die kontroverse um das buch jesus von jo

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  • 7/23/2019 Die Kontroverse Um Das Buch Jesus Von Jo

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    RAFAEL AGUIRRE MONASTERIO

    Die Kontroverse um das Buch Jess, von Jos Antonio Pagola.

    Das Werk und seine Rezeption.

    Abstract (English) Jos Antonio Pagolas Jesus. An Historical Approximation appeared inMadrid in 2007 and generated huge interest in spite of initial criticism and suppression on thepart of the Spanish Bishops Conference. This rapid interest occurred not only in churchcircles and inside Spain, but throughout Latin America. Since then eleven Spanish editionshave appeared, over 120,000 copies have been bought and the first edition has been publishedin numerous translations. In the USA the fifth edition was honoured with the Prize forExcellence for Catholic Publications 2014 by the Society of Catholic Publishers. Now thatthe storm around the book has calmed down, Raphael Aguirre turns his attention anew to thecentral claims of the book, to subject them to a critical evaluation and also to indicate thebooks limitations. He appreciates the central intention of Pagola to make the message and lifeof Jesus attractive to people of our time through historical research, but he also asks whetherPagola brings with it some one-sided narrow opinions. At the same time, Aguirre attempts todraw some lessons from what has happened, from what the book has thrown up, and thealienation that has been exposed in a dramatic way between the church authorities andbelievers in Spain.

    Abstract (Franais) Le livre de Jos Antonio Pagola, Jsus. Approche historique a tpubli Madrid en 2007. En dpit des critiques qui lont accueilli et des rserves de laconfrence des vques espagnols, il a suscit un immense intrt, non seulement dans les

    cercles ecclsiaux et lintrieur de lEspagne, mais dans toute lAmrique latine. Depuislors, il y a eu 11 ditions, et plus de 120000 exemplaires ont t achets. La premire dition afait lobjet de nombreuses traductions. Aux USA, lassociation des diteurs catholiques adcern le prix dexcellence des publications catholiques de 2014 sa cinquime dition.Maintenant que la tempte est calme, Raphal Aguirre revient sur les affirmationsprincipales du livre, pour les soumettre une valuation critique, et pour en indiquergalement les limites. Il approuve lintention principale de Pergola de rendre le message et lavie de Jsus attrayants pour nos contemporains par le biais dune recherche historique, mais ilse demande aussi si Pagola ny associe pas quelques positions troites et unilatrales. Enmme temps, Aguirre essaie de tirer leon de ce qui sest pass, partir de ce que le livre a

    soulev et du foss que lon a vu se creuser de manire dramatique en Espagne, entre lesautorits ecclsiales et les croyants.

    1. Der Fall Pagola

    Das Buch von J. A. Pagola1Jess. Aproximacin histrica (PPC, Erstausgabe Madrid 2007)ist ein historisch und exegetisch serises Buch ohne den geringsten Hang zum

    1Jos Antonio Pagola (1937), Priester der Dizese San Sebastin, studierte am ppstlichen Bibelinstitut in Romund an der cole Biblique et Archologique in Jerusalem. Er war Direktor des Instituts fr Theologie undPastoral in San Sebastin und Dozent fr Christologie am Priesterseminar und an der Theologischen Fakultt frNordspanien (mit Sitz in Vitoria). Von 1979 bis 2000 war er Generalvikar von Bischof Jos Maria Setin, in

    einigen religis und politisch sehr schwierigen Jahren. Trotz seiner pastoralen Verpflichtungen verffentlichte er1984 das BuchJess de Nazaret. El hombre y su mensaje (Pagola 1984). Nachdem er den Posten desGeneralvikars verlassen hatte, widmete er sich vollstndig dem Studium von Jesus und schrieb 2007 diesesWerk, das wir hier kommentieren.

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    Sensationalismus und hatte einen noch nie dagewesenen Erfolg unter den Verffentlichungendieser Gattung. Es sind elf Ausgaben in spanischer Sprache erschienen und ber 120.000Exemplare verkauft worden. Die Originalausgabe von 2007 ist ins Englische, Franzsische,Italienische, Russische, Portugiesische, Brasilianische, Japanische, Baskische undKatalanische bersetzt worden und wird derzeit (im September 2014) ins Ungarische und

    Chinesische bersetzt. In den USA wurde die fnfte Ausgabe von der GesellschaftKatholischer Verleger mit dem Exzellenzpreis fr katholische Publikationen 2014ausgezeichnet, einer Form von Buch des Jahres im Bereich der Theologie. Das Buch hatsowohl unter den Glubigen in weiten Kreisen eine enthusiastische Aufnahme gefunden alsauch unter vielen, die nicht glubig sind. Trotzdem initiierte eine kleine, sehr ideologischgeprgte Gruppe von Anfang an einen regelrechten Kreuzzug gegen dieses Buch mit demErgebnis, dass die Glaubenskongregation der Spanischen Bischofskonferenz (CEDF) einekritische Stellungnahme abgab, obwohl der Bischof der Dizese Pagolas dem Buch sein Nihilobstat erteilt hatte.2Der Erstausgabe von 2007 folgten acht Nachdrucke in wenigen Monaten.2008 erschien eine neunte berarbeitete Ausgabe, in welcher der Autor einige Modifikationen

    im Hinblick auf die an ihn gerichteten Einwnde einfhrte, und welche ebenfalls mitbischflichem Nihil obstat publiziert wurde.3Das Buch ist von einem katholischen Verlagverffentlicht worden, der keine besonders gewagten theologischen Werke zu publizierenpflegt. Dieser verpflichtete sich angesichts des auf ihn ausgebten Drucks, das Werkzurckzuziehen und die in seinen Lagern befindlichen Exemplare zu vernichten.4Der Fallkam vor die Rmische Glaubenskongregation. Der Autor prsentierte fnf kleinenderungen, die das genauer erluterten, was man auch zuvor schon im Text lesen konnte.Die Glaubenskongregation erbat vom Verlag 25 Exemplare des Buches, die an Gutachterbergeben wurden, unter denen sich kein einziger Spanier befand. Schlielich erging vonRom aus das Urteil (Brief von Monsignore Ladaria vom 19. Februar 2013), dass das Buch

    nicht mit dem Imprimatur verffentlicht werden drfe. In die zehnte Ausgabe wurden dienderungen eingearbeitet, die der Autor selbst vorgeschlagen hatte.

    Die Intervention der spanischen Bischfe, die von ultrakonservativen Kreisen bedrngtworden waren, fhrte dazu, dass man mit betrchtlicher Resonanz in der ffentlichkeit vomFall Pagola sprach. Es ist ntzlich, einige Dinge von Anfang an klarzustellen. Der erstePunkt ist, dass keine Bischofskonferenz auerhalb Spaniens sich der Verbreitung des Buchesim eigenen Land entgegenstellte. In den Buchlden der Via della Conciliazione in Rom in derNhe des Vatikans konnte man, als der Widerstand in Spanien am grten war, dieitalienische Ausgabe des Buches finden. In Lateinamerika hatte ich Gelegenheit, mit

    verschiedenen Bischfen zu sprechen, die das Buch gelesen hatten, denen es sehr gut gefallen

    2Die bischfliche Intervention trgt den TitelNota de clarificacin sobre el libro de Jos Antonio Pagola, Jess.Aproximacin histrica(Conferencia Episcopal Espaola 2008) und wurde am 18 Juni 2008 verffentlicht.Vorausgehend, am 16. Juni 2008, hatte Juan Maria Uriarte, der Bischof von San Sebastin, zu welcher Dizeseder Autor gehrt, das Nihil obstat erteilt, nachdem er nicht nur die positive Ansicht der Experten sondern auchdes Zensors, der durch mich ernannt und damit beauftragt worden war, sein Gutachten zu verfassen (im Briefdes Bischofs an den Autor benachrichtigt er diesen ber die Erteilung des Nihil obstat), erhalten hatte.3Die Zitate aus dem Werk stammen aus der 9. Edition, wenngleich ich mich bei einer Gelegenheit auf die 1. unddie 10. Edition beziehen werde.4Der Vorsitzende des Verwaltungsrates des Verlags PPC gibt in einem Schreiben vom 24. September2010unsere Verpflichtung bekannt, die 2.025 Exemplare, die seit Monaten noch immer in unseren Lagern

    zurckgehalten werden, zu vernichten, um so die Durchfhrung jeglicher weiterer Verbreitung der Ausgabe desBuches durch den Verlag PPC zu verhindern. Es ist zu bedenken, dass der Verlag PPC zur Gruppe SM desOrdens der Marianisten gehrt, welcher der groe Herausgeber von religisen Texten ist, die die Approbationder Bischofskonferenz bentigen.

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    hatte und die es unter ihren Glubigen verbreiteten. Zweitens stand der Autor jederzeit bereit,seine Behauptungen zu nuancieren und zu erlutern. Die ersten Attacken gegen das Bucherschienen im November 2007 auf der Internetseite des Bistums Tarazona und bestanden ausfnf Arbeiten bekannter Ultrakonservativer, einige von ihnen mit wichtigen Positionen.Pagola antwortete auf die Einwnde mit einer ausfhrlichen Schrift5, an deren Beginn er

    sagte: In jedem Fall ist meine derzeitige und wird meine zuknftige Disposition dieBereitschaft sein, mein Buch zu verbessern und die Kritiken und Vorwrfe zu beachten, diesie mir machen knnen. Ich mchte den Menschen nur helfen, Jesus Christus besser zukennen, zu lieben und ihm treuer zu folgen. Pagola antwortete nicht wie ein Intellektueller,der in seiner Selbstliebe verletzt ist, noch wie ein gelehriger Kleriker, sondern wie ein Apostelder Sache Jesu. Und es wurden kleine nderungen in den Ausgaben von 2008 (9.) und von2014 (10.) eingefgt, von denen die Presentacin meiner Meinung nach die Wichtigste ist,welche nicht in der Erstausgabe von 2007 vorhanden war.

    Der innerkirchliche Konflikt6, der mglicher Weise den Verkauf des Buches vorangetrieben

    hat, hat meiner Meinung nach kein ernsthaftes intellektuelles Fundament, aber er hat dietheologische und exegetische Debatte ber das Buch verhindert, die sehr notwendig gewesenwre. Ist das Buch schon einmal von allem Verdacht lehramtlicher Abweichung befreit, lohntes sich, das Buch vorzustellen, es kritisch zu untersuchen und nach den Grnden fr einederart positive Aufnahme zu fragen. Das Buch und das, was um es herum entstanden ist, hatsich in ein sehr wichtiges kirchliches Phnomen verwandelt.

    2. Vorstellung des Buches

    Das Buch besteht aus fnfzehn Kapiteln, welche die unterschiedlichen Aspekte des LebensJesu vorstellen, ohne jedoch eine biographische Abfolge anzustreben. Die letzten beidengehen ber das fr eine historische Arbeit bliche hinaus, indem sie von der Auferstehung(Kap. 14) und von der Identitt Jesu (Kap. 15) handeln, mit anderen Worten von der imNeuen Testament vorzufindenden glubigen Reflexion. In einem kurzen Nachwort teilt derAutor den Lesern die wichtigsten berzeugungen mit, zu denen er im Laufe des Buchesgekommen ist. In sechs kurzen und verstndlichen Anhngen werden die methodologischenPrinzipien und die wichtigsten historischen Schlussfolgerungen aufgenommen. Das Buch istin einem einfachen und klaren Stil geschrieben, der den Leser leicht in seinen Bann zieht. Esverwendet weder Fachausdrcke noch begibt es sich in berflssige akademischeDiskussionen. Es hat einige wenige Anmerkungen mit eher fachlichem Charakter, die stetssehr nchtern gehalten sind. Jedes Kapitel schliet mit einer sehr aktuellen internationalenBibliographie, und es wird deutlich, dass der Autor sie ausgezeichnet kennt.

    Pagola legt keine akademische Forschungsarbeit im strengen Wortsinn vor, sondern er sttztsich auf die aktuelle und serise Literatur ber den historischen Jesus und erarbeitet eine sehrpersnliche und abgewogene Synthese. Wie ich bereits angemerkt habe, beginnt das Werk abder neunten Ausgabe mit einer presentacin, die sehr hilfreich und wichtig ist, weil derAutor in ihr deutlich die Absicht und die Methode darlegt, die er in seinem Werk verfolgt hat.Auf sie sttze ich mich in den folgenden Zeilen.

    5Mit dem Titel La verdad nos har libres (Pagola 2008), datiert auf den 15. Januar 2008.6Deshalb denke ich, dass es sich nicht lohnt, in diesem Artikel die Einwnde, die diese Gruppe aus einerradikalen Mentalitt heraus und obendrein auf Grundlage einer willkrlichen Lektre gegen Pagola gerichtet hat,ausfhrlich vorzustellen und zu diskutieren. Trotzdem werde ich einige erwhnen, weil sie klrend sein knnen.

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    2.1. Eine historische Annherung

    So lautet der Untertitel des Werkes. Pagola bekrftigt: Meine Absicht war eine Annherungan Jesus mit historischem Ernst und einer einfachen Sprache, um seine Person und Botschaft

    dem Menschen von heute nherzubringen (S. 6). Es wird deutlich, dass sein Werk nichts mitden derzeit angesagten fiktionalen Romanen zu tun hat. Er hat einen hheren Anspruch: Ichmchte das Anliegen Jesu in der modernen Gesellschaft verbreiten und einen Weg zu ihmvorschlagen, welche die ersten Schritte hin zu seinem Mysterium ermglichen (S. 6). DerAutor legt seine Karten von Anfang an offen: er mchte ein historisches Buch schreiben, aberer beabsichtigt keine unmgliche Neutralitt, sondern er bekennt seine positive Haltunggegenber dem Objekt seiner Untersuchung, die eine pastorale Haltung ist, weil sie daraufabzielt, dass der Leser den Humanismus bis hin zum Mysterium Jesu entdeckt.

    Es ist ein Buch ber den historischen Jesus, mit anderen Worten, wir sprechen ber das

    Wissen von Jesus, ber das die Historiker verfgen, welche die wissenschaftlichen Mittel dermodernen historischen Forschung benutzen []. Man darf meine Untersuchung ber denhistorischen Jesus nicht mit einer Studie ber den Christus des Glaubens, an den wirChristen glauben, verwechseln (S. 7). Diese Untersuchung ist legitim und notwendig. Wennwir bekennen, dass Jesus, der in unsere Geschichte inkarnierte Sohn Gottes ist, warum nutzenwir dann nicht alle uns zur Verfgung stehenden Mittel, um mehr ber seine historischeDimension und sein konkretes menschliches Leben zu erfahren? Unser eigener Glaubeverlangt es (S. 7)7. Die historische Untersuchung kann nicht durch sich selbst zum Glaubenfhren, aber sie kann sicher die Attraktivitt und das Interesse an Jesus wecken.

    Pagola benutzt die Hilfsmittel, die jedem Historiker zur Verfgung stehen, weil, wie er zugibt,mir die Tatsache, glubig zu sein, kein privilegiertes Instrument zukommen lsst (S. 9).Unter den literarischen Quellen bezieht er sich grundstzlich auf die vier kanonischenEvangelien. Er vertritt die Meinung, dass die apokryphe Literatur (die heute von einigenForschern, insbesondere nordamerikanischen, hoch geschtzt wird) und das rabbinischeSchrifttum praktisch nichts beitragen knnen8. Er verwendet die gngigeren Kriterien vonHistorizitt, die er kurz erlutert.

    Der Autor sticht dadurch hervor, dass die vorliegende Untersuchung ber Jesus grundlegendinterdisziplinr ist und dass er auch die Beitrge der Sozialwissenschaft, der Archologie, derSoziologie und der Kulturanthropologie heranzieht. Ich glaube, dass dies eines der groen

    Leistungen des Buches ist: die Kontextbezogenheit des Lebens, Wirkens, der Botschaft undder Person Jesu in seinen sozialen Verhltnissen. In dieser Form erhalten die Taten und WorteJesu Leben und Realismus. Andererseits knnen wir, wenn wir die Dinge nur ordnungsgemmit Jesus in Beziehung setzen, die Neuartigkeit erfassen, die er hineingebracht hat. Pagolarealisiert diese Kontextualitt in praktisch allen Kapiteln mit Sachkenntnis (er hat eine Zeitlang in Palstina gelebt), Sensibilitt und Bravour.

    7Pagola verweist in einer Funote auf J. Ratzinger Benedikt XVI.:Jess de Nazaret, (Ratzinger 2007): Diehistorische Methode ist und wird weiterhin eine Dimension der exegetischen Arbeit sein, auf die nicht verzichtet

    werden kann (S. 11). Ja, die Geschichte, das Faktische bilden einen wesentlichen Teil des christlichenGlaubens, dieser muss sich der historischen Methode stellen. Der gleiche Glaube fordert es. (S. 11).8Es ist unerklrlich, dass in einer Notiz des CEDF aus dem Jahr 2008 gesagt wird: in diesem Werk werden mitgleicher Autoritt kanonische Schriften und Apokryphen zitiert (n 6).

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    Die als Zugestndnis erschienene Unterscheidung zwischen dem historischen Jesus unddem Christus des Glaubens wird immer wieder aus unterschiedlichen Perspektivenhinterfragt. Es ist ein Problem, das die Exegese und die Fundamentaltheologie betrifft. Pagolastellt mit groer Klarheit die Rolle dar, die der Glaube bei seiner historischen Untersuchunggespielt hat: 1. In der historischen Forschung rekurriert er selbstverstndlich nicht auf den

    Glauben. 2. Sein Glaube war der erste Anreiz fr seine Arbeit. Dieses Buch wurde ausmeinem Glauben und aus meiner Liebe zu Jesus Christus geboren (S. 13). 3. Der Glaubeverleiht eine Affinitt zu Jesus, die dazu beitragen kann, seine Bedeutung zu erfassen undauszudrcken. 4. Es ist absolut legitim, dass ein Historiker die Relevanz der Vergangenheit,die er untersucht, fr die Gegenwart aufzeigt. Von hier aus verfolgt das gewhlte literarischeGenus, das narrativ ist, die Intention, dem Leser von heute die Erfahrung derer, die Jesusbegegneten, nher zu bringen.

    Der Autor hatte verschiedene Gruppen von Lesern vor Augen, als er sein Werk schrieb. Erdachte an Christen, mglicher Weise an solche, die alle Vorschriften befolgen, aber nie die

    freudige Erfahrung der Begegnung mit Jesus gemacht haben. Aber Jesus ist nicht dasMonopol der Kirche, sondern Erbe der Menschheit, und Pagola dachte auch an nichtglubigeLeser. Er hatte die Vielen vor Augen, die sich enttuscht von der Kirche entfernt haben, undJugendliche, denen niemand jemals mit Ernsthaftigkeit von Jesus erzhlt hat. Und er dachtenicht zuletzt an jene an den Peripherien der Gesellschaft (Kranke, misshandelte Frauen,Prostituierte, Marginalisierte).

    2.2. Stil und literarisches Genus

    Der narrative Charakter des Buches von Pagola macht es unmglich, es zusammenzufassen.Wichtiger ist es, seine charakteristischen Merkmale zu erfassen. Andererseits liegt dieEigenheit dieses Werkes nicht in der Dichte der Lehre, sondern in der ausfhrlichenDarstellung der Charakterzge Jesu. Es ist sehr symptomatisch, dass Pagola fortwhrendFragen formuliert, um in der Darstellung voranzuschreiten und das Interesse des Lesers zuwecken. Das Buch beginnt folgendermaen: Wer war Jesus? Welches Geheimnis birgt dieserfaszinierende Galiler, der vor zweitausend Jahren in einem unbedeutenden Dorf desRmischen Imperiums geboren und in der Nhe eines alten Steinbruchs in der Nhe vonJerusalem im Alter von etwa dreiig Jahren als Verbrecher hingerichtet wurde? Wer wardieser Mann, der die Religion, die Kultur und die Kunst des Abendlandes bis hin zu seinemKalender entscheidend geprgt hat? [] Warum ist sein Name nicht in Vergessenheitgeraten? (S. 5).

    Auch die Behandlung des Gottesreiches wird mit einer Reihe von Fragen eingeleitet: Washoffte Jesus konkret? Wie stellte er sich die Errichtung des Gottesreiches vor? Was musstewozu geschehen und beschrnkt sich das Gottesreich wirklich auf etwas Gutes fr die Armen?Dachte er nur an die Bekehrung jener, die ihn anhrten, damit Gott ihre Herzen verwandleund in einer immer grer werdenden Zahl von Jngern herrsche? Suchte er schlicht eineReinigung der jdischen Religion? (S. 114).

    Zu Beginn des Kapitels, das den Konflikt mit den Autoritten in Jerusalem behandelt, wird

    der Leser mit einer Lawine von Fragen verunsichert: Was konnte geschehen sein, um zudiesem tragischen Ende zu kommen? War alles ein unglaublicher Irrtum? Was hat der Prophetdes gttlichen Erbarmens getan, um in derartiger Qual zu sterben, die sonst nur kriminellen

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    Sklaven oder gefhrlichen Rebellen gegen die von Rom aufgezwungene Herrschaftzuteilwurde? Welches Verbrechen hat der Heiler der Kranken begangen, um an einem Kreuzgemartert zu werden? Wer frchtete sich vor dem Lehrer, der die Feindesliebe predigte? (S.345).

    2.3. Der Aufbau des Buches

    In den ersten beiden Kapiteln (1. Jude in Galila; 2. Bewohner von Nazareth) wird dieKontextualitt besonders entfaltet: die Situation in Galila, der Prozess der Verstdterung mitder Krise des traditionellen Landlebens, das Leben einer Familie in Nazareth, die kulturellenWerte einer solchen Gesellschaft. Pagola sttzt sich auf die verlsslichen Studien von Freyne,Horsley, Sanders, Stegemann, Oakman etc. Im Kapitel 3 (Gottsucher) stellt er Jesus mitJohannes dem Tufer vor, dem Prediger des unmittelbar bevorstehenden Gerichts. MglicherWeise machte Jesus hier eine entscheidende und grundlegende Erfahrung und entdeckte einen

    Gott, der sich den Menschen mit dem Angebot bedingungsloser Liebe nhert, der jedeneinzelnen sucht, mehr noch, dessen Suche sich bevorzugt auf die Ausgeschlossenen, dieArmen, die Snder ausrichtet. Jesus entdeckt Gott als den Erbarmungsvollen und Freund desLebens. Hier liegt der Schlssel zum Leben Jesu. Jesus distanziert sich vom Tufer, er bleibtnicht am Jordan, er geht, um die Menschen zu suchen, weil er eine eigene und andere Missionzu erfllen hat.

    Das folgende Kapitel (Prophet des Reiches Gottes) beginnt mit einer ausgezeichnetenBeschreibung von Kapharnaum und der Umgebung des Sees. Das Reich Gottes ist keineberzeitliche Botschaft, sondern man muss sie aus der leidvollen Situation heraus verstehen,in der sich die Landbevlkerung Galilas befand und in Fortsetzung der Verkndigung vonDeutero-Jesaja und Daniel, die ihr prophetisches Wirken in den schwierigsten Momenten derGeschichte Israels. Das Kapitel 5 (Poet des Erbarmens) ist den Gleichnissen gewidmet, mitdenen Jesus das Wesen des Reiches Gottes in Erinnerung ruft. Der Titel bietet den Schlssel:Jesus verkndet und vergegenwrtigt das Erbarmen Gottes. Das Kapitel 6 (Der Heiland desLebens) stellt das Handeln Jesu vor. Wie die berschrift ankndigt, will Jesus, dass dasLeben behtet und gefrdert wird, dass die Menschen glcklich sind und sich so das Reichdes Gottes des Lebens verbreitet. Er greift auf die medizinische Anthropologie zurck, um dieHeilungen Jesu zu verorten, und auf die Erkenntnisse der Kulturanthropologie, um dasrevolutionre Potenzial der Exorzismen Jesu klar herauszustellen (er folgt Guijarro, Pilch u.a.): Dies ist das Reich Gottes, das mit groer Sehnsucht erwartet wird: der Zusammenbruchdes Bsen, das Hereinbrechen des gttlichen Erbarmens, die Elimination des Leidens, dieAufnahme der Ausgeschlossenen in die Gemeinschaft, die Errichtung einer von allem Leidbefreiten Gesellschaft (S. 185).

    In Kapitel 7 (Verteidiger der Letzten) liefert er neue Daten ber Galila in derBeschreibung der Letzten dieser Gesellschaft. Das Reich Gottes bedeutet eine totale Wendein der Art und Weise, das Leben zu begreifen, es ist die erbarmende Liebe, die am Anfangwar und den Hintergrund fr das ganze Handeln Jesu bildet (S. 207). In diesem Kapitelnimmt er auf verschiedene Gleichnisse Bezug, darunter jene bei Matthus 25,31-46. Jesusempfngt die Snder, ohne von ihnen zu fordern, sich zu bekehren, aber er bietet ihnen die

    Vergebung mit der Macht des Gottessohnes an. Das Kapitel 8 (Freund der Frau) wird wieeine Weiterentwicklung des Vorangegangenen vorgestellt, weil alleinstehende Frauen dieArmen schlechthin waren. Unter seinen Wanderschlern befanden sich Frauen. Es mussten

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    wohl alleinstehende und unglckliche Frauen gewesen sein, die in der Bewegung Jesu dieAlternative eines wrdevolleren Lebens sahen (S. 227). Jesus wird nicht nur als Prophetangesehen, sondern auch als Lehrer. Diesen Aspekt spricht er in Kapitel 9 an (Lehrer desLebens). Jesus benutzt Sinnsprche, bertreibungen, Sprichwrter, greift auf Ironie undHumor zurck. Aber er ist kein Lehrer, der sich der Auslegung des Gesetzes verschreibt. Er

    lehrt die Menschen zu leben, indem sie auf das Erbarmen Gottes antworten. Er betreibt keineHaarspalterei. Sein Bezugspunkt ist, dass sich das Erbarmen Gottes ausbreitet und dasgesellschaftliche Leben gestaltet. Das Kapitel 10 (Schpfer einer Erneuerungsbewegung)stellt die neugierige Menge vor, die Eingeweihten, die sich in ihren Husern versammelten,die Anhnger, die ihn begleiteten und die innerste Gruppe der Zwlf. Um Jesus versammeltsich eine Gruppe von Mnnern und Frauen, die ihm bedingungslos folgen, die von ihm lernen,was ein Leben des absoluten Gottvertrauens bedeutet. Weil ich ihn fr sehr reprsentativ frdie Art von Einwnden halte, die gegen das Buch vorgebracht wurden, zitiere ich einenAbsatz aus der ersten Ausgabe, der in der berarbeiteten Version (aus dem Jahr 2008) fastvollstndig gestrichen worden sind: Jesus konnte weder, noch wollte er eine starke und gut

    organisierte Institution anstoen, sondern eine Bewegung, die dafr Sorge trgt, dass sich dieWelt in einer Grundhaltung des Dienens und der Liebe verwandelt. Er dachte weder an guteHerrscher noch an sachkundige Doktoren. Er suchte weder Befehlsgewalten noch geschickteStrategen. Seine erste Sorge war es, eine Bewegung von Brdern und Schwestern zuhinterlassen, die fhig sind, den Menschen auf den letzten Pltzen der Gesellschaft zu dienen.Sie sollten das beste Zeichen und der wirksamste Samen des Reiches Gottes sein9.

    In Kapitel 11 (Der treu Glaubende) stellt er die religise Erfahrung Jesu vor, ohne die mannichts von seinem Leben verstehen kann. Jesus lebte in der Religion Israels, und einigePassagen ihrer Schriften haben ihn besonders beeinflusst. Die Erfahrung am Jordan war

    entscheidend. Er fhlte sich als Sohn Gottes in einer besonderen Art und Weise, Gott ist seinVater, der Geist treibt ihn an zu lieben, zu heilen, die Ankunft des Reiches Gottes zuverknden. Er glaubt, dass Gott die Gte und das Erbarmen ist, der das Leben und das Glckder Menschen will. Wenn Pagola versucht, einige Phnomene des religisen Lebens Jesu zuerlutern (Exorzismen, Heilungen, seine religise Erfahrung), folgt er nicht den Autoren, mitdenen er sonst sympathisiert, wenn diese von hheren Bewusstseinszustnden sprechen.Das Kapitel 12 (Konfliktgeladen und gefhrlich) handelt von der Ankunft Jesu in Jerusalemund von den nachfolgenden Ereignissen. Er beginnt mit einer kontextuellen Einordnung,welche die Macht der Hohepriester, den Einfluss des rmischen Statthalters und das Getseder mit Pilgern wegen des Paschafestes gefllten Stadt zeigt. Er beschreibt drei grundlegende

    Gegebenheiten: Den Einzug Jesu in Jerusalem auf einem Esel, den er interpretiert als Satireund Spott auf die triumphalen Einzge, welche die Rmer veranstalteten, um die erobertenStdte in Besitz zu nehmen (S. 369)10. Zweitens behandelt er die Zeichenhandlung derVertreibung aus dem Tempel, , die schwierig zu deuten ist, die aber die Entscheidung, Jesuszu tten, beschleunigt hat. Unter der berschrift Unvergesslicher Abschied spricht er vomLetzten Abendmahl und von den symbolischen Gesten mit Brot und Wein: DieGemeinschaft mit ihm wurde durch seinen Tod nicht zerstrt; sie wird bewahrt bis sie einesTages alle gemeinsam den Kelch des neuen Weines im Reich Gottes trinken [] indem siedieses Abendmahl wiederholen, nhren sie sich mit der Erinnerung an ihn und mit seinerGegenwart [].Mit seinem Abschied entwirft Jesus im Keim die Hauptlinien seiner

    9In der ersten Ausgabe auf Seite 292. In der berarbeiteten Ausgabe des Folgejahres (2008) auf Seite 302.10Diese Interpretation hnelt jener von Carter 2011, 187-190; vgl. Carter 2006, Kap. 8. Siehe auch Leander2013, 255-268.

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    Bewegung: eine Gemeinschaft, die durch ihn selbst genhrt wird und die sich ganz dem Zielverschreibt, die Wege fr das Reich Gottes zu ffnen, in einer Haltung des demtigen undgeschwisterlichen Dienens, mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen beim letzten Fest (S. 379-380)11. Das Kapitel 13 (Mrtyrer des Reiches Gottes) beschreibt die Ereignisse der Passion,das Eingreifen der jdischen und rmischen Autoritten. Wie die Mehrheit der gegenwrtigen

    Forscher glaubt Pagola, dass Pilatus Jesus nicht verurteilt hat, um dem Druck nachzugeben,sondern weil er glaubte, dass das Echo, das er auslste und der Inhalt seiner Verkndigungeine Gefahr fr die kaiserliche Politik bedeuteten. Den Verlauf der Ereignisse erzhlt erausgehend von einer kritischen Lektre der Texte, wobei er die rmische Urteils- undHinrichtungspraxis bercksichtigt. Das letzte Kapitel des Buches widmet er dengrundlegenden Haltungen Jesu und tut dies, indem er der Szene in Gethsemane und denWorten Jesu am Kreuz folgt. Er geht dabei davon aus, dass diese Texte von sehr vielnachtrglicher theologischer Interpretation geprgt sind, nimmt aber an, dass siewahrheitsgem die grundlegenden Haltungen Jesu widerspiegeln. Nur wenn man dieseSeiten wie ein radikaler Fundamentalist liest, kann man Pagola vorwerfen, die Historizitt der

    Evangelien zu bezweifeln und tatschlich einen Bruch zwischen dem Glauben und derGeschichte herzustellen12.

    Ein Buch mit historischem Charakter knnte in seiner Darstellung hier enden. Pagola fgtjedoch noch zwei weitere Kapitel an. Es endet nicht alles auf dem Kalvarienberg. Sehr baldbegannen seine Jnger zu verknden, dass Jesus von Gott auferweckt worden sei. DieBewegung, die er in seinem Leben begrndet hatte, lste sich nicht auf, sondern setzte sichfort auf Grund der Bindung an Jesus, die in seiner Person begrndet war. Das ist aus Sicht desGlaubens unbestritten. Aber was kann man darber historisch sagen? Das Kapitel 14(Auferweckt durch Gott) geht einige historische Fragen an: Was verstanden die Jnger

    unter Auferstehung? Etwas, das Jesus real widerfahren ist, das aber unsere Erfahrung vlligbersteigt. Welchen Prozess durchlebten die Jnger, der sie zu einer so auerordentlichenBehauptung brachte? Ein sehr komplexer Prozess, in dem verschiedene Faktorenzusammenkamen: die Reflexion ber das Leben mit Jesus, seinen Glauben an Gott und anseine Gerechtigkeit, seinen Glauben an die Auferstehung, das Gefhl, Vergebung zu erfahrenund von Jesus eingeladen zu sein, dies in einer neuen Weise gegenwrtig zu machen13. Es gibteine dritte Frage: Blieb das Grab Jesu leer? Pagola folgert: die Erzhlungen stellen dasVerschwinden des Leichnams als selbstverstndlich dar. Nur so ist die Auferweckung in derbiblischen Art des Denkens und Fhlens vorstellbar (S. 445)14. Die Jnger hatten begriffen,dass sich Gott Jesus und sein Leben des Erbarmens und der Vergebung durch die

    Auferweckung zu eigen gemacht hatte. Im letzten Kapitel (Vertiefung der Identitt Jesu)

    11Es ist verwunderlich, dass die Nota de clarificain der Glaubenskongregation der spanischenBischofskonferenz(Nota 14 vgl. Nota 13) zu dem Buch von Pagola die Behauptungen dieses Autors mit jenenvon Lietzmann 1926 in Verbindung bringt, nach dem die Einsetzung der Eucharistie nicht auf Jesuszurckgefhrt werden kann.12Diese Anschuldigungen wiederholen sich in derNotader CEDF (n 3. 5. 20).13Pagola war sich diesbezglich in den vorausgehenden Ausgaben im Klaren, aber um seine Kritikerzufriedenzustellen, hat er in der 10. Ausgabe drei kleine Abschnitte eingefgt, die in der 9. berarbeitetenAusgabe von 2008 nicht vorhanden waren. Der erste ist eine Anmerkung (die 21) auf Seite 431. Die anderensind Zitate aus dem Buch von J. Ratzinger Benedikt XVI. ber Jesus. Vgl. Ratzinger Benedikt XVI. 2007.14In der berarbeiteten Ausgabe von 2008 streicht der Autor einen Abschnitt aus der ersten Ausgabe von 2007

    (S. 433), in der erlutert wird, wie es im Judentum dieser Zeit unterschiedliche Weisen gab, die Auferstehung zuverstehen, einige eher weltlich und andere eher spirituell. Sich sttzend auf 1 Kor 15,50 und der Ansicht vielerForscher folgend war er der Meinung, dass die Auferweckung Jesu als eine radikale Neuheit des Schpfers keinebiochemische Substanz der im Grab aufbewahrten Leichnams bentige.

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    stellt er zwei einschlgige Passagen aus dem Neuen Testament vor. In der ersten schaut er aufdie Evangelien, die er jetzt nicht wie Gegenstnde einer historischen Untersuchung, sondernwie Glaubenszeugnisse behandelt und zeigt, wie sich das Bild Jesu in jedem einzelnen vonihnen offenbart. In der zweiten Passage untersucht er die verschiedenen christologischen Titelindem er ihre Ursprnge, ihre christliche Neuinterpretation und den Aspekt des Glaubens an

    Jesus aufzeigt, den sie entfalten15.

    3. Bewertung

    3.1. Der positive Beitrag des Buches von Pagola

    Der groe Beitrag des Buches liegt darin, ein Bild von Jesus zu prsentieren, das plausibelund historisch gut fundiert ist, das aus einer inneren Affinitt des Autors mit der Materierealisiert wird, die keineswegs verheimlicht wird, aber auch keine berholten kirchlichenVorstellungen mit sich bringt. Es hat gezeigt, dass Jesus fr unsere Gesellschaft interessantist. Fr viele Glubige hat es eine Entdeckung des Zentrums ihres Glaubens bedeutet.

    Das Buch von Pagola ist eine persnliche Synthese von der Forschung ber den historischenJesus mit besonderer Bercksichtigung der Verffentlichungen seit den 80er Jahren desvergangenen Jahrhunderts, die mit groer Kenntnis und mit kritischer Haltung realisiert wird,welche die exegetischen Kenntnisse des Autors zum Ausdruck bringt. Ich nenne dieHauptmerkmale des Buches,welche seine positive Aufnahme erklren: Jesus wird in seinemhistorischen Kontext prsentiert, der sozial und kulturell hervorragend beschrieben wird, wasdazu fhrt, dass seine Lehre und sein Handeln voller Leben und Realittssinn erscheinen.Jesus erscheint als eine auerordentliche Persnlichkeit mit der Fhigkeit, geschichtliche

    Neuerungen einzufhren, was typisch ist fr Personen, die eine Epoche prgen. DasCharakteristische von Jesus ist, dass er, ausgehend von einer einzigartigen religisenErfahrung, einige Traditionen seines Volkes mit seiner Botschaft und seinem Leben derVergegenwrtigung des Erbarmens Gottes verbindet, mit seiner Liebe und seinemEngagement fr ein glckliches Leben aller Menschen, was vor allem in der Suche nach denLetzten und Unglcklichsten in der Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Seine Vision vomReich des barmherzigen Gottes schloss gewisse Werte ein und eine Weise, das Leben zuverstehen, welche die jdischen und rmischen Autoritten im Hinblick auf das etablierteSysteme als subversiv empfanden und Jesus deshalb kreuzigten. Seine Jnger glaubten frh,dass Gott dem unschuldigen und gewaltlosen Opfer Gerechtigkeit widerfahren lie und

    fhrten seine Sache fort.

    15DieNotades CEDF wurde am 18. Juni 2008 verffentlicht. Am 23. Juli des gleichen Jahres unterschrieben 28spanische Theologen einige Consideraciones para una valoracin crtica(Betrachtungen zu einer kritischenBewertung) der genanntenNota. In dieser Anmerkung heit es, dass der schwerwiegendste Vorwurf gegen dasWerk von Pagola der Bruch zwischen der historischen Forschung ber Jesus und dem Glauben an ihn ist. Aberentgegen dem, was unter den historischen Jesusforschern einschlielich katholischer Autoren blich ist, hatPagola die Kapitel 14 und 15 hinzufgt. Die Theologen schreiben dazu: Auf diese Weise besttigt er dieKontinuitt, die zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens existiert. Dieser Gesichtspunkthilft den Lesern, besser zu verstehen, wie der Glaube an Christus schrittweise aus dem Wissen ber Jesus, dasseine Jnger haben, hervorgeht, das heute im Licht der Auferstehung interpretiert und immer mehr mit

    tiefgreifenderen Namen und Titeln ausgedrckt wird, um die wahre Identitt Jesu in Worte zu fassen. Es istunverstndlich, warum die Notiz diesen Beitrag des Autors vllig ignoriert, []. Nur indem man sein ganzesWerk verflscht, kann man ihm den Vorwurf des Bruches zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christusdes Glaubens machen (Varios Autores 2008).

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    Dieses Buch bedient sich eines narrativen literarischen Genus, jedoch mit einem sehr klarenroten Faden: der erbarmende Gott, der Freund des Lebens, der die Freiheit und das zu denbestehenden kulturellen Normen gegenlufige Verhalten Jesu erklrbar macht, und dereinldt, in das Reich Gottes einzutreten, auf eine alternative, humane und geschwisterlicheArt zu leben, wie Jesus es angeboten hat. Hinter dem Text stehen umfangreiche Kenntnisse,

    jedoch vermeidet er es, in fachliche Diskussionen einzusteigen, da es seine Absicht ist, einbreiteres Publikum zu erreichen. Es war ein notwendiges und hervorragendes Unternehmen,einem groen Publikum ein serises Buch ber Jesus zu bringen, das weit entfernt von densensationsheischenden Fiktionen ist, welche man ihm sonst darbietet, und wir knnen nichtanders, als uns und diesen Autor zu beglckwnschen, weil ihm diese Objektivittvollkommen gelungen ist.

    3.2. Grenzen des BuchesGeht man ein historisches Buch mit dogmatischen Vorannahmen an, interpretiert man es vonBeginn an falsch. Und wenn man wie es geschehen ist die Intention des Autors und dieBuchstaben seines Textes verdreht, wird jede ernsthafte Diskussion ber den Inhalt desWerkes unmglich. Heute jedoch, nachdem sich die Wogen geglttet haben, knnte esntzlich sein, einige Punkte eines so einflussreichen Buches zur Diskussion zu stellen.

    Das Buch von Pagola hat sich sehr auf einen Aspekt von Jesus sicher mit einerSchlsselfunktion konzentriert, was dazu gefhrt haben knnte, andere Aspekte zuvergessen. In methodologischer Hinsicht grndet seine Untersuchung groenteils auf den

    Gleichnissen und der Darstellung, die von ihnen ausgeht. Das ist sicherlich besondersansprechend und gelungen. Das Problem ist, dass er ihnen mglicher Weise einenbermigen historischen Wert beimisst. Mit anderen Traditionen geht er sehr viel kritischerum. Es gibt Gleichnisse vom Gericht, die nicht so leicht mit seinem Jesus des Erbarmensund dem Freund des Lebens zusammenpassen und die nicht erwhnt werden (Mt 13,47-50;25,1-13; 25, 14-30). Er konzentriert sich auf ein bestimmtes Bild von Jesus, aber er tut es aufeine zu ausschlieliche und wiederholende Weise, die ihn dazu fhrt, von anderen wichtigenAspekten abzusehen, die ebenfalls zu finden sind, zum Beispiel in seiner Lehre.

    Jesus betreibt sicherlich keine Kasuistik in einer Hinwendung zum Gesetz, aber er nimmtdarauf bezogen durchaus grundlegende Bekrftigungen vor. Es gibt ein zentrales Element imLeben Jesu, das in seinem Verhltnis zu Israel besteht. Jesus wandte sich an das Volk Israelals solches, dem das Reich Gottes verkndet wurde und rief es als Volk zur Bekehrung auf.Und dies brachte Texte mit sich, die Drohungen enthielten, die man schwer aus dem Bild deshistorischen Jesus eliminieren kann. Pagola richtet sich kaum nach diesen Aspekten, vielleichtweil er sie fr weniger relevant fr die Gegenwart hielt, die ihn aber dazu zwangen, andereElemente in sein Bild von Jesus einzufhren.

    Eine andere Begrenztheit, die ich in dem Buch von Pagola sehe, ist, dass er dieeschatologische und zuknftige Dimension des Reiches Gottes vergisst oder zumindest imHalbdunkel lsst. Er betont immer wieder eine historische Interpretation des Reiches

    Gottes, dass das Reich Gottes Heilung, Befreiung von Entfremdung, Wiederherstellung derWrde der Ausgeschlossenen, bedingungslose Vergebung, Flle des Lebens mit sich bringt.Aber ich glaube, dass er nicht gengend Aufmerksamkeit auf die Hinweise Jesu zur Zukunft

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    des Reiches Gottes legt. Dies ist gegenwrtig ein sehr wichtiges Thema in der kritischenExegese. Wie versteht Jesus die Zukunft? Im Judentum gab es unterschiedlicheeschatologische Vorstellungen, einige eher spiritueller, andere eher weltlicher Natur. Liegtetwa kein Schlsselelement in der Wahl der Zwlf, die sich auf zwlf Throne setzenwerden, um die zwlf Stmme Israels zu richten (Mt 19,28; Lk 22,30)? Albert Schweitzer

    meinte in seinem berhmten Werk ber die Geschichte der Jesusforschung, dass diesezuknftige Eschatologie es war, die Jesus zu einem Fremden in unserer Epoche machte(Schweitzer 1972, 620-630). Dies ist eigentlich der Grund, warum einige Nordamerikaner ausdem Jesus Seminar (Borg, Mack) alle Aussprche Jesu ber eine zuknftige Eschatologiefr sekundr halten16. Pagola bringt offenkundig seine Distanz zu dieser Schule zumAusdruck. Aber htte er nicht mehr diesen Aspekt des Reiches Gottes, den Jesus verkndet,bercksichtigen mssen? Htte er diese Dimension nicht strker in sein Bild von Jesusaufnehmen mssen? Wahrscheinlich sprt auch unser Autor die Probleme, die fr unsereZeitgenossen mit diesem Aspekt verbunden sind.

    Jesus verkndet das Hereinbrechen des Reiches Gottes, und dies stellt den Menschen vor eineradikale Alternative, er muss sich entscheiden und eine Wahl treffen. Diesen dringendenAppell an die Verantwortung, der wesentlich fr die Botschaft Jesu ist, sehe ich nicht inausreichender Weise reflektiert. Und er wrde sehr gut mit dem zentralen Faden des Werkeszusammenpassen, denn es gibt nichts, das mehr blostellt, als eine Liebe, die uns kostenlosund unverdient angeboten wird. Fr besonders bedeutsam erachte ich die Tatsache, dass Jesuseine enge und untrennbare Verbindung zwischen seinem Wirken und seiner Person und derAnkunft des Reiches Gottes herstellt. Dies taucht in alten und eindeutig vorsterlichen Textenauf (Lk 10,23-24; 11,29-32). Dies ist ein sehr wichtiger Charakterzug des historischen Jesus,der sich nicht, oder zumindest habe ich ihn nicht entdeckt, im Buch von Pagola findet. Diese

    Untrennbarkeit von Jesus und dem Reich Gottes fhrte dazu, dass die ersten Jnger meinten,dass die zuknftige Flle des Reiches die Parusie oder die Ankunft des Herrn voraussetzenwrde, was den ursprnglicheren Christusglauben durchdrang.

    Ich ende mit einem Einwand anderer Art. Pagola bezieht sich auf die Studien derKulturanthropologie, die auf den historischen Jesus bertragen werden, aber ich glaube, dassdies einige Male nicht klar ist oder zu kurz greift. Whrend er ber die Exorzismen Jesuspricht (ein unumstrittenes historisches Faktum, da es sich in den ltesten Texten findet) weister auf seinen gesellschaftlich umstrzlerischen Charakter hin, der durch die Anthropologieans Licht gebracht worden sei, aber er erklrt nicht deutlich, was Geistbesessenheit indieser Zeit bedeutete, noch wen sie hauptschlich heimsuchte, noch auf welche Mechanismensie reagierte. Genauso bewegt sich die Beschreibung des Prozesses, der die Jnger dazubrachte, die Auferweckung zu verkndigen, deutlich auf der vernnftigen Linie vonSchillebeeckx, aber er htte wie es die Exegeten machen, die sich mit derKulturanthropologie behelfen auf die Trauerriten am Grab, die ausschlielich von Frauendurchgefhrt wurden, zurckgreifen knnen, die mit dem korrespondieren, was uns dieEvangelien berichten und die nicht selten von auergewhnlichen Erfahrungen wie

    16Fr diese Betrachtungsweise hatte das Werk von John S. Kloppenborg, The Formation of Q: Trajectories inAncient Wisdom Collections(Kloppenborg 1987) groen Einfluss, der die Meinung vertritt, dass die erste

    Schicht von Q rein weisheitlich ohne zuknftige Eschatologie ist, die zu einer zweiten Schicht gehre.Allerdings betont dieser Autor darauf, dass sich seine Behauptungen auf eine rein literarische Analyse beziehen,von der man nicht ohne Weiteres historische Auswirkungen ableiten kann. Das Thomas-Evangelium hatebenfalls keine zuknftige Eschatologie.

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    beispielsweise Trancesituationen und Zustnden hheren Bewusstseins begleitet waren17.Die Anthropologie fhrt uns hier in eine Welt und in eine Kultur ein, die von der unsrigensehr verschieden sind. Es ist verstndlich, dass die Herangehensweise, die ich vorschlage, frPagola, der uns seinen Drang bekundet hat, einen Jesus vorzustellen, der fr die Gegenwartbedeutsam ist, nicht leicht ist (wie im Falle der Eschatologie). Es fllt uns schwer, zu

    akzeptieren, dass Jesus sich in einem kulturellen Paradigma bewegte, dass von unserem sehrverschieden ist. Wir finden uns in der merkwrdigen Situation, dass nichtglubigeKulturanthropologen in ihrem Studium der alten Welt (und der zeitgenssischen altenKulturen) die Zustnde hheren Bewusstseins, die Situationen von Trance und diePhnomene der Geistbesessenheit viel leichter akzeptieren, als progressive Theologen18.

    Wer historisch ber Jesus forscht, tut dies unausweichlich unter kulturellen und persnlichenVoraussetzungen. Andererseits ist es absolut legitim, die Augen auf die Vergangenheit inAbhngigkeit von ihrem Wert fr die Gegenwart zu richten. Die historische Annherungvon Pagola erfolgt aus einer pastoralen Perspektive, die der Autor keineswegs verbirgt. In der

    Strke des Buches von Pagola kann auch seine Schwche liegen. Um Jesus fr die Gegenwartrelevant zu machen, hat er Aspekten vernachlssigt, die ihm theologisch weniger attraktiv undanthropologisch archaisierender erschienen.

    4. Das historische Studium von Jesus als ein kulturell unvermeidliche Aufgabe

    Die Resonanz des Buches von Pagola zeigt das groe Interesse, das die Gestalt Jesus vonNazareth weckt, selbst unter Nichtglubigen. Aus diesem Anlass erlaube ich mir eine kurzeReflexion ber den Auftrag von Studien ber den historischen Jesus in der Gegenwart. berlange Zeit hinweg standen sie in Abhngigkeit von unmittelbar theologischen Anliegen.Christologische Anliegen: fr die einen belegte das historische Studium, dass die sptereChristologie eine Verflschung der Person Jesu darstellte, whrend es fr andere seinelegitime Entwicklung besttigte. Und ekklesiologische Anliegen: einige dachten, dashistorische Studium zeige, dass die sptere Kirche gar nichts mit Jesus gemeinsam habe, sodass ihr Anspruch, seine Sache fortzusetzen, vllig illegitim sei, whrend fr andere dieKirche dem Vorhaben Jesu voll und ganz entspreche, in einigen Fllen wurde sogar gesagt,dass sie auf explizite Grndungsakte von Jesus zurckgehe.

    Diese Fragen sind legitim, aber sie drfen die Agenda der historischen Studien ber Jesus inden Zeiten, in denen sie durchgefhrt werden, nicht prgen und noch weniger lenken 19. In

    unserer skularen Gesellschaft, in der eine gewaltige religise Unwissenheit herrscht, ist einehistorische Studie ber Jesus abseits von unmittelbar konfessionellen Anliegen ntig. Es istnicht so, dass die Distanz zwischen Jesus und dem Bild, das die Kirche von ihm entwirft,aufgehrt htte, ein Problem und manchmal auch ein rgernis zu sein. Aber das ist nichtalles. Auf die gleiche Weise, mit der wir fordern, dass die Bibel und die Evangelien nicht dasMonopol der Kirche sondern eine Erbe der Menschheit sind, muss man dies auch von Jesussagen. In der profankulturellen Debatte drfen wir uns nicht darauf beschrnken, nicht einmal

    17Umfangreiche Bibliographien zu dem Thema finden sich in (Bernab 2008, 307-352) und (Corley 2010).18Es gibt unzhlige kulturanthropologische Studien. Ein grundlegendes Werk ist (Lewis 1989), eine groartige

    Einfhrung (Miquel 2009) und (Miquel 2011). Vgl. (Davies 1995). J. Pilch hat zahlreiche Artikel zu diesenThemen. Ich nenne hier nur (Pilch 2002, 103-115) und (Craffert 2008).19Rund um die aktuellen Studien ber den historischen Jesus vgl. mein BuchLa memoria de Jess y loscristianismos de los orgenes(Aguirre 2015, 71-123).

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    damit beginnen, Jesus einfach so zu prsentieren, wie er in den Evangelien dargestellt wird.Eine Alternative zur konfessionell gebundenen und glubigen Lektre der Evangelien ist nichtdie einfache philologische und literarische Zergliederung der Texte, sondern es kann dieBegegnung mit einer Persnlichkeit sein, die tatschlich die Weltgeschichte verndert hat. Diehistorische Forschung stimmt heute darin berein, den auergewhnlichen Charakter der

    Persnlichkeit Jesu anzuerkennen, mit dem er durch seine gegenkulturelle Sicht der Realitteinen Weg enormer menschlicher Tiefe angeboten hat, der ihn ans Kreuz brachte. Mehr noch,die strikt historische Betrachtungsweise zeigt, dass eine besondere religise Erfahrung, die aufdem Nhrboden seines jdischen Volkes entstand, aber personenbezogen neu formuliertwurde, sich an der Wurzel seiner Persnlichkeit befindet. In einer weitgehend postchristlichenKultur wie der unseren ist es erforderlich, Jesus als eine an sich historische Figurzurckzugewinnen, indem man die seiner Botschaft und seinem Wirken innewohnende Kraftentdeckt, und zwar abseits der Tradition, der erst nachtrglich Raum gegeben wird. Jesus vonNazaret nimmt in der Galerie der historischen Zeugen eines vortrefflichen Lebens einenEhrenplatz ein. Wenn wir in der skularisierten Gesellschaft von Jesus sprechen wollen, ohne

    ihn in das kirchliche Umfeld einzusperren, ist eine ernsthafte historische Suche ohneapologetischen Eifer vonnten.

    Andererseits muss der christliche Glaube weit entfernt von der Angst vor einer historischenberprfung das grte Interesse daran haben, dass das Leben und die Lehre von Jesus vonNazareth von Grund auf erkannt und untersucht wird. Das, wovor die christliche Kirche alleinAngst haben muss, ist, nicht auf der Hhe der menschlichen Vortrefflichkeit und desmoralischen Anspruchs desjenigen zu sein, an den sie als das Fundament ihrer Existenzglaubt.

    Jesus ist eine groe Gestalt der Vergangenheit, deren Einfluss spter mglicherweise vonniemandem bertroffen wurde, und die deshalb ein groes Interesse weckt, sie historischkennenzulernen. Es gibt immer noch Theologen, die versuchen, Jesus zu monopolisieren undsie sehen das rein historische Studium seines Werkes und Lebens verchtlich als einenunrechtmigen bergriff an. Es ist gerade der Charakter der ursprnglichen Quellen, derkanonischen Evangelien, der fortwhrend Fragen aufwirft, die danach verlangen, historischuntersucht zu werden.

    Der glubige Forscher muss an der kulturellen Debatte seiner Zeit teilnehmen und deshalb mitden ernsthaften historischen Studien ber Jesus, die aus Sichtweisen durchgefhrt werden, dienicht vom Glauben geprgt sind, unter einer doppelten Voraussetzung in Dialog treten: dass

    der Glaube keine Vorbehalte gegenber der historischen Forschung hat und dass der Glaubenicht die Schlussfolgerungen bestimmen darf, zu denen man mit der erwhnten Untersuchungkommen msste.

    5. Der Fall Pagola und die Lage der Kirche in Spanien

    Der Fall Pagola hat in Spanien die gewaltige Kluft zwischen den bischflichen Anweisungenund dem Denken und Fhlen der groen Mehrheit der Glubigen zum Ausdruck gebracht. DieCEDF machte dem Buch schwere lehramtliche Vorwrfe, aber es verbreitete sich massiv in

    den Pfarreien und in den verschiedensten christlichen Gruppen, es wurde von Leuten mit sehrunterschiedlichen Interessen verwendet und darber hinaus mit hohem geistlichen Nutzeneingesetzt. Selten wurde mit so groer Klarheit der Abgrund zwischen den Verlautbarungen

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    der Hierarchie und dem Denken der Glubigen deutlich. Die Kritik der Bischfe machte frdas Buch eine unbezahlbar effektive Werbung. Meiner Meinung nach hat dieser ganze Fallein sehr ernstes Problem ans Licht gebracht (das in verschiedenen Bereichen zum Ausdruckkommt): das Problem der Rezeption des bischflichen Lehramtes und seiner moralischenAutoritt, nicht nur in der Gesellschaft insgesamt, sondern auch unter den Glubigen der

    Kirche in Spanien.

    Das Verbot der Verbreitung eines Buches, mehr noch die Forderung, die auf Lagerbefindlichen Exemplare zu vernichten, heit nicht nur, in der heutigen Zeit Unmglicheserreichen zu wollen, sondern es ist eine Intoleranz, die einen unabnderlichenAnsehensverlust in unserer Gesellschaft zur Folge hat, von der sie ein derartiges Verhaltenfordert. Die Art und Weise, wie sich der Fall entwickelt hat, zeigt die geringe Qualitt derAnschuldigungen, die gegen das Buch formuliert wurden. Die Modifizierungen, die der Autoreingefgt hat, um das vatikanische Dikasterium zufriedenzustellen, waren recht gering undhatten eher den Charakter von Erluterungen als von Vernderungen seiner Gesichtspunkte.

    Vom ersten Augenblick an gab es Theologen, denen das Buch mehr gefallen hat als anderen,aber die allgemeine Ansicht (man muss die Ultrakonservativen ausklammern, die auf eineunverstndliche Rckendeckung durch die Bischfe zhlten), war, dass es keine die Lehrebetreffenden Irrtmer enthlt, wenngleich sehr wenige sich trauten, das ffentlich zu sagen.Ich bin sicher, dass verschiedene spanische Bischfe das Buch gelesen und geschtzt hatten.Nicht zu schweigen von Bischfen aus anderen Breitengraden wie z.B. Kardinal Ravasi, derdas Buch von Pagola ohne irgendeinen Tadel als eine narrative Vorstellung des Lebens Jesubezeichnete (Ravasi 2010). Der Konflikt, der um dieses Buch erzeugt worden ist, hat dasstickige Ambiente an der Spitze des Episkopats zum Ausdruck gebracht, das Fehlen derFreiheit der Theologen, die Vorherrschaft einer ultrakonservativen Mentalitt (theologisch

    und politisch), die Unterwrfigkeit und die Angst vor der Verurteilung oder der Ausgrenzung,die ber viele Jahre hinweg in der Kirche Spaniens geherrscht hat und natrlich ihrealarmierende Entfernung von der Gesellschaft. Glcklicherweise hat sich die Situation nun,whrend ich diesen Artikel schreibe, merklich gendert. Der Stil und die Wegweisungen vonPapst Franziskus und die Erneuerung der Spitze der spanischen Bischofskonferenz haben einsehr viel entspannteres und brderlicheres Klima eingefhrt, die Vielfalt an Stimmen undCharismen wird akzeptiert. Ich bin sicher, dass das Buch von Pagola, wenn es heute zumersten Mal publiziert wrde, absolut kein Problem mit der kirchlichen Autoritt htte.Mglicherweise htte es dann auch nicht eine solche mediale Resonanz gehabt.

    Viele von uns haben die Attacken gegen das Buch von Pagola bestrzt und bekmmert. Nunaber bewundern wir es und freuen uns darber, dass dieses Buch dazu beigetragen hat, dieErinnerung an Jesus auf erstaunliche Weise zu befrdern. Es hat die auergewhnliche Kraftder Person und der Botschaft Jesu zum Ausdruck gebracht. Dieses Buch hat sich in einInstrument der Evangelisierung ersten Ranges in Spanien und, wie es scheint, auch an anderenOrten verwandelt20.

    20Nach dem Buch, das wir hier besprochen haben, hat Pagola vier kleine Kommentare zu den Evangelien unterdem generischen TitelEl camino abierto por Jess(Pagola 2010, 2011, 2012, 2013a) geschrieben, in denen erSchriften, die er ber viele Jahre hinweg verffentlicht hat, wieder vorlegt. Im Juni 2014 hat er Volver a Jessverffentlicht, in dem er die Notwendigkeit darlegt, zur Person Jesu und zum Vorhaben der Humanisierung des

    Reiches Gottes zurckzukehren. Die groe Aufnahme des Buches ber Jesus hat eine pastorale Notwendigkeitzum Ausdruck gebracht und Pagola hat nicht gezgert, auf sie zu antworten. Mitte Juni 2014 hat er gleichzeitigin Madrid, Bogot, Mexiko und Buenos Aires ein weiteres Buch Grupos de Jess (Pagola 2014a)verffentlicht,in dem er den Entwurf einer gemeinsamen und individuellen Bekehrung zu Jesus vorschlgt. Trotz alledem hatte

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    Pagola, J. A. (2008a): Creer, para qu? Conversaciones con alejados. Madrid, PPC.

    Pagola Zeit, zwei weitere Bcher zu schreiben: Pagola 2008a und Pagola 2013b. Diese nachtrgliche intensiveTtigkeit von Pagola ist ein deutliches Spiegelbild seiner pastoralen Intention, die das Buch, das in diesemArtikel besprochen wurde, immer motiviert hat.

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    bersetzung aus dem Spanischen: Uwe Glsenkamp

    Autor:

    Geboren in Bilbao (Spaniena) 1941. Emeritierter Inhaber des Lehrstuhls fr Theologie an derUniversidad de Deusto (Bilbao). Forschungsgebiete: Synoptische Evangelien, Ursprnge desChristentums, sozialgeschichtliche Bibelauslegung. Einige Verffentlichungen: Del

    movimiento de Jess a la Iglesia cristiana. Una exgesis sociolgica del cristianismoprimitivo", EVD, Estella 2009; Als Herausgebr und Mitautor: As naci el cristianismo,EVD, Estella 2010; Evangelios Sinpticos y Hechos de los Apstoles" (edicin actualizada)EVD, Estella 2012; La memoria de Jess y los cristianismos de los orgenes", EVD, Estella2015. Postadresse: Barrainca 16, 5 izq. 48009 Bilbao, Email: [email protected].