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Diabetologie und Stoffwechsel Supplement This journal is listed in Science Citation Index, EMBASE and SCOPUS S2 Oktober 2019 Seite S103–S324 14. Jahrgang Offizielles Organ der Deutschen Diabetes Gesellschaft Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft Herausgegeben von A. Neu und M. Kellerer im Auftrag der DDG ▪ Aktualisierte Version 2019

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Diabetologie und Stoffwechsel

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DAT

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This journal is listed inScience Citation Index, EMBASE and SCOPUS

S2Oktober 2019

Seite S103–S32414. Jahrgang

Offizielles Organ der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Praxisempfehlungen der DeutschenDiabetes Gesellschaft

Herausgegeben von A. Neu und M. Kellerer im Auftrag der DDG

▪ Aktualisierte Version 2019

Heft S2 •

Oktober 2019 •

14. Jahrgang • Seite S103 – S324

Page 2: Diabetologie und Sto 5wechsel · Diabetologie und Sto 5wechsel Supplement PRAXISEMPFEHL UNGEN DDG CLINIC AL PR AC TI CE RE CO MM EN DA TION S This journal is listed in Science Citation

Diabetisches Fußsyndrom

Autoren

Stephan Morbach1, Ralf Lobmann2, Michael Eckhard3, Eckhard Müller4, Heinrich Reike5, Alexander Risse6,

Gerhard Rümenapf7, Maximilian Spraul8

Institute

1 Abteilung für Diabetologie und Angiologie,

Marienkrankenhaus gGmbH, Soest

2 Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie,

Krankenhaus Bad Cannstatt, Klinikum Stuttgart

3 Universitäres Diabeteszentrum und Interdisziplinäres

Zentrum Diabetischer Fuß Mittelhessen, Med. Klinik

und Poliklinik III, Universitätsklinikum Gießen und

Marburg GmbH, Standort Gießen

4 Schwerpunktpraxis für Diabetologie und Nephrologie,

KfH-Nierenzentrum, Bernkastel-Kues

5 Innere Abteilung, Mariannen-Hospital, Werl

6 Diabetologie, Medizinische Klinik Nord, Dortmund

7 Oberrheinisches Gefäßzentrum, Klinik für Gefäßchirurgie,

Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus, Speyer

8 Diabetes-Zentrum Rheine, Medizinische Klinik III

(Mathias-Spital und Jakobi-Krankenhaus), Rheine

Bibliografie

DOI https://doi.org/10.1055/a-0899-0179

Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

© Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart · New York

ISSN 1861-9002

Zitierweise für diesen Artikel Diabetologie 2019;

14 (Suppl 2): S267–S277

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels

Diabetologie 2018; 13 (Suppl 2): S244–S252

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stephan Morbach

Marienkrankenhaus gGmbH

Abteilung Diabetologie und Angiologie

Widumgasse 5, 59494 Soest

[email protected]

Prof. Dr. med. Ralf Lobmann

Klinikum Stuttgart

Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie

Zentrum für Innere Medizin

Standort: Krankenhaus Bad Cannstatt

Prießnitzweg 24, 70374 Stuttgart

[email protected]

Definition

Unter diabetischem Fußsyndrom versteht man alle pathologischenVeränderungen am Fuß eines Menschen mit Diabetes mellitus unddiabetischer Polyneuropathie. Ulzera oder Nekrosen entwickelnsich meist als Folge von repetitivem Stress bei eingeschränkterSchmerzempfindung (hohe Druckbelastung und Scherkräfte, ins-besondere bei Fuß- und Zehendeformitäten). In Deutschland liegtzudem bei mehr als 50% der Fälle eine relevante PAVK vor.

Epidemiologie

Bedeutendste Manifestationen diabetischer Fußprobleme sindUlzerationen und Amputationen.

Die jährliche Neuerkrankungsrate diabetischer Fußulzera liegtbei ca. 2%. Die Wahrscheinlichkeit, ein diabetisches Ulkus zu ent-wickeln, beträgt für die gesamte Lebensdauer eines Menschen mitDiabetes 19–34%.

Nachdem Deutschland hinsichtlich der Amputationszahlenlange Jahre europaweit im oberen Bereich lag, zeigt eine aktuelle

große landesweite Studie einen Rückgang von Major- und Minor-amputationen in der diabetischen verglichen mit der nichtdiabeti-schen Population. Das Ergebnis dieser Untersuchung bestätigtdamit einen positiven Trend, der in den vergangenen Jahrenbereits in kleineren und regionalen Studien beobachtet wordenwar [1]. 65–70 % aller Amputationen werden auch heute nochbei Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt.

Risikofaktoren

Fußläsionen bei Menschen mit Diabetes sind das Ergebnis einesmultifaktoriellen Geschehens mit folgenden Kausalfaktoren:▪ Neuropathie (sensorisch, motorisch, autonom)▪ periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)▪ eingeschränkte Gelenkmobilität (Limited Joint-Mobility, LJM)▪ Druckfehlbelastungen (z. B. durch ungeeignetes Schuhwerk,

Fußdeformitäten, Adipositas)▪ Hornhautschwielen▪ biopsychosoziale Faktoren (z. B. Depression, Vernachlässigung,

Krankheitsüberzeugungen, fehlende soziale Unterstützung)

DDG-Praxisempfehlung

S267Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

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Untersuchung

Bei allen Menschen mit Diabetes sollten Füße und Schuhwerkregelmäßig untersucht werden (▶ Tab. 1).

Zu jeder Untersuchung gehören mindestens folgende Punkte:▪ gezielte Anamnese (brennende oder stechende Schmerzen,

Parästhesien, Taubheitsempfinden, Fehlen jeglicher Empfin-dung),

▪ beidseitige Fußuntersuchung: Hautstatus (Integrität, Turgor,Schweißbildung, Schwielen), Muskulatur, Deformitäten,Beweglichkeit, Hauttemperatur etc. und

▪ Prüfen der Drucksensibilität mit dem 10-g-Monofilament und/oder Prüfen der Vibrationsempfindung mit der Rydell-Seiffer-Stimmgabel, Palpation der Fußpulse (A. tibialis posterior,A. dorsalis pedis).

Druckempfinden

Das Filament wird mit leichtem Druck aufgesetzt, sodass es sichleicht biegt; dabei wird ein Druck von 10 g erzeugt. Wird diesernicht mehr wahrgenommen, ist das Druckempfinden bereitserheblich eingeschränkt und damit auch die natürliche Schutz-funktion nicht mehr verlässlich. Ungeeignet für die Testung sindstark überhornte oder vernarbte Stellen.

Fußpulse

Das Auffinden der Fußpulse durch Tasten hängt von der Raum-temperatur ab. Bei nicht tastbaren Pulsen an den Füßen sollen ob-ligat die Pulse der A. poplitea und der A. femoralis untersuchtwerden. Tastbare Fußpulse schließen eine PAVK nicht aus! Weite-re Untersuchungen (s. evidenzbasierte Leitlinie „Diagnostik,Therapie, Verlaufskontrolle und Prävention des diabetischen Fuß-syndroms“ der DDG):▪ Messung des arteriellen Verschlussdrucks über der A. dorsalis

pedis und der A. tibialis posterior,▪ Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI) sowie▪ besser: Bestimmung des Zehen-Arm-Index (TBI).

PAVK

Die gewohnten Symptome der PAVK (Claudicatio intermittens,Ruheschmerz, pathologische Hauttemperatur und -farbe) fehlenhäufig wegen einer gleichzeitig bestehenden Neuropathie. DasAusmaß der Gefährdung wird dadurch unterschätzt. Bei Vorliegeneiner autonomen Neuropathie mit assoziierter Mediasklerose unddadurch bedingter Inkompressibilität der Unterschenkel- undFußarterien ist der ABI als Screening-Methode nur eingeschränktverwertbar. Die zuverlässigste Kombination von Befunden zumAusschluss einer relevanten PAVK beim DFS ist ein Zehen-Arm-In-dex ≥ 0,75 und der Nachweis von triphasischen Dopplerflusssig-nalen [9]. Der weitere Untersuchungsgang umfasst neben derfarbkodierten Duplexsonografie (FKDS) die Kernspinangiografie(MRA) der Becken- und Beingefäße sowie ggf. die digitaleSubtraktionsangiografie (DSA) in Interventionsbereitschaft(▶ Abb. 1). Vor und nach der Angiografie ist zur Vermeidung einerKontrastmittelnephropathie auf eine adäquate Hydrierung zuachten. Bei Vorliegen einer Niereninsuffizienz sollte die MRA nurunter Abwägung von Nutzen und potenziellem Risiko (gering!)

einer Gadolinium-induzierten systemischen Fibrose nach Einzel-fallentscheidung durchgeführt werden. In diesen Fällen bestehtdie Möglichkeit der DSA unter Verwendung von CO2 zur Kontrast-gebung. Die computertomografische Angiografie (CTA) eignetsich bei Menschen mit Diabetes aufgrund des hohen Kontrastmit-telbedarfs und der geringen Trennschärfe zwischen Gefäßlumenund Kalkplaques gerade der Unterschenkelarterien nicht. Allenationalen/internationalen Leitlinien sehen eindeutig vor, dassbei einer Gefäßbeteiligung diese Minderdurchblutung wieder zukorrigieren ist, idealerweise mittels minimalinvasiver Verfahren(PTA) oder gefäßchirurgisch. Wenn beides nicht mehr möglichist („nicht rekonstruierbare Extremität“, „no-option“), werdenviele alternative Methoden zur vermeintlichen Verbesserung derarteriellen Perfusion angeboten und oft auch angewendet, ohnedass es hierfür einen Beleg der Wirksamkeit gäbe. Dazu zähltauch die hyperbare Sauerstofftherapie [2, 3].

Good Clinical Practice beim diabetischen Fußsyndrom bedeu-tet stets das Beschreiten interdisziplinärer und multiprofessionel-ler Behandlungspfade. Diese umfassen mindestens die abge-stimmte Kombination von Wunddebridement, Infektbehandlung,stadiengerechtem Wundmanagement, zielführender Druckent-lastung sowie arteriell revaskularisierenden und chirurgischenMaßnahmen.

Wird bei einem Patienten eine Läsion im Sinne eines diabetischenFußsyndroms diagnostiziert, sollte diese nach dem Ausmaß derGewebezerstörung und dem Vorliegen einer Infektion und/oderIschämie klassifiziert werden (Klassifikation nach Wagner, kombi-nierte Wagner-Armstrong-Klassifikation (▶ Abb. 2a, b, ▶ Tab. 2, 3).

Behandlung

Nur durch ein multidisziplinäres, multiprofessionelles und trans-sektorales Vorgehen bei der Behandlung von Fußulzera kann dieHäufigkeit von Amputationen um mehr als 50% gesenkt werden.Wesentliche Komponenten der Behandlung diabetischer Fußulze-ra sind:▪ Stoffwechseloptimierung und Behandlung internistischer

Grunderkrankungen,▪ Infektionskontrolle,▪ Debridement avitaler Gewebeanteile,

▶ Tab. 1 Kontrollintervalle des Fußbefundes in Abhängigkeit vom in-dividuellen Risikostatus.

Risiko-kategorie

Risikoprofil Untersuchung

0 keine periphere Neuropathie 1-mal jährlich

1 periphere Neuropathie 1-mal alle 6 Monate

2 periphere Neuropathie mitPAVK und/oder Fußdeformität

alle 3–6 Monate(Spezialist)

3 periphere Neuropathie undUlkus oder Amputation in derVorgeschichte

alle 1–3 Monate(Spezialist)

S268 Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

DDG-Praxisempfehlung

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▪ effektive Druckentlastung,▪ stadiengerechte lokale Wundbehandlung,▪ Therapie von Gefäßerkrankungen,▪ fußchirurgische Korrektur von Deformitäten und/oder Fehl-

stellungen sowie▪ Patientenschulung.

Stoffwechseloptimierung und Behandlunginternistischer Grunderkrankungen

Zur Optimierung der Immunkompetenz, zur Verbesserung derHämorheologie und damit der Mikrozirkulation sowie zur Verhin-derung fortschreitender pathologischer Glykierung ist eine Stoff-wechseloptimierung unabdingbar. Begleiterkrankungen, die die▪ Immunkompetenz,▪ Hämoperfusion oder▪ Gewebsoxigenierungbeeinträchtigen, sollten angemessen therapiert werden.

Basi

sunt

er-

such

ung • klinische Untersuchung

• Palpation

• Knöchel-Arm-Index (ABI)*

Pulse ohnepathologischen Befund

keinerelevante pAVK keine weitere Diagnostik

Schr

itt 2

• Knöchel-Anm-Index (ABI)*

Ja

Befund:ABI ≥ 0,9

DD des ABI:ABI normal: flache Flusskurve,

V.a. MediaskleroseABI < 0,9: mögliche pAVK

ABI > 1,3: mögliche Mediasklerose

Schr

itt 3

FKDS(wenn Untersuchung imBecken- / Oberschenkel-

bereich)

Befund

• keine Beschwerden (Stadium I) oder

• gut kompensiertes Stadium II

Befund

• Stenose / kurzer Verschluss

(mit Klinik: Leidensdruck oder kritische

Ischämie)

Befund

• langstreckiger Verschluss mit Bypass-

Indikation oder

• komplexe Verschlusssituation mit

massiven Verkalkungen oder

• duplexsonografisch unklarer Befund oder

• vor Amputation bei Ischämie

keine akute Therapie,Kontrolle i.R. der Grundkrankheit

interventionelle DSA mitPTA/Stent

Intervention erfolgreich?

Orientiert am BefundKontrolle oder

Gefäßchirurgie oder Intervention

Befundaussagekräftig?

Nein

Ja

Nein

Ja

Ja

Nein

falls

nic

ht v

erüg

bar o

der B

eund

im U

nter

sche

nkel

bere

ich

Stad

ium

III /

IV

Schr

itt 4 vor Revaskularisations-OP oder großen

rekonstruktiven Eingriffen oder AmputationIMMER definitive Gefäßdiagnostik mit MRAoder DSA zur Erfassung des Gefäßstatus und

zur genauen Festlegung desAmputationsniveaus

CE-MRA oder DSA**

Nein

Befund aussagekräftig?

**Unterschenkel:primär DSA,

andereGefäßregionenprimär CE-MRA

Ja Entscheidung abhängigvom Befund und der

TASC-Einstufung

interventionelle DSAmit PTA/Stent

Gefäßchirurgie

Ja

Schr

itt 5

Legende:• ABI*; Ankle Brachial Index (Knöchel-Arm-Index)• CE-MRA: kontrastmittelverstärkte Magnetreso- nanztomografie• DSA: digitale Subtraktionsangiografie• FKDS: farbkodierte Duplexsonografie• PTA: perkutane transluminale Angiografie/ Angioplastie• TASC: Trans-Atlantic Intersociety Consensus on the management of peripheral arterial disease• optionale Untersuchung beim Hausarzt, obligate Erlassung in der Schwerpunktpraxis oder beim Angiologen, großzügige Indikationsstellung

in Schritt 4nicht genutztes

Verfahren

falls ein Verfahrennicht verfügbar

Nein

Entscheidung abhängigvom Befund und der

TASC-Einstufung

interventionelle DSAmit PTA/Stent

Gefäßchirurgie

Ja

▶ Abb.1 Algorithmus zur Gefäßdiagnostik beim diabetischen Fußsyndrom. Quelle: äzq 2006 [rerif].

S269Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

Page 5: Diabetologie und Sto 5wechsel · Diabetologie und Sto 5wechsel Supplement PRAXISEMPFEHL UNGEN DDG CLINIC AL PR AC TI CE RE CO MM EN DA TION S This journal is listed in Science Citation

▶ Abb.2 a Fuß-Dokumentationsbogen – Seite 1. Quelle: AG Fuß der DDG.

S270 Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

DDG-Praxisempfehlung

Page 6: Diabetologie und Sto 5wechsel · Diabetologie und Sto 5wechsel Supplement PRAXISEMPFEHL UNGEN DDG CLINIC AL PR AC TI CE RE CO MM EN DA TION S This journal is listed in Science Citation

Infektion

Die Diagnose einer Infektion wird klinisch bei Vorliegen systemi-scher oder lokaler Zeichen gestellt. Das Ausmaß einer Infektion

beim diabetischen Fußsyndrom wird in leicht, moderat undschwer sowie lebensbedrohlich oder nicht lebensbedrohlicheingestuft (▶ Tab. 4). Die stationäre Aufnahme ist bei schwerer(ggf. auch bei moderater) Infektion indiziert (Maßnahmen: ausrei-

▶ Abb.2 b Fuß-Dokumentationsbogen – Seite 2. Quelle: AG Fuß der DDG.

S271Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

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chende Flüssigkeitszufuhr, Stoffwechselkontrolle, kalkulierte,wenn möglich gezielte antibiotische Therapie, Drainage, vollstän-dige Druckentlastung, ggf. weitere chirurgische Maßnahmen).Die Infektion mit multiresistenten Keimen verschlechtert diePrognose. Unbedingt sind Infektionen von Kolonisation und Kon-tamination abzugrenzen. Zur Vermeidung von Resistenzentwick-lungen sollte nach den Kriterien des Antibiotic Stewardship (ABS)behandelt werden: die richtige Indikation, das richtige Medika-ment (gezielte kulturgesteuerte Gabe), die richtige Applikations-form, die richtige Dosis. Bei Patienten mit chronisch rezidivieren-den Fußläsionen oder rezidivierenden Gaben von Antibiotika wirddas Führen eines Antibiotika-Passes empfohlen [9].

Wunddebridement

Das Wunddebridement ist bedeutsam für die Wirksamkeit sons-tiger Behandlungsmaßnahmen.▪ Mechanisches Debridement: Entfernung nekrotischer Beläge

im Wundbett, ggf. Debridement der Wundränder. Vor Durch-führung des Debridements sollte eine ausreichende arteriellePerfusion sichergestellt sein. Eine Narkose ist aufgrund derNeuropathie selten notwendig; streng aseptische Bedingun-gen sind aufgrund der bestehenden Keimbesiedlung in derRegel nicht erforderlich.

▪ Biomechanisches Debridement: Verflüssigung von Wundbelä-gen und nekrotischem Gewebe durch Proteasen im Madense-kret (Fliegenlarven).

▶ Tab. 3 Wagner-Armstrong-Klassifikation. Beschreibungsmöglichkeiten des diabetischen Fußsyndroms mittels der kombinierten Wagner-Armstrong-Klassifikation.

Wagner-Grad 0 1 2 3 4 5

Armstrong-Stadium

A prä- oderpostulzeröser Fuß

oberflächliche Wunde Wunde bis zurEbene von Seh-nen oder Kapsel

Wunde bis zurEbene vonKnochen undGelenken

Nekrose vonFußteilen

Nekrose desgesamten Fußes

B mit Infektion mit Infektion mit Infektion mit Infektion mit Infektion mit Infektion

C mit Ischämie mit Ischämie mit Ischämie mit Ischämie mit Ischämie mit Ischämie

D mit Infektion undIschämie

mit Infektion undIschämie

mit Infektionund Ischämie

mit Infektionund Ischämie

mit Infektionund Ischämie

mit Infektionund Ischämie

▶ Tab. 2 Klassifikation nach Wagner.

Wagner-Grad Ausmaß Maßnahme

0 keine Läsion, ggf. Fußdeformation oderZellulitis

regelmäßige Kontrolle der Füße

1 oberflächliche Ulzeration im Vordergrund stehen Druckentlastung und lokale Wundbehandlung

2 tiefes Ulkus bis zur Gelenkkapsel, zu Sehnenoder zur Kapsel

im Vordergrund stehen Druckentlastung und lokale Wundbehandlung

3 tiefes Ulkus mit Abszedierung, Osteomyelitis,Infektion der Gelenkkapsel

Infektionskontrolle; unter systemischer Antibiose und konsequenterDruckentlastung kommt es meist zur Ausheilung kleinerer osteomyelitischerHerde, größere Herde müssen in der Regel reseziert werden; die Röntgen-kontrolle hinkt dem tatsächlichen Zustand des Knochens etwas hinterher;bei klinisch gebessertem Befund kann man die Fortsetzung der Antibiosezusätzlich von Entzündungszeichen im Blut abhängig machen; normaler-weise benötigen selbst kleinere Prozesse eine Antibiose von 6 und mehrWochen Dauer

4 begrenzte Nekrose im Vorfuß- oderFersenbereich

in der Behandlung geht es vor allem darum, die Amputationsgrenzemöglichst distal zu halten und eine aufsteigende Infektion zu verhindern;bei PAVK sollte vor jeder Amputation angiografiert werden

5 Nekrose des gesamten Fußes in der Behandlung geht es vor allem darum, die Amputationsgrenzemöglichst distal zu halten und eine aufsteigende Infektion zu verhindern;bei PAVK sollte vor jeder Amputation angiografiert werden

S272 Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

DDG-Praxisempfehlung

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Druckentlastung

Prinzipiell muss allen Beteiligten (Patienten, Angehörigen, Be-handler) klar sein, dass der alltagstauglichen effektiven Druck-und Scherkraft-Entlastung eine essenzielle Bedeutung zukommt.Gleichzeitig stellt dies aufgrund des meist vorhandenen Verlustsschützender Warnmechanismen („Loss of protective sensation“,LOPS) eine wiederkehrende Herausforderung dar. Nach den aktu-ellen Empfehlungen der International Working Group on the Dia-betic Foot (IWGDF) sollten die nachfolgenden Maßnahmen zu ei-ner effektiven Druckentlastung in Betracht gezogen werden [9]:1. Mittel der Wahl bei neuropathischem plantarem Ulkus: TCC,

nicht abnehmbar, kniehoch oder Walker, der nicht abnehmbargemacht wird.

2. Wenn für die Maßnahmen aus 1. Kontraindikationen vorliegenoder diese vom Patienten nicht toleriert werden, dann ersatz-weise knöchelhohes Hilfsmittel. Immer wieder Aufklärung desPatienten über die Bedeutung, das Hilfsmittel auch zu tragen.

3. Wenn andere Optionen zur biomechanischen Entlastung nichtverfügbar sind/nicht funktionieren, dann Filzen erwägen, aberimmer zusammen mit geeignetem Schuhwerk.

4. Bei nichtplantaren Ulzerationen abnehmbare knöchelhoheHilfsmittel, Schuh-Zurichtungen etc.

5. Erwäge chirurgische Maßnahmen zur Druckentlastung (z. B.Tenotomien, Stellungskorrekturen, (Pseudo-) Exostosenabtra-gung, Achillessehnenverlängerung)!

Zur effektiven Druckentlastung ist zudem die regelmäßigeEntfernung von Hornhautschwielen (Kallus) obligat.

Lokale Wundbehandlung

Bei chronischen, nichtischämischen Wunden gelten die Regelnder stadienorientierten Wundbehandlung (Flüssigkeits- und Tem-peraturmanagement). Die Auswahl der Wundauflage im individu-ellen Fall sollte anhand der Wundausdehnung, der Exsudatmenge,

des Vorliegens oder Fehlens von Infektionszeichen, der vorliegen-den Evidenz [6–9] sowie anhand von Kosteneffektivitätskriteriengetroffen werden. Die Wundoberfläche ist bei jedem Verband-wechsel gründlich zu reinigen.

Therapie von Gefäßerkrankungen

Liegt eine PAVK vor, ist bei nicht heilenden Fußläsionen oder Am-putationsgefahr die Indikation zu Revaskularisationseingriffen(operative oder endoluminale Verfahren) aggressiv zu stellen.Ohne ausreichende Durchblutung ist eine Wundheilung nicht zuerwarten. Insbesondere muss die Möglichkeit der arteriellenRevaskularisation erwogen werden, wenn eine Fußläsion trotzmaximaler wundtherapeutischer Bemühungen innerhalb von4 Wochen keine Heilungstendenz zeigt [9].

Gefäßchirurgische und endovaskuläre Eingriffe ergänzen sich.Ihr Einsatz ist abhängig vom Verteilungsmuster der PAVK, vonder Länge der Gefäßverschlüsse und der Expertise und der appa-rativen Ausstattung des Behandlers sowie vom Vorhandenseineiner geeigneten epifaszialen Beinvene als Bypassmaterial. In denmeisten Fällen sollte der perkutanen transluminalen Angioplastie(PTA) dabei zunächst der Vorzug gegeben werden, sofern beideRevaskularisationsverfahren technisch verfügbar sind.

Schulung

Die Schulung von Patienten mit dem Ziel der Ulkus-Prävention istmöglicherweise eine vor allem kurzfristig wirksame Interventions-möglichkeit zur Reduktion der Ulkus-Rate und von Amputationen.Einer wiederholten Instruktion der Betreuer kommt eine ebensobedeutsame Rolle zu.

Amputation

Bei einer erforderlichen Amputation sollte das Amputationsausmaßso gering wie möglich gewählt werden, um gewichtstragendeAreale zu erhalten. Vor jeder Amputation muss eine Gefäßdiagnos-

▶ Tab. 4 Klinische Klassifikation von Fußinfektionen. Daten nach [4, 5].

klinische Manifestierung der Infektion Infektionsschwere PEDIS-Grad

Wunde ohne Eiterung oder Anzeichen von Entzündung nicht infiziert 1

Vorhandensein von ≥ 2 Entzündungszeichen (Eiterung, Rötung, (Druck-) Schmerz, Überwär-mung oder Verhärtung), aber jedes Entzündungszeichen ≤2 cm um das Ulkus; Infektion istauf die Haut oder das oberflächliche subkutane Gewebe beschränkt; keine anderen örtlichenKomplikationen oder systemischen Erkrankungen

leicht 2

Infektion (wie oben) bei einem Patienten, der systemisch gesund und stoffwechselstabil ist,aber ≥ 1 der folgenden Charakteristiken aufweist: Entzündungszeichen erstrecken sich > 2 cmum das Ulkus, Lymphangitis, Ausbreitung unter die oberflächliche Faszie, Abszess im tiefenGewebe, Gangrän und Ausdehnung auf Muskel, Sehne, Gelenk oder Knochen

moderat 3

Infektion bei einem Patienten mit systemischen Infektionszeichen oder instabilem Kreislauf(z. B. Fieber, Schüttelfrost, Tachykardie, Hypotonie, Verwirrtheit, Erbrechen, Leukozytose,Azidose, schwere Hyperglykämie oder Azotämie)

schwer 4

Das Vorhandensein einer kritischen Ischämie verschiebt den Schweregrad der Infektion (im Hinblick auf die Prognose) in Richtung „schwer“, kann jedochdie klinischen Zeichen der Infektion abmindern. PEDIS = „Perfusion“ (Perfusion), „Extent/Size“ (Ausmaß/Größe), „Depth/tissue loss“ (Tiefe/Gewebever-lust), „Infection“ (Infektion) und „Sensation“ (Sinnesempfindung).

S273Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

Page 9: Diabetologie und Sto 5wechsel · Diabetologie und Sto 5wechsel Supplement PRAXISEMPFEHL UNGEN DDG CLINIC AL PR AC TI CE RE CO MM EN DA TION S This journal is listed in Science Citation

tik durchgeführt werden. Eine Majoramputation (Amputation ober-halb des Sprunggelenks) als primäre Behandlungsmaßnahme istnur selten indiziert (siehe Oppenheimer Erklärung: http://www.ag-fuss-ddg.de/download/Die-Oppenheimer-Erklrung-II.pdf).

Diabetische Neuro-Osteo-Arthropathie (DNOAP)(sog. „Charcot-Fuß“)

Die DNOAP geht mit einer Destruktion einzelner oder multipler Ge-lenke und/oder Knochen einher (Einteilung nach Verlaufsstadiumund Lokalisationsmuster, ▶ Tab. 5, 6). Neben der Neuropathie sindinsbesondere (unbemerkte) Traumata ursächlich für die Entstehung.Prognostisch entscheidend ist die Diagnostik in der akuten Phase derErkrankung („aktiver Charcot-Fuß“). Die Röntgenaufnahme desFußes in 2 Ebenen ist neben der klinischen Untersuchung sowie derBestimmung der Oberflächentemperatur im Seitenvergleich die ent-scheidende Methode zur Diagnostik der Erkrankung. Bei unauffälli-gem Nativröntgen findet die Kernspintomografie zur Erkennungund Differenzierung von Frühstadien der DNOAP (sog. „Stadium 0nach Chantelau/Edmonds“) Anwendung. Die Primärtherapie bestehtaus vollständiger Ruhigstellung. Nach dem Verschwinden inflamma-torischer Krankheitszeichen und Stabilisierung des Befundes wirdvon einem „inaktiven Charcot-Fuß“ gesprochen.

Prävention

Der Prävention kommt eine entscheidende Bedeutung zu, umUlzera und Amputationen zu vermeiden. Zu den Maßnahmengehören:▪ Identifikation von Hochrisikopatienten (Anamnese: vorange-

gangene Fußläsion oder Amputation; Befunderhebung:klinische Untersuchung, Monofilament, Pulspalpation),

▪ regelmäßige Untersuchung von Füßen und Schuhwerk inklu-sive Messung der Hauttemperatur bei Patienten mit sensori-scher Neuropathie,

▪ geeignetes Schuhwerk,▪ Behandlung sonstiger krankhafter Veränderungen am Fuß,▪ podologische Komplexbehandlung,▪ Schulung aller Beteiligten und▪ psychosoziale Betreuung.

Wichtigste präventive Maßnahme ist das regelmäßige Tragen vondruckentlastenden Bettungen in geeignetem Schuhwerk. Dane-ben ist die Erkennung und rechtzeitige Behandlung von präulzera-tiven Fußläsionen wie neu aufgetretenen Schwielen und Rötungenentscheidend. Dazu gehören auch fußchirurgische Maßnahmenwie die Achillessehnenverlängerung bei Ballenhohlfuß oder Seh-nendurchtrennungen bei Krallenzehen. Bei den Untersuchungsin-tervallen ist das individuelle Risikoprofil des Patienten zu berück-sichtigen. Mechanische Faktoren spielen eine wesentliche Rollebei der Entstehung diabetischer Fußulzera. Infolge wiederholterEinwirkung erhöhter Drücke und Scherkräfte während des Gehenskommt es zu Verletzungen. Wichtigster Auslöser von Läsionen istungeeignetes oder nicht getragenes Schuhwerk!

Organisation der Versorgung

Die Betreuung durch ein multidisziplinäres Team aus Hausärzten,Diabetologen, Gefäßmedizinern (Gefäßchirurgen, Angiologen,interventionelle Radiologen), Chirurgen, Orthopäden, Diabetes-beratern, Schuhmachern und Podologen (Shared Care) senkt dieInzidenz für Amputationen deutlich.

Schuhwerk

Die meisten Patienten benötigen eine Versorgung mit adäquatemSchuhwerk sowohl für den Straßen- als auch für den Hausge-brauch. Die Prinzipien der Schuhversorgung für Patienten mitDiabetes mellitus basieren eher auf ausreichendem Platz undgeeigneter Fußbettung mit gleichmäßiger Druckverteilung alsauf biomechanischer, orthopädischer Korrektur von Deformit-äten. Die Schuhe und insbesondere die Fußbettungen solltenhäufig auf Verschleiß kontrolliert und, wenn nötig, ersetzt wer-den. Die Materialien, die zur Druckentlastung verwendet werden,verlieren mit der Zeit ihre Rückstellkraft. Die Überprüfung vondruckentlastenden Bettungen auf ihre Effektivität mittels Druck-messung im Schuh führt zu einer besseren Rezidivprophylaxevon Ulzera. Eine praxisorientierte Einteilung der stadiengerechtenVerordnung therapeutischen Schuhwerks ist verfügbar unterwww.ag-fuss-ddg.de (siehe auch ▶ Tab. 7).

Die AG Fuß in der DDG hat ein umfassendes und inzwischenvielfach anerkanntes System entwickelt, das den Erfordernissender „Shared Care“ gerecht wird und gleichzeitig den Weg für eineffektives Qualitätsmanagement ebnet.

▶ Tab. 5 Verlaufsstadien der DNOAP nach Levin.

Stadium klinische Zeichen

I (akutes Stadium): Fuß gerötet, geschwollen, überwärmt(Röntgenbild ggf. noch normal)

II Knochen- und Gelenkveränderungen, Frakturen

III Fußdeformität: Plattfuß, später Wiegefuß infolge Frakturenund Gelenkzerstörungen

IV Fußläsion plantar

▶ Tab. 6 Lokalisationsmuster der DNOAP nach Sanders.

Typ betroffene Strukturen

I Interphalangealgelenke, Metatarsophalangealgelenke,Metatarsalia

II Tarsometatarsalgelenke

III navikulokuneiforme Gelenke, Talonavikulargelenk,Kalkaneokuboidgelenk

IV Sprunggelenke

V Kalkaneus

S274 Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277

DDG-Praxisempfehlung

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▶ Tab. 7 Schuhversorgung und Risikoklassen beim diabetischen Fußsyndrom und bei analogen Neuro-Angio-Arthropathien.

Risikogruppe Erläuterung Regelversorgung

0 Diabetes mellitus ohne PNP/PAVK

Aufklärung und Beratung fußgerechte Konfektionsschuhe

I wie 0, mit Fußdeformität höheres Risiko bei späteremAuftreten einer PNP/PAVK

orthopädieschuhtechnische Versorgung aufgrund orthopädischerIndikation

II D. m. mit Sensibilitätsverlustdurch PNP/PAVK

Sensibilitätsverlust nachge-wiesen durch fehlendeErkennung des Semmes-Weinstein-Monofilaments

Diabetesschutzschuh mit herausnehmbarer Weichpolstersohle,ggf. mit orth. Schuhzurichtung; Höherversorgung mit DAF oderorth. Maßschuhen bei Fußproportionen, die nach einem konfek-tionierten Leisten nicht zu versorgen sind/Fußdeformität, diezu lokaler Druckerhöhung führt/fehlgeschlagener adäquaterVorversorgung/orthopädischen Indikationen

III Z. n. plantarem Ulkus deutlich erhöhtes Ulkus-Rezidivrisiko gegenüber Gr. II

Diabetesschutzschuh i. d. R. mit diabetesadaptierter Fußbettung,ggf. mit orth. Schuhzurichtung; Höherversorgung mit orth. Maß-schuhen bei Fußproportionen, die nach einem konfektioniertenLeisten nicht zu versorgen sind/fehlgeschlagener adäquaterVorversorgung/orthopädischen Indikationen

IV wie II mit Deformitäten bzw.Dysproportionen

nicht nach konfektioniertemLeisten zu versorgen

orth. Maßschuhe mit DAF

V DNOAP (Levin III) Orthesen i. d. R. bei DNOAP-Typ IV-V (Sanders) oder beistarker Lotabweichung

knöchelübergreifende orth. Maßschuhe mit DAF, Innenschuhe,Orthesen

VI wie II mit Fußteilamputation mindestens transmetatarsaleAmputation, auch als innereAmputation

Versorgung wie IV plus Prothesen

VII akute Läsion/floride DNOAP stets als temporäre Versor-gung

Entlastungsschuhe, Verbandsschuhe, Interimsschuhe, Orthesen,TCC ggf. mit DAF und orth. Zurichtungen

Kriterien für eine höhergradige Versorgung▪ kontralaterale Majoramputation▪ Arthropathie Hüfte/Knie/OSG oder Gelenkimplantat mit Funktionsbeeinträchtigung/Kontraktur▪ Amputation der Großzehe/Resektion MFK I▪ motorische Funktionseinschränkung/Parese eines oder beider Beine▪ höhergradige Gang- und Standunsicherheit▪ extreme Adipositas (BMI = 35)▪ dialysepflichtige Niereninsuffizienz▪ Beruf mit überwiegender Steh- und Gehbelastung▪ erhebliche Visuseinschränkung

▪ Die Kriterien für eine höhergradige Versorgung müssen überprüfbar dokumentiert und die dazugehörigen Diagnosen müssen auf der ärztlichenVerordnung enthalten sein.

▪ Im Einzelfall ist eine zu begründende Abweichung vom o. a. Schema mit aufwendigerer oder einfacherer Versorgung nach ärztlicher Indikationmöglich.

▪ Eine ärztliche Abnahme des verordneten Hilfsmittels zusammen mit dem Patienten ist immer erforderlich. Die Einweisung in das Hilfsmittel erfolgtdurch den Hilfsmittellieferanten.

Sind die verordneten Komponenten enthalten?Ist die Passform gewährleistet?Sind Stand-, Tritt- und Gangsicherheit gegeben?Ist die Funktion hinsichtlich des Schutzes des Fußes und des Ausgleichs funktioneller Einschränkungen gegeben?Wurden die Kriterien für die Schuhversorgung beim DFS eingehalten?

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ADRESSEN IM INTERNET

www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

▪ Aktuelle Fassung der evidenzbasierten Leitlinien

www.ag-fuss-ddg.de

▪ Untersuchungsbogen der AG Fuß

▪ Einrichtungen zur Behandlung des diabetischen Fußsyn-

droms

▪ Links zu weiteren Seiten, die über das diabetische Fußsyn-

drom informieren

▪ Oppenheimer Erklärung

www.diabetes-cme.de

▪ Leitlinienkonforme Fortbildungen zum Diabetes mellitus.

Das hier präsentierte Wissen wird auf der Grundlage der

evidenzbasierten Diabetes-Leitlinien der Deutschen Di-

abetes Gesellschaft (DDG) zusammengestellt.

www.diabetes-deutschland.de

▪ Informationssystem zum Diabetes mellitus

www.rki.de

▪ Internetseite des Robert-Koch-Instituts, u. a. mit Empfeh-

lungen zur gezielten Antibiotikatherapie

www.n-v-l.de

▪ Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes

www.AWMF.de

▪ S3-Leitlinie PAVK der Deutschen Gesellschaft für Angiologie

Interessenkonflikt

S.Morbach war innerhalb der vergangenen 3 Jahre in Beratungsgremiender Firma URGO GmbH (Nationales Advisory Board DFU), der FirmaNovo Nordisk Deutschland (Clinical Practitioners Advisory Board) sowieeinem internationalen Beratungsgremium der Reapplix ApS tätig undhat entsprechende Honorare erhalten. Im selben Zeitraum war erVizepräsident der International Working Group on the Diabetic Foot-Implementation und von D-FOOT International und war Mitglied derSektion Diabetes und Wundtherapie der Deutschen Gesellschaft fürAngiologie (DGA). Zudem ist er Gastwissenschaftler am Institut für Ver-sorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Centre for Health andSociety, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.R. Lobmann hat innerhalb der vergangenen 3 Jahre Berater-/Gutachter-tätigkeiten für die Firma URGO GmbH übernommen sowie für die FirmaWörwag Pharma von 2015 bis 2017 und hat entsprechende Honorareerhalten. Er ist Vorstandsmitglied der DDG, Sprecher der AG Fuß undwar bis 2016 Chairman der DFSG.A. Risse war innerhalb der vergangenen 3 Jahre in Beratungsgremien derFirma URGO GmbH und der Firma Neubourg Skin Care tätig und hatentsprechende Honorare erhalten. Für Vortrags- und Schulungstätigkei-ten erhielt er Honorare der Firma Serag Wiesner und vom Zentralver-band Podologie. Er ist Vorsitzender der Kommission zur EADV der DDG.M. Eckhard war innerhalb der letzten 5 Jahre für folgende Firmen tätigund hat dafür entsprechende Honorare erhalten: Fa. Berlin-Chemie(Vortragstätigkeit), Fa. Boehringer-Ingelheim (Vortragstätigkeit bzw.Beratertätigkeit), Fa. Lilly Deutschland (Vortrags- bzw. Beratertätigkeit),Fa. NovoNordisk (Vortragstätigkeit bzw. Beratertätigkeit), Fa. Sanofi(Vortragstätigkeit). Begleitete Ämter: Vorsitzender der Hessischen Dia-betes-Gesellschaft e. V. (HDG, Regionalgesellschaft der DDG), Mitgliedim Vorstand der AG Fuß in der DDG e. V., Mitglied im Ausschuss Diabe-tologe DDG in der DDG. Beruflicher Status: Ärztl. Leiter des universitärenDiabeteszentrums am Universitätsklinikum Giessen und MarburgGmbH, (UKGM, Standort Gießen), Chefarzt der GZW Diabetes-Klinik BadNauheim.H. Reike erklärt, dass das Mariannen-Hospital für von ihm ausgerichteteVeranstaltungen Unterstützung erhalten hat durch die Firmen NovoN-ordisk Deutschland, Lilly Deutschland, Beurer, Emmerich.M. Spraul war innerhalb der letzten 3 Jahre für folgende Firmen tätigund hat dafür entsprechende Honorare erhalten: Fa. Lilly Deutschland

▶ Tab. 7 (Fortsetzung)

Risikogruppe Erläuterung Regelversorgung

Minimalkriterien für die Schuhversorgung beim DFS:Genügend Raum für die Zehen in Länge und Höhe, ausreichende Breite, Vermeiden von drückenden Nähten, weiches Material über druckgefährdetenbeweglichen Fußregionen, keine auf den Fuß einwirkende Vorderkappe, herausnehmbare konfektionierte Polstersohle mit Druckspitzenreduktion imBallenbereich um 30%, Möglichkeit einer orthopädieschuhtechnischen Zurichtung.▪ Der Begriff „Diabetesschutzschuh“ ist im selben Sinne zu verwenden wie „Diabetesspezialschuh“, „orthopädischer Aufbauschuh“, „konfektionierter

Therapieschuh“ oder „semiorthopädischer Schuh“. Bei der Abgabe muss die Funktion hinsichtlich Statik und Dynamik überprüft und nötigenfallsdurch orthopädische Zurichtungen optimiert werden.

▪ Die überprüfbare Dokumentation einer gezielten lokalen Druckentlastung durch eine diabetesadaptierte Fußbettung ist unter dynamischen Bedin-gungen nur mithilfe pedobarografischer Messsohlen möglich. Für die Dokumentation von Zonen erhöhten Drucks infolge funktioneller Deformitätenist die dynamische Pedografie statischen Verfahren (Blauabdruck) überlegen.

▪ Für die Korrektur oder den funktionellen Ausgleich einer höhergradigen Fußdeformität durch Maßschuhe ist die manuelle Anfertigung eines individu-ellen Sonderleistens nach Gipsabdruck oder in vergleichbarer Technik erforderlich. Der aktuelle Stand der Automatisierungstechnik erlaubt dieMaßanfertigung nur für gering deformierte Füße.

▪ Bei einer akuten Läsion (Ulkus oder noch floride DNOAP) ist eine Totalentlastung mit einem Allgöwer-Apparat oder Thomas-Splint nur in Ausnahmefällen er-forderlich. Beim Ulkus stehen die Druckentlastung und die Druckumverteilung im Vordergrund, bei der DNOAP die Ausschaltung der Fußgelenkbewegungen.

▪ Zur Nachkontrolle sind ab Gruppe III mindestens alle 3 Monate ambulante Untersuchungen nötig.Entwurf vorgelegt von: „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Schuhversorgung beim diabetischen Fußsyndrom“. Unter Mitwirkung von: Dr. Armin Koller,Orthopäde; Dr. Christoph Metzger, Diabetologe; Michael Möller, OSM; Jürgen Stumpf, OSM; Dr. Karl Zink, Diabetologe.

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DDG-Praxisempfehlung

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(Vortrags- bzw. Beratertätigkeit), Fa. Novo Nordisk (Vortragstätigkeitbzw. Beratertätigkeit), Fa. Abbott (Beratertätigkeit), Fa. Astra Zeneca(Vortragstätigkeit), Fa. Neubourg skin care (Vortragstätigkeit bzw.Beratertätigkeit). M. Spraul erklärt, dass das Mathias-Spital für von ihmausgerichtete Veranstaltungen Unterstützung erhalten hat durch dieFirmen Novo Nordisk Deutschland und Neubourg skin care.G. Rümenapf und E. Müller haben keine Interessenkonflikte.

Literatur

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[2] Fedorko L, Bowen JM, Jones W et al. Hyperbaric Oxygen Therapy DoesNot Reduce Indications for Amputation in Patients With Diabetes WithNonhealing Ulcers of the Lower Limb: A Prospective, Double-Blind, Ran-domized Controlled Clinical Trial. Diabetes Care 2016; 39 (3): 392–399

[3] Santema KTB, Stoekenbroek RM, Koelemay MJW et al. Hyperbaric OxygenTherapy in the Treatment of Ischemic Lower-Extremity Ulcers in PatientsWith Diabetes: Results of the DAMO2CLES Multicenter RandomizedClinical Trial. Diabetes Care 2018; 41 (1): 112–119

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[8] Lavery LA, Fulmer J, Shebetka KA et al. The efficacy and safety of Grafix(®)for the treatment of chronic diabetic foot ulcers: results of a multi-centre,controlled, randomised, blinded, clinical trial. Int Wound J 2014; 5: 554–560

[9] THE 2019 IWGDF GUIDELINES. https://iwgdfguidelines.org/guidelines/guidelines/

S277Morbach S et al. Diabetisches Fußsyndrom… Diabetologie 2019; 14 (Suppl 2): S267–S277