dialyseindikation und dialysedosis beim hochbetagten · im alter sind andere risikofaktoren...
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Dialyseindikation und
Dialysedosis beim
Hochbetagten
Martin K. Kuhlmann
Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin
München, 09.06.2012
Functional Status of Elderly Adults before
and after Initiation of Dialysis Kurella et al. New Engl J Med 2009; 361:1539
Retrospektive Analyse
Registerdaten von 3702
Pflegeheimbewohnern
(nursing home)
Dialysebeginn zw. 06/98 und
10/00
Erhebung des funktionellen
Status mittels ADL-score vor
und nach Dialysebeginn
Hohe und typische
Komorbidität
95% HD, 5% PD
Beurteilung der
funktionalen Kapazität (ADL-Score)
Typische Tagesaktivitäten (Activities of Daily Living, ADL)
Essen 0 - 4
Ankleiden 0 - 4
Toilettengang 0 - 4
Körperhygiene 0 - 4
Gehen 0 - 4
Aus dem Sitzen Aufstehen 0 - 4
Positionswechsel im Bett 0 - 4
0 = Unabhängigkeit, 1 = benötigt Überwachung, 2 = benötigt Unterstützung, 3 = benötigt starke Unterstützung 4 = von fremder Hilfe abhängig
ADL-Score: 0 – 28 Punkte, je höher der Score, desto geringer die funktionale Kapazität
Kurella TM et al. NEJM 2009; 361:1539
Funktionale Kapazität und Mortalität
vor und nach Dialysebeginn
Kurella TM et al. NEJM 2009; 361:1539
Verlauf der funktionalen Kapazität
und kumulative Mortalität
Untersucht wurden 3702 inz.
Dialysepat. aus Pflegeheimen
Gesamtzahl inz Dialysepat.
zwischen 06/98 und 10/00:
59,559 (USRDS)
Die untersuchte Population
entspricht der Fraktion der
am schwersten kranken
Dialysepatienten (6.2 %)
2
Loss of Independence in Patients
Starting Dialysis at Age 80 or Older Jassal, SV et al. NEJM 2009; 361:1612
34% 45% 57% 61% 75% Mortalität
Hämodialyse trägt multifaktoriell
zum Verlust an funktionaler Kapazität bei
Jassal SV et al. Adv CKD 15:115-122, 2008
6. Herzinsuffizienz
durch Shuntvolumen
Das Überleben älterer Pat. hat sich
zwischen 1990 und 2000 verbessert
Jassal SV et al. CMAJ 2007; 177:1033
Anstieg der Lebenserwartung älterer
Dialyse-Pat. zwischen 1990 und 2000
Jassal SV et al. CMAJ 2007; 177:1033
Outcome bei älteren Patienten
(1995 – 1998): Prospektive Studie
Lamping DL et al. Lancet 2000; 356:1543
123 inzidente Pat. > 70J
Mortalität in Bezug auf BMI, Karnofsky-
Index und Zeitpunkt der Zuweisung
Joly D et al. JASN 2003; 14:1012
Abschätzung des 6-Mo.-Mortalitäts-
Risikos bei Dialysepat. – REINE-Score
Risikofaktor Punkte
BMI < 18.5 kg/m² 2
Diabetes 1
Herzinsuffizienz NYHA III - IV 2
pAVK Stadium III – IV 2
Arrhythmie 1
Maligne Erkrankung 1
Psychische oder kognitive
Einschränkungen
2
Immobilität 3
Unvorbereiteter Dialysebeginn 2
Abschätzung des 6-Monats Mortalitäts-
Risikos älterer Dialysepatienten
Couchoud C et al. NDT 2009; 24:1553
> 9 70
7-8 50
5-6 33
3-4 21 2 17
1 10 0 8
Punkte RR, %
6-Monats Überleben
Unabhängige RF für Mortalität bei
älteren Dialysepatienten
Anzahl der Komorbiditäten
Diabetes
Ischämische Herzerkrankung
pAVK
Herzinsuffizienz
Karnofsky-Index
Körperliche Funktionalität
Ambulatory/Nonambulatory
Body Mass Index (BMI)
Lean body mass
Späte Zuweisung zum Nephrologen
Kt/V, Dialysezeit, Phosphatspiegel, Hb sind ohne prädiktiven Wert!
Kardiovaskuläre Morbidität
Körperliche Funktionalität
Ernährungszustand
Wieviel Dialyse braucht
der Hochbetagte?
Dazu gibt es keine Daten
Im Alter sind andere Risikofaktoren bedeutsam
Bedeutung der Hyperphosphatämie?
Gedanken:
Niedrigere Stoffwechselrate = niedrigere Generationsrate
von Urämietoxinen?
Niedrigere Nährstoffzufuhr = weniger toxische
Stoffwechselprodukte?
Gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Toxinen?
Geringeres Verteilungsvolumen für Toxine = höhere
Konzentration?
Patienten mit niedrigem V profitieren von höherer
Dialysedosis (HEMO - Studie)
896,546 inzidente Dialysepatienten zwischen 1995 und 2006
Early start: 99,231 Pat., eGFR (MDRD) > 15 ml/min*1.73m²
Late start: 113,510 Pat., eGFR (MDRD < 5 ml/min*1.73m²
Auch bei Patienten ohne Komorbidität ist
frühere Dialyseeinleitung mit einem
erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert
Rosansky SJ. KI 80:1005; 2011
Rosansky SJ et al. Arch Int Med 2011
Kann denn Dialyse schädlich sein?
Infektionsrisiko (Katheter, resistente Keime, Peritonitis)
Chronische Inflammation
Transfer bakterieller DNA über das Dialysat
Intradialytische Blutdruckabfälle
Myokardiales Stunning
Mikro-Luftembolien
Unnötige oder übermäßige Ultrafiltration
Schnellerer Verlust der RRF
Höhere Epo-Dosis bei i.v. Applikation
Depression
Immobilität
Verminderte Nahrungszufuhr
IDEAL - Studie
5 – 7 ml/min 10 – 14 ml/min
07/2000 – 11/2008
Median follow-up: 3.64 Jahre (0.03 – 9.15)
Cockcroft-Gault, ml/min*1,73m²
Cooper BA et al. NEJM 2010
IDEAL - Studie
CG: 12.0 ml/min
MDRD: 9,0 ml/min
CG: 9,8 ml/min
MDRD: 7,2 ml/min
Cooper BA et al. NEJM 2010
Wieviel GFR liefert eine
adäquate PD-Behandlung?
Beispielrechnung: 65-jähriger Patient, Gewicht 70 kg
Wochen-Kt/V = 2.0, Behandlungszeit 10,040 Minuten (1 Woche)
Harnstoffverteilungsraum 40 Liter
K = renale Clearance: = 2.0 x V / t
K = 2 x 40,000 ml / 10,040
K = 8 ml/min, bei Kt/V = 1,7: K = 6,8 ml/min
Eine adäquate Dialyse entspricht einer künstlichen GFR von 7 – 8 ml/min
Steigt die endogene GFR auf > 7 ml/min kann die Dialyse pausiert werde
Cl-I
nulin
MDRD
Cock
croft
*
Cl-K
rea/
Hst
Cl-K
reat
inin
Cl-H
arnst
off
0
10
20
30
40
Cle
ara
nce,
ml/
min
/1.7
3m
²
od
er
*ml/
min
Bestimmung der Nierenfunktion bei
CKD 4 und 5.
Kuhlmann MK 2000
Die CG-Formel überschätzt die gemessene GFR um bis zu 35%
Die MDRD-Formel sollte nicht zur Festlegung
der Dialyseindikation verwendet werden
Sensitivität: Von den ‚dialysepflichtigen‘ Fällen mit ClCr/Ur < 10.5 ml/min*1.73% werden mit der
MDRD-Formel 80%, mit der CG-Formel nur 14% korrekt als dialysepflichtig definiert
Spezifität: Von ‚nicht-dialysepflichtigen‘ Fällen mit ClCr/Ur > 10.5 ml/min*1.73% werden mit der
MDRD-Formel 24%, mit der CG-Formel 1% fälschlich als dialysepflichtig bezeichnet
PPV: Von allen Fällen, die lt. MDRD oder CG als dialysepflichtig eGFR < 10.5 ml/min*1.73m²
detektiert wurden, besteht eine wahre Dialysepflicht bei 60% bzw. 83%, bei 40% bzw. 17%
besteht keine Dialysepflicht (Unterschätzung der tatsächlichen GFR)
Diagnostische Wertigkeit von MDRD und CG-Formel im Vergleich mit gemessener Clcr/ur
125 Pat., 465 Messungen
Kuhlmann MK et al. KI 60:5040; 2001
Urämie-Symptome und
Dialyseindikation
Absolute Indikationen
= harte Kriterien
Enzephalopathie
Perikarditis
Lungenödem
Hyperkaliämie
schwere metabolische Azidose
Blutungsdiathese
Therapieresistente Hypertonie
Schwere Neuropathie
Relative Indikationen
= weiche Kriterien
Übelkeit, Erbrechen
Inappetenz, Gewichtsverlust
Mangelernährung
Schlafstörungen
Periphere Neuropathie
Restless-leg-Syndrom
Pruritus
Einschränkung kognitiver oder
mentaler Fähigkeiten
Adv Chr Kidney Dis 2007
Uremia often is marked by fatigue and lethargy, anorexia, sleep disturbances,
and pruritus, none of which are specific to kidney failure.
(T. Hostetter, NEJM 2007)
Wann sollte bei Hochbetagten eine
Dialyse eingeleitet werden?
Wenn man glaubt, dass durch die zusätzliche
Clearance von Urämietoxinen, Wasser und
Elektrolyten
Urämiesymptome gelindert,
die Lebensqualität verbessert, oder
das Überleben verlängert werden kann
Wann sollte bei Hochbetagten eine
Dialyse eingeleitet werden?
Nierenfunktion messen, nicht schätzen
Wenn die gemessene GFR < 6 ml/min*1.73m²
Unspezifische Urämiesymptome primär immer
konservativ behandeln
Dialyseeinleitung bei therapierefraktären
spezifischen Urämiesymptomen
Zusammenfassung
Hochbetagte stellen eine besondere Risikogruppe von
Dialysepatienten dar
Pflegebedürftige ältere Patienten profitieren häufig nicht
von einer Dialyseeinleitung
Einem Abfall der körperlichen Funktionalität muss auf
verschiedensten Ebenen entgegengewirkt werden
Besondere Empfehlungen zur Dialysedosis existieren
nicht
Bei Älteren sollte die Dialyse nicht bewusst früher
eingeleitet werden
Gerade bei Hochbetagten sollte die MDRD-Formel nicht
zur Beurteilung der Dialyseindikation verwendet werden