die bekämpfung der steuerhinterziehung in der schweiz. georg schanz' „die steuern der...

20
Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart Author(s): Alfred Meier Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 42, H. 3 (1984), pp. 490-508 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40911962 . Accessed: 16/06/2014 23:53 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Upload: alfred-meier

Post on 12-Jan-2017

216 views

Category:

Documents


3 download

TRANSCRIPT

Page 1: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern derSchweiz“ und die GegenwartAuthor(s): Alfred MeierSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 42, H. 3 (1984), pp. 490-508Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40911962 .

Accessed: 16/06/2014 23:53

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

.

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access toFinanzArchiv / Public Finance Analysis.

http://www.jstor.org

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 2: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz9 „Die Steuern der Schweiz"

und die Gegenwart von

Alfred Meier

I. Problemstellung

In der Vorrede zu seinem 1890 erschienen fünfbändigen Werk1 schrieb Georg Schanz sinngemäß, die Steuern der Schweiz und ihre neuere Ge- schichte seien nur wenig bekannt, doch sei das Studium der Schweiz deshalb so anziehend, weil hier Tradition neben Fortschritt und Experimentierfreude bestehe. Trotz gemeinsamer Grundzüge der Entwicklung sei die Situation in den Kantonen sehr unterschiedlich.

In einem ersten Band skizzierte er zusammenfassend, kritisch und auch wertend die generelle Entwicklung, die wichtigeren Aspekte. Grundlage dafür waren die Bände II-IV, in denen die Darstellung der Verhältnisse in den einzel- nen Kantonen seit Beginn des 19. Jahrhunderts sehr detailliert erfolgte. Der Band V schließlich enthielt die kantonalen Gesetze und die wichtigeren Verord- nungen.

Abschließend schrieb Schanz: „Die ganze Arbeit war nur schwer zu meistern. Ein viertel Hundert Gemeinwesen ist eine Zahl, die geradezu erdrückt. Vielfach mußte auf die geschriebenen Regierungs- und Großratsakten und archivalische Quellen zurückge- griffen werden. Nur durch persönlichen Besuch der sämtlichen Kantone ist es möglich geworden, das Material vollständig zu erhalten" (I, S. IV).

Zu seiner Zeit ermöglichte das Werk eine einzigartige Übersicht über die verwirrend vielfaltige und in starken Veränderungen begriffene Besteuerung in der Schweiz. Und wenn der Verfasser mit berechtigtem Stolz von seinem Band V sagt, eine solche Sammlung von Gesetzen existiere nicht einmal in der Schweiz, so galt das auch für die andern vier Bände.

Für den heutigen Leser stellt das Werk eine Fundgrube dar, die zahllose Fakten enthält aus einer Zeit, in der mit neuen Formen der Besteuerung experi-

1 Georg Schanz: Die Steuern der Schweiz in ihrer Entwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1890 (im folgenden nur noch mit der Nummer des Bandes und der Seitenzahl zitiert).

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 3: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 491

mentiert und die verschiedenartigsten positiven und negativen Erfahrungen damit gemacht wurden. Meines Erachtens macht man deshalb von diesem Werk den besten Gebrauch, wenn man aus seiner Fülle schöpft.

Besonders vielfältig und stark gewandelt haben sich damals der Steuerzu- griff, die steuertechnische Konfrontation2, kurz alle Vorkehrungen, um eine gesetzeskonforme Besteuerung herbeizuführen und die Steuerhinterziehung möglichst einzuschränken. Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist aber ein Dauerproblem, das auch heute unvermindert aktuell ist. Dazu kommt, daß auf diesem Gebiet seit einiger Zeit nicht nur von Ökonomen, sondern auch von Psychologen geforscht wird, wie etwa die Übersicht von Lewis3 zeigt, wobei die Vorstellungen über erfolgreiche Bekämpfung bei den Psycho- logen nicht unbedingt dieselben sind wie bei den Ökonomen.

Im folgenden sollen heutige ökonomische und psychologische Vorstellungen über die Steuerhinterziehung und ihre Bekämpfung mit den entsprechenden Erfahrungen der Schweiz im 19. Jahrhundert konfrontiert werden. Dabei wer- den in gewissem Sinne Hypothesen empirisch überprüft. Die Vorzüge und Nachteile eines solchen Vorgehens sind allerdings offensichtlich. Positiv fällt ins Gewicht, daß es sich um Experimente in der Realität und nicht etwa um Laborexperimente oder Simulationen handelt, von denen man nie weiß, ob sie nun die Probanden tatsächlich in eine realitätsnahe Situation versetzen und damit überhaupt schlüssig sind. Positiv ist auch die Vielzahl und Nuancie- rung der Experimente zu werten: Resultate, die überall auftraten, dürften ziem- lich robust sein.

Negativ ist andererseits, daß es sich natürlich nicht um kontrollierte Experi- mente handelte. Es bleibt deshalb - angesichts der zahlreichen nicht konntrol- lierten Variabein - stets ein relativ breiter Interpretationsspielraum. Dazu kommt, daß auch die Messung von Erfolg oder Mißerfolg der Maßnahmen nicht einwandfrei erfolgte und überhaupt die Berichterstattung darüber unter- schiedlich ausführlich - oft recht lapidar - ist. Und schließlich bringt auch unser einziger Gewährsmann, Georg Schanz, eine ganz bestimmte Sicht der Dinge zur Geltung, welche nicht ohne Einfluß auf die Berichterstattung geblie- ben sein dürfte.

II. Steuerhinterziehung in ökonomischer und psychologischer Sicht

Eine naheliegende ökonomische Vorstellung bezüglich dir Steuerhinterzie- hung ist, daß ein rationaler Steuerzahler so wenig wie möglich von seinem Einkommen versteuert und nur von der Wahrscheinlichkeit des Entdecktwer- dens und den vorgesehenen Bußen und Strafen abgeschreckt wird4. Steuerhin-

2 Vgl. Günter Schmölders: Ansätze zu einer Finanzpsychologie, in: H.C. Reckten- wald (Hrsg.): Finanzpolitik, Köln-Berlin 1969, S. 78-91. 3 Vgl. Alan Lewis: The Psychology of Taxation, Oxford 1982.

* Vgl. ebenda, S. 126f.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 4: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

492 Alfred Meier

terziehung wird somit als das Ergebnis einer engen ökonomischen Kosten- Nutzen-Analyse verstanden, wobei es sich aber um subjektiv erwartete Kosten handeln sollte5. Wenn - wie das heute noch regelmäßig der Fall ist - diese subjektiven Kosten nicht bekannt sind, können (nach Auffassung der drei in Fußnote 5 genannten Autoren) als Näherungsgrößen die objektiven „Ko- sten" herangezogen werden, die in fünf Schritten ermittelt werden:

„(1) Häufigkeit der Kontrollen pro Zeiteinheit (Frequenz); (2) Intensität der Kontrollen (bei gegebener Frequenz); (3) Aufdeckungswahrscheinlichkeit einer illegalen Handlung pro Kontrolleinheit (bei

gegebener Intensität) ; (4) Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung (bei gegebener Aufdeckung einer illegalen

Handlung); (5) Ausmaß der Strafe (bei gegebener Verfolgung)". Aus psychologischer Sicht erscheint eine solche Auffassung als zu eng, rein

behavioristisch, setzt nur an den Symptomen an, und eine darauf gestützte Verschärfung von Kontrolle und Bestrafung kann langfristig kontraproduktiv sein6. Lewis selber sieht Steuerhinterziehung als Ergebnis von Einflüssen aus vier überlappenden und inter agier enden Bereichen1 : 1. abschreckende Effekte von Kontrolle und Strafe; 2. wirtschafts- und finanzpolitische Faktoren (z.B. Inflation, Wachstum der Staatsausga-

ben, fiskalisches Austauschverhältnis, d.h. Verhältnis zwischen Steuerzahlung und empfangenen staatlichen Leistungen, Verhältnis direkte/indirekte Steuern);

3. Regierungs- und Verfassungsstruktur (z.B. Existenz/Nichtexistenz eines finanzpoliti- schen Referendums, Rolle von Interessengruppen und Eliten, Sensibilität der Politik gegenüber der öffentlichen Meinung, Zentralisierungsgrad) ;

4. Wahrnehmungen und Einstellungen der Steuerzahler bezüglich der Elemente in den drei vorangehenden Bereichen, außerdem wichtige persönliche Char akter istika der Steuerzahler wie Informationsstand betreffend Finanzpolitik, soziale Klasse, ökono- mische Situation, Risikoaversion, Autoritätsgläubigkeit, Bekanntschaft mit Steuer- hinterziehern, Einkommen, Beruf, persönliche Kosten der Befolgung von Steuergeset- zen.

Er sieht zwei hauptsächliche Möglichkeiten, die Steuerhinterziehung zu be- schränken: die Vergrößerung der Abschreckungswirkung oder den Versuch, die Wahrnehmungen und Einstellungen der Steuerzahler bezüglich Staat und Steuerbehörden zu verbessern. Er gibt der zweiten Methode den Vorzug. Spä- ter räumt er allerdings ein, daß die Schlußfolgerung aus einem bestimmten Experiment plausibel sei, wonach eine Kombination von Drohung einerseits, Information über Besteuerung und Gewissensappell andererseits besonders wirksam sein könnte. Eine solche Kombination oder Mittellösung würde sich aber nicht mehr wesentlich von früheren ökonomischen Einsichten unterschei-

5 Vgl. Hannelore Weck, Werner Pommerehne, Bruno S. Frey: Schattenwirtschaft, München 1 984, S. 32. 6 Vgl. Alan Lewis: The Psychology of Taxation, a.a.O, S. 127 und S. 108.

7 Vgl. ebenda, S. 179.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 5: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 493

den, wonach eine starke steuertechnische Konfrontation zwar direkt positiv auf die Steuererfüllung wirkt, gleichzeitig aber die Kooperationsbereitschaft (Steuermentalität) negativ und somit die Steuererfüllung ebenfalls negativ be- einflußt8. Ähnlich auch Schmölders und Hansmeyer: „in der psychologisch wohlvorbereiteten, die Mentalität der Steuerpflichtigen berücksichtigenden Methode der Steuerkontrolle verrät sich am deutlichsten, in welchem Grade ein Staat die schwierige Kunst der Besteuerung beherrscht"9.

Ökonomen und Psychologen haben einige Erkenntnisse (Hypothesen) be- züglich Steuermentalität und -moral gewonnen, von denen nachfolgend solche erwähnt sind, zu denen sich Illustrationsmaterial bei Schanz findet10:

a) Der Informationsstand der Bürger betreffend Staatseinnahmen und -aus- gaben ist allgemein schlecht; durch Information über den Verwendungs- zweck einer Steuer kann jedoch die Abneigung gegen Steuern reduziert werden11.

b) Mit der Gewöhnung an eine Steuer wird sie stärker akzeptiert12. c) Als Begründungen für Steuerhinterziehung werden von Befragten ange-

geben : - Ungerechtigkeit des Steuersystems und der Steuerlastverteilung; - persönliche wirtschaftliche Überlegungen, z. B. finanzielle Schwierigkei-

ten, Habgier13.

Eine andere Studie stützt die Hypothese, daß Steuerzahler, welche ihren Austausch mit dem Staat als ungleich empfinden (Schmölders würde sagen: nicht das Gefühl haben, eine angemessene Gegenleistung zu bekommen), eher Steuern hinterziehen14.

d) Die Chancen erfolgreicher eigener Steuerhinterziehung werden höher ein- geschätzt - von Selbstständigerwerbenden als von Unselbständigerwerbenden; - von Empfangern von Nebeneinkommen, die nicht an der Quelle be-

steuert werden ; - von Steuerzahlern, die andere persönlich kennen, welche Steuern hinter-

ziehen. Solchen Steuerzahlern erscheinen nicht nur die Chancen höher,

8 Vgl. Günter Schmölders: Ansätze zu einer Finanzpsychologie, a.a.O., S. 84f. 9 Günter Schmölders und Karl-Heinrich Hansmeyer: Allgemeine Steuerlehre, 5. Aufl., Berlin 1980, S. 96. 10 Als Quelle ist in der Regel Lewis angegeben, wo über die Originaluntersuchun- gen referiert wird. Die meisten Erkenntnisse finden sich aber schon viel früher im Werk von Schmölders; siehe beispielsweise Günter Schmölders: Das Irrationale in der öffentlichen Finanzwirtschaft, Hamburg 1960. 11 Alan Lewis: The Psychology of Taxation, a.a.O., S.44. 12 Ebenda, S. 181. 13 Ebenda, S. 151. lif Ebenda, S. 155.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 6: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

494 Alfred Meier

sondem es könnte für sie die Steuerhinterziehung auch moralisch weni- ger anfechtbar sein 15.

e) Steuerhinterziehung wird milder beurteilt als andere Vergehen, in einer Studie nur wenig gravierender als ein Fahrraddiebstahl16.

f) Die Ablehnung der Steuerhinterziehung scheint eine Funktion des hinter- zogenen Betrages zu sein. Die Hinterziehung kleinerer Beträge wird kaum abgelehnt, die Hinterziehung großer dagegen schon17. Daraus kann gefol- gert werden, daß auch bei völliger Abwesenheit von Strafe - im Gegensatz zum rein ökonomischen Kosten-Nutzen-Modell - nicht 100% der Steuer hinterzogen würden18.

g) Zweifelhafte, d.h. wenig wirksame, Mittel zur Bekämpfung der Steuerhin- terziehung sind: - die Offenlegung der Steuerlisten, weil die Steuerpflichtigen eher unterei-

nander als gegenüber dem Staat solidarisch sind; - eidesstattliche Erklärungen, weil sie zwar die religiös Empfindenden be-

lasten, aber bei den Skrupellosen nicht nützen19. h) Besonders wirksam wäre angeblich die Verbesserung des Image von

Steuern und Steuerbehörden: - durch Veröffentlichung der erfolgreichen Verfolgung von Hinterziehung

großer Steuerbeträge, was das Vertrauen in gleichmäßige Behandlung der Steuerzahler erhöht, dem Gerechtigkeitsempfinden entspricht (siehe 0 und abschreckend wirkt20;

- durch „fiskalische Erziehung" in Schulen und durch Medien21.

Mit diesen Hypothesen sollen nun die Erfahrungen in der Schweiz im 19. Jahrhundert konfrontiert werden, wobei wir uns auf die direkten Steuern be- schränken.

III. Ideal und Wirklichkeit

Nach der Gründung des Bundesstaates (1848) begannen die großen Steuer- erfahrungen und Steuerkämpfe. In dem darauffolgenden Vierteljahrhundert erhielt die Steuertechnik mehr und mehr feste Regeln (I, S. 40). In Übereinstim- mung mit modernen ökonomischen und psychologischen Auffassungen meint Schanz:

15 Ebenda, S. 143 f. 10 Vgl. ebenda, S. 145. 1 ' Vgl. ebenda, S. 145. 18 Vgl. ebenda, S. 149. 19 Vgl. Günter Schmölders und Karl-Heinrich Hansmeyer: Allgemeine Steuer- lehre, a.a.O., S.94f. ¿Ki Vgl. Alan Lewis: The Psychology of Taxation, a.a.O., S. 180f. Z1 Vgl. ebenda, S. 187.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 7: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 495

„(Es) wurzelt die korrektere oder weniger korrekte Durchführung der Steuergesetze in den bestehenden Sitten und Anschauungen des Volkes, die dasselbe umspannen. Man sollte nun erwarten, daß kaum ein Land günstigere Bedingungen für die Steuerver- anlagung darbieten könnte als die Schweiz. Die Kleinheit der Kantone und die demokra- tische Selbstbestimmung bringt den Einzelnen dem Staat so nah, daß man eine freudige und gewissenhafte Erfüllung der Steuerpflicht erwarten sollte" (I, S. 114).

Was er dann aber feststellte, ergab zum Teil ein wesentlich anderes Bild. So wurden im Kanton Graubünden in den Jahren 1849-54 Steuergesetzvorlagen viermal abgelehnt, obwohl die Regierung eine Vernehmlassung bei den Gemeinden durchführte (wobei nur wenige Gemeinden antworteten) und nach jeder Ablehnung weitere Kompromisse und Konzessionen vorschlug. Eine fünfte Vorlage wurde dann 1856 angenommen, offen- bar nicht zuletzt deshalb, weil steigende Steuerleistungen in Form der Steueraufteilung auf die Gemeinden aufgrund bestehender gesetzlicher Grundlagen erbracht werden mußten, die nicht mehr als angemessen erschienen (III, S. 222-232).

Im Kanton Waadt dauerten die erfolglosen Reformversuche von 1849-60. 1849 wurde von der Regierung sogar eine allgemeine Preiskonkurrenz eröffnet. Die Aufgabe bestand in der Beantwortung von Fragen, die zunächst allgemein die Begründung und Wirkung der Steuern betrafen, wobei diese allgemeinen Überlegungen dann auf das Steuersystem des Kantons anzuwenden waren. Es liefen 45 Arbeiten ein, von denen 38 als ganz mangelhaft ausgeschieden werden konnten. Der Hauptpreis wurde nicht vergeben. Die höchste Belohnung erhielt kein Geringerer als Proudhon, dessen Schrift allerdings auf das kantonale Steuersystem gar nicht einging. L. Walras erhielt immerhin noch eine der vier weiteren Belohnungen. Dieses Preisausschreiben brachte die Lösung ebensowe- nig wie ein 1860 einberufener internationaler Steuerkongreß (IV, S. 122f.).

Als der außerordentlichen Landsgemeinde im Kanton Uri 1874 erstmals ein Gesetz über den Bezug einer direkten Landessteuer vorgeschlagen wurde, mußte die Landsge- meinde wegen gewaltsamer Störung der Beschlußfassung aufgehoben werden. Im folgen- den Jahre wurde das Gesetz angenommen (III, S. 175).

Im Kanton Aargau mußte das Volk aufgrund einer Verfassungsrevision von 1870 im ersten Jahr einer vierjährigen Amtsperiode die mutmaßliche Höhe der Steuer für die ganze Periode genehmigen. Nach dreimaliger Verwerfung der Vorlage für die Periode 1877/80 unterblieben weitere Versuche. Von 1877-86 ruhte die Steuer. Als Gründe der Steuerverweigerung nennt Schanz: kirchliche Wirren, die jahrelang zur Ablehnung sämtlicher Gesetze führten, wirtschaftliche Krise (II, S. 225 f.).

In Übereinstimmung mit heutigen steuerpsychologischen Untersuchungen wurde verschiedentlich die Erfahrung gemacht, daß der nachdrückliche Hin- weis auf bestimmte Verwendungszwecke der Steuergelder in Volksabstimmun- gen eher zum Erfolg führte als bloß allgemeine Begründungen wie erhöhter Finanzbedarf.

So beantragte der Großrat 1803 im Kanton Appenzell-Innerrhoden wegen hoher Schulden eine Steuer. Die Landsgemeinde beschloß aber stattdessen, eine Liegenschaft zu verkaufen. 1804 wandte man sich wieder an die Landsgemeinde und argumentierte, die Unkosten seien dringend; vor allem kämen in Betracht die Schuldenlast, sodann die Unkosten wegen des Syndikats, der Aufwand für den nächstens kommenden Bischof, endlich müßten auch wieder Stock und Galgen gebaut werden. Die Landsgemeinde genehmigte die Steuer (III, S. 3).

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 8: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

496 Alfred Meier

Im Kanton Baselland „ruhte" die direkte Steuer ebenfalls von 1860 bis 1872. Das Dezifit des Jahres 1871 und die zu erwartenden Dezifite künftiger Jahre ließen jedoch eine Steuererhebung nötig erscheinen. Allein, an das Steuerzahlen für den Staat war die Bevölkerung so wenig gewöhnt, daß man es nicht wagte, mit einer allgemeinen Steuerforderung ans Volk heranzutreten. Man griff ein Bedürfnis heraus : die Lücken im kantonalen Ausrüstungs- und Montierungsmagazin. Die Steuer wurde sehr deutlich angenommen.

1876 trat man erneut mit einer Steuerforderung vor das Volk, aber diesmal nicht für ein spezielles Erfordernis, sondern zur Deckung eines allgemeinen Defizits. Man führte auch möglichst plausible Ursachen für das Defizit ins Feld. Allein das verfing nicht; die Vorlage wurde klar abgelehnt.

1887 machte man nochmals einen Versuch wegen der Erweiterung des Kantonalsspi- tals. „Der warme Appell an Patriotismus und Opfersinn" wurde zwar nicht so beantwor- tet, wie man es hätte wünschen mögen, aber doch schließlich in günstigem Sinne ent- schieden: Die Steuer wurde in einer ersten Abstimmung knapp abgelehnt, in einer zwei- ten knapp angenommen (II, S. 116ff.).

Im zusammenfassenden Band I schreibt Schanz:

„Die Einzeldarstellung läßt ersehen, wie schwer es geworden ist, ein Steuergesetz durch die Volksabstimmung durchzubringen. Viele Kantone sind froh, daß sie aus frühe- rer Zeit ein solches besitzen. Alle möglichen Konzessionen an den Volkswillen müssen gemacht werden, und zuweilen ist es mehr eine Karrikatur als ein gerechtes Steuergesetz, das aus den Interesseninstinkten der Massen hervorgeht . . .

...Freilich dürfen auch die entgegengesetzten Beispiele nicht übersehen werden..."

Und weiter hinten:

„Die Bewilligung der Steuern durch das Volk hat in der Mehrzahl der Kantone zu keinen Verlegenheiten geführt" (I, S. 49 und S. 52).

Dieses Zitat zeigt auch, daß Schanz - wie eingangs erwähnt - die Probleme aus einer bestimmten Optik darstellt, aus derjenigen des Steuerfachmannes, der direkte Demokratie eher als hinderliche Restriktion einer rationalen Be- steuerung betrachtet. Und auch der heutige Beobachter muß feststellen, daß die Kleinheit (Übersichtlichkeit) der Verhältnisse und die demokratische Selbstbestimmung keineswegs eine rationale Willensbildung in Steuerfragen bewirken. Es handelt sich vielmehr um einen mühseligen Aushandlungsprozeß mit Ungewissem und oft zufalligem Ausgang, der keineswegs zu in sich ge- schlossenen Steuergesetzen führt. Nur der Kompromißcharakter der Vorlagen ist es ja in der Regel, der eine zustimmende Mehrheit erzeugt. Es wäre ange- sichts der hier zutage tretenden Interessenkonflikte zwischen Staat und Indivi- duum und zwischen verschiedenen Gruppen erstaunlich, wenn dann bei der Durchführung solcher Gesetze „freudige und gewissenhafte Erfüllung der Steuerpflicht" die Regel wäre. Eine steuerpsychologisch günstig scheinende Regierungs- und Verfassungsstruktur mag zu einer graduell besseren Steuerer- füllung führen, sollte aber offensichtlich in ihrer Wirkung nicht überschätzt werden.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 9: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 497

IV. Minimale steuertechnische Konfrontation

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in einigen Kantonen Steuereinzugs- verfahren, bei denen förmliche Kontrollen und Sanktionen völlig fehlten, man sich also offensichtlich auf die gute Steuermoral verlassen wollte.

1804 wurde in Basel eine direkte Steuer beschlossen, die bei den Händlern und Handwerkern vom Verkaufspreis, bei den Bankiers vom Ertrag und bei den Kapitalisten und Beamten von ihren Einkünften zu erheben war.

„Der kleine Rat aber wählte einen Bezugsmodus, bei welchem man gar nicht erfuhr, wieviel der einzelne zahlte. Man stellte drei Kisten, die oben einen Einschnitt hatten, auf; die eine war für die Handelsabgabe, die andere für die Gewerbeabgabe, die dritte für die Beiträge der Kapitalisten und Beamten bestimmt . . . Jeder warf nach vorher geleisteter Erklärung bei bürgerlichen Pflichten und an Eidesstatt den schuldigen Betrag in die betreffende Kiste . . .

. . . Vom Lande her liefen seitens der Beamten sehr ungünstige Urteile über die Abgabe ein, der Ertrag war daselbst lächerlich gering ausgefallen" (II, S. 6f.).

Dennoch wurde diese Bezugsart einige Jahre beibehalten.

„Leider ... wird von Jahr zu Jahr der Ertrag dieser Abgaben ... unbedeutender ... der gewissenhafte Bürger, der seine Gebühr getreu entrichtet, wird zum Gespött, da ein großer Teil hiesiger Einwohner kleinlich genug denkt, . . . ohne das mindeste Verhält- nis gewissenlos eine Kleinigkeit zu spenden, die ihrer Schuldigkeit keineswegs entspricht; (außerdem) fand sich noch jedesmal ein bedeutender Teil verrufener, verschliffener und ganz falscher Münzen darunter ..."

1812 wurde eine andere Bezugsart beschlossen. Jeder Steuerpflichtige hatte seine Abgaben „der dazu bestimmten Kommission, welche über die diesfalls zu beachtende Pflicht der Verschwiegenheit ins Gelübde genommen werden soll, mit einer eidlichen Deklaration vorzulegen". Diese Form erbrachte ein besseres Ergebnis (II, S. 9).

Auch im Kanton Genf, wo 1815 für eine Übergangszeit eine Vermögensteuer beschlos- sen worden war, hatte der Steuerzahler „bei Ehre und Gewissen zu versichern, richtig zu steuern, und warf dann seinen Betrag in die Kiste, ohne daß man wußte, wieviel er hineinwarf (IV, S. 204).

Schon 1816 wurde das folgende modifizierte Verfahren beschlossen, welches einen Mittelweg zwischen voller Publizität und voller Geheimhaltung darstellt: „Die Rech- nungskammer notiert alle Leute, von welchen sie glaubt, daß sie ein Vermögen von über lOOOOfl. besitzen. In Gegenwart zweier Regierungsräte, welche durch einen Eid sich verpflichtet haben, absolutes Stillschweigen zu beobachten, erklären die Vorgelade- nen mit lauter Stimme auf Ehre und Gewissen, daß die Summe, die sie niederzulegen im Begriffe stehen, gleich oder größer ist, als diejenige, die sie nach dem Gesetz zu zahlen hätten. Sie haben sich in ein Register einzuzeichnen. Die Regierungsräte nehmen Kenntnis von den deponierten Summen, dürfen aber keinerlei Bemerkung gegenüber dem Steuerpflichtigen machen" (IV, S.216f.).

Diese Methode scheint einigermaßen befriedigt zu haben, wurde sie doch bis 1864 beibehalten. In jenem Jahr allerdings wurde geschätzt, daß nur etwa

32 Finanzarchiv N. F. 42 H. 3

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 10: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

498 Alfred Meier

die Hälfte des vorhandenen steuerbaren Vermögens effektiv versteuert werde. Das Verfahren wurde deshalb insofern verschärft, als die beiden „stummen" Regierungsräte durch eine Schatzungskommission ersetzt wurden, die effektiv kontrollieren und einschätzen konnte, jedoch wurde die Entrichtung auf Ehre und Gewissen fallen gelassen. 1871 schließlich wurden auch die bisher fehlen- den Strafen für unrichtige Deklaration hinzugefügt.

Die Tatsache, daß mehrfach Verschärfungen vorgenommen wurden, deutet wohl auf mangelhafte Erfolge der früheren Methoden hin. Darüber hinaus kann über den Erfolg der Verschärfungen nichts Bestimmtes gesagt werden. Wohl liegen Zahlen über die Steuererträge vor, doch ist nicht ersichtlich, inwie- weit deren Anstieg durch die Verschärfung der Kontrollen begründet ist oder durch andere Umschreibung der Steuerpflicht und Erhöhung der Steuersätze, die jeweils ebenfalls erfolgten (IV, S. 220-223).

Ein besonderes Verfahren wurde 1847 im Kanton Bern eingeführt, wo bloß eine fakultative Steuerdeklaration vorgesehen war:

Wenn der Steuerpflichtige nach Einsicht der öffentlich aufgelegten Register glaubte, daß sein versteuerbares Einkommen zu hoch geschätzt sei, konnte er vor der Schatzungs- kommission die entsprechenden Nachweise erbringen. Waren diese überzeugend, so wurde die Schätzung sogleich berichtigt. Andernfalls konnte er beim Einwohnergemein- derat das Begehren stellen, sein versteuerbares Einkommen vor versammelter Einwoh- nergemeinde gelübdlich anzugeben, in welchem Fall der Gemeinderat die Gemeinde sofort zusammenberufen ließ. Die vom Steuerpflichtigen vor versammelter Gemeinde gelübdlich angegebene Summe war schlechthin als steuerbares Einkommen anzusehen (III, S. 278).

Diese Erfahrungen legen den Schluß nahe, daß dort, wo keinerlei Kontrolle der Steuerleistung erfolgte und offenbar ausschließlich die individuelle Motiva- tion maßgebend war (Basel), die Erträge ganz ungenügend blieben. Immerhin könnte man die Tatsache, daß überhaupt Steuern bezahlt wurden, als Widerle- gung der engen ökonomischen Hypothese deuten, wonach nur wahrgenom- mene Sanktionen die Steuerleistung bewirken. Alternativ könnte man aller- dings unterstellen, daß die Steuerzahlung erfolgte, weil der Steuerpflichtige damit einen potentiellen härteren Steuerzugriff vermeiden wollte, der bei völ- ligem Fehlen eines Steuerertrages zweifellos gedroht hätte.

Gesetzeskonformere Steuererfüllung resultierte offenbar, wenn der Steuer- pflichtige gegenüber zwei Regierungsräten, gegenüber einer Kommission oder vor der Gemeindeversammlung die Gesetzeskonformität seiner Steuerzahlung behaupten mußte. Zwar wurde auch dann zweifellos nur ein Teil der von Gesetzes wegen geschuldeten Steuer bezahlt, aber doch immerhin soviel - in Genf etwa die Hälfte (?) -, daß die Methode beibehalten wurde, solange der Kanton nicht auf größere Mittel angewiesen war.

Es darf wohl geschlossen werden, daß auch bei minimaler steuertechnischer Konfrontation unter Umständen nennenswerte Steuererträge resultieren. Dar- auf deutet auch die Tatsache hin, daß im Kanton Glarus während längerer Zeit die Schulsteuer der Gemeinden ausreichte, obwohl es eine freiwillige

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 11: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 499

Steuer war (III, S. 98). Im Kanton Appenzell-Innerrhoden dagegen wurde 1816 eine freiwillige Armensteuer ausgeschrieben, die aber „weder dem Bedürfnis entsprach noch der Erwartung sich näherte" und deshalb in eine Pflichtsteuer umgewandelt werden mußte (III, S. 10).

Um die Mitte des Jahrhunderts versuchten es jedenfalls verschiedene Kan- tone noch mit vergleichsweise sehr mildem Zugriff.

So wurde 1851 Im Kanton Zug wieder allein die Deklaration des Steuerbaren aus- schlaggebend. Die Steuerkommission konnte diese nicht mehr bemängeln oder abän- dern. Sie konnte nur noch den Steuerpflichtigen vorladen und ihn unter Hinweis auf die gesetzlichen Folgen zu treuer Angabe ermahnen. Die Beamten waren gehalten, bei Käufen, Aufnahme von Inventaríen, Erbteilungen usw. zu prüfen, ob jemand richtig versteuert habe. Die Strafe betrug das Doppelte der hinterzogenen Steuer. Die Regierung „vermochte dem Gedanken keinen Raum zu geben, daß es Staatsangehörige gebe, die bei ihrer Bürgerpflicht und ihrem Gewissen aufgefordert, das Vermögen treu und wahr anzugeben, durch unwahre Angaben ihr Gewissen beflecken und den Staat um das Schuldige zu betrügen sich verirren könnten" (III, S. 124).

Im Kanton Zürich meinte 1861 der Regierungsrat zum Problem falscher Selbsttaxa- tion und ihrer Konsequenzen: „Jede von einer Taxationsbehörde angeordnete Erhöhung einer Selbsttaxation erscheine als eine Beleidigung der Pflichtigen . . . Die entsprechende einfache Steuernachzahlung darf nicht als eine Strafe angesehen werden. Es werden hierdurch unnötigerweise oft die Hinterlassenen eines Dahingeschiedenen in einem Augenblick tief gekränkt, wo sie ohnehin den sie betroffenen Verlust schmerzlich emp- finden . . .

Ein Mann, der mit Kummer und Sorgen, mit Überwindung aller Hindernisse, mit Entbehrungen aller Art allmählich zu etwas Vermögen gelangt, der in dem immerwäh- renden Kampfe gegen das in keinem Verkehre ganz ausbleibenden Mißgeschick den Ernst des Lebens kennen gelernt hat, wird meist sein Eigentum in bescheidenerem Maße werten, weil er immer fürchtet, er könne das Erworbene wieder verlieren, oder auch, was sehr oft der Fall ist, sich gewissermaßen vor sich selber scheut, ein großes Vermögen zu zeigen, nachdem er so lange gewohnt war, eine von seiner Umgebung weniger beach- tete Stellung einzunehmen" (II, S.403f).

Wahrhaftig eine verständnisvolle, ja geradezu feinfühlige Einstellung des Regierungsrates gegenüber dem Steuerdelinquenten. Allerdings erwies sich weder in Zug noch in Zürich die Milde als längerfristig geeignete Strategie. In beiden Kantonen wurden nach einigen Jahren die Gesetzesbestimmungen verschärft.

V. Verschärfung der steuertechnischen Konfrontation

Im Kanton Zürich war aus den amtlichen Inventarisationen der Jahre 1860-69, die nur bei Eintreten einer staatlichen Vormundschaft erfolgten, ersichtlich, daß wenig mehr als die Hälfte des Vermögens versteuert wurde. Im Gesetz, das 1870 erlassen wurde, erfolgte deshalb eine gewisse Verschärfung des Steuerzugriffs. So verlangte das neue Selbsttaxationsformular eine detaillierte Angabe von Einkommen und Vermögen; die bisherige Taxation durch Gemeinderat, Bezirksrat und Finanzkommission fiel weg,

32*

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 12: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

500 Alfred Meier

dafür wurde eine Steuerkommission aus Gemeinde- und Bezirksvertretern gebildet, der insbesondere auch ein kantonaler Steuerkommissär angehörte; gegen die Entscheidung dieser Kommission war nur Berufung auf amtliche Inventarisation zulässig. Diese Maß- nahmen waren offensichtlich erfolgreich. Das Steuerkapital stieg, und das hinterzogene Vermögen ging gemäß Inventarisation von knapp der Hälfte auf ein Drittel zurück (II, S. 414flf.).

Im Kanton Glarus wurde 1849 festgestellt, „daß das gegenwärtige Steuersystem und namentlich die Durchführung desselben an den größten Gebrechen leide, worunter na- mentlich die Machtlosigkeit der Haushaltungskommission und der ... Steuerkommission in den Gemeinden, die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit der von Menschenfurcht erfüllten Gemeindebehörden, in deren Schöße eine Hand die andere wusch, und die Gewalttätigkeit einzelner Privaten, die, wenn man sie steigern wollte, den Behörden durch Anwendung verschiedener bekannter Mittel Schwierigkeiten in den Weg legten, aufzuzählen sind".

Im Gesetz von 1850 wurden Verbesserungen eingeführt wie: unabhängige Steuerkom- mission, bessere Regelung der obligatorischen Inventarisation im Todesfall und genauere Normen für die Festsetzung der Steuerschuld.

Das Gesetz hatte großen Erfolg aufzuweisen. Steuervermögen und Steuerertrag stie- gen je um etwa ein Drittel (III, S. 73 ff.).

Daß damit das Problem der Steuerhinterziehung nicht definitiv bewältigt war, zeigen Ausführungen der Regierung vorgängig der Steuerreformbestre- bungen von 1888-90:

Der Regierungsbericht hebt hervor, daß das unvollständige Versteuern des Vermö- gens sich vielfach so sehr in die Sitten eingelebt habe, daß es mitunter fast eher als eine Tugend angesehen wird, wenn einer nach seinem Tode, wie der Volksmund sagte, „besser ausgefallen" ist, als wenn derselbe sein Vermögen voll versteuert hat. Der Fehler wird im Steuersystem gesehen - keine Selbsttaxation und damit keine Mitwirkung des Steuerpflichtigen, fehlende Steuerstrafen (III, S. 87).

Die Vervollkommnung und die Verschärfung des Steuerzugriffes lassen sich exemplarisch am Beispiel des Kantons Schaffhausen verfolgen. Eine konse- quente Entwicklung ist einmal bei der Kontrolle der Selbstdeklaration der Steuerpflichtigen festzustellen :

Vor 1855 hatte man lediglich mit den Gemeinderäten operiert, im Gesetz von 1855 war man zu den Bezirkskommissionen übergegangen, im Jahre 1862 dann zur kantona- len Steuerkommission mit drei Mitgliedern, zu denen jede Gemeinde noch zwei hinzu- wählte. 1879 schließlich wurde der Kantonale Steuerkommissär eingeschoben. Dieser war gänzlich unabhängig von gemeindlichen Einflüssen und konnte die 36 Gemeinden gerade noch bewältigen und die Gleichmäßigkeit wahren.

Das Gesetz von 1879 enthielt außerdem die folgenden Neuerungen:

- Öffentlichkeit der Steuerregister. - Strengere Strafen: hinterzogene Steuer zuzüglich 5% Verzugzins und drei- bis sieben-

fache Strafsteuer, je nach der hinterzogenen Summe. Neu wurde der Tatbestand des Steuerbetruges eingeführt, der aber milder bestraft wurde als sonstiger Betrug. Wer seine Steuer nicht richtig bezahlt, weil er denkt, wenn alle andern richtig versteuern

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 13: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 501

würden, müßte er auch nicht mehr bezahlen, als er jetzt wirklich steuere, erschien als weniger strafwürdig als ein gewöhnlicher Betrüger.

- Urteile auf Steuerbuße und Steuerbetrug mußten durch das Amtsblatt veröffentlicht werden. Der Erfolg des Gesetzes wurde insgesamt als groß beurteilt. Die Zahl der Steuerpflich-

tigen, die Steuerkapitalien und der Steuerertrag stiegen wesentlich (II, S. 178f., S. 183f.). Im Kanton Freiburg wurde nach dem Gesetz von 1848 den Steuerpflichtigen ein

Selbsteinschätzungsformular zugestellt, dessen Ausfüllung aber nicht verbindlich vorge- schrieben war. Die Einschätzung erfolgte durch eine Gemeindekommission. Man stellte fest, daß Handel und Gewerbe viel zu wenig zur Staatssteuer beitrugen, weil die Gemein- dekommissionen möglichst durch Gewerbetreibende besetzt wurden.

Im Gesetz von 1 862 trat zur Gemeindekommission eine revidierende Bezirkskommis- sion hinzu. Außerdem wurde der Deklarationszwang eingeführt. Wer die verlangten Angaben nicht machte, dessen Steuer wurde jedes Jahr um 1/4 erhöht, bis er deklarierte. Der Erfolg dieser Maßnahmen war unzweifelhaft. Handel und Gewerbe hatten bisher höchstens 7000 Fr. pro Jahr aufgebracht, im ersten Jahre, wo das neue Gesetz galt, aber 48 703 Fr. (IV, S. 7f, S. 21 ff.).

In verschiedenen Kantonen richtete sich die Strafe nach der Höhe der hinter- zogenen Summe. So wurde im Kanton Wallis gemäß Gesetz von 1850 die fünffache Strafsteuer nur auf nicht angegebenen Werten erhoben, welche höher als 1/5 der Kapitalien, 1/4 der Liegenschaften und 1/3 des Einkommens waren (IV, S. 249). Im Kanton Schaffhausen wurde gemäß Gesetz von 1855 bei einer Unrichtigkeit bis zu 1/5 das Fehlende einfach nacherhoben. Dieser Betrag galt gewissermaßen als Marge für einen zulässigen Irrtum. Bei größerer Un- richtigkeit wurde eine fünffache Strafsteuer erhoben (II, S. 158). Später wurde dann - wie bereits erwähnt - in Schaffhausen der Prozentsatz der Strafsteuer nach der Höhe der hinterzogenen Summe abgestuft.

In verschiedenen Kantonen waren mindestens zeitweise die Steuerregister öffentlich zugänglich, doch meint Schanz, man könne nicht behaupten, daß das ein großer Erfolg gewesen sei. Nachbarliche Beziehungen hinderten, und wenn gar innerhalb der Gemeinde eine gewisse Verhältnismäßigkeit bei absolu- ter Unrichtigkeit bestehe, dann würde die zu niedrige Einschätzung durch die Öffentlichkeit nur verfestigt, weil sich dann der bisher gewissenhaft Steuernde anpasse (I, S. 120).

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß auch der Steuereinzug teilweise sehr energisch vorgenommen wurde. Im Kanton Neuenburg wurde 1853 die bisherige Bestimmung verschärft. Nach 15-tägiger Verfallzeit erhielt der Steuerpflichtige eine briefliche Aufforderung des Präfekten. Wurde dieser nicht innert 8 Tagen genügt, erfolgte Pfändung (IV, S. 57). Im Kanton Schaffhausen konnte nach erfolgloser Betreibung und bei Vorliegen eines Verschuldens eine Strafe von 1-5 Jahren Wirtshausverbot oder Gefängnis von 1-20 Tagen oder eine Kombination davon ausgesprochen werden. Solche Urteile wurden im Amtsblatt veröffentlicht; außerdem wurden die Namen der mit Wirtshausver- bot Bestraften in sämtlichen Wirtschaften des untersagten Gebietes angeschla- gen (II, S. 182). Im Kanton Bern wurde 1889 für böswillige Nichterfüllung

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 14: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

502 Alfred Meier

der Steuerpflicht Wirtshausverbot bis zu 2 Jahren vorgesehen, was nach der Verfassung die Einstellung im Stimmrecht nach sich zog (III, S. 310).

Alle diese Verschärfungen erfolgten auf dem Hintergrund einer largen Ein- stellung zum Steuerdelikt. Nun verstärkt aber auch nach moderner Auffassung die allgemeine Billigung der Steuerhinterziehung die entsprechenden Neigun- gen der Individuen. Ebenso wird heute Ungerechtigkeit der Steuerlastvertei- lung als Rationalisierung eigener Steuerhinterziehung genannt, und Hinweise auf die Ungleichheit der Besteuerung sind bei Schanz zahlreich.

Die hauptsächlichen Maßnahmen zur Einschränkung der Steuerhinterziehung waren, wie aus den Beispielen und in der Zusammenfassung von Schanz (I, S. 114-135) ersichtlich ist:

a) die verstärkte Heranziehung des Steuerpflichtigen bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen, indem die Selbsttaxation vermehrt angewen- det wurde und ihre Unterlassung Sanktionen nach sich zog;

b) Verbesserung der Kontrolle dieser Selbsttaxation, indem der Einfluß der Gemeinden oder Gemeindekommissionen reduziert und stattdessen Kom- missionen des Bezirks oder Kantons und insbesondere kantonale Steuer- kommissäre eingesetzt wurden. Das erwies sich als notwendig, weil offen- sichtlich in den Gemeinden zu wenig Distanz zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem vorhanden war;

c) Vorkehrungen zur nachträglichen Entdeckung unrichtiger Steuerdeklara- tion, insbesondere Öffentlichkeit der Steuerkataster (von fraglicher Wir- kung) und amtliche Inventarisation im Todesfalle;

d) Einführung bisher fehlender bzw. Verschärfung bestehender Steuerstrafen, oft abgestuft nach der hinterzogenen Summe;

e) Veröffentlichung von Strafurteilen in Steuersachen.

Insgesamt läßt sich im 19. Jahrhundert in der Schweiz eine eindeutige Ver- schärfung des Steuerzugriffes feststellen, doch waren der Einsatz und die Aus- gestaltung der erwähnten Maßnahmen in den einzelnen Kantonen sehr unter- schiedlich.

VI. Auf der Suche nach dem rechten Maß

Abgesehen davon, daß die steuertechnische Konfrontation in manchen Kan- tonen relativ schwach blieb, waren sich offenbar auch die Kantone, welche eine Verschärfung vornahmen, durchaus bewußt, daß es sich dabei um ein problematisches Vorgehen handelt, welches die Kooperationsbereitschaft der Steuerpflichtigen beeinträchtigen kann.

So beschloß etwa der Kanton Schaffhausen 1879 nicht nur die Verschärfungen, die bereits erwähnt wurden, sondern auch Milderungen. Einerseits wurde dem Steuerpflich- tigen neu eine Fehlergrenze von 4 % zugebilligt, und andrerseits wurde kein Nach- und

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 15: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 503

Strafsteuerverfahren eingeleitet, wenn der Steuerpflichtige bei der jährlichen Steuerrevi- sion sein Vermögen und Einkommen freiwillig höher deklarierte. Es wurde also eine ständige Amnestie gewährt (II, S. 180f.).

Eine ähnliche Mischung von Strafverschärfung und -milderung wählte der Kanton Nidwaiden 1882. Einerseits konnte der Regierungsrat neu Haussuchung anordnen, um Akten sicherzustellen. Andrerseits ging straffrei aus, wer die Steuer freiwillig mit Zins und Zinseszins nachzahlte (III, S. 209).

Eine Rücksichtnahme auf die nicht unbegrenzte Kooperationsbereitschaft erfolgte 1866 im Kanton Baselstadt, indem bei der Vermögensteuer nicht die Selbsttaxation, sondern die Taxation gewählt wurde: „Unser prinzipieller Grund gegen die Selbsttaxa- tion beruht indessen in der Abneigung, den bei der Einkommens- und Erwerbssteuer bis jetzt allerdings erprobten Gewissenszwang noch weiter auszudehnen und zwar auf die richtige Angabe des Vermögens, also eines Verhältnisses, dessen Angabe für die meisten Gewerbetreibenden viel delikater ist" (II, S. 41).

Im Kanton Glarus wurde die Anregung, eine Nachsteuer einzuführen, mit der Begrün- dung abgewiesen, daß gerade das Fehlen einer Nachsteuer viel dazu beitrug, daß die Inventare im Todesfall richtig ausfielen, weil keine Versuchung bestand, durch Verheim- lichungen einem vermögensrechtlichen Nachteil zu entgehen (III, S. 80).

Die Suche nach den zweckmäßigen Maßnahmen und nach dem rechten Maß läßt sich besonders gut am Beispiel des Kantons Neuenburg zeigen (IV, S. 63-82):

Bei der Beratung des Gesetzes von 1860 erwartete die Regierung einen Erfolg von der Schaffung einer Zentralkommission und besseren Strafbestimmungen, da die bisheri- gen toter Buchstabe geblieben waren: Um eine Klage gegen einen Steuerpflichtigen erheben zu können, verlangten die Gerichte den Beweis des vollendeten Betruges, der aber erst durch eine gerichtliche Verfügung hätte erbracht werden können. Man bewegte sich im Kreise.

Es wurde deshalb eine neue Strafbestimmung erlassen: Wenn nach dem Tode eines Steuerpflichtigen das Finanzdepartement begründete Anzeichen für Steuerbetrug hatte, konnte es bei der Anklagekammer eine gerichtliche Untersuchung beantragen.

Die Prüfung und Abänderung von Deklarationen sowie die Einschätzungen wurden neu von einer Zentralkommission und nicht mehr wie bisher von den Distriktausschüs- sen vorgenommen.

Bereits 1861 wurden einige Gesetzesänderungen vorgenommen, insbesondere die Öf- fentlichkeit der Steuerregister eingeführt.

Die neuen Bestimmungen brachten mehr ein, und zwar sogar mehr, als man im Budget erwartet hatte. Das steuerbare Vermögen stieg von 175 Mio. im Jahre 1859 auf 241 Mio. im Jahre 1860. Die Zentralkommission hatte also eine Erhöhung von 66 Mio. bewirkt. Die im Jahre 1861 zugelassene Publizität dagegen brachte nur noch eine geringe Zunahme, stieg doch das Vermögen 1861 nur um 12, 1862 um 15 Mio.

1862 übte eine Kommission des Großen Rates sehr scharfe Kritik am bisherigen Steuerwesen: Jedermann weiß, daß die Steuer nicht richtig bezahlt wird und daß der Ertrag in keinem Verhältnis steht zum Vermögen und Einkommen der Bevölkerung. Um diesen seit Anfang vorhandenen Mangel zu korrigieren, hat man mehrfach das Gesetz revidiert. Es wurden Strafbestimmungen eingeführt, die nicht angewendet werden konnten, sowie die Zentralkommission, die man mit einem beleidigenden Epitheton taufte. Es wurde die Öffentlichkeit eingeschaltet, die zahlreiche Skandale ans Licht zog, aber sie nicht zum Verschwinden brachte.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 16: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

504 Alfred Meier

Die Ergebnisse dieser Schutzmittel stehen in keinem Verhältnis zu den Klagen, die sie hervorriefen. Wenn wir auf dem jetzigen Weg bleiben, so hieß es, laufen wir Gefahr, gegen die direkte Steuer Stürme hervorzurufen, die sie schließlich ganz wegfegen.

Entscheidend ist, die Steuer gleichmäßiger zu verteilen. Nicht durch Vermehrung der Zwangsmittel, die schon fast eine unverhältnismäßige Waffe sind; nicht durch Erwei- terung der Öffentlichkeit, die schon zu groß ist für unsere Sitten, und nicht durch Verlaß auf die Rechtschaffenheit der Steuerpflichtigen. Die allgemeine Einschätzung scheint der einzige Weg zu besserer Verhältnismäßigkeit.

Das Gesetz von 1863 enthielt entsprechende Änderungen :

- Schätzung statt Selbsteinschätzung; - Distriktskommissionen, welche die erste Einschätzung vornahmen. Anschließend Re-

vision und eventuell Modifikation durch die Zentralkommission; - Eliminierung sämtlicher Strafbestimmungen.

Dieses Gesetz wurde vom Großen Rat mit 36 gegen 35 Stimmen angenommen (14 Vertreter waren abwesend). Regierung und Minorität sahen im neuen Gesetz ein Experi- ment, das man einmal machen könne. Die Majorität machte den Erfolg davon abhängig, daß die Regierung eine glückliche Hand bei der Wahl der Kontrollkommission habe; wenn diese nicht glücklich zwischen Staat und Steuerpflichtigen vermittle, so werde der Stein des Sisyphus, den man schon so lange festzulegen suche, abermals entschlüpfen.

Bei der Beurteilung der Wirkungen des neuen Gesetzes beklagte die Regierung die Ernennung der Distriktsausschüsse durch die Interessenten. In manchen Orten erfolgte die Wahl in guter Absicht, an anderen dagegen war leicht zu sehen, daß sie ernannt wurden, um lokale Interessen zu verteidigen und soviel wie möglich die Schätzung ihrer Auftraggeber zu beschränken.

Ein erheblicher finanzieller Unterschied war nicht feststellbar. Zwar brachte das erste Jahr etwa 10% mehr, aber in den folgenden Jahren ging die Zunahme ständig zurück, während unter dem System der Deklaration laufende Zunahmen zu verzeichnen waren. Schanz meint, die wenigen Jahre des Experimentes ließen keinen stringenten Schluß zu. Auffällig sei aber, wie rasch der Eifer der Schätzung erlahmte. Insgesamt hatte die Schätzung keineswegs die Wunder gebracht, die man sich von ihr erwartete.

1867 wurde ein neues Gesetz angenommen, das in der Hauptsache wieder dem Gesetz von 1860 entsprach. Neuerungen waren unter anderem, daß zwischen irrigen und betrü- gerischen Deklarationen unterschieden wurde, was ebenso eine Milderung der Sanktio- nen bedeutete wie die Reduktion der Strafe vom Fünffachen auf das Dreifache. Die Wirkung des neuen Gesetzes war nicht sehr groß. Im ersten Jahr gingen sowohl die Einkommen- wie die Vermögensteuer zurück, die folgenden Jahre brachten regelmäßige Steigerungen.

Insgesamt zeigten die Beispiele folgende Kombinationen von gleichzeitiger Verschärfung und Milderung der Steuererhebung: - Verschärfung von Kontrolle oder Strafe bei gleichzeitiger

a) Vergrößerung der Toleranzgrenze (Fehlergrenze, Irrtum). b) Zusicherung von Straffreiheit bei freiwilliger nachträglicher Korrektur

der Deklaration durch den Steuerpflichtigen; - Verzicht auf Strafe, um maximale Kooperation bei der Inventarisation zu

erlangen;

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 17: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 505

- Einführung der Schätzung bei gleichzeitiger Milderung von Kontrolle und Beseitigung der Strafen und umgekehrt;

- Wiedereinführung der Selbstdeklaration bei gleichzeitiger Verschärfung von Kontrolle und Strafen.

Das Beispiel des Kantons Neuenburg scheint übrigens zu belegen, daß die Gesetzeskonformität der Besteuerung stets begrenzt bleibt, welche Methode man auch anwendet.

VII. Neueste Situation

Durch einen parlamentarischen Vorstoß dazu veranlaßt, hat der Bundesrat anfangs 1984 einen „Bericht über Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhin- terziehung" veröffentlicht22. Er vertritt darin die Auffassung, „... daß die Schweiz nicht ein Land der Steuerdefraudanten und das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat noch weitgehend intakt ist". Bei der Steuerdefrau- dation stünden meist egoistische Motive im Vordergrund: - Erreichung eines materiellen Vorteils, - Steuerdelikt als gelungener Trick, nicht als strafbarer Tatbestand, - Selbsthilfe gegen vermeintliches staatliches Unrecht, - Ablehnung unnötiger oder unnötig hoher staatlicher Ausgaben und der dadurch be-

wirkten zu hohen Steuern, - wahrgenommene Lücken und Härten der Besteuerung, - Schutz der persönlichen Sphäre, welche durch die Öffentlichkeit der Steuerregister

beeinträchtigt wird.

Insbesondere die Unmittelbarkeit und Offensichtlichkeit der Belastung bei den direkten Steuern verleite eher zur Steuerhinterziehung, als es die indirekten Steuern täten (S. 121 f.). Dabei handelt es sich um Vermutungen, die minde- stens teilweise den eingangs erwähnten Hypothesen der Ökonomen bzw. Psy- chologen entsprechen, wobei diese Hypothesen aber nicht etwa vor der Abfas- sung des Berichtes konkret überprüft worden wären.

Der Bundesrat ist der Meinung, die Hinterziehungsfälle seien ziemlich gleichmäßig auf die drei Gruppen „juristische Personen", „Selbständigerwer- bende" sowie „Unselbständigerwerbende und Rentner" verteilt, und legt zur Begründung die nachfolgende Tabelle vor, welche sich auf die Hinterziehungs- verfahren bezieht, die 1980-82 von den kantonalen Verwaltungen für die direkte Bundessteuer durchgeführt wurden :

22 Bundesblatt 1984, 1, S. 124-140.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 18: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

506 Alfred Meier

Gruppe Hinterziehungsfälle Statistik DBSt Anteil der Durchschnittlich Anteil der

Gruppe an der nachbesteuerteris) Gruppe an der Gesamtzahl der Gewinn bzw. Ein- Gesamtzahl der Hinterziehungs- kommen pro Be- Steuerpflichtigen verfahren in % rechnungsjahr in % (gerundet) und Fall (gerundet) Fr. (gerundet)

Juristische Person 2 72300 5 Selbständigerwerbende (inkl. Landwirte) 23 17000 10 Unselbständigerwerbende und Rentner 75 7800 85

Too íõõ Quelle: Bundesblatt 1984, 1, S. 127

Weiter könne angeführt werden: „Bei zahlreichen Gesellschaften sind Mög- lichkeiten oder Bereitschaft, Steuern zu hinterziehen, gering (Publikumsgesell- schaften, Gesellschaften mit einem größeren Aktionärskreis). Auch unterliegen Gesellschaften externen Kontrollen, welche bei Einzelfirmen und Personenge- sellschaften fehlen, wie z. B. Überprüfung durch gesetzliche und statutarische Kontrollstellen.

Bei der Gruppe Unselbständigerwerbende und Rentner sind vor allem Ein- künfte aus Nebenerwerb, Fraueneinkomman und Kapitalerträge nachbesteuert worden. Dies erklärt auch den verhältnismäßig niedrigen Betrag des durch- schnittlich pro Fall und Berechnungsjahr nachbesteuerten Einkommens".

Der Bundesrat weist daraufhin, daß er schon bisher insbesondere drei Arten von Maßnahmen ergriffen habe, um die Steuerhinterziehung zu bekämpfen: erweiterte Verfahrenspflichten des Steuerpflichtigen und Dritter (Auskunftser- teilung im Veranlagungsverfahren), Schaffung zusätzlicher Steuervergehens- tatbestände, Schaffung besonderer Steuerkontrollorgane des Bundes. Man sei im Begriff, das entsprechende gesetzestechnische Instrumentarium noch zu verbessern. Dieses reiche dann aus, um gegen die Steuerhinterziehung mit Erfolg anzugehen. Hingegen fehle es in den Steuerverwaltungen aller Stufen am erforderlichen Personal. Aus den Erfahrungen der Veranlagungsbehörden seien viele Hinterziehungstatbestände ihrem Wesen nach bekannt, jedoch könne mangels totaler Kontrolle nur ein Bruchteil der Hinterziehungen ent- deckt werden. „Natürlich gäbe es Mittel und Wege, um solchen Praktiken vermehrt auf den Sprung zu kommen. Es müßten dann allerdings drakonische Maßnahmen ergriffen werden. Die meisten, die man in Erwägung ziehen könnte, wären offensichtlich mit unserem liberalen System nicht zu verein- baren" (S. 121 f., S. 138, S. 129).

Es fallt auf, daß weder im parlamentarischen Vorstoß noch in der Botschaft des Bundesrates eine Verbesserung der Einstellung der Steuerpflichtigen als Möglichkeit erwähnt wird. Das Schwergewicht der Maßnahmen liegt eindeutig bei der Kontrolle.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 19: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz 507

VIII. Schlußfolgerungen

Steuerhinterziehung mehr oder weniger großen Ausmaßes kam in allen Kan- tonen während des ganzen von Schanz behandelten größeren Teils des 19. Jahrhunderts vor. Dasselbe Bild wie ein solcher Längsschnitt zeigen aber heu- tige Vergleiche der Situation in verschiedenen Ländern. Daraus kann wohl gefolgert werden, daß unterschiedliche Umstände und Maßnahmen wohl eine graduelle Verbesserung oder Verschlechterung der Steuererfüllung bewirken können, daß aber die Tragweite einzelner Maßnahmen ebensowenig über- schätzt werden sollte wie die Möglichkeit einer völligen Beseitigung der Steuer- hinterziehung.

Die Erfahrungen einzelner Kantone (Basel, Genf) mit sehr milder steuertech- nischer Konfrontation wie auch die Tatsache, daß gelegentlich freiwillige Steuern ausreichten, zeigen, daß eine bescheidene öffentliche Aktivität, die auch nur eine bescheidene Ausschöpfung der Steuerquellen erfordert, im Prin- zip auch mit schwachem Steuerzugriff finanziert werden kann. Das kann als Wiederlegung der engen ökonomischen Hypothese interpretiert werden, wo- nach das Individuum keine Steuern zahlt, wenn es nicht durch drohende Strafe dazu veranlaßt wird. Selbst wenn sich heute der Finanzbedarf der öffentlichen Hand wieder so stark reduzieren ließe, daß ein ganz milder Zugriff erneut ins Auge gefaßt werden könnte, wäre der Erfolg ungewiß. Es ist keineswegs gesagt, daß die Steuerzahler wesentliche freiwillige Leistungen erbringen, wenn der Zwang nach langer Gewöhnung wegfällt. Das muß auch bei der Verstär- kung der steuertechnischen Konfrontation stets mitberücksichtigt werden : daß sie möglicherweise die Motivation nicht nur für die Dauer reduziert, während der die härteren Maßnahmen gelten, sondern die Motivation möglicherweise definitiv abbaut.

Die Darstellung der Entwicklung durch Schanz zeigt, daß es im Verlaufe des 19. Jahrhunderts in der Schweiz gelang, durch eine Verschärfung der steuertechnischen Konfrontation zunehmende Steuererträge zu erzielen. Schanz selber (I, S. 136ff.) präsentiert eine Tabelle, aus der unter anderem das Vermögensteuerkapital pro Kopf nach Kantonen ersichtlich ist, und disku- tiert dann die Ursachen dieser Unterschiede: „Wohlhabenheitsunterschiede", „Steuerfreiheiten" und schließlich die Steuertechnik. Dazu meint er:

„Es ist gewiß nicht Zufall, daß Waadt und Schaffhausen mit Baselstadt und Genf an der Spitze stehen, also zwei Kantone, die gerade den größten Ernst im Steuerwesen neuerdings entwickelt haben; ebenso nicht Zufall, daß zwei so wohlhabende Kantone, wie Thurgau und St. Gallen, trotz geringer Steuerbefreiungen hinsichtlich des Vermö- gens am Ende der Reihe sich befinden. Das Scheitern der Reformversuche, wie die Detaildarstellung sie gibt, erklärt das zur Genüge" (I, S. 138).

Die Mittel der Steuertechnik waren insbesondere : detailliertere Selbstdekla- ration, bessere Kontrolle durch Kommissionen, in denen der Gemeindeeinfluß reduziert wurde, und bessere nachträgliche Aufdeckung von unzutreffenden

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Page 20: Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung in der Schweiz. Georg Schanz' „Die Steuern der Schweiz“ und die Gegenwart

508 Alfred Meier

Deklarationen, insbesondere durch die Inventarisation. Dazu kam die Einfüh- rung bzw. Verschärfung von Strafen.

Sowohl bei der Ausgestaltung dieser einzelnen Elemente als auch bei ihrer Kombination geht es darum, ein Optimum zu finden: Einerseits wird durch die stärkere steuertechnische Konfrontation die Steuererfüllung direkt größer, andrerseits beeinträchtigt die Konfrontation die Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen und damit auch die Steuererfüllung.

Es könnte sich möglicherweise lohnen, bei der Beurteilung von Steuersyste- men bzw. Steuersystemänderungen nicht nur intuitiv abzuschätzen, inwieweit dieses Optimum im konkreten Fall erreicht oder verfehlt worden ist, sondern das im einzelnen darzulegen. Zweifellos bestehen Möglichkeiten der „Ausba- lancierung" zwischen Elementen der Steuertechnik, die im Ablauf aufeinander folgen, z.B. schwächere Kontrolle bei besserer Mitwirkung des Pflichtigen usw.:

Mitwirkung < - ► Kontrolle < - ► nachträgliche Entdeckung < - ► Strafe aber wohl auch über mehrere Stufen dieser Kette hinweg.

In der Schweiz setzt der Bund heute bei der besseren Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf alle diese Elemente, wobei es sich lediglich um die Verfeinerung einer bereits weit entwickelten Steuertechnik handelt - die großen Fortschritte wurden schon im 19. Jahrhundert gemacht; das Gesetz abnehmen- der „Ertragszuwächse" macht sich wohl auch hier bemerkbar.

Zum eingangs erwähnten „Modell" der Steuerhinterziehung von Lewis lie- fert Schanz nur teilweise Illustrationsmaterial, vor allem zu seiner 1. und 3. Kategorie. Daß Kontrollen und Strafen grundsätzlich von großer Wirkung sind, hat sich im 19. Jahrhundert wohl deutlich gezeigt. Die Regierungs- und Verfassungsstruktur andrerseits, die man sich kaum bürgernäher denken kann, als sie in der Schweiz damals war und heute noch ist, scheint die Steuerhinter- ziehung deutlich weniger zu beeinflussen als Kontrolle und Strafen.

Lewis setzt besondere Hoffnungen in die Veröffentlichung der erfolgreichen Hinterziehung großer Steuerbeträge und in die fiskaliche Erziehung durch Schulen und Medien. Zum ersten liefert Schanz ein Beispiel: Im Kanton Schaffhausen existierte eine derartige Veröffentlichungsvorschrift. Über die Wirkung sagt er aber nichts. Diese wäre auch damals nur schwer zu ermitteln gewesen, weil die Vorschrift zusammen mit andern Verschärfungen erlassen wurde. Den Optimismus von Lewis zu teilen, was die Möglichkeiten fiska- lischer Erziehung anbetrifft, fallt auch auf dem Hintergrund der Darstellung von Schanz schwer.

This content downloaded from 195.78.108.199 on Mon, 16 Jun 2014 23:53:22 PMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions