der lückenschluß im frontzahnbereich als teilaufgabe der kieferorthopädischen behandlung

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Hausser. Der Liiekensehlu[~ im Frontzahnbereich usw. 139 Aus der kieferorthop~dischen Abteilung der Universitiitsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und und Kieferkrankheiten Hamburg (Direktor: Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Karl Schuchardt) Der LiickenschluB im Frontzahnbereich als Teilaufgabe der kieferorthopiidischen Behandlung Von E. Hausser, Hamburg 3Iit 15 Abbildungen In der Zeit des Frontzahnweehsels sind nieht selten Unregelmggigkeiten in der Einstellung der bleibenden Sehneidez/~hne vorhanden und das Fehlen einzelner oder mehrerer Frontz/~hne bleibt oftmals ]ange unbemerkt, wenn nieht naeh dem Ausfall des Milehzahnes der Durehbrueh des bleibenden Sehneidezahnes unge- wShnlieh verzSgert ist und dadureh die Liieke als stSrend empfanden wird. Jede Unregelra~gigkeit im Frontzahnweehsel ist ] edoeh als ein Alarmzeiehen anzusehen und bedarf daher unverziiglieh der Kl~irung, denn die einzelne Besonderheit kann dureh ganz versehiedenartige Ursaehen bedingt sein. Zu besonders sehwerwiegenden Folgeerseheinungen ira Frontzahnbereieh fiihren friihzeitige traumatisehe Seh~digungen yon Zahnkeimen, eine Niehtanlage einzelner Zghne -- im Oberkiefer zumeist der seitliehen Sehneidez~hne, im Unter- kiefer der mittleren Sehneidezghne -- und ein Verlust bleibender Frontz~hne naeh ihrer Einstellung ira Zahnbogen, da sie stets ein ungiinstiges GrSgenver- h~ltnis der oberen und unteren Zahnreihe bedingen, das nieht nur zu einer un- giinstigen Einordnung der ZShne in den Zahnb6gen fiihrt, sondern zumeist aueh den Zusammenbig der Zahnreihen und die Okklusion in erhebliehem Umfange be- eintr~ehtigt. Dureh das Fehlen yon Z/ihnen im Frontzahnbereieh ist daher fast. imraer eine starke Verminderung der Funktionsf~higkeit des Gebisses urs/~ehlieh bedingt, denn dadureh werden auger dem/~sthetisehen Eindruek und der Spraeh- bildung aueh die artikulgren Verh/~ltnisse so weitgehend beeinflugt, dab die ein- zelnen Z~hne ihre funktionellen Aufgaben auf die Dauer nieht erfiillen kSnnen. Mit dem Fehlen yon Frontzghnen entstehen somit nieht nur kaufunktionelle, biostatisehe und biodynamisehe Probleme im Gebil3, sondern es erfahren dadureh aueh die Myofunktionen, insbesondere die Lage und Funktion der Zunge bei der Spraehlautbildung und dem Sehluekvorgang, sowie die J~sthetik oftmals eine augerordentlieh ung/instige Beeinflussung, die dann wiederum aueh nieht ohne I{~iekwirkungen auf die Gebigformen bleibt. Die Iterstellung einer gesehlossenen Zahnreihe ist daher aueh ein Erfordernis, dem ftir die Erfiillung dieser vielseitigen Aufgaben des Kauorgans groge Bedeutung zukoramt. Beim Fehlen einzelner Frontz~hne steht daher zwar der Liiekensehlug im Frontzahngebiet zur Beseitigung der /isthetisehen Beeintr/tehtigung im Vorder- grund des therapeutisehen Bemiihens, die Sehaffung optimaler Verh~ltnisse fiir die Funktionsfghigkeit des Kauorgans setzt abet voraus, dab dabei nieht nut eine liiekenlose Zatmreihe ira siehtbaren Sehneidezahngebiet hergestellt wird, sondern die Form des ganzen Gebisses unter Beriieksiehtigung aller dabei wiehtigen Fak-

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Hausser. Der Liiekensehlu[~ im Frontzahnbereich usw. 139

Aus der kieferorthop~dischen Abteilung der Universitiitsklinik und Poliklinik fiir Zahn-, Mund- und und Kieferkrankheiten Hamburg

(Direktor: Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Karl Schuchardt)

Der LiickenschluB im Frontzahnbereich als Teilaufgabe der kieferorthopiidischen Behandlung

Von E. Hausser, Hamburg

3Iit 15 Abbildungen

In der Zeit des Frontzahnweehsels sind nieht selten Unregelmggigkeiten in der Einstellung der bleibenden Sehneidez/~hne vorhanden und das Fehlen einzelner oder mehrerer Frontz/~hne bleibt oftmals ]ange unbemerkt , wenn nieht naeh dem Ausfall des Milehzahnes der Durehbrueh des bleibenden Sehneidezahnes unge- wShnlieh verzSgert ist und dadureh die Liieke als stSrend empfanden wird. Jede Unregelra~gigkeit im Frontzahnweehsel ist ] edoeh als ein Alarmzeiehen anzusehen und bedarf daher unverziiglieh der Kl~irung, denn die einzelne Besonderheit kann dureh ganz versehiedenartige Ursaehen bedingt sein.

Zu besonders sehwerwiegenden Folgeerseheinungen ira Frontzahnbereieh fiihren friihzeitige traumatisehe Seh~digungen yon Zahnkeimen, eine Niehtanlage einzelner Zghne - - im Oberkiefer zumeist der seitliehen Sehneidez~hne, im Unter- kiefer der mitt leren Sehneidezghne - - und ein Verlust bleibender Frontz~hne naeh ihrer Einstellung ira Zahnbogen, da sie stets ein ungiinstiges GrSgenver- h~ltnis der oberen und unteren Zahnreihe bedingen, das nieht nur zu einer un- giinstigen Einordnung der ZShne in den Zahnb6gen fiihrt, sondern zumeist aueh den Zusammenbig der Zahnreihen und die Okklusion in erhebliehem Umfange be- eintr~ehtigt. Dureh das Fehlen yon Z/ihnen im Frontzahnbereieh ist daher fast. imraer eine starke Verminderung der Funktionsf~higkeit des Gebisses urs/~ehlieh bedingt, denn dadureh werden auger dem/~sthetisehen Eindruek und der Spraeh- bildung aueh die artikulgren Verh/~ltnisse so weitgehend beeinflugt, dab die ein- zelnen Z~hne ihre funktionellen Aufgaben auf die Dauer nieht erfiillen kSnnen.

Mit dem Fehlen yon Frontzghnen entstehen somit nieht nur kaufunktionelle, biostatisehe und biodynamisehe Probleme im Gebil3, sondern es erfahren dadureh aueh die Myofunktionen, insbesondere die Lage und Funktion der Zunge bei der Spraehlautbildung und dem Sehluekvorgang, sowie die J~sthetik oftmals eine augerordentlieh ung/instige Beeinflussung, die dann wiederum aueh nieht ohne I{~iekwirkungen auf die Gebigformen bleibt. Die Iterstellung einer gesehlossenen Zahnreihe ist daher aueh ein Erfordernis, dem ftir die Erfiillung dieser vielseitigen Aufgaben des Kauorgans groge Bedeutung zukoramt.

Beim Fehlen einzelner Frontz~hne steht daher zwar der Liiekensehlug im Frontzahngebiet zur Beseitigung der /isthetisehen Beeintr/tehtigung im Vorder- grund des therapeutisehen Bemiihens, die Sehaffung optimaler Verh~ltnisse fiir die Funktionsfghigkeit des Kauorgans setzt abet voraus, dab dabei nieht nut eine liiekenlose Zatmreihe ira siehtbaren Sehneidezahngebiet hergestellt wird, sondern die Form des ganzen Gebisses unter Beriieksiehtigung aller dabei wiehtigen Fak-

140 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 30 (1969) H. 2

toren eine Gestaltung erf/~hrt, die zwischen Form und Funktion einen ausgewo- genen Gleiehgewiehtszustand erwarten 1/s

Die Entscheidung, ob ein LiiekenschluB durch kieferorthop/idische MaBnahmen m6glich ist, oder ob die fehlenden Z~hne prothetisGh ersGtzt werden sollen, ist zun/i.ehst von den morphologischen Verh/fltnissen und dem Entwicklungsstand des Gebisses abh/ingig, da die MSglichkeiten der kieferorthop/~dischen Umformungen

Abb. 1. Fall H. R., Beobachtung vom 7. bis zum 14. Lebensjahr. Nichtanlage 2], ]2 nur als Kiimmerform eines Zapfenzahnes vorhanden, die entfemt wurde. Extraktion der stark ge- fiillten und kari6sen ersten unteren Molaren im Alter yon 111/2 Jahren. Umformung der Zahn-

b6gen mit Plattenbehelfen und Federelementen

begrenzt sind, sie werden daher auch yon dem Alter weitgehend bestimmt, denn die friihzeitige Feststellung einer Niehtanlage bleibGnder Sehneidez~hne Gr6ffnet in vorteilhafter Weise die M6glichkeit einGr Ausnutzung natfirlieher Waehstums- und Entwicklungstendenzen bei der Einstellung der bleibGnden Z/ihne.

So wurde bei der PatiGntin H. R. (Abb. l) sehon im Alter yon 7 Jahren be- karmt, dab der reGhte obere seitliche Schneidezahn i iberhaupt nicht und der linke obGre seitliche Schneidezahn nut als Rudiment angelegt waren, da das Kind nach einem traumatischen Insul t auf die untere Front in die Klinik gebracht wurde und sich bei der r6ntgenologischen Untersuehung dieser Befund ergab. Auf der rechten Seite im Oberkiefer hat te Gin friihzeitigGr VGrlust des zweiten Milch- molaren dem ersten Molaren bereits erm6glicht, unter Ausnutzung der Lficke mesial zu wandern and sich damit in distaler Okklusionsbeziehung einzustellen. iMJt der Entfernung des linken oberen zweiten Milehmolaren wurde daher in gleieher Weise eine Mesialwanderung des linken oberen Seehsjahrmolaren ange-

Hausser, Der L(ickenschlull im Frontzahnbereich usw. 141

strebt, so dab dadttreh die Mesialeinstellung der oberen Seitenz/~hne eingeleitet wurde, nachdem eine Erhaltung der Kiimmerform des linken oberen seitfichen Schneidezahnes nicht sinnvoll ersehien. Dieses Vorgehen - - friihzeitige Entfer- mmg der zweiten Milchmolaren - - bei Nichtanlage oberer seitlicher Schneide- z/ihne hat sich in jeder Hinsicht bew/ihrt, wean die Iqiehtanlage friihzeitig er- kannt wird. In denmeisten F/~llen bedarfesallerdingsauch noch einer Unterstfitzung dieser alveol/iren Mesialbewegung der Seitenz/ihne durch kieferorthop/~dische MaBnahmen, sie sind aber im allgemeinen nut von geringem Umfang, wenn auch die ~berwachung des Gebisses nicht vor dem Durehbruch der zweiten Molaren abgeschlossen werden sollte.

Abb. 2. Fall G. D. Nichtanlage der oberen seitliehen Schneidez~hne. Liickenschlufl durch al- veol~re Mesialbewegung im oberen Seitenzahngebiet. Bauer der gesamten kieferorthopiidi- schen Behandlung mit herausnehmbarem PlattenbehelfeinschlieBlich der Retention 3 ~ Jahre

Bei der Patientin I-I. R. wurden dann auch noch die ersten unteren Molaren kurz vor dem Durchbruch der zweiten Molaren entfernt, da sie stark gefiillt waren und nicht mehr allzulange erhaltungsf~hig erschienen. Diese Verringerang der Zahnzahl im Unterkiefer hat dutch die damit verbundene Wachstumshemmung jedoch nur in geringem Umfange dazu beigetragen, eine gescblossene Zahnreihe mit befriedigenden artikul/~ren Verh/~l~nissen zu erhalten.

Diese Annahme diirfte durchaus bereehtigt sein, denn auch bei dem Fall D. G. (Abb. 2) konnte eine einwandfreie distale Verzahnung im Seitenzahngebiet auf die gleiche Weise ohne eine Zahnentfernung im Unterkiefer erreicht werden. Die erforderlichen Umformungen erfolgten in beiden F/illen mit herausnehmbaren Ger/~ten mit Federelementen, wobei eine Unterentwicklung der Zahnb6gen in transversaler Riehtung durch eine Dehnung gleichzeitig beeinfluBt wurde. Die Einordnung der Eckz/ihne ansteUe der seitliehen Sehneidez/ihne und die anschlie- l~ende alveol/~re Mesialentwieklung der oberen Seitenz/ihne ist dagegen wesentlich schwieriger, wenn den ersten Molaren eine frfihzeitige Mesialwandertmg nicht er- mSglieht wird und die Seitenz/~hne dann einzeln aveol/ir naeh mesial bewegt werden mfissen, well auf Grand des gnathometrischen und kraniometrischen Beftmdes eine Ausgleichsextraktion im Gegenkiefer nicht angezeigt ist. Es kann dann erforderlich

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sein, umfangreiche therapeutische Hilfsmittel unter giinstiger Ausnutzung rezi- proker und station/~rer Verankerung zur Durchfiihrung der einzelnen Umformun- gen einzusetzen, am nicht nur einen Liickenschlul3 im anterioren Bereich, sondern

Abb. 3. Fall E. H. mit Nichtanlage der oberen seitlichen Schneidez~hne bei Neutralokklusion und frontal offenem BiB. Behandlungsbeginn mit herausnetlmbaren Behelfen, intermaxill~ren Gummiziigen und Kopf-Kinn-Kappe im Alter yon 10 Jahren. Anfangs- und Endmodelle nach

2j~hriger kieferorthop~discher Behandlung

Abb. 4. FernrSntgen-Profilaufnahmen des Falles E. H. vor und nach AbschluB der Behandlung

auch eine befriedigende Okklusion der Zahnreihen zu erreichen; denn beim Fehlen eines Zahnes im oberen Zahnbogen sollten mit dem LiickenschluB im Seitenzahn- gebiet zwangsl/~ufig distale Okklusionsbeziehungen entstehen.

Die Nichtanlage der oberen seitlichen Schneidez/~hne bei der Patientin E. It. (Abb. 3 bis 5) wurde zwar schon friihzeitig erkannt, und es win-de dann zur Be- seitigung einer ung/instigen Schrmidezahrtrelation unter Aul3erachtlassung der neu-

Hausser, Der LtickenschluB im Frontzahnbereich usw. 143

tralen Okldusionsbeziehungen im Seitenzahnbereieh nur eine Protrusion der oberen Frontz/~hne durchgefiikrt. Dadureh ents tand eine nng/instige Kippung der oberen Sehneidez/thne und damit ein frontal oftener BiB und eine zunehmende Vergr6ge- rung der frontalen Ltieken. Gebigbefund, Kiefergesiehts-Beziehungen tmd gnatho- metrisehe Analyse lieBen weder eine Liieken6ffnung f~r einen prothetiseken Er- satz der oberen seitliehen Sehneidez/tkne noch eine Ausgleiehsextraktion im Un- terkiefer sinnvoll erseheinen und so wurde versueht, mittels Kopf -Kinn-Kappe

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Abb. 5. Durchzeichnung der FernrSntgen-Profilaufnahme des Falles E. H. nach der NS zur Deekung gebraeht

einer weiteren mandibulgren Sagittalentwieklung entgegenzuwirken, und dureh intermaxill/ire Gummiztige die alveolgre Mesialentwieklung der unteren Zahnreihe zu hemmen und eine Mesialbewegung der oberen Seitenzghne zu untersttitzen, so dab die oberen mittleren Sehneidezghne aufgeriehtet und dabei die frontalen Liieken verkleinert sowie der frontal offene Bi6 gesehlossen werden konnte. Dieses Behandlungsziel ~ntrde innerhalb einer Behandlungszeit yon 2 Jahren erreieht und, wie aus dem Vergleieh der Fernr6ntgenprofilaufnahmen (Abb. 5) zu ersehen ist, sind die distalen Okklusionsbeziehungen im Seitenzahnbereieh weitestgehend dureh alveol/tre Zahnstellungsver/inderungen, besonders der oberen Seitenz~hne, entstanden.

Beim Fehlen mu" eines seitlichen Sehneidezahnes kann auf die gleiehe Weise wie beim Niehtvorhandensein beider seitlieher Sehneidez/ilme dutch eine Mesial- bewegung der oberen Seitenz/ihne ein Liiekensehlug erfolgen. Es entsteht da- dureh jedoeh nur auf einer Seite eine distale Verzahnung, und das Bild der Front- zahnreihe kann dureh die asymmetriselae Zahns te l lung- - insbesondere bei einer runden und spitzen Eekzatmform - - reeht ungtinstig beeinflugt werden. So hat die Einordnung des reehten oberen Eekzahnes neben dem mitt leren Setmeide- zahn bei dem Fall g . W. (Abb. 6), bei dem im Alter yon 10 Jahren der reehte

144 Fortschritte'der Kieferorthol~die Bd. 30 (1969) H. 2

obere seitliche Schneidezahn durch ein Trauma verlorenging, zu einem /s tisch nicht ganz befriedigenden Ergebnis gefiihrt, zumal der linke seitliche Schneide- zahn auch noch verh/iltnism/~Big klein ist. Der sehr spitze Eckzahn bei dem Fall KI-I. O. (Abb. 7), der nach Verlust des linken oberen seitlichen Scheidezahnes zttm LfickenschluB nach mesial bewegt wurde, stSrt dagegen das Bild der Front- zahnreihe nur verh/~ltnism/~Big wenig, da er durch Abrunden der Spitze weitgehend

Abb. 6. Traumatischer Verlust des rechten oberenseitlichen Schneidezahnes im Alter von l0 Jahren. Mesialbewegung der rechten oberen Seitenz~hne im Rahmen der kieferorthop/~dischen Behandlung der Kieferkompression mit frontalem Engstand bei ])istalbill mit herausnehm-

baren Behelfen, die einscl~lieBlich Retention 4 ffahre in Anspruch nahm

Abb. 7. Verlust des linken oberen seitlichen Schneidezahnes und Entfernung des linken unteren ersten Pr~molaren im Alter yon 15 Jahren bei einer Kieferkompression mit frontalem Engstand beiNeutralbill und Folgen vorzeitigen Milchzahnverlustes im Unterkiefer. Liicken- schluB im Rahmen der kieferorthop~dischen Behandlung mit herausnehmbaren Plattenbe-

helfen innerhalb einer Behandlungszeit yon 4 Jahren einschlieBlich Retention

der Form des rechten seitlichen Schneidezahnes angeglichen werden konnte. In Anbetracht des Alters yon 15 Jahren wurde bei diesem Fall ~uch der liake untere erste Pr/imolar entfernt, um dadurch die 1V[esialbewegung im Seitenzahngebiet unter Erhaltung der HScker-Fissuren-Verzahung zu erleichtern, nachdem im tmteren Zahnbogen bereits ein erheblicher Engstand vorhanden war und auch eine Einordaung des ersten Pr/imolaren kaum erreichbar erschien.

Hinsichthch der Frage prothetischer oder kieferorthop/idischer Lfickenschlu6 bestehen zwischen dem Fehlen eines seitlichen oder eines mittleren Schneide- zalmes keine wesentlichen Unterschiede, da eine Einordnung des seitlichen Schnei- dezahnes anstelle des fehlenden mittleren Schneidezatmes durchaus mSglich ist ~md eine sp/ttere Formangleichung dann durch eine Mantelkrone erfolgen kann. Es ist allerdings die Mesialbewegung eines seitlichen Schneidezahnes meist mit

I-[ausser, Der LiickenschluB im Frontzahnbereich usw. 145

um so gr6l~eren Schwierigkeiten verbunden, je weiter der Zahnwechsel bereits fortgeschritten ist, da nut bei einer kSrp~rlichea Mesialbewegung eine giinstige Achsenrichtung gewiihrleistet, ist. I m Zusammenhang mit dem Ausgleich anderer Abweichungen kann eine k6rperliehe Zahnbewegung aber oft nur un- zureiehend bewerkstelligt werden, so dab dann die kieferorthopi~disehe Behand- lung dadureh sieh fiber eine li~ngere Zeit erstreekt, sofern nieht auf Grund be- soaderer Verh~ltnisse eine Distalokklusioa belassen werden kaIm. Unter dieser Voraussetzung erscheint naeh dem Verlust eines oberen Sehneidezahnes auch die Entfernung des ersten oberen Pri~molaren auf der anderen Seite durehaus ver- tretbar, w~hrend die Angleichung des oberen Zahnbogens an den unteren mi t dem Verlust yon 2 Sehneidez/~hnen bereits gegeben ist. So ents tanden bei dem Fall G. P. (Abb. 8) bereits giiastige Voraussetzungen fiir eiae Ei~ordaung der beiden oberen seithchen Sehneidez/~hne anstelle der mitt leren Schneidez/itme, die dureh ein Trauma im Alter yon 9 Jahren verlorengegangen waren, da auch im

Abb. 8. Traumatischer Verlust der oberen mittleren Schneidez~hne im Alter von 8 Jahren und Igiehtanlage der zweiten unteren 1)r~molaren. KSrperliehe Mesialbewegung der oberen seit- lichen Schneidez~hne mit Dreihakenb~ndern. Zustand im Alter yon 8 Jahren nach Verlust der oberen mittleren Schneidez~hne. Esbestand eine Kieferkompression mit frontalem Eng- stand bei DistalbiB. Die kieferorthop~dische Behandlung wurde 2 ffahre sp~,ter begonnen. Das Zwischenmodellgibt den Zustand nach der Mesialbewegungder oberenseitlichen Sch.neide- z~hne wieder und das 3. Modell zeigt den Gebi~befund nach Abschlul3 der kieferorthop~dischen Behandlung mit Plattenbehelfen, Federelementen und funktionskieferorthop~dischen Ger~iten

Unterkiefer die zweiten Pr/imolaren fehlten uad durch diese Nichtanlage die Mesialbewegung zum LiickenschluB im Seitenzatmbereich erleiehtert wurde, ob- wohl zum Ausgleich des Distalbisses auf der rechten Seite auch noch eine BiB- verschiebung durchgefiihrt werden muBte.

Besteht allerdings ein groBer FrontzatmfiberbiB, so ist zu erwarten, dab mi t der Einordnuag der Schueidez/~hne unter Belassung distaler Okklusionsbeziehun- gender tiefe BiB eirm Verst/~rkung erf/~hrt. Es bedarf daher bei diesen F/fllen eines besonders sorgf/~ltigen Abw/igens zwischen den Vor- und ~achtei len eines kiefer- orthop~dischen Lfickenschlusses und eines OffenhalSens der Lficke mit sp/iterer prothetiseher ~berbrficktmg naeh dem Ausgleich der BiBanomalie.

Diese ~berlegungen waren auch bei dem Fall W. D. (Abb. 9) Veranlassung fiir das Bestehenlassen tier frontalen Lficke nach dem Verlust des linken oberen mitt- leren Schneidezahnes, denn der ausgepr/igte tiefe BiB und die ungfinstige Aus- wirkuug des Distalbisses auf den Profilverlauf stellteu eine eindeutige Kontra- 10 For t schr i t t e der Kieferorthop~tdie Bd. 30 I I . 2

146 Fortschritte der Kieferorthop~idie Bd. 30 (1969) H. 2

Abb. 9. Traumatischer Verlust des linken oberen mittleren Schneidezahnes im Alter yon 1O dahren bei einer Kieferkompression mit engstehender Protrusion bei DistalbiB und l~olgen vor- zeitigen Milchzahnverlustes im Unterkiefer auf beiden Seiten. Auf Grund dieser besonderen Verh~ltnisse und einer erheblichen mandibul~ren Riicklage mit ungiinstiger Beeinflussung des Profilverlaufes wurde die Liicke von ~1 fiir einen sp~teren prothetischen LiickenschluB often-

gehalten

Abb. 10. Verlust des unteren Schneidezahnes im Alter yon 13 Jahren w~hrend der kiefer- orthop~lischen Behandlung eines Deckbisses mit geringem Distalbi6. LiickenschluB dutch kieferorthop~dische Ma6nahmen, indem nur die drei unteren Frontz~hne eingeordnet wurden

i n d i k a t i o n fiir e inen kieferorthop/~dischen Li ickenschlu~ ohne e inen Bi~ausgleich dar . Die R ich t i gke i t d ieser Uber l egungen sche in t a u c h i n d e m Behandlungsergebn is , das a u f e ine ande re Weise wold k a u m zu er re ichen gewesen w/ire, e ine Best/~ti- gung zu e r fahren .

Die Prob leme , die m i t d e m Ver lus t un t e r e r F ron tz~hne ents tehen, / ihneln in v ie ler H i n s i c h t den F ragen , d ie s ich aus d e m Ver lus t oberer Schneidez/ ihne er- geben, w e a n kosmet i sche Be lange d a b e i j edoch auch n u t e ine un t e rgeo rdne t e Be- d e u t u n g haben . E in Li ickenschluB d u t c h alveol/ ire 3/[esialbewegungen im Unterk ie - fer nach Ver lus t eines Schne idezahnes stSl~t j edoch o f tmals a u f erhebl iche Schwie-

I~ausser, Der LiickenschluB im Frontzahnbereich usw. 147

rigkeiten, so dal3 beidiesen F/tHen zur Erleichterung des Liickenschlusses von distal im allgemeinen die Entfernung eines Pr/tmolaren im Oberkiefer unumg/tnglich ist, sofera nicht eine liickige Aufstellung der unteren Frontz/thne, die jedoch nu t beim Fehlen eines unteren Schneidezahnes mSglich ist, bevorzugt wird. Der da- durch gegebenen Gefahr einer VergrSBertmg des frontalen ~berbisses steht dabei der VorteiI gesunder parodontaler Verh/tltnisse gegeniiber, da es beim Fehlen eines tmteren Schneidezatmes einen frontalen Engstand kaum mehr geben kann. So erfolgte auch trotz der Gefahr einer VergrSl~ertmg des tiefen Bisses bei einem 13 Jahre alten Jungen W. A. (Abb. 10) eine lfickige Einordnung der tmteren Front- z/thne, nachdem kurz vor Beendigung der kieferorthop/tdischen Behandlung des Deckbisses der linke untere mittlere Schneidezahn verlorengegangen war, da der Gebiflbeftmd vor der kieferorthop/tdischen Behandlung eine Ausgleichsextraktion im Oberkiefer als prognostisch besonders ungfinstig erscheinen lie~.

Abb. 11. Traumatischer Verlust des linken unteren mittleren Schneidezahnes im Alter von 12 Jahren. Einordnung der drei unfcren Frontz~hne mit herausnehmbaren Behelfen unter gleichzeitiger Beseitigung der progenen Verzahnung im Frontzahnbereich und Einordnung der

oberon Frontz~hne in einen wohlgeformten Bogen

Auch bei dem Patienten K. H. (Abb. 11), bei dem im Alter yon 12 Jahren der linke untere mittlere Schneidezalm infolge eines traumatischen Insults nicht mehr erhaltungsf/thig war, wurde nur eine ]~inordnung der 3 unteren Frontz/thne durch- geffihrt, zumal dadurch die progene Verzatmung in gfinstiger Weise beseitigt werden koimte. Der dabei entstandene frontale (~berbiB ist in diesem Fall sogar, als eine besonders gute Sicherung des Behandlungsergebnisses anzusehen.

Fehlen jedoch 2 untere Sclmeidez/thne, so ist die Entferung eines oberen Pr/t- molaren auf jeder Seite als das Mittel der Wahl anzusehen, um den oberen Zahn- bogen durch diese Verkleinerung dem Umfang der reduzierten unteren Zahnreihe anzupassen und den Okklusionskontakt der Frontz/thne zu ermSglichen. Bei der 13 Jahre alten Patientin A. P. (Abb. 12) wurden daher auch die ersten oberen Pr/tmolaren zum Ausgleich der Nichtanlage der beiden lmteren mittleren Schneide- z/time entfernt, so dal~ nach der Distalbewegung der oberen Eckz/thne eine Re- trusion der oberen Frontz/thne bis zum Kontak t mit den unteren Sclmeidez/thnen durchgeffihrt werden konnte. Das Ausmal~ des Frontzahniiberbisses hat dabei freilich keine giinstige Beeinflussung erfahren, da d e r t i e f e Bil~ nahezu unver- /tnder~ erhalten blieb.

Eine deckbil3artige Steflstellung der oberen Schneidez/thne, ein hochgradiger tiefer Bil~, ein sehr prominentes Kinn trod eine grol~e Nase bilden daher auch eine 10%

148 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 30 (1969) H. 2

Abb. 12. Nichtanlageder beidenunterenmittleren Schneidzghnebeieiner 13j~hrigenPatientin. LiickenschluB durch alveolgre Mesialbewegung im Unterkiefer, Extraktion der ersten oberen Pr~imolaren mit anschlie0ender Distalbewegung und Einordnung der oberen Frontzghne mittels Plattenbehelfen und Federelementen sowie funktionskieferorthop~dischen Ger~iten

zur Retention

Abb. 13. Traumatischer Verlust des linken oberen mittleren Schneidezahnes im Alter yon 13 Jahren. Zustand im Alter yon 21 Jahren und LiickenSffnung zum Liickenschlul3 dutch pro- thetischen Ersatz innerhalb yon 7 Monaten mittels Aufbil3platte und Zwischenfederchen

K o n t r a i n d i k a t i o n fiir eine Z a h n e n t f e r n u n g im Oberkiefer u n d s ind wichtige Gri inde fiir das Offenhal ten des Platzes fehlender un te re r Frontz/~hne ffir e inen pro the t i schen Liickenschlul3.

Hausser, Der LfickenschluB im Frontzahnbereich usw. 149

Das Offenhalten des Platzes fehlender Schneidez~hne ist bis zum Absehlul~ der Retention durch Anbringung yon Faeetten an der Retentionsplatte auch ohne Sehwierigkeiten zu erreiehen. Die dann erforderliehe Eingliederung einer Teil- prothese bis eine endgiiltige Versorgung durch eirmn festen Zahnersatz durch- gefiihrt werden kann, ist aber bei Kindern in vieler Hinsicht problematisch, so dal3 auf eine laufende Kontrolle bis zur endgiiltigen Versorgung nieht verziehtet werden kann.

Abb. 14. Nichtanlage der oberen seitlichen SchneidezKhne mit ungiinstiger Frontzahnstellung und uneehtem Diastema bei einer 23ji~hrigen Patientin. Kieferorthop~dische Mesialbewegung deroberenmittleren Schneidez~hneundgeringeI)istalbewegung der oberen Eckz~ihne mit einer Oberkieferplatte und Zwischenfederchen innerhalb yon 5 ~ Monaten und 5 Monate sp~ter

nach Eingliederung yon Briickenersatz fiir die oberen seitlichen Schneidez~hne

Die M6gliehkeiten fiir eine Durcb_ffihrung weitreichender Umformungen nach einem Frontzahnverlust werden natiirlich mit zunehmendem Alter auch immer geringer, so dab bei ~ilteren Patienten meist nur noch alveol~re Zahnbewegungen begrenzten Ausmal~es durchfiihrbar sind, um dadureh die Voraussetzungen fiir die Herstellung einer gesehlossenen Zahnreihe durch prothetische Mal~nahmen zu verbessern. So bestand bei dem 19 Jahre alien Patienten B. L. (Abb. 13) in- folge Verlustes des linken oberen mittleren Schneidezahnes im Alter von 13 Jahren

150 Fortschritte der Kieferorthop~die Bd. 30 (1969) H. 2

eine so unglfickliche liickige ]~rontzahastellung, dab ein Ersatz des mitt leren Schneidezahnes in befriedigender Weise gar nicht m6glich war. Erst nach einer Lficken6ffnung durch alveol/~re Lateralbewegung der oberen Frontz/~hne waren dafiir giinstige Voraussetzungen gegeben, wenn auch nach Abschlul] der Zahn- bewegungen die Lficke zun/ichst etwas groB erscheinen mag.

In/~hnlicher Weise ergab sich auch bei einer 23 Jahre alten Patientin (Abb. 14) erst durch das SehlieBen des unechten Diastemas und eiae geringe Distalbe- wegung der oberen Eckz~hne bis zum Kon tak t mi t den erstea Pr~molaren die M6glichkeit eines Ersatzes der fehlenden oberen Sclmeidez~hne und die ]~erstellung einer geschlossenen Frontzabnreihe, wodurch auch eine deutliche Verbesserung

Abb. 15. Traumatischer Verlust des linken oberen mittleren Schneidezahnes im Alter von 9 Jahren bei einer Kieferkompression mit frontalem Engstand bei Distalbifl. L/ickenschlull durch Umformung der Zahnb6gen. Bei der zum Ausgleich des Distalbisses erforderlichen Bi6ver- schiebung trat ein Mesialschub imlinken unteren Seitenzahngebiet ein, der zu einer ungiinstigen Verzahnung fiihren mullte, da eine Extraktion des linken unteren ersten Pr~molaren unter-

blieb

der vorher schlechten Sprachlautbildung erreicht wurde. Auf weitergehende kieferorthop/~dische MaBnahmen mugte in Anbetracht des Alters der Patientin verzichtet werden, so dab die ungiinstigen artikul/iren Verh/iltnisse im Seiten- zahngebiet bestehen blieben.

Ungfinstige artikul/ire Verh/iltnisse kSnnen aber bei einem kieferorthop/~dischen Liickenschlu$ im Frontzahngebiet auch entstehen, wenn trotz einer ausreichenden Mesialbewegung der oberen Z/~hne sich im unteren Seitenzahngebiet ein Preg- s tand oder im Frontzahabereich ein Engs tand bilde$ und keine Ausgleichsextrak- t ion durch die Entfernung eines Pr/~molaren im Gegenkiefer erfolgt. So ist bei dem Fall Chr. W. (Abb. 15) zwar die Mesialbewegung des linken oberen seit- lichen Schneidezahnes nach dem Verlust des mitt leren Schneidezahaes mit Hiffe yon Federelementen an einer Dehnungsplat te in optimaler Weise gelungen; w/ihrend der Einstellung in eiae korrekte I-IScker-Fissuren-Verzahnung mit Hilfe eines Aktivators t r a t jedoch im linken unteren Seitenzahngebiet ein so groBer Mesialschub ein, dab sich der linke untere Eckzalin vor deft seithchen Schneidezahn stellte and neutrale Okklusionsbeziehungen der Molaren entstauden. I m Pr/~mo- larengebiet war keine Interkuspidat ion im Sinne eiaer distalen Verzahnung mehr erreichbar.

Die Folgen eines Fehlens von Frontz~haen, sei es auf Grund einer l~ichtanlage oder eines t raumat ischen Zahnverlustes, sind auBerordentlich verschieden. Es erf/~hrt dadurch das Aussehen der Frontzahnreihe stets eine so erhebliche Be-

Hausser, Der Liickenschlug im Frontzahnbereich usw. 151

eintr/tchtigung, dab sie zun/tchst der Anlag fiir zahn/irztliche Magnahmen ist. Wenn somit auch kosmetische Griinde vorwiegend die Veranlassung dafiir sind, so wird jedoeh die Funktionsf/~higkeit des Gebisses dureh einen Frontzahnver- lust in so starker Weise negativ beeinfluBt, dab es eingehender l~berlegungen be- darf, um durch rechtzeitige kieferorthop~dische MaBnatnnen den ungiinstigen Auswirkungen in optimaler Weise begegnen zu kSnnen. Hierbei kann der Liicken- sehluB im Frontzahngebiet nut eine Teilaufgabe der kieferorthop/idischen Um- formungen darstellen, denn die Herstellung einer geschlossenen Zahnreihe mi t ausgeg]ichenen artikul/iren Beziehungen stellt auch beim Fehlen yon Frontz/~hnert die wichtigste Aufgabe einer ldeferorthop/tdischen Behandlung dar, damit das GebiB w/ihrend seiner Nutzperiode die vielfaehen Aufgaben des Kauorgarts un- eingeschrgnkt erfiillen kann.

Anschrift d. Verf.: Prof. Dr. E. Hausser , 2 Hamburg 20, Lenhartzstr. 9