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  • Die Beziehung zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift: Versuch einerkulturhistorischen DeutungAuthor(s): Stig Hornshj-MllerSource: Aegyptus, Anno 60, No. 1/2 (gennaio-dicembre 1980), pp. 161-223Published by: Vita e Pensiero Pubblicazioni dellUniversit Cattolica del Sacro CuoreStable URL: http://www.jstor.org/stable/41216549 .Accessed: 15/06/2014 15:23

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  • Die Beziehung zwischen der lteren

    und der jngeren rmischen Kursivschrift

    Versuch einer kulturhistorischen Deutung*

    Ein Grundzug des Menschen ist sein Wille und seine Flligkeit, einen sinnvollen Kontakt mit anderen Menschen herzustellen. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen: man kann Gebrden ma- chen, man kann sich mndlich oder auch schriftlich mitteilen. In der Neuzeit sind diese verhltnismssig einfachen und persnlichen Kom- munikationsmglichkeiten stark erweitert worden, z.B. durch Rund- funk, Film und Fernsehen, und zugleich hat die technische Ent- wicklung zu einem zunehmenden Erkenntnisinteresse an den vom Menschen in seiner Mitteilung an die Umwelt benutzten Mitteln gefhrt. Auch wenn diese Kommunikationsforschung in erster Linie gegenwrtige Verhltnisse, besonders die Massenmedien, zum Gegenstand hat, enthlt ihre semiologische Theoriebildung wesentli- che berlegungen, die sich auch auf Bereiche der Antike anwenden lassen.

    Dieser Versuch soll hier gemacht werden. Denn die Untersuchung stellt die These auf, da Entwicklung der allgemein verwendeten Be-

    () Dieser Aufsatz stellt eine leicht verkrzte und berarbeitete Ausgabe der 1976 beim Historischen Institut der Universitt Kopenhagen (Universi- ttsdozent, fil. dr. Bengt Malcus) eingereichten Magisterarbeit dar. Fr un- schtzbare Anregung und Untersttzung in Verbindung mit der Umarbeitung danke ich Universittsdozent, fil. dr. Jan-Olof Tjder, Universitt Uppsala, dessen Unterricht in rmischer Palographie an der Nordischen Sommer- schule fr Forscherausbildung 1971 und 1972 mein Interesse an diesem Thema weckte. Ferner mchte ich Dr. phil. habil. Erik Moltke und cand. mag. Arne Haegstad fr wertvolle Ratschlge danken. Der Aufsatz wurde von Conny Bauer bersetzt. Fr finanzielle Untersttzung mchte ich der Dnischen Forschungsgemeinschaft danken.

    Eine bersicht ber die in Hinweisen verwendeten Abkrzungen findet sich am Schlu des Aufsatzes.

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  • 162 STIG HORNSHJ-MLLER

    darfsschrift im rmischen Kaiserreich int Licht der von der damaligen Gesellschaft gestellten wechselnden Ansprche an schriftliche Kommu- nikation zu sehen ist.

    Die Untersuchung unterscheidet sich dadurch wesentlich von vie- len der bisher erschienenen Studien der rmischen Schrift. Zweck dieser Studien war es vorwiegend, die Vernderung des Schriftbilds aufzuzeigen, um dadurch brauchbare Kriterien fr eine palogra- phische Datierung von nicht-datiertem Material zu gewinnen. Nur in seltenen Fllen wurde mehr als eine rein deskriptive Behandlung des Stoffes angestrebt. Etwas hartgeurteilt knnte man sie als Pr- wissenschaft bezeichnen, auf jeden Fall mu man aber die Auffas- sung der Palographen selbst von der Rolle der Palographie als einer reinen Hilfswissenschaft fr Papyrologen, Philologen und Histo- riker hervorheben. Meist wird lediglich die deskriptive Frage : wie statt einer analysierenden : warum gestellt. Wo dies dann vor- kommt - und gerechterweise sei darauf hingewiesen, da es dank der provokativen Forschung des Franzosen Jean Malion whrend der letzten 35 Jahre immer hufiger der Fall ist (2) - handelt es sich ausschlielich um neue Schriftformen und deren Genesis.

    Wenn man bedenkt, wie individuell eine Schrift sein kann, mu man sich hin und wieder wundern, wie rigoristisch Analysen von Einzeldokumenten als Ausgangspunkt fr weiterreichende Theorien verwendet werden. Besonders fr das Verhltnis zwischen der lte- ren und der jngeren rmischen Kursivschrift und ihre gegenseitige Abhngigkeit gilt, da das vorhandene Quellenmaterial als ungen- gend fr eine Aufklrung der Entwicklung bezeichnet werden mu. Das Bemerkenswerte an dieser Entwicklung ist meines Erachtens auch nicht die graphische Umformung der einzelnen Buchstaben, sondern vielmehr die Tatsache, da es der jngeren rmischen Kur- sivschrift gelungen ist, im Laufe von nur einem Jahrhundert sich als die meist verwendete Bedarfsschrift ganz und gar durchzusetzen.

    (2) Die moderne Forschung innerhalb der rmischen Schrift ist weitgehend von einer Stellungnahme zu dem epochemachenden Werk Jean Mallons, Pa- lographie romaine, aus dem Jahre 1962, gekennzeichnet gewesen. Seine These einer Erneuerung der Bedarfsschrift auf grand einer Schriftwinkelvernderung der Buchschrift gilt heute als widerlegt: die jngere rmische Kursivschrift wurde innerhalb der eigentlichen Bedarfsschrift gebildet, vgl. unten S. 33.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 163

    Diese Feststellung ist Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Auer- dem beruht die Untersuchung auf der berzeugung, da auch eine Handschrift ein Teil des menschlichen gesellschaftlichen Universums ist und folglich durch eine tiefgreifende, sinnvolle Analyse dazu in Beziehung gesetzt werden mu (3).

    Die moderne Forschungsdebatte auf dem Gebiet der rmischen Palographie hat sich zum groen Teil um die Frage gedreht, in- wieweit es eine Kontinuitt zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift gegeben hat. Vereinfacht kann man sagen, da die Forschung sich in zwei getrennte Lager teilt, die vorwiegend national bedingt sind. Die franzsische Schule findet, da es inner- halb der Bedarfsschrift ein Diskontinuum gibt, und da ein Zusam- menhang ber die Buchschrift gesucht werden mu (4). Die ita- lienische Schule dagegen meint, durch Einfhrung der Begriffe offizielle und private Schrift eine Kontinuitt zwischen den beiden Schrifttypen rational erklren zu knnen; was als ein Bruch erscheint, sei lediglich eine Korrektur der offiziellen Schrift ge- genber der privaten wegen der zunehmenden Verwendung von Papyrus als blichem Schreibmaterial (5).

    Fr einen Historiker ist die Zeit um das Jahr 300 von beson- derem Interesse, da um diesen Jahrhundertwechsel herum der Durch- bruch des Christentums im rmischen Reich erfolgte. Da bislang niemand nach einer historischen Erklrung der radikalen und durch- greifenden Vernderung der Schriftform gesucht hat, scheint es na- trlich untersuchen zu wollen, ob sich ein direkter Zusammenhang

    (3) Vgl. die entsprechenden Ansichten Robert Manchais, die er in einer Polemik gegen Heikki Solin dargelegt hat. Marichal, R., Lecture, publication et interprtation dea graffiiti, Rev. t. lat., XLV (1968); Marichal 1973, bes. S. 84f.

    (4) Mallon 1962; Marichal 1948, 1956 und 1963. Mallon hat spter in Verbindung mit der Publikation einer Inschrift aus Maktar seine Ansicht wiederholt. Mallon, J., Le Cippe de Beccut, Antiquits africaines , IV (1970). Weitere Anhnger der franzsischen Schule sind u.a. Morison, Muzika sowie Gieysztor, A., Zarys dziej w pisma lacinehiego, Warszawa 1973, und Stibn- non, J., Palographie du Moyen Age, Paris 1973.

    (5) Cencetti 1950 und 1956, Petrucoi 1962 und 1963 sowie Tjder 1953.

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  • 164 STIG HORNSHJ-MLLER

    zwischen diesen beiden Ereignissen feststellen lt, oder ob sie eher beide als Symptome einer zeittypischen Entwicklung zu sehen sind. Diese Frage drngt sich umsomehr auf, als man die Bedeutung der jngeren rmischen Kursivschrift als die Grundlage unserer heutigen Bedarfsschrift evt. auf dem Hintergrund der Monopolstellung der christlichen Kirche als Vermittlerin der Schreibtradition durch die Sptantike und das Sptmittelalter hindurch erklren knnte. Kurz : Ist die jngere rmische Kursivschrift eine christliche Propaganda- Schrift? (6).

    Die Zeit um das Jahr 300 bildet auch den Rahmen um die Tetra- chie und die intensiven Reformbemhungen der Kaiser Diokletian und Konstantin des Groen in Verbindung mit der Neuordnung des rmisches. Die zweite Hauptfrage der Untersuchung lautet somit:

    War die Einfhrung der jngeren rmischen Kursivschrift als allge- meine Bedarfsschrift eine der Diokletianischen Reformen? (7).

    Die Frage nach der Beschaffenheit des Schreibmaterials und dessen rein physischem Einflu auf die Entwicklung der Schrift nimmt seit langem einen zentralen Platz in der Forschung ein, weshalb an dieser Stelle lediglich auf die einschlgigen bersichtswerke ver- wiesen werden soll (8). Allerdings scheint es jedoch angebracht, ein paar methodische Vorbemerkungen zu machen.

    Es scheint heute allgemeine Einigkeit zu bestehen, die ltere rmische Kursivschrift als Wachstafelschrift (auf Papyrus) und die jngere rmische Kursivschrift als Papyrusschrift zu charak- terisieren. Zwar gibt es Untersuchungen von anderen Arten von Be- schreibstoif, aber das Interesse sammelte sich jedoch bislang beson- ders um Papyrus. Robert Marichal hat dies einmal wie folgt formu- liert : le matriel de beaucoup le plus abondant, sinon le matriel unique, pour suivre cette triple volution de la capitale la minu- scule, du volumen au codex, du papyrus au parchemin, ce sont les papyrus (9).

    (6) Vgl. unten S. 63. (7) Vgl. unten S. 54ff. (8) Z. . Cencetti 1956 und Foerster. (9) R. Marichal, Palographie prcaroline et papyrologie, Scriptorium .

    I (1946-47), S. 6 (Kursivierung von Marichal).

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  • DIB RMISCHE KURSIVSCHRIFT 166

    Der Hauptteil der berlieferten lateinischen Papyri stammt aus dem mittleren und sdlichen gypten, wo das trockene Klima einen konservierenden Effekt gehabt hat; aber auch aus Dura-Europos ist eine wichtige Gruppe von Papyri aus dem sonst so sprlich vertre- tenen dritten Jahrhundert berliefert (10). Fr beide Gebiete gilt, da die Papyri in lateinischer Sprache nur einen Bruchteil der vor- wiegend griechischsprachigen Funde ausmachen.

    Eine ganz zentrale Frage, die es zu klren gilt, ist, inwiefern diese ziemlich geringe Zahl lateinischer Papyri die graphische Reali- tt des gesamten rmischen Reiches kennzeichnet, zumal laut Gu- glielmo Cavallo vor der Reorganisation unter Diokletian um das Jahr 300 keine einheitlich geprgte Schrift (bzw. Schriftentwicklung) im griechisch-schreibenden Gebiet festgestellt werden kann (11). Ver- schiedene Indizien scheinen jedoch die Reprsentativitt der ber- lieferten gyptischen Papyri zu untersttzen. Vor allem aufgrund der Sonderstellung gyptens in administrativer Hinsicht haben nur wenige die lateinische Sprache benutzt, und zwar waren es entweder importierte Rmer oder Leute mit engen Beziehungen zu Rom (12). Theoretisch ist es somit wahrscheinlich, da die erhaltenen Papyri die reale Situation in Rom direkt spiegeln. Untersttzt wird diese Annahme einerseits durch einzelne Beispiele von anderen Fundor- ten (13), andererseits durch die vorwiegend epigraphischen Analysen Malions, aus denen hervorgeht, da die alltgliche Schrift anschei- nend verblffend einheitlich gewesen ist (14).

    Eine bibliographische bersicht lt sich sehr schwer erstellen, u.a. weil ein Groteil entweder noch unverffentlicht oder auch - vom Gesichtspunkt eines Palographen - unvollstndig verf- fentlicht ist, weil lediglich eine Transkription jedoch ohne Repro- duktion herausgegeben ist. Es wird nun versucht, diesen Mangel zu beheben, u.a. durch die Arbeit Albert Bruckners und Robert Mari-

    (10) Duba-Eubopos. (11) G. Cavallo, Unit e particularismo grafico nella scrittura greca dei

    papiri. American Studies in Papyrology, VII, Toronto 1970 (= Proceedings of the Twelfth International Congress of Papyrology).

    (12) Wilcken, besonders S. llf. Vgl. Stein S. 132ff, bes. S. 149f. und 158f.

    (13) Cencetti I960 S. 31, Anm. (14) Mallon 1963. Vgl. Mabical 1973 S. 86.

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  • 166 STIG HORNSHJ-MLLER

    chais Chartae Latines Antiquiores (15), die folglich auch die Basis der unten vorgenommenen primren palographischen Analysen bil- den mu (16).

    Neben dem Papyrus ist auch das Pergament in die Diskussion der Beziehung zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift einbezogen gewesen. Whrend der hier behandelten Epoche wurde das Pergament vorwiegend fr Codices verwendet, bei denen mehrere einzelne Stcke von derselben Gre zusammen- gebunden wurden. Der bergang zur Codexform als einer blicheren Buchform ist in Verbindung mit der Diskussion der Schriftwinkel- vernderung errtert worden (17). Hier ist es angebracht, die von Hans Widmann vorgenommene Untersuchung von dem Verhltnis zwischen Codices und Volumina zu erwhnen (18). Die Untersuchung notiert - aufgrund einer Zhlung der erhaltenen Fragmente - zwar eine markant zunehmende Bevorzugung von Pergament gegenber Papyrus, aber noch whrend der Epoche 4/5. Jahrhundert macht die Zahl der Codices nur 3/4 der erhaltenen Volumina aus. Den un- terschiedlichen berliefererungsverhltnissen zufolge drften die Zahlen kaum die tatschliche Situation lckenlos erfassen, u.a. weil die Bedeutung des Pergaments unterschtzt wird, allerdings kaum genug, um unser Bild in Verbindung mit der Schriftwinkeldiskussion zu verndern. Als ein weiteres Argument gegen eine berbewertung der Bedeutung von Pergament kann die Tatsache gesehen werden, da bis zum vierten Jahrhundert n. Chr. das Bcherlesen in der Kunst fast ausschlielich als Lesen einer Buchrolle dargestellt wird (19), whrend die Schriftentwicklung sich bereits im dritten Jahrhundert n. Chr. in ihrer entscheidenden Phase befindet.

    Das Pergament wie auch Papyrus ermglichte eine zusammen- hngende Schrift und wurde ebenfalls mit Kalmus und Gnsefeder beschrieben. Indessen scheint seine Verwendung als blicher Be-

    ilo) Im Folgenden ChLA abgekrzt. (16) S. u. S. 17ff. (17) MABiCHAb 1948 S. 91. Cavallo 1967 S. 42f. J. Irigoin, L'onciale

    grecque de type biblique, Scriptorium, XXIV (1970), S. 68f. (18) H. Widmann, Herstellung und Vertrieb des Buches in der griechisch-

    rmischen Welt, Arch. f. Gesch. des Buchwesen, VIII (1967), S. 545ff. (19) Foerster S. 69.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 167

    schreibstoff erst sehr spt einzusetzen, auch wenn es anscheinend ab viertes Jahrhundert als Beschreibstoff fr literarische Zwecke den Papyrus verdrngt hat (20). Es ist verlockend, den bergang von Papyrus zum Pergament auf diesem Gebiet als Zeichen eines zuneh- menden Geschichtsbewutseins zu sehen, das u.a. in einer ber- tragung von vergnglichen Papyrustexten auf das haltbarere Per- gament zum Ausdruck kam (21). Ohne im brigen an dieser Stelle auf die Pirenne-These einzugehen sei jedoch auf den wesentlichen Punkt verwiesen, da es zwischen der Eroberung gyptens durch die Araber und der Aufgabe des Papyrus als Beschreibstoff einen Zusammenhang gibt (22).

    Entscheidend bleibt es festzuhalten, da der zunehmenden Ver- wendung von Pergament allein schon aus chronologischen Grnden hchstens eine indirekte Bedeutung fr die Entwicklung der jn- geren rmischen Kursivschrift beigemessen werden kann.

    Das die Palographie bis um 1950 im groen und ganzen als eine deskriptive Wissenschaft bezeichnet werden mu, deren Ziel es war, Kriterien fr die Datierung der neuentdeckten Handschriften und Papyri zu finden, leuchtet es ein, da die Literatur in auerge- whnlichem Mae an theoretischer Begriffsverwirrung leidet. Im Auge der epochemachenden Arbeit Jean Mallonss scheint dies zum ersten Mal konsequent erkannt worden zu sein (23), und seitdem werden die Mglichkeiten einer gemeinsamen, eindeutigen Termino- logie auf internationalen palographischen Tagungen heftig debat- tiert (24).

    Ein solcher Consensus ist aber nicht erreicht worden, was viel- leicht auch nicht mglich ist. Denn man mu in seinem Definitions- eifer daran denken, da die Funktion der Schrift Ausdruck einer

    (20) Vgl. SANTIFAbLBB S. 83f. (21) Konstantin der Groe lie 60 kirchliche Handschriften auf Perga-

    ment bertragen. Vgl. Santifaller S. 83. (22) Santifaller S. 28. (23) Mallon 1952 S. 48f., 55ff. sowie 159ff. (24) Tjder 1964/66 S. 86, Anm. 1 mit Hinweisen. Vgl. Perrat, Pa-

    lographie romaine. Comitato Internazionale di Scienze Storielle. X Congresso internazionale di scienze storielle. Koma 4-11 settembre 1966. Relazione I. Firenze 1956.

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  • 168 STIG HORNSHJ-MLLER

    Kommunikationsabsicht des Schreibenden ist: der Handschrift der betreffenden Person liegt zwar ein Normalalphabet (das in der Grund- schule gelehrte Alphabet) (25) zugrunde, aber sie (die Handschrift) erhlt bald ihr individuelles Gesprge, das zu Varianten der je- weiligen Buchstaben fhrt. Ferner lassen sich erst um die hier behan- delte Zeit (das dritte und vierte Jahrhundert n. Chr.) immer mehr bewut unterschiedlich ausgefhrte Varianten der lateinischen Schrift feststellen. Das ist auch ein Grund, weshalb bei der Bemhung um die Aufstellung eines Stemma ber die verschiedenen lateinischen Schriftformen im Hinblick auf die Festeilung einer eventuellen Entwicklung von der lteren zur jngeren rmischen Kursivschrift aufgrund des sprlichen Materials an berlieferten lateinischen Pa- pyri uerste Vorsicht geboten ist. Eine Interpretation sollte le- diglich von der Tatsache ausgehen, da das alltgliche Normalalpha- bet de facto eine so radikale Vernderung durchmachte, da das ltere Alphabet de jure dem Kaiser als sakrale Schrift vorbehalten werden konnte (26). Eine beliebige Schrift sollte stattdessen anhand von bestimmten, theoretisch festgelegten Definitionen charakterisiert und analysiert werden.

    In erster Linie mu zwischen Majuskeln und Minuskeln unter- schieden werden (27). Majuskelcharakter hat eine Schrift, deren Alphabet zwischen zwei parallelen Linien geschrieben werden kann; die klassische Kapitalschrift ist hierfr ein charakteristisches Beispiel. Minuskelcharakter hat dagegen ein Alphabet, dessen buchstaben- konstituierende Elemente durch ein System von vier parallelen Linien abgegrenzt werden. Als Beispiel hierfr sei unsere Hand- schrift erwhnt, die Zge aufweist, die ber die Zeile (Oberln- gen) bzw. unter die Zeile (Unterlngen) hinausragen.

    Eine Schrift kann dann je nach der Schreibgeschwindigkeit (ductus) charakterisiert werden. Es ist evident, da eine Handschrift, die in raschem Tempo geschrieben ist, anders aussieht als eine lang-

    (26) Der Begriff wurde von Giorgio Cencetti geprgt, vgl. Tjdeb 1974 S. 9, Anm. 1.

    (26) Vgl. unten die Behandlung der litterae caelestes S. 39ff. (27) Mallon 1962 S. 102f. Siehe auch Cavallos diesbezgliche Bemerkun-

    gen zur Beziehung zwischen lateinischer und griechischer Schrift. Cavallo 1967 S. 42.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 169

    sam geschriebene, auch wenn dasselbe Normalalphabet zugrundeliegt. Das Schreibtempo hngt bei gebten Schreibern von dessen Absicht mit dem Geschriebenen ab. Wird in erster Linie Lesbarkeit, Schnheit oder Monumentalitt angestrebt (wie z.B. in der Buchschrift), finden wir einen langsamen ductus (Kalligraphie), whrend der Wunsch nach Schnelligkeit die zgige Schrift, die Kursivschrift, frdert (28).

    Von fundamentaler Bedeutung fr das Verstndnis eines Schrift- bildes und der natrlichen Buchstabenentwicklung einer Schrift ist die Schriftart, d.h. die Zugreihenfolge und -richtung der einzelnen, buchstabenkonstituierenden Elemente. Die Tatsache, da Jean Mal- Ion, der als erster diesen Punkt konsequent betont hat, die Bezeich- nung ductus fr die Schriftart benutzt, hat viel Verwirrung gestif- tet (29). Ich habe es vergezogen, mich hier der italienischen Termi- nologie anzuschlieen, in der ductiis das Schreibtempo und trat- teggio die Schriftart bezeichnen (30).

    Ein letzter Begriff soll hier noch erwhnt werden, und zwar die Kanonisierung (31). Wie bereits erwhnt werden sich in der allge- meinen Bedarfsschrift (man knnte sie auch Alltagsschrift nennen) individuelle Zge geltend machen (32). In dem Augenblick, won einem neuen Normalalphabet mit grundstzlichen neuen Merkmalen die Rede ist, kann man von einer kanonisierten Schrift reden. Die Frage ist, ob eine Bedarfsschrift als kanonisierte Schrift bezeichnet werden kann. Gewhnlich verbindet man diese Bezeichnung nur mit der Buchschrift, aber meines Erachtens sollte sie auch diejenigen Nor- malalphabete umfassen, die im Lernproze der Bedarfsschrift zu-

    (28) Der Begriff hat sich durch Tradition eigebrgert und ist vielleicht nicht in allen Fallen treffend. Vgl. z. B. Costamagna G., Studi di paleografia e di diplomatica, Roma 1972, der stattdessen currenti calamo vorschlgt (S. 191).

    (29) Mallon 1962 S. 22f. Der Begriff wurde jedoch frher in dieser Be- deutung u.a. von Mentz verwendet. A. Mentz, Geschichte der griechisch-rmi- schen Schrift bis zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichem Lettern, Leipzig 1920, z. B. S. 93.

    (30) Cencbtti 1966 S. 62f. A. Pratesi im Vorwort zu Cavallo 1967. (31) Vgl. G. Cencetti, Vecchi e nuovi orientamenti nello studio della paleo-

    grafia, La Bibliografa L, 1948. Die Unzialschrift ist ein typisches Beispiel einer kanonisierten Schrift.

    (32) Beispielsweise sei erwhnt, da die Frage der Linkshndigkeit noch unerforscht ist.

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  • 170 STIG HORNSHJ-MLLER

    grundeliegen. Das Entscheidende ist eben die Existenz einer Norm (eines Kanons ), wodurch die Schrift lesbar und verstehbar wird - nicht nur fr den Schreibenden, sondern auch fr andere.

    Einer der Faktoren, die zur Umformung einer Schrift mitwirken knnen, ist die Art, wie die einzelnen Buchstaben verbunden werden.

    Eine Verbindung zwischen zwei Buchstaben unter Beibehaltung aller buchstabenkonstituierenden Elemente heit in der Palographie eine Ligatur, whrend der Begriff Nexus eine Zusammenschreibung definiert, wo beide Buchstaben ein Element gemeinsam haben (33). Auch hier knnen gewisse terminologische Schwierigkeiten entstehen, indem eine solche Nexusverbindung in der Epigraphie gewhnlich ausgerechnet eine Ligatur heit. Der Ligaturbegriff ist im brigen von sehr groer Bedeutung bei der Analyse der rmischen Kursiv- schrift, da Ligaturbildungen nicht wie heute von der Trennung der einzelnen Wrter, sondern von der Fhigkeit der jeweiligen Buchsta- ben, mit dem vorhergehenden bzw. dem folgenden Buchstaben ver- bunden, abhngig waren (34). Im Zuge einer Transkription mu somit jeder Buchstabe fr sich identifiziert werden, um spter ent- sprechend des Gesamtsinns in Einzelwrter geteilt zu werden.

    Es herrscht wie gesagt eine gewisse Verwirrung in der Nomen- klatur auf dem Gebiet der rmischen Schrift. Die untenstehende bersicht umfat die blichsten Bezeichnungen fr das, was ich in dieser Arbeit die ltere und jngere rmische Kursivschrift genannt habe.

    (33) L. Sohiappabblli, La scrittura latina nelVet romana, Como 1921 ( = Auxilia ad res itlicas medii aevi exqvirendas in usum scholarum instructa et collecta 1). S. 28, Anm. 1.

    (34) Ein noch unerforschtes Problem in dieser Verbindung ist die Rolle der Ligaturen, ihren mglichen Einflu auf die Entwicklung der Sprache sowie auf unsere Deutung dieser Entwicklung. Bedeuten die ein Wort durch- kreuzenden Ligaturen in der jngeren rmischen Kursivschrift mglicher- weise eine Disartikulation von klassischen und Vulgrlatein in Anbetracht dessen, da solche in der lteren Kursivschrift nicht vorkommen? Mabichal 1963 S. 350ff. Vgl. ferner unten S. 13, wo die Ligaturprinzipien der jngeren rmischen Kursivschrift behandelt werden. Eine systematische Untersuchung der Ligaturprinzipien der lteren steht noch aus - nur Marichal hat in der erwhnten Arbeit angedeutet, da ber die Wortgrenze hinaus keine Ligatu- ren vorkommen. Vgl. auch Cenoetti I960.

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  • DIB RMISCHE KURSIVSCHRIFT 171

    Autor Altere rmische Jngere rmische Kursivschrift Kursivschrift

    Hoesen Roman cursive writing Thompson J

    Lehmann (35) Kurrentgeschriebene/ Minuskelkursive/ kursive Capitalis kursive Minuskel

    Concetti | maiuscola corsiva minuscola Schiapparelli J capitale corsiva corsiva Brown, T. J. (36) cursive capitals cursive minuscule

    Mallon criture commune criture commune classique nouvelle

    Muzika klassische rmische neue rmische Kursivschrift Kursivschrift

    Marichal cursive ancienne cursive rcent romaine romaine

    Steffens 1 Foerster ltere rmische jngere rmische Kresten Kursivschrift Kursivschrift Tjder

    Es fllt auf, da die Klassifikation im groen und ganzen in zwei Gruppen fallen: eine hebt die graphische Gestalt (Majuskel /Mi- nuskel) hervor, whrend die andere die chronologische Beziehung zwischen den beiden Schriftarten betont.

    Gewhnlich wird angenommen, da das lateinische Alphabet sich aus dem etruskischen entwickelt hat (37). In der Zeit bis um das

    (36) P. Lehmann: Lateinische Palaeographie bis zum Siege der karolingi- sehen Minuskel, Leipzig-Berlin 1927 ( = Einleitung in die Altertumswissen- schaft I, 3).

    (36) T. J. Bbown, Paleography (Latin). Encyclopedia Britannica. London 1972.

    (37) D. DmiNGEB, The Alphabet. A Key to the History of Mankind I. 3. Edition. London 1968. S. 419f.

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  • 172 STIG HORNSHJ-MLLER

    Jahr 300 v. Chr. fand eine gewisse Justierung statt, so da die Buch- staben den besonderen Ansprchen der lateinischen Sprache ange- glichen wurden. Das so entstandene Alphabet bestand aus den fol- genden 21 Buchstaben: A, B, C, D, E, F, G, H, I, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U und X. Bereits in sptrepublikanischer Zeit wurde das Alphabet um zwei weitere Buchstaben, Y und Z, ergnzt, die vorwiegend in griechischen (Lehn)wrtern vorkamen. Die brigen Buchstaben, die wir heute zu unserem Normalalphabet zhlen, sind spt-oder nachmittelalterliche Bildungen.

    Wegen mangelnder Reprsentanz des verstreuten Quellenmate- rials wurde der Entwicklungsverlauf dieser ltesten lateinischen Schrift, die gewhnlich die archaische Schrift genannt wird, mehr auf theoretischem Weg als aufgrund tatschlicher Kenntnisse er- schlossen (38). Die Buchstaben scheinen fast Majuskelcharakter zu haben. Um das Jahr 300 v. Chr. scheint eine gewisse zweckbedingte Aufteilung der Schrift stattgefunden zu haben. Ein Teil nahm eine fast kanonisierte Form an und wurde zur Buchschrift, whrend der andere dynamisch blieb und sich in Richtung auf eine Kursivschrift im eigentlichen Sinne des Wortes entwickelte. Auerdem scheint eine weitere Unterteilung der Bedarfsschrift in eine offizielle und eine private Schrift stattzufinden. Die Buchschrift, die sozusagen als eine erstarrte Form des damaligen Schriftbilds charakterisiert werden kann, heit gewhnlich capitalis, weil diese Buchstaben spter als Initiale vor jedem Kapitel (capita) im mittelalterlichen Hand- schriften verwendet wurden. In der palographischen Literatur be- gegnet man gelegentlich dem angehngten Suffix rustica, weil diese Schrift frher fr eine einfachere ( rustikale ) Variante der fr Monumentalinschriften bestimmte capitalis quadrata oder elegans gehalten wurde (39). Da es einerseits gefhrlich und vielleicht direkt irrefhrend ist, die verschiedenen capitalis-Formen zu fest zu kate- gorisieren - und da eine solche Unterteilung andererseits fr das hier behandelte Thema uninteressant ist - finde ich es sinnvoll, in Anlehnung an Tjder zusammenfassenden Begriff der klassischen Kapitalschrift zu benutzen (40). Sie blieb relativ unverndert, bis

    (38) G. Cencetti, Ricerche aulla scrittura latina nell'et arcaica, Bull. Arch, paleogr. it. , Nuova ser. II -III, 1956-57.

    (39) Vgl. Mabichal 1963 S. 209. (40) Tjder 1971/72 S. 18. Vgl. Matron 1952 S. 157 und Foerster S. 114.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 173

    sie um das Jahr 500 herum aufgrund ihrer Ideologisierung als heid- nischer Propagandaschrift und des endgltigen Sieges des Christen- tums ber die heidnische, literarische Oberklasse als selbstndige Buchschrift auer Gebrauch kam (41). Wesentlich ist es indessen, ihre Verwendung als epigraphische Monumentalschrift whrend der ganzen Epoche vor Augen zu halten. Stanley Morison hat die ideo- logische Begrndung treffend beschrieben : The essential point is that the Square Capitals were authoritative in the plenary, imperial sense. Their size, shape and expression were calculated to symbolize what we mean by the word ' official

    ' when we use it to imply ' re- quiring obedience

    ' (42). Die folgende Abschrift vom Alphabet der klassischen Kapital-

    schrift ist einem oft abgebildeten Papyrus entnommen, der aus der Regierungszeit Kaiser Claudius' stammt (genauer gesagt aus der Zeit zwischen 46 und 54 n. Chr.) und in Oxyrynchos gefunden wurde (43):

    : : : D: D E: E

    F: if G: H: H I: :( L: < M: M N: /V 0 : ? P: P

    Q:(Q) R: S: T: U: V

    X: X Y: Y

    Die andere Schriftart, die Bedarfsschrift, machte wie gesagt eine Entwicklung in Richtung auf eine echte Kursivschrift durch. Ihre Gestalt hing sehr vom Beschreibstoff ab, denn es war sehr schwierig, Striche von rechts nach links bzw. von unten nach oben zu ziehen, und ebenso lieen sich runde Buchstaben wie z.B. das 0 nur schwer schreiben. Die ltere rmische Kursivschrift lt sich treffend als Wachstafelschrift charakterisieren, whrend die jngere rmische Kursivschrift in erster Linie als Papyriisschrift zu sehen ist. Die Beschaffenheit des Materials sowie der Wunsch, schnell und rationell

    (41) Nicolaj, bes. S. 26f. (42) Mobison S. 46. (43) El 9.

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  • 174 STIG HORNSHJ-MLLER

    schreiben zu knnen (z.B. durch Zusammenschreibung der einzelnen Buchstaben), muten zwangslufig zu einer gewissen Umformung der ursprnglichen, in der Hassischen Kapitalschrift verwendeten Mo- dule der einzelnen Buchstaben fhren. Das untenstehende Alphabet illustriert die ltere rmische Kursivschrift in ihrer Gestalt, ehe der Einflu der Papyrusschrift einsetzte (44):

    : ^ B:

  • DIE RMISCHE KUBSIVSCHRIFT 175

    Das Normalalphabet der jngeren rmischen Kursivschrift sieht folgendermaen aus, wobei die links notierte Form die im vierten Jahrhundert gegebene Gestalt zeigt, whrend die brigen Zeichen in den darauf folgenden Jahrhunderten verwendet wurden (47) :

    A: l/UU B:6UW C:CY D : J

  • 176 STIG HORNSHJ-MLLER

    jeweiligen Buchstaben der jngeren rmischen Kursivschrift. Das moderne Prinzip, demzufolge smtliche Buchstaben entsprechend dem Wortgefge verbunden werden, gab es nicht, aber heute wie damals mu man beim Lesen jeden Buchstaben fr sich transkri- bieren , um dann die jeweiligen Wrter aufgrund der Gesamtbe- deutung zu bilden. Diese Tatsache erschwert unter Umstnden ganz besonders die Identifikation von Eigennamen (51).

    In bezug auf Ligaturen scheinen folgende Regeln zu gelten :

    1. Smtliche Buchstaben knnen mit dem vorhergehenden Buch- staben Ligaturen bilden.

    2. Buchstaben, deren abschlieender Zug innerhalb des hier ge- zeigten Winkels (

  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 177

    alter hindurch blieb die graphische Tradition der jngeren rmischen Kursivschrift erhalten. Auf diesem Wege brgerte sich die klassische Kapitalschrift auch wieder ein - zunchst als Initiale (65)9 spter ganz allgemein zur Kennzeichnung des ersten Buchstaben in wichti- gen Wrtern wie z.B. Eigennamen. Die groen und kleinen Buch- staben waren eine Realitt . . . Heute sind sie ein Erbe des symbol- freudigen Mittelalters - aber in graphischer Hinsicht sind sie Nach- kommen des Imperium Romanm.

    Oben habe ich die Entwicklung der rmischen Bedarfsschrift in ihren Hauptzgen skizziert. Die zentrale Frage nach der Beziehung zwischen der lteren und jngeren Kursivschrift wurde absichtlich als unbeantwortet dargestellt, indem nur eine genaue Analyse jedes Buchstaben die Frage nach einer mglichen bzw. nicht mglichen Kontinuitt beantworten kann. Diese Analyse wird denn auch unten erfolgen (56).

    A:

    Das A der lteren rmischen Kursivschrift ist eine Weiterent- wicklung von dem A der klassischen Kapitalschrift, eine Entwick- lung, die auf die (mangelnde) Fhigkeit des Beschreibstoffs, eine zgige Kursivschrift zu gestatten, zurckzufhren ist. Die Reihen- folge der einzelnen buchstabenkonstituierenden Elemente der Kapi- talschrift - die sich von der heutigen Schreibweise eines groen A's unterscheidet - wurde auf die kursive Bedarfsschrift bertragen, wo das endgltige graphische Bild davon mitbestimmt wird, da in den meisten Fllen Wachstafeln als Beschreibstoff benutzt wur- den (67). Mit der zunehmenden Verwendung von Papyrus als Be- schreibstoff nahm das hufig auftretende A mitunter zahlreiche Son-

    (55) E. A. Lowe, Some Facts about Our Oldest Latin Manuscripts, Class. Quart. , XIX (1925), erneut abgedruckt in E. A. Lowe, Paleographical Papers 1907-1965 III, Oxford 1972, bes. I, S. 126.

    (56) Ausgangspunkt fr die Behandlung der einzelnen Buchstaben ist ein Primrstudium der in ChLA I-V verffentlichten Faksimile sowie der folgen- den bersichtsdarstellungen: Cencetti 1950, Hoesen, Mallon 1952, Tjdeb 1954/55 und Tjder 1971/72.

    (57) Vgl. Matron 1952 S. 32. Typische Beispiele sind z.B. in ChLA 247 aus d.J. 223 und ChLA 216 aus d.J. 237 angefhrt.

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  • 178 STIG HORNSHJ-MLLER

    derformen an, nicht zuletzt weil es wegen seiner Grundform dazu neigte, mit anderen Buchstaben Ligaturen zu bilden (58). Auf In- schriften wie auch in einzelnen Papyri aus dem dritten Jahrhundert lt sich eine graphiche bereinstimmung mit dem alpha der grie- chischen Kursivschrift feststellen, was fr die Entwicklung der jn- geren rmischen Kursivschrift ausschlaggebend wurde (59). Jean Mallon konnte darin keine Kontinuitt feststellen (60), aber wie bereits Jan-Olof Tjder in seiner Rezension von Mallons Buch be- tonte (61), ist nur eine nderung der Zugrichtung bzw. -reihenfolge erforderlich, um der Theorie von einer kontinuierlichen Entwicklung den Vorrang zu geben. Ein Indiz dafr - und zugleich eine Mahnung, die Zugreihenfolge und -richtung bei Papyri (und Pergament) nicht zu formalistisch und rigoristisch auszulegen - finden wir in dem zentralen Provinzkanzleibrief P.Berol 11532 aus dem Jahr 209 (62), wo das alpha jeweils in der lteren Form und in einer der jngeren Form analogen Gestalt geschrieben ist (63). Im Laufe des vierten Jahrhunderts entstand aus dieser Grundform des A ein harmonisch ausgewogener Buchstabe, dessen zweiter Zug auch die Grundlinie berhrt (64). Der Buchstabe, der hiermit die Form angenommen hat, die sozusagen als Stammvater unseres modernen kursiven A gel- ten kann, bildet sehr gern Ligaturen nach rechts, wodurch er sich von dem in graphischer Hinsicht hnlichen U unterscheidet (65),

    (58) Als Beleg seien folgende Beispiele angefhrt: ChLA 276 aus d.J.-205, ChLA 265 aus d.J. 200-250 sowie ChLA 262 aus d.J. 269. - In einem Gesprch am 14.5.1977 wies Jan-Olof Tjder mir gegenber darauf hin, da das A der lteren rmischen Kursivschrift, wenn es in zwei Zgen geschrieben auftrat, den Texttypen zufolge Indiz fr eine offizielle Schrift zu sein scheine, whrend andere Formen eher eine private Schrift vermuten lieen.

    (59) CIL VIII, 2391 (Timgad), 11824 (Maktar), 17910 (Timgad) sowie die oben in Anm. 4 erwhnte Inschrift aus Maktar. Ein Beispiel hierfr gibt, was die Papyrusbriefe anbelangt, ChLA 262 aus d.J. 269.

    (60) Mallon 1952 S. 108. (61) Tjder 1953 S. 392. (62) Cavallo 1965, Tafel 3. Das ltere tratteggio kommt z.B. in der er-

    sten Zeile vor, whrend das jngere z.B. in Zeile 3 vorkommt. (63) Z.B. ChLA 281 aus d.b. 242-44 und EL 28 aus d.J. 202-07. (64) Z.B. ChLA 256 aus d.J. 300 und ChLA 210 aus d.J. 352. (65) Vgl. z.B. die irrtmliche Deutung frherer Forscher vom Namen Fl.

    Taurus Iobinus in ChLA 293 aus dem 5. Jahrhundert, vgl. Anm. 51.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 179

    whrend eine Verwechslung mit dem R der lteren rmischen Kur- sivschrift naheliegt (66).

    B:

    Das der lteren rmischen Kursivschrift spiegelt ebenso die Zugreihenfolge der klassischen Kapitalschrift (67). Die nicht un- mittelbar einleuchtende Entwicklung, die in ihrer spten, degene- rierten Form mit unserem heutigen kursiven D (68) fast identisch ist, findet nur durch eine solche Annahme eine wahrscheinliche Er- klrung (69). Da die fehlende Ikonozitt zwischen dem der Mo- numentalinschriften und der Bedarfsschrift auch damals schon viel- fach Verwirrung gestiftet hat, hat Armando Petrucci in einer zen- tralen Analyse von Inschriften auf (Topf)scherben aus Condotoma- gos nachgewiesen (70).

    Das der jngeren rmischen Kursivschrift unterscheidet sich grundstzlich von dem lteren, indem es durch den nach rechts gekehrten Bauch dem modernen hnlich ist (71). Die Ursache hierfr ist sehr umstritten gewesen, denn hier kann anscheinend keinerlei Kontinuitt zwischen den blichen Formen der lteren und der jngeren Kursivschrift festgestellt werden. Indessen hat zuerst Robert Marichal (72) und spter Armando Petrucci (73) Belege fr die Existenz von nach rechts gewendeten whrend der ganzen Epoche vom ersten Jahrhundert v. Chr. bis zum vierten Jahrhundert n. Chr. gefunden, wonach diese Form sich ganz durchsetzt (74).

    (66) Beispielsweise in dem Wort narratione bei Mallon 1952, Tafel XXVI, 4 (aus dem 5. Jahrhundert).

    (67) Ein schnes Beispiel ist z.B. in ChLA 216 aus d.J 237 angefhrt. (68) Z.B. Tjdeb 1954/56 Nr. 55 aus dem 6. Jahrhundert. (69) Mallon 1952 S. 108f. (70) Petrucci 1962 S. 95-101. (71) Z.B. ChLA 256 aus d.J. 300, ChLA 254 aus d.J. 321, ChLA 211 aus

    dem 4. Jahrhundert und ChLA 258 aus der Zeit um 400. (72) R. Marechal, Le panse droite dans l'ancienne cursive romaine

    et les origines du minuscule, Studi di paleografia, diplomatica, storica e araldica in onore di Cesare Manaresi , Milano 1953. Vgl. Marichal 1956 S. 31.

    (73) Petrucci 1963/64. (74) Hierher gehrt der wichtige, in administrativer Schrift verfate Beleg

    ChLA 281 aus der Zeit zwischen 242-44. Vgl. ferner die Publikation eines nach rechts gewendeten auf einem mit maiuscola corsiva beschrifteten

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  • 180 STIG HORNSHJ-MLLER

    Petrucci vertritt die Ansicht - die nicht unwahrscheinlich sein drfte - da diese als eine Entstellung des aus den monumentalen Inschriften bekannten durch weniger Schreibkundige gesehen wer- den darf, und zwar zu einem Zeitpunkt, da die ursprngliche Zug- reihenfolge des bereits vergessen war (75).

    Vergleichen wir mit griechischen Papyri aus dem dritten Jahr- hundert, finden wir eine entsprechende, ja sogar noch ausgeprg- tere Vermischung von einem kapitalen und einem kursiven beta in der normalen Bedarfsschrift (76). Es scheint deshalb nicht ganz unangebracht, das nach rechts gewendete als eine natrliche Lsung in einem griechisch-lateinischen Milieu des ausgehenden drit- ten Jahrhunderts zu sehen. Ein weiteres Indiz fr diese Theorie knnten evt. auch die berhmten Graffiti in den Katakomben unter der Sankt-Sebastian-Kirche in Rom aus der Zeit um 260 n. Chr. sein, wo Marichal Beispiele von nach rechts gewendeten fand und zugleich die griechische Herkunft der Schreiber hervorhob (77). Auch Stanley Morison sieht in seinem anregenden Buch ber Poli- tik und Schrift das Auftreten von nach rechts gewendeten in afrikanischen Inschriften aus der ersten Hlfte des dritten Jahrhun- derts als Ausdruck eines griechischen Einflusses (78). Zu diesen Beispielen knnte man die der berhmten Handschrift Epitome Livii aus der Zeit um 250 zhlen (79). Diese Handschrift bildet zu- sammen mit dem Fragment De Bellis Macedonicis den Kern von Malions These (80), die allerdings durch den Umstand geschwcht ist, da in letzterem leider kein einziges vorkommt (81).

    Grabstein in V. De Donato, Pwpus Torquatianus, Bull. Arch, paleogr. it. , Terza serie, I (1962).

    (75) Petrucci 1963/64 S. 70f. (76) Thompson S. 186. Gardthatjsen II S. 176f. - Ferner sei die Aus-

    fhrung des beta in Duba-Eubopos Nr. 126 aus d.J. 235 erwhnt. Es wurde von einem Schreiber geschrieben, der sowohl Griechisch wie Latein beherrschte.

    (77) R. Marichal, Les dates des graffiiti de Saint-Sbastien, Acadmie des Inscriptions et Belles -Lettres. Comptes rendus des sances de Tanne 1953.

    (78) Morison S. 70. (79) CLA II, 208 (= EL 46). Mallon 1952 S. 80-87. Wegen der Datierung

    siehe Cavallo 1967 S. 6, Anm. 1. (80) CLA II, 207 (= EL 54). Mallon 1952 S. 77-80. (81) Vgl. Tjder 1953 S. 391.

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  • DIB RMISCHE KURSIVSCHRIFT 181

    Jan-Olof Tjder, der fr eine vollstndige Ableitung der jngeren rmischen Kursivschrift aus der lteren eifrig argumentierte, ent- warf in seiner Dissertation eine Lsung, die sehr gesucht wirkte (82). Spter hat er jedoch diesen Standpunkt aufgegeben und schliet sich stattdessen der These Petruccis an, die darauf hinausgeht, da das der Volksschrift einfach das nach links gewendete der offi- ziellen Schrift verdrngt hat (83).

    C:

    Das der rmischen Kursivschrift ist von der klassischen Kapi- talschrift abgeleitet. Meist wurde es in zwei Zgen geschrieben (84), aber auch in einem einzigen Zug geschrieben kommt es hufig vor, wenn es keine Ligatur bildet (85). Die Grundform bleibt whrend der ganzen Epoche erhalten, die in dieser Arbeit untersucht wird, auch wenn die Tendenz, das wegen der zunehmenden Kursivitt in zwei Zgen zu schreiben, sich zu intensivieren scheint (86). Dies kommt u.a. dadurch zum Ausdruck, da die Zahl der Ligaturen grer wird, wodurch die graphische Erscheinung des so sehr verndert wird, da es mit dem T verwechselt werden kann (87).

    D:

    Aufgrund der Ikonizitt der Buchstaben D und in der ur- sprnglichen Kapitalschrift haben beide eine hnliche Entwicklung in der lteren kursiven Bedarfsschrift durchlaufen (88). In Verbindung mit der erwhnten Schriftwinkelvernderung (89) und einer recht unzweckmssigen bereinstimmung mit einer Form des beta in der

    (82) Tjder 1964/66 S. 98ff. Vgl. Petrttcci 1963/64 S. 62, Anm. 1. (83) J.-O. Tjder, U origine della merovingica, Miscellanea in memoria

    di Giorgio Concetti , Torino 1973. S. 71f, mit den Anmerkungen Nr. 72 und 73.

    (84) Z.B. ChLA 10 aus der Zeit um 220. (85) Z.B. EL 13 aus der Zeit um 50. (86) Z.B. ChLA 8 aus d.J. 344. (87) Vgl. Tjder 1954/55 S. lOlf. (88) Charakterische Belege smd z.B. m den folgenden Dokumenten zu

    finden: EL 10 aus d.J. 45-54, ChLA 10 aus d.J. um 220, ChLA 279 aus d.J. 222-39, ChLA 290 aus d.J. 236 und ChLA aus d.J. 247.

    (89) Vgl. S. 25.

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  • 182 STIG HORNSHJ-MLLER

    griechischen Kursivschrift (90), wurde beim D der Abstrich einge- fhrt und akzentuiert, der zugleich Ligaturen nach rechts verhin- dern und somit eine Unterscheidung von dem nach links gewende- ten der lteren Kursivschrift ermglichen sollte (91). Eine entspre- chende Entwicklung lt sich fr Teile der griechischen Schrift fest- stellen (92). Die Einfhrung des Abstrichs ist auerdem kennzeich- nend fr die durchgreifende Transformierung der Schrift von Ma- juskel zur Minuskelkursive und ist somit nicht nur fr das D cha- rakteristisch (93).

    :

    Um die vielen verschiedenen kursiven Formen dieses in der la- teinischen Schrift so hufig verwendeten - und deshalb in so vielen Sonderformen auftretenden - Buchstaben E verstehen zu knnen, mssen wir nochmals auf die klassische Kapitalschrift und die Zug- reihenfolge ihrer Buchstabenbildung zurckgreifen. Durch die Ent- wicklung in Richtung auf eine zgigere Schrift konnte es vorkom- men, da mehrere Zge aus Rcksicht auf die Schreibgeschwindig- keit zu einem verschmolzen; das dritte Jahrhundert ist besonders reich an solchen Varianten, deren jeweiligen Verwandschaft nur durch Einbeziehung dieses Gesichtspunkts verstndlich wird (94). Z.B. wei- sen die Wachstafeln aus Dakien eine kuriose Sonderform auf, die aus zwei, mitunter leicht geschwungenen Parallelstrichen besteht (95). Diese Form kommt auch auf Scherben aus Condotomagos vor (96). Zum Normalbuchstaben des Alphabets der jngeren rmischen Kur-

    (90) Gabdthausen II S. 177. W. Schubabt, Griechische Palaeographie, Mnchen 1925 (= Handbuch der Altertumswissenschaften I, IVe). S. 82.

    (91) Vgl. 68. (92) Vgl. Thompson S. 186. (93) Z.B. ChLA 262 aus d.J. 269. (94) Das spitze, von zwei konvergierenden Stben gebildete E, das z.B.

    in ChLA 207 aus der Zeit um 200 und ChLA 290 aus d.J. 236 vorkommt, drfte vorwiegend in offizieller Schrift verwendet worden sein. Andere Sonderfor- men - die eher auf private Schrift schlieen lassen - kommen u.a. in fol- genden Belegen vor: ChLA 230 aus d.J. um 200, ChLA 279 aus d.J. 222-39, ChLA 273 aus d.J. um 200, ChLA 281 aus d.J. 242-44 (Verwaltungsschrift), ChLA 276 aus Anfang des dritten Jahrhunderts und ChLA 205 aus d.J. 293.

    (96) Steffens Planche 8 aus d.J. 142. (96) Petbucci 1962 S. 103f.

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  • DIB RMISCHE KURSIVSCHRIFT 183

    sivschrifb wurde eine Form kanonisiert (97), die im griechischen ep- silon eine Parallele hatte (98). ltere Forscher wie z.B. Wessely sahen darin den Beweis eines Einflusses der lateinischen Schrift auf die griechische (99), eine Auffassung, die allerdings widerlegt wurde, und zwar zuletzt von Cavallo (100). Er vertritt die These einer aus technischen Grnden parallel verlaufenden Entwicklung, auch wenn seine Argumente genau besehen zugleich als Beleg fr einen anderen Gesichtspunkt benutzt werden knnen, und zwar den, da die la- teinische Schrift ihrerseits eine graphische Entwicklung der grie- chischen Schrift nachahmt (101).

    F:

    Der Buchstabe F weicht in seiner ltesten kursiven Form nur ganz gering von seiner Gestalt in der klassischen Kapitalschrift ab (102), ein Umstand, der auf seine relativ seltene Verwendung zurckzufhren sein drfte. Eine stark abweichende Sonderform kommt allerdings auf Scherben (103) und Wachstafeln (104) vor, wo die graphische Form von dem anstoenden E beeinflut ist (105). Dies wirkt auch auf die Gestaltung des Normalbuchstaben F in der jngeren rmischen Kursivschrift ein, wo wir einer ausgeprgten Minuskel begegnen, geschrieben in drei Zgen, oft ohne das Schreib- werkzeug vom Beschreibstoff zu heben (106).

    (97) Z.B. ChLA 260 aus d.J. um 300. (98) Thompson S. 186f. I960 S. 122f. mit Figur 1-2. (99) Wessely. (100) Cavallo 1966 S. 224ff. (101) Mallon 1962 S. 109 sah hierin emen der Buchstaben, die zwischen

    der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift einen foss ' aufrissen,

    eine Ansicht, die u.a. von Tjdeb. 1963 S. 392 zu Recht polemisch angegangen wird.

    (102) Kapitalbuchstaben kommen u.a. in ChLA 281 aus d.J. 242-44 vor, whrend ChLA 276 aus d.J. 206 und ChLA 247 aus d.J. 223 Beispiele kursiv geschriebene F zeigen.

    (103) Petrucci 1962 S. 104. (104) Hoesen S. 30 sowie Tafel B. (106) Vgl. die Analyse von E oben S. 22f. (106) Z.B. ChLA 233, aus d.J. 268. Es gibt allerdings noch Beispiele von F

    der Kapitalschrift in der jngeren rmischen Kursivschrift, z.B. ChLA 253 aus d.J. 317-24.

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  • 184 STIG HORNSHJ-MLLER

    G:

    Der Buchstabe G unterscheidet sich von dem Buchstaben des Normalalphabets der Kapitalschrift durch einen kleinen abschlieen- den Haken an der Grundlinie. In der Bedarfsschrift kommt er in zwei (107) oder drei (108) Tempi geschrieben vor. Mit zunehmender Schreibgeschwindigkeit (und der daraus sich ergebenden Akzen- tuierung von mglichen charakteristischen Minuskelzgen) dominiert immer mehr die rationelle zweizgige Form, und zugleich gewinnt der Haken an Bedeutung gegenber dem Krper (109). So entstand die in der jngeren rmischen Kursivschrift bliche Form (110).

    H:

    In der lateinischen Sprache gehrt das H zu den Buchstaben, die verhltnismig selten vorkommen, was fr seine kursive Form entscheidend gewesen ist. Ausgangspunkt ist wiederum der Grund- typus der Kapitalschrift, wofr es bis ins dritte Jahrhundert in sonst kursiv geschriebenen Texten Beispiele gibt (111). Die drei konsti- tuierenden Zge werden auf zwei reduziert, und der Minuskelcharak- ter des H wird hervorgehoben (112).

    I:

    Im Prinzip ist der Buchstabe I der einfachste von allen: ein ein- ziger Strich. Dies gilt sowohl fr die klassische Kapitalschrift als auch fr die ltere und die jngere rmische Kursivschrift. Um das I von Abstrichen zu unterscheiden, die Bestandteile anderer Buchsta- ben sind, wird es mitunter mit anderen Merkmalen versehen: kleine Querstriche (in der Kapitalschrift) (113), der Strich kann lang (114)

    (107) Z.B. ChLA 216 aus d.J. 237 und ChLA 269 aus d.J. 247. (108) Z.B. ChLA 205 aus d.J. 293. (109) Z.B. ChLa 233 aus d.J. 268, ChLA 205 aus d.J. 293 und ChLA 253

    aus d.J. 317-24. (110) Siehe z.B. die Morphologie bei Mabichal 1948 S. 92f. (111) Z.B. ChLA 251, 270 und 276, alle aus dem dritten Jahrhundert,

    sowie ChLA 279 aus d.J. 222-39. (112) Z.B. ChLA 254 aus d.J. 321 und ChLA 202 aus d.J. 341-42. (113) Z.B. EL 3 aus d.J. 217-38 sowie EL 9 und 10 aus d.J. 45-54.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 185

    oder kurz (115) sein, es kann ber der Linie (116) bzw. weit unter der Linie (117) abschlieen, es kann ein nach links (118) bzw. nach rechts gewendetes (119) Auge aufweisen. Dieses Auge wird in einigen Fllen so dominierend, da eine Verwechslung mit dem 0 mglich ist (120).

    K:

    Der buchstabe kommt in der lateinischen Sprache so selten vor, da er nie eine Kursivform in der antiken Schrift angenommen hat. Die Form der Kapitalschrift blieb dafr erhalten (121).

    L:

    Das L unterscheidet sich von dem Nachbarbuchstaben I durch einen kleinen nach rechts zeigenden Querstrich am Fu des sen- krechten Strichs. Diese Grundform wurde aus dem Normalalphabet der Kapitalschrift unverndert in die ltere Kursivschrift bernom- men, wo der Querstrich mitunter wegen des Schriftwinkels ganz do- minierend wurde (122). Diese Form blieb als Bezeichnung der Zahl 50 bis spt in der Epoche der jngeren rmischen Kursivschrift er- halten (123). Im Zuge der zeitgenssischen Tendenz zur Ligatur- bildung und zu einer zgigeren Schrift - einschlielich der rein technischen Bedeutung der Schriftwinkelvernderung - entstand das L der jngeren rmischen Kursivschrift - der Stammvater unseres heutigen kursiven L - als eine natrliche Weiterentwicklung des lteren, wobei die Fhigkeit des Querstrichs, mit dem folgenden Buchstaben Ligaturen zu bilden als charakteristisches Merkmal fr die Unterscheidung zwischen L und I benutzt wurde (124).

    (114) Z.B. ChLA 8 aus d.J. 344. (116) Z.B. ChLA 262 aus d.J. 269. (116) Wie Anm. 114. (117) Z.B. ChLA 209 aus d.J. 298. (118) Z.B. ChLA 254 aus d.J. 321. (119) Z.B. ChLA 832 aus der Zeit vor 362. (120) Tjder 1964/55 S. 106. (121) Z.B. ChLA 207 aus d.J. um 200 und ChLA 281 aus d.J. 242-44. (122) Z.B. ChLA 305 aus d.J. um 200 und ChLA 10 aus d.J. um 220. (123) Tjder 1954/55 S. 130. (124) Z.B. ChLA aus d.J. 242-44, ChLA 253 aus d.J. 317-24 und ChLA

    254 aus d.J. 321.

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  • 186 STIG HORNSHJ-MLLER

    M:

    Der Buchstabe M, der in der lateinischen Schrift ziemlich hufig vorkommt, hat infolge der Einfhrung von Papyrus als blichem Beschreibstoff sowie aufgrund der Schriftwinkelvernderung eine ganz logische Transformation von der klassischen Kapitalschrift (125) zur Grundform unseres modernen kursiven M durchgemacht (126), wie Jean Malion eindeutig gezeigt hat (127).

    N:

    Beim Buchstaben N lt sich wegen dessen graphischer hn- lichkeit mit dem Nachbarbuchstaben M eine entsprechende Ent- wicklung mit Ausgangspunkt im Normalbuchstaben der Kapital- schrift feststellen. Nach und nach wurden die einzelnen Zge auf eine fr eine schnell schreibende Hand zweckmige Weise zu zweien verknpft und mit einem kleinen Aufwrtsschwung abgeschloen (128). Malion sah darin ein Element, das gegen eine Kontinuitt zwischen der lteren und der jngeren Kursivschrift spricht (129), aber dieser Unterschied ist, wie u.a. Tjder nachgewiesen hat (130), nicht von entscheidender Bedeutung, umso mehr als die Schriftwinkelvernder- ung einschlielich der Akzentuierung von vertikalen Zgen eine Ent- wicklung wie die hier skizzierte geradezu zwangslufig bewirken mute - ganz analog zum H (131).

    Das N der jngeren rmischen Kursivschrift ist der Stammvater

    (121) Schne Beispiele hierfr finden sich in ChLA 270 aus dem dritten Jahrhundert und ChLA 305 aus der Zeit um 200. - Die Entwicklung des M ist spter Gegenstand einer Analyse von Jan-Olof Tjder gewesen, der darin den Ausgangspunkt fr seine These in bezug auf die Genesis der Unzialschrift nimmt. Tjder 1974, bes. S. 20ff.

    (126) Z.B. ChLA 281 aus d.J. 242-44 und ChLA 263 aus d.J. 317-24. (127) Mallon 1962 S. 38. Vgl. z.B. die zwei verschiedenen M von dersel-

    ben Hand, die in ChLA 233 aus d.J. 268 vorkommen. (128) Z.B. ChLA 230 aus d.J. um 200, ChLA 276 aus d.J. 205 und ChLA

    281 aus d.J. 242-44. (129) Matron 1962 S. 109f. (130) Tjder 1964/66 S. 108f. (131) Vgl. oben die Behandlung von H S. 24.

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  • DIB BMISCHE KURSIVSCHBIFT 187

    des N unserer heutigen Handschrift (132) und kann wie das M nur in wenigen Fllen Ligaturen nach rechts bilden. Im Gegensatz zum letzteren, dessen neue Form sich ganz durchsetzte, begegnet man lange dem N der lteren Kursivschrift (der Kapitalschrift) neben dem jngeren (133). Zuletzt sei noch darauf hingewiessen, da es vom ersten Jahrhundert an im Griechischen ein kursives ny mit gleichen Form wie das der jngeren rmischen Kursivschrift gibt (134).

    0135.

    Zweifellos bedingt durch die Beschaffenheit der Wachstafeln, die Aufstriche und runde Buchstaben nicht zult, erscheint das kur- sive als eine Nachahmung dieses Buchstaben im Normalalphabet der Kapitalschrift und wird in zwei Tempi geschrieben. In Verbind- ung mit der zunehmenden Verwendung von Papyrus als meist ver- breitetem Beschreibstoff im Laufe des ersten Jahrhunderts entstand jedoch sehr bald ein Buchstabe, der in einem Zug und nach belieben von links nach rechts oder von rechts nach links geschrieben werden konnte (136). Dies ist selbstverstndlich auf die einfache graphische Form dieses Buchstaben zurckzufhren, die geradezu zur Ligatur- bildung aufforderte.

    P137.

    Der Buchstabe P ist in seiner ltesten kursiven Gestalt aus der Grundform der Kapitalschrift entstanden und sieht dem bzw. dem T bis zur Verwechslung hnlich. Er wird in zwei Zgen geschrieben, zuerst ein Strich mit einem kleinen nach rechts zeigenden Fu und anschlieend ein leicht geschwungener Querstrich von der oberen

    (132) Z.B. ChLA 282 aus dem dritten Jahrhundert, ChLA aus d.J. 300 und ChLA 260 aus der Zeit um 300. - In den beiden letzteren treten die l- tere und die jngere Form gleichzeitig auf.

    (133) Tjder 1954/55 S. 108f. Abgesehen von den in Anm. 132 erwhn- ten Beispielen sei ferner auf Tjder 1954/55 Nr. 49 aus d.J. 557 verwiesen. Auerdem soll betont werden, da diese Form in der Buchschrift noch lange vorkommt.

    (134) Thompson S. 188f. (135) Vgl. 1938 S. 33f. (136) Z.B. ChLA 253 aus d.J. 317-24 und ChLA 276 aus dem dritten Jahr-

    hundert. (137) Vgl. MARiCHAb 1938 S. 35f.

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  • 188 STIG HORNSHJ-MLLER

    Spitze des Senkrechstrichs, wiederum nach rechts (138). Dieser Quer- strich kann mitunter gerade sein (139), oder der Bogen kann sogar nach oben offen sein (140). Wie Giorgio Cencetti nachgewiesen hat (141), gibt es schon im zweiten Jahrhundert Beispiele dieser Form, die sich in der jngeren rmischen Kursivschrift durchsetzen sollte, ein Beleg, der die theoretischen berlegungen Robert Mari- chals in Verbindung mit dem Kontinuittsproblem entschrft (142). In der jngeren rmischen Kursivschrift rckt der Ursprung des Buchstaben wieder ins Bewutsein - sei es aufgrund eines direkten Einflues der Kapitalschrift oder vielleicht eher analog zu und beein- flut von dem griechischen rho (143) - indem der geschloene Bo- gen erneut akzentuiert wird (144), wenn auch die buchstabenbildende Zugreihenfolge willkrlich ist, je nach den gegebenen praktischen Mglichkeiten, Ligaturen nach links zu bilden (145). Petrucci deutet diese Entwicklung als den Beweis fr einen wirksamen Einflu der Volksschrift auf die Gestaltung des Normalalphabets (146).

    Q: Die Gestalt des kursiven Q lt sich mit der des in der klassischen

    Kapitalschrift hnlichen Buchstaben vergleichen (147). Wie das wurde auch das Q zunchst in zwei Tempi geschrieben, wobei der das Q kennzeichnende Fu als Verlngerung des rechten Teilbogens in einem Zug ausgefhrt wurde. Dieser zweite Zug der Buchstaben- gestaltung gewann dadurch bermig an Bedeutung auf Kosten des ersteren. Mit dem Durchbruch des Papyrus als der meist ver- breitete Beschreibstoff entstand - wie beim - erneut die ursprng- lich runde Form des Q, und - wie beim - wurde die Richtung

    (138) Z.B. ChLA 266 aus d.J. 246. (139) Z.B. ChLA 269 aus d.J. 247. (140) Z.B. ChLA 244 aus der ersten Hlfte des dritten Jahrhunderts. (141) Cencetti 1950 S. 27. (142) Marichal 1938 S. 35f. Marichal 1948 S. 74ff. (143) Norsa S. 114. Marichal 1950 S. 114. Tjder 1954/55 S. 110, Anm. 2. (144) Ein schnes Beispiel findet sich in ChLA 202 aus d.J. 341-32, wh-

    rend ChLA 281 aus d.J. 242-44, worauf bereits wiederholt verwiesen wurde, ein frhes Beispiel enthlt.

    (145) Beispiele finden sich bei Tjder 1954/55 S. HOf. (146) Vgl. Petrucci 1962. (147) Vgl. Abschnitt ber O S. 27.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 189

    des ersten Zuges in Verbindung mit dem bergang von der lteren zur jngeren rmischen Kursivschrift aus schriftkonomischen Grn- den gendert (148). Tjder hat demonstriert, da das Q ein Buch- stabe ist, der hufig Ligaturen nach rechts bildet, wodurch das Schriftbild unter Umstnden etwas entstellt wird, aber der Buch- stabe lt sich jedoch immer an der auffallenden Unterlnge identi- fizieren (149).

    R:

    Der Buchstabe R ist in seiner ltesten kursiven Form eine Wei- terentwicklung des kapitalen R. Er besteht aus zwei Zgen: der erste verluft schrg abwrts nach links (im Zuge der zunehmenden Schreibgeschwindigkeit der Geschftsschrift weichen alle Buchstaben normalerweise ein wenig von der vertikalen Achse des Beschreib- stoffs ab); er kann gerade sein, ist aber meist leicht geschwungen; der zweite Zug bildet mit dem ersten Winkel von 90 (150). Gerade dieser Zug dient zur Identifikation des R, da das A nie einen gesch- wungenen, sondern immer einen geraden Querstrich aufweist (151). In Verbindung mit dem bergang zur jngeren rmischen Kursiv- schrift wird der erste Strich geradegerichtet, und der Buchstabe wird in einem Zug ohne Abhebung des Schreibgerts vom Be- schreibstoff geschrieben (152). Hiermit ist die Grundform unseres heuti- gen handgeschriebenen R entstanden. Eine Verweschslung des R der jngeren rmischen Kursivschrift mit dem Nachbarbuchstaben S ist mglich (153), allerdings unterscheidet es sich vom letzteren durch einen nie fehlenden charakteristischen Knick im Querstrich, der eine Reminiszenz seiner ursprnglichen Form in der Kapitalschrift ist.

    S:

    Die Kursivform des Buchstaben S hat sich auf logische Weise aus dem S der klassischen Kapitalschrift entwickelt. Dieses wurde

    (148) Z.B. ChLA 281 aus d.J. 242-44 und ChLA 269 aus d.J. 247. (149) Tjdeb 1954/56 S. llOf. (150) Ein charakteristisches Beispiel findet sich in ChLA 247 aus d.J. 223. (151) Vgl. oben die Analyse von A S. 15 mit Anm. 66. (152) Z.B. 205 aus d.J. 293. Eine illustrative Ubergangsform findet sich

    in ChLA 281 aus d.J. 242-44. (153) Vgl. unten die Analyse von S.

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  • 190 STIG HORNSHJ-MLLER

    in drei Zgen geschrieben, wobei die beiden ersten sehr bald zu einem einzelnen ohne deutlichen Knick verschmolzen (154). Schon im drit- ten Jahrhundert gibt es Belege fr das S der jngeren rmischen Kursivschrift (155), das blo als eine weiterentwickelte Form zu sehen ist, wobei die Zge aufeinanderfolgen, ohne da das Schreib- werkzeug vom Beschreibstoff abgehoben wird, und wo die generelle Vertikalisierungstendenz der Schrift zum Ausdruck kommt (156). Eine Verwechslung dieses S mit dem R liegt nahe (157), aber auf- grund der morphologisch unterschiedlichen Entwicklung kommt beim S kein Knick vor in Verbindung mit Ligaturen mit dem fol- genden Buchstaben. Es sei darauf hingewiesen, da in der griechi- schen Kursivschrift ein sigma mit derselben Form wie das der jn- geren rmischen Kursivschrift vom ersten Jahrhundert ab nicht un- gewhnlich ist (158).

    T: Die Kursivform des Buchstaben T wird im Prinzip aus densel-

    ben Bestandteilen wie das ursprngliche kapitale T gebildet: zwei Striche bilden einen rechten Winkel, wobei der senkrechte Strich als ersten Zug und der waagerechte, der zu beiden Seiten ber den senk- rechten hinausragt, als zweiten Zug geschrieben wird (159). Mit der zunehmenden Schreibgeschwindigkeit aufgrund der Einfhrung von Papyrus als hufiger verwendeten Schreibstoff und wegen der na- turgegebenen Voraussetzungen dieses Buchstaben, Ligaturverbin- dungen einzugehen, werden die Zge nach und nach verwischt: der Querstrich wird hufig nach rechts verschoben, er wird in variie- render Gre ausgefhrt; das gleiche gilt fr den Abstrich, der zu- dem mitunter mit einem Haken nach rechts versehen ist (160). Das T der jngeren rmischen Kursivschrift stellt nur eine Varia- tion ber das gleiche Thema dar, indem allerdings die Vertikalitt

    (154) Z.B. EL 13 aus d.J. 46-64 und ChLA 216 aus d.J. 237. (155) Z.B. ChLA 247 aus d.J. 223 und ChLA 262 aus d.J. 269. (156) Vgl. z.B. ChLA 276 aus dem dritten Jahrhundert, wo beide Typen

    vertreten sind. (157) Vgl. oben die Analyse von R. (158) Thompson S. 189. (159) Z.B. EL 13 aus d.J. 45-54. (160) Z.B. ChLA 265 aus d.J. 200-250, ChLA 281 aus d.J. 242-44 und

    ChLA 262 aus d.J. 269.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 191

    des ersten Zuges betont wird (161). Auch hier findet man in der kontemporren griechischen Kursivschrift Beispiele graphischer Pa- rallelen im Buchstaben tau (162).

    U/V: Der Buchstabe U/V ist in seiner ltesten kursiven Gestalt iden-

    tisch mit dem V der Kapitalschrift, d.h. zwei konvergierende Stri- che, die unten zusammenlaufen. Da es mit dem Durchbruch des Papyrus als blichen Beschreibstoff mglich wurde, Aufstriche zu schreiben, wurde die Zugrichtung des zweiten Strichs verndert, so da der Buchstabe in einem geschwungenen Zug geschrieben wurde und immer mehr hnlichkeit mit dem modernen kapitalen U an- nahm (163). Es trat mal in derselben Gre wie die brigen Buch- staben auf, und mal wurde es in verkleinerter Form hoch ber der Linie angebracht (164). Im Gegensatz zum U/V der jngeren r- mischen Kursivschrift konnte die ltere Form Ligaturen mit dem folgenden Buchstaben bilden, was die Verwendung des Buchstaben G (= VI) als Zifferbezeichnung in mehreren Inschriften erklrt (165). Das U/V der jngeren rmischen Kursivschrift ist im Grunde nur eine Weiterentwicklung des lteren, und zwar nach dem bereits mehrmals skizzierten Entwicklungsschema, d.h. die vertikale Achse wird durch einen abschlieenden Abstrich betont, der zugleich eine Ligatur nach rechts unmglich macht (166). Diese Merkmal unter- scheidet die sonst fast identischen Buchstaben A und U/V (167).

    X, Y und Z:

    Smtliche drei Buchstaben kommen recht selten vor - X viel- leicht ausgenommen - und haben whrend der hier behandelten Epoche keine bemerkenswerte Entwicklung zu verzeichnen. Ihre

    (161) Z.B. ChLA 202 aus d.J. 341-42. Vgl. auch Tjder 1954/56 S. 114. (162) Thompson S. 189f. (163) Z.B. EL 13 aus d.J. 45-54 und ChLA 247 aus d.J. 223. (164) Z.B. ChLA 279 aus d.J. 222-39, ChLA 290 aus d.J. 236 und ChLA

    269 aus d.J. 247. (165) Mallon 1952 S. 126ff. und J. M. Navascus, La era . .AS , Ma-

    drid 1951 (= Scripturae monumenta et studia I). (166) Z.B. ChLA 281 aus d.J. 242-44 und ChLA 202 aus d.J. 341-42. (167) Vgl. oben die Analyse von A S. 18 mit Anm. 65.

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  • 192 STIG HORNSHJ-MLLER

    kursive Form ist mit der Kapitalform identisch (168). Das X wird wie heute noch von zwei sich kreuzenden Strichen gebildet, wovon derjenige, der von oben rechts nach links unten verluft zuweilen etwas lnger ist, eine Tendenz, die mit der umgekehrten Zugrich- tung - bedingt durch die Fhigkeit des Papyrus, Aufstriche zuzu- lassen - verstrkt wird (169).

    Several different methods of treatment appear in different sketches of the history of Roman cursive writing (170). So be- schrieb der amerikanische Palograph H. . van Hoesen vor rund 60 Jahren die Forschungssituation, und das bezieht sich genauso auf den heutigen Stand. Bereits damals waren vor allem terminologische Probleme sowie die Frage der Kontinuitt zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift Gegenstand der Diskussion. Van Hoesen drckte diese Auffassung aus und verband damit die Hoffnung, da sein Buch will help to bridge the gap between the ' ltere ' and ' jngere ' cursive and demonstrate a development so gradual as to call for no division into periods (171).

    Dieser Standpunkt mu jedoch heute als berholt betrachtet werden, besonders nach den Auseinandersetzungen in den Arbeiten des Franzosen Jean Malion. In einem Sammelband seiner bis dahin verffentlichten Aufstze mit dem provokativen Titel Palographie romaine (1952) sprach er sogar von l'existence d'un ' foss ', spa- rant 'ancienne cursive ' de la ' nouvelle ' (172). Auf der Basis einer tiefschrfenden handschriftentechnischen und -theoretischen Analyse von den Buchstaben der beiden Schriftsysteme, die die markan- testen Unterschiede aufweisen (173), ergnzt durch eine allgemeine Stilbeschreibung, meinte er feststellen zu knnen, da die Entwicklung auf dem Gebiet der Buchschrift stattgefunden habe, und zwar in

    (168) Was Y betrifft, siehe jedoch ChLA 279 aus d.J. 222-39, wo eine etwas atypische Form vorkommt.

    (169) Z.B. ChLA 254 aus d.J. 321. (170) Hoesen S. 12. (171) Hoesen S. 19. (172) Mallon 1952 S. 106. (173) Es dreht sich um die Buchstaben A, B, E, N und P. Hierdurch wird

    zugleich ein Kriterium gegeben, wodurch eine Schrift als ltere bzw. jngere rmische Kursivschrift identifiziert werden kann.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 193

    Verbindung mit einer Vernderung des Schriflwinkels (d.h. des Win- kels zwischen dem Schreibgert und der Grundlinie der Buchsta- ben) (174) von ungefhr 45. Die These ist spter untermauert wor- den, einerseits durch weitere Untersuchungen Mallons (175), und andererseits von anderen Forschern wie z.B. Robert Marichal, der unabhngig von Mallon zur Herausarbeitung des franzsischen Standpunkts (176), der die jngere rmische Kursivschrift nur indi- rekt als eine Fortsetzung der lteren definiert, beigetragen hat.

    Gegen diese Auffaung erhob sich bald eine Reihe von kritischen Stimmen - besonders von italienischer Seite. Dies lste eine mitunter recht national gefrbte Debatte aus, deren Nachwirkung sum Teil noch sprbar ist. Die italienische Schule, gefhrt von dem inz- wischen verstorbenen Giorgio Cencetti, leugnet zwar nicht, da eine Schriftwinkelvernderung stattgefunden hat, meint aber trotzdem, eine kontinuierliche Entwicklung der Bedarfsschrift nachweisen zu knnen (177). Das, was uns heute unter der Bezeichnung ltere r- mische Kursivschrift bekannt ist, msse vielmehr als eine offizielle Schrift ausgelegt werden, die um 300 n. Chr. herum abgeschafft worden sei, weil sie sich zu weit von der Alltagsschrift entfernt habe. Das Problem sei somit nicht blo schrifbtechnischer Art, sondern vielmehr un fatto complesso, tecnico, estetico e culturale insie- me (178).

    Oben habe ich die jeweilige Gestalt der einzelnen Buchstaben analysiert, und zusammenfassend kann folgendes festgestellt wer- den:

    1. Das Normalalphabet der lteren rmischen Kursivschrift stellt eine natrliche bedarfsschriftliche Weiterentwicklung der ursprng- lichen Kapitalschrift da, bestimmt von technischen Faktoren, vor allem vom Beschreibstoff (Wachstafeln).

    2. Das ganze Normalalphabet der jngeren rmischen Kursiv- schrift lt sich fast ausnahmslos von den lteren ableiten, unter

    (174) Mallon 1952 S. 22. (175) Vgl. oben S. 3 mit Anm. 4. (176) Besonders in Mabichal 1948. (177) Vgl. Cavallo 1967 S. 4, Anm. 3. (178) Cencetti 1956 S. 66.

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  • 194 STIG HORNSHJ-MLLER

    Bercksichtigung der rein mechanischen Wirkung einer Schriftwin- kelvernderung von etwa 45 (179).

    3. Dort, wo im Normalalphabet der lteren rmischen Kursiv- schrift graphische nderungen auftreten, lassen diese sich durch die zunehmende Verwendung von Papyrus als Beschreibstoff erkl- ren (180).

    4. Abweichungen knnen auf Einfle bzw. auf Bercksichti- gung der zeitgenssischen griechischen Schrift zurckgefhrt wer- den (181).

    Die obigen vier Punkte sind die einzigen einigermaen sicheren Analyseergebnisse, die im Hinblick auf das sprliche Material trag- bar scheinen. Mit dieser Feststellung sind wir an ein ungemein zen- trales, methodisches Problem gelangt: das Abwgen der generellen gegenber den besonderen Merkmalen einer gegebenen Schrift. (182).

    Ich glaube, da viele Palographen in ihrem Eifer, Datierungs- kriterien festzulegen und die Evolution der Schrift zu erforschen, zu darwinistisch vorgegangen sind. Sie suchen - und finden - eine ganze Menge mgliche (und unmgliche) Entwicklungslinien, die die Schrift im Zuge ihrer Vernderung durchlaufen hat, und verfaen dann eine deskriptive Kunstgeschichte der Schrift. Darin werden dann die oft auerordentlich fragwrdige Beziehung zwischen den verschiedenen Schrifttypen sowie ihre Entstehungs-, Kanonisierungs- und Verfallsepochen beschrieben. Was mitunter erwhnt, aber in der eigentlichen Analyse selten bercksichtig wird, ist die Tatsache, da die Bezeichnungen und die Definitionen der verschiedenen Schriftarten die nicht immer gleich treffenden Klassifikationen sp- terer Epochen sind.

    (179) Vgl. die aufschlureichen Ausfhrungen bei Marichal 1948 S. 77-87; allerdings geht er von der hier widerlegten These eines Zwischengliedes zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift in der Buchschrift aus.

    (180) Vgl. Cencettis Charakteristik der Schrift Anfang des zweiten Jahr- hunderts als Majuskelkursive auf Papyrus. Cencetti 1950 S. 16.

    (181) Dies betrifft die Buchstaben A, B, D, E, (N), P, (S) und (T). Vgl. auerdem das Kapitel ber die Beziehung zwischen der lateinischen und der griechischen Bedarfsschrift, unten S. 48-50.

    (182) Vgl. die in dieser Verbindung interessanten berlegungen bei H. Steinacker, Zum Liber Diurnus und zur Frage nach dem Ursprung der Frh- minuskel, Miscellanea Francesco Ehrle , IV, Roma 1924 (= Studi e testi 40). S. 131-35, bes. S. 133f.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 195

    Es kommt deshalb vor, als ob das Wesentlichste - die Schrift verstanden als ein bewutes Kommunikationsmittel, als ein Mittel, sich anderen mitzuteilen und als ein Mittel der Rckerinnerung -

    ganz auer acht gelassen wird. Erst von dieser Perspektive aus wird die Erscheinung und die

    gegenseitige Abhngigkeit der wechselnden Schriftformen interessant, und die vorliegende Abhandlung stellt die These auf, da die Frage nach der Beziehung zwischen der lteren und der jngeren rmischen Kursivschrift auf der Basis solcher berlegungen geklrt werden kann.

    Wie bereits mehrmals hervorgehoben, ist die Kenntnis der Schreib- weise, und zwar besonders der buchstabenkonstitutierenden Zge, der zentrale Faktor fr das Verstndnis der Schriftentwicklung (183). Nur durch den allgemeinen Consensus zwischen Schreiber und Leser, da ein bestimmtes Zeichen einen bestimmten Sinn hat, ist das korrekte Verstndnis gewhrleistet. Dieser Consensus ist natrlich allgemein, weil er allen in der Schule beigebracht wird. Dort wird gelehrt, was Cencetti so treffend die scrittura normale nennt (184).

    Ursprnglich wurde das Schreiben auf Wachstafeln gebt (185), aber spter scheinen auch alte Papyrusbriefe zur Schrifteinbung benutzt worden zu sein (186). Leider sind uns allerdings eigentliche Belege dieser scrittura normale fast unbekannt (187) - sie stellt vielmehr einen Begriff dar, dessen konkreter Gegenstand auf der Basis mehr oder weniger individueller Handschriften interpoliert werden mu. Dieser Umstand ist leider einer der methodischen Mn- gel, unter denen eine Arbeit dieser Art zwangslufig zu leiden hat.

    Wer sich im einschlgigen Standardwerk, der Histoire de l'du- cation dans Vantiquit von H. I. Marrou (188), informiert, mu

    (183) S. . S. 8f. (184) Vgl. A. Pbatesi, Paleografia latina, Enciclopedia italiana. Appen-

    dice III, 2. Roma 1961, und Tjder 1974 S. 9, Anm. 1. (185) G. PoETHKE, Vom Papyrus zum Papier, Das Altertum, XIII

    (1967), S. 157, Abbildung. (186) Ein solches Beispiel ist das wichtige Dokument ChLA 281 aus d.J.

    242-44. (187) Z.B. ChLA 234 aus d.J. um 400 und ChLA 259 aus dem fnften

    Jahrhundert. Vgl. G. Zaxateo, Papiri scolastici, Aegyptus , XLI (1961). (188) Mabrou S. 359-415.

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  • 196 STIG HORNSHJ-MLLER

    auerdem eine soziale Ungleichheit der Quellen feststellen: Wir wis- sen mehr ber die hhere Ausbildung als ber die Grundausbildung, die uns in diesem Zusammenhang in erster Linie interessiert.

    Die Ausbildung in der Sptantike lt sich in drei Phasen ein- teilen: den Elementarunterricht in der Grundschule (189), den wei- terfhrenden Grammatikunterricht und den abschlieenden Rhetorik- unterricht. Whrend die beiden letzteren Diszipline mit Sicherheit nur in greren Stdten unterrichtet wurden, wird gewhnlich ange- nommen, da es auch in Drfern Grundschulen gab, aber - wie A. H. M. Jones ganz treffend schreibt: we hear little of them (190). Die Schler kamen aus der mittleren Schicht, wo die finanzielle Voraussetzung fr die - zwar geringe (191) - Bezahlung der Lehr- krfte vorhanden war. Der Elementarunterricht fr reiche Kinder wurde meist von einem als Privatlehrer benutzten Sklaven (paeda- gogus) betreut. Ferner ist anzunehmen, da auch der Staat irgend- einen Elementarunterricht fr das angehende Personal der niederen Kanzleimter veranstaltete (192). Anders lt sich der besonders im dritten Jahrhundert markante Konservativismus der offiziellen Schrift kaum erklren (193).

    Solange eine systematische Untersuchung der Grundschule und ihrer Verbreitung noch aussteht - sofern berhaupt gengend Ma- terial fr eine solche Untersuchung berliefert ist - knnen wir wenigstens indirekt etwas darber aussagen, und zwar mit Ausgangs- punkt in der interessanten Untersuchung Rita Calderinis von dem Grad des Analphabetentums im gypten der Kaiserzeit (194). Das Ergebnis der Analyse, die sowohl das Griechische als das Latein behandelt, ist, da im Laufe der Epoche eine zunehmende Schreib- unkundigkeit sich feststellen lt (195). Bemerkenswert ist, da in

    (189) Marrou S. 365f. zitiert einen antiken Text aus der Zeit um 207, der die Stimmung einer Unterrichtsstunde, wo u.a. das Schreiben gebt wird, lebhaft schildert.

    (190) Jones S. 997. (191) Marrou S. 360f. (192) ChLA 304 aus d.J. um 200 drfte eine berlieferung eines solchen

    Unterrichts sein. (193) Cencetti 1950 S. 36ff. (194) R. Calderini, Oli AQRAMMATOI nelVEgitto greco-romano, Ae-

    gyptus , XXX (1950). (195) Ebd. S. 27.

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  • DIB RMISCHE KURSIVSCHRIFT 197

    der Sptantike etliche Analphabeten hhere mter bekleideten (196). Dies betrifft das stark urbanisierte, vorwiegend griechischssprechende gypten und lt sich nicht ohne weiteres auf die Situation in den brigen Teilen des rmischen Reiches bertragen, ber deren Grund- schulunterricht qualitative uerungen nur vereinzelt vorliegen (197). Wir knnen hier nur feststellen, da eine gewisse allgemeine Schreib- und Lesekundigkeit whrend der ganzen hier untersuchten Epoche vorhanden gewesen sein mu, da die Schreiber von Graffiti anschei- nend nicht immer von sozial hherem Stand waren (198). Dagegen haben wir keine Mglichkeit, etwas Nheres ber den Grad des Anal- phabetentums, ber eventuelle Entwicklungstendenzen sowie ber soziale und topographische Besonderheiten zu sagen (199). Da die lateinische Sprache indessen generell als eine Oberklassen- und Herrschersprache angesehen werden mu, die nicht berall die un- geschriebene Volkssprache verdrngte, darf man annenhmen, da die Kunst des Schreibens auerhalb der griechisch-sprechenden Gebiete, wo es keine Bildungstradition gab, weniger verbreitet war.

    In Anlehnung an Marichal bin ich deshalb der Meinung, da die Schreibkundigkeit im zweiten und dritten Jahrhundert einen all- gemeinen Rckfall erlitt (200). Im Hinblick auf den ntigen Ausbau der staatlichen Verwaltung in Verbindung mit den Bemhungen um eine Zentralisierung des Entscheidungsprozees - worduch schrift- liche Mitteilungen, Anordnungen, Berichte etc. an Bedeutung ge- wannen - mute ein zunehmendes Interesse der Staatsgewalt am Schulwesen sich zwangslufig bemerkbar machen (201). Belege hier-

    (196) Ebd. vgl. E. G. Tubner, Greek Papyri, An Introduction. Oxford 1968. S. 83.

    (197) Marrou S. 359-68 und 393. (198) Petrucci 1963/64 S. 68f. (199) Der von Marichal aufgestellte Kalkl, da etwa 40% der mnnlichen

    Bevlkerung von Pompeji schreiben knne, stellt in diesem Zusammenhang wegen der besonderen chronologischen, sozialen und topographischen Stellung der Stadt gewissermaen ein Maximum dar. Petrucci 1963 S. 69.

    (200) Marichal 1956 S. 31 und 56. Vgl. A. Petrucci, Scrittura e hbro nell'Italia altomedievale. Il sesto secolo, Studi medievali, X, 2 (1970) (= A Giuseppe Ermini 2). S. 162-68.

    (201) Marrou S. 412-14. Vgl. P. Brown, The World of Late Antiquity, London 1971. S. 30ff.

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  • 198 STIG HORNSHJ-MLLER

    fr gibt es im Quellenmaterial allerdings nur in bezug auf hhere Schulen (202).

    Auf diesem Hintergrund mssen wir die Ursachen fr den Durch- bruch der jngeren rmischen Kursivschrift suchen. Ich glaube, an- hand einer graphischen Analyse festgestellt zu haben, da die jn- gere rmische Kursivschrift sich unter einer gewissen Bercksichti- gung der griechischen Schrift organisch aus der lteren entwickelt hat (203). Was liegt wohl nher als eine im stlichen Rmerreich gelegene lateinische Militrkanzlei mit berwiegend griechischem Per- sonal als Ursprungsort zu vermuten? Ein Beispiel (und folglich eine Mglichkeit) ist Dura-Europos (204), ein zweites Beispiel (und auf- grund allgemein bekannter historischer Tatsachen eine wahrschein- lichere Mglichkeit) ist Alexandria (205). Die turbulente politische Lage im dritten Jahrhundert mit provinzialen Machtzentren mag fr eine solche Entwicklung frderlich gewesen sein. Diokletian hat die Mglichkeit und die Norwendigkeit einer solchen griechisch-lateini- schen Bedarfsschrift erkannt (206) und hat sie als die in den ver- waltungseigenen Schulen zu lehrende kanonisiert (207). Von hier aus hat sie sich aus sehr einleuchtenden Grnden schnell verbreitet: sie war die Staatsschrift, sie kanalisierte die durch den Papyrus- beschreibstoff erschloenen Tendenzen (208). Ob dies direkt auf einen kaiserlichen Befehl zurckzufhren, oder ob es eher stufenweise Mode geworden ist, lt sich unmglich entscheiden (209). Ein Argument fr die These eines solchen Staatdiktats ist allerdings

    (202) Marrou S. 407ff. (203) S.o.S. 34. (204) Vgl. Duba-Eubopos S. 55-57. (205) Vgl. Cavallo 1965, bes. S. 230. In diesem Zusammenhang darf

    man einen sehr wichtigen Aspekt nicht bersehen, und zwar die topographische Quellenkritik: ein trockenes Klima ist die unerlliche Voraussetzung fr die Erhaltung von Papyrus. Wegen des feuchten Klimas ist schriftliches Mate- rials, das nach Alexandria lokalisiert werden kann, nur in sehr geringem Um- fang erhalten geblieben.

    (206) Vgl. Batailles Bemerkungen im gleichen Sinne S. 508ff. (207) Vgl. hierzu die perspektivreichen berlegungen bei Nicolaj S. 26,

    Anm. 70. (208) Vgl. die Ausfhrungen bei Steinacker (Anm. 182) S. 167 mit Anm.

    3, auch wenn wir denselben hohen Grad an Schreib- und Lesekundigkeit nicht akzeptieren knnen wie dieser.

    (209) Unter den rund 1200 berlieferten Gesetzen und Erlassen Diokle- tians ist ein solches Dekret nicht erhalten.

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  • DIE RMISCHE KURSIVSCHRIFT 199

    folgende Tatsache : whrend die griechische Schrift bislang seit Jahr- hunderten keinen lateinischen Einflu aufgewiesen hatte, fand nun eine unverkennbare Annherung statt (210). Es gibt indessen Indi- zien dafr, da die jngere rmische Kursivschrift im wahrsten Sinne des Wortes durchgebrochen ist. Nur ein einziger Papyrus ist uns berliefert, der einen Konflikt zwischen den Schriftformen zeigt (211), und die ltere rmische Kursivschrift wurde sehr bald der kaiser- lichen Kanzlei vorbehalten (212). Abschlieend knnte man noch Grabinschriften aus den Jahren 330-46 in der fr einen Steinmetz sehr mhsamen jngeren rmischen Kursivschrift als Indiz dafr anfhren, da gerade diese Schrift zu diesem Zeitpunkt die Bt^arfs- schrift par excellence gewesen sein mu (213).

    Die Diskussion der Ursachen fr den Durchbruch der jngeren rmischen Kursivschrift ist mit dem Verstndnis des Begriffs lit- terae caelestes eng verknpft (214). Er kommt vor in einem von den Kaisern Valentinian I. und Valens 367 in Trier erlassenes Dekret an den Prokonsul von Afrika, Festus, vor und ist uns im Codex Theo- dosianus berliefert (215). In diesem Brief behalten sich die Kaiser ausdrcklich eine besondere Schrift vor, die litterae caelestes, und

    (210) Vgl. unten S. 48-60. (211) ChLA 205 aus d.J. 293. (212) Vgl. das Kapitel ber litterae caelestes (213) Steffens Planche 11. (214) Der Begriff ist in der modernen Forschung mehrmals behandelt wor-

    den. Maixon 1948, Mamchal 1952, Kbesten sowie J. Goetze, Die Litterae Elongatae. Ein Beitrag zur Formengeschichte und Herkunft der mittelalterlichen Urkundenschrift, Diss., Archiv fr Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde, XI-XII (1965-66).

    (215) Das Dekret lautet (zitiert nach Matron 1952 S. 116): Impp. Va- lentinianus et Valens AA. ad Festm proconsulem Africae. Serenitas nostra prospexit inde caelestium litterarum coepisse imitationem, quod his apicibus tuae gravitatis officium consultationes relationesque complectitur, quibus scrinia nostrae perennitatis utuntur. Quam ob rem istius sanctionis auctori- tate praecipimus ut post hac magistra falsorum consuetudo tollatur et com- munibus litteris universa mandentur, quae vel de provincia fuerint scribenda vel a judice, ut nemo stili huius exemplum aut privatim sumat aut publie. Dat. V. Id. lun. Treviris Lupicino et Jovino Conss. Die Stelle ist brigens auch i