die ‚gigantomachie‘ in platons sophistes. versuch einer analytischen rekonstruktion

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ZUR DISKUSSION Die ‚Gigantomachie‘ in Platons Sophistes. Versuch einer analytischen Rekonstruktion * 0 von Wolfgang Künne (Hamburg) Ein Zugeständnis von Besseren ist doch wohl mehr wert als ein solches von Schlechteren. Wir kümmern uns ja nicht um diese Leute, sondern wir suchen die Wahrheit. Sophistes 246d8–9 Abstract: Prima facie there is a tension between a principle upheld by the Friends of Forms, ‚Whatever is real is omnitemporally stable‘, and a conclusion into which they are driven, ‚Some things are real, and yet they change in becoming the objects of cognition‘. The paper argues that we should stop looking for a faulty premiss in the argument that leads to this conclusion but rather seek a way of reconciling principle and conclusion. Frege and Russell can help us to see that the principle only disallows intrinsic change and that the conclusion only requires extrinsic change. There is some evidence that Plato himself was very well aware of this option. In seinem Dialog Sophistes (245e–249d) lässt Platon einen Besucher aus dem südita- lienischen Elea im Gespräch mit Theaitetos, einem mathematisch hochbegabten Teenager, einen ontologischen Disput als Schlacht zwischen Giganten und Olym- pischen Göttern inszenieren. In dieser Debatte geht es um die Frage, was den an Buchstaben armen und an Bedeutungen leider allzu reichen Titel ‚ν‘ (‚Seiendes‘) verdient. Die Philosophen, die im Kostüm der Giganten auftreten und „mit ihren Händen Felsblöcke und Eichen umklammern“ (um sie dann verblüffend rasch los- zulassen), bezeichne ich im Folgenden als Somatiker , und Eidetiker nenne ich dieje- nigen Philosophen, die die Rolle der Olympier spielen, „sich sehr vorsichtig von oben aus dem Unsichtbaren verteidigen“ und als ‚Freunde der Ideen‘ vorgestellt werden. (Die in der Sekundärliteratur gängigen Bezeichnungen der Kontrahenten als ‚Mate- rialisten‘ und ‚Idealisten‘ sind in vielfacher Hinsicht irreführend.) Mein Hauptinte- resse gilt im Folgenden der Position der Eidetiker. Eröffnungsvortrag zum 3. Kolloquium der ‚Gesellschaft für antike Philosophie‘, das am 10. Januar 2004 in der Universität Hamburg stattfand. Archiv f. Gesch. d. Philosophie 86. Bd., S. 307–321 © Walter de Gruyter 2004 ISSN 0003-9101 * Brought to you by | Boston College O'Neill Library Authenticated | 136.167.3.36 Download Date | 10/1/13 1:00 AM

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Zur Diskussion 307

ZUR DISKUSSION

Die ‚Gigantomachie‘ in Platons Sophistes.0Versuch einer analytischen Rekonstruktion*0

von Wolfgang Künne (Hamburg)

Ein Zugeständnis von Besseren ist doch wohlmehr wert als ein solches von Schlechteren.Wir kümmern uns ja nicht um diese Leute,sondern wir suchen die Wahrheit.

Sophistes 246d8–9

Abstract: Prima facie there is a tension between a principle upheld by the Friendsof Forms, ‚Whatever is real is omnitemporally stable‘, and a conclusion into whichthey are driven, ‚Some things are real, and yet they change in becoming the objects ofcognition‘. The paper argues that we should stop looking for a faulty premiss in theargument that leads to this conclusion but rather seek a way of reconciling principleand conclusion. Frege and Russell can help us to see that the principle only disallowsintrinsic change and that the conclusion only requires extrinsic change. There is someevidence that Plato himself was very well aware of this option.

In seinem Dialog Sophistes (245e–249d) lässt Platon einen Besucher aus dem südita-lienischen Elea im Gespräch mit Theaitetos, einem mathematisch hochbegabtenTeenager, einen ontologischen Disput als Schlacht zwischen Giganten und Olym-pischen Göttern inszenieren. In dieser Debatte geht es um die Frage, was den anBuchstaben armen und an Bedeutungen leider allzu reichen Titel ‚�ν‘ (‚Seiendes‘)verdient. Die Philosophen, die im Kostüm der Giganten auftreten und „mit ihrenHänden Felsblöcke und Eichen umklammern“ (um sie dann verblüffend rasch los-zulassen), bezeichne ich im Folgenden als Somatiker, und Eidetiker nenne ich dieje-nigen Philosophen, die die Rolle der Olympier spielen, „sich sehr vorsichtig von obenaus dem Unsichtbaren verteidigen“ und als ‚Freunde der Ideen‘ vorgestellt werden.(Die in der Sekundärliteratur gängigen Bezeichnungen der Kontrahenten als ‚Mate-rialisten‘ und ‚Idealisten‘ sind in vielfacher Hinsicht irreführend.) Mein Hauptinte-resse gilt im Folgenden der Position der Eidetiker.

0 Eröffnungsvortrag zum 3. Kolloquium der ‚Gesellschaft für antike Philosophie‘,das am 10. Januar 2004 in der Universität Hamburg stattfand.

Archiv f. Gesch. d. Philosophie 86. Bd., S. 307–321© Walter de Gruyter 2004ISSN 0003-9101

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1. Die ‚Besserung‘ der Somatiker und das Dynamis-Kriterium

Zu Beginn der Schlacht vertreten die Somatiker die These, dass alles und nur das realist, was ein Körper ist oder einen Körper hat (246b1–2):

(S) ∀ (x ist real ↔ x ist körperlich).

Das Prädikat ‚ist real‘ im Vordersatz von (S) ist ein Notbehelf. Ich verwende es indiesem Aufsatz, um die sprachlichen Verrenkungen zu vermeiden, die sich im Deut-schen einzustellen pflegen, wenn man mit verschiedenen Formen des Verbums ‚sein‘den Gebrauch verschiedener Formen von ‚ε�ναι‘ im griechischen Original zu imitie-ren versucht. ‚Realität‘ dient in diesem Aufsatz also als Bezeichnung dessen, wasin unserem Text abwechselnd, ohne dass irgendeine argumentationsrelevante Bedeu-tungsdifferenz erkennbar wäre, mit dem kahlen ‚ist‘ (246a11, b2, 247d3), mit ‚istetwas‘ (246e5, 247a9, c6–7), mit ‚ist auf seiende Weise [�ντ�«]‘ (247e3) oder mit ‚istein Seiendes‘ (246e9, 247c1, d1, d6, e4) zugeschrieben wird und worauf mit dem Ver-balsubstantiv ‚Seiendheit [οσ�α]‘ (246b1, 247d7) Bezug genommen wird.

Anhänger der These (S) müssen bestreiten, dass Schatten und Spiegelbilder, dassBlitze und Donnerschläge real sind; denn sie alle sind weder Körper noch haben sieeinen, und man kann sie gewiss nicht „mit den Händen zusammendrücken“ (247c6).Doch das ist nicht der Einwand, den der Gast aus Elea gegen die Somatiker vor-bringt, – vielleicht deshalb, weil eine ihm Rechnung tragende Revision der These (S)die Ontologie der Somatiker derjenigen der Eidetiker kaum näher brächte. Zur Rai-son gebracht werden die ‚besserungsfähigen‘ Somatiker vielmehr durch ein Argu-ment, das (wie der Eleat anmerkt) die Hartgesottenen unter ihnen sicher nicht akzep-tieren würden (und dem auch Nicht-Somatiker mit guten Gründen die Zustimmungverweigern können). Die für meine Überlegungen wichtigsten Schritte in diesem Ar-gument sind die letzten (247a5–c2):

(P1) Gerecht, vernünftig, … wird etwas durch den Besitz und die Anwesenheit[ �ει κα� παροψσ��] der Gerechtigkeit, Vernünftigkeit, …

(P2) ∀ (x vermag [δψνατ�ν], an- und abwesend zu sein → x ist real)(K1) Gerechtigkeit ist real. Aus (P1) und (P2)(P3) Gerechtigkeit ist nicht körperlich.(K2) ∃ (x ist real & ¬ x ist körperlich) Aus (K1) und (P3)

Wer dieses deduktiv zweifellos korrekte Argument auch sachlich überzeugend findet,muss These (S) aufgeben. Für ihn stellt sich die Frage, welche Bedingung Körper-liches und Nicht-Körperliches gleichermaßen erfüllen muss, um real zu sein (247d2–4).Der Gast aus Elea schlägt eine Antwort vor, die ich fortan als Dynamis-Kriterium,kurz: (∆), bezeichnen werde (247d8–e3, 248b6–7, c4–5):

(∆) ∀ (x ist real ↔ x hat das Vermögen [δ�ναµι«], etwas zu etwas zu machen[ποιε�ν] bzw. etwas zu tun [δρ»ν]oder etwas von etwas zu erleiden [π�σξειν]).

Die im Nachsatz von (∆) angegebene Bedingung muss so aufgefasst werden, dassauch die Gerechtigkeit unter sie fällt. Wenn man für diese Subsumtion in der voran-

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gegangenen Argumentation einen Grund sucht, sieht man sich auf (P1) und (P2) ver-wiesen. Inwiefern vermag die Gerechtigkeit etwas zu etwas zu machen? Nun, siemacht z.B. den Aristides zu einem, der gerecht ist. Platons Leser kennen Formulie-rungen des Typs ‚Durch die-und-die Beschaffenheit (oder: durch die Anwesenheitdieser Beschaffenheit) ist x so-und-so beschaffen‘.1 Wenn wir auf Fragen des Typs‚Warum ist x F?‘ (‚Warum ist Helena schön?‘) antworten: ‚F-heit macht x F‘ (‚DieSchönheit macht Helena schön‘), dann ist unsere Antwort, so argumentiert Sokratesim Phaidon (100c-e), gegen das Risiko des Irrtums gefeit. Ich bin freilich nicht sicher,dass solche Antworten gegen das Risiko der Unverständlichkeit gefeit sind. Jeden-falls scheinen mir viele Exegeten die Schwierigkeit zu unterschätzen, ihnen einenvernünftigen Sinn zu geben. Vielleicht argwöhnt Wittgenstein zu Recht, dass hintersolchen Aussagen ein krudes Modell der Prädikation steht. Manchmal verweist einPrädikat ja tatsächlich auf etwas, von dem gilt: weil es im Worüber der Aussage buch-stäblich anwesend ist, ist dieses Worüber ein Anwendungsfall des Prädikats: ‚DieSuppe ist salzig, – das in ihr enthaltene Salz macht sie salzig‘, ‚Dieses Bier ist alko-holisch, – weil es Alkohol enthält, ist es alkoholisch‘.2 Semantisch verhält sich derabstrakte singuläre Term ‚Gerechtigkeit‘ nun aber keineswegs so zu dem Prädikat ‚istgerecht‘, wie sich der Massenterm ‚Alkohol‘ zum Prädikat ‚ist alkoholisch‘ verhält,und im Parmenides (131a-e) wird das buchstäbliche (mereologische) Verständnis der‚Anwesenheit‘ der F-heit ‚in‘ den Dingen, die F sind, ausdrücklich kritisiert.3 Wiedem auch sei, mir kommt es hier auf etwas anderes an: Wenn unter den Begriff desMachenkönnens in Kriterium (∆) nur die Fähigkeit eines Körpers, auf einen andereneinzuwirken, fiele (‚Die Sonne hat das Vermögen, den Felsen heiß zu machen‘), wäre(∆) nur für unreformierte Somatiker akzeptabel, und das Kriterium hätte nicht denargumentativen Stellenwert, den ihm der Eleat gibt.4

1 Vgl. Protagoras 332b, Hippias Maior 287c, Gorgias 497e, 498d.2 Wittgenstein 1958, 144; ders. 1974, Teil 1, § 71.3 Zu Aristoteles’ Reaktion auf dieses Verständnis vgl. Künne 1979, 138.4 Leslie Browns Deutung von δ�ναµι« als ‚quasi-causal power‘ (Brown 1998, 187)

scheint mir nur der Ausdruck einer begrifflichen Verlegenheit zu sein. MartinHeidegger bemüht sich, die Kategorie der Kausalität fernzuhalten, doch dasErgebnis ist nicht sehr hilfreich: Nach dem Dynamis-Kriterium sei alles das undnur das „seiend“, was „ein anderes irgendwie ‚angehen‘ oder von einem anderen‚angegangen werden kann‘“ (Heidegger 1992, 474). Zuzugeben ist freilich, dassdie traditionelle Übersetzung von π�σξειν, an der ich in diesem Aufsatz festhalte,auch nicht gerade optimal ist: Dass ein Gegenstand etwas ‚erleidet‘, soll hier na-türlich nicht heißen, dass ihm ein Leid widerfährt, sondern dass ihm irgend etwaswiderfährt. (Einem Gegenstand widerfährt dann schon etwas, wenn jemandesBlick auf ihn fällt.)

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2. Die unreformierten Eidetiker und das Dynamis-Kriterium

Den Eidetikern zufolge fällt etwas nur dann – und immer dann (246b7–8) – unter dasPrädikat ‚ist real‘, wenn es die Bedingungen der Intelligibilität und der Invarianz er-füllt, die in den Nachsätzen von (E1) und (E2) angegeben werden (248a4–13):

(E1) ∀ (x ist real ↔ wir haben zu x mit der Seele durch Denken [δι� λογισµο�]Zugang)

(E2) ∀ (x ist real ↔ x verhält sich immer auf dieselbe Weise [!ε� κατ� τατ�"σα�τ�« #ξει]).

Die Gesamtheit der Anwendungsfälle des Prädikats im Antecedens dieser beidenAll-Sätze heißt in unserem Text abwechselnd, sit venia verbis, „die wahre Seiendheit[$ !λη&ιν' οσ�α]“ (246b8), „die auf seiende Weise Seiendheit [$ �ντ�« οσ�α]“(248a11)5 oder einfach „die Seiendheit [$ οσ�α]“ (248c2). Nichts spricht dafür, dasshier mit dem substantivischen Derivat des Verbums ‚ε�ναι‘ etwas anderes gemeint istals mit den Partizipien ‚die Seienden‘ und ‚das Seiende‘, die im selben Kontext ver-wendet werden (247d6, 249b9–10, d2, 4). Ich halte in meiner Wiedergabe an demschon in (S) und (∆) verwendeten Prädikat ‚ist real‘ fest, um die Kontinuität der Fra-gestellung unübersehbar zu machen (und um die soeben produzierten Sprachunge-tüme zu vermeiden).

Von der Gesamtheit dessen, was die Bedingungen (E1) und (E2) erfüllt, unter-scheiden die Eidetiker das, was sie als „das Werden [$ γωνεσι«]“ bezeichnen, und siecharakterisieren die Elemente dieses nicht-leeren Bereichs durch die Bedingungender Perzipierbarkeit und der Varianz, die in ihren Augen ko-extensiv sind:

(E1*) ∀ (x gehört zum Bereich des Werdens ↔ wir haben zu x mit dem Körperdurch Wahrnehmung Zugang).

(E2*) ∀ (x gehört zum Bereich des Werdens ↔ x ändert sich ständig).

Die Eidetiker leugnen also nicht, dass es das gibt, was den unreformierten Somati-kern zufolge allein real ist, aber sie bestreiten, dass es real ist.6

Zumindest solange wie die Eidetiker nicht ihrerseits reformiert sind, können siekeines der beiden Konditionale unterschreiben, die zusammengenommen das Dyna-mis-Kriterium ausmachen. Einerseits vermag das, was zum Bereich des Werdensgehört, sowohl zu tun als auch zu leiden (248c7–8), und es erfüllt damit a fortiori dieim Nachsatz von (∆) angegebene Bedingung, das eine oder das andere zu können.Deshalb ist das Von-Rechts-nach-Links-Konditional in (∆) für die Eidetiker nicht

5 Wie lebendig das griechische Verb auch noch im Verbalsubstantiv ist, zeigt seineKombination mit dem Adverb. Im Deutschen ist eine solche Kombinationschlicht ungrammatisch.

6 Es ist also irreführend, wenn Brown schreibt, Platon präsentiere die konkurrie-renden Ontologien als „theories about what there is, what sorts of things exist“,es sei „pretty clear that the existential meaning of ‚to be‘ is to the fore“ (Brown1998’ 183). Einige Sätze später (und schon in Brown 1986, 63–64) hebt sie selberden Punkt hervor, auf den ich oben im Text hinweise.

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akzeptabel. Andererseits glauben die Eidetiker, deren Position der Eleat schildert,dass das, was invariant ist, weder zu tun noch zu leiden vermag (248c8–9). Darumverwerfen sie auch das Von-Links-nach-Rechts-Konditional in (∆). Da sie es verwer-fen, ist ihre Auffassung übrigens nicht (allen gegenteiligen Versicherungen in derSekundärliteratur zum Trotz) mit derjenigen identisch, die Sokrates im Phaidon ver-tritt; denn dort wird, wie wir oben sahen, der Idee der F-heit nachgesagt, dass sie ge-wisse Gegenstände F macht, – wodurch sie die rechte Hälfte von (∆) erfüllt.7

Der Gast aus Elea zeigt nun zunächst, welche Konsequenz diese Position fürdas Verständnis der Intelligibilitätsbedingung (E1) hat. Was geschieht, wenn etwas,das real ist, erkannt wird? Ist es korrekt, Erkennen und Erkanntwerden in derBegrifflichkeit von Tun und Leiden zu konzipieren (249d4–7)? Wer diese Frage be-jaht, wird – so setzen die Gesprächspartner voraus – das Erkennen als Tun und dasErkanntwerden als Leiden auffassen. Der Eleat legt den Eidetikern nun ein Argu-ment in den Mund (248d10–e6), das folgendermaßen rekonstruiert werden kann:8

[A] (P1) ∃ (x ist real & x wird erkannt)(P2) ∀ (x ist real → x ist beständig [)ρεµο�ν])(P3) Das Erkennen [γιγν*σκειν] ist ein Tun [ποιε�ν].(P4) Notwendigerweise, wenn das Erkennen ein Tun ist, so erleidet [π�σξει]

das Erkannte etwas.(P5) ∀ (x erleidet etwas → x ändert sich [κινε�ται])(K1) ∃ (x ist real & x erleidet etwas) Aus (P1, 3, 4)(K2) ∃ (x ist real & x ändert sich ‚insofern, als es erkannt wird‘)

Aus (K1, P5)

Es sieht so aus, als seien (P2) und (K2) inkompatibel. Wenn der Anschein nichttrügt, so muss eine der Prämissen (P1–5) falsch sein. Prämisse (P1) ist genau wie dieIntelligibilitätsbedingung (E1) im Kontext der Gigantomachie unumstritten: derSkeptiker erscheint nicht auf diesem Schlachtfeld. Die Eidetiker halten an (P2) festund erklären (P3) für den Sündenbock: Das Erkennen ist, so meinen sie, kein Tun.Das heißt natürlich nicht, dass dies auch in den Augen des Eleaten oder in PlatonsAugen oder gar der Sache nach die richtige Diagnose der logischen Situation ist. Je-

7 Eine lange Liste von Befürwortern der These, die Ideenfreunde seien Anhängerder Position des platonischen Sokrates in den mittleren Dialogen, findet man inEbert 1998, 84–85. (Ebert selbst plädiert für die schon von Proklos vertreteneThese, die Ideenfreunde seien Pythagoreer. Ich frage mich, ob wir über diePythagoreer genug wissen, um diese Vermutung hinreichend zu stützen, und ichbezweifle allemal, dass wir hermeneutisch gut beraten sind, der Titelfrage desAufsatzes überhaupt nachzugehen. Vgl. dazu Wiehl 1967, 74–75 Anm. 69.) DerListe der Zeugen für die erste Identifikation kann man inzwischen u.a. Brown1998, 194–195 hinzufügen. Sie erwähnt „slight discrepancies“, die ihres Erach-tens nicht gegen die Identifikation sprechen. Die oben herausgestellte Diskre-panz, die in der mir bekannten Literatur nie erwähnt wird, betrifft aber dasZentrum der Position der (unreformierten) Eidetiker und der ‚Ideenlehre‘ imPhaidon.

8 Diese Rekonstruktion geht im Wesentlichen auf Keyt 1969, 2–3, zurück.

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denfalls geht der Besucher aus Elea nicht auf irgendeine alternative Diagnose desArguments [A] ein. Ehe wir die Alternativen ausloten, sollten wir uns kurz vergegen-wärtigen, wie er die Reform der Eidetiker betreibt.

3. Die ‚Besserung‘ der Eidetiker

Ganz plötzlich, und nur für kurze Zeit, wechselt der Stil des Gesprächs. Der Eleatstellt in nachgerade beschwörendem Tonfall eine Frage, die den Charakter einesEvidenzappells hat, und sein junger Gesprächspartner antwortet nicht minder feier-lich – fast so, als gelte es, eine Blasphemie zu vermeiden (248e7–249a3):

DER GAST: Aber, bei Zeus, werden wir uns so ohne weiteres davon überzeugenlassen, dass dem vollkommen Realen [τ+ παντελ,« �ντι] tatsächlich weder Bewe-gung noch Leben noch Seele noch Vernünftigkeit zukommen, dass es […] ehrwürdigund erhaben [σεµν-ν κα� .γιον], ohne Einsicht [νο�«] zu haben, unbewegt dasteht?THEAITETOS: Da würden wir ja einer furchtbaren [δειν�ν] Aussage unsere Zustim-mung geben.

Dann werden die in der rhetorischen Frage hymnisch aneinandergereihten Prädikatein ihrem logischen Zusammenhang vorgeführt (249a4–b4):

[B] (1) Das vollkommen Reale hat Einsicht.(2) Das vollkommen Reale lebt. Aus (1)(3) Das vollkommen Reale ist beseelt. Aus (1–2)(4) Das vollkommen Reale ist nicht unveränderlich. Aus (1–3)(5) Es gibt etwas, das real ist und sich ändert. Aus (4)

Die erste Prämisse, für die der Gast, mit Theaitetos’ Zustimmung, Selbstverständ-lichkeit reklamiert, ist für uns – oder jedenfalls für mich – schwer verständlich. Vondem, was die Eidetiker bislang allein real genannt haben, von den „intelligiblenund unkörperlichen Ideen [νοητ� /ττα κα� !σ*µατα ε0δη]“ (246b7–8), etwa vonden Ideen der Gerechtigkeit oder der Kreisförmigkeit, kann man jedenfalls nicht mitSinn sagen, sie hätten Einsicht.9 Wovon ist dann aber in Argument [B] die Rede? Viel-leicht hilft uns der Tonfall der einleitenden Passage weiter. Wenn der Gast aus Elea esfür eine Ungeheuerlichkeit erklärt, „dem vollkommen Realen“ nachzusagen, es steheda, ehrwürdig und erhaben, ohne sich zu regen, so klingt die zurückgewiesene Aus-sage wie die Beschreibung einer Götterstatue in der Cella eines Tempels.10 Wenn „dasvollkommen Reale“ nicht wie eine reglose Götterstatue ist, so liegt die Annahmenicht fern, es werde hier als etwas Göttliches gedacht. Dass die Götter nicht ohne

9 „Man hat das (sc. Argument [B]) so interpretiert,“ sagt Heidegger 1992, 482,wohl auf die Marburger Neukantianer anspielend, „daß Plato hier sage, daseigentlich Seiende, die Ideen, müsse auch Verstand haben und Leben und derglei-chen. Das ist Unsinn“.

10 Vgl. Reinhardt 1960, 291.

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Einsicht sind, das ist – ‚bei Zeus!‘ – unmittelbar einleuchtend, jedenfalls für die beidenGesprächspartner. „Das wäre doch gar zu erstaunlich“, sagt der junge Sokrates in derSchluss-Aporie des ersten Teils des Parmenides (134e6–7), „wenn einer behauptete,dass der Gott des Wissens beraubt ist“. Es wäre gar zu erstaunlich, weil ja sogar wirSterblichen Anspruch auf Einsicht erheben und in seiner gelegentlichen Einlösungeine Auszeichnung sehen.11 Vielleicht dürfen wir uns Prämisse (1) des Arguments [B]also wie folgt zurechtlegen:

[B] (1*) Zur Gesamtheit des Realen gehört (auch) solches, das Einsicht hat.

Der Erwerb von Einsicht ist nun ein Prozess; insofern ändert sich, wer Einsicht er-wirbt. Für die Konklusion des Eleaten, für (B 5), genügt die Prämisse (B 1*).12

Im nächsten Schritt stimmt der Besucher den Eidetikern dann wieder zu: Einsichtund Wissen [1πιστ'µη] seien nicht möglich, wenn sich nicht manches immer auf die-selbe Weise verhält (249b8–c9). (Warum das so ist, wird nur angedeutet.) Die ‚gebes-serten‘ Eidetiker zählen also zur Gesamtheit dessen, was real ist, sowohl Beständigesals auch Veränderliches (249c10–d5).13 Um darin eine Revision ihrer Ausgangsposi-tion zu erkennen, muss man sich daran erinnern, dass ‚Manches ändert sich‘ (oder‚Es gibt etwas, das sich ändert‘) nicht dasselbe heißt wie ‚Manches Reale ändert sich‘(oder ‚Es gibt Reales, das sich ändert‘). Ersteres haben die Eidetiker ja von Anfangan als wahr anerkannt.

Jedenfalls kann der Leser am eirenischen Ende der Gigantomachie den Eindruckhaben, dass die Ideen auch in den Augen der ‚gebesserten‘ Eidetiker weiterhin gewis-sermaßen in feierlich-monumentaler ‚Reglosigkeit‘ verharren. Doch vielleicht ver-flüchtigt sich dieser Eindruck, wenn wir genauer über Argument [A] nachdenken.

4. Auf der Suche nach einem Sündenbock

Kehren wir also noch einmal zu diesem Argument zurück:

[A] (P1) ∃ (x ist real & x wird erkannt)(P2) ∀ (x ist real → x ist beständig [)ρεµο�ν])(P3) Das Erkennen [γιγν*σκειν] ist ein Tun [ποιε�ν].(P4) Notwendigerweise, wenn das Erkennen ein Tun ist, so erleidet [π�σξει]

das Erkannte etwas.

11 Im Resümee der Aporien wird nur diese Konsequenz angeführt: Parm. 135a5.12 Schmitz 1985, 43, hat darauf hingewiesen, dass Wissen und Einsicht schon in

Politeia IX (585b/c) als „ein im Bereich des stets Gleichleibenden Werdendes(1ν τοιο�τ8 γιγν�µενον)“ charakterisiert werden. Brown 1998, 202, interpretiert249a-b als Nachweis, dass „all changed things (and not just a favoured few)should count as onta“. Die Argumentation des Eleaten rechtfertigt diese Konklu-sion aber keineswegs, und ich glaube auch nicht, dass sie das tun soll.

13 Vor ihrer Besserung sind die Eidetiker gewissermaßen zu eleatisch, und in249c11–d1 wendet der Gast aus Elea dieses Resultat denn auch in einem Atem-zug gegen die Eidetiker und gegen den „Vater Parmenides“ (242d5).

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(P5) ∀ (x erleidet etwas → x ändert sich [κινε�ται])(K1) ∃ (x ist real & x erleidet etwas) Aus (P1, 3, 4)(K2) ∃ (x ist real & x ändert sich ‚insofern, als es erkannt wird‘)

Aus (K1, P5)

Die durch die anschließenden Überlegungen des Eleaten ‚gebesserten‘ Eidetikerwürden ‚x ist real‘ in diesem Argument durch ‚x ist real & ¬ (x hat Einsicht)‘ erset-zen. An der Gesamtstruktur des Arguments – und an den Fragen, die es aufwirft –ändert sich dadurch aber nichts Wesentliches; denn auch nach der Korrektur sieht esso aus, als seien (P2) und (K2) unverträglich, und wenn sie es sind, so muss eine derPrämissen (P1–5) falsch sein.

Die Eidetiker halten an [der eingeschränkten Variante von] (P2) fest. und sie erklä-ren, wie gesagt, (P3) für den Sündenbock. Auch Leslie Brown bestreitet (P3).14 Sie tutes in Platons Namen, und sie glaubt, dass Platon dennoch das Dynamis-Kriteriumauch für Ideen aufrechterhalten kann. Das Tun finde in Wahrheit auf Seiten des Er-kannten statt, das Erkennen hingegen sei vielmehr ein Erleiden. „It is far more plau-sible“, so meint sie, „to conceive of coming to know a thing as being affected by it,rather than as affecting it“.15 Die Rede vom Affizieren und Affiziertwerden hat nuneinen unüberhörbar kausalen Klang.16 Die Annahme, dass wir von einem Baum af-fiziert werden, wenn wir visuell erkennen, dass er sein Laub verloren hat, ist in derTat plausibel. Aber die Annahme, wir würden von der Zahl 37 affiziert, wenn wir er-kennen, dass sie prim ist, oder von der Tapferkeit, wenn wir erkennen, dass sie sichvon der Tollkühnheit unterscheidet, ist abwegig. Im Unterschied zu Bäumen sindnun aber Zahlen und Tugenden aussichtsreiche Anwärter auf den Titel ‚unsichtbaresund körperloses Eidos‘. Außerdem entsteht auch bei Browns Vorschlag ein Problem,das sie mit ihm vermeiden wollte. Ihr Ersatz für (P3), ‚Das Erkennen ist ein Erleiden‘,steht nämlich ebenfalls in einer prima facie-Spannung zu (P2): Ein bestimmtesObjekt affiziert ein bestimmtes Erkenntnis-Subjekt manchmal, aber nicht immer;wie verträgt sich das mit der Annahme, das Objekt verhalte sich immer auf dieselbeWeise? Darauf weist Theaitetos hin, wenn er sagt, dass dieser Konflikt entsteht,gleichgültig ob das Erkennen als Tun oder als Leiden oder als beides konzipiert wird(249d8–9).17

14 Brown 1998, 196, 199–201, 203 (in Anknüpfung an Cornford 1935, 240, Anm. 3,und Ostenfeld 1982).

15 Brown 1998, 200.16 Kritische Leser der Kritik der reinen Vernunft haben vor langer Zeit darauf auf-

merksam gemacht, dass Kant diesen Klang überhört zu haben scheint.17 Die zuletzt genannte (und in unserem Text unmittelbar vor [A] ebenfalls re-

gistrierte) Option wird von Bluck 1975, 98, erwogen. Er versucht, sie durcheinen Hinweis auf das Interaktionsmodell der Wahrnehmung im Theaetetus(156a–157a) plausibel zu machen. Aber dieser Vergleich ist nicht sonderlich hilf-reich; denn die Objekte, die jenem Modell zufolge mit den Sinnesorganen intera-gieren, sind ja gerade keine intelligiblen Gegenstände. Und natürlich impliziertdas Prämissen-Quintett auch nach der Erweiterung von (P3) durch ‚… und einErleiden‘ die Konklusion (K2).

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Natürlich könnte jemand, der mit den Eidetikern an Prämisse (P2) [bzw. ihrereingeschränkten Variante] festhält, auch eine andere Prämisse für den augenschein-lichen Widerspruch verantwortlich machen. Thomas von Aquin verwirft (P4), imNamen des Aristoteles, versteht sich.18 In der Kategorienschrift führt Aristoteles fürdas Kategorienpaar Tun und Leiden die Beispiele Schneiden und Geschnittenwerden,Anzünden und Angezündetwerden an.19 Hingegen gehören Erkennen und Erblickenals 1νωργειαι gerade nicht unter die Kategorie des als Objektmodifizierung konzipier-ten Tuns. „Videre et intelligere et huiusmodi actiones“, schreibt Thomas, „manentin agentibus, […] unde visibile et scibile non patitur aliquid ex hoc quod intelligiturvel videtur.“20 Es gibt zwei Arten von Tätigkeiten, „actiones in agente manentes“und „actiones in exteriorem materiam exeuntes“21, das Erkennen gehört zu den ers-teren, und darum ist das Erkanntwerden eines Objekts keine passio, kein Modifiziert-werden. Das ist einleuchtend, wenn man ‚leiden‘ so versteht, wie Aristoteles es tut.Aber vielleicht will Platon diesen Ausdruck ja anders, gewissermaßen formaler, ver-standen wissen. Nicht immer wird das Geliebte durch die Liebe modifiziert, unddoch ist es für Sokrates im Euthyphro (10c6–7) eine Selbstverständlichkeit, dass dasGeliebte immer eines ist, „das etwas von etwas erleidet [π�σξον τι 2π� τοψ]“.22

Gregory Vlastos bestreitet, in Platons Namen, (P5).23 Warum Platon zwar akzep-tieren kann, dass die Ideen etwas erleiden, nicht aber, dass sie sich ändern, erklärt ernicht. Die Vermutung liegt nahe, dass einem Sinn von ‚erleiden‘, nach dem die Ideenetwas erleiden können, ein Sinn von ‚sich ändern‘ korrespondiert, nach dem sich dieIdeen dann auch müssen ändern können. Dass Vlastos’ philologische Begründungfür seine These, (P5) habe einen ganz anderen Status in [A] als (P3–4), auf wackligenFüßen steht, haben Reeve und Brown gezeigt.24

Man könnte auch – im Gegenzug zu den Eidetikern – an (K2) festhalten und denaugenscheinlichen Widerspruch durch Verwerfung der Prämisse (P2) bzw. der Inva-rianzbedingung (E2) aus der Welt schaffen.25 Der entscheidende Einwand gegendiese Strategie (jedenfalls wenn sie im Namen Platons vorgeschlagen wird) bestehtdarin, dass die blanke Negation der Invarianzbedingung nicht mit ihrer neuerlichen

18 Vgl. auch Gomperz 31912, 444; Gadamer 1985a, 157; 1985b, 11.19 Aristoteles, Cat. 4, 2a3–4.20 Thomas, In Libr. Metaphysicorum V, lectio 17, § 1027 (unter Berufung auf Aris-

toteles, Metaphysik Υ 8, 1050a34–6): „Erblicken, Erkennen und andere derartigeTätigkeiten bleiben in den Akteuren […], weshalb das Erblickbare und das Er-kennbare dadurch, dass es erkannt oder erblickt wird, nichts erleidet“.

21 Thomas, Summa Theologiae I q. 23 a.2 ad 1: „Tätigkeiten, die im Akteur blei-ben“ vs. „Tätigkeiten, die in die externe Materie hinausgehen“; vgl. ebd. q. 18 a. 3ad 1.

22 Vgl. auch Euthyphro 11ab. Auf die Relevanz dieser Passagen in unserem Zusam-menhang haben Guthrie 1978, 141, Anm. 2, und Schmitz 1985, 45, hingewiesen.

23 Vlastos 1973, bes. 309–317.24 Reeve 1985, bes. 52–54; Brown 1998, 198–9.25 Manches, was Moravcsik 1962, bes. 35–41, und Owen 1966, bes. 336–340, sagen,

klingt so, als befürworteten sie diese Strategie, – anderes passt besser zu derjeni-gen, für die ich im letzten Paragraphen plädieren werde.

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Bekräftigung im Namen der ‚gebesserten‘ Eidetiker zu vereinbaren ist, der wir amEnde unseres Textes begegnet sind.

Die bislang vorgestellten Reaktionen auf Argument [A] setzen allesamt etwasvoraus, was auch die Eidetiker unterstellen: dass (P2) und (K2) inkompatibel sind.Wenn diese Voraussetzung hinfällig ist, liefert Argument [A] keinen guten Grund,eine der Prämissen (P1–5) aufzugeben. Für diese Diagnose möchte ich nun abschlie-ßend plädieren.26

5. Statt eines Sündenbocks eine Distinktion

Klar ist, dass im Zusammenhang von [A] mit ‚κ�νησι«‘ nicht Bewegung [φορ�] ge-meint sein kann. Deshalb lasse ich (P5) und (K2), wie die meisten angelsächsischenPlaton-Interpreten, nicht von Bewegung, sondern von Veränderung (change) han-deln – und dementsprechend (P2) von Beständigkeit statt von Ruhe.27 Aber betrach-ten wir für einen Augenblick das Begriffspaar Bewegung/Ruhe. Ist es unmöglich, dassetwas ruht und sich bewegt? Eine Zeitlang bewegt sich der Kreisel, ohne sich von derStelle zu bewegen, um die eigene Achse: An diesem Beispiel führt Platon in Buch IVder Politeia (436de) die Auflösung eines Scheinwiderspruchs vor: Der Kreisel ist nichtin derselben Hinsicht unbewegt (Translation), in der er sich bewegt (Rotation).28 Wa-rum sollte etwas, das real ist, nicht ebenfalls in einer Hinsicht immer beständig seinund sich in einer anderen Hinsicht zumindest manchmal ändern? Und wird nicht in(K2) mit der für die Deduktion redundanten Klausel „insofern, als es erkannt wird[κα&5 6σον γιγν*σκεται]“ ein diskreter Hinweis auf diese Möglichkeit gegeben?

Legen wir unseren Platon-Text für einen Augenblick beiseite und wenden wir unseinem der größten ‚Freunde der Ideen‘ unter den Analytischen Philosophen zu. Inseinem Kreuzzug gegen die unter den Mathematikern seiner Zeit verbreiteten Kon-fusionen über das Wesen der Variablen argumentiert Gottlob Frege zunächst gegendie Annahme, Zahlen könnten größer oder kleiner werden. Angenommen, ein Eisen-stab, der vor einer halben Stunde 1000 mm lang war, ist erhitzt worden, und er istjetzt 1001 mm lang. Das ist kein guter Grund, von der Zahl 1000 zu sagen, sie habesich ‚zur 1001 aufgebläht‘. Die Veränderung, die stattgefunden hat, kann viel besserso beschreiben werden: Die Zahl, die die damalige Länge des Stabes in mm angibt, ist

26 Ansätze dazu finden sich bei Moravcsik 1962 und Owen 1966 sowie bei Keyt1969, 7–9, Bluck 1975, 98–101, und Reeve 1985, 61.

27 In Theaetetus 181cd und Parmenides 138bc unterscheidet Platon zwei Arten vonWechsel [κ�νησι«]: Bewegung [φορ�] und Anderswerden [!λλο��σι«]. Im Blickauf die sich an die ‚Gigantomachie‘ anschließenden Reflexionen über die ‚Größ-ten Gattungen‘ drängt sich von daher eine Frage auf: sollte man ‚κ�νησι«‘ und‚στ�σι«‘ um der intendierten begrifflichen Weite willen nicht besser mit ‚Wechsel‘und ‚Beständigkeit‘ (o.ä.) wiedergeben – statt, wie allgemein üblich, mit ‚Bewe-gung‘ und ‚Ruhe‘?

28 In Nomoi X, 897–8, präsentiert der Athener die Rotation des Kreisels als Bild fürdie κ�νησι« der Einsicht.

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1000, und die Zahl, die die gegenwärtige Länge des Stabes in mm angibt, ist 1001.(Frege präsentiert einen instruktiven Vergleich: Wenn der König von X-Land vorzehn Jahren ein Greis war, während der König von X-Land heute ein junger Mannist, so gibt es nicht einen Mann, der jünger geworden ist; vielmehr war der damaligeKönig ein Greis, während der gegenwärtige König ein Jüngling ist.) Das ist alles sehrüberzeugend.29 Doch dann schickt sich Frege an darzutun, dass Zahlen nicht nurnicht wachsen oder zusammenschrumpfen können, sondern dass sie sich überhauptnicht verändern können:

„Wenn sich etwas verändert, so haben wir nacheinander verschiedene Eigenschaf-ten, Zustände an demselben Gegenstande. Wäre es nicht derselbe, so hätten wir garkein Subjekt, von dem wir die Veränderung aussagen können. Ein Stab dehnt sichdurch Erwärmung aus. Während dies vorgeht, bleibt er derselbe. Wenn er statt des-sen weggenommen und durch einen längeren ersetzt würde, so könnte man nichtsagen, daß er sich ausgedehnt habe. Ein Mensch wird älter; aber wenn wir ihn nichttrotzdem als denselben anerkennen könnten, hätten wir nichts, von dem wir dasAltern aussagen könnten. Wenden wir das auf die Zahl an! Was bleibt dasselbe,wenn eine Zahl sich verändert? Nichts! Folglich verändert sich die Zahl gar nicht;denn wir haben nichts, von dem wir die Veränderung aussagen könnten. Eine Ku-bikzahl wird nie zu einer Primzahl, und eine Irrationalzahl wird nie rational.“30

Etwas ist faul an diesem Argument. Gewiss hat die Zahl 1000 in der fraglichen Zeitkeine ihrer mathematischen Eigenschaften eingebüßt, aber können wir nicht zu Rechtvon ihr sagen, dass sie vor einer halben Stunde die Eigenschaft, die Länge des Stabesin mm zu sein, hatte, die sie jetzt nicht mehr hat? Und wenn die Zahl deshalb als in-variant klassifiziert werden müsste, weil sie nicht zu einer anderen Zahl werden kann,dann müssten auch der erhitzte Stab und der alternde Mensch als invariant bezeich-net werden; denn schließlich wird jener Stab niemals zu einem numerisch anderenStab, noch wird dieser Mensch jemals zu einem numerisch anderen Menschen.31

Die mathematische Eigenschaft, eine gerade Zahl zu sein, ist eine wesentlicheEigenschaft der Zahl 1000, während die Eigenschaft, die Länge unseres Stabes inmm zu sein, eine ihrer unwesentlichen Eigenschaften ist, die sie erwerben und wiederverlieren kann. F zu sein, ist genau dann eine wesentliche Eigenschaft eines Gegen-standes x, wenn x F ist und nicht existieren kann, ohne F zu sein. Was von den Be-schaffenheiten der Zahlen gilt, das gilt auch von den Beschaffenheiten der Proposi-

29 Frege 1986, § 46; 1967b, 273–275; 1969, 147, 173–174, 254. Vgl. Künne 1983,48–55.

30 Frege 1967b, 274–275.31 Ein ganz ähnlicher Fehler findet sich m.E. im zweiten Teil des platonischen Par-

menides (138c1–3). Warum kann sich ‚das Eine‘ nicht verändern? Antwort:„Wenn das Eine anders würde als es selbst [!λλοιο�µενον 7 Ψαψτο�], dann kannes unmöglich noch eines sein.“ Wieso? Das wäre nur dann einleuchtend, wenndas Eine nur die Eigenschaft, eines zu sein, hätte, – was schwerlich eine sinnvolleAnnahme ist. Im Übrigen wird etwas, das sich ändert, nicht ‚anders als es selbst‘,sondern anders, als es zuvor war.

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tionen, der Fregeschen Gedanken. Nehmen wir die Proposition, dass die Erde sichbewegt: zu ihren wesentlichen Eigenschaften gehören die logischen Beschaffenhei-ten, konsistent zu sein, und: zu implizieren, dass sich etwas bewegt. Aber die Be-schaffenheit, der Gehalt von Galileos Denken zu sein, hat diese Proposition nur ge-legentlich, sie ist eine ihrer unwesentlichen Eigenschaften. Das hat Frege für den Fallder Propositionen schließlich eingeräumt, und er hätte es auch für den Fall der Zah-len zugestehen können:

„Ist […] der Gedanke veränderlich, oder ist er zeitlos? Der Gedanke […] ist […] zeit-los, ewig, unveränderlich. […] Und doch! […] Selbst das Zeitlose muß irgendwie mitder Zeitlichkeit verflochten sein, wenn es uns etwas sein soll. […] Dadurch […], daßich einen Gedanken fasse, trete ich zu ihm in eine Beziehung und er zu mir. Es istmöglich, daß derselbe Gedanke, der heute von mir gedacht wird, gestern nicht vonmir gedacht wurde. Damit ist die strenge Unzeitlichkeit des Gedankens allerdingsaufgehoben. Aber man wird geneigt sein, zwischen wesentlichen und unwesent-lichen Eigenschaften zu unterscheiden und etwas als zeitlos anzuerkennen, wenn dieVeränderungen, die es erfährt, nur die unwesentlichen Eigenschaften betreffen. Un-wesentlich wird man eine Eigenschaft eines Gedankens nennen, die darin bestehtoder daraus folgt, daß er von einem Denkenden erfaßt wird.“32

Man beachte, dass Frege hier konzediert, dass Propositionen sich verändern. Was istunter Veränderung zu verstehen, wenn das korrekt sein soll? Bertrand Russell undJohn McTaggart haben die Antwort gegeben, die heutzutage oft als ‚Cambridge Cri-terion of Change‘ bezeichnet wird:33

32 Frege 1967a, 361. Wo Frege von Zeitlosigkeit (Atemporalität) spricht, da redetPlaton von Jederzeitigkeit (Omnitemporalität), und er tut es misslicher Weiseauch dort, wo er den ersten Begriff zu intendieren scheint: Temporale Bestim-mungen sind auf das nicht anwendbar, heißt es in Timaios 37d-38a, was sichimmer [sic] auf dieselbe Weise verhält. Zur Oszillation bei Platon vgl. Owen 1966,332–335; zum begrifflichen Unterschied zwischen A- und Omni-temporalitätvgl. Künne 2003, 285–290. – Auf den letzten Seiten des Aufsatzes „Der Ge-danke“ (Frege 1967a) nimmt Frege eine kausale Variante der rechten Seite von(∆) als Kriterium der Wirklichkeit in Anspruch, und Karl Popper ist ihm daringefolgt: dazu kritisch Künne 1983, 141–149, und 64–75 über Freges ursprüng-liche Auffassung.

33 Vgl. McTaggart 1927, 14 (§§ 313–314): „What, then, is change? We find Mr Rus-sell’s views on this subject in his Principles of Mathematics [Cambridge 1903],section 442. ‚Change is the difference, in respect of truth or falsehood, betweena proposition concerning an entity and the time T, and a proposition concerningthe same entity and the [different] time T', provided that these propositions differonly by the fact that T occurs in the one where T' occurs in the other.‘ That is tosay, there is change, on Mr Russell’s view, if the proposition ‚At the time T mypoker is hot‘ is true, and the proposition ‚At the same time T' my poker is hot‘ isfalse. […] I should […] admit that, when two such propositions were respectivelytrue and false, there would be change.“ Die Bezeichnung des Kriteriums geht zu-rück auf Geach 1969, bes. 71–72.

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(CCC) ∀ (x verändert sich ↔ ∃ y, t, t* (y ist eine Eigenschaft & t ist früher oderspäter als t* & x hat y zu t & ¬ x hat y zu t*).

Nach diesem Kriterium verändert sich das Paket Butter in der Truhe des Kaufmannsnicht nur, wenn es ranzig wird, sondern auch, wenn es heute mehr kostet als gestern,und Sokrates hat sich nicht nur verändert, als er krank wurde, sondern auch, als einervon uns anfing, ihn zu bewundern. Zweifellos gibt es ein Verständnis von ‚Verän-derung‘, nach dem der Nachsatz in (CCC) nur eine notwendige Bedingung der Ver-änderung erfasst: nach diesem restriktiveren Verständnis ist weder der Verlust derEigenschaft, einen Euro zu kosten, eine Veränderung des Pakets Butter, noch der Er-werb der Eigenschaft, von mir bewundert zu werden, eine Veränderung des Sokrates.Vorgänge, die nach (CCC) Veränderungen sind, nicht aber nach dem restriktiverenVerständnis, können wir extrinsische Veränderungen nennen, und diejenigen, die un-ter den engeren Begriff fallen, intrinsische Veränderungen.34

Nach dem Cambridge-Kriterium verändert sich die Gerechtigkeit, wenn ein ehe-dem gerechter Mann sich korrumpieren lässt oder wenn ein Gerechter stirbt; denndann verliert sie die Eigenschaft, von ihm exemplifiziert zu werden. Die Zahl 1000hat sich im Sinne von (CCC) in der fraglichen halben Stunde verändert, und die Pro-position, dass die Erde sich bewegt, hat sich ebenfalls verändert, als sie zum erstenMal der Gehalt von Galileos Denken wurde. Die Gerechtigkeit verändert sich nach(CCC) auch, wenn sich jemand klarmacht, dass sie nicht leicht mit Barmherzigkeitzusammengeht, und verändert hat sich die Zahl 1000 auch, als Hänschen erkannte,dass es sich bei ihr um eine Kubikzahl handelt. Die Veränderung eines eidetischenGegenstandes ist immer eine extrinsische Veränderung.

Wer eine Einsicht gewinnt, der verändert sich (und zwar intrinsisch). Was sichdadurch, dass es etwas erkennt, verändert, ist real: das sollte Argument [B] dartun.Die Eidetiker wurden dadurch ‚besser‘, dass sie sich von dieser Überlegung überzeu-gen ließen. Wenn sie sich nun im Rückblick auf Argument [A] auch noch die Distink-tion zwischen intrinsischer und extrinsischer Veränderung zueigen machen (wodurchsie vielleicht ‚gut‘ werden), so wird aus (P2) und (K2)

[A] (P2+) ∀ [(x ist real & ¬ (x hat Einsicht)) → x ändert sich niemalsintrinsisch]

(K2+) ∃ x [(x ist real & ¬ (x hat Einsicht)) & x ändert sich manchmalextrinsisch].

Damit ist jeder Anschein eines Widerspruchs getilgt.Die Eidetiker brauchen nun auch keine Skrupel mehr zu haben, das Von-Links-

nach-Rechts-Konditional im Dynamis-Kriterium

(∆) ∀ (x ist real ↔ x hat das Vermögen [δ�ναµι«], etwas zu etwas zu machen[ποιε�ν] bzw. etwas zu tun [δρ»ν]oder etwas von etwas zu erleiden [π�σξειν]).

34 Zur Schwierigkeit, den Begriff der intrinsischen Veränderung zu definieren, undzur einschlägigen Literatur vgl. Künne 2003, 282–285.

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zu akzeptieren. Wie Diotima im Symposion zu Recht bemerkt, geht die Idee derSchönheit nicht zugrunde, wenn Helena hässlich wird oder stirbt, – eine Idee ver-ändert sich in keiner Weise jemals intrinsisch. Aber das impliziert nicht, wie Diotimaunterstellt, dass jene Idee bei diesen traurigen Vorfällen „nichts erleidet [µηδ:π�σξον µηδων]“.35 Das Von-Rechts-nach-Links-Konditional in (∆) können auch die‚gut gewordenen‘ Eidetiker nicht billigen. Bäume und andere einsichtslose sensibiliaverändern sich ja auch intrinsisch. Wer sie als real klassifizieren will, kann also nichtan (P2+) festhalten.

Gibt es ein Indiz dafür, dass Platon die in (P2+) und (K2+) formulierte Auffassungvertrat? Jedenfalls gibt es in einem Dialog, den Platon dramaturgisch mit dem So-phistes verknüpft hat, einen klaren Beleg dafür, dass er das begrifflich irritierendePhänomen extrinsischer Veränderung gesehen hat.

SOKRATES: […] Ich, der ich jetzt diese Größe habe, kann innerhalb eines Jahres,ohne zu wachsen oder das Gegenteil zu erleiden, erst größer sein als ein jungerMann wie du und später kleiner – nicht weil ich etwas an Größe eingebüßt hätte,sondern weil du gewachsen bist. Dann bin ich ja etwas, was ich vorher nicht war,ohne es geworden zu sein; denn ohne etwas zu werden, kann man es nicht gewor-den sein, und da ich nichts an Größe eingebüßt habe, kann ich nicht kleiner gewor-den sein. Und mit tausend und abertausend Sachen verhält es sich genauso, wennwir dies gelten lassen. Du kannst mir doch folgen, Theaitetos? Jedenfalls dürftestdu mit diesen Dingen nicht ganz unvertraut sein.THEAITETOS: Ja, bei den Göttern, ich wundere mich ganz ungemein, was das alleszu bedeuten hat. Manchmal wird mir regelrecht schwindlig, wenn ich es betrachte.SOKRATES: Theodoros scheint dich ganz richtig eingeschätzt zu haben, meinFreund; denn das ist ja genau das, was dem Philosophen zu widerfahren pflegt, dieVerwunderung: sie und nichts anderes ist der Ausgangspunkt der Philosophie […].(Theaetetus 155b7–d3.)

Erst hat Sokrates die Beschaffenheit, größer als Theaitetos zu sein, dann hat er sienicht mehr: er hat sich also im Sinne des (CCC) verändert. Aber es ist keine intrinsi-sche Veränderung des Sokrates, sondern eine des Theaitetos.36 Platon konnte die phi-losophische Relevanz dieses Punktes kaum deutlicher hervorheben, als er es an die-ser Stelle mit dem emphatischen Kommentar des Sokrates getan hat.

35 Symp. 211b4–5. Vgl. zu dieser Stelle auch die Diskussion in Vlastos 1973,312–313, Anm. (und Schmitz 1985, 45, mit einem kuriosen Beiseite über die „et-was weniger rationalistische Einstellung der Frau“).

36 Aristoteles meint mit ‚Veränderung‘ intrinsische Veränderung, wenn er in Meta-physik Ν 1, 1088 a 34–5, schreibt: „Ohne sich verändert zu haben [/νεψ το� κινη-υ>ναι], wird ein Ding bald größer, bald kleiner und bald genauso groß sein –nämlich als bzw. wie ein anderes Ding, welches sich hinsichtlich seiner Quantitätverändert hat“.

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Zur Diskussion 321

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