der unterschied zwischen krieg und frieden

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Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden Author(s): HELMUT RUMPF Source: Archiv des Völkerrechts, 2. Bd., 1. H. (August 1949), pp. 40-50 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40795835 . Accessed: 12/06/2014 13:42 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.79.78 on Thu, 12 Jun 2014 13:42:09 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Der Unterschied zwischen Krieg und FriedenAuthor(s): HELMUT RUMPFSource: Archiv des Völkerrechts, 2. Bd., 1. H. (August 1949), pp. 40-50Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40795835 .

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Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden Von Dr. jur. HELMUT RUMPF Master of Arts der Harvard Universität;

Fakultätsassistent, Heidelberg

I.

Neben der Geschichte der Kriege läuft die Geschichte der literarischen Pläne und der völkerrechtlichen Verträge, deren Ziel es ist, den Frieden herbeizuführen oder zu bewahren. Kant schrieb über den „Ewigen Frieden" und machte den Vorschlag, ihn durch einen Weltbund repu- blikanischer Staaten zu gewährleisten. Moderne Staatsmänner, Diplo- maten und Journalisten reden viel vom Weltfrieden, seitdem es Welt- kriege gibt. Hauptaufgabe der Vereinten Nationen ist laut Satzung, den Frieden zu erhalten. Mitglied können in den Vereinten Nationen alle „friedliebenden" Staaten werden, d. h. solche, die von der Mehrheit der Vollversammlung so beurteilt werden. Ein zeitgenössischer englischer Schriftsteller, Emery Reves, veröffentlichte 1945 e*n seither weltbekannt gewordenes Buch unter dem Titel „Die Anatomie des Friedens", worin er behauptet, Frieden würde es erst in einem demokratischen Weltstaat mit universaler Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben.

Vor lauter Entwürfen zu Weltparlamenten und Weltregierungen, vor lauter Rhetorik um den ominösen Weltfrieden bleibt gewöhnlich die einfachste Vorfrage nicht nur unbeantwortet, sondern auch unausgespro- chen: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Krieg und Frieden? Was ist insbesondere im einzelnen Fall mit dem zu bewahrenden Frieden gemeint ?

Man kann den Unterschied zwischen Krieg und Frieden juristisch und soziologisch zu bestimmen suchen.

II.

Die Juristen und die juristisch argumentierenden Staatsmänner haben nach einem Begriff des Krieges de jure gesucht, weil sie einen festen Tatbestand brauchten, um daran gewisse Rechtsfolgen - Anwen- dung der Gebräuche des Landkrieges, Neutralität, Konfiskation von Feindeigentum, Abbruch diplomatischer Beziehungen, Auflösung von Verträgen und neuerdings Sanktionen gegen Angreifer - anknüpfen zu können. Die begriffliche Dialektik von Krieg und Frieden hat aber die völkerrechtliche Theorie und Praxis immer wieder verwirrt. Wenn Frieden das Gegenteil von Krieg sein soll oder umgekehrt, muß jedenfalls einer der beiden Begriffe festliegen und allenthalben klar sein. So ist es aber nicht. Die Begriffe Krieg und Frieden sind wie ein Stock mit zwei Enden,

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den man hin und her dreht. Es gibt keinen allgemein anerkannten oder allgemein verbindlichen juristischen Begriff des Krieges. Der Schweizer Völkerrechtler Fritz Grob hat in einem mir als Manuskript bekannten Werk über den Kriegsbegriff allein 80 Definitionen aus der Literatur zusammengestellt. Fauchille sagt: „Fast jeder Jurist oder jeder Publizist hat seine persönliche Definition des Krieges gegeben" l). Die in völker- rechtlichen Lehrbüchern weitverbreitete Begriffsbestimmung des Krieges de jure als eines „Kampfes mit Waffengewalt zwischen Staaten" reicht nicht hin 2). Die Staatenpraxis, die im Völkerrecht normbildende Kraft hat, zeigt eine Vielfalt von „nichtfriedlichen" Zuständen und Vorgängen, die weder immer ein Waffenkampf sind, noch ausschließlich zwischen Staaten stattfinden.

1. Kriegszustand auf Grund einer Kriegserklärung ohne militärische Kampfhandlungen, oder nach dem Ende der Kampfhandlungen (Deutsch- land und einige latein-amerikanische Länder in beiden Weltkriegen; Deutschland und die Besatzungsmächte seit 8. 5. 1945). Die anormale Situation Deutschlands seit Mai 1945 ist daran zu erkennen, daß trotz der Fortdauer des völkerrechtlichen Kriegszustandes zwischen dem deut- schen Staat und den Besatzungsmächten deutsche Gesetzgeber und Rich- ter genötigt waren, für gewisse innerdeutsche Rechtsgebiete den Krieg als beendet anzusehen. Das wurde im Versicherungswesen und für die Fest- stellung der Todeszeit im Verfahren der Todeserklärung Verschollener notwendig. Das OLG Kiel entschied in seinem Urteil vom 17. 6. 1947 3): eine Versicherungsgesellschaft könne sich in einem nach dem 8. 5. 1945 eingetretenen Versicherungsfall nicht mehr auf die Kriegsklausel der All- gemeinen Feuerversicherungsbedingungen berufen, denn nach herrschen-

1) Traité de Droit International Public, 8. ed. Bd. II, 192 1, p. 1. Vgl. auch: Helmut Rumpf, „Is a Definition of war necessary ?" in Boston University Law Review, Vol. XVIII, No. 4, November 1948, p. 686.

2) So definieren: Clovis Beviláqua, Direito publico international, tome II, p. 259, 191 1: „lucta armada"; G. Cavaretta: Dirritto Internationale, Palermo, 19 14, p. 182: „una contesa"; George Davis: The Elements of Int. Law, 4th ed., p. 271, 272: „an armed contest"; Duguit, Traité de Droit Constitutionnel, 2nd ed., tome I, p. 563, Paris 192 1: „lutte"; Fauchille, Traité de Droit Int. Publ., 8th ed., tome II, No. 996: „une lutte a main armée"; Foulke, A Treatise on Int. Law, tome II, ch. 601: „a contention by force"; Hall, Outlines of Int. Law, p. 69: „a contest carried on by armed public forces", Heilborn, Völkerrecht, S. 557: „mit Waffengewalt geführter Kampf"; Jackson, A Manual of Int. Law, p. 91; „an armed contest"; Lawrence, Principles of Int. Law, 7th ed., p. 309; „a contest carried on by public forces"; Liszt-Fleischmann : Das Völkerrecht, 12. Aufl. Berlin 1925, S. 447: „Kampf mit Waffengewalt"; Oppenheim, Int. Law, 4th ed. by McNair, vol. 2, p. 115: „a contention through their armed for- ces"; Karl Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts, 2. Aufl. 1922, S. 169: „Waflfenkampf".

3) Juristische Rundschau 1947, S. 56.

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der Auffassung sei es versicherungsrechtlich gesehen belanglos, ob ein Krieg im völkerrechtlichen Sinne noch bestand. Unter Krieg sei der tat- sächliche Gewaltzustand - ohne Rücksicht auf die weiteren oder engeren zeitlichen, sachlichen und räumlichen Grenzen des Kriegszustandes im völkerrechtlichen Sinne - zu verstehen. Eine Verordnung des Zentral- justizamtes für die britische Zone vom 14. 6. 1948 setzt als Zeitpunkt des tatsächlichen Kriegsendes i. S. des Verschollenheitsgesetzes den 1. 7. 1948 fest 4). Andererseits erklärte die englische Regierung noch 1947, sie be- trachte sich als weiterhin im Kriegszustand mit Deutschland befindlich5). Die gleiche Einstellung bekunden die anderen Besatzungsmächte, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend. Sie tun es aus Gründen politischer und wirtschaftlicher Opportunität (Handel mit deutschen Firmen bleibt weiter kontrolliert durch trading with the enemy act; deutsches Eigentum kann weiter konfisziert werden), sind aber durch keine Norm des Völkerrechts daran gehindert.

2. Einseitige Gewaltmaßnahmen ohne Widerstand (rumänischer Ein- marsch in Bulgarien 1913; deutsch-englische Blockade gegen Venezuela 1902; Bombardierung Korfus durch Italien 1923; Ruhrbesetzung 1923; Besetzung von Vera Cruz in Mexiko durch USA 1914) e).

3. Zweiseitige Kampfhandlungen ohne Kriegserklärung, wobei die Kriegsabsicht geleugnet wird (Japan-China 1931 und 1937; Italien- Äthiopien 1935; Boxeraufstand in China 1900). Aber schon von 1700 bis 1872 wurden nach Schätzung eines englischen Kriegswissenschaftlers von 120 Kriegen kaum 10 erklärt 7). Im Englischen spricht man daher schon lange von material war zum Unterschied von legal war.

4. Bürgerkriege, in denen die Aufständischen von einigen auswärtigen Staaten als k r i e g führende Partei anerkannt wurden (USA 1861, Spa- nien 1936).

An alle genannten Tatbestände wurden von der Staatenpraxis - und zwar ganz nach Belieben und politischem Vorteil - gelegentlich diese oder jene Rechtsfolgen geknüpft, die man in der Theorie mit Krieg de jure verbindet: Konfiskation von Feindeigentum, Anwendung der Regeln des Landkrieges, Recht der Blockade und der Neutralität, Sanktionen des Völkerbundspaktes. Das überlieferte Völkerrecht unterscheidet noch zwischen Repressalie und regulärem, erklärtem Krieg. Ein jüngerer ame-

4) VOB1. BZ 1948, Nr. 26. 5) In Sachen R. v. Bottril, ex parte Küchenmeister (1947) 1 K. B. 41 (zitiert

nach Cohn, Monatsschrift f. Deutsches Recht 1947, S. 179). 6) Schoenborn, Die Besetzung von Vera Cruz, 19 14. 7) Gen. Maj. J. F. Maurice, Hostilities without Declaration of War. London,

1883.

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rikanischer Wissenschaftler des Völkerrechts, Hindmarsh, veröffent- lichte 1933 ein Buch unter dem Titel „Force in Peace", das sich mit den Maßnahmen „short of war" befaßte, also mit den „nichtkriegerischen militärischen Gewaltakten" 8).

Die Satzung des Genfer Völkerbundes drehte sich um den Kriegs- begriff. Jeder „Krieg" wurde zur Angelegenheit des ganzen Bundes er- klärt (Art. 11); vor Ablauf von drei Monaten nach schiedsgerichtlicher oder gerichtlicher Entscheidung oder dem Bericht des Völkerbundsrates durfte kein Bundesmitglied zum „Kriege" schreiten (Art. 12).

In den Kriegen, die zur Blütezeit des Völkerbundes ausgefochten wur- den, den japanisch-chinesischen von 1932 und 1937 und dem italienisch- äthiopischen von 1935, war es Sache des Völkerbundsrates, zu befinden, ob Krieg vorlag. In allen drei Fällen waren keine Kriegserklärungen er- gangen, und die Angreifer stellten ihre Handlungen als Polizeiaktion oder Repressalie hin. Im Fernost-Konflikt sah der Völkerbund keinen Anlaß zum Einschreiten. Den afrikanischen Feldzug Mussolinis hingegen er- klärte der Bericht des Sechser-Komitees vom Oktober 1935 als Krieg im Sinne der Satzung. Die Völkerbundsversammlung schloß sich dem an und verhängte Sanktionen. Der Präsident der USA sah 1937 im Fernen Osten keinen Krieg, der zur Neutralität Anlaß gegeben hätte, wohl da- gegen in Afrika 1935/36.

Als die Sowjetunion im zweiten Ostasienkonflikt an China Flugzeuge lieferte, und Japan dagegen protestierte, konnte der Kreml erwidern, es bestehe ja kein Kriegszustand zwischen China und Japan 9).

Auch der Kellogg-Pakt verbietet nur den „Krieg" als Instrument nationaler Politik.

Indes ist die völkerrechtliche Praxis weiser geworden und verläßt sich nicht mehr auf die Kriegsdefinition. Schon der Friedens- und Freund- schaftsvertrag zwischen den USA und Mexiko vom 2. 2. 1842 10) zählte als zu unterlassende Akte auf: Repressalien, Angriff oder Feindseligkeiten irgendwelcher Art. Mehrere Nichtangriffspakte der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen operierten ebenfalls nicht mehr mit dem Wort Krieg, sondern die Partner versprachen sich, keine Gewalt, keine militärischen Aktionen gegeneinander anzuwenden. Die Londoner Konvention zur Definition des Angriffs vom 3. 7. 1933 zwischen Rußland, Afghanistan, Estland, Lettland, Persien, Polen, Rumänien und der Türkei zählte fünf konkrete Tatbestände auf, die als Angriff gelten sollen: 1. Kriegserklärung; 2. Invasion mit bewaffneten Streitkräften ohne Kriegserklärung; 3. An- griff mit Land-, Luft- oder Seestreitkräften ohne Kriegserklärung auy

8) Vgl. auch Georg Kappus, Der völkerrechtliche Kriegsbegriflf in seiner Ab- grenzung gegenüber den militärischen Repressalien, Breslau 1936.

9) Vgl. Kumpi, a. a. U. p. 703 tt. 10) British and Foreign State Papers, Vol. 37, p. 577.

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Gebiet, Schiffe oder Luftfahrzeuge; 4. Blockade; 5. Unterstützung be- waffneter Banden n).

Die Satzung der Vereinten Nationen ist lange nicht so präzis. Art. 39 spricht von der „Bedrohung" und dem „Bruch des Friedens" und von „Angriffshandlungen", deren Vorliegen der Sicherheitsrat bestimmen muß. Hier ist der Kriegsbegriff, auf den die Völkerbundssatzung abstellte, durch den Friedensbegriff ersetzt. Die Vorfrage lautet also nicht : Was ist Krieg? sondern: Was ist Frieden? Der Sicherheitsrat hat dadurch einen weiten Raum der Auslegung. Das mag für seine politische Handlungs- freiheit vorteilhaft sein, eine streng juristische Lösung des Problems der Friedenssicherung - wenn man sie überhaupt für möglich hielte - be- dürfte einer Formulierung konkreter Einzeltatbestände nach dem Muster der Londoner Definition.

III.

Diese Tatbestände sind aber soziologische, und daher wird die Frage nach dem soziologischen Unterschied zwischen Krieg und Frieden be- deutsam. Wenn es schon keine bestimmten und allgemeinverbindlichen juristischen Begriffe von Krieg und Frieden gibt, keine Legaldefinition des Krieges, sondern nur eine Reihe von Einzeltatbeständen und poli- tischen Verhaltensweisen, die zu normieren, mit Rechtsfolgen zu ver- knüpfen, zu verbieten oder zu gestatten sind - führt dann die soziologisch- tatsächliche Betrachtungsweise eine klare Abgrenzung herbei? Mit der Formel Ciceros „inter pacem et bellum nihil est medium" können wir heute nichts mehr anfangen, wenn sie je gestimmt hat. Wie will man denn soziologisch solche internationalen Vorgänge einordnen wie Boykott, Ver- schleppung von Menschen anderer Völker zur Sklavenarbeit, Ausweisung und Enteignung von Millionen Menschen anderer Nationalität, den Ab- bau großer Zweige der Industrie eines anderen Volkes, die russische Blockade von Berlin ? Gehören diese Handlungen zum Tatbestand Krieg oder Frieden? Es gibt nur einen Begriff, der diese Vorgänge deckt und der auch im Völkerrecht gebräuchlich ist, den Begriff der Feindseligkeit, hostility. Akte wie Demontage und Menschenvertreibungen sind sozio- logisch gesehen feindselige Handlungen, deren Wirkungen ähnlich sind wie die von Bombenangriffen und Invasionen. Rechtlich sind sie nur unter der Bedingung davon zu unterscheiden, daß ein überstaatliches, unparteiisches Gericht sie als Strafe oder Reparation durch Urteil ange- ordnet oder ein freiwillig geschlossener Vertrag sie vorgesehen hätte, oder daß sie als Repressalien für begangenes Unrecht gerechtfertigt werden könnten 12). Im Sinne sowohl der hergebrachten Völkerrechtslehre als

11) Zitiert nach Fritz Berber, Locarno, eine Dokumentensammlung, 1936, S. 76.

12) In diesem Zusammenhang interessiert es, daß Edwin Borchard, seit 32

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auch von Clausewitz ist jede „Zerstörung des Kriegspotentials" selbst ein Kriegsakt. Es ist fortgesetzte Politik, fortgesetzter Krieg.

Die letztmögliche Fortsetzung einer solchen Politik besteht in der planmäßigen Ausrottung eines ganzen Volkes, wie sie von Hitler an den Juden versucht wurde, und die wohl der totalste aller totalen Kriegs- akte war.

Diese neuen Formen der Feindbekämpfung und Ausdrücke der totalen Feindseligkeit sind das tragische Gegenstück zu den Bemühungen um Juridifizierung der Weltpolitik, um organisatorische Bewahrung eines „Weltfriedens".

Die neue Staatenpraxis hat somit zu einer weiteren Auflösung und Ausdehnung des Kriegsbegriffs geführt und hat durchaus die Definition von Clausewitz bestätigt: Krieg ist die mit anderen Mitteln fortgesetzte Staatspolitik. Diese Clausewitzsche Gleichung von Krieg und Politik ent- spricht auch der Auffassung Carl Schmitts in seinem „Begriff des Poli- tischen" (1927), für den Politik schlechthin vom Kriege her bestimmt ist und die eigentlich politische Unterscheidung die von Freund und Feind ist. Auch Gustav Radbruch schrieb 1932 in seiner „Rechtsphilosophie" : „Die Politik verhält sich zum Kriege wie die Bedrohung mit der Gewalt zur Gewalt selbst", und meinte, „daß die Politik durch den Krieg in ihrem Wesen bestimmt wird" 13). Besonders bemerkenswert ist, daß auch Emery Reves, der Verfasser der „Anatomie des Friedens" und Mitarbeiter Churchills, die Clausewitzsche Definition Krieg = fortgesetzte Politik sich voll und ganz zu eigen macht. „Friedliche Politik und friedliche Diplomatie" erklärt er als Widersprüche in sich. Er sieht die Methoden der Politik und Diplomatie zwischen souveränen Staaten in Wirklichkeit für gleichbedeutend mit Krieg an 14). Geht Reves also auch von der glei- chen Gegebenheit aus wie Clausewitz und Carl Schmitt, so zieht er doch einen anderen Schluß daraus. Nicht Rüstung und Kampf um den „Platz an der Sonne", um sich zu behaupten in solch einer Welt, sondern Ab- schaffung der internationalen Politik durch Verrechtlichung aller inter- nationalen Beziehungen. Erlaß, Ausführung und Anwendung universaler Gesetze statt Diplomatie und Außenpolitik. Das Buch von Reves bietet so das originelle Beispiel einer Werbung für das Ideal des Weltstaates mit Clausewitzschen Argumenten.

Jahren Professor des Völkerrechts an der Yale Universität, USA, in einem Gut- achten zum Entkartellisierungsverfahren gegen die Robert Bosch GmbH, Stutt- gart, auch die Zwangsentflechtung der deutschen Industrie durch die Besatzungs- mächte als einen „Akt der Feindseligkeit" bezeichnet.

13) Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, S. 200. 14) S. 151 der 2. amerikanischen Ausgabe: „Friedliche Politik, friedliche

Diplomatie sind Widersprüche in sich selbst. In der Welt der Wirklichkeit sind die Methoden der Politik und der Diplomatie zwischen souveränen sozialen Ein- heiten gleichbedeutend mit Krieg und können nie etwas anderes sein."

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Das begriffliche Verhältnis von Krieg und Frieden verschiebt sich in dieser naturalistischen Betrachtungsweise vollkommen zugunsten des Krieges, der das gesamte internationale Leben verschlingt. Die Welt- geschichte erscheint so als ein permanenter Krieg, wie das Leben über- haupt ständiger Kampf ist. Die einzig mögliche «Vorstellung eines Friedens> die diesem totalen Kriegsbegriff noch entgegengesetzt werden kann, ist die einer vollkommenen Ruhe und Harmonie des Himmels, des Grabes oder des Weltstaates. Denn alles zwischenstaatliche Leben ist sonst Kampf.

Neben dieser naturalistischen Umschreibung von Krieg und Frieden gibt es noch eine oberflächliche und beschönigende Betrachtungsweise, die bei vielen Diplomaten und Völkerrechtslehrern üblich ist. Sie über- sieht großzügig oder schamhaft die neuen Methoden der Feindseligkeit, die Fortsetzungen der Politik des 20. Jahrhunderts, und versteht unter Krieg nur den traditionellen Schießkrieg, unter Frieden aber den status quo, die Legalisierung einer Siegesbeute, das Einfrieren eines Besitz- standes. Typischer Ausdruck dafür ist Art. 107 der Satzung der Ver- einigten Nationen: „Nothing in the present Charta shall invalidate or preclude action, in relation to any state which during the Second World War has been an enemy of any signatory of the present charta, taken or authorized as a result of that war by the governments having respon- sibility for such action." Das dürfte heißen - zumindest in sowjetischer Auslegung -, daß Menschenaustreibungen und Oder-Neiße-Grenze Be- standteile des zu schützenden Friedens sind. Auch verdient es Beachtung, daß die Unterscheidung von „Feinden" und Mitgliedern der Vereinten Nationen in dieser Charta, die den Frieden wahren soll, beibehalten wird (Artikel 52 und 107).

Bismarck hat einmal gesagt, er habe das Wort „Europa" immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten 14a). Man kann dieselbe Feststellung auch bei einem gewissen Begriff des Friedens machen.

Der gesunde Menschenverstand, der common sense, der auch in Sozio- logie und Jurisprudenz walten sollte, geht aus von den Begriffen Eintracht und Zwietracht. Frieden bedeutet in den Worten des Hl. Augustin „ge- ordnete Eintracht" 14b), Krieg ist die äußerste Wirkungsweise der sozialen Zwietracht. In einer sozialen Gemeinschaft, wo Zwistigkeiten von un- parteiischen Gerichten entschieden oder in besonderen Verfahren ge- schlichtet werden, überwiegt die allgemeine Eintracht über die indivi-

14a) Diktat in Varzin am 9. 11. 1876, Die Große Politik der europ. Kabinette, 2. Bd. S. 87/88.

I4b) Vom Gottesstaat, V, 3 in der von Josef Bernhart übersetzten KrÖner- Ausgabe S. 316.

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duelle Zwietracht. Man wird eine solche Gemeinschaft als im Friedens- zustand befindlich ansehen können. Erst, wo die Konflikte nicht mehr auf dem Wege der Justiz entschieden werden können, fängt die kriegerische Auseinandersetzung an. So umschreibt auch Reves den Bereich des Krieges, wenn er sagt : „Ob die Anwendung von Gewalt eine Kriegshand- lung oder eine Polizeiaktion ist, hängt von einem einzigen Merkmal ab : ob die Gewalt in Ausführung eines gerichtlichen Urteils gemäß objektiven Rechts in einem konkreten Fall angewandt wird oder nicht" 15).

Wesentlich für echte Justiz ist aber die Unparteilichkeit. Der Miß- brauch des gerichtlichen Verfahrens, der Schauprozeß ist bereits eine Form des Krieges: die Justizförmigkeit der Feindbekämpfung.

IV.

Es hat noch nie einen Weltfrieden gegeben, wenn man darunter den Zustand versteht, daß im ganzen Erdkreis zu gleicher Zeit sämtliche Feindseligkeiten eingestellt waren und alle internationalen Streitigkeiten justizförmig erledigt wurden. Ein solcher absoluter Weltfrieden, der das Einschlafen jeglicher Außenpolitik voraussetzen würde, ist nach mensch- lichem Ermessen auch nicht zu erwarten. In der Geschichte gibt es immer nur relativen, konkreten, räumlich begrenzten Frieden: Entweder als Eintracht zwischen gleichberechtigten Staaten oder Reichen, die zuein- ander im Verhältnis sogenannter normaler Beziehungen, der Neutralität, Freundschaft oder Allianz stehen. Oder zwischen herrschenden und be- herrrschten Staaten. In diesem zweiten Sinne ist Friede dauernde Be- friedung, pax romana, pax britannica, pax americana, pax sovjetica. Be- friedung gilt vom Standpunkt der Beherrschten aber gewöhnlich als Unterdrückung, die in Bekämpfung übergehen kann und den unechten Friedensbegriff des Imperialismus und der Kolonialherrschaft zum Ziel hat.

In der innerstaatlichen Rechtsordnung entsprechen diesen beiden Mög- lichkeiten einer Friedenslage die zwei rechtlichen Konstruktionsprinzipien der Gleichordnung (Privatrecht) und der Unterordnung (Verwaltungs- recht). Friedensbruch kann also entweder Streit Gleichgeordneter oder Widerstand und Aufstand Beherrschter sein.

Dazwischen liegt als dritter Typ sozialer, insbesondere zwischenstaat- licher Beziehungen die Hegemonie. Die Bedeutung dieses sozialen Füh- rungsverhältnisses hat Heinrich Triepel in seinem großen Werk „Die Hegemonie, ein Buch von führenden Staaten" (1938) ausführlich darge- stellt. Hegemonie steht zwischen bloßem Einfluß und Herrschaft. Wäh- rend zur Herrschaft Drohung mit Gewalt, also Zwang gehört, beruht die Hegemonie auf der Anerkennung des führenden durch die geführten Staaten.

15) A. a. O. S. 216.

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Der konkrete, relative, historische Friede zwischen zwei oder mehr Staaten kann mit drei organisatorischen Prinzipien bewirkt werden: Koordination, Subordination oder Hegemonie. Die Unterordnung aller- dings - wenn sie der Unterdrückung gleichkommt - kann als Prinzip ebenso des Krieges wie des Friedens aufgefaßt werden. Den Frieden der Eintracht ermöglichen am ehesten die Gleichordnung und die Hegemonie. Die Hegemonie einer Großmacht und nicht ein Weltstaat - was immer man sich darunter vorstellt - ist auch die wahrscheinliche Form einer kommenden Weltordnung.

V.

Wenn man sich bewußt ist, daß Friede Eintracht bedeutet, dann weiß man auch: das Problem des Friedens ist kein juristisches, kein organi- satorisches, sondern ein psychologisches. Es entsteht aus dem, was Sig- mund Freud den Destruktionstrieb oder Todestrieb nennt 16). Freud sieht namentlich in dessen Hauptart, dem Aggressionstrieb, eine natürliche An- lage des Menschen und hält es für die Schicksalsfrage der Menschenart, „ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden . . ." Manche Friedensplaner ver- sprechen sich denn auch in Erkenntnis dieser psychologischen und sozio- logischen Untergründe nur einen beschränkten Fortschritt von der Ver- wirklichung ihrer Vorschläge. Reves scheint auch im Weltstaat mit Bürgerkriegen zu rechnen, da er ihre Verhütung nicht erwähnt. Sein Vorläufer James Lorimer erhoffte sich von der Weltregierung, die er in seinem Lehrbuch der „Institutes of the Law of Nations" entwarf, nur „ein Überwiegen der Ordnung über die Anarchie", keine absolute Ord- nung. Er wollte Kriege einfach umbenennen in „internationale Rebel- lionen" 17).

Jeder Versuch einer legalistischen Lösung des Friedensproblems, ganz gleich ob mit Verträgen oder mit Gesetzen, wird vermutlich bei einer Änderung der Terminologie enden. Aus Angriffen werden Aufstände, aus Kriegen - Bürgerkriege. Darin liegt auch der stärkste Einwand gegen den Weltstaatsgedanken und gegen die These von Reves, daß nicht Verträge, sondern Gesetze Frieden machten.

Die Sinnlosigkeit aller legalistischen Versuche der internationalen Frie- densbewahrung und die wirkliche Rolle der Vereinten Nationen wird gegenwärtig in China erneut kräftig bewiesen. Während sich Sicherheits- rat und Vollversammlung in fruchtlosen Debatten über Nebenkonflikte

16) Das Unbehagen in der Kultur, 1930. 17) James Lorimer, The Institutes of the Law ot Nations, 1884, Vol. 11, p. i»4>

286.

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wie Berlin und Palästina ergehen, wird im Fernen Osten eine weltge- schichtliche Entscheidung von größter Tragweite durch einen Krieg ge- fällt, von dem die Vereinten Nationen keine offizielle Kenntnis nehmen.

Alle Friedenspläne, die auf abstrakten und leeren Begriffen wie Welt- friede, ewiger oder dauernder Friede, Weltrecht, Weltstaat aufbauen, mißachten die Wirklichkeit dieser Erde. Es fällt nicht schwer, sie mit einer durchschauenden Krieg-Frieden-Dialektik zu widerlegen. Es läßt sich nachweisen, daß oft genug mit Frieden ganz handfeste Machtpositionen und Besitzverhältnisse gemeint sind oder aber eine himmlische Harmonie und Ruhe. Krieg wird meistens zu eng als Schießkrieg aufgefaßt, obwohl sich in neuen Wortbildungen wie Nervenkrieg und kalter Krieg die er- weiterte Erkenntnis längst Ausdruck geschaffen hat17a).

Praktische Politik und wissenschaftliches Denken, die beide vom com- mon sense geleitet sein sollen, können nur immer konkreten, relativen Frieden erstreben. Sie dürfen weder auf einen Weltstaat noch auf einen Endzustand der Welt warten. Sie dürfen auch nicht annehmen, daß es feste allgemein verbindliche oder gar natürliche Rechtssätze für jeden internationalen politischen Konflikt gibt, die eine eindeutige juristische Lösung ermöglichen.

Sache der Soziologie ist es, von den neuen Methoden der Feindselig- keit, den Fortsetzungen der Politik des 20. Jahrhunderts Kenntnis zu nehmen; Sache der Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts, sie als Tatbestände festzustellen und Rechtsfolgen daran zu knüpfen. Das ist teilweise - wenn auch nur gegen die Angehörigen der Achsenmächte - im Londoner Abkommen vom 8.8. 1945 geschehen, wo als strafbare Tat- bestände Verschleppung, Ausrottung usw. aufgeführt sind. Das geschieht auch in einer Konvention über den Völkermord (Genocidium), den die Kommission für Menschenrechte des Wirtschafts- und Sozialrats der VN beschlossen und die VN- Vollversammlung angenommen hat 18). Sache einer Politik aber, die sich nicht bis in den Schießkrieg fortsetzen will, sondern zum Frieden der Eintracht strebt, ist es, nationale Interessen billig, vernünftig und ökonomisch auszugleichen. Eine konkrete politische oder wirtschaftliche Konzession eines mächtigen gegenüber einem schwa- chen Staat, eines siegreichen gegenüber einem besiegten, oder der Groß- mächte untereinander ist mehr wert als ein Dutzend Friedens- und Welt- staatpläne und allgemeiner Konventionen.

17a) Dafür bezeichnend der Artikel „Ein Krieg, der nicht erklärt wird" von Horst S. Rauch in der Neuen Zeitung, Amerikanische Zeitung f. d. deutsche Be- völkerung, 1949 Nr. 66 (4. 6.) S. n, der es für möglich hält, daß der dritte Welt- krieg mit den Kampfmitteln wie Streik, Demonstrationen, Scheinkundgebungen für den Frieden, Blockaden usw. schon begonnen hat.

18) Bis Mai 1949 haben 23 Staaten unterzeichnet, vgl. Neue Zeitung vom 30. 4. 1949. Archiv des Völkerrechts 2. H. 1. 4

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50 Rumpf, Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden

VI.

Das beste, was an konkretem Frieden in dieser Welt zu erhoffen ist, kommt aus gerechtem Ausgleich von nationalen Belangen durch Verhand- lung, Vermittlung, Schiedsspruch und - soweit sichere Normen gegeben sind - durch Urteil.

Ohne ein Verfahren zur Revision einmal geschaffener Besitzverhält- nisse gibt es keine Eintracht. Wilson war sich dessen noch klar bewußt. Sein erster Entwurf zum Völkerbundspakt sah vor, daß die Völkerbunds- versammlung mit einer Mehrheit von Dreiviertel Gebietsänderungen be- schließen könne, wenn die Bevölkerung des betroffenen Gebietes in einer Volksabstimmung einen solchen Wunsch äußere 19). Artikel 19 des Völker- bundspaktes gab dann aber der Völkerbundsversammlung nur die Befug- nis, die Bundesmitglieder aufzufordern, unanwendbar gewordene Ver- träge und internationale Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Welt- frieden gefährden könnte, zu überprüfen. Von dieser Bestimmung ist kein Gebrauch gemacht worden. In der Satzung der Vereinten Nationen fehlt jede Revisionsklausel. Abgesehen von Artikel 107, dem Revisions- verbot zu Lasten der Feindstaaten, gibt es allerdings auch kein Gegen- stück zu Artikel 10 der Völkerbundssatzung, der die Garantie des status quo enthielt. Wenn man nun im Sinne Wilsons und des Artikels 19 der Völkerbundssatzung unanwendbar gewordene Verträge und Besitzverhält- nisse für eine Bedrohung des Friedens ansieht, ist es durchaus möglich, die Satzung der Vereinten Nationen revisionsfreundlich auszulegen, und darin läge eine Chance für die künftige Weiterbildung dieser Organi- sation.

Nur so ließen sich die veränderlichen Tatsachen des internationalen Lebens, wie Bevölkerungsbewegungen, Angebot und Nachfrage an Roh- stoffen, Lebensmitteln und industrieller Produktion, mithin alle bio- logischen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen von Konflikten und Kriegen, nach Gesichtspunkten der Billigkeit und im Geiste des Kompro- misses ausgleichen. Denn konkreter Frieden besteht im Ausgleich von Interessen und nicht in der Erstarrung von Grenzen und Besitztiteln, noch in einer überirdischen Harmonie und Stille. Das Reich des ewigen Friedens aber ist nicht von dieser Welt.

19) Vgl. v. Freytagh-Loringhoven, Die Satzung des Völkerbundes, 1926, S. 212.

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