der politische widerspruch der kritischen theorie adornos - hans-jürgen krahl

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  • 8/8/2019 Der politische Widerspruch der Kritischen Theorie Adornos - Hans-Jrgen Krahl

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    24. Der politische Widerspruch der Kritischen Theorie Adomos*

    Adornos intellektuelle Biographie ist bis in ihre sthetischen Abstraktionen hinein von der Erfahrung des Faschismus gezeichnet. Die Re-flexionsweise dieser Erfahrung, die an den Gebilden der Kunst den unauflsbaren Zusammenhang von Kritik und Leiden abliest, macht dieKompromisslosigkeit des Anspruchs auf Negation aus und weist ihnzugleich in seine Grenzen. ln der Reflexion auf die durch die konomischen Naturkatastrophen der kapitalistischen Produktion hervorgetriebene faschistische Gewalt, wei das beschdigte Leben, dass essich der Verstrickung in die ideologischen Widersprche der brgerlichenIndividualitt, deren unwiderruflichen Zerfall es erkannt hat, gleichwohlnicht entziehen kann. Der faschistische Terror produziert nicht nur dieEinsicht in den hermetischen Zwangscharakter der hochindustrialisierten Klassengesellschaften, er verletzt auch die Subjektivitt des Theoretikers und verfestigt die Klassenschranke seines Erkenntnisvermgens.Das Bewusstsein davon spricht Adorno in der Einleitung der minimamoralia aus: Die Gewalt, die mich vertrieben hatte, verwehrte mir zugleich ihre volle Erkenntnis. Ich gestand mir noch nicht die Mitschuld zu,in deren Bannkreis gert, wer angesichts des Unsglichen, das kollektivgeschah, von Individuellem berhaupt redet.Es scheint, als sei Adorno durch die schneidende Kritik amideologischenDasein des brgerlichen Individuums hindurch unwiderstehlich in dessen Ruine gebannt. Dann aber htte Adorno die Vereinsamung der Emigration nie wirklich verlassen. Das monadologische Schicksal des durchdie Produktionsgesetze der abstrakten Arbeit vereinzelten Individuumsspiegelt sich in seiner intellektuellen Subjektivitt. Daher vermochteAdorno die private Passion angesichts des Leidens derVerdammten dieser Erde nicht in eine organisierte Parteilichkeit der Theorie zur Befreiungder Unterdrckten umzusetzen.Adornos gesellschaftstheoretische Einsicht, derzufolge das Nachlebendes Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicherdenn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratieanzusehen sei, lie seine progressive Furcht vor einer faschistischen Stabilisierung des restaurierten Monopolkapitals in regressive Angst vorden Formen praktischen Widerstands gegen diese Tendenz des Systemsumschlagen.Er teilte die Ambivalenz des politischen Bewusstseins vieler kritischer Intellektueller in Deutschland, die projizieren, die sozialistische Aktion vonlinks setze das Potential des faschistischen Terrors von rechts, das siebe-* Der Beitrag von Hans-Jrgen Krahl zum Tode von Theodor W. Adorno ist am 13.8.1969 in

    der nFrankfurter Rundschau erschienen. (Anm. d. Hg.)Der politische Widerspruch der Kritischen Theorie Adornos 291

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    kmpft, berhaupt erst frei. Damit aber ist jede Praxis a priori als blindaktionistisch denunziert und die Mglichkeit politischer Kritik schlechthinboykottiert, nmlich die Unterscheidung zwischen einer im Prinzip rich-tigen vorrevolutionren Praxis und deren kinderkranken Erscheinungs-formen in entstehenden revolutionren Bewegungen.Im Gegensatz zum franzsischen Proletariat und seinen politischen In-tellektuellen fehlen in Deutschland eine ungebrochene Tradition gewalt-samer Resistance und damit die geschichtlichen Voraussetzungen freine von lrrationalisierungen entlastete Diskussion der historischen Legi-timitt von Gewalt. Die herrschende Gewalt, die Adornos eigener Ana-lyse zufolge auch nach Auschwitz zur neuen Faschisierung drngte, wrekeine, wenn die marxistische Waffe der Kritik

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    Adornos mikrologische Darstellungskraft frderte aus der Dialektik vonWarenproduktion und Tauschverkehr die verschttete emanzipative Dimension der Marxschen Kritik der politischen konomie zutage, derenSelbstbewusstsein als einer revolutionren Theorie, also einer Lehre, deren Aussagen die Gesellschaft unter dem Aspekt radikaler Vernderungkonstruieren, den marxistischen Wirtschaftstheoretikern der Gegenwartzumeist verlorengegangen ist. Adornos wesenslogische Reflexion aufdie Kategorien der Verdinglichung und Fetischisierung, der Mystifikation und zweiten Natur, berlieferte das Emanzipationsbewusstsein deswestlichen Marxismus der zwanziger und dreiiger Jahre, Korschs undLukacs', Horkheimers und Marcuses, wie er sich in Opposition zum offiziellen Sowjetmarxismus ausbildete.Ursprung und Identitt entschlsselte Adorno in seiner Philosophiekritikder fundamentalontologischen Seins- und positivistischen Faktizittsideologie als Herrschaftskategorie der Zirkulationssphre, deren liberaleLegitimationsdialektik brgerlicher Sittlichkeit, der Schein des gerechtenTausches gleicher Warenbesitzer, sich lngst aufgelst hat.Doch dasselbe theoretische Instrumentarium, vermittels dessen Adornodiese gesamtgesellschaftliche Erkenntnis zu realisieren vermochte, verstellte ihm auch den Blick auf die historischen Mglichkeiten einer befreienden Praxis.ln seiner Ideologiekritik am Tod des brgerlichen Individuums zittert einMoment berechtigter Trauer nach. Doch ber diese radikalisierte letzteBrgerlichkeit seines Denkens konnte Adorno im Hegeischen Sinn diesesBegriffs nicht immanent hinausgehen. Er blieb an sie mit furchtsamenBlick auf die schreckliche Vergangenheit fixiert: das immer zu spt kommende Bewusstsein dessen, der erst in der Dmmerung zu begreifen anfngt.Adornos Negation der sptkapitalistischen Gesellschaft ist abstrakt geblieben und hat sich dem Erfordernis der Bestimmtheit der bestimmtenNegation verschlossen, jener dialektischen Kategorie also, der er sich ausderTradition Hegels und Marxens verpflichtet wusste. Der Praxisbegriffdes Historischen Materialismus wird in seinem letzten Werk, der Negativen Dialektik, nicht mehr auf den sozialen Wandel seiner geschichtlichen Formbestimmungen hin befragt, den brgerlichen Verkehrs- undproletarischen Organisationsformen. ln seiner kritischen Theorie spiegeltsich das Absterben der Klassenkmpfe als Verkmmerung der materialistischen Geschichtsauffassung.Zwar war einst fr Horkheimer die Zurechnung der Theorie zur befreienden Praxis des Proletariats programmatisch; doch die brgerliche Or-ganisationsform der KritischenTheorie brachte schon damals Programmund Durchfhrung nicht zur Deckung. Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch den Faschismus und ihre scheinbar unwiderrufliche ln-Der politische Widerspruch der Kritischen Theorie Adornos 293

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    tegration in der Rekonstruktion des westdeutschen Nachkriegskapi-talismus vernderten den Sinn der Begriffe der Kritischen Theorie. Siemussten notwendig an Bestimmtheit verlieren, doch vollzog sich dieserAbstraktionsprozess blind.Die konkrete und 'materiale Geschichte, die Adorno dem Geschichts-losen Begriff der Geschichte, der Geschichtlichkeit Heideggers kritischentgegensetzte, wanderte immer mehr aus seinem Begriff gesellschaft-licher Praxis aus und ist in seinem letzten Werk, der Negativen Dialek-tik, derart verdunstet, dass sie der transzendentalen Armut der Heideg-gerschen Kategorie assimiliert erscheint.Zwar bestand Adorno in seinem Referat auf dem deutschen Soziologen-tag zu Recht mit Nachdruck auf einer Geltung der marxistischen Orthodo-xie: die industriel len Produktivkrfte seien immer noch in kapitalistischenProduktionsverhltnissen organisiert, und die politische Herrschaft be-ruhe nach wie vor auf der konomischen Ausbeutung der Lohnarbeiter.Doch so sehr seine Orthodoxie auch in Konflikt mit der herrschendenwestdeutschen Soziologie auf jener Tagung geriet, so musste sie dochfolgenlos bleiben, denn die kategorialen Formen waren nicht auf die ma-teriale Geschichte bezogen.Dieser fortschreitende Abstraktionsprozess von der geschichtlichen Pra-xis hat Adornos Kritische Theorie in die kaum noch legitimierbaren Kon-templationsformen der traditionellen Theorie zurckverwandeltDerTraditionalisierungsprozess seines Denkans erweist seine Theorie alseine altgewordene Gestalt der Vernunft in der Geschichte. Die materia-listische Dialektik der gefesselten Produktivkrfte reflektiert auf der Ebeneseines Denkans in die Vorstellung der sich selber fesselnden Theorie,welche unentrinnbar in die Immanenz ihrer Begriffe verstrickt ist. Ist dasZeitalter der Interpretation der Welt vorber und gilt es, sie zu verndern,dann nimmt die Philosophie Abschied ... nicht die Erste Philosophie istan der Zeit, sondern eine letzte. Diese letzte Philosophie Adornos hatsich von ihrem Abschied nicht verabschieden wollen und knnen.

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