondern damit indirekt die physikalischen Zusammenh~nge der Welt tiberhaupt als Folge einfacher mathematischer Struk- turen erkannt werden konnten. An dieser Stelle trafen sictt die Hoffnungen der Atomphysiker mit den Wtin- schen ALBERT EINSTEINs, der in den zwanziger Jahren den Plan entwickelte, yon der allgemeinen Relativi- t~tst1ieorie ausgehend zu einer einheitlichen Feld- t1ieorie vorzustol3en. Das Nebeneinander verschiede- ner, scheinbar unabh~ingiger Kraftfeldarten war schon seit dem Entstehen der Einsteinschen Gravitations- theorie als unbefriedigend empfunden worden. Als Kraftfelder waren den Physikern seit langer Zeit eben das Gravitations- oder Schwerefeld nnd die elektro- magnetisc1ien Kr~tfte bekannt. Dazu kamen in unse- rein Jahrhundert die Materiewellen, die man auch Ms Kraftfelder der chemisc1ien Bindung bezeichnen kann, schliel31ic1i die vielen verschiedenen Wellenfelder, die den verschiedenen, in den letzten Jahrzehnten ent- deckten Elementarteilchen im Sinne der Quanten- theorie zugeordnet sind. EINSTEIN hatte die Hoffnung, man werde alle diese Kraftfelder als Aussagen tiber die yon Ort zu Ort variierende geometrische Struktur des Raumes und der Zeit auffassen und durch die

Beziehung zwischen Geometrie und Materie auf eine gemeinsame Wurzel zuriickftihren k6nnen.

Bei diesem Versuch betrachtete EINSTEIN die in der allgemeinen iRelativit~itstheorie versuchte Deutung des Gravitationsfeldes durch eine ortsab1ifingige Geo- metrie als grundlegend, w~ihrend er die yon PLANCK aufgedeckten quantentheoretischen Gesetzm~tBigkei- ten als sekund~ir empfalld. Die ganz andersartige mathematische Formulierung der Planckschen Quan- tentheorie, tiber die nach1ier noch gesprochen werden mul3, konnte EINSTEIN nicht als endgiiltig anerkennen, da sie seinen philosophischen Vorstellungen yon der Aufgabe der exakten Naturwissenschaften nic1it ent- sprach. Er empfand es als unbefriedigend, wenn die Naturgesetze sich nic1it auf die objektiven Vorg~inge, sondern auI die M6glichkeit, auf die Wahrscheinlich- keit solcher Vorg~inge beziehen sollten. Andererseits erschien den Atomphysikern gerade die Plancksche Quantent1ieorie als der eigentliche Sc1iltissel zum Ver- st~indnis der Zusammenh~inge. Daher mul3ten sie versnchen, zu einer einheitlichen Feldtheorie auf dem Weg tiber die Quantentheorie der Elementarteilchen vorzudringen. Der Gegensatz zwischen Kraft und Stoff, der in der Naturphilosophie des 19. Jahrhun- derts eine gewisse Rolte gespielt hatte, war ja in der Quantentheorie l~ingst anfgel6st in dem mathema- tisch analysierten Dualismus zwischen Welle und Kor- puskel oder zwischen Kraftfeld und materiellen Ele- mentarteilchen, so dab der Weg yon hier aus zu einer einheitlichen Feld- und Materietheorie grunds~itzlich often schien.

Bevor wir diesem Weg, soweit er bis1ier gegangen werden konnte, und damit der Entwicklung der letzten ze1in Jahre Iolgen, mnB aber noch auf die er- kenntnistheoretische Situation eingegangen werden, die durch die Plancksche Entdeckung und ihre pr~t- zise mathematische Formulierung in den zwanziger Jahren entstanden war. Schon vorhin war die Rede yon einem neuen Typus Naturgesetz, bei dem in der Natnr gegebene MaBeinheiten auftreten. Vielleicht sollte man richtiger sagen, dab es sich um mathema- tisch formulierbare Grundstrukturen der Natur han- delt; denn schon der Begriff des Gesetzes ist beinahe zu eng, urn diese sehr allgemeinen Zusammenh~inge zu fassen. Es wurden zwei solche Zusammenhangsbe- reic1ie erw~thnt: die Quantentheorie und die Relativi- t~itstheorie. Diese beiden Theorien haben einschnei- dende Ver~indernngen in unserem Weltbild hervor- gebracht, weil sie uns klargemacht haben, dab die an- schaulichen Vorstellungen, mit denen wir die Dinge unserer t~iglichen Erfahrnng ergreifen, nur in emem beschr~inkten Erfahrungsbereic1i gelten, dab sie also keineswegs etwa zu den unumst6131iehen Voraus- setzungen der Natnrwissenschaft geh6ren.

In der Quantentheorie handelt es sich speziell um die Frage der objektiven Beschreibnng der p1iy- sikalischen Vorg~inge. In der friiheren Physik war die Messung der W'eg znr l~eststellung objektiver, yon der Messung nnabh~ingiger Sachverhalte. Diese objek- tiven Sachverhalte konnten mathematisch beschrie- ben, ihr Kausalzusammenhang dadurch streng fest- gelegt werden. In der Quantent1ieorie ist zwar die Messung selbst auch noc1i ein objektiver Sachverhalt, ebenso wie in der Irtiheren Physik; aber der Schlul3 yon der Messung auf den objektiven Ablauf des zu messenden atomaren Geschehens wird problematisch,

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da die Messung in das Geschehen eingreift und sick nicht mehr vom Geschehen selbst vollst~ndig trennen 1Aft. Eine anschauliche Beschreibuiig der atomaren Vorg~tnge, so wie man sie sick in der Pkysik vor 50 Jahren gewfiiischt h~ttte, wird daher unm6glich. Wir k6nnen die Naturvorg~inge im atomaren Bereich nicht mehr in der gleichen Weise ergreifeii wie die Vorg/inge im groBen. Wenn wir die gewohnten Be- griffe verwenden, so wird ikre Anwendbarkeit durch die sogenannten ,,Unbestimmtheitsrelationeii" einge- schr~tiikt. Ffir den weiteren Verlauf des atomarell Vorgangs k6nllen wir in der Regel nur die Wahr- scheinlichkeit voraussagen. Nicht mehr die objektiven Ereignisse, sondern die Wahrscheilllichkeiten f fir das Eintreten gewisser Ereignisse k6nneii in mathemati- schen Formeln festgelegt werden. Nicht mehr das faktisehe Gescheheii selbst, sonderii die M6glichkeit zum Geschehen -- die ,,Potentia", weiin wir dieseii Begriff der Philosophie des ARISTOTEL~S verwenden wollen -- ist streiigeii Naturgesetzen unterworfeii.

iJber diese Seite der Quantentheorie ist oft ge- sproehen worden, und ich m6chte dieses Thema kier nicht allzu ausffihrlich bekandeln. Auch m6chte ich von der Geschichte dieser Entwicklung, die in erster Linie mit den Nameii BottR, BORN, JOI~DAN ulld DIRAC verknt~pft ist, hier nicht spreehen; ebenso nicht von der Entwicklung der Wellenmechallik durch I)E BRO- GLIE und SCHRODINGER.

Wenll man den Schritt von der klassischen Physik zur Quantentheorie als endgfiltig betrachtet, welln man also allllimmt, dab die exakte Naturwissenschaft aueh in Zukunft den Begriff der Wahrscheinlichkeit oder M6glichkeit, der , ,Potentia", in ihren Gruiid- lagen enthalten wird, so rticken dadurch manche Pro- bleme aus der Philosophie frfiherer Zeiten in ein neues Licht, und umgekehrt kanii das Verst~indnis tier Quantentheorie durch das Studium jeiier frfiheren Fragestellungen vertieft werden. AuI die Beziehullg zu dem Begriff der ,,Poteiitia" in der Philosophie des ARISTOTELES wurde schoii hingewiesen. Aber auch zur Philosophie der Neuzeit in ihren verschiedenen Systemeii ergeben sich eine Menge yon Beziehungen, die hier allerdings IIur ganz kurz gestreift werden k6nnen; auf eine ausftihrliche und sorgf~ltige Behand- lung mul3 verzeichtet werden.

In tier Philosophie des DESCARTES spielte der Gegensatz zwischen der ,,res cogitans" und der ,,res extensa" eine eiitscheidende Rolle, und die in diesem Begriffspaar ausgedrfickte Spaltullg tier Welt hat das Denken der folgenden Jahrhuiiderte aufs st~rkste be- einfhBt. In tier quaiitentheoretiscken Physik sieht dieser Gegellsatz etwas anders aus als IriJher. Er er- seheint Ms weniger schroff, da diese Physik uns ge- zwungen hat, in verschiedenen Zusammenhangs- bereichen zu denkeii, die zueinander in jenem Ver- h~tltnis stehen, das BOI~R mit dem Begriff ,,Komple- mentarit~tt" ausgedriickt hat. Die Zusammeiihangs- bereiche k6nnen sich einerseits ausschlieBell, aiiderer- seits aber dock auch erg~llzen, so dab erst durch das Spiel zwischen den verschiedellen Bereichen die volle Einheit sichtbar wird. Wie das ohlle die geringste Unklarheit m6glich ist, zeigt die quantentheoretische Mathematik. Im Vergleieh zur klassischen Physik rfickt die Quantentheorie daher deutlieh ab von jeller etwas zu schroffen Zweiteilung der Welt ill der Des- cartesschell Philosophie.

KANT hatte den sogenannten ,,synthetischen Ur- teilen a priori" uiid den apriorischen Allschauungs- formeii einen zentralen Platz in seiner Philosophie einger~iumt. In der neuen Deutung der Quanten- theorie werden zwar auch die Gruiidbegriffe der klas- sischeii Yhysik als apriorische Elemente aiierkaiint; insofern enth~ilt die Quaiitentheorie eiiien erheblichen Tell Kalltscher Philosophie. Aber es wird gleichzeitig dem Apriori nur eine relative Bedeutung zugemessen, da, im Gegeiisatz zur Kantschell Auflassullg, auch die apriorischen Begriffe nicht mehr als unver/inder- liche Grundlagen der exakten Naturwissensehaften gelten.

AuI die positivistischen Elemellte in der Relativi- t~tstkeorie uiid der Quantentheorie ist oft hiiigewieseii worden. Insbesondere haben die Gedankeng~inge MActts zweifellos die Entwickluiig der Pkysik seit der Plaiickschen Entdeckung immer wieder befruchtet. Aber auch dieser Einflul3 dari nicht fiberschiitzt wet- den. Insbesondere betrachtet die Quanteiitheorie in ihrer heute allgemeiii angenommeiien Deutung keines- wegs die Sinneseindrficke als das prim~tr Gegebene, wie es der Positivismus tut. Wenn etwas als prim/ir gegeben bezeichnet werden soil, so ist das ill der Quaiiteiitheorie die Realit~tt, die mit den Begriffen der klassischen Physik beschrieben werden kanll.

Da die Quantentheorie im Zusammeiihallg mit der Atomlehre eiitstanden ist, so steht sie auch, trotz ihrer erkellntnistheoretischen Struktur, in enger Beziehung zu jenen Philosophien, die die Materie in den Mittel- puiikt ihres Systems rficken. Aber die Entwicklung der letzten Jahre, fiber die nachher gesprocheii werden sol1, vollziekt dock sehr deutlich -- wenll man fiber- haupt VergMche mit der antiken Philosophie ziehen will -- die Wendullg yon DEMOKRIT ZU PLATO. Gerade die Plancksche Entdeckung eiithiilt ja schon den Hin- weis, dab die atomare Struktur der Materie als Aus- druck mathematischer Gestalten ill den Naturgesetzen aufgefaBt werden kann.

AuBerdem entNilt die erkenntnistheoretische Ana- lyse der Quantentheorie besonders in der Form, die Boln~ ihr gegeben hat, manche Ztige, die an die Metho- den der Hegelschen Philosophie erinnern.

SchlieBlich sind verschiedene Untersuckungen an- gestellt worden fiber die Beziehullg der Quantentheorie zur Logik. Ich erinnere besonders an die Untersuchun- gen yon WEIZS~_CKERs. Offellbar kalln man die quan- tentheoretische Interpretation der atomaren Vorg~inge mit einer Erweiterung der Logik in Verbindung brin- gen, die vielleicht in der zukfinftigen exaktell Natur- wissenschaft eine sehr allgemeine Bedeutung erhalten wird. Damit haben wir eillen allerdings nur sehr flfichtigen Blick geworfen auf die maiilligfachen Be- ziekungell zwisehen tier Quantentheorie und eiller Reihe verschiedenartiger philosophischer Fragestel- lungell, auf die im einzelnen hier leider nicht einge- gallgell werden kanii.

SchlieBlieh muB noch ausfiJhrlicher ein mehr physi- kalisches Problem erw~hnt werden, das schon zur Entwicklung der Quantentheorie ulld Atomtheorie im letztell Jakrzehllt fiberleitet. Die Relativit~itstheorie und die Quantelltheorie haben gewisse Grundstruk- turen der Natur sichtbar gemacht, die frfiher unbe- kallnt wareii. In der Relativit~tstheorie handelt es sich um die Struktur yon Raum und Zeit, in der Quantentheorie um die Konsequellzen des Umstandes,

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Heft 10 W. I-IEISENI3ERG: Die P l ancksche E n t d e c k u n g u n d die ph i losoph i schen G r u n d f r a g e n der A t o m l e h r e 231 t958 (Jg, 45)

dal3 jede Messung im atomaren Bereich einen Akt, einen Eingriff erfordert.

Die in der speziellen Relativit~ttstheorie aufge- deckte Struktur von Raum und Zeit kann etwa fol- gendermaBen kurz beschrieben werden: Wir k6nnen mater dem Wort ,,Vergangenheit" alle iene Ereignisse zusammenfassen, yon denen wir, wenigstens prinzi- piell, etwas erfahren k6nnen, unter dem Wort , ,Zu- kunft" alle jene anderen Ereignisse, auf die wir, wenigstens grunds~itzlich, noch einwirken k6nnen. In unserer anschaulichen Vorstellung sind diese beiden Ereignisbereiche nur durch einen unendlich kurzen Zeitmoment getrennt, den wir den ,,gegenw~irtigen Augenblick" nennen. Aus der Einsteinschen Theorie wissen wir aber jetzt, dab dieser Gegenwartsbereich endlich ist, dal? er zeitlich um so l~nger dauert, je weiter der Oft der Ereignisse yon dem unseren entfernt ist. Dies liegt daran, dab sich Wirkungen hie schneller als :nit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen kSnnen. Es gibt also eine scharfe raum-zeitliche Grenze zwischen den Ereignissen, von denen wir erfahren k6nnen, und denen, yon denen wir nicht mehr erfahren kSnnen, und eine andere Grenze zwischen den Ereignissen, auf die wir noch einwirken k6nnen, und denen, auf die wir nicht mehr einwirken k6nnen.

Die Existenz einer solchen scharfen Grenze paBt aber schlecht zu der Struktur der physikalischen Vor- g~inge, die sich durch die Quantentheorie enth~llt hat. Aus den Unbestimmtheitsrelationen wissen wir, dab eine Ortsbestimmung einen um so sch~irferen Eingriff erfordert, ie genauer sie vorgenommen werden soll. Eine unendlich scharfe Ortsbestimmung wt~rde sogar einen unendlich groBen Eingriff voraussetzen und kann daher gar nicht realisiert werden. So ist es nicht weiter verwunderlich, dab jene yon der Relativit/itstheorie behauptete scharfe Grenze zu Un- zutr~iglichkeiten beim Versuch der quantentheoreti- schen Formulierung der physikalischen Vorg~inge ffihrt. Auf die Einzelheiten kann bier auch wieder nicht eingegangen werden; aber die theoretische physi- kalische Literatur der letzten 25 Jahre ist angefiillt yon Diskussionen iener Unzutr~iglichkeiten und schein- baren Widerspriichen, die durch die sogenannten , ,D ivergenzen" , z.B. die unendliche Selbstenergie des Elektrons, eine befriedigende Beschreibung der Vor- g~nge bei den Elementarteilchen lange Zeit unmSglich gemacht haben. Quantentheorie und Relativit~its- theorie kSnnen also offenbar nicht ohne Schwierig- keiten zusammengefiigt werden.

Nach den Ergebnissen der letzten Jahre haben wir allen Grund zu der Annahme, dab es erst dann ge- lingen kann, die beiden Theorien zusammenzuftigen, wenn man auch die dritte Grundstruktur, die mit der Existenz einer universellen L~inge yon der GrSl?en- ordnung t0 -1~ cm verkntipft ist, in den Kreis der Be- trachtungen einbezieht.

Zun~ichst soil bier kurz besprochen werden, um welche physikalischen Ph~inomene es sich dabei han- delt. Die Chemie hatte ursprtinglich den verschiedenen chemischen Elementen ie eine Atomsorte zugeordnet. Die Rutherfordschen Experimente und die Bohrsche Theorie batten dann gezeigt, dab das sogenannte Atom der Chemiker aus einem Kern und einer Htille yon Elektronen besteht. Die Kemphysik der dreil3iger Jahre hat uns gelehrt, die Atomkerne als Gebilde von Protonen und Neutronen aufzufassen. So waren

schliel31ich drei wichtigste Sorten yon Elementarteil- chen, die Protonen, Neutronen und Elektronen, als die letzten Bausteine aller Materie erkannt. Dann aber zeigten sp~itere Experimente, dab es noch manche andere Arten yon Elementarteilchen gibt, die yon den vorhergenannten in erster Linie dadurch sictl unter- scheiden, dab sie nur kurze Zeit existieren kSnnen, da sie sehr schnell radioaktiv zerfallen, d.h. sich in andere Teilchen umwandeln. Die Mesonen, die Hyperonen wurden entdeckt, und wir kennen heute etwa 30 ver- schiedene Sorten yon Elementarteilchen, yon denen die meisten nur eine sehr kurze Lebensdauer besitzen.

Mit diesen Erfahrungen waren zwei wichtige Fragen gestellt. Erstens: Sind diese Elementarteilchen, ins- besondere Yrotonen, Neutronen, Elektronen wirklich die letzten, unteilbaren Bausteine der Materie, oder miissen auch sie wieder als zusammengesetzt aus klei- neren Teilen aufgefal3t werden ? Wenn sie aber schon die kleinsten Bausteine sind, warum lassen sie sich nicht noch welter teilen ? Zweitens: Warum gibt es gerade diese experimentell gefundenen Elementar- teilchen, warum haben sie gerade die beobachteten Eigenschaften ? Durch welche Naturgesetze sind ihre Massen und Ladungen, die Kr~ifte, mit denen sie auf- einander wirken, bestimmt ?

Auf die erste Frage gibt die heutige Physik die bestimmte Antwort, dab die Elementarteilchen wirk- lich schon die letzten, kleinsten Einheiten der Materie darstellen; und sie gibt daftir auch eine zun~ichst etwas tiberraschende Begrtindung. Wie kann man fest- stellen, ob sich die Elementarteilchen nicht noch weiter teilen lassen? Die einzige Methode, dies zu untersuchen, ist doch wohl der Versuch, sie mit den st~irksten Krgften weiter zu zerspalten. Da es natiir- lich keine Messer oder andere Werkzeuge gibt, mit denen die Teilung versucht werden kSnnte, bleibt als einzige M6glichkeit, Elementarteilchen mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen zu lassen. Man kann in der Tat ZusammenstSl3e zwischen Elementar- teilchen h6chster Energie herbeifiihren. Die groBen Beschleunigungsmaschinen, die heute in den ver- schiedensten Teilen der Welt gebaut werden, z.B. in Genf als europMsche Gemeinschaftsarbeit, in Amerika, in Rul31and, dienen eben diesem Zweck. Auch die in der Natur vorkommende kosmische Strahlung bewirkt solche ZusammenstSl3e. Dabei werden die Elementar- teilchen auch tats~ichlich zerlegt, oft in viele Teile auseinandergeschlagen, aber, und das ist das tJber- raschende, die Teile sind nicht kleiner oder leichter als die Elementargebilde, die zerschlagen wurden. Denn die hohe kinetische Energie der zusammenstol3en- den Teilchen kann nach der Relativitfitstheorie in Masse verwandelt werden, sie wird tats~ichlich dazu benutzt, neue Elementarteilchen zu erzeugen. In Wirklichkeit findet also nicht eigentlich eine Spaltung der Elementarteilchen start, sondern eine Erzeugung neuer solcher Teilchen aus der Bewegungsenergie der stoBenden Teilchen. So schafft die Einsteinsche Glei- chungl) : E = m c 2 die M6glichkeit dafiir, dab die heute bekannten Elementarteilchen wirklich schon die kleinsten existierenden Gebilde sin&

Gleichzeitig erkennen wir dabei, dab die Elemen- tarteilchen alle sozusagen aus dem gleichen Stoff ge- macht sind, n/imlich, wenn Sie so wollen, aus Energie.

1) m i s t die Masse des K6rpers, E seine Energie u n d c die Licht gesehwindigkeit.

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Die Natur- 2 ~ 2 W. I~ EISENBERG: Die Plancksche Entdeckung und die philosophischen Grundfragen der Atomlehre wisselaschaften

Itier kann man Ankl~inge an die Philosophie des t{ERAKLIT finden, nach dem das Feuer der Grundstoff ist, aus dem alle Dinge bestehen. Das Feuer ist gleich- zeitig die treibende Kraft, die die Welt in Bewegung erh~tlt, und man kann vielleicht, um zu unserer heuti- gen Auffassung zu kommen, Feuer und Energie iden- tifizieren. Die Elementarteilchen der modernen Phy- sik k6nnen genau wie die der platonischen Philosophie ineinander umgewandelt werden. Sie bestehen nicht selbst aus Materie, sondern sie sind die einzig mSg- lichen Formen der Materie. Die Energie wird zur Materie, indem sie sich in die Form eines Elementar- teilchens begibt, indem sie sich in dieser Form mani- festiert. Hier klingt die Beziehung zwischen Form und Stoff an, die in der Philosophie des ARISTOTELES eine so zentrale Rolle spielt. Damit sind wit auch schon bei der zweiten Frage angelangt : Warum gibt es gerade diese bestimmten Elementarteilchen und keine an- deren ?

Diese Frage ist identisch mit der Frage nach dem Naturgesetz, das die Eigensehaften der Elementar- teilchen bestimmt; und dieses Naturgesetz mug die dritte natfirliche Mal3einheit, die sogenannte ,,klein- ste L~nge", enthalten. Die hier gestellten Probleme sind zwar noch keineswegs gelSst, aber es kann doch schon ein Vorschlag Iiir eine solehe Theorie der Elementarteilchen zur Diskussion gestellt werden, der durch die Forschung der kommenden Jahre nachge- priift und entwickelt werden mug.

Zuniichst muB bier iiber die Fortschritte in den vergangenen Jahren berichtet werden. Schon vor etwa t 5 Jahren hat DIRAC in England auf die M6glich- keit hingewiesen, die mathematischen ,,Divergenz- schwierigkeiten" der Quantenfeldtheorie, fiber die ich vorhin kurz gesproehen habe, dadurch zu 16sen, dab man eine neue imagin~ire Einheit, eine Quadratwurzel aus --1, in die mathematische Darstellung aufnimmt, oder, um es in einer genaueren mathematischen Spra- che auszudrticken, dab man dem Hilbert-Raum der Quantenfeldtheorie eine indefinite Metrik gibt. Frei- Iich bedeutet eine solche Einftihrung eine tiefgehende Strukturver~inderung der Theorie, und kurze Zeit daranf hat PAULI in Zt~rich zeigen kSnnen, dab eine solche Theorie zun~ichst physikalisch nicht inter- pretiert werden kann. Denn die Gr6gen, die sonst in der Quantentheorie die Wahrscheinlichkeit ftir das Eintreten eines Ereignisses bedeuten, kSnnen in der Diraeschen Formulierung negativ werden, und eine negative Wahrscheinlichkeit ist ein physikalisch sinn- loser Begriff. Trotzdem haben wir dann in G6ttingen vor etwa 5 Jahren diesen Diracschen Gedanken wieder anfgegriffen in der Hoffnung, dab der mathe- matische Formalismus sich in folgender Weise ent- wickeln lassen wiirde: Die Grundgleichung fiir die Materie mug ja, wie schon mehrfach betont wurde, jene MaBeinheit enthalten, die als Liinge yon der Gr6Benordnung 10 -13 cm eingefiihrt wurde. Sollte es nicht m6glich sein, die indefinite Metrik in einer solchen Weise zu benutzen, dab die negativen Wahrschein- lichkeiten immer nur dann auftreten, wenn man nach dem physikalischen Verhalten in Raumdimensionen yon der Gr613enordnung t0 -~ cm fragt? DaB aber ftir Fragen, die sich auf sehr viel grSBere R~iume und zeitgebiete beziehen, alle berechneten Wahrschein- lichkeiten wieder yon selbst positiv werden, so dab die Formeln eine physikalische Interpretation zulassen.

Damit wiiren die Schwierigkeiten beseitigt, denn nach Vorg~ingen in kleinsten Raumgebieten kann man eben nicht fragen; damit ist gemeint : Vorg~nge ill kleinsten Raum-Zeitgebieten kSnnen nicht unmittelbar be- obachtet werden, und die Rfickschlfisse yon den Be- obachtungen auf diese Vorgiinge kSnnen nicht mehr mit den Begriffen der iiblichen Physik gezogen werden. Daher entziehen sich diese Vorgiinge jeder anschau- lichen Beschreibung. Diese M6glichkeit ist dann in einern mathematisch vereinfachten Modell in den Einzelheiten studiert worden -- ich erw~ihne hier Untersuchungen yon MITTER, KORTEL nnd ASCOLI in G6ttingen --, undes hat sieh gezeigt, dab eine solche Benutzung der Diracschen VorscM~ige in dem ein- fachsten Fall, der mathematisch vollstiindig analysiert werden kann, tatsiichlich widerspruchsfrei m6glich ist. Auch stellte sich bei diesen Untersuchungen heraus, dal3 schon ein solehes vereinfachtes Modell sehr wesentliehe Ztige jener einheitlichen Feldtheorie anf- weist, die das Ziel der Untersuchung bilden muB. Zum Beispiel ergaben sich die elektromagnetischen Felder als Folge des Materiefeldes, und das Materiefeld mani- Iestierte sich in Elementarteilchen, die ~ilmliche Eigen- schaften aufwiesen wie die wirklich beobachteten.

Kin sehr wesentlicher Beitrag zum Problem der Materie war dann die durch die beiden chinesischen Physiker LEE und YANG gemachte Entdeckung, dab die elektromagnetischen Felder in einer ganz unerwar- teten Weise mit einem den Elementarteilchen inne- wohnenden Schraubensinn verkntipft sind. Zum Bei- spiel gibt es positiv geladene, sogenannte ,,=-Meso- hen", die radioaktiv zerfMlen. Die beim Zerfall ent- stehenden/~-Mesonen und Elektronen ~nd Neutrinos zeigen eine bestimmte Polarisation, die in ihrem Sinn etwa einer Rechtsschraube entspricht. Es gibt keine positiv gelandenen ~-Mesonen, bei deren Zerfall der umgekehrte Schraubensinn ausgezeichnet wfire. Wohl abet gibt es negativ geladene ~-Mesonen der gleichen Masse, nnd bei deren Zerfall bestimmt gerade der um- gekehrte Schraubensinn die Polarisation. Durch Spie- gelung entsteht also aus einem Teilchen das zugehSrige sogenannte ,,Antiteilchen", das gerade die entgegen- gesetzte Ladung tr~gt. Diese Entdeckung hatte be- sonders interessante Konsequenzen ftir das Verst~ind- his der Eigenschaften eines Elementarteilchens, dessert Existenz vor l~ngerer Zeit von PAuLI aus einer Ana- lyse des/~-Zerfalls der Elemente vorhergesagt worden war, des sogenannten Neutrinos. Beim Studium dieser Konsequenzen ist PAULI im vorigen Jahr auf eine besondere Transformationseigenschaft gestoBen, auf eine bis dahin nicht beachtete mathernatische Sym- metrie der Neutrinowellengteichung. Da nun, wie schon bei der Beschreibung der platonischen KSrper betont wurde, die mathematischen Symmetrien in der Theorie der Elementarteilchen eine besonders wichtige Rolle spielen, konnte man darauf vorbereitet sein, dab der eben genannten Symrnetrie vielleicht eine tiber die spezielle Neutrinogleichung hinausgehende Be- deutung zukornmt.

Das Erfahrungsmaterial fiber die Elementarteil- chen, das in den vergangenen 2 Jahrzehnten gesam- melt worden ist, gibt fiber die Symmetrieeigenschaften in den Grundgleichungen der Materie dort, wenn arch etwas indirekt, Auskunft, woes uns die sogenannten ,,Auswahlregeln und Erhaltungsslitze" liefert. Damit ist folgendes gemeint: Wenn wir aus der Erfahrung

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wissen, welche Teilchen etwa sich in welche anderen radioaktiv umwandeln k6nnen, so kann man daraus Rtickschltisse tiber die Symmetrieeigenschaften der Teilchen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetze ziehen. Bei dem Versuch, das vorhin genannte, in G6ttingen entwickelte mathematische Modell einer Theorie der Materie so umzugestalten, dab es den be- obachteten Auswahlregeln Rechnung tr~gt, waren wir auf eine Gleichung gestoBen, yon der PAULI zeigen konllte, dab sie auch die yon PAULI gefundenen Symmetrieeigenschaften enth~lt. Ferner hatte der tiirkische Physiker Gf3RSEY darauf hingewiesen, dab diese Paulische Symmetrie offenbar eine charakteristi- sche Eigenschaft des Systems der Elementarteilchen wiedergibt, die schon vor 25 Jahren gefunden worden war und mit dem Begriff ,,Isotopenspin" oder ,,Iso- spin", der hier nicht weiter erkl~rt werden soll, eine mathematische Formulierung gefunden hatte.

Damit konnte man eine Gleichung angeben, die -- um es vorsichtig auszudrticken -- zum mindesten im ersten Augenblick so aussieht, als k6nllte sie alle uns bekannten Eigenschaften der Elementarteilchen dar- stellen, als k6nnte sie schon die richtige Gleichung der Materie sein. Die Gleichung lautet:

7~ ~ v • ?, ?sw(w+ ?,,?5~v) = 0.

In ihr bedeutet ~v (ein von den Raurn- und Zeitkoordi- naten abh~tngiger Feldoperator) die Materie; die 7~ sind die einfachen, yon DIRAC eingefiihrten Matrizen (mathematische Gr6Ben aus der Theorie der linearen Transformationen), 1 ist die nattirliche L~ngeneinheit, v o n d e r mehrfach die Rede war. DaB die Licht- geschwindigkeit und die Plancksche Konstante in der Gleichung nicht mehr sichtbar vorkommen, liegt ein- fach daran, dab man diese beiden Grundgrt~Ben be- reits als MaBeinheit benutzt, also gleicll 1 gesetzt hat. Anch die GrSBe I kann nattirlich in der gleichen Weise als MaBeinheit verwendet und gleich t gesetzt werden und tritt dann in der Gleichung nicht mehr anti

Es mul3 an dieser Stelle betont werden, dab es sich bei dieser Gleichung znn~ichst um einen Vorschlag handelt, und dab erst die keineswegs einfache mathe- matische Analyse ihrer Konsequenzen im Vergleich mit den experimentellen Erfahrungen nach einigen Jahren ein sicheres Urteil dartiber erlauben wird, wie weit man mit dieser Gleichung kommt.

Far den Augenblick ist es vielleicht wichtiger, die DenkmOglichkeiten zu studieren, die, ausgehend yon der Planckschen Entdeckung, dutch die geschilderte Entwicklung his zu den Fortschritten der letzten Zeit entstanden sind. Wie sieht die Physik aus, wenn sieh die Hoffnungen der Physiker an dieser Stelle erf~llen ? Die erw~ihnte Gleichung enth~lt neben den drei na- ttirliehen Mageinheiten nur noch mathematische Sym- metrieforderungen. Durch diese Forderungen scheint alles weitere bestimmt zu sein. Man muB eigentlich die Gleichung nur als eine besonders einfache Dar- stellung der Symmetrieforderungen, aber diese For- derungen als den eigentlichen Kern der Theorie be- trachten. Ahnlich wie bei PLATO sieht es daher so aus, als liege dieser scheinbar so komplizierten Welt aus ElementarteiIchen und Xraftfeldern eine einfache und durchsichtige mathematische Struktur zugrnnde. Alle jenen Zusammenh~inge, die wir sonst als Natur- gesetze in den verschiedenen Bereichen der Physik

kennen, sollten sich aus dieser einen Struktur ab- leiten lassen.

An dieser Stelle hat nattirlich die moderne Anf- fassung einen Grad von Strenge, der den griechischen Philosophen v611ig ferngelegen hat, und man muB, um nicht mil3verstanden zu werden, anch die tiefgehenden Unterschiede nnserer heutigen Natnrwissenschaft yon der antiken betonen. Zun~chst besteht ein wesent- licher Unterschied in der Methode, n~mlich darin, dab wir systematisch Experimente anstellen und Theorien nur dann akzeptieren, wenn sie die Experimente wirklich in allen Einzelheiten darstellen. Dann aber ~uBert sich ein weiterer sehr wichtiger Unterschied in der Rolle, die der Zeitbegriff in der Physik seit GALILEI und NEWTON spielt.

Die Elementarteilchen in der Philosophie PLATONS erhielten ihre Symmetrie aus der sogenannten ,,Raum- gruppe", der Gruppe der Drehnngen im dreidimensio- nalen Raum. Es handelt sich also dort um eine sta- tische, unmittelbar anschauliche Symmetrie. Die neu- zeitliche Physik aber bezieht die Zeit yon Anfang an ill ihre Natnrbetrachtung ein. Seit NEWTON ist die Physik auf die Dynamik der Erscheinungen gerichtet. Sie geht yon der Auffassung aus, dab in dieser sich st/indig ver~ndernden Welt nicht die geometrischen Formen das Bleibende sein k6nnen, sondern die Ge- setze. Die Gesetze sind allerdings im Grunde auch nur abstraktere mathematische Formen, die sich aber eben auf Raum und Zeit beziehen. Ein Verst~tndnis der Materie erscheint uns daher nur m6glich, wenn man aus den Experimenten auf mathematisch faBbare Strukturen schlieBt, die Raum und Zeit in gleicher Weise betreffen.

Die endgiiltige Theorie der Materie wird, ~hnlich wie bei PLATO, durch eine Reihe yon wichtigen Symmetrieforderungen charakterisiert sein, die wit heute schon angeben k6nnen. Diese Symmetrien kann man nicht mehr einfach durch Figuren und Bilder erl~utern, wie es bei den platonischen K6rpern m6glich war, wohl aber durch Gleichungen, und ich m6chte einige der wichtigsten Gleichungen hier er- w~hnen, obwohl solche Darstellungen nattirlich nur dem Mathematiker verst~tndlich sein k6nnen.

Eine erste entscheidende Symmetrieeigenschaft wird die sogenannte ,,inhomogene Lorentz-Gruppe" sein, die, wie Sie wissen, die Grundlage der speziellen Relativit~ttstheorie bildet. Eine etwas vereinfachte Darstellung lautet :

v t --c~X x - - v t

, __ _ _ - t ' ? - - ~ ' - ~0 V~ -/~l~) ~' - to V~ - / ~ l ~

Eine zweite, ebenso wichtige Gruppe ist die der Transformationen im Hilbert-Raum, die die Ver- tauschungsrelationen invariant lassen. Diese Gruppe ist die Grundlage der Quantentheorie. Eine ebenfalls etwas vereinfachte Darstellung lautet etwa:

Ferner wird die sogenannte ,,Isospin-Gruppe" und die mit der Erhaltung der Baryonenzahl verknfipfte Gruppe eine Rolle spielen, die, wie wir nack den Untersuchungen yon PAULI und G~RSEY vermuten, durch die Paulischen Transformationen

~ ' = a ~ v + b v s C - l ~ v + ([a21 +]b~I --=t )

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234 W.H. WESTPHAL: MAX PLANCK als Mensch Die Natur- wissenschaften

und ~0' = ei=v~

dargestellt werden. Schliel31ich gibt es noch wichtige Spiegelungssymmetrien, z. B. die Invarianz der Theorie bei Vorzeichenumkehr der Zeit und bei gleichzeitiger Raumspiegelung und Ladungsumkehr. Alle diese Symmetrien werden durch die vorhin erw/ihnte Glei- chung dargestellt -- ob schon in der richtigen Form, wird die Zukunft lehren.

Eine Theorie, die aus einer einfachen Grundglei- chung far die Materie die Massen und die Eigenschaf- ten der Elementarteilchen richtig wiedergibt, ist auch gleichzeitig eine einheitliche Feldtheorie. Der aus den Experimenten erkannte Umstand, dab alle Elementar- teilehen sich ineinander umwandeln k6nnen, deutet darauf hin, dal3 es kaum mSglich sein dfirfte, etwa nur eine bestimmte Gruppe yon Elementarteilehen auszusondern und nur ftir diese Gruppe eine mathe- matische DarsteIlung zu linden. Durch diese Erfah- rung nnd durch die grundlegende Bedeutung der Symmetrieeigenschaften erMlt jeder Versuch einer Theorie der Elementarteilchen, wie z.B. der in der obengenannten Gleichung enthaltene, einen eigen- tfimlichen Charakter yon Geschlossenheit. Man findet Strukturen, die so ineinander verknfipft und ver- schlnngen sind, dab man eigentlich an keiner Stelle mehr Anderungen vornehmen kann, ohne alle Zu- sammenh~nge in Frage zu stellen.

Man wird hier etwa an die kunstvollen Band- ornamente arabischer Moscheen erinnert, in denen so viele Symmetrien gleichzeitig verwirklicht sind, dab man nicht ein einziges Blatt ver~ndern k6nnte, ohne den Zusammenhang des Ganzen entseheidend zu st6ren. Und ~hnlich wie jene Bandornamente den Geist der Religion ausdrficken, aus der sie entstanden sind, so spiegelt sich in den Symmetrieeigenschaften der Quan-

tenfeldtheorie der Geist der naturwissenschaftlichen Epoche, die durch PLANCKs Entdeckung eingeleitet worden ist.

Aber wir stehen an dieser Stelle mitten in einer Entwicklung, deren Ergebnisse man erst in einigen Jahren fibersehen wird. Die Plancksche Entdeckung hat in dem halben Jahrhundert , dessen einzelne Sta- dien ich Ihnen zu schildern versucht habe, bis zu einer Stelle gefiihrt, an der man das Ziel, niimlich das Ver- st~ndnis der atomaren Struktur der Materie aus e in- fachen mathematischen Symmetrieeigenschaften,schon deutlich in den Umrissen zu erkennen glaubt. Selbst wenn man an die Entwicklung der letzten Jahre, v o n d e r ich gesprochen habe, mit all der Skepsis herangeht, die zu den obersten Pflichten des Natur- wissenschaftlers geh6rt, so darf man doch wohl aus- sprechen, dab man hier auf Strukturen yon ganz un- gew6hnlicher Einfachheit, Geschlossenheit nnd SchSn- heit gestogen ist, auf Strukturen, die uns deshMb besonders wichtig scheinen, weil sie nicht mehr ein spezielles Gebiet der Physik, sondern die Welt im ganzen betreffen.

Der 100. Geburtstag MAX PLANCKs f~illt in eine Zeit, die, wenn man sie mit frtiheren Epochen ver- gleicht, in vielen Bereichen, z.B. denen der Politik, der Kunst, der Wertmal3stabe, einen sehr chaotischen Eindruck macht. Es ist daher, gerade wenn man all eine so harmonische PersSnlichkeit wie MAX PLANCK denkt, beruhigend, dab wenigstens in dem einen Bereich, dem PLANCK seine Lebensarbeit gewidmet hat, nichts Chaotisches zn finden ist, dab vielmehr hier Einfachheit und durchsichtige Klarheit noch ebenso bestimmend sind wie zur Zeit PLATONs oder KEPLERs oder NEWTONs.

GSttingen, Max-PIanck-Institut [i~r Physik

Max Planck als Mensch*) Vofl WILHELM H. WESTPHAL, B e r l i n - Z e h l e n d o r f

Die hohe Ehre, dab ich heute fiber MAX PLANCK als Menschen sprechen darf, verdanke ich einzig der Tat- sache, dab ich einer der wenigen noch lebenden Physiker bin, die ihm und seinem Haus fast ein halbes Jahrhun- deft lang freundschaftlich nahestehen durften. Vor etwa 50 Jahren betrat ich, mit einem Einftihrungsschreiben eines Bruders yon Frau PLANCK versehen, zum ersten- real das Hans in der Wangenheimstrage im Berliner Villenvorort Grunewald. Von dem Tage an war ich h~iufiger Gast im Hause PLANCK, in dem Frau MARIE PLANCK, die aus der bekannten Familie MERCK stammte, mfitterlich waltete, und eine herzliche Freundschaft verband reich bald mit den Zwillings- t6chtern EMMA und GRETHE, dem Sohn KARL und den Kindern yon PLANCKS Bruder ADALBERT. ERWIN, das vierte Kind, war betr~chtlich j finger.

In diesem Hause herrschte ein frShliches, geistig angeregtes und ahem SchSnen in Natur und Kunst aufgeschlossenes Leben. In n~chster N~ihe wohnten andere bedeutende Gelehrte, darunter der Theologe

*) Ansprache, gehalten bei der Feier von MAX PLANCKS 100. Ge- burtstag am 25. April 1958 in Berlin.

und Kirchenhistoriker ADOLF VON HARNACK, dessert Schwager, der Historiker HANS DELBROCK, der Bio- loge OSKAR HERTWIG, tier Mediziner KARL BON- HOEFFER, und die Freundschaften der Eltern tiber- trngen sich auf die Kinder.

Das Leben im Hanse PLANCK stand vor allem im Zeichen der Musik. PLANCK war ja hoehmusikalisch und ein ausgezeichneter Pianist, nnd das musikalische Erbgut war auch auf seine beiden TSchter fibergangen. Der weltberfihmte Geiger JOSEPH JOACHIM hat oft und gern mit ibm musiziert. Ein tiefer Eindruck war es, wenn PLANCK und EINSTEIN, der ja ein Meister auf der Geige war, miteinander musizierten. Nach PLANCKs Tod schrieb sein Freund, der Theologe BERTHOLET : , ,Die Harmonie hat er sein Leben fang im Innern mit sich getragen, und was es an Wohllaut in der Welt gab, das 16ste in der Tiefe seines Wesens immer wieder ein klingendes Echo aus. Ich habe ihn 6fter in Konzerten beobachtet: ein wundervoller Zug verkl~irender Beglfickung ging tiber sein Gesicht, wo immer er, Tonsch6nheit dankbar lanschend, sich un- gehemmtem GenuB hingeben durfte. Und wieder sah