die blutkörperchensenkung in der psychiatrie

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Die Blutk6rperchensenkung in der Psychiatrie. Von Dr. reed. R. Elste, Schleswig. (Eingegangen am 13. Juni 1939.) Dem zuni~chst iiberwiegend internistisch ausgerichteten angehenden Psychiater will es immer reizvoll erscheinen, den Ablauf psychischer St5rungen bei seinen Patienten in Parallele zu somatischen Prozessen zu setzen und diese mit klinischen, d.h. wieder internistischen Unter- suchungsmethoden zu erfassen zu suchen. Z.B. hat das Syndrom der Blutk5rperchensenkung (BS.) nicht nur allgemein eine schier uniiber- sehbare Literatur gezeitigt, deren Ergebnisse unter anderem im Wesent- lichen bei Reichel und Le//kowitz zusammengefaBt sind, sondern auch im Hinblick auf die psychiatrisch anzugehenden Krankheitsbilder ist von den verschiedensten Autoren ein -- sich oft widersprechendes -- reich- haltiges Material zusammengetragen worden, so dab schon dieses Wider- sprechen der Ergebnisse zu einer Nachpriifung reizte. So kam Plaut 1920 z. B. bei der Paralyse auf Werte zwischen 2 und 49, im Mittel 14,5 (alles in mm/h), bei der Epilepsie zwischen 1 und 20, im Mittel 5,5, und sogar bei der Psychopathie und Hysterie auf Werte zwischen 1 und 21,5, im Mittel 4. Ebensolche Ergebnisse gewann er fiir andere Psychosen, wobei er einmal innerhalb der einzelnen Psychosen keinerlei Sonder- unterscheidungen machte und andererseits den jeweiligen Zustand der EinzelpersSnlichkeit unberiicksichtigt lieB. Wenn der Autor zugleich normale und pathologische Befunde konstatierte, ohne die letzten ns zu kritisieren, so sind seine Ergebnisse fiir eine praktische Anwendung hinsichtlich einer Beurteilung wie fiir die Prognose seiner F~lle unver- wertbar. Auch Wolochow, der in s Weise vorging, muBte so zu praktisch nicht verwendbaren Resultaten gelangen. G6tz land wohl zum ersten Mal, dab seine 31 Epileptiker vor einem Anfall eine Beschleunigung, sonst aber normale Werte boten. Auch er land z. B. bei der progressiven Paralyse in 80% eine Beschleunigung zwischen 1,5 und 25, im Mittel etwa 15, ohne aber den k5rperlichen wie psychischen Zustand einer ni~heren Wfirdigung zu unterziehen. -- Uber die Senkungsgeschwindig- keit (SG.) im Cardiazolversuch bei Epileptikern vergleiche bei Lange- likldeke. Mein Material sttitzt sich auf 483 Untersuchungen, die bei 100 Patien- ten angestellt wurden, und zwar wurde die BS. 1- bis 3mal bei 40, 4- bis 7mal bei 45 und 8- bis llmal bei 15 Pat. angestellt. Hinsichtlich der ange- wandten Technik und zu beachtender Feinheiten cp. u. a. bei Le//lcowitz und G6tz. Auf eine Ablesung nach 24 Stunden wurde grunds~tzlich

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Page 1: Die Blutkörperchensenkung in der Psychiatrie

Die Blutk6rperchensenkung in der Psychiatrie. Von

Dr. reed. R. Elste, Schleswig.

(Eingegangen am 13. Juni 1939.)

Dem zuni~chst iiberwiegend internistisch ausgerichteten angehenden Psychiater will es immer reizvoll erscheinen, den Ablauf psychischer St5rungen bei seinen Patienten in Parallele zu somatischen Prozessen zu setzen und diese mit klinischen, d .h . wieder internistischen Unter- suchungsmethoden zu erfassen zu suchen. Z .B . hat das Syndrom der Blutk5rperchensenkung (BS.) nicht nur allgemein eine schier uniiber- sehbare Literatur gezeitigt, deren Ergebnisse unter anderem im Wesent- lichen bei Reichel und Le//kowitz zusammengefaBt sind, sondern auch im Hinblick auf die psychiatrisch anzugehenden Krankheitsbilder ist von den verschiedensten Autoren ein - - sich oft widersprechendes - - reich- haltiges Material zusammengetragen worden, so dab schon dieses Wider- sprechen der Ergebnisse zu einer Nachpriifung reizte. So kam Plaut 1920 z. B. bei der Paralyse auf Werte zwischen 2 und 49, im Mittel 14,5 (alles in mm/h), bei der Epilepsie zwischen 1 und 20, im Mittel 5,5, und sogar bei der Psychopathie und Hysterie auf Werte zwischen 1 und 21,5, im Mittel 4. Ebensolche Ergebnisse gewann er fiir andere Psychosen, wobei er einmal innerhalb der einzelnen Psychosen keinerlei Sonder- unterscheidungen machte und andererseits den jeweiligen Zustand der EinzelpersSnlichkeit unberiicksichtigt lieB. Wenn der Autor zugleich normale und pathologische Befunde konstatierte, ohne die letzten ns zu kritisieren, so sind seine Ergebnisse fiir eine praktische Anwendung hinsichtlich einer Beurteilung wie fiir die Prognose seiner F~lle unver- wertbar. Auch Wolochow, der in s Weise vorging, muBte so zu praktisch nicht verwendbaren Resultaten gelangen. G6tz land wohl zum ersten Mal, dab seine 31 Epileptiker vor einem Anfall eine Beschleunigung, sonst aber normale Werte boten. Auch er land z. B. bei der progressiven Paralyse in 80% eine Beschleunigung zwischen 1,5 und 25, im Mittel etwa 15, ohne aber den k5rperlichen wie psychischen Zustand einer ni~heren Wfirdigung zu unterziehen. - - Uber die Senkungsgeschwindig- keit (SG.) im Cardiazolversuch bei Epileptikern vergleiche bei Lange- likldeke.

Mein Material sttitzt sich auf 483 Untersuchungen, die bei 100 Patien- ten angestellt wurden, und zwar wurde die BS. 1- bis 3mal bei 40, 4- bis 7mal bei 45 und 8- bis l lma l bei 15 Pat. angestellt. Hinsichtlich der ange- wandten Technik und zu beachtender Feinheiten cp. u. a. bei Le//lcowitz und G6tz. Auf eine Ablesung nach 24 Stunden wurde grunds~tzlich

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verzichtet. Zwischen je 2 Messungen lag fast immer ein Zwischenraum yon mindestens 24 Stunden, meist aber yon Tagen. - - Ausscheidenaus dem gewonnenen Material muBten jene (11) Pat., die an interkurrenten kSrperlichen Erkrankungen litten: Asthma bronchiale, chronische Bronchitis, Furunkel, grSBere Wunden, Zahngeschwiir. Malaria-, An- ~sthesulf- und Insulinbehandelte muBten w~hrend dieser Therapie bei der Beurteilung gleiehfalls ausscheiden, desgleichen ein Fall yon sekun- d~rer Aniimie und ein Fall mit Leuk~mie.

Fall 1. Frtiher suizidaler haltloser Psychopath, der in Anstaltspflege gut zu lenken war:

8 S. 2 - 4 Sp 3--5 Normale Werte. Fall 2. 62 Jahre, Versiindigungsideen bei arteriosklerotischer Demenz:

2 S. 5---7,5 Sp 0,5--1,5 Fall 3. 57 Jahre, arteriosklerotisch bedingte Depression:

1 S. 3--8 Im Bereich der Norm (his obere Grenze). In Fall 2 Konstanz deutlieh. Fall4. 24Jahre. Vor 12 Jahren Encephalitis, seitdem station~rer Folge-

zustand: 5 S. 1,5--1,2 Sp 1--1

Auff/illig ist die konstante Langsamkeit der SG. Es f/~llt auf, dab die SG. in der 2. Stunde sogar etwas geringer ist als in der 1. Ob dieses Ergeb- nis einem Zufallstreffer zu verdanken ist oder wie weit ihm eine gewisse Bedeutung innewohnen kann, wird unten angedeutet werden.

Besonderes Interesse muBte naturgem/iB die Untersuchung der SG. bei den endogenen Psyehosen beanspruchen. Weitaus die meisten Psy- chosen (71 Kranke) gehSrten dem schizophrenen Formenkreis an. Aus Zweckm/~Bigkeitsgriinden wurde die historisch gewachsene klassische Einteilung beibehalten, wie sie unter anderen von Wernicke, Kraepelin und Bleuler entwickelt wurde. In der 1. Gruppe der Untersuchungen wurden alle F/tlle yon Hebephrenie, von Dementia simplex, von para- phrenen und paranoiden Bildern zusammengefaBt:

FMle 5---22. Erkrankungsalter zwischen 20 und 35 Jahren, nur im Fall 13 43 Jahre.

Fall 5: 2S. 2 --2,5 Sp 0 --1 ,, 6: 6 S. 2 --3 Sp 2,5-9 ,, 7: 2S. 2 --3 Sp 2 --4 ,, 8 : 5 S. 2 ---4 Sp 0,5--1 ,, 9: 5 S. 2,2--2,6 Sp 1 --2,5 ,, 10: 7 S. 2,3--3 Sp 4 --10 ,, 11: 7S. 2,4--3,3 Sp 3 --4,5 ,, 12: 7 S. 2,6--4,3 Sp 1,5--6,5

S Zahl der Senkungen, erste Zahl Mittel der SG. in der 1. Stunde, zweite Zahl Mittel der SG. in der 2. Sttmde. Sp Differenzspanne zwischen HSchst- und Niedrigst- wert, erste Zahl in der 1. Stunde, zweite Zahl in der 2. Stunde. Alle Zahlen in Millimeter in der Stunde.

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Fall 13: 7 S. 2,5~ 4 Sp 2,5--8 ,, 14: 6S. 2,7-- 3,8 Sp 3 --5,5 ,, 15: 1S. 3 - - 4 ,, 16: 2S. 3 - - 4 Sp 2 --7 ,, 17: 5S. 3 - - 4,6 Sp 3 --13 ,, 18: IS . 4 - - 4 ,, 19: 2S. 4 ,5~ 8,5 Sp 3,5~ 6 ,, 20: 1S. 5 - - 7 ,, 21: 2S. 5 - - 9 Sp 2 - - 2 ,, 22: 1 8. 5 --[0,5

Alle diese hinsichtl ich ihres Manifestat ionsalters und ihrer sippen- m~Bigen Belastung verschiedenen und in ihren psychischen Verl~ufen sicher unterschiedlichen FKlle weisen normale SG. auf, die fast immer in der 2. S tunde etwas grSSer ist als in der 1. I rgendeine Gesetzm~fligkeit ist bei der Be t rach tung un te r psychiatr ischem Gesichtswinkel nicht

zu konstruieren. Fall 23--27. Dementia praecox, Erkrankungsalter zwischen 23 und 40 Jahren.

Ausgesprochen zahlreiche nnd h~ufige optische und akustische Halluzinationen sowie bliihende Wahnvorstellungen.

Fall23: 4 S. 2,5--3,5 Sp 1,5 4 :, 24: 4S. 3 - -4 Sp 3 --10 ,, 25: 2S. 3,5--4,5 Sp 3 - - 8 ,, 26: 4S. 3,5--5 Sp 2 - - 3,5 ,, 27: 7 S. 4 --7 Sp 7,5--11

Auch hier gegeniiber der 1. Stunde erhShte SG. in der 2. Stunde, aber gegeniiber den F~llen 5 - -22 keinerlei verwertbare Abweichung von der Norm trotz besonders lebhafter Ausbi ldung der Wahnvors te l lungen und des hal luzinatorischen Begleitsymptoms.

Fall 28 und 29. 18 bzw. 22 Jahre alter Pfropfschizophrener. Fall 28 : 3 S. 3 --5 Sp 2--7,5

,, 29: 3S. 2,3--3,3 Sp 3--6

Auch hier h5here Werte in der 2. S t u n @ gegeniiber der 1. Stunde, aber ebenso wie bei allen anderen schizophrenen FKllen oben n icht k rankhaf t erh5ht; auch keine Besonderheiten diesen gegeniiber.

Fall 30. Erkrankungsalter 23 Jahre. Dementia simplex, die zuerst lange unter der Diagnose Hysterie lief und deren Zusammenhang mit einer Kopfverletzung lange Zeit angenommen wurde:

6 S. 2--3 Sp 2--3,5

l~all 31. Wahnhafte Einbildungen bei einem Degenerierten im Sinne Birnbaums. 33 Jahre.

2 S. 2,5--6,5 Sp 1--6

Auch bei diesen au•erhalb des durchschni t t l ichen Rahmens gelagerten F~llen keine Abweichung vom oben gefundenen Typus der SG.

Diesen 27 Schizophrenen, die wi~hrend der Unte r suchung ein hebe- phrenes, paraphrenes, paranoides oder simplices bzw. praecoces Zu- s tandsbild boten, s tehen 44 Schizophrene gegeniiber, die zur Zeit der

z. f. d. g. Neur. u. Psych. 168. 16

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Untersuchung ein deutl ich kata tones Krankhei t sb i ld zeigten. Bei Be- t rach tung der Ergebnisse hinsichtl ich der BS.-sch/f l ten sich zwanglos 2 verschiedene Typengruppen heraus, von denen der einen Reaktions- gruppe zugerechnet werden konn ten :

Fall 32--54. Erkrankt zwischen 21 und 45 Jahren.

Fall32: 8 S. 3,4-- 6 Sp 3 - - l l ,, 33: 7 S. 4,4-- 7 Sp 4,5--12 ~, 34: 7 S. 4,5-- 7 Sp 7,5--II ,, 35: 1 S . 5 - - 7

,, 36: 6S. 5 - - 8 Sp 7 --16,5 ,, 37: 2S. 5 --12 Sp 1,5--2,5 ,, 38: IS . 5 - - [4 ., 39: 8S. 6 - - 8 Sp 9 --13 ,, 40: 3S. 6 - - 9,7 Sp 3 - - 8 ,, 41: 1S. 6 --12 ,, 42: 6 S. 6,7--12 Sp 8 --22 ,. 43: 2S. 7 - - 9 Sp 1,5-- 0,5 ., 44: 6S. 7 - - 9,6 Sp12,5--25 ,, 45: 1 S. 7 --15 Sp ,, 46: 6S. 8,5---I3 Sp 4 --13 ,, 47: 6S. 9 --10,8 Sp16 --32 ,, 48: 5S. 9 --13,2 Sp 3 - - l l ,, 49: 2S. 10 --15,5 Sp 6 - - 1 3 ,, 50: 7 S. 11,3--13,4 Sp 14 --32 ,, 51: 1S. 12 --20 ,, 5 2 : 8 S. 12,6--13,8 Sp 14 --23 ,, 53: 8S. 13 ~40 Sp35 --84 ,, 54: 4S. 20 --21,5 Sp35 --55

Ausgezeichnet sind diese Werte der SG. einmal dadurch, dab sich nu t knapp ein Viertel innerhalb oder an der oberen Grenze der Norm bewegt, dab der Rest aber eine wesentliche Erh6hung zeigt. Wei ter ist die SG. in der 2. S tunde gegentiber der 1. meist erheblich erh6ht ; ist dies n icht der Fall , so pflegt die Differenz zwischen den Niedrigst- und den HSchstwerten in den beiden einzelnen S tunden ganz betr~chtl ich zu sein, so da$ kaum noch yon einer Kons tanz der SG. gesprochen werden kann. - - Bet rachte t m a n diese un te rsuch ten Pat . , so ergibt sich, da$ es sich durch- weg um solche K a t a t o n e handelte, die sich in einem deutl ichen, zum Teil sogar ganz erheblichen Zus tand seelischer und dami t auch kSrperlicher, also muskul~rer Spannung befanden; man merkte ihnen an, in welch hohem Grade in ihnen Antr ieb und Gegenantr ieb gleichzeitig wirksam waren; wie sie trotz ihrer erheblichen Anspannung und Gespannthe i t infolge dieses Antagonismus ' bewegungsarm sich selbst und anderen im Wege s tanden ; ab und zu planlos, aber heftig fortdr~ngend, etwas h~ufiger infolge ihrer inneren Gespannthe i t und Gereiztheit gegen Pfleger und Mit- pat. aggressiv werdend. K6rperlich befanden sie sich in einem n u t m~Bigen, meist untergewicht igen Ern~hrungszustande. Auf kleinste T raumen reagierten sie fiberaus leicht mi t Suggillationen, so dal3 sie oft an

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vielen Stellen des KSrpers gleichzeitig blaue Flecke aufwiesen. - - Die Beschleunigung der SG. und die Vergr6Berung der Spanne zwischen den Niedrigst- und den H6chstwerten wird auf die hochgradig vermehrte k6rperliche Leistung zuriickgefiihrt, die infolge der langdauernden Bean- spruchung der KSrpermuskulatur, der zur gleiehen Zeit Impulse flit Antrieb wie ffir Gegenantrieb zuflieBen, bei dieser Art der katatonen Schizophrenie geleistet wird. Es erscheint berechtigt, bei dieser Gruppe von ,,gespannter", ,,spastischer", ,,hyperkinetiseher", wohl auch von ,,erethischer" Katatonie zu sprechen.

Fall 55: 7S. 2 ---4,3 Sp 2 -- 8 ,, 56: 3 S. 2,3--6 Sp 2,5~ 5,5 ,, 57: 8S. 2,6--6 Sp 5 --10

Diese 3 F~tlle sind dadurch ausgezeiehnet, dab die SG. - - wenigstens in der 1. Stunde - - an der unteren Grenze der Norm liegt. Aber auch hier ist die Zone zwisehen Niedrigst- und H6chstwerten verbreitet, und auBerdem ist die Senkung in der 2. Stunde stets fiber 100% grSBer als in der 1. Stunde. Psychiatrisch handelt es sieh bei diesen 3 29--33 Jahre alten Pat. ebenfalls um gespannte Katatone. Der Ausfall der BS. stimmt im Prinzip mit dem der vorhergehenden Gruppe fiberein.

Fall 58--60. Angeboren Schwachsinnige, Pfropfschizophrene, zuzurechnen der gespannt katatonen Gruppe.

Fall 58: 7 S. 5--8,4 Sp 7--18 ,, 59 : 8 S. 6--8 Sp 9--24,5 ,, 60: 2 S. 4--9 Sp 6--21,5

Auch bei Pfropfschizophrenen, sofern es sich nur um gespannt kata- tone Formen handelt, liegen die SG.-Werte ffir die 1. Stunde nahe der oberen Grenze der Norm, wghrend sie ffir die 2. Stunde erhSht sind. Betr~chtlich verbreitert ist ebenfalls die Differenzspanne. Die Befunde bei diesen Pfropfschizophrenen decken sich also mit denen bei Fall 32 bis 54 erhobenen.

Fall 61. 28j~hriger gespannter Katatoner. 7 S. 5--7 Sp 4,5~11

Zunehmende Beruhigung unter EinfluB einer Insulinkur. 4 S. 2,5--5,6 Sp 3--7

Fall 62. 16jahriger gespannter Katatoner, Nahrungsverweigemmg, Aggressivit~t. 2 S. 21,5--49 Sp 11--26

Wesentliche Besserung im Sinne einer Beruhigung und Entspannung nach einer Anaesthesulfkur.

3 S. 9--23,3 Sp 14--30

Beide F~lle zeigen ein Absinken der SG. mit Eintritt der k5rperlichen Beruhigung und Entspannung, der erstere fiberdies dabei ein Schrumpfen der Differenzspanne.

Fall 63. 21jghriger Junge, unruhig gespannt katatones Bild bei ttaftpsychose (keine Schizophrenie).

7 S. 4,4---14,6 Sp 7,5~16

16"

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Der Fall demonstriert, dab schon beim Fehlen jeder Proze]psychose die absolute und korrelative Besehleunigung der SG. vom jeweiligen seelisch bedingten Zustand kSrperlicher Anspannung abh~ngig ist, eine Befunddifferenz, die Le//kowitz sehon beim Vergleich ruhender und t~tiger Menschen beobaehtete.

Diesen gespannten Katatonen steht eine andere Gruppe von Pat. gegeniiber, deren BS. sich im Gegensatz zur vorhergehenden Gruppe vSllig anders verh~lt:

Fall 64--70. Erkrankungsalter zwischen 17 und 37 Jahren. Fall64: 2 S. 1 --1 Sp 0,5--1

,, 65: 1S. 1 --1 ,, 66: 10S. 1,5--1,2 Sp 1 --1 ,, 67: 2 S. 1,5--1,5 Sp 0 --0 ,, 68: 1 S . 2 - - 1 ,, 69: 7 S. 2,1--2 Sp 3 --6,5 ,, 70: 3 S. 2,7--3 Sp 1 --5

I m BS.-Versuch zeichnen sich alle diese F/ille durch einen Wert aus, der unter oder an der unteren Grenze der Norm liegt. Die Spannungs- differenz ist bei 5 F/illen ganz gering und nur bei zweien, und bei diesen auch erst in der 2. Stunde, vom Ausmal~ einer physiologisch-durch- schnittlichen Stundensenkung; d .h . die SG. ist praktisch als konstant anzusehen. Bis auf den letzten Fall, wo die Differenz gering ist, ist die SG. in der 1. Stunde gleichgroB oder sogar hSher als in der folgenden; dieser Typus yon BS. stellt also eine Umkehr gegenfiber allen bisher erhobenen Befunden dar. Klinisch, d. h. psychiatrisch stellen diese Kata- tonen ebenfalls einen von der vorhergehenden Gruppe ganz abweichenden Typus dar. Es handelt sich um ausgesprochen lahme und antriebslose Kranke, die ohne jeden vitalen Schwung und ohne jede merkbare affektive Regung stumpf in den Tag hineinleben, so dab eine Unterscheio dung yon der vorhergehenden Gruppe als der , ,stumpfen", ,,paralyti- schen", ,,apathischen", ,,akinetischen" Katatonie begriindet erscheint; auf diese Gruppe s o l l t e - unter Fortfall des Ausdrucks Katatonie - - die Bezeichnung , ,Stupor" ausschliel~lich angewendet werden.

Fall 71 : 4 S. 1,5--1,4 Sp 1,5--1,5 ,, 72: 3 S. 2,3--2,3 Sp 1 --2 ,, 73; 3S. 2,7--1 Sp 1 --1

Auch diese F/~lle zeigen die oben beschriebene Umkehr der absoluten und die Konstanz der korrelativen Werte ffir die SG. Psychiatrisch handelt es sich um den gleichen Krankheitstyp, der sich dadurch yon den F/illen 64 70 unterscheidet, als die Kranken gelegentlich einmal zu- schlagen konnten. Es geschah dies abet nicht in der explosiven Weise wie bei den gespannten Katatonen, sondern diese Kranken fiihrten mehr ungeschickte Einzelbewegungen aus, mit denen sie mehr zuf/illigerweise als drangentsprungen trafen; auch trotz dieses gelegentlichen Zuschlagens

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also sind diese 3 Pat. einwandfrei dem Typus des ,,schlaffen" Kata tonen zuzurechnen.

Am Rande sei vermerkt, dal3 Beziehungen zwischen Schizophrenie und encepha- |itischen Bildern altbehauptet (Literatur unter anderen bei Persch: Allg. Z. Psyehiatr. 1938, 247 und bei Rodenberg: Allg. Z. Psychiatr. 96, 139 (1931)]; viel- leicht stellt der bei Fall 4 beschriebene Typ der SG. einen ~ui~eren Ausdruck dieses mSglichen Zusammenhangs dar.

Fall 74. 22j~hriger gespannter Katatoner mit flexibilitas cerea, maskenhafter Steifigkeit des Gesichts :

1 S. 3--7 Fall 75. 30j~hriger gespannter Katatoner, maskenhafte Steifigkeit der mimi-

schen Gesichtsmuskulatur. 1 S. 6--8

I m ersteren Falle ist die SG. in der 2. Stunde gegenfiber der 1. um fiber 100 % gesteigert, was durchaus dem Typus des gespannten Kata tonen entsprechen wtirde; im anderen Falle liegen beide Werte nahe beieinander an der oberen Grenze innerhalb der Norm, auch dies wfirde dem Typus des gespannten Kata tonen durchaus entsprechen. Ob die Beimengung encephalitisch anmutender Symptome an der Bildung dieses Ergebnisses der BS. ursachlich beteiligt ist und die Aufstellung eines weiteren Kata- tonietypus' gestattet , kann auf Grund yon2 Fallen nicht beurteilt werden.

Nachst den Schizophrenen interessierte das Ergebnis bei 9 syphili- tisch Geisteskranken :

Fall76: 2S. 1 --2 Sp 0 --0 ,, 77: 6S. 2,3--3,5 Sp 4 --8 ,, 78: 2S. 5,5--9 Sp 3 --5 ,, 79: 2 S. 6 --8 Sp 0 , 5~ , 5

Normale Werte bei frfiher malaria- und spezifisch behandelten Para- lytikern, die s tumpf und gleichgfiltig in den Tag hineinvegetieren.

Fall 80: 5 S. 2,2--4 Sp 1--7

Normale, ziemlich konstante Werte bei einem ebenfalls stumpfen Paralytiker, der wohl real zuschlagen konnte, abet nie Zeichen einer besonderen motorischen Spannung und Unruhe bot.

Fall 81. Ratlos ~ngstlich gespannter Paralytiker nach Pyrifer- und spezifischer Behandlung:

2 S. 2--4,5 Sp 4~6 Fall 82. Agitierter, oft erregter Lues cerebri-Pat, mit expansiven Gr61~enideen:

7 S. 8--10,7 Sp 8--21

In beiden Fallen analog den gespannten Kata tonen entweder eine fiber 100%ige Steigerung der SG. in der 2. Stunde oder beschleunigte SG. bei vergrSl~erter Spanne zwischen Nicdrigst- und HSchstwerten.

Fall 83. Progressive Para]yse, agitiert, motorisch unruhig: 1 S. 9--23

Nach spontaner Beruhigung, Abebben der Erregung: 6 S. 4,3--7,7 Sp 3--tl ,5

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246 R. Elste :

Fall 84. Gleiche Psyehose, recht gespannt, h/~ufig erregt, schimpfend: 2 S. 18---33 Sp 4---32

Nach spontaner Beruhigung: 5 S. 5,2--6,6 Sp 6,5---5,5

W~hrend des Erregungsstadiums erhShte Werte wie oben beschrieben, nach Wiedereintritt der Beruhigung Absinken der SG. zur Norm.

Endlich konnten noch 5 Epileptiker in die Untersuchung einbezogen werden :

Fall 85. Traumatische Epilepsie, ruhig, ohne Anf/ille: 2 S. ~ - 8 Sp 0--6,5

Fall 86. Genuin. Ruhig, nicht gespannt, einzelne Anfi~lle etwa alle 5 Wochen: 7 S. 2 ,7~ ,4 Sp 2--6

Normale Werte bei nicht gespannten Epileptikern, bei denen hSchstens einzelne Anfii, lle in 1/tngeren Zwischenr/iumen auf die SG. keinen EinfluB haben.

Fall 87. Nicht gespannt: 1 S. 6--11

Nach D~mmer- und Erregungszustand und 4 Anf~llen 2 Tage vorher: 1 S. 19--15

Fall 88. Etwa 2 AnfMle in der Woche : 5 S. 4,8--6,4 Sp 2-- -4

Nach schweren Anfi~llen im Benommenheitszustand: 5 S. 8--13 Sp 4---9

Einzelne Anf/~lle bei genuinen Epileptikern ohne sicheren mel~baren Einflul~; in Zeiten st/~rkerer Erregung verbunden mit kSrperlicher Inan- spruchnahme und Anspannung Beschleunigung der SG.

Fall 89. ~lterer genuiner Epileptiker mit raschem Wechsel zwischen erregter Anspannung mit Anfi~llen und Wiederberuhigung:

ll S. 11,6--17 Sp 21---28 Entsprechend dem h/~ufigen und raschen Wechsel zwischen Beruhigung

und Erregung erhebliche Inkonstanz der SG. mit normalen bis erheblich erh5hten Werten fiir die BS.

Zusammenlassung.

Es wurde die BS. bei 100 Psychotikern untersucht. Eine unspezifische Beschleunigung der SG. land sich bei all jenen Kranken, die gegenfiber der Norm vermehrte kSrperliche Arbeit leisten, also bei erregten Epilepti- kern, bei motorisch unruhigen Paralytikern und bei gespannten (,,spasti- schen") Katatonen, die sich yon den schlaffen (,,paralytischen") ,,Kata- tonen" unterschieden, deren SG. gegenfiber der Norm verzSgert war. Dabei wurde die SG. nicht als direkte Funktion des psychischen Zustan- des aufgefaBt, sondern lediglich als prim/~rer Ausdruck des jeweiligen kSrperlichen Ruhe- oder Erregungszustandes. Die sich widersprechenden Ergebnisse friiherer Untersucher finden so ihre Erkl/irung. Speziell vom Vorhandensein oder Fehlen etwa yon Sinnest/~uschungen ist die BS. prim/ir vSl|ig unabh~ngig, was bei der trotz aller beobachteten Vorsichts-

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Die BlutkSrperchensenkung in der Psychiatrie. 247

maBnahmen zur Erzielung mSglichst gleicher Versuchsvorbedingungen doch recht groben Methode eigentlich auch nicht anders zu erwarten war; Einblick in derartige psychische Vorg/inge erlauben hSchstens viel feinere Methoden, wie sie etwa Rohracher u. a. bei hirnelektrischen Ableitungs- untersuchungen angewendet haben 1. Ebenso unabh~ngig erwies sich die SG. auch vom DefektausmaB oder vom Demenzgrad eines Kranken.

GewissermaSen als Nebenbefund best/~tigte sich die auch klinisch, d .h . psychiatrisch erfaSte Beobachtung, wonach ,,schlaffe" und ,,ge- spannte" Katatonie 2 verschiedene Zustandsbilder und Verlaufsformen darstellen.

Wird die Beobachtung der BS. ffir den Internisten stets ihren Wert als wichtiges Symptom ffir die Beurteilung des somatischen Zustandes eines Individuums behalten, so erscheint ihre Anwendung in der Psychia- trie iiberfliissig. Einem Kata tonen sieht man eben an, ob er , ,gespannt" oder ,,schlaff" ist; eine scharfe Begrenzung des Begriffes , ,Stupor" auf diese letzteren nicht gespannten F/~lle mSglichst unter Verzicht auf den hier sprachlich ungeeigneten und symptomatisch-deskriptiv irre- fiihrenden Ausdruck , ,Katatonie" erscheint geboten. - - Psychisches Krankheitsgeschehen selbst bleibt dagegen direkt stets nur durch klini- sche, d .h . psychiatrische bzw. psychologische Beobachtung faBbar.

Literatur. G6tz: Z. Neur. 113, 719 (1928). - - Langeli~ddeke: Allg. Z. Psychiatr. 1938, 81. - -

Le/fkowilz: Die BlutkSrperchensenkung. 1937. - - Plaut: Mtinch. reed. Wschr. 1920 I, 279. - - Reichel: BlutkSrperchensenkung. 1936. - - Wolochow: Z. Neur. 127, 389 (1930).

1 Forsehgn u. Fortsehr. 1938, 362f.