die herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Uwe Krüger
Die Herstellung von
Öffentlichkeit (res publica)
A b t e i lu n g J o u r n a l i s t i k„Große Transformation und ihre Kommunikation“
Evangelische Akademie zu Berlin, 1.-2. Juni 2015
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Gliederung
(1) Öffentlichkeit muss hergestellt werden
(2) Die Strukturwandel der Öffentlichkeit
(3) Journalisten und ihre Selektionskriterien
(4) Lösungsorientierter Journalismus als Chance
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Definition
Befragung ist der Oberbegriff für empirische Datenerhebungsmethoden mit
wissenschaftlicher Zielsetzung, bei denen Personen (einzeln oder in der Gruppe)
durch eine Reihe von Fragen und gegebenenfalls weiterer Stimuli zu Antworten
veranlasst werden. Die Befragung unterscheidet sich insbesondere nach dem
Grad der Standardisierung/Strukturierung (Fragen bzw. Antwortvorgaben) und
dem Modus bzw. der Form der Durchführung (persönlich-mündlich/Face-to-Face,
telefonisch oder schriftlich).
Archaische Gesellschaft (Aremorica, um 50 v. Chr.)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Forschungsprozess und -ablauf empirischer
Untersuchungen (I)
Soziales Problem, Theorieentwicklung/-test, Auftragsforschung
Auswahl und Formulierung des ForschungsproblemsExploration
Theorieentwicklung (Anwendung, Adaption, Neuentwicklung)
Dimensionalisierung und Hypothesenbildung
Forschungsdesign und
-methode
Auswahl der
Untersuchungsobjekte und
Stichprobenziehung
Operationalisierung
(Variablen- und
Indikatorenauswahl)
Moderne Gesellschaft (Berlin, um 2000 n. Chr.)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Öffentlichkeit muss hergestellt werden (I)
Prozess der funktionalen Differenzierung und zunehmenden
Arbeitsteilung Komplexität nimmt zu (ablesbar an mehreren
tausend Berufen)
Problem: „dass die primären Erfahrungen der in den einzelnen
Funktionsparzellen tätigen Menschen (…) so beschränkt sind, dass
sie das Individuum nicht mehr befähigen, (…) auf der Höhe der
kulturell bereitstehenden Möglichkeiten zu handeln“ (Horst Pöttker)
Moderne Gesellschaften brauchen eine Kommunikationssphäre,
die die Beschränktheit des Wissens- und Interessenhorizonts ihrer
Subjekte aufhebt („Öffentlichkeit“), um sich selbst zu regulieren und
ihre Probleme zu verarbeiten
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Öffentlichkeit muss hergestellt werden (II)
Öffentlichkeit ist ein Steuerungsprinzip (ähnlich wie das Recht oder der
Markt), das auf dem Bewusstsein der gesellschaftlichen Subjekte und
auf dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Habermas)
beruht
Öffentlichkeit ist das Prinzip der Schrankenlosigkeit von
Kommunikation prinzipiell darf niemand ausgeschlossen werden
Da Isoliertheit der gegebene Zustand des Individuums in der Moderne
ist, entsteht Öffentlichkeit „nicht allein durch Aufheben von Blockierungen
und Einreißen von Barrieren, sondern sie bedarf der konstruktiven
Aktivität. Öffentlichkeit muss hergestellt werden.“ (Pöttker)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Strukturen der Öffentlichkeit wandeln sich (I)
Frühbürgerliche Öffentlichkeit im 17./18. Jh. konstituiert sich in Salons,
Kaffeehäusern, Lesekabinetten, Zeitungen und literarischen Zeitschriften
Johann Peter Hasenclever: Das Lesekabinett (1843)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Strukturen der Öffentlichkeit wandeln sich (II)
Newsroom der St. Pete
Times in den frühen
1950er Jahren F
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Strukturen der Öffentlichkeit wandeln sich (II)
19./20. Jh.: Zeitalter der Massenmedien; Professionalisierung der
Berufe Journalist und Öffentlichkeitsarbeiter (PR); teilweise
„Refeudalisierung“ der Öffentlichkeit, da Medien zur Bühne machtvoller
demonstrativer Selbstdarstellungen werden
„Journalisten stellen in den Redaktionen großer, reichweitenstarker
Massenmedien gesellschaftliche Öffentlichkeit vorwiegend durch
Berichte über Elitenhandeln her.“ (Carsten Brosda)
Nur wenige und teure Publikations- und Sendeknoten, über die
reichweiten- und auflagenstarke Angebot publiziert werden; preiswerte
Empfangsgeräte; passives Publikum
Newsroom der
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Strukturen der Öffentlichkeit wandeln sich (III)
21. Jh.: Zeitalter der digitalen Netzwerkmedien
Newsroom der
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Strukturen der Öffentlichkeit wandeln sich (III)
21. Jh.: Zeitalter der digitalen Netzwerkmedien: Siegeszug von
Onlineplattformen, Blogs, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken
Es entstehen viele „persönliche Öffentlichkeiten“ (Jan Schmidt), geprägt
vom Modus der Konversation und nicht des Publizierens – Social
Communities als „Kaffeehäuser der digitalen Ära“
(Weichert/Kramp/von Streit)
Der Long Tail des Öffentlichen wird größer: Auflösung klassischer
Publikationshierarchien ermöglicht Teilhabe zum Preis sinkender
Reichweite (Brosda)
Grafik: http://www.christianpfeil.com/wp-content/uploads/2007/08/the-long-tail.jpg
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Die perfekte Schlagzeile besteht laut Rudi Carrell
aus…
A) einem Tier
B) einem/r Prominenten
C) einer schrecklichen Krankheit
D) einer wundersamen Heilung
„Deutscher Schäferhund leckt Inge Meysel Brustkrebs weg.“
(„Am laufenden Band“, 1975)
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Was erzeugt Interesse?
„Der Multimilliardär Dr. Klaus Wähnert (Prominenz)
aus Berlin-Wannsee (Nähe)
übergab auf dem Sterbebett (Gefühl)
seiner Geliebten (Sex)
die Konstruktionspläne (Fortschritt)
einer Wunderwaffe (Folgenschwere, Wichtigkeit),
die er trotz wiederholter verlockender Angebote und Erpressungsversuche
(Konflikt, Kampf)
und eines Einbruchs in seinen Safe (Dramatik)
bis heute verwahrt hat (Gefühl);
jetzt aber taugen sie, weil überholt, nur noch zum Bau von Kinderspielzeug
(Kuriosität).“
(nach Walther von LaRoche)
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Nachrichtenwerttheorie
Journalisten sind „Gatekeeper“ (heute zunehmend „Gatewatcher“)
und müssen selektieren: aus einem überkomplexen Angebot an
Ereignissen sollen relevante Nachrichten für Rezipienten
ausgewählt werden, anhand von Nachrichtenfaktoren:
Nähe
Unmittelbarkeit
Prominenz
Ungewöhnlichkeit
Konflikt
Bedeutung/Konsequenzen
Nachrichten-
wert eines
Beitrags
(Platzierung,
Umfang,
Präsentation)
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12 Nachrichtenfaktoren nach Galtung/Ruge (1965)
Kulturunabhängige:
Frequenz (Dauer eines Ereignisses passend zum Erscheinungsrhythmus des
Mediums)
Schwellenfaktor (Intensität eines Ereignisses)
Eindeutigkeit (klare Interpretation)
Bedeutsamkeit (Relevanz und kulturelle Nähe)
Konsonanz (Übereinstimmung mit Erwartungen/Vorhersehbarkeit und
Wünschen)
Überraschung (im Rahmen von Bedeutsamkeit und Konsonanz, auch
Kuriosität),
Kontinuität (eingeführte Themen haben es leichter)
Komposition/Variation (bunte Themenmischung)
kulturabhängige (nordwestliche Hemisphäre):
Eliteperson
Elitenation
Personalisierung
Negativität (Tod, Katastrophen, Krieg)
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Nachrichtenfaktoren nach Staab (1990)
Status der Ereignisnation
Institutioneller Einfluss
Persönlicher Einfluss
Prominenz
Personalisierung
Kontroverse
Aggression
Demonstration
Überraschung
Reichweite
Nutzen/Erfolg
Schaden/Misserfolg
Faktizität
ThematisierungNac
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Status des Ereignisorts
Räumliche Nähe
Politische Nähe
Wirtschaftliche Nähe
Kulturelle Nähe
Nachrichten-
wert eines
Beitrags
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Lösungsorientierter Journalismus als Chance
„Mainstream media has a bias for bad news. We‘re missing half of the
world‘s stories“ (Solutions Journalism Network)
Journalisten-Startups, Netzwerke und neue Magazine üben sich in
veränderter Nachrichtenauswahl und Recherche-Stoßrichtungen
Weg von Nachrichtenfaktoren wie „Negativität“, „Konflikt“ oder „Schaden“,
Etablierung eines neuen Nachrichtenfaktors „Problemlösung“ oder
„Problemlösungsversuch“, verwandt mit bekannten Nachrichtenfaktoren wie
„Nutzen/Erfolg“ oder „Fortschritt“
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
“Solutions journalism is rigorous and compelling
reporting about responses to social problems. It
investigates and explains, in a critical and clear-eyed
way, examples of people working toward solutions.
It focuses not just on what may be working, but how
and why it appears to be working, or alternatively, why
it may be stumbling.” (Solutions Journalism Network)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
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Uwe Krüger: Die Herstellung von Öffentlichkeit (res publica)
Quellen
Beiler, Markus (2013): Nachrichtensuche im Internet. Inhaltsanalyse zur journalistischen
Qualität von Nachrichtensuchmaschinen. Konstanz: UVK.
Brosda, Carsten (2013): Digitale Chancen für das gesellschaftliche Zeitgespräch. In: Eumann,
Marc Jan/Gerlach, Frauke/Rößner, Tabea/Stadelmaier, Martin (Hrsg.): Medien, Netz und
Öffentlichkeit. Impulse für die digitale Gesellschaft. Essen: Klartext Verlag, S. 171–181.
Krüger, Uwe (2015): Solutions Journalism. In: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.):
Journalistische Genres. Konstanz: UVK (im Druck).
Pöttker, Horst (1999): Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Auftrag. Zum Verhältnis von
Berufsethos und universaler Moral im Journalismus. In: Funiok, Rüdiger/Schmälzle, Udo/Werth,
Christoph (Hrsg.): Medienethik. Die Frage der Verantwortung. Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung, S. 215-232.
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Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit
Dr. Uwe KrügerTel.: 0341-97-35756, Fax: 0341-97-39330
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