der funke nr. 106

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funke der Zeitung der marxistischen Strömung in Sozialdemokratie und Gewerkschaft | Seit 1993 | Nr. 106 | November 2011 | Preis €1,5 • Solidaritätspreis €2 | www.derfunke.at Impressum Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Verein Gesellschaft und Politik, Lustkandlg. 10/1, 1090 Wien; Hersteller: Eigendruck; Verlags- und Herstellungsort: Wien | Offenlegung Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: zu 100% Verein Gesellschaft und Politik, Lustkandlg. 10/1, 1090 Wien | Erklärung der grundlegenden Richtung Die Zeitschrift behandelt Fragen der Theorie und Praxis der österreichischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung | Abo-Service [email protected] Schwerpunkt Sündenfall Euro-Krise S.8-10 Gewerkschaſt Metallerstreiks S.4-5 ...ganz still und stumm. Doch wa- rum schweigt der selbsterklärte Robin Hood des kleinen Mannes genau dann, wenn dieser für seine Interessen kämpſt? Laut Umfragen unterstützten 73% der FPÖ-An- hängerInnen den Metallerstreik. Kein Wunder, ist doch ein großer Teil von ihnen selbst von der gif- tigen Mischung aus Angriffen der Bosse auf die Arbeitsbedingun- gen und den Sparmaßnahmen der Regierung betroffen, die nun schon seit Jahrzehnten als Brand- beschleuniger für die scheinbar sozialen und einfachen Lösungen des Demagogen wirken. Straches Schweigen zeigt jedoch, dass er keine Wege aus der sozialen Mise- re zu bieten hat, dass er eben kein Rächer der Enterbten ist, sondern vielmehr den reichen Erben ver- pflichtet. Er ho auf die Vergess- lichkeit der Massen, um nach der nächsten Wahl auf dem Sessel des Bundeskanzlers Platz nehmen zu können. Versalzen wir dem blau- en Waldschrat diese Suppe. Ein H.C. steht im Walde... N otenbanker ohne jedes demo- kratische Mandat schreiben Regierungen brutale Sparpakete vor; demokratische Rechte werden über Bord geworfen. In Athen starb der erste Demonstrant unter den Schlägen des Regierungs-Mobs. Nachdem der Schock über die ers- te tiefe Krise überwunden ist, re- giert nun in einem Land nach dem anderen der Zorn auf den Straßen, Plätzen und in den Betrieben. Eine Erkenntnis hat sich global durch- gesetzt: Wenn es nach den Ban- kern und ihren Polit-Marionetten geht, dann sollen wir den Gürtel bis zur Erdrosselung enger schnal- len. Der globale Protesttag am 15. Oktober hat sichtbar gemacht, dass der Widerstand gegen diese Krise international ist. Weiters ist es ein Fortschritt, dass es keinen konkre- ten Anlass braucht, auf den man reagiert (wie etwa den Angriff auf den Irak 2003), und vor allem, dass man sich klarer geworden ist, ge- gen wen es geht. Nicht gegen diese oder jene Maßnahme, nicht gegen die abstrakte „Globalisierung“ er- hebt man sich, sondern man stellt nun en masse das System an sich in Frage und ruſt ihm Revolution! ins Gesicht. Diese Empörung ist elementar, roh und voller schwärmerischer Züge. Sie kann die Nutznießer die- ses Systems nun beziffern. 1 % der Menschen erheben sich über die restlichen 99% so weit, dass nur jene Minderheit und ihre Bedürf- nisse als „systemrelevant“ gelten, während all das, was uns Normals- terblichen ein halbwegs zivilisier- tes Leben ermöglicht, als überflüs- siger Luxus zur Diskussion steht. Die Bewegung wird lernen müssen, dass Symbole zwar Iden- tität stiſten, aber die entscheiden- de Frage nicht knacken kann: die Machtfrage in der Gesellschaſt. Die 99% müssen wie die Metaller kämpfen! Krise. Während Gewinne und Boni wieder auf Rekordniveau sind, werden bereits die nächsten Banken mit Steuergeldern gerettet. Das Jahr 2011 ist erst der Anfang einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen den Klassen. Dies ist angesichts der Kriegserklä- rung der herrschenden 1 % jedoch die Frage, die über unsere Zivili- sation oder Barbarei entscheiden wird. Wenn die #occupy-Bewegung nicht als unreifer Prototyp des sozialen Protestes auf der Müll- halde der Geschichte landen will, muss sie sich der Frage stellen wie und wo sie das System der priva- ten Profitmaximierung aushebeln kann. Eine Besetzung des Parks vor der Wallstreet ist wohl nicht der richtige Weg. Es ist nicht mal die Wallstreet selber, denn wenn diese besetzt würde, werden die Derivate eben von anderen Computern aus gehandelt. Der Lebensmotor des Kapitalismus befindet sich viel- mehr in den Fabrikhallen, in den Büros, auf den Schienen und im Luſtraum. Vorbild Metaller Was am 15. Oktober bei über 900 Demos weltweit zum Ausdruck kam, manifestierte sich in Öster- reich in Form des Metallerstreiks. Die #occupy-Demos am 15. Okto- ber waren schwach besucht, keine sozialen Kräſte waren präsent, son- dern nur Individuen. Diese Zusam- mensetzung machte es auch esote- rischen Unterwanderern leicht, die Revolution als geistige Wiederge- burt unterzujubeln und das Mittel zum Zweck im Gesprächskreis zu bemühen. Was das Land in diesen Tagen wirklich bewegt und polari- siert hat, war der Streik der Metal- lerInnen. Die UnternehmerInnen waren erschüttert und überrascht. Die Ar- beiterInnen haben die Angst abge- legt, und das wollten die Chefitäten nicht wahrhaben. Die Menschen, die sie anstellen, um an ihren Ma- schinen und Computern Profit zu erwirtschaſten, haben sich tatsäch- lich eine eigenständige Logik be- wahrt: Wenn wir zusammenstehen, wenn wir der Bude unser Tempo aufzwingen, dann sind wir nicht mehr der reine Kostenfaktor son- dern der Gebieter. So hat die Lohn- forderung von 5,5 % innerhalb von Stunden Symbolkraſt entwickelt - und zwar für alles, was man uns vorenthalten hat und wegnehmen will. Einige haben Angst gehabt, andere sind mutig geworden, aber allen war klar, dass in diesem Streik etwas besonders passiert. Wichtige Erschütterung Auch wenn dieser Streik von oben abgedreht wurde, bevor er seine Kraſt voll entfalten konnte, ist nun ein neues Element auf den Tisch der langweiligen österreichischen Korruptionslandschaſt geknallt. Die Große Koalition sieht sich bei der Sanierung des Budgets ge- zwungen sehr vorsichtig vorgehen, weil sie Angst vor unkontrollier- baren Reaktionen hat. Damit sind Faymann und Fekter in der glei- chen Situation wie Sarkozy und Merkel, die ebenfalls eingeklemmt zwischen dem Amboss einer ange- spannten Arbeiterschaſt und der zornigen Jugend und den Ham- merschlägen der Wirtschaſtskrise keinen Ausweg finden. Schlussendlich werden sie auf Geheiß der Märkte gezwungen sein unseren Lebensstandard zu atta- ckieren, wie es die Regierungen in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Italien vorexerzieren. „Ratingagenturen sind dabei wie Schiedsrichter, und wer die Regeln nicht einhält, erhält die gelbe oder rote Karte“, mit diesen Worten lässt Maria Fekter in ihrer Budgetrede im Parlament keinen Zweifel, wem ihre Loyalität gilt. Im Budgetrah- mengesetz 2011 bis 2014 sind Ein- sparungen von 16,2 Mrd. € in den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Soziales bereits gesetzlich fest- gehalten. Doch niemand traut sich diese Nachricht zu überbringen. Unter dem Druck der „Märkte“ wird dies jedoch geschehen, und dies wird nicht ohne heſtige Kon- flikte gehen. Das Trostpflaster einer „Reichensteuer“ wird nicht genügen um den Zorn darüber vergessen zu machen, dass es keine Arbeit mehr gibt, von der man leben kann, ohne sich Nerven und Körper zu ruinie- ren, dass einem das Recht auf einen würdevollen Lebensabend nach 40 Jahren Schuſterei genommen wird, dass die Ausbildung nach freiem Wunsch Geschichte ist, dass eine Schule, wo nach modernster Päda- gogik unterrichtet wird, Zukunſts- musik bleibt, dass das Spital, wo du ohne Ansehen von Stand und Ein- kommen bestens behandelt wirst, geschlossen wurde. Schon in der Bibel steht: Kein Stein wird auf dem anderen blei- ben. Es liegt an der Arbeiterklasse, dass sie aus den Trümmern der alten Gesellschaſt ein neues und schöneres Zuhause baut.

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Während Gewinne und Boni wieder auf Rekordniveau sind, werden bereits die nächsten Banken mit Steuergeldern gerettet. Das Jahr 2011 ist erst der Anfang einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen den Klassen.

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Page 1: Der Funke Nr. 106

funkederZeitung der marxistischen Strömung in Sozialdemokratie und Gewerkschaft | Seit 1993 | Nr. 106 | November 2011 | Preis €1,5 • Solidaritätspreis €2 | www.derfunke.at

Impressum Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Verein Gesellschaft und Politik, Lustkandlg. 10/1, 1090 Wien; Hersteller: Eigendruck; Verlags- und Herstellungsort: Wien | Offenlegung Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: zu 100% Verein Gesellschaft und Politik, Lustkandlg. 10/1, 1090 Wien | Erklärung der grundlegenden Richtung Die Zeitschrift behandelt Fragen der Theorie und Praxis der österreichischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung | Abo-Service [email protected]

Schwerpunkt Sündenfall Euro-Krise S.8-10 Gewerkschaft Metallerstreiks S.4-5

...ganz still und stumm. Doch wa-rum schweigt der selbsterklärte Robin Hood des kleinen Mannes genau dann, wenn dieser für seine Interessen kämpft? Laut Umfragen unterstützten 73% der FPÖ-An-hängerInnen den Metallerstreik. Kein Wunder, ist doch ein großer Teil von ihnen selbst von der gif-tigen Mischung aus Angriffen der Bosse auf die Arbeitsbedingun-gen und den Sparmaßnahmen der Regierung betroffen, die nun schon seit Jahrzehnten als Brand-

beschleuniger für die scheinbar sozialen und einfachen Lösungen des Demagogen wirken. Straches Schweigen zeigt jedoch, dass er keine Wege aus der sozialen Mise-re zu bieten hat, dass er eben kein Rächer der Enterbten ist, sondern vielmehr den reichen Erben ver-pflichtet. Er hofft auf die Vergess-lichkeit der Massen, um nach der nächsten Wahl auf dem Sessel des Bundeskanzlers Platz nehmen zu können. Versalzen wir dem blau-en Waldschrat diese Suppe.

Ein H.C. steht im Walde...

Notenbanker ohne jedes demo-kratische Mandat schreiben

Regierungen brutale Sparpakete vor; demokratische Rechte werden über Bord geworfen. In Athen starb der erste Demonstrant unter den Schlägen des Regierungs-Mobs. Nachdem der Schock über die ers-te tiefe Krise überwunden ist, re-giert nun in einem Land nach dem anderen der Zorn auf den Straßen, Plätzen und in den Betrieben. Eine Erkenntnis hat sich global durch-gesetzt: Wenn es nach den Ban-kern und ihren Polit-Marionetten geht, dann sollen wir den Gürtel bis zur Erdrosselung enger schnal-len. Der globale Protesttag am 15. Oktober hat sichtbar gemacht, dass der Widerstand gegen diese Krise international ist. Weiters ist es ein Fortschritt, dass es keinen konkre-ten Anlass braucht, auf den man reagiert (wie etwa den Angriff auf den Irak 2003), und vor allem, dass

man sich klarer geworden ist, ge-gen wen es geht. Nicht gegen diese oder jene Maßnahme, nicht gegen die abstrakte „Globalisierung“ er-hebt man sich, sondern man stellt nun en masse das System an sich in Frage und ruft ihm Revolution! ins Gesicht.

Diese Empörung ist elementar, roh und voller schwärmerischer Züge. Sie kann die Nutznießer die-ses Systems nun beziffern. 1 % der Menschen erheben sich über die restlichen 99% so weit, dass nur jene Minderheit und ihre Bedürf-nisse als „systemrelevant“ gelten, während all das, was uns Normals-terblichen ein halbwegs zivilisier-tes Leben ermöglicht, als überflüs-siger Luxus zur Diskussion steht.

Die Bewegung wird lernen müssen, dass Symbole zwar Iden-tität stiften, aber die entscheiden-de Frage nicht knacken kann: die Machtfrage in der Gesellschaft.

Die 99% müssen wie die Metaller kämpfen!

Krise. Während Gewinne und Boni wieder auf Rekordniveau sind, werden bereits die nächsten Banken mit Steuergeldern gerettet. Das Jahr 2011 ist erst der Anfang

einer jahrelangen Auseinandersetzung zwischen den Klassen.

Dies ist angesichts der Kriegserklä-rung der herrschenden 1 % jedoch die Frage, die über unsere Zivili-sation oder Barbarei entscheiden wird.

Wenn die #occupy-Bewegung nicht als unreifer Prototyp des sozialen Protestes auf der Müll-halde der Geschichte landen will, muss sie sich der Frage stellen wie und wo sie das System der priva-ten Profitmaximierung aushebeln kann. Eine Besetzung des Parks vor der Wallstreet ist wohl nicht der richtige Weg. Es ist nicht mal die Wallstreet selber, denn wenn diese besetzt würde, werden die Derivate eben von anderen Computern aus gehandelt. Der Lebensmotor des Kapitalismus befindet sich viel-mehr in den Fabrikhallen, in den Büros, auf den Schienen und im Luftraum.

Vorbild Metaller

Was am 15. Oktober bei über 900 Demos weltweit zum Ausdruck kam, manifestierte sich in Öster-reich in Form des Metallerstreiks. Die #occupy-Demos am 15. Okto-ber waren schwach besucht, keine sozialen Kräfte waren präsent, son-dern nur Individuen. Diese Zusam-mensetzung machte es auch esote-rischen Unterwanderern leicht, die Revolution als geistige Wiederge-burt unterzujubeln und das Mittel zum Zweck im Gesprächskreis zu bemühen. Was das Land in diesen Tagen wirklich bewegt und polari-siert hat, war der Streik der Metal-lerInnen.

Die UnternehmerInnen waren

erschüttert und überrascht. Die Ar-beiterInnen haben die Angst abge-legt, und das wollten die Chefitäten nicht wahrhaben. Die Menschen, die sie anstellen, um an ihren Ma-schinen und Computern Profit zu erwirtschaften, haben sich tatsäch-lich eine eigenständige Logik be-wahrt: Wenn wir zusammenstehen, wenn wir der Bude unser Tempo aufzwingen, dann sind wir nicht mehr der reine Kostenfaktor son-dern der Gebieter. So hat die Lohn-forderung von 5,5 % innerhalb von Stunden Symbolkraft entwickelt - und zwar für alles, was man uns vorenthalten hat und wegnehmen will. Einige haben Angst gehabt, andere sind mutig geworden, aber allen war klar, dass in diesem Streik etwas besonders passiert.

Wichtige Erschütterung

Auch wenn dieser Streik von oben abgedreht wurde, bevor er seine Kraft voll entfalten konnte, ist nun ein neues Element auf den Tisch der langweiligen österreichischen Korruptionslandschaft geknallt. Die Große Koalition sieht sich bei der Sanierung des Budgets ge-zwungen sehr vorsichtig vorgehen, weil sie Angst vor unkontrollier-baren Reaktionen hat. Damit sind Faymann und Fekter in der glei-chen Situation wie Sarkozy und Merkel, die ebenfalls eingeklemmt zwischen dem Amboss einer ange-spannten Arbeiterschaft und der zornigen Jugend und den Ham-merschlägen der Wirtschaftskrise keinen Ausweg finden.

Schlussendlich werden sie auf

Geheiß der Märkte gezwungen sein unseren Lebensstandard zu atta-ckieren, wie es die Regierungen in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und Italien vorexerzieren. „Ratingagenturen sind dabei wie Schiedsrichter, und wer die Regeln nicht einhält, erhält die gelbe oder rote Karte“, mit diesen Worten lässt Maria Fekter in ihrer Budgetrede im Parlament keinen Zweifel, wem ihre Loyalität gilt. Im Budgetrah-mengesetz 2011 bis 2014 sind Ein-sparungen von 16,2 Mrd. € in den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Soziales bereits gesetzlich fest-gehalten. Doch niemand traut sich diese Nachricht zu überbringen. Unter dem Druck der „Märkte“ wird dies jedoch geschehen, und dies wird nicht ohne heftige Kon-flikte gehen. Das Trostpflaster einer „Reichensteuer“ wird nicht genügen um den Zorn darüber vergessen zu machen, dass es keine Arbeit mehr gibt, von der man leben kann, ohne sich Nerven und Körper zu ruinie-ren, dass einem das Recht auf einen würdevollen Lebensabend nach 40 Jahren Schufterei genommen wird, dass die Ausbildung nach freiem Wunsch Geschichte ist, dass eine Schule, wo nach modernster Päda-gogik unterrichtet wird, Zukunfts-musik bleibt, dass das Spital, wo du ohne Ansehen von Stand und Ein-kommen bestens behandelt wirst, geschlossen wurde.

Schon in der Bibel steht: Kein Stein wird auf dem anderen blei-ben. Es liegt an der Arbeiterklasse, dass sie aus den Trümmern der alten Gesellschaft ein neues und schöneres Zuhause baut.

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02 Der Funke Österreich November 2011

Freiheit, Gleichheit, Gerechtig-keit und Solidarität sind seit

Anbeginn die zentralen Werte der Arbeiterbewegung und sind auch heute noch gültig. Darin waren sich bei der abschließenden Po-diumsdiskussion des ACUS-Kon-gresses SPÖ-Bundesgeschäftsfüh-rer Günther Kräuter, Landesrätin Karin Scheele, Anna Wall-Strasser (Betriebsseelsorge OÖ) und Fun-ke-Redakteur Gernot Trausmuth auf dem Podium einig. Aber wie Genossin Scheele richtig anmerk-te, sind „Werte so elastisch wie Ho-senträger“.

Genosse Trausmuth knüpf-te daran in seinem Einleitungs-statement an und meinte: „Diese Grundwerte können mit vielen unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden. Wir müssen uns also die Frage stellen: Wer verwendet aus welchem Interesse heraus diese Werte in der politischen Debatte?“

Gerade anhand der brennen-den Fragen ist schnell ersichtlich, dass unter Gerechtigkeit und So-lidarität nicht alle dasselbe ver-stehen. Genosse Trausmuth dazu: „Nehmen wir nur das Motto des letzten Bundesparteitags ‚Zeit für Gerechtigkeit’. Die Sozialdemo-kratie versteht darunter, dass vor dem Hintergrund der tiefsten Kri-se des Kapitalismus seit 80 Jahren alle in der Gesellschaft ihren Bei-trag zur Sanierung der Staatshaus-halte leisten müssen. Oder genau-er: Die Reichen sollen auch einen symbolischen Anteil der Kosten der Krise zahlen, damit die breite Masse Sozialabbau und Privatisie-rungen akzeptiert, auch wenn dies zu massiven Verschlechterungen des Lebensstandards führen wird. Der Ruf nach Gerechtigkeit ist ge-trieben von der Angst um den so-zialen Frieden.

Was verstehen aber ein Me-tallarbeiter oder eine Handelsan-gestellte für gewöhnlich unter Ge-rechtigkeit? Dass eine Entwicklung von 20 Jahren, in der die Reichen immer reicher wurden, die Profite unerhört stiegen, aber die Reallöh-ne sanken, die soziale Unsicherheit und der Leistungsdruck immer größer wurden, den Menschen ih-rer Würde beraubt werden, wieder rückgängig gemacht wird.“

Dass eine Sozialdemokratie, die dieses System akzeptiert, zwangs-läufig gegen ihre Grundsätze ver-

stoßen muss, zeigt sich schmerz-haft in der Fremdenrechtspolitik aber auch in der Frage der Krisen-bewältigung. Der erste Grundwert, den sie zu opfern bereit ist, ist die internationale Solidarität.

Anna Wall-Strasser, die als Be-triebsseelsorgerin die Probleme der Menschen kennt, kritisierte aus ihrem christlichen Verständ-nis heraus das System der Geld-vermehrung und die eklatanten Demokratiedefizite. Ihre Antwort lautete, dass die Gesellschaft eine „offene Tischgemeinschaft“ wer-den müsse, in der Solidarität an erster Stelle steht. Wir müssten uns den Reichtum wieder zurück-holen. Die Wiederaneignung poli-tischer Macht müsse das Ziel sein.

Demgegenüber ersuchten die beiden SP-SpitzenpolitikerInnen in erster Linie um Verständnis für das Spannungsverhältnis, in dem sie sich als Teil der Regierung be-fänden, und das sie dazu zwingt in der Praxis Abstriche an den Grundwerten zu machen. Gün-ther Kräuter versuchte zumindest ein Szenario für sozialdemokrati-sche Politik zu zeichnen: „Wir sind in einer Koalition mit der ÖVP, wo wir nicht alles umsetzen kön-nen. Die SPÖ muss daher mit der Zivilgesellschaft von außen Druck machen. Es geht nur mit der Be-völkerung. Wir müssen mehr De-mokratie wagen.“

In seinem Abschlussstatement griff Gernot Trausmuth diesen Ansatz auf: „Statt Stellvertreter-politik braucht es Politik mit den Menschen. Richtig! Aber wiede-rum: Was heißt das konkret? Wo steht die SPÖ, wenn in der Steier-mark ein Sparpaket beschlossen wird? Wo steht die SPÖ, wenn in Wien die Beschäftigten in den Spi-tälern gegen untragbare Arbeits-bedingungen protestieren? Die arbeitenden Menschen fühlen sich allein gelassen, sie haben keine po-litische Stimme mehr.“

In dieser sehr lebhaften Dis-kussion wurde klar, dass die Arbei-terbewegung nur dann Politik im Sinne ihrer Grundwerte machen kann, wenn sie wieder die System-frage stellt. Linke Politik braucht nicht nur Werte sondern in erster Linie ein sozialistisches Programm und eine Perspektive, die sich mit den Zwängen des kapitalistischen Systems nicht abfindet.

Welche Werte brauchen wir?

Diskussion. Auf dem ACUS-Bundeskongress wurde die Frage gestellt, welche Werte linke

Politik heute braucht.

Die Grünen sehen Änderungs-bedarf am vorliegenden Ge-

setzesentwurf, da das Wort „Aus-trofaschismus“ nicht einmal im Gesetzestext benannt werden soll und so dieses dunkle Kapitel der Geschichte beschönigt wird. Wie weit ist es mit der Führung der SPÖ gekommen, dass sie diesen Verrat an ihrer eigenen Geschichte begeht? Wie weit ist es gekommen mit dieser Führungsspitze der SPÖ, dass eine zutiefst bürgerliche Partei wie die Grünen, das Geden-ken der Opfer einmahnt und das Fehlen des Begriffes „Austrofa-schismus“ bemängelt? Der grüne Justizsprecher fordert: „Im Gesetz gehört endlich das Unrecht klar benannt“.

Die Reaktion der oberen Eta-ge der SPÖ in personam Barbara Prammer ist, dass man sich mit dem bereits Erreichten zufrieden geben und nicht weiter Zeit ver-streichen lassen will. Die Kritik von Bundesgeschäftsführer Kräu-ter scheint eher ein verhaltenes Feigenblatt zu sein, so macht der

SP-Justizsprecher Jarolim klar, dass er mit diesem Kompromiss aus seiner Sicht leben kann. Man kann sich nur den Worten des Politolo-gen Emmerich Tálos anschließen: Es sei „schon äußerst merkwürdig, dass gerade die Partei, welche die Opfer des Austrofaschismus im-mer wieder ins Blickfeld gerückt hat, eigentlich dermaßen defensiv agiert hat“. Und die Volkspartei? Nun, die hat Engelbert Dollfuß noch immer im Parlamentsklub hängen und zeigt, damit wie es ums eigene Demokratieverständ-nis auch heute noch streckenweise bestellt ist.

Das Resümee der Linken in-nerhalb der SPÖ kann nur sein, gegen dieses erneute Unrecht sei-tens der Regierung aufzustehen und dieses Feld auf keinen Fall den pseudo-linken Grünen zu überlassen. Faschismus bleibt Fa-schismus, und wer die Opfer und deren Geschichte nicht einmahnt und ehrt, ist den Titel des Sozia-listen oder des Sozialdemokraten nicht wert. Auch die letzten noch

lebenden Betroffene wie der Anti-faschist Fritz Probst, der im Stän-destaat mehrfach verhaftet wurde, haben kein Verständnis für dieses Gesetz und die Vorgangsweise der Regierung insbesondere der SPÖ: „Von der SPÖ bin ich ent-täuscht, weil ich von ihr eher er-wartet habe, dass sie zumindest die Grundprinzipien einhält, nämlich dass sie Faschismus echt bekämpft und auch benennt. Faschismus ist Faschismus. Da gibt es keine Kom-promisse.“ Oder so wie er die Fra-ge zu stellen: „Wozu haben wir dann die Sozialdemokraten in der Regierung sitzen?“ Diese Frage wird sich zukünftig vermehrt stel-len, und es ist die Aufgabe jedes und jeder einzelnen an der Basis oder in der Nähe der SPÖ sich für eine andere SPÖ einzusetzen, für eine SPÖ, die sich ihrer Wurzeln stolz besinnt und aktiv auf der Sei-te der Schwachen, Ausgebeuteten und Unterdrückten steht.

Der Autor ist aktives Mitglied der SJ Nibelungengau (Bez. Melk/NÖ)

Keinen Verrat an den FaschismusopfernAustrofaschismus. Der Entwurf für das längst fällige

Rehabilitationsgesetz für die mindestens 10.000 Opfer des Austrofaschismus hat einen gewaltigen Haken,

berichtet Martin Gutlederer.

Schon blöd! Da kommt endlich der ganze schwarz-blau-orange

Sumpf ans Tageslicht, da werden täglich neue Skandale bürgerlicher Spitzenpolitiker aufgedeckt, und dann plötzlich der Gegenschlag. Werner Faymann soll als Ver-kehrsminister recht viel Interesse gezeigt haben, dass staatsnahe, in seinen Verantwortungsbereich fal-lende Unternehmen wie die ÖBB und die Asfinag eine „Werbeoffen-sive“ starten. Laut einem Asfinag-Insider „wurde einfach irgendwas inseriert und es ging nur ums Geld für die Zeitungen, nicht um den Inhalt. Freundliche Zeitungs-berichterstattung für Faymann zu erreichen war das einzige Ziel.“ (Presse, 24.9.2011).

Wie hinlänglich bekannt gilt die Unschuldsvermutung, bis die Tribunale des bürgerlichen Staates ihr Urteil gesprochen haben. Aber an den Wahrheitsgehalt dieser An-schuldigungen zweifelt niemand, zu sehr passt ein solches Vorgehen einfach zum Konzept der heuti-gen SPÖ-Spitze. Eigene Medien hat die Sozialdemokratie seit der Einstellung der AZ keine mehr. Wozu auch? Wenn man es schon aufgegeben hat eine eigenständi-ge, unabhängige Meinung zu ent-wickeln, braucht man auch keine

eigene Zeitung zur Verbreitung derselben. Die Anbiederung an die Herausgeber der Massenblätter erscheint unter diesen Umständen doch der einfachere Weg.

Die enge Vernetzung der SPÖ mit diesen Medienkonzernen lässt sich daran ablesen, dass der Eigen-tümer

Keine Stimme

Einmal mehr hüpft uns die SPÖ vor, wofür sie eigentlich steht. Für die Masse der ArbeiterInnen heißt das, dass sie keine Stimme haben, die ihrem Unmut, ihrem Ärger, ih-ren Hoffnungen und Forderungen nach einem besseren Leben einen Ausdruck geben kann. In Zeiten der Krise bräuchten sie aber umso dringender ein eigenes Sprachrohr. Es führt kein Weg vorbei am Auf-bau unabhängiger, sozialistischer Medien im Dienste der Arbeiter-bewegung. Wir brauchen wieder eine Arbeiter-Zeitung, die einen revolutionären Klassenstandpunkt vertritt.

Genau dieser Aufgabe haben wir uns als Redaktion gestellt. „Der Funke“ will mit seinen be-scheidenen Mitteln einen Betrag dazu leisten. Und das wird in Zei-ten wie diesen nicht leichter. Die

Herausgabe unserer Zeitung wird immer teurer. Zuletzt erhöhte die Post AG auch noch um 45% die Kosten für den Versand der Abos. Wir sahen uns daher gezwungen den Preis für die Abos erstmals nach langer Zeit von 20 auf 25 Eu-ros anzuheben.

Unsere Zeitung ist zu 100% selbstfinanziert durch den Verkauf bei Demos und Veranstaltungen der Arbeiterbewegung und durch die Spenden von vielen KollegIn-nen aus ganz Österreich, die damit unsere politische Arbeit unterstüt-zen wollen. Wir rufen alle unsere LeserInnen auf, einen Beitrag zum Erhalt dieser finanziellen Grund-lage für unsere politische Unab-hängigkeit zu leisten. Und das geht ganz einfach:

durch ein Funke-Abo; �durch eine Spende; �durch eine monatliche Dauer- �

auftragsspende (5, 10 oder mehr Euro) – im Gegenzug erhaltet ihr unsere T-shirts, Broschüren und Bücher günstiger;

durch den Vertrieb der Zeitung �unter KollegInnen, in der Gewerk-schaft, im Betriebsrat oder unter FreundInnen.

Nähere Infos unter: [email protected]

Her mit einer neuen AZPresse. Faymanns Inseratenskandal zeigt einmal mehr, dass die

ArbeiterInnenbewegung eine eigene Zeitung braucht.

Ball des rechtsextremen Wiener Korporationsrings (WKR) verhindern! Demonstration und Blockade - 27. Jänner 2012

www.offensivegegenrechts.net

Page 3: Der Funke Nr. 106

Der Funke 03JugendNovember 2011

Die Haltung der schwarzen Landesregierung zeigte sich

am besten an der jüngsten Aussage von Uta Bachmann, der Leiterin des Amts für Verfassungsschutz, wonach die rechtsextreme Szene in Vorarlberg nicht wachse. Wie schon vor fünf Jahren, als die Na-ziszene zum letzten Mal ein öffent-liches Problem darstellte, zeigen sich die Verantwortlichen auf dem rechten Auge blind.

Diese Schönfärberei wider-spricht aber den Erfahrungen, die in den letzten Monaten viele MigrantInnen und linke Jugendli-che gemacht haben. Gestärkt vom sich immer weiter ausbreitenden Rassismus, der von der FPÖ er-folgreich geschürt wird und dem die anderen Parteien nichts entge-gensetzen bzw. sogar durch rassis-tische Fremdengesetze auch noch

gesellschaftliche Legitimation geben, wagen sich auch wirkliche Neonazis immer mehr aus der De-ckung. Doch noch bevor dies der Fall war, erstarkte die Szene im Stillen. In mehreren Vorarlberger Betrieben haben die Nazis von der Gruppe „Eine Jugend rebelliert“ (EJR) offen Werbung unter Ju-gendlichen betrieben, Feuerzeuge und Flugblätter verteilt. Sie ver-binden rassistische Hetze mit anti-kapialistischer Kritik. Unter linken Lehrlingen werden sie „Firmenna-zis“ genannt. Offener Rassismus wird in vielen Betrieben geduldet. AntifaschistInnen sind in den Be-trieben oft allein und wissen nicht, wie sie gegen diese Tendenzen an-kämpfen sollen.

Seit einiger Zeit tritt die Szene nicht mehr als EJR sondern unter dem Namen „Nationale Jugend“ auf und tritt wieder verstärkt im herkömmlichen nationalsozialis-tischen Stil auf (Sonnwendfeier, Wanderungen, Saufgelage). Auf ihrer Homepage berichten sie von Koordinierungsgesprächen mit Nazis aus Wien, Tirol und OÖ. Die Gruppe Blood & Honour, die seit Jahren mit einem harten Kern in Vorarlberg vertreten ist, dürfte bei all diesen Projekten die Finger im Spiel haben.

In Vorarlberg treten die Nazis besonders in Dornbirn, das sich

immer mehr als der neue Tum-melplatz der Rechten erweist, im-mer unverhohlener auf. Pöbeleien, Schlägereien und Beleidigungen gegenüber vermeintlichen „Aus-ländern“ stehen auf der Tages-ordnung. Aber auch in der Lan-deshauptstadt ist es nicht ruhig. Erst kurz vor Redaktionsschluss berichtete ein Genosse, der am Bregenzer Kornmarkt Zeuge wur-de, wie ein Migrant kenianischer Herkunft am hellichten Tag auf offener Straße attackiert und als „Neger“ beschimpft wurde.

Diesen Tendenzen müssen wir entgegentreten. Die SJ Vorarlberg

hat sich in diesem Herbst zum Ziel gesetzt, den Nazi-Umtrieben ein schnelles Ende zu setzen. Das neu-erliche Erstarken des Rechtsextre-mismus dürfen wir nicht isoliert betrachten. Es handelt sich dabei um ein Symptom der kapitalis-tischen Krise, um eine Reaktion von großteils Jugendlichen auf die zunehmende soziale Unsicherheit, die weing Zukunftsperspektive haben und für die populistischen Nazi-Parolen anfällig sind.

Hohle Phrasen wie „Faschis-mus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen“ werden nicht aus-reichen, um ein neuerliches Erstar-

ken der Nazi-Szene zu verhindern. In erster Linie geht es darum, dass die organisierte ArbeiterInnenbe-wegung eine Antwort auf die Krise des Kapitalismus und somit eine Zukunftsperspektive bietet.

Gegen Faschismus und Kapi- �talismus!

Lasst uns eine starke, antifa- �schistische ArbeiterInnenbewe-gung aufbauen!

Vorarlberg nazifrei! �

Damit wir uns organisieren und die Faschisten aus dem Feld schlagen können, treffen wir uns wöchentlich in unseren Ortsgruppen.

Vorarlberg NazifreiAntifa. Die letzten Jahre brachten einen generellen Anstieg rechtsextremer Tendenzen in ganz Europa mit sich.

Auch in Vorarlberg wagen sich die Nazis wieder mehr aus der Deckung.

Nach drei Jahren habe ich end-lich die Lehre im ÜAZ in

Rankweil abgeschlossen. Als ich vor drei Jahren, nach langem Su-chen die Lehrstelle bekommen habe, war ich einfach nur froh endlich arbei-ten zu können und eine Ausbildung zu absolvieren. Immer-hin habe ich über 50 Bewerbungen abge-schickt und hatte 10 Schnuppertermine. Ich war schon nahe daran aufzugeben, als mir das AMS die Stelle im ÜAZ vermittelt hat.

Dass ich im 1. Lehrjahr nur 240€ verdienen sollte, schmerzte zwar, aber besser als nichts. Auch, dass laut Infoblättern offensichtlich jeder Mucks geahndet wird, mach-te mir nicht unmittelbar etwas. Ich dachte mir einfach: „Durchbeißen und dann hab ich eine Ausbil-dung“. Meine Verwandten haben mir eh schon immer gesagt, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Um mehr Geld zu verdienen, musste ich allerdings von Anfang an „schwarz“ arbeiten. Wie sonst

sollte ich mir ein halbwegs selb-ständiges Leben finanzieren und

nicht meinen Eltern auf der Tasche liegen. Nach der Lehre werde eh alles besser werden, das war lange meine Einstel-lung. Mit der Zeit ist mir aber, gerade in Ge-sprächen mit meinen Arbeitskollegen immer mehr klar geworden, für was das ÜAZ wirk-lich da ist. Als ich ein-mal etwas lauter ge-

gen einen Ausbildner wurde, weil dieser einen anderen Lehrling un-fair behandelt hatte, musste ich am Freitagnachmittag arbeiten. Ohne dafür bezahlt zu werden!

Seitdem habe ich in Gesprä-chen und durch das Arbeiten im-mer wieder neue Sauereien her-ausgefunden. Ein Arbeitskollege zum Beispiel, der vorher in einem anderen Betrieb gearbeitet hat, hat mir erzählt, dass Werkbänke, die wir produzieren, um ca. 60% des Wertes an einen Großbetrieb verkauft wurden! Nach weiterem Nachstöbern wurde mir klar, dass alles was wir produzieren, in der Privatwirtschaft, also bei Einhal-

tung der Kollektivverträge, nie-mand produzieren will. Endgültig der Kragen geplatzt ist mir aller-dings, als ich für einige Wochen im Blum (ein Großbetrieb, der Metallbeschläge herstellt, Anm.d. Red.) schichtarbeiten musste, ohne dabei auch nur einen Cent mehr zu sehen. Für einen Bruchteil des Lohns eines Schichtarbeiters wur-de ich dort „zur Ausbildung“ ein-gesetzt! Nach diesen drei Jahren ist für mich eines ganz klar: Die Überbetrieblichen Ausbildungs-maßnahen sind nicht dazu da uns eine Lehrausbildung zu geben, noch nicht einmal dazu, Statisti-ken zu schönen, sondern einzig und allein dazu aus Landesgeldern und denen unserer Arbeitslosen-versicherung die Wirtschaft zu fördern!

So kann’s nicht weiter gehen, statt „Lehrstellen“, wie wir sie jetzt angeboten (aufgezwungen) krie-gen, bei denen wir nur als Werk-zeug zur Profitmaximierung der Wirtschaft dienen, brauchen wir echte überbetriebliche Lehrwerk-stätten, einen Lohn von dem man selbständig leben kann und eine Polytechnische Gesamtschule, die Hand- und Kopfarbeit vereint!

Lehrling 2. Klasse?Ausbildung. In ganz Österreich jobben derzeit ca. 10.000 Jugendliche in überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen. Von den Härten im ÜAZ

Rankweil berichtet Julian B. (Name von der Redaktion geändert).

Laut einem neuen Rechtsgutach-ten hätten die Universitäten ab 1. März 2012 die Möglichkeit selbst Studiengebühren einzuheben. Das bedeutet Rückenwind für die ÖVP.

Die Unis sollen dann selbst entscheiden können in welcher Höhe sie Studiengebühren kas-sieren wollen. Die TU Graz und die TU Wien haben bereits an-gekündigt, dass die 500 Euro pro Semester verlangen würden. Damit werden die von der ÖVP und ihrem Wissenschaftsminis-ter Töchterle angestrebten Studi-engebühren durch die Hintertür eingeführt. Die SPÖ steht durch dieses Rechtsgutachten unter massivem Druck. Auch der In-itiator des Bildungsvolksbegeh-rens Hannes Androsch spricht sich für die Position der ÖVP aus: „Die Universitäten brau-chen mehr Autonomie, die ih-nen gewisse Steuerungselemente erlaubt. Dazu zählen auch Stu-diengebühren.“ In dieser Frage zeigt sich einmal mehr deutlich, welche Interessen die ÖVP in der Gesellschaft vertritt. Es zeigt aber auch, dass wir nicht den Fehler begehen sollten uns blauäugig vor den Karren der Bildungsre-former à la Androsch spannen zu lassen. Die SPÖ darf sich nicht zu einem Erfüllungsgehilfen so einer Partei machen, sondern

muss konsequent für die Interes-sen der Jugend und der arbeiten-den Bevölkerung eintreten. Die Wiedereinführung von Studien-gebühren noch dazu in einer der-artigen Höhe würde ein Studium für Kinder aus Arbeiterfamilien ungemein erschweren und die Studierenden noch mehr belas-ten. Ein Großteil von ihnen muss jetzt schon zusätzlich arbeiten, um sich den Lebensunterhalt fi-nanzieren zu können.

Schon am Tag nach dieser Urteilsverkündung gab es in Wien eine große Demo. Aber wie die SJ Vorarlberg in einer Presseaussendung völlig richtig schreibt: „Noch sind die Studi-engebühren zu verhindern, aber nur, wenn wir sie auch entschlos-sen bekämpfen. Auch in Vorarl-berg werden sich viele SchülerIn-nen finden, die für ihre Zukunft kämpfen werden“, so Benedikt Brunner, Vorsitzender der SJ Vorarlberg. „Karlheinz Töchter-le kann sich schon einmal warm anziehen. Auch aus dem Ländle wird er rauen Gegenwind ver-spüren.“

In den nächsten Wochen gilt es an den Schulen und Universi-täten eine breite Bewegung gegen die drohenden Studiengebühren zu organisieren. Mit Streiks und Großdemos werden wir den frei-en Unizugang verteidigen!

Studiengebühren verhindern

Bludenz 2005. Mit einer kämpferischen Antifa-Demo wurde die Nazi-Szene damals schwer geschlagen.

Page 4: Der Funke Nr. 106

November 201104 Der Funke Betrieb & Gewerkschaft

In der Metallindustrie lief die Produktion letztes Jahr wieder

auf Hochtouren. Die Gewinnaus-schüttungen, die ja selbst im Kri-senjahr 2009 mit 2,2 Mrd. Euro nicht gerade schwach ausfielen, stiegen 2010 sogar auf 2,5 Mrd. Euro. Gleichzeitig erlebten wir in den Betrieben eine weitere Stei-gerung der Ausbeutungsrate. Die Produktivität gemessen an den Lohnstückkosten ist enorm ange-stiegen. Die Geschäftsführungen haben die Krise erfolgreich ge-nutzt um die Arbeitsbedingun-gen zu verschlechtern und die Lohnkosten zu senken. Ein gutes Beispiel liefert das Unternehmen von Arbeitgeber-Chefverhandler Hinteregger, die Firma Doppel-mayr Seilbahnen, die 2009 25 Mio. Gewinn gemacht und gleichzeitig 100 Mitarbeiter entlassen hat. Der Personalstand wurde im Vergleich zur Zeit vor der Krise deutlich re-duziert, Kolleginnen und Kolle-gen mit alten Verträgen, die noch besser verdienten, wurden oft ab-gebaut und durch billigere Leihar-beitskräfte ersetzt oder es wurden die Stellen gar nicht nachbesetzt. Der Druck auf die Arbeiterinnen und Arbeiter ist in diesem Jahr massiv gestiegen. Ein Kollege aus den Böhlerwerken in Niederös-terreich berichtete uns, dass der Zusammenhalt in der Belegschaft unter diesen Umständen stark nachgelassen hat, dass sich Kol-legen gegenseitig bei Vorgesetz-ten vernadern usw. Dazu kommt, dass die hohe Teuerung der letzten Monate bei Lebensmitteln (der Wocheneinkauf ist laut AK um 6,9% teurer als vor einem Jahr), Treibstoff (+18%), Heizöl (+20%), Wohnen (+4%) den Lebensstan-dard vieler Arbeiterfamilien ernst-haft bedroht. Und was wir nicht vergessen dürfen, die allgemeine Krise des Kapitalismus schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen. Die Einsicht, dass auf Jahre diese Krise andauern wird, beginnt langsam aber sicher Teil des Bewusstseins der breiten Mas-se zu werden.

Der Zorn und Frust, der sich unter diesen Bedingungen ange-häuft hat, musste sich früher oder später Bahn brechen. Die heurige Lohnrunde wurde plötzlich zum Ventil, wo diese Stimmung einen Ausdruck finden konnte.

Die Gewerkschaft gibt das Signal

Was diese KV-Verhandlungen aus-zeichnete, waren die völlig neuen Methoden der Gewerkschafts-führung. Schon nach der zweiten Verhandlungsrunde ging sie mit einer konkreten Lohnforderung (+ 5,5%) an die Öffentlichkeit. Auf die arrogante Verhandlungs-strategie der Arbeitgeberseite re-agierte sie überraschend heftig und verließ noch vor Einbruch der Dunkelheit den grünen Tisch, wo doch sonst immer bis spät in die Nacht um Kompromisse gefeilscht wurde. Mit Warnstreiks sollte das

Kapital zu Zugeständnissen ge-zwungen werden. Interessant war auch, dass die Gewerkschaft schon vor dieser zweiten Verhandlungs-runde Aussendungen machte, wo sie die eigene Basis von möglichen Protestaktionen informierte.

Viele stellten sich die Frage, warum die Gewerkschaftsfüh-rung sich plötzlich so kämpferisch zeigte. In vielen Betrieben mehren sich die Anzeichen, dass in den kommenden Monaten die Krise auch in der Metallindustrie wie-der schlagend wird. Dann wird auch die nächste Welle an Ent-lassungen und Angriffen auf die Arbeitsbedingungen folgen. Diese Krise wird aber viel tiefer sein als die im Jahr 2009, und der Staat hat weit weniger Spielräume um die Wirtschaft zu stützen. Die heurige Lohnrunde war noch einmal eine Gelegenheit unter relativ günsti-gen wirtschaftlichen Bedingungen einen Erfolg für die Mitglieder zu landen und die Autorität der Ge-werkschaft unter den ArbeiterIn-nen zu sichern.

Unmittelbar nach Abbruch der zweiten Verhandlungsrunde wur-de ein grober Aktionsplan sogar recht breit in der Gewerkschaft gestreut. Dieser lautete wie folgt: Am ersten Tag einstündige Warn-streiks in ausgewählten Betrieben (v.a. in jenen der Chefverhandler),

am darauffolgenden Tag sollten die „mutigen“, sprich kampfberei-ten Betriebsräte ebenfalls Warn-streiks organisieren. Nach einer „Nachdenkpause“ über das Wo-chenende sollte ab Montag ein flächendeckender und unbefriste-ter Streik stattfinden. Dazu wurde intern ausgegeben, dass „wir nicht unter 4% abschließen werden“. Die 5,5%, die angesichts der rea-len Teuerungsrate und den Pro-duktivitätssteigerungen mehr als gerechtfertigt wären, wurden von der Gewerkschaftsspitze immer nur als Erstangebot gesehen, von dem man am Verhandlungstisch was nachgeben kann.

Eine solche Vorgehensweise ist völlig unzureichend, um so einen Arbeitskampf auch gewinnen zu können.

Unerwartete Dynamik von unten

Doch schon der erste Streiktag hat eine völlig neue Dynamik her-vorgebracht, mit der niemand ge-rechnet hat – wohl auch nicht die Gewerkschaft. Mindestens 150 Be-triebe hielten an diesem Tag Warn-streiks mit Betriebsversammlun-gen ab. In vielen Betrieben wurden die Streiks spontan verlängert. In den Böhler-Werken in Kapfenberg etwa legte jede Schicht die Arbeit für 5 Stunden nieder. In ande-ren Betrieben gab es sogar einen 24stündigen Streik, wie bei Pow-ertrain in Oberösterreich oder der VOEST in Linz. In einem Betrieb nach dem anderen haben sich die Betriebsräte und die Kolleginnen und Kollegen gesagt, dass jetzt die Zeit zum Kämpfen gekommen ist. Am zweiten Tag wurden bereits 200 Betriebe bestreikt. 100.000 KollegInnen nahmen an den Kampfmaßnahmen teil. In den bürgerlichen Medien gab es eine Reihe von Berichten und Inter-views mit ArbeiterInnen, die sehr gut die Stimmung in vielen Betrie-ben zum Ausdruck brachten: „Das war höchste Zeit“ oder „Das ist das Beste was uns jemals passiert ist.“ Die Stimmung an der Basis zeigte sich auch sehr schön bei der Protestkundgebung vor der Firma

Buntmetall in Amstetten. Dort sagte Pfarrer Sieder unter großem Beifall bei seiner Rede: „Die 5,5% sind mehr als gerecht. In Wirk-lichkeit würden sich die Arbeite-rInnen noch vielmehr verdienen.“ Die 5,5% wurden so zum Symbol für die Streikenden.

Die Politik der Gewerkschafts-führung ist immer gekennzeichnet von einer großen Skepsis bezüg-lich der Kampfbereitschaft der ei-genen Basis. Aber in diesem Streik hat diese die Spitze eines Besseren belehrt. Dazu kam, dass es zu einer gewaltigen Solidarisierungswelle in der Arbeiterbewegung und in der gesamten Bevölkerung kam. Laut Umfragen unterstützten 51% die Streiks. Unter SP-AnhängerIn-nen waren es 78%, unter FP-Wäh-lerInnen 73% (ganz im Gegensatz zu HC Strache, der sich tunlichst ausschwieg zu diesem Arbeits-kampf). Die Betriebsversammlung bei der Fernwärme Wien fasste so-gar einen Beschluss, ab Montag in den Streik zu treten. Das wäre ein völliges Novum in der jüngeren Geschichte Österreichs gewesen.

Schwachstellen

Eine Bilanz dieses Arbeitskampfes muss aber auch die Negativseiten beleuchten. Schon im vergange-nen Jahr war offensichtlich gewor-den, dass es einen Sektor unter den Betriebsräten gibt, der entwe-der nicht kampfbereit oder nicht kampfwillig ist. In vielen Fällen ist dies eine Reaktion auf die Restruk-turierung der Belegschaften in den letzten Jahren. Viele Betriebsräte konnten den zunehmenden Ein-satz von Leiharbeitskräften nicht verhindern, ihre Machtposition im Betrieb wurde Schritt für Schritt untergraben, bis sie gar keinen anderen Weg mehr sahen als sich mit der eigenen Geschäftsführung zu arrangieren. Selbst in mehreren großen Betrieben (Plasser in Linz oder Böhler-Werke in Ybbsitz) ha-ben die Betriebsräte an den ersten beiden Streiktagen nicht einmal Betriebsversammlungen abgehal-ten. Ganz arg stellt sich die Situ-ation in Vorarlberg dar. Dort hat sogar der ÖGB-Landesvorsitzen-

de Loacker, der auch Betriebsrat in einem der größten Metallbe-triebe ist, offen gesagt, dass es im Ländle keine Streiks geben wird. Protestkundgebungen bezeichnete er als „Schnapsidee“. Eine geplan-te Protestaktion vor der Firma von Chefverhandler Hinteregger wurde auf Betreiben der Gewerk-schaftsbürokratie in Vorarlberg wieder abgesagt. Loacker ließ die Betriebsräte im Regen stehen, als er öffentlich ausrichten ließ, dass sie selbst entscheiden müssen, ob sie Aktionen setzen oder nicht. Die FSG scheint in Vorarlberg sturmreif geschossen. Der Wie-deraufbau der Arbeiterbewegung in diesem Bundesland wird die Aufgabe jener wenigen kampfbe-reiten Betriebsräte und vor allem einer neuen Generation an jun-gen Arbeiterinnen und Arbeitern sein, die heute noch unorganisiert oder in der SJ aktiv sind. Was in Vorarlberg ganz eklatant zu Tage trat, gilt in geringerem Ausmaß in vielen Bereichen der Metallin-dustrie. Diese Betriebsräte, denen ein gutes Auskommen mit dem eigenen Chef wichtiger ist als die Interessen der Belegschaft, müs-sen in der nächsten Periode durch jüngere Kolleginnen und Kollegen ersetzt werden, die für eine besse-re Zukunft kämpfen wollen. Ein erster Schritt muss es sein, dass sie sich in ihren Betrieben zusam-menschließen und eine Diskus-sion darüber beginnen, welches Programm und welche Methoden es im Betrieb braucht. Die Frage von Gewerkschaftsdemokratie ist dabei eine ganz entscheidende.

Von oben abgedreht

Dies führt uns auch schon zu dem Grund, warum dieser Metaller-streik doch keine „echte Streik-bewegung“ wurde, wie dies am zweiten Streiktag noch von GPA-djp-Chefverhandler Proyer ange-kündigt worden war. Die „Helden der Fabrik“ (VOEST-Betriebsrat Schaller) drohten eine Dyna-mik loszutreten, die Österreich einen heißen Herbst bescheren hätte können. Der „soziale Frie-de“ schien erstmals seit langem in Gefahr. Nur die „Presse“, das Zentralorgan der Industriellen-vereinigung, konnte diesem Sze-nario etwas abgewinnen: „Alles ist besser als Zwangspartnerritu-ale ohne jede öffentliche Diskus-sion.“ (15.10.2011) Die Sozial-partnerschaft ist für diesen Flügel der österreichischen Bourgeoisie Geschichte, und alles andere er-scheint dieser Kapitalfraktion bes-ser als die Totenstille hierzulande, welche es unmöglich macht, aus der Sicht des Kapitals „notwendige Reformen“ umzusetzen. Die große Bedeutung, die diesem Streik zu-kam, liegt darin, dass er die Erstar-rung, welche die österreichische Gesellschaft im letzten Jahr kenn-zeichnete, aufbrach und dass er gezeigt hat, dass die Arbeiterklasse ein eigenständiger Faktor im poli-tischen Geschehen sein kann.

Aber noch sitzen die Großko-

Metaller-Streik. Blockade der Werkseinfahrt der VOEST Linz.

Starker Anfang, schwacher AbschlussMetallindustrie. Mit Streiks kämpften die Metaller für die Forderung nach 5,5%-Lohnerhöhung. Doch der Abschluss

steht in keinem Verhältnis zu dem, was möglich gewesen wäre. Eine kritische Bilanz der Redaktion.

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November 2011 Betrieb & Gewerkschaft Der Funke 05

Funke: Wie seht ihr den heurigen Abschluss bei den KV-Verhandlun-gen?

Na, das kannst annehmen, dass ich sauer bin. Wir sind ja wieder nur verraten worden. Sie haben sich ja nicht mal getraut die Zustimmung der Betriebsräte einzuholen, weil sie genau gewusst haben, dass die dem nicht zustim-men können.

F: Euer Betriebsratvorsitzende soll ja nicht gerade ein Held sein.

Der ist sowieso das Letzte. Wie der Streik war, hat er sich von der Chefität an die Wand spielen las-sen.

F: Aber ihr habt doch 5 Stunden ge-streikt, oder?

Am Donnerstag haben wir

auf der Betriebsversammlung in der Halle einen Streik ab Freitag beschlossen mit unseren Betriebs-räten, und um 16 Uhr wurde der von den Betriebsräten wieder ab-gesagt. Da waren wir sauer. Der Vorsitzende hat sich ja nirgends blicken lassen bei uns, und was wir beschlossen haben war ihm egal. Er hat nur unseren Betriebsräten mitgeteilt, dass wir nix machen sollen. Was ist passiert? Der hat vorher mit der Chefität gespro-chen. Da kann man sich eh vorstel-len, was dabei raus gekommen ist. Deshalb haben wir eh schon am Donnerstag ein Protestschreiben aufgesetzt und am Freitag überall ausgehängt, in dem wir schreiben, dass er uns Arbeitern in den Rü-cken gefallen ist und wieder mal nur den Geschäftsführern nach-

gegeben hat und dass er abtreten soll. Am Freitag, wie das ganze Mürztal gestreikt hat und alle auf uns gezeigt haben, hat der BRV aber nachgegeben. Dann haben wir ab 12 Uhr noch 2 1/2 Schich-ten durchgehend gestreikt. Da hat keiner mehr was gemacht.

F: Es war also der Druck aus den anderen Betrieben, dass bei euch was passiert ist. Im Betrieb selber habt ihr nix machen können?

Unserem Betriebsrat haben wir eh gesagt was wir wollen, er kann aber nichts machen, solange der Betriebsratsvorsitzende nicht zustimmt. Und der wiederum war zu feig, um vor die Leute zu treten. Der weiß eh, dass er keine Unter-stützung von den Leuten mehr hat. Aber das wird ihm egal sein,

weil es sein letztes Jahr ist. Aber unser Betriebsrat hat ihm schon weitergegeben, dass wir alle sauer waren. Und das Protestschreiben hat wahrscheinlich auch gewirkt.

F: Ja, das habt ihr gut gemacht!Ja, aber was hilft es, wenn

man um eine gerechte Erhöhung kämpft, und dann fallen die uns in den Rücken?! Das Hauptargu-ment war eine faire Entlohnung und dass wir dafür kämpfen wol-len. Die letzten 10 Jahre sind wir immer über den Tisch gezogen worden... Und jetzt wieder. Kannst dir eh vorstellen, wie uns die Lade runter gefallen ist, wie wir von den +4,2 Prozent gehört haben. Allein die Frechheit, dass die die Einmal-zahlung, die uns überhaupt nix hilft, zu den Prozenten dazu rech-

nen. Die Einmalzahlung hauen wir der Gewerkschaft hinterher, damit sie im Intercontinental noch ein-mal mit den Unternehmern fein dinieren kann. Uns bringt des gar nichts, denn nächstes Jahr zählt die Null, und das zieht sich bis zur Pension hin.

Die Arbeit, die früher, so vor 15 Jahren, drei Kollegen machten, macht heute einer... aber bei was für einer Entlohnung?

Von meiner Schicht sind die halben Leute sofort aus der Ge-werkschaft ausgetreten. In ande-ren Betrieben, wie bei der VOEST in Donawitz haben sie sogar über-legt sich über die Gewerkschaft hinwegzusetzen und weiter zu streiken.

F: Danke für das Interview.

„...wieder über den Tisch gezogen“Interview. Ein Arbeiter von Böhler Kapfenberg über den Metallerstreik und den Abschluss bei den KV-Verhandlungen.

alitionäre auf der Regierungsbank, noch sind die Sozialpartner gut eingebunden in die Regierungsge-schäfte. Am Samstag nutzten Sozi-alminister Hundstorfer (SPÖ) und Wirtschaftsminister Mitterlehner (ÖVP) die „Nachdenkpause“, die die Gewerkschaft Hinteregger & Co. übers Wochenende gewähren wollte, und betraten die Bühne. Hundstorfer erklärte in der Öf-fentlichkeit: „Man muss die Zeit für Verhandlungen nützen.“ Und schon machte er sich gemeinsam mit ÖGB-Chef Foglar und Wirt-schaftskammerpräsident Leitl da-ran „Sondierungsgespräche“ zu führen. Das deklarierte Ziel dieser Herrschaften war es, eine weitere Eskalation des Streiks zu verhin-dern. Sonntag Abend machten dann die ersten SMS die Runde: „Sondierungsgespräche erfolg-reich! Streiks ausgesetzt! Verhand-lungen werden am Mo. 17.10.11, 14 Uhr fortgesetzt!“ Kurz darauf wurde die Nachricht öffentlich.

Damit war für Kenner der ös-terreichischen Gewerkschaftsbe-wegung klar, dass der Kampf von oben abgedreht werden sollte. Schon wurden die Aushänge der PRO.GE für die Betriebe verteilt, mit denen die Gewerkschaftsbüro-kratie der Basis folgendes mitteil-te: „Danke, ihr habt euren Job gut erledigt, aber jetzt sind wir wieder am Zug, wartet mal ab, was wir für euch rausholen.“ Der Vergleich mit einem Coitus interruptus nach einem geilen Vorspiel drängt sich in dieser Situation wohl auf.

Ein Gewerkschafter teilte uns seine Position zu dieser Ausset-zung folgendermaßen mit, die in diesen Stunden wahrscheinlich von vielen geteilt wurde: „Führen die Verhandlungen zu einem Ab-schluss, wie er im Streikziel formu-liert worden ist, dann ist's ok. Ver-laufen die Verhandlungen anders, dann braucht es wieder den Druck aus den Betrieben und es braucht die Streikfortsetzung. (…) Was auch immer herauskommt - mei-ne Meinung ist die, dass das Ver-handlungsergebnis auf jeden Fall in den Betrieben diskutiert und abgestimmt werden muss. Lieber wäre es mir, dass, wenn es notwe-nig ist, weiter gestreikt wird.“

Faktum ist, dass mit diesem Schachzug von oben der Bewe-gung die Dynamik genommen wurde. Umgehend kolportierte die Gewerkschaft - ohne vorher Rück-sprache mit der Basis gehalten zu haben - über die Medien, dass sie einen Lohnabschluss von über 4% fordert. Von den 5,5%, die für alle Kolleginnen und Kollegen DAS Kampfziel waren und rund um die sich Enthusiasmus entwickel-te, war plötzlich keine Rede mehr. Letztlich kamen im Schnitt 4,2% raus, wobei es jedoch für Betriebe mit einer schwachen Ertragslage noch nicht näher definierte Son-derregelungen geben wird. Diese Öffnungsklausel nach unten wird sich in Zukunft als Einfallstor für die Industriellenvereinigung er-weisen. Mit dieser Differenzierung vertieft die Gewerkschaft die Kluft zwischen „starken“ und schwa-chen“ Betrieben, was sich zukünf-tig auch auf ihre Kampffähigkeit auswirken wird. Außerdem stellen diese Klauseln in gewissem Sinne eine Aushebelung der Kollektiv-verträge dar, da Lohnabschlüsse nicht mehr für alle Betriebe flä-chendeckend gelten, sondern von Betrieb zu Betrieb Einzelvereinba-rungen getroffen werden können. Dies ist aber nicht der Sinn und Zweck warum sich die Arbeiter-bewegung die Kollektivverträge erkämpft hat.

Für viele ist dieser Abschluss eine große Enttäuschung, vor al-lem wenn wir uns anschauen, wie dieser „Kompromiss“ zustande kam. Auf der Habenseite bleibt aber doch, dass man gesehen hat, dass man mit einem Streik etwas in Bewegung setzen kann.

Für demokratischeGewerkschaften

Die Führung der PRO.GE und der GPA-djp mögen im Gegensatz zu Foglar verstanden haben, dass es ei-nen kämpferischeren Kurs braucht, damit sie von der Kapitalseite ernst genommen werden. Alle ihre Ver-suche die Gewerkschaftsbewegung kampffähig zu machen (Streiksemi-nare usw.), unterstützen wir, aber es zeigt sich, dass sie mit der sozi-alpartnerschaftlichen Logik noch

immer nicht gebrochen haben. Es ist aber genau diese Unterwerfung unter die von Unternehmerseite propagierte Standortsicherung, mit der die Gewerkschaften eine falsch verstandene Solidarität leisten, die nur zum Zurückbleiben der Löhne und Gehälter geführt hat. Die Ba-sis hat aus ihrer Sicht die Funktion von Bauern in einem Schachspiel, die hin- und hergeschoben werden können.

Unter diesen Bedingungen hätte die Gewerkschaft folgende Schritte setzen müssen: Sie hätte sich nicht von Foglar und Hund-storfer das Heft aus der Hand neh-men lassen dürfen, alle Ergebnisse von etwaigen Sondierungsgesprä-chen und Verhandlungen einer bundesweiten Betriebsrätekon-ferenz vorlegen müssen. Da die Arbeitgeber offensichtlich nur zu weiteren Verhandlungen bereit waren, wenn die Gewerkschaft ihr Kampfziel (die 5,5%) aufgibt, hätte es am Montag zu einem Vollstreik kommen müssen. Und um den Druck weiter zu erhöhen, hätte die Gewerkschaft zu öffentlichen Kundgebungen und einer Groß-demo aufrufen müssen.

Die Methoden der derzeitigen

Führung werden dazu führen, dass die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen wieder in die normale Apathie verfallen wird. Nicht we-nige werden sich sogar überlegen, warum sie überhaupt noch Ge-werkschaftsmitglied sein sollen. Ein Austritt aus der Gewerkschaft wäre aber der völlig falsche Weg. Es geht darum die Gewerkschaft zu verändern. Eine ganz wichtige Rolle werden dabei jene Kollegin-nen und Kollegen spielen müssen, die in vielen Betrieben die Bewe-gung getragen und organisiert haben. Unter ihnen gibt es einen nicht so kleinen Sektor, der über-haupt nicht verstehen kann, war-um plötzlich nicht mehr von den 5,5% die Rede war. Sie wissen, dass es eine kämpferische und demo-kratische Gewerkschaft braucht. Und nach dieser Erfahrung müs-sen Schlüsse gezogen werden. Die Gewerkschaft ist mit den alten Methoden der Sozialpartnerschaft nicht imstande, die Interessen der Arbeiterklasse durchzusetzen. Das höchste Gut der Gewerkschafts-bürokratie ist ein „konstruktives Verhandlungsklima“. Die For-derungen nach echter Gewerk-schaftsdemokratie werden heute

aber von immer mehr Kollegin-nen und Kollegen als richtig und wichtig empfunden. Verhand-lungsergebnisse müssen Betriebs-ratskonferenzen und Betriebsver-sammlungen zur Abstimmung vorgelegt werden. Verhandlungs-teams müssen auf Betriebsrats-konferenzen gewählt werden und sind diesen rechenschaftspflichtig. Gewerkschaftsdemokratie stellt eine Grundvoraussetzung dafür dar, dass die Gewerkschaften und Betriebsräte wieder eine Kampfor-ganisation werden.

Eine solche werden die Arbei-terinnen und Arbeiter der Metall-industrie angesichts der drohen-den Krise bitter benötigen. Der erste Schritt in diese Richtung ist, dass wir die Lehren aus diesem Streik ziehen, dass sich in den Be-trieben kämpferische Kolleginnen und Kollegen zusammenschließen und gewerkschaftsintern Druck aufbauen. „Der Funke“ wird ver-suchen alle Kolleginnen und Kollegen, die diesen Kampf für demokratische und kämpferische Gewerkschaften führen wollen, zu unterstützen.

Bereiten wir uns auf den nächs-ten „Heißen Herbst“ vor!

Metaller-Streik. Der Funke unterstützte die kämpferischen KollegInnen der Firma Buntmetall in Amstetten.

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November 201106 Der Funke Betrieb & Gewerkschaft

Mitte September demonst-rierten Hunderte Spitals-

beschäftigte gegen die Sparpläne des KAV und die schlechten Ar-beitsbedingungen aufgrund des Personalmangels. Mittlerweile hat der KAV die geplanten Kürzun-gen unter diesem Druck wieder zurückgezogen. Wir führten zur Situation im Gesundheitssytem ein Interview mit einer Beschäf-tigten aus einem Geriatriezentrum der Gemeinde Wien. Die Kollegin möchte aus Angst vor Konsequen-zen seitens der Geschäftsführung anonym bleiben.

Funke: Kannst du uns ein wenig über deine Arbeit erzählen? Was genau ist ein Geriatriezentrum?

Ich arbeite seit 10 Jahren als Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester. Ein Geriatrie-zentrum ist eine Einrichtung für Menschen, die ein sehr hohes Maß an Pflege brauchen. Das ist zwar unabhängig vom Alter, allerdings sind die meisten BewohnerInnen über 80 Jahre alt. Generell kann man sagen, dass sie bei uns bis zu ihrem Tod leben werden. Im Ge-gensatz zu einem Spital sind die BewohnerInnen nicht nur wenige Wochen bei uns, sondern oft Jah-re. Dadurch lernt man sie richtig gut kennen, und es entwickelt sich eine Beziehung zu den Bewohne-rInnen.

F: Was macht deine Arbeit beson-ders schwer?

Naja, in einem Spital zum Beispiel werden die PatientIn-nen meistens wieder gesund, in der Geriatrie kann man zwar viel positives für die BewohnerInnen bewirken, aber am Ende ihres Aufenthalts bei uns steht der Tod. Das heißt, dass man oft über Jahre miterlebt wie es den BewohnerIn-nen immer schlechter geht. Das ist natürlich eine enorme Belastung für die Psyche der Kolleginnen. Zu manchen BewohnerInnen hat

man eine ganz enge Beziehung, und dann ist das fast so als ob ein Angehöriger von dir stirbt. Und zum anderen ist natürlich die körperliche Belastung besonders hoch. Es gibt BewohnerInnen, die gar nichts mehr selber machen können, da ist dann die Pflege ex-trem aufwendig, man arbeitet mit vollem Körpereinsatz, muss die BewohnerInnen heben usw.

Dazu kommt dann auch noch der Schichtdienst, 12 Stunden ar-beiten, oft auch am Wochenende und in der Nacht. Das alles wäre aber nicht so schlimm, wenn ge-nug Personal vorhanden wäre. Dann würde sich die Arbeit auf mehr Hände aufteilen.

F: Kannst du uns mehr zur Perso-nalsituation erzählen?

Also in den letzten Jahren ist der Arbeitsdruck enorm gestie-gen. Einerseits wird vom Pflege-

personal immer mehr erwartet, wie zum Beispiel dass man spe-zielle Pflegetechniken anwendet, die sehr zeitintensiv sind, auch wurden viele Tätigkeiten auf den Pflegebereich abgewälzt, die frü-her nicht zum Aufgabenbereich gehörten, andererseits wurde der Personalstand nicht aufgestockt. Das heißt man muss immer mehr mit immer weniger Personal ma-chen. Im Sommer ist das beson-ders schlimm, da ist Urlaubszeit und der schon knappe Personal-stand wird dadurch noch weniger. Überstunden dürfen auch nicht mehr gemacht werden. Da kann es schon passieren, dass nur 3 Kolle-ginnen 24 BewohnerInnen versor-gen müssen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für den einzelnen. Für viele ist unsere Zuwendung der einzige soziale Kontakt, und dafür haben wir dann kaum noch Zeit. Es gäbe zum Beispiel eine Kolle-

gin bei uns, die Freizeitaktivitäten für die BewohnerInnen gestalten soll, doch auf Grund der Perso-nalknappheit führt sie in der Zeit Körperpflege durch, gibt Essen aus usw.

F: Wie wirkt sich diese Situation auf deine Kolleginnen aus?

Ja, die Leute sind ausgebrannt. Viele sind frustriert, sie wollen gute Arbeit leisten, aber das wird immer schwerer. Psychische Prob-leme nehmen zu und auch körper-liche. Wenn man diese Arbeit 20 Jahre macht, dann hat man einen kaputten Rücken. Das drückt sich dann auch in langen Krankenstän-den aus. Oft gehen die Kolleginnen aber auch nicht in den Kranken-stand, obwohl sie krank sind, weil ihr Dienst nicht nachbesetzt wird, und das wollen sie ihren Kollegin-nen nicht antun. Die müssten sonst quasi ihre Arbeit mitmachen.

F: Was würdest du dir für den Pfle-gebereich wünschen?

Ich glaube, dass es sehr wich-tig ist diese Probleme öffentlich zu machen und etwas dagegen zu tun. So kann es nicht weitergehen! Es liegt an uns allen was zu tun. Ich denke auch, dass die Gewerk-schaft einen Arbeitskampf führen sollte. Wichtig dabei ist, dass die Beschäftigten selbst bestimmen können wie dieser Kampf geführt wird. Immerhin sind es ja auch wir, die unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.

F: Hast du konkrete Forderungen?Also von der Gewerkschaft

würde ich mir wünschen, dass sie demokratischer wird, das heißt das die Belegschaft entscheidet was passiert. Wichtig ist es Be-triebsversammlungen abzuhalten und die Kolleginnen miteinzube-ziehen. Die aktuelle Kampagne „Zeit für Menschlichkeit“ finde ich einen guten Anfang, aber eben nur einen Anfang. Notfalls muss die Gewerkschaft auch bereit sein zu streiken. Das ist im Gesundheits-bereich zwar nicht so einfach, aber es gibt international Beispiele, die gezeigt haben, dass es geht, und zwar auch erfolgreich. Und meine Forderungen an die Stadtregie-rung sind, deutlich mehr Personal für den Gesundheitsbereich, eine Anerkennung unserer Arbeit. Die-se muss sich auch in mehr Lohn ausdrücken. Um Krankenstände zu vermeiden und die Gesundheit der Kolleginnen zu fördern, muss die Arbeitszeit verkürzt werden. Also zum Beispiel eine Woche Ur-laub mehr pro Jahr oder die Ver-kürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden.

F: Danke für das Interview.

Das Interview führte Florian Lippert, Krankenpflegeschüler

und Gewerkschaftsaktivist.

Die Arbeit am Flughafen bei der Bodenabfertigung ist oh-

nedies kein Honiglecken. Seit Jah-ren schon verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Jetzt droht aber ein Frontalangriff. Der Vor-schlag der EU-Kommission sieht folgende Punkte vor:

Die Flughafengesellschaften �sollen rechtlich verpflichtet sein die Bodenverkehrsdienste ab 2 Mio. Passagieren bzw. 50.000 Ton-nen Fracht auszugliedern.

Ab 5 Mio. Passagieren bzw. �100.000 Tonnen Fracht sind min-destens 3 Unternehmen vorge-schrieben, welche die Bodenabfer-tigung übernehmen.

Jede Fluglinie soll an jedem �Flughafen die Bodenverkehrs-dienste selbst abwickeln dürfen

Der Einsatz von Subcontrac- �ting (Subunternehmern) soll er-laubt werden.

Beim Ausschreibungsverfah- �ren ist die Beachtung von Kollek-tivverträgen nicht mehr vorge-schrieben.

Mit anderen Worten: Das wäre die vollständige Deregulierung der Bereiche Gepäckabfertigung, Reinigung, Catering-Anlieferung, Betankung, Frachttransport und ein Einfallstor für alle möglichen Unternehmen, die Kollektivver-träge unterlaufen und so die Löh-

ne und Sozialstandards drücken möchten. Für viele der jetzt am Flughafen beschäftigten Kolle-gInnen würde das den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Unter dem Deckmantel des freien Wett-bewerbs sollen einmal mehr die Rechte der ArbeiternehmerInnen ausgeheblt werden. Das ist das vorrangige Ziel der EU.

Am Flughafen Wien nahmen am 10. Oktober mehr als 1000 Arbeiter an der Betriebsversamm-lung teil. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Kolle-gInnen konnten die Versamm-lung nur noch von draußen mit-verfolgen. Laut den KollegInnen

vor Ort war die Stimmung in der Belegschaft sehr aufgebracht und kämpferisch.

In der Vergangenheit hat die internationale Gewerkschaftsbe-wegung bereits in mehreren Fäl-len ähnliche Angriffe seitens der EU-Kommission abwehren kön-nen. Das beste Beispiel lieferten 2006 die europäischen Hafenar-beiter, die mit Streiks und Demos so viel Druck erzeugten, dass die EU einen Rückzieher machen und die Port Package-Richtlinie zur Deregulierung der Hafendienst-leistungen wieder schubladisieren musste. Nicht die gewerkschaft-liche Lobbyarbeit in Brüssel und

bei den nationalen Regierungen sondern der starke Arm der be-troffenen Belegschaften und die ausgeprägte internationale Soli-darität der Gewerkschaften der Hafenarbeiter haben diesen Erfolg möglich gemacht. An dieser Er-fahrung müssen wir auch in die-sem Kampf auf den europäischen Flughäfen anknüpfen. Ein erster Schritt könnte eine europaweite Großdemo in Brüssel noch in die-sem Herbst sein. So können die Gewerkschaften zeigen, dass ihr Protest nicht nur heiße Luft ist. An den Flughäfen selbst sollten die KollegInnen jetzt mit der Vorbe-reitung von Streiks beginnen.

Protest gegen Lohn- und SozialdumpingFlughafen. Eine neue EU-Verordnung zur Bodenabfertigung würde massive Verschlechterungen für die

FlughafenarbeiterInnen bringen. Bei Betriebsversammungen zeigen sich die Belegschaften kampfbereit.

Spitalsprotest. Vor dem Wiener Rathaus heizte das Spitalspersonal der rot-grünen Stadtregierung ein.

„Notfalls müssen wir auch streiken“Gesundheitswesen. Die Arbeitsbedingungen in den Spitälern verschlechtern sich angesichts von Einsparungen

und daraus folgendem Personalmangel seit Jahren. Das „Rote Wien“ ist da keine Ausnahme.

Die Arbeit am Flughafen bei der Bodenabfertigung ist oh-

nedies kein Honiglecken. Seit Jah-ren schon verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Jetzt droht aber ein Frontalangriff. Der Vor-schlag der EU-Kommission sieht folgende Punkte vor:

Die Flughafengesellschaften �sollen rechtlich verpflichtet sein die Bodenverkehrsdienste ab 2 Mio. Passagieren bzw. 50.000 Ton-nen Fracht auszugliedern.

Ab 5 Mio. Passagieren bzw. �100.000 Tonnen Fracht sind min-destens 3 Unternehmen vorge-schrieben, welche die Bodenabfer-tigung übernehmen.

Jede Fluglinie soll an jedem �Flughafen die Bodenverkehrs-dienste selbst abwickeln dürfen

Der Einsatz von Subcontrac- �ting (Subunternehmern) soll er-laubt werden.

Beim Ausschreibungsverfah- �ren ist die Beachtung von Kollek-tivverträgen nicht mehr vorge-schrieben.

Mit anderen Worten: Das wäre die vollständige Deregulierung der Bereiche Gepäckabfertigung, Reinigung, Catering-Anlieferung, Betankung, Frachttransport und ein Einfallstor für alle möglichen Unternehmen, die Kollektivver-träge unterlaufen und so die Löh-

ne und Sozialstandards drücken möchten. Für viele der jetzt am Flughafen beschäftigten Kolle-gInnen würde das den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Unter dem Deckmantel des freien Wett-bewerbs sollen einmal mehr die Rechte der ArbeiternehmerInnen ausgeheblt werden. Das ist das vorrangige Ziel der EU.

Am Flughafen Wien nahmen am 10. Oktober mehr als 1000 Arbeiter an der Betriebsversamm-lung teil. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Kolle-gInnen konnten die Versamm-lung nur noch von draußen mit-verfolgen. Laut den KollegInnen

vor Ort war die Stimmung in der Belegschaft sehr aufgebracht und kämpferisch.

In der Vergangenheit hat die internationale Gewerkschaftsbe-wegung bereits in mehreren Fäl-len ähnliche Angriffe seitens der EU-Kommission abwehren kön-nen. Das beste Beispiel lieferten 2006 die europäischen Hafenar-beiter, die mit Streiks und Demos so viel Druck erzeugten, dass die EU einen Rückzieher machen und die Port Package-Richtlinie zur Deregulierung der Hafendienst-leistungen wieder schubladisieren musste. Nicht die gewerkschaft-liche Lobbyarbeit in Brüssel und

bei den nationalen Regierungen sondern der starke Arm der be-troffenen Belegschaften und die ausgeprägte internationale Soli-darität der Gewerkschaften der Hafenarbeiter haben diesen Erfolg möglich gemacht. An dieser Er-fahrung müssen wir auch in die-sem Kampf auf den europäischen Flughäfen anknüpfen. Ein erster Schritt könnte eine europaweite Großdemo in Brüssel noch in die-sem Herbst sein. So können die Gewerkschaften zeigen, dass ihr Protest nicht nur heiße Luft ist. An den Flughäfen selbst sollten die KollegInnen jetzt mit der Vorbe-reitung von Streiks beginnen.

Protest gegen Lohn- und Sozialdumping

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November 2011 Betrieb & Gewerkschaft Der Funke 07

Wenn dieser Tage PolitikerIn-nen das Wort „Frauen“ in

den Mund nehmen, dann ist vor allem mal Vorsicht geboten. Und ganz speziell, wenn es über die Lippen der selbst ernannten Frau-enpartei SPÖ kommt. Denn selten kommt bei den Forderungen et-was Gutes für die überstrapazier-ten Frauen raus. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das fordert die sozialdemokratische Bewegung seit über 100 Jahren. Mit ihren neuen Methoden und Denkansät-zen werden weitere 100 Jahre ohne Veränderung vergehen.

Guckst du!

Die Frauenministerin hat zu dem Thema eine eigene Homepage einrichten lassen (www.gehalts-rechner.gv.at), damit Frauen nach-rechnen können, was sie eigentlich verdienen sollten. Auf der Home-page wird schon angedeutet, wie Frauen überhaupt in ihre missliche Lage kommen und was dagegen zu tun ist: „Schon beim Einstellungs-gespräch ist das Gehalt häufig Ver-handlungssache. Die ÖGB-Frauen haben neben Information und Be-ratung auch eine neue Broschüre mit ‚Tipps und Tricks für Einkom-mensverhandlungen’ anzubieten.“

Frauen stärken und ihnen ihre Rechte klarmachen – das ist das Ziel der equal pay-Kampagne. Und passenderweise bietet die Junge Generation auf www.lohngerech-tigkeit.at, einer Homepage der SPÖ-Frauen, gleich die Seminare zu Verhandlungsstrategien an. Als Zuckerl erfahren wir dann auch noch über gute, faire Unterneh-men, Frauenkampf hat ja schließ-lich nichts mit Klassenkampf zu tun. Denn wir sind alle nur „Hu-man ressources“, und es gilt sich in Szene zu setzen. Die große Chance – Gehaltserhöhung!

Alles nur Verhandlungssache?

Eine Facebook-Userin machte ihrem verständlichen Ärger dazu Luft: „Ich verdiene laut Gehalts-rechner auch zu wenig - das hab ich aber vorher auch gewusst und darüber ärger ich mich natür-lich, worüber ich mich aber auch ärgere ist folgende Aussage auf www.lohngerechtigkeit.at: ‚Viele Frauen verkaufen ihre Leistung unter ihrem Wert. Frauen treten seltener in Gehaltsverhandlun-gen als Männer. Männer fordern durchschnittlich einmal im Jahr eine Gehaltserhöhung, Frauen

hingegen nur alle zwei bis drei Jahre, wenn überhaupt. Oft ver-langen Frauen auch weniger Ge-halt als männliche Kollegen oder geben sich mit weniger zufrieden. Deshalb wollen wir Frauen ermu-tigen, selbstbewusst in Gehalts-verhandlungen zu gehen.’ D.h. wir Frauen sind selber schuld, dass wir weniger verdienen als Männer? Schlecht verhandelt? Ich finde die Aussage doch sehr realitätsfremd! Wie soll ich denn - nur so als Bei-spiel aus dem Leben einer Durch-schnittsfrau gegriffen - als EIN-ZELNE alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die dringend einen Job braucht (der auch mit den Kindern vereinbar sein soll-te) und vielleicht auch noch in einem typisch weiblichen Beruf ausgebildet ist, höhere Gehaltsfor-derungen stellen? Ich persönlich fühle mich da verarscht! So was geht nur KOLLEKTIV! Die Auf-gabe von Gewerkschaft und SPÖ wäre es meiner Meinung nach Formen des kollektiven Wider-stands (Kundgebungen, Demos, Betriebsversammlungen, Streiks) gegen die Lohnschere zwischen Frauen und Männern (aber auch andere Ungerechtigkeiten deren es zur Genüge gibt) zu organisieren und nicht uns Frauen zu erklären, dass wir schlecht verhandeln.

Selber schuld?

Nach wie vor gibt es die klassi-schen Frauenbranchen, wo die Gehälter extrem niedrig sind. Der Handel oder der Gesundheits- und Sozialbereich gehören dazu. Zu-sätzlich werden oft auch gut aus-gebildete Frauen aufgrund ihrer Doppel- und Dreifachbelastung gezwungen schlechtere Arbeits- und Gehaltsbedingungen zu ak-zeptieren (ähnlich jenen Migran-tInnen, die als hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu Reinigungsdiens-ten verdonnert werden). Die Frage der Kinder- und Altenbetreuung

ist entscheidend, ob sich Frauen am Arbeitsmarkt selbstbewusst und sicher behaupten können. Dies sind alles Fragen, die auf ei-ner politischen, gesellschaftlichen Ebene gelöst werden müssen. Nicht die individuelle Frau ist an der Situation schuld, nach wie vor braucht es die „industrielle Reser-vearmee“ (Marx), eine Masse an Arbeitskräften, um der jeweiligen wirtschaftlichen Anforderung Ge-nüge zu leisten. Die SPÖ akzep-

tiert mit ihren Forderungen die Praktiken der Ellbogengesellschaft und orientiert sich dabei an den oberen 10.000, die „es sich richten können“. Die Kollektivvertrags-verhandlungen haben begonnen. Hier könnten Nägel mit Köpfen gemacht werden. Ein für allemal – und nicht erst in 100 Jahren!

Die Autorin ist Mitglied des Regionalvorstands von work@social in der GPA-djp Wien.

Achtung, das F-Wort!Lohngerechtigkeit. Österreichweit wurde im Rahmen der „Equal Pay Days“ auf die Lohnschere zwischen Frauen

und Männern hingewiesen. Lis Mandl schaut sich die Antworten der SPÖ-Frauen zu der Frage an.

Ende September hat der Ar-beitgeberverband die Kollek-

tivverträge für die Rollen- und Bogendrucker gekündigt, nur der Bereich der Tageszeitungen wurde verschont – dieser Kollektivvertrag läuft 2013 aus. Das Angebot der Arbeitgeber für die gekündigten Bereiche ist dabei ein Schlag ins Gesicht. Nachdem es schon in der letzten Kollektivvertragsrunde Re-allohneinbußen gab, liegt das An-gebot der Arbeitgeberseite jetzt bei Erhöhungen auf dem Niveau der Inflationsrate – Minus 1%. Wenn man dazu noch bedenkt, dass die offizielle, für die Berechnung her-angezogene Inflationsrate eh schon

unter der wirklichen Teuerung bei den Gütern des täglichen Bedarfs liegt, ist dies eine blanke Provoka-tion. So verwundert es auch nicht, dass die kampfstarken Zeitungs-drucker ausgespart wurden. Bei ihnen würde schon ein Streik von wenigen Stunden enorme Verluste für die Unternehmen bedeuten, die Kapitalisten scheuen deswegen einen Arbeitskampf um so mehr, wenn diese Sparte beteiligt ist. Gleichzeitig ziehen die Unterneh-mer auch sonst alle Register, um möglichst unorganisierten Beleg-schaften einzeln gegenübertreten zu können und Solidarität erst gar nicht aufkommen zu lassen. In

verschiedenen Betrieben wird mit Sondereinigungen kokettiert und sozialpartnerschaftliche Rhetorik bemüht. Diesen Spaltungsversu-chen muss ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Unse-re einzige Waffe ist die Solidarität, die Einheit der Gewerkschaft. Nur zusammen können die Belegschaf-ten aller Bereiche und Betriebe die größte Kampfkraft entfalten. Gera-de in Zeiten der erneut stockenden Konjunktur, werden die Unterneh-mer wieder versuchen, die „Kosten zu senken“ und die „Wettbewerbs-fähigkeit zu erhöhen“, um die Krise ihres Systems auf uns abzuwälzen.

Beim letzten Kampf zur Erhal-

tung des KV hat die Gewerkschafts-führung um Kollegen Bittner gegen den Grundsatz der Gewerkschafts-einheit und Solidarität verstoßen, um ja den „sozialen Frieden“, sprich seine guten Beziehungen zu den angeblichen „Sozialpartnern“, aufrecht zu erhalten. Wie Hohn klingen da seine Worte nach, mit denen er 2009 seinen Posten bei der WGKK räumte: der Gewerk-schaft wolle er treu bleiben, „es wäre unerträglich, hier unerledig-te Arbeit zurückzulassen.“ Doch ist dies nur wenig verwunderlich, waren und sind doch bei Bittner handfeste materielle Interessen im Spiel: Ein Mann, der sein Geld mit

diversen Unternehmensbeteiligun-gen verdient, hat an der Spitze der Druckergewerkschaft nichts verlo-ren. Allen KollegInnen muss klar sein, dass sie die künftigen Kämpfe im grafischen Gewerbe nur gewin-nen können, wenn sie zuerst in der eigenen Gewerkschaft die Brem-ser zur Seite schieben und aus der Gewerkschaft wieder die demo-kratische und kämpferische Orga-nisation machen, als die sie einst gegründet und in harten Kämpfen aufgebaut wurde.

Der Autor ist Mitglied des Regionalvorstands der

GPA-djp-Jugend Salzburg.

Geeint für einen einheitlichen KVGrafisches Gewerbe. 2009 hatten die Unternehmer durchgesetzt, dass der Kollektivvertrag für die Druckereibranche

aufgespalten wurde. Diese Strategie der Spaltung führen sie nun fort. Ein Bericht von Flo Keller.

Protestaktion der SJ Vorarlberg bei Doppelmayr in Wolfurt

Christoph Hinteregger, Chefverhandler der Arbeitgeber bei den Kollektiv-vertragsverhandlungen in der Metallindustrie, hat in seinem Betrieb gut leben. Als Geschäftsführer kann er gelassen davon reden, dass die Löhne in der Metallindustrie ohnehin schon sehr hoch seien und 5,5% Lohn-erhöhung sehr viel seien! Die Sozialistische Jugend Vorarlberg hat am Donnerstag, den 13. Oktober, in Solidarität mit den Metallerstreiks eine Protestaktion vor Doppelmayr – „seinem“ Betrieb – abgehalten, bei der wir die zweifelhafte Ehre hatten, mit ihm in ein direktes Gespräch zu treten.

Gewerkschaft und Betriebsräte scheinen in Vorarlberg mit wenigen Aus-nahmen nichts mehr zu wollen als mit den Unternehmern an einem Tisch zu sitzen und ihnen vielleicht noch den Kaffee zu servieren. Die meis-ten Gewerkschaftsverantwortlichen im Ländle verhalten sich wie zweite Chefs. Die Gewerkschaften müssen aber wieder ein Kampfinstrument der Arbeiterklasse werden! Wenn schon im Vorhinein faule Kompromisse und die bürgerliche (Standort-)Logik akzeptiert werden, ist es kein Wunder, dass sich die ArbeiterInnen nicht mobilisieren lassen. Dass es auch in Vorarlberg anders geht, haben die Betriebsräte und die Belegschaften von Hydro Aluminium und Collini in Bludesch gezeigt. Diese haben sehr wohl gestreikt. Vollständiger Bericht der Aktion auf www.derfunke.at

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November 201108 Der Funke

Funke: Wie siehst du die aktuelle Wirtschafts-krise?

Gerti Jahn: Zwei Faktoren haben im We-sentlichen zur Finanzkrise geführt: erstens die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, zweitens die völlige Freiga-be der Kapitalmärkte. Wenn die Menschen wenig Kaufkraft haben, investieren die Un-ternehmen nicht. Und wenn sie nicht inves-tieren, haben auch die Anleger mit ihren riesigen Vermögen weniger Möglichkeiten, profitabel anzulegen. Dadurch sind letzt-endlich die hochspekulativen Finanzpro-dukte entstanden. Der Hintergrund ist der Druck über das Aktiensystem. Die Aktio-näre erwarten immer mehr Profit, die Ge-winnvorgaben steigen ständig. Die Leute in den Betrieben müssen das ausbaden. Der Lohndruck ist massiv, die Mehrheit hat kaum reale Lohnsteigerungen.

Funke: War es richtig, dass die SPÖ im Parla-ment für die Erweiterung des Euro-Rettungs-schirms gestimmt hat?

Gerti Jahn: Unter den bestehenden Vo-raussetzungen ist es unbedingt notwendig, dafür zu stimmen. Es hätte fatale Folgewir-kungen, wenn ein Staat tatsächlich in Kon-kurs gehen würde. Das könnte die ganze Weltwirtschaft nach unten ziehen. Der Ret-tungsschirm ist allerdings ein konservatives Instrument: Es wird solange gewartet, bis ein Staat vor dem Kollaps steht. Erst dann gibt man ihm begünstigte Kredite und verlangt gleichzeitig ungeheure Sparmaßnahmen und Privatisierungsmaßnahmen, die wiederum die Staaten noch stärker in die Krise treiben.

Funke: Wärst du in Griechenland, würdest du die Politik Papandreous mittragen?

Gerti Jahn: Griechenland steht unter dem Druck der EU, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zen-tralbank. Ich würde mich schwer zu ent-

scheiden trauen, hier nicht mitzugehen und den Staat in Konkurs gehen zu lassen. Das würde den Menschen nicht nur die Arbeits-plätze kosten, sondern noch mehr. Wenn es zu Zusammenbrüchen kommt, heißt das ja nicht, dass dadurch von selbst ein neues, gu-tes System entsteht.

Funke: Lässt sich die Sozialdemokratie hier nicht vor den Karren des Kapitals spannen?

Gerti Jahn: Nein. Es gibt ein sehr umfas-sendes Gegenprogramm der europäischen Sozialdemokratie gegen die Einsparungs- und Kürzungspolitik. Wir benötigen wachs-tumsfördernde Programme und ein Ende des Steuerwettlaufs nach unten. Die Staaten brauchen niedrige Zinsen und das können wir nur durch gemeinsame EU-Anleihen, sogenannte Euro-Bonds, möglich machen. Die sollen über einen europäischen Wäh-rungsfonds ausgegeben werden – manche nennen es auch Bank für öffentliche Anlei-hen. Das würde vorläufig Beruhigung auf den Kapitalmärkten bringen.

Wir sind für eine koordinierte Wirt-schaftspolitik mit dem Ziel eines nachhal-tigen und sozial gerechten Aufschwungs,

umgesetzt durch eine Wirtschaftsregierung – oder in irgendeiner anderen institutionel-len Form. Es dürfen nicht einseitig nur Lei-tungsbilanzdefizite gebrandmarkt werden, auch deren Spiegelbild, also die Leistungsbil-anzüberschüsse, müssen zumindest strengs-tens kontrolliert werden und Maßnahmen dagegen gesetzt werden. Dazu müssen wir es schaffen, europaweit eine produktivitäts-orientierte Lohnpolitik zustande zu bringen. Das heißt, die Produktivitätszuwächse soll-ten auch tatsächlich an die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer weitergegeben wer-den. Exportstarke Länder wie zum Beispiel Deutschland, aber auch Österreich, hatten in den letzten Jahren Lohnsteigerungen unter ihren Produktivitätszuwächsen. Das hat die Krise weiter verschärft. Die Schwie-rigkeit: Löhne werden ja nicht über Staaten festgelegt, d.h. es braucht auch innerhalb der europäischen Gewerkschaften eine gut akkordierte Vorgangsweise. Ein weiterer wesentlicher Punkt wird sein, ob es gelingt, Währungen zu stabilisieren.

Funke: Die Krise verschärft sich wieder. Kommt nun eine neue Welle von Kurzarbeit und Lohnverzicht?

Gerti Jahn: Die Leute sind nicht mehr dazu bereit, das zu akzeptieren. Ich glaube, dass die Menschen noch viel mehr auf die Straße gehen werden. Ich setze da auf die europäischen Gewerkschaften, die diesen Widerstand anführen müssen.

Funke: Das heißt, du würdest heute in Athen mitdemonstrieren?

Gerti Jahn: Vermutlich. Vermutlich wür-de ich mitdemonstrieren. Der entscheiden-de Punkt ist nur, dass es nicht die Schuld der griechischen Sozialdemokratie ist, was dort passiert. Es ist zum einen die Schuld der Finanzmärkte und zum anderen war es eine konservative Regierung, die diese

Tricksereien im Haushaltsbereich damals gemacht hat. Auszubaden hat es jetzt die sozialistische Regierung Papandreous. Es kann ja nicht unser Zugang sein, dass wir dafür sorgen, eine sozialistische Regierung zu stürzen, die noch versucht, die Dinge bestmöglich gegenüber den Neoliberalen abzufedern.

Funke: Alle Regierungen müssen das Pro-gramm des Kapitals umsetzen, bei Strafe des unmittelbaren …

Gerti Jahn: … Untergangs. Es ist eben nicht eine Frage der Politik von Einzelregie-rungen, sondern eine Systemfrage. Es ist ein historischer Zufall, ob die eine oder die ande-re Regierung an der Macht ist. Man braucht sich nur anschauen, was in Großbritannien los ist: Man hat die Labour-Regierung ab-gewählt in der Zeit der Finanzkrise, weil Labour in den Augen der Leute nicht in der Lage war, die Probleme zu lösen. Damit sind die Menschen aber vom Regen in die Traufe gekommen. Denn die Konservativen setzen gerade ein Sparprogramm um, das die Men-schen aus den Sozialwohnungen wirft und dramatischste Kürzungen vorsieht.

Daher ist mein Zugang: Solange von 27 EU-Staaten 23 konservativ regiert sind, ist das Gewicht der Sozialdemokratie natürlich sehr gering. Insofern braucht es eine europä-ische Gegenbewegung, nicht nur nationale Gegenbewegungen. Die europäischen Ge-werkschaften sind mittlerweile sehr gut or-ganisiert. Und es hat auch bereits einen ent-scheidenden Erfolg gegeben: dass jetzt die europäische Kommission eine Finanztrans-aktionssteuer vorschlägt, ist ein wesentlicher Erfolg der europäischen Linken, die das jah-relang verlangt hat. Die Finanztransaktions-steuer wird die Spekulationsgeschwindigkeit verringern und auch Geld in die öffentlichen Kassen spülen. So kann ein Schritt nach dem anderen offensiv angegangen werden.

Linkskeynesianismus versus Marxismus - eine Debatte über die Aufgaben der Arbei-terbewegung angesichts der Schuldenkrise.

SündenfallEuro-

Rettung

„Papandreou versucht, die Dinge bestmöglich abzufedern“

Interview. Wir sprachen mit Gerti Jahn, der Leiterin der AK-Wirtsschaftspolitik und neuen Klubobfrau der SPÖ im OÖ. Landtag, über Griechenland, die Euro-Krise und die Möglichkeiten sozialdemokratischer Politik.

Schwerpunkt

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November 2011 Der Funke 09Schwerpunkt

Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine griechische Tragödie. Die handelnden

Personen geraten durch die Macht der Er-eignisse in eine ausweglose Lage. Sie ge-hen – die Leserin weiß es von Anfang an – zwangsläufig ihrem Untergang entgegen. Und in der Tat: Egal, was die Bürgerlichen und ihre Regierungen heute gegen die Euro-Krise tun, sie tun das Falsche.

Bereits im Mai 2010 war das Euro-Pro-jekt kurz vor dem Zusammenbruch gestan-den. Deutschland, das sich lange Zeit gegen einen Rettungsschirm ausgesprochen hat-te, musste unter dem Druck der Ereignisse schließlich zustimmen. Um die Märkte zu beruhigen, mussten die deutschen Kapital-strategen sogar dem hunderte Milliarden schweren Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) zustimmen – etwas, das sie ein Jahrzehnt lang mit Ver-weis auf drohende Hyperinflation als den ultimativen Sündenfall gebrandmarkt hat-ten. Doch man sagte sich: Wenn wir diesen Schritt nicht gehen, wird eine Dynamik in Gang gesetzt, die unmittelbar zum Zerfall der Euro-Zone führen könnte.

Ein Poker-Vergleich drängt sich auf: Entweder aussteigen und viel verlieren, oder im Spiel bleiben und die Einsätze erhöhen. Der Grundgedanke hinter dem Rettungs-schirm: Je höher die staatlichen Garantien für die Kredite angeschlagener Staaten, des-to weniger wird man letztlich tatsächlich hinblättern müssen. Bis jemand den Bluff aufdeckt.

Einige Spielrunden liegen bereits hinter uns, und die Spielsumme ist bereits gehörig angewachsen. Diesen Frühling mussten sich die Euro-Strategen eingestehen, dass die bisherigen Stützkäufe der EZB und der Ret-tungsschirm nicht ausreichen. Also: Einsät-ze erhöhen. Staatliche Garantien ausweiten. Dem Rettungsschirm mehr Befugnisse ge-ben. Ende des Sommers waren die Beschlüs-se noch nicht einmal durch die nationalen Parlamente gegangen, da hieß es bereits: Wir müssen die Einsätze weiter erhöhen.

Und der Sog der Ereignisse wird so schnell nicht abreißen. Damit sich die Fi-nanzmärkte nicht auf einzelne, schwäche-re Länder stürzen können, drängt sich der nächste Schritt auf: eine weitere Zentrali-sierung der Wirtschafts- und Geldpolitik in der Europäischen Union. Gefordert wird dies v.a. von rechten Sozialdemokraten wie Schröder und Gusenbauer. In ihrem Schlepptau befinden sich aber leider auch die linken Teile der Sozialdemokratie, wie das Interview mit Gerti Jahn zeigt. Sie alle vereint die Argumentation: Den Krieg gegen die Finanzmärkte können wir nur gewin-nen, wenn sich die Länder durch gemeinsa-me Anleihen („Euro-Bonds“) verschulden. Damit würde der unmittelbare Druck von einzelnen schwächeren Staaten genommen, die auf niedrigere Zinsen durch die Finanz-kraft Deutschlands bauen können. Um-gekehrt würden allerdings die Zinsen, die Deutschland oder Österreich für neue Kre-dite bezahlen müssen, zwangsläufig steigen. Dementsprechend hart die Forderungen dieser Länder: Eine „Wirtschaftsregierung“ zusammengesetzt aus den Staats- und Regie-rungschefs aller Staaten müsse das Budget eines jeden Staats billigen. (Die Linkskeyne-sianerInnen fügen dann hinzu, dass sich die europäische Sozialdemokratie an der Spitze einer solchen EU-Wirtschaftsregierung für eine Budgetpolitik des „sozial gerechten Aufschwungs“ stark machen werde.)

Wohlgemerkt: Diese ganze Dynamik ist zu einer Zeit in Gang gekommen, in der zu-mindest die wirtschaftlich stärkeren Länder noch etwas Spielraum besaßen. Nun zeich-

net sich bereits der nächste Abschwung ab. Alle Hoffnung auf einen Aufschwung, der wieder mehr Geld in die Staatskassen spü-len und die Situation entschärfen würde, schwindet dahin. Auch Deutschland und Österreich werden dann die Schrauben bei Löhnen und Sozialausgaben anziehen müs-sen.

Mehr Staat, weniger private Verluste

Der Kreis um Angela Merkel sieht die Ge-fahr. Er will auf die schöngeistigen Europa-Appelle nicht eingehen. Man hält es für po-litisch nicht durchsetzbar, letztlich für alle schwächeren Euro-Länder gradezustehen und gleichzeitig als der Buhmann Europas zu gelten, der immer tiefere Einschnitte an-ordnet.

Daher braucht es aus Sicht der Bürgerli-chen einen anderen Rettungsmechanismus. Im September begann die EU-Kommission das nächste offizielle Bankenrettungspaket zu schnüren – notfalls auch gegen den Wil-len der Banken, die sich durch die staatliche Einmischung die Boni nicht vermiesen las-sen wollen. Einige populistische Manöver gegen „die Banken“ werden wohl notwen-dig sein, um die Öffentlichkeit von weite-ren Rettungsmaßnahmen im dreistelligen Milliardenbereich zu überzeugen. Es kann durchaus sein, dass als Flankenschutz eine Finanztransaktionssteuer oder irgendeine andere „Reichensteuer“ eingeführt wird.

Vielleicht bringt man auch ein paar skrupel-lose Manager öffentlichkeitswirksam hinter Gitter. Vielleicht lässt der Standard Chris-tian Felber etwas öfter zu Wort kommen, oder sogar Die Presse. Wir hören bereits die ÖGB- und AK-ExpertInnen jubeln, dass die Bürgerlichen „endlich“ ein Einsehen haben und man auf dem richtigen Weg sei. Lassen wir uns nicht täuschen: Es würde sich um ein Manöver handeln, um das System als Ganzes zu retten. Auf keinen Fall dürfen sich die Organisationen der ArbeiterInnen-bewegung ein weiteres Mal für die Rettung der Banken hergeben.

Gibt es eine Alternative zur Position Gerti Jahns?

Es ist ein paradoxes Bild: Gerti Jahn, die als politische Hoffnungsträgerin des Links-keynesianismus in Österreich gilt, würde in Griechenland für die Sparmaßnahmen stimmen, und gleichzeitig vor dem Parla-ment protestieren. Paradox vielleicht, aber nur konsequent. Denn sie würde nicht ge-gen ihr eigenes Abstimmungsverhalten de-monstrieren, sondern für eine Änderung der europäischen Wirtschaftspolitik, die den armen Papandreou in diese Lage gebracht hat. Ob die Arbeiterinnen und Arbeiter und die Jugendlichen diesen feinen Unterschied verstehen würden? Wir wagen es zu behaup-ten. Genossin Jahn würde wahrscheinlich genauso verprügelt werden, wie viele ande-re Parlamentarier, die es heute wagen sich

in der Öffentlichkeit zu zeigen und die der aufgebrachten griechischen Menge zu nahe kommen.

„Aber“, wenden unsere Linkskeynesia-nerInnen unisono mit den Bürgerlichen ein, „es gibt eben keine Alternative“. Zumindest nicht, bis „wir“ wieder die Mehrheit der Regierungen in der EU stellen. Wir las-sen dahingestellt, ob und wie sich Europas Wirtschaftspolitik ändern wird, wenn der Schattenfinanzminister der SPD Frank-Walter Steinmeier des Kontinents mächtigs-ter Mann sein wird. Aber gibt es tatsächlich keine Alternative?

Durchaus, es gibt sie: Was spricht dage-gen, den Spieß umzudrehen und die Bür-gerlichen unter Zugzwang zu bringen? Wir sagen: „Unsererseits ist eine Zustimmung zum Rettungsschirm völlig ausgeschlossen. Er bedeutet Elend und Verzweiflung für die breiten Massen und hunderte Milliarden für die Banken. Am Ende wird er den wirtschaft-lichen Verfall trotzdem nicht aufhalten kön-nen. Daher bringen wir die Streichung aller Staatsschulden und die Verstaatlichung des gesamten Bankensektors zur Abstimmung.“ Die Rechtsparteien (BZÖ und FPÖ), die mit Euro-Kritik punkten können, würden sich schnell als Feinde der Lohnabhängigen entlarven. Und damit die Verstaatlichungen nicht wieder zur sprichwörtlichen Korrupti-on in staatlichen Unternehmen führt, rufen wir zu nationalen branchenübergreifenden Betriebsratskonferenzen auf, die Delegierte wählen, um die Geschäfte der Banken zu kontrollieren. Wir würden die verstaatlich-ten Banken zu einer einzigen staatlichen Zentralbank zusammenschließen, deren Kreditpolitik das Herzstück einer geplanten Wirtschaft darstellen würde, mit der eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft entlang den Bedürfnissen der Menschen in Angriff genommen werden könnte.

Eine Vereinigung Europas auf einer kapi-talistischen Grundlage ist unter den Bedin-gungen der Krise eine reaktionäre Angele-genheit. Die EU ist das Europa des Kapitals und lässt sich nicht reformieren. Die einzige Alternative liegt in der Perspektive eines Vereinigten Sozialistischen Europas. Nur in einer europäischen Planwirtschaft könnte der gesellschaftliche Reichtum dieses Kon-tinents zur Rettung von Ländern wie Grie-chenland eingesetzt werden.

Nun werden die LinkskeynesianerInnen vielleicht einwenden: „Wenn wir heute ein solches Programm vorschlagen, wird man uns ansehen, als seien wir vom Mond. So wie die Sozialdemokratie und die Gewerk-schaften heute aufgestellt sind, ist das völ-lig unmöglich. Stimmen wir lieber für den Rettungsschirm und gewinnen so Zeit, um dann für ein soziales Europa kämpfen zu können.“

Ja, wir machen uns nichts vor – die gesamte heutige Führung der ArbeiterIn-nenbewegung ist nicht gewillt einem sozi-alistischen Kurswechsel zuzustimmen. Die politischen Halbheiten der reformistischen Linken bieten jedenfalls keinen Ausweg aus dieser Krise. Nur ein scharfer Bruch mit der bürgerlichen Logik kann die Basis legen für eine Neuorientierung der Linken. Eine voll-ständige Distanzierung von allen Konzepten zur Rettung des Euros, wie sie heute in den Regierungen und Notenbanken diskutiert werden, muss der erste Schritt sein. Die Lin-ke darf keine Verantwortung für die damit verbundene Politik des sozialen Kettensä-genmassakers übernehmen. Die ArbeiterIn-nen müssen sehen, dass es eine politische Kraft gibt, die kompromisslos ihre Interes-sen zum Ausdruck bringt. Die Ereignisse werden uns Recht geben.

Nein zum Banken-RettungspaketDebatte. Mit der Zustimmung zu den Euro-Rettungsmaßnahmen begeht die Sozialdemokratie

einen schweren Fehler. Dabei gäbe es eine Alternative, schreibt Friedrich Pomm.

Systemfrage. Weltweit wird das System in Frage gestellt.

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November 2011Schwerpunkt10 Der Funke

Einige glauben, dass es schlicht-weg an der menschlichen Gier

und am allgemeinen Mangel an humanen Werten läge, dass Ban-ken krachen und Massenentlas-sungen durchgezogen werden. Die reformistische Linke sieht die Ursache der Krise im Mangel an staatlicher Regulierung, die bür-gerliche Rechte im Zuviel an Re-gulierung der Märkte. Einig war man sich ursprünglich darin, dass die „Spekulanten“ die Schuldigen sind. Bereits Karl Marx erklärte jedoch, dass die Geldkrise nur ein Symptom einer verallgemeinerten Krise ist.

Die Kritik der politischen Ökonomie liefert die Erklärung, dass die Ursachen der Krise syste-misch sind. Mit anderen Worten: Es kann keinen Kapitalismus ohne Krise geben. Krisen stellen sogar einen festen Bestandteil der Ent-wicklung des Wirtschaftssystems dar. Die Kombination von einer entfesselten Produktion, die für den globalen Markt arbeitet, und der armseligen Planungsfähigkeit individueller privater Profitinter-essen ist der grundlegende Wider-spruch, der Krisen folgen lässt wie das Amen im Gebet. Das wesent-liche Krisenmotiv ist, dass es ein Zuviel an Waren, Produktivkräf-ten, Wohnungen, Banken, Kul-tur und Zivilisation gibt, als dass dieser gesellschaftliche Reichtum Profite abwerfen könnte, weil es schlicht und einfach an Märkten, sprich zahlungskräftiger Nachfra-ge, fehlt. Wenn nun dieser Über-schuss an Kapazitäten gegen die Enge des Marktes rebelliert, gibt es drei grundlegende Möglichkeiten aus der Situation heraus zu kom-men: „Die bürgerlichen Verhält-nisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reich-tum zu fassen. – Wodurch über-windet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Pro-duktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte.“ (Marx/Engels, Kommu-nistisches Manifest)

Halten wir fest: Die Rebellion der Produktivkräfte führt unter den Bedingungen der kapitalis-tischen Produktion schlicht weg zur Zerstörung des Vorhandenen, um Neues profitabel aufbauen zu können.

Geprägt vom langen Aufschwung

Dieser Mechanismus hat im 20. Jahrhundert zu drei Systemkri-sen geführt, von denen die ersten beiden in Weltkriegen mündeten. Der 2. Weltkrieg und die voran-gegangene Wirtschaftskrise waren das direkte Resultat davon, dass der 1. Weltkrieg keine genügende Zerstörung und Umverteilung der Märkte hervorbringen konnte. Im 2. Weltkrieg wurden die Bedin-gungen geschaffen um einen lan-gen Nachkriegsaufschwung sicher zu stellen: Die Zerstörungen wa-

ren groß, die Welt wurde in zwei stabile Lager aufgeteilt, wobei sich mit den USA eine klare Führungs-macht in der westlichen Welt he-rausgebildet hatte. Die im Krieg ausgebauten amerikanischen Überschusskapazitäten wurden in Westeuropa zum Einsatz gebracht, hier fanden sie beste Verwertungs-bedingungen vor. Die politische Voraussetzung des nun folgenden langen Nachkriegsaufschwungs war der Verzicht der Arbeiterklas-se auf die soziale Umwälzung der Gesellschaft nach der Erfahrung des Faschismus.

Dieser Boom endete in den Krisen von 1974 und 1981. Das Kapital reagierte mit der Durch-setzung einer neoliberalen Politik. Die Finanzmärkte werden von da an zu einem bestimmenden Element der Produktionswei-se. Unterstützt wurde dies durch den Fall der Sowjetunion und die Öffnung von China und Indien. Hier wurde nicht nur ein wichti-ger ideologischer Sieg errungen („Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus“), sondern es konn-ten auch über 2 Mrd. Menschen in den kapitalistischen Weltmarkt integriert werden. Doch auch dieses Neuland wurde rasch kon-sumiert. Die Krisen in Asien und Lateinamerika 1998-2000 waren die erste Warnung, doch noch ein-mal gelang es mittels einer massi-ven Ausweitung der Verschuldung (v.a. der privaten Haushalte für die Ankurbelung des Konsums) den Ausbruch der globalen Krise zu verhindern. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die grundlegen-de Tendenz der Entwicklung zum Durchbruch kam. Dies war mit dem Platzen der Immobilienblase und der Lehman-Pleite im Jahr 2008 der Fall.

Die Lage wurde durch massive öffentliche Interventionen im Ka-pitalsektor stabilisiert. Laut dem EU-Rat wurden ab 2008 in Euro-

pa 1240 Mrd. (!) Euro an Steuer-geldern in die Hand genommen, um europäische Banken vor dem Kollaps zu retten. Erreicht wur-de damit, dass die Banken- und Industriekrise – wie wir heute mit Sicherheit wissen – in eine Staatsschuldenkrise umgewandelt wurde. Ein Aufschwung konnte jedoch nicht herbeifinanziert wer-den, diese seit Jahren exzessiv ein-gesetzte Schulden-Medizin zeigte keine dauerhafte Wirkung mehr.

Vor dem Hintergrund einer sich global abkühlenden Wirt-schaft wird dies katastrophale wirtschaftliche und soziale Aus-wirkungen haben. Die im letzten Aufschwung aufgebauten Fettre-serven wurden alle in der letzten Krise aufgebraucht. In schwä-cheren europäischen Staaten wie Griechenland, Irland und Portugal wurde bereits mit der Krise 2008 die Schmerzgrenze erreicht. Ge-neralstreiks, die Bewegung der „Empörten“ und der Aufstand der griechischen Arbeiterklas-se und Jugend im Oktober 2011 sind die politische Konsequenz. Reichere europäische Nationen wie Deutschland und Österreich werden früher oder später in der Doppelmühle von Eurokrise und neuerlicher Rezession ähnliche Prozesse durchleben.

Diktatur des Kapitals

Einstweilen wiegt uns die Poli-tik in Sicherheit. Fekter erklärt uns für die kommende Krise gut gerüstet. Doch in der Arbeiter-klasse hat sich die Stimmung ver-festigt, dass wir nie aus der Krise rausgekommen sind. Jean Claude Juncker (Chef der Euro-Gruppe) hat in einem ZIB2-Interview of-fen deklariert, dass er als Politiker in diesen Tagen nicht immer die Wahrheit sagen kann, um das Sys-tem zu schützen. Welches System meint er? Die Diktatur der Banken

und Konzerne. Diese Diktatur hat heute Gesetzescharakter. Im Bun-desgesetzblatt Teil II, Nr. 254/2007 wird die österreichische Banken-aufsichtsbehörde darauf verpflich-tet die Urteile der Ratingagenturen in ihre Analyse zu übernehmen. Damit haben die Urteile von Pri-vatkonzernen automatisch Geset-zescharakter erlangt, und unsere Politiker zittern sklavisch vor jeder Bewertung der Kapitalgruppen.

Drei Szenarien

Die Rettung des Euros ist zum Lieblingssport der Notenban-ker geworden. Am Morgen plä-diert Merkel für dies, am Abend Schäuble für jenes, und gemein-sam mit Sarkozy wollen sie mit einem Paukenschlag den Euro ret-ten – wieder einmal.

Grundsätzlich gibt es zwei Sze-narien, die diskutiert werden:

1. die „Hebelung des EFSF“: Der europäische Rettungs-schirm (EFSF) hätte ursprünglich 440 Mrd. Euro betragen (bezahlt von den Mitgliedsstaaten). Dieses Geld reicht jedoch nicht zur Ret-tung der europäischen Banken – allein die eben erst notverstaat-lichte belgisch-französische Dexia Bank sitzt auf 90 Mrd. € faulen Pa-pieren – daher wollen ihn einige (darunter auch illustre Ex-Politi-ker wie Gusenbauer) auf ca. 1000-2000 Mrd. € „hebeln“. „Hebelung“ heißt nichts anderes, als dass ein noch höheres Spekulationskarten-haus mit Staatsanleihen aufgebaut wird – das Risiko tragen dafür die EURO-SteuerzahlerInnen, den Gewinn sollen sich Banken ein-verleiben dürfen (die die maroden Staaten nun ohne Risiko finanzie-ren).

2. Die Eurozone zerbricht. Entweder werden einzelne Staa-ten rausgeworfen oder aber, was wahrscheinlicher ist, Deutschland schnappt sich ein paar andere noch relativ starke Volkswirtschaf-ten und gründet einen Nord-Euro. EU-Kommissarin Redding plädiert etwa für gemeinsame Staatsanlei-hen der sechs verbliebenen Tripple A-Staaten der Eurozone, um einen stabilen Kern zu schaffen. Damit wären alle Krisenländer inklusive Italien schon mal draußen. Bereits jetzt werden „technische Gesprä-che“ zwischen den Finanzministe-rien und Notenbanken einer noch exklusiveren Staatengruppe (unter Ausschluss Frankreichs) geführt.

Das dritte Szenario wäre ein unkontrollierter Crash, weil es zu keinem Ausgleich der unter-schiedlichen Interessen zwischen den nationalen Bourgeoisien, die wiederum in unterschiedliche Kapitalgruppen gespalten sind, kommt. Mit jeder Woche ohne wirkliche Weichenstellung wird dieses Szenario wahrscheinlicher.

Gretchenfrage

Auf welche Seite soll sich ange-sichts dieser Entscheidung die Ar-beiterklasse stellen? Auf gar keine!

Diese Auseinandersetzungen sind nur für die Kapitalgruppen rele-vant. Sie streiten sich darum, wie sie sich im kommenden Europa die besten Rahmenbedingungen für ihre zukünftigen Profitmög-lichkeiten schaffen. Einig sind sie sich jedoch, dass sie den Anteil der Arbeiterklasse am allgemein schrumpfenden Reichtum der Gesellschaft noch zusätzlich ver-ringern müssen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die nichtbezahlte Arbeit die Grundlage eines jeden Profits ist.

Wenn wir es nicht schaffen den Kapitalismus rechtzeitig zu überwinden, ist eine massive Ver-nichtung von gesellschaftlichem Reichtum bereits beschlossene Sa-che. Für die Arbeiterklasse bedeu-tet dies Arbeitsplatzvernichtung, höhere Steuern zur Bankenfinan-zierung, niedrigere Löhne, Angriff auf alle solidarisch finanzierten Sicherheitssysteme (Gesundheit, Pensionen,…). Die Jugend schaut einer Zukunft ohne Perspektive entgegen.

Sarkozy, Merkel und Fekter wissen dies. Doch sie haben Angst die Arbeiterklasse mit dieser Poli-tik zu provozieren. Allein die Ent-wicklung des Kapitalismus wird sie zwingen die Frage in abseh-barer Zeit auch bei uns so klar zu stellen wie heute in Athen, Dublin, Lissabon und Madrid: „Menschen oder Profite?“

Die Arbeiterklasse muss sich daher in dieser Diskussion um die Rettung des Euros enthalten und dem ein eigenes Programm entge-genhalten.

Streichung aller Staatsschul- �den

Verstaatlichung aller Banken �und großen Konzernen unter Kontrolle der Beschäftigten und KonsumentInnen.

Die Zusammenfassung des bis- �her parasitären Bankensektors zu einer Zentralbank, die ihre Kredit-politik allein an der harmonischen Entwicklung der Wirtschaft orien-tiert.

Für ein vereintes Europa der �Menschen.

Utopie

Utopisch sind die Vorstellungen, dass es bald einen sozialen Wie-deraufschwung geben könnte oder gar ein solidarisch-grünes Wirtschaftsmodell. Der Profit wird sich wieder stabilisieren, aber nur zu Lasten der Arbeiterklasse, nicht im Einklang mit ihr. Unter dem Hammerschlag der Ereignis-se werden auch scheinbar stabile politische Systeme wie Österreich erschüttert werden. Das gegenwär-tige politische System aus Großer Koalition samt lächelndem Inse-ratenkanzler, politischen Schein-gefechten und Sozialpartnerschaft wird heftigen Verteilungskämpfen weichen. Diese Zeit werden wir nutzen um dem Marxismus wie-der zur Mehrheitsströmung in der ArbeiterInnenbewegung zu ma-chen.

Rebellion der ProduktivkräfteKrise. Wir stehen vor einer Neuauflage der Wirtschaftskrise, die alles in den Schatten stellen wird. Ihr höchster

Ausdruck ist das enorme Niveau der Verschuldung. Den Ernst der Lage hat die herrschende Klasse mittlerweile erkannt. Doch was ist die Ursache für diese „systemische Krise“ (EZB-Chef Trichet)? Von Emanuel Tomaselli.

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November 2011 Der Funke 11Geschichte

Nach dem Ersten Weltkrieg gehörten Österreich und

Deutschland zu den schwächsten Gliedern der kapitalistischen Ket-te. Österreich befand sich in der Tat in einer ähnlichen Situation wie Griechenland heute.

In den meisten Industriebe-reichen wurde kaum investiert. Gleichzeitig entwickelte sich der Finanz- und Bankensektor über-durchschnittlich. Es gab bereits Anfang der 1920er Jahre eine Ten-denz zur Spekulation. Der Mas-senkonsum lag im Argen. Trotz gewisser Lohnsteigerungen nach Kriegsende befanden sich die Löh-ne 1922 im Durchschnitt erst bei 50 bis 60 Prozent des Vorkriegs-niveaus. Das Wirtschaftswachs-tum wurde vor allem von der Inflation getragen. Da die Krone (Österreichs Währung vor dem Schilling) verglichen mit anderen Währungen im Fall begriffen war, wurden Exporte erleichtert. Im Gegenzug wurden die Importe im-mer schwerer zu finanzieren und die Budgetprobleme des Staates verschlimmerten sich zusehends.

Das stellte die Sozialdemokratie (SDAP) und die Gewerkschaftsbe-wegung vor eine Reihe von Proble-men. Die Reallöhne wurden durch die Inflation aufgefressen und die Gesamtsituation der Wirtschaft, die durch das Fehlen von Inves-titionen gekennzeichnet war, ließ das Heraufziehen einer weiteren Krise erahnen. Die konservativen Parteien sprachen sich für radika-le Kürzungen der Staatsausgaben aus. Damit meinten sie vor allem, dass die Sozialausgaben eingespart werden sollten.

Bauers Antikrisenplan

Die Führung der SDAP versuchte sich durchaus staatstragend zu ge-ben und im Interesse „der Nation“ und „des Standorts Österreich“ zu handeln. Sie sah es dementspre-chend als ihre Aufgabe „Ordnung“ in die Staatsfinanzen zu bringen und eine wirtschaftliche Erholung zu garantieren. Zu diesem Zwe-cke sollten gemäß ihrem Sanie-rungskonzept alle Klassen Opfer bringen. So sollten im Sinne der Budgetsanierung nicht nur die Massensteuern angehoben werden (so wie es alle Parteien verlang-ten), sondern auch Steuern auf Vermögen, Grund und Boden und die Aktivitäten der Banken sollten verstärkt zur Lösung der Budget-probleme herangezogen werden. Das erklärte Ziel der Parteifüh-rung war eine Lösung der Krise auf dem Boden des Kapitalismus. Dementsprechend fußte der sozi-aldemokratische Finanzplan auf einer Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien. Im Gegen-satz zu den Konservativen, die in erster Linie auf Kosten der arbei-tenden Bevölkerung sparen woll-ten, hatte die Sozialdemokratie ei-nen explizit volkswirtschaftlichen Anspruch, d.h. ihr Ziel war nicht nur eine Sanierung des Budgets, sondern eine harmonische Wirt-

schaftsentwicklung - auf kapitalis-tischer Basis.

Otto Bauers Theorie, dass eine krisenfreie kapitalistische Entwick-lung grundsätzlich möglich ist, diente als theoretisches Unterfutter für dieses Konzept. Die Aufgabe des Staates sei es folglich ungleich-mäßige Entwicklungen zwischen den verschiedenen Wirtschaftssek-toren auszugleichen. Dementspre-chend sollte die Krone auf nied-rigem Niveau stabilisiert werden, um die Konkurrenzfähigkeit des Landes zu erhalten. Um die Wirt-schaft und den Binnenmarkt anzu-kurbeln, sollten staatliche Investi-tionen in den sozialen Wohnbau, das Eisenbahnwesen, das Telefon-netz und die Wasserkraft getätigt werden. Zentral bei all diesen Plä-nen waren die Stabilisierung des Geldwertes und die Verbesserung der Position Österreichs auf dem Weltmarkt. Franz Domes, der Vor-sitzende der Gewerkschaftskom-mission, die über die Wirtschafts-politik der Gewerkschaften beriet, meinte: „Österreich braucht […] größere Stabilität.“ Der sozialde-mokratische Plan der staatlichen Ankurbelung der Wirtschaft war aber aufgrund der Budgetkrise ei-gentlich nicht zu verwirklichen.

Bürgerliche Strategien

Ende 1921 hielt die Hyperinflation Einzug. Damit einhergehend ver-schlechterte sich die Budgetsitu-ation rapide, und im Herbst 1922 konnte Österreich die für die In-dustrieproduktion und die Lebens-mittelversorgung unerlässlichen Importe nicht mehr bezahlen. Die Unternehmer kündigten endgül-tig jede Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften auf. Deren Stärke war noch relativ ungebrochen und so konnten einige Arbeitskämpfe siegreich beendet werden. Durch die steigende Inflation allerdings wurden Lohnkämpfe zusehends schwieriger, und die Basis forder-te eine entschlossenere Politik. Die Unruhe an der Basis drückte sich schließlich in einer spontanen Streikbewegung aus, die im Sep-tember 1922 die gesamte österrei-chische Industrie erfasste.

Der bürgerlichen Regierung unter Prälat Ignaz Seipel gelang es die ausländischen Geldgeber von der „Gefährlichkeit“ der politi-schen Situation in Österreich und der notwendigen Sanierung zu überzeugen. Die Verhandlungen mit den Kreditgebern Österreichs wurden am 4.10.1922 im Rahmen des Völkerbundes abgeschlossen. Die „Genfer Protokolle“ legten die Voraussetzungen einer Finanzhil-fe für Österreich fest. Diese Ver-träge beinhalteten unter anderem das Verbot des wirtschaftlichen oder politischen Anschlusses an Deutschland sowie die „Beratung“ der österreichischen Regierung durch ein Kontrollkomitee des Völkerbundes. Konsequenterweise wurde auch die Verpfändung der Einnahmen aus Zöllen und dem staatlichen Tabakmonopol festge-

schrieben. Das Budget sollte inner-halb von zwei Jahren saniert wer-den. Die Sparpläne sollten durch einen Generalkommissär des Völ-kerbundes überwacht werden. Zu diesem Zwecke wurde dem Par-lament die Hoheit über die Bud-getgestaltung entzogen und die Regierung zur Wahrung der „öf-fentlichen Ruhe“ verpflichtet. Die konservative Regierung war guter Dinge, da ihre Sparpläne nun den Segen des Völkerbundes hatten.

Hier zeigt sich auch die Rolle des Völkerbundes, der sich kei-neswegs als Friedensstifter, son-dern als internationaler Club der Eliten erwies. Von Lenin wurde er dementsprechend auch mit ei-ner „Räuberhöhle“ verglichen. Die durch die „Genfer Sanierung“ vorgesehene Entmachtung des ös-terreichischen Parlaments und die Kontrolle der Sparpläne durch die ausländischen Geldgeber erinnert frappant an die aktuelle Griechen-landpolitik der EU. Ebenso wie die österreichischen Bürgerlichen der Zwischenkriegszeit, kann sich die griechische Elite glücklich schät-zen, eine „internationale“ Unter-stützung für die eigenen Sparpläne gefunden zu haben, Sparvorhaben, die sie sich alleine niemals zu ver-teidigen getrauen würden.

Die Gretchenfrage

In der Sozialdemokratie hingegen rief die „Genfer Sanierung“ gro-ße Empörung hervor. Allerdings befand sich die Parteiführung in einer Zwangsjacke. Da sie die „Sta-bilität des Standortes Österreich“ im Auge hatte, konnte sie die ange-kündigte Fundamentalopposition zu den „Genfer Protokollen“ nicht durchführen. D.h. sie war nicht in der Lage konsequent die Interessen

ihrer Basis, der Mehrheit der Be-völkerung, zu vertreten, da sie auf die Interessen der „Nation“ bedacht war und keine antikapitalistische Perspektive hatte. So beschränk-te sich die SDAP schließlich auf den Versuch der Entschärfung der bestehenden Protokolle. Um ein allzu langes parlamentarisches Feilschen über die „Genfer Verträ-ge“ zu verhindern, setzt der Völ-kerbund den 27.11.1922 als Frist fest, bis zu der das österreichische Parlament die Protokolle anneh-men oder ablehnen sollte. Schon am 24.11.1922 erfolgte die Rati-fizierung der „Genfer Protokolle“ durch das Parlament; wohlgemerkt mit sozialdemokratischer Zustim-mung. Die einzige Entschärfung, die die SDAP durchsetzen konn-te, bestand in der Bildung eines „Kabinettsrates“ aus Ministern und 26 Abgeordneten bzw. Staats-räten, der anstelle des Parlaments die Entscheidungsgewalt über die Sparvorhaben erhalten sollte. Die-se bedeuteten die Entlassung von Staatsbediensteten, die Kürzung der Sozialausgaben (z.B. des staat-lichen Zuschusses zur Arbeitslo-senversicherung), die „Umstruk-turierung“ staatlicher Betriebe wie der Bahn, sowie die Anhebung der indirekten Steuern, Tarife und Zölle. Die Haupteinnahmequelle des neuen Budgets war eine Wa-renumsatzsteuer von 3,5% auf den Konsum pro Kopf. Eine solche in-direkte Steuer bedeutete natürlich eine viel stärkere Belastung der ärmeren Familien, d.h. das Budget wurde auf dem Rücken der arbei-tenden Bevölkerung saniert.

1924 wies das Budget einen Überschuss auf, dennoch wurde die Kontrolle des Völkerbundes nicht aufgehoben. Bald löste eine neuerliche Krise Bankenzusam-

menbrüche (und in Folge dessen auch Pleiten in der Industrie) aus und die Krone geriet wieder in Bedrängnis. Daher wurde die Völ-kerbundkontrolle bis Mitte 1926 ausgedehnt. Zu dieser Zeit beruhte jede Erholung der Wirtschaft auf der Exportindustrie, sowie jede Krise auf einer Stockung eben-dieser. Ein Faktor, der Österreich konkurrenzfähig machte, war iro-nischerweise der Mieterschutz, durch den die Aufrechterhaltung eines mit dem Ausland vergleichs-weise niedrigen Lohnniveau er-möglicht wurde.

Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass sich die öster-reichische Wirtschaft Anfang der 1920er Jahre in einer strukturellen Krise befand, die gekennzeichnet war durch fehlende Investitionen, Inflation, und Arbeitslosigkeit. Die Arbeiterbewegung geriet durch die Versuche ihrer Führung eine Klas-senzusammenarbeit im Sinne der „Nation“ zu Stande zu bringen, so-wie die daraus resultierenden Zu-geständnisse (die Zustimmung zu „Genfer Sanierung“ stellte nur ei-nes von vielen dar) an die Bürger-lichen immer mehr in die Defen-sive. Die ganze Misere beruhte auf der fälschlichen Annahme, dass die Arbeiterbewegung innerhalb des Kapitalismus eine wirtschaftli-che Stabilisierung erzielen könnte, indem sie eine Verantwortung für die sich in Privatbesitz befindli-chen Unternehmen übernimmt. So formulierte Otto Bauer 1924 in einer Rede vor Metallarbeitern die Haltung der Sozialdemokratie zu den „Genfer Protokollen“ fol-gendermaßen: „Wir haben als Dr. Seipel aus Genf gekommen ist, gewußt, daß das Entscheidende nicht der Wortlaut des einen oder anderen Paragraphen ist, sondern die Durchsetzung einer Politik, welche die Krone stabil hält“. Da-durch, dass die Führung der SDAP und der Gewerkschaften sich mit dem Kapitalismus abgefunden hatte, kam sie nicht umhin anzuer-kennen, „daß ohne gewisse Opfer der Arbeiterschaft eine Sanierung dieses Staates unmöglich ist“, wie es der Sozialdemokrat Willhelm Ellenbogen ausdrückte.

Die Sanierungsversuche der Bürgerlichen fruchteten jedoch nicht. Schließlich kam der Zeit-punkt, an dem der Bourgeoisie die Sozialreformen zu teuer und die parlamentarische Opposition der Sozialdemokratie zu unangenehm wurden, und sie begannen auf eine diktatorische Lösung zu setzen, die schließlich in den 1930er Jahren durch den (Austro-)Faschismus erfolgte. Die Vorbereitung auf das gewaltsame Brechen der Arbeiter-bewegung begann allerdings schon in den 1920er Jahren, durch die Zu-rückdrängung des sozialdemokra-tischen Einflusses im Heer, durch den Ausbau paramilitärischer Ver-einigungen wie der Heimwehren und durch den Einsatz der Polizei in Arbeitskonflikten, sowie den Einsatz von Nazis zur Brechung der freien Gewerkschaften.

Unglück. Holzschnitt aus den 1920ern.

Vorbild „Genfer Sanierung“? Schuldenkrise. Das FP-nahe Internetportal „unzensuriert.at“ von Nationalratspräsident Martin Graf sieht in der

„Genfer Sanierung“ von 1922 das passende Vorbild für die Lösung der Griechenland-Krise. Vera Kis blickt auf dieses entscheidende Kapitel der österreichischen Geschichte und die Krisenpolitik der damaligen Sozialdemokratie.

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November 2011Theorie12 Der Funke

Die Unternehmen pressen im-mer mehr aus ihren Arbeite-

rInnen heraus. Trotz Rekordpro-fiten fordern sie ein Zugeständnis nach dem anderen – und sie be-kommen diese auch.

Wo Gewerkschaften Lohner-höhungen herausholen, sind diese oft so gering, dass sie den Kauf-kraftverlust durch steigende Preise kaum ausgleichen können. Der Lebensstandard fällt zusehends. Viele ArbeiterInnen finden mit ih-rem Lohn kein Auskommen und müssen sich verschulden.

Gewerkschaftlich unorgani-sierte ArbeiterInnen sind davon besonders betroffen. Die Niedrig-lohnbereiche weiten sich immer mehr aus. Ohne den Schutz durch die Gewerkschaften sind unorga-nisierte ArbeiterInnen allen nur möglichen Angriffen seitens der UnternehmerInnen ausgesetzt. Kurzarbeit, Entlassungen usw. prä-gen in der Wirtschaft den Alltag.

Eine neue Stimmung

Streik ist immer das letzte Mittel. So soll es sein. Doch in diesen Tagen sind die UnternehmerIn-nen nur noch dann bereit Zuge-ständnisse zu machen, wenn die ArbeiterInnen bereit sind dafür zu kämpfen und notfalls auch zu streiken. Um ein entsprechendes Verhandlungsergebnis zu bekom-men, müssen die ArbeiterInnen heutzutage Stärke beweisen. Von nichts kommt nichts.

In den vergangenen Jahren wurden wichtige Streiks verloren. Streikende ArbeiterInnen werden durch StreikbrecherInnen ersetzt. Streiks wurden auf diese Art und Weise regelrecht zerschlagen. Und die ArbeiterInnen blieben ohne Job zurück.

Diese Erfahrungen haben nicht wenige in der ArbeiterInnenbe-wegung zu dem falschen Schluss kommen können, dass Streiks heutzutage nicht mehr erfolgreich geführt werden können. „Warum sollen wir überhaupt kämpfen?“ fragen sich viele. In der Folge ha-ben Gewerkschaften verheerende Abkommen mit den Unternehme-rInnen unterschrieben, auch wenn sich die Wirtschaft gut und leicht höhere Löhne und sonstige Ver-besserungen leisten hätte können.

Einige Gewerkschaften haben aus Angst vor Streiks auf alterna-tive Taktiken (Öffentlichkeitskam-pagnen,...) zurückgegriffen. Nicht selten wird dies als Ersatz zum Streik gesehen. Solche Kampag-nen können natürlich sehr hilf-reich sein, wenn die Gegenseite je-doch weiß, dass die Gewerkschaft nicht zu streiken bereit ist, sind sie jedoch weit weniger schlagkräftig als wenn sie in einen allgemei-nen Streikplan eingebunden sind. Wenn die UnternehmerInnen das Gefühl haben, dass die Gewerk-schaft nicht zu streiken bereit ist, dann werden sie es auf eine volle Konfrontation ankommen lassen.

Es gibt nur einen Weg einen Streik zu gewinnen: die Bude muss dicht gemacht werden. Kein Rad

darf sich drehen, nichts darf funk-tionieren, wenn wir es nicht wol-len. Ein Streik bedeutet, dass alle Arbeit stillsteht. Es bedeutet, dass die Vorgesetzten daran gehindert werden, den Betrieb wieder in Gang zu nehmen. StreikbrecherIn-nen müssen daran gehindert wer-den, die Arbeit der Streikenden zu übernehmen. Mit einer Handvoll von Streikposten kann man einen Streik nicht mehr gewinnen. Es braucht Massenaktionen auf den Straßen, die von der streikenden Gewerkschaft geführt werden.

Man sagt uns vor, dass heute ja alles anders sei. Der Klassenkampf sei längst Vergangenheit. Sozial-partnerschaftliche Kooperation sei heute das Gebot der Stunde. In „Qualitätszirkeln“ werden Arbei-terInnen dazu ermutigt mit dem Management gemeinsam die Pro-bleme des Unternehmens zu lö-sen. In der Praxis führt dies zu ei-nem höheren Arbeitstempo, einer gesteigerten Produktivität und der Aufgabe von jedem Widerstand gegen die Pläne des Kapitals.

Jene UnternehmerInnen, die an unsere Kooperationsbereitschaft appellieren, sind die Selben, die am Verhandlungstisch von den Ge-werkschaften Zugeständnisse und Lohnzurückhaltung einfordern.

In Wahrheit hat sich in der Beziehung zwischen Arbeit und Kapital nichts Grundlegendes ge-ändert. Der Boss ist noch immer der Boss. Einziger Unterschied: er heuert auch noch einen hochbe-zahlten Konsulenten an, der mit seiner „Expertenmeinung“ die Gewerkschaft zurückdrängen soll. „Zusammenarbeit mit dem Ma-nagement“ ist meist nur ein Code-wort für das Unterminieren und Brechen der Gewerkschaft.

GewerkschaftsführerInnen müssen ein Verständnis für das

Funktionieren des kapitalistischen Systems haben.

Was die ArbeiterInnen lernten

Was die ArbeiterInnen lernten, war als Kollektiv zusammenzuste-hen. Dadurch gelang es ihnen die Angriffe auf ihre Gewerkschaften zurückzuschlagen und die not-wendigen Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Jahre später hat das noch immer Gültigkeit. Arbeite-rInnen müssen heute einen kämp-ferischen Standpunkt beziehen, wenn sie sich durchsetzen wollen. Halbherzige Aktionen führen zu nichts. Die Gewerkschaften müs-sen Streikposten mit Hunderten oder gar Tausenden ArbeiterIn-nen organisieren. Nur so können StreikbrecherInnen gestoppt wer-den. Nicht wenige Gewerkschafts-führerInnen sagen, dass das heute nicht mehr möglich sei. Binnen kürzester Zeit würden die Unter-nehmerInnen vor Gericht gehen und eine richterliche Untersagung oder Beschränkung von Streiks er-reichen.

Meine Antwort darauf: plaka-tieren wir die Wände mit solchen Verfügungen. Die Unternehme-rInnen werden natürlich immer einen gewerkschaftsfeindlichen Richter finden so etwas zu un-terschreiben. Der Ausgang von Streiks hängt aber vom Kräftever-hältnis zwischen Kapital und Ar-beit ab. Wenn unsere Kräfte stär-ker sind als ihre, dann können wir gewinnen.

Aber wenn wir diese gerichtli-chen Verfügungen ignorieren und weiterstreiken, dann wird uns die Polizei verhaften, argumentieren diese GewerkschafterInnen dann.

Meine Antwort: soll so sein.

Sollen sie die Gefängnisse bis zum letzten platz füllen. Das wäre nicht das Ende des Kampfes. Unsere Reihen würden schnell aufgefüllt werden mit neuen KollegInnen, die über diese Willkürakte der Be-hörden schockiert sind. Wir müs-sen weiter die bestreikten Betriebe dicht halten.

Führung kann Unterschied ausmachen

Einige GewerkschaftsführerInnen reden sich immer damit aus, dass man heutzutage die Masse der ArbeiterInnen nicht mehr auf die Straße bringen kann. Die Arbeite-rInnen seien zu passiv, sagen sie. Aber das ist nicht der Fall. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von großen Streiks. Doch es gab noch weit mehr Fälle, wo die ArbeiterInnen zu Kampfmaßnah-men bereit gewesen wären, die Gewerkschaftsführung im letzten Moment jedoch diese wieder ab-gedreht hat. Der Führung kommt in einem Arbeitskampf eine ganz besondere Rolle zu.

„Wie bringt man nun Tausende von ArbeiterInnen auf die Straße?“, werden sich viele die Frage stellen. Und es ist eine gute Frage.

Zuerst einmal braucht es eine Führung, die bereit ist, Schritte zu setzen. Wenn man an der Spitze der eigenen Gewerkschaft keine KämpferInnen hat, dann muss man eben eine neue Führung wäh-len. Es braucht eine Liste von Kan-didatInnen, die für echte Gewerk-schaftsdemokratie stehen und die bereit sind, es mit den Unterneh-merInnen aufzunehmen.

Zweitens braucht man eine umfassende Strategie.

Erfolgreiche Streiks setzen die Beteiligung und die Unterstützung

der gesamten ArbeiterInnenbewe-gung voraus. Gelingt es eine breite Unterstützungsfront aufzubauen, dann kann das sogar ausreichend Druck schon erzeugen, um einen Streik überhaupt abwenden zu können. Wenn die Unternehme-rInnen den Eindruck haben, dass sie es mit der gesamten Arbeite-rInnenbewegung in der Stadt oder einem Bundesstaat aufnehmen müssen, dann werden sie es sich mehr als einmal überlegen, ob sie dieses Risiko eines harten Arbeits-konflikts eingehen sollen. Lokale GewerkschaftsführerInnen müs-sen eine Informationskampagne über ihren Kampf und ihre Anlie-gen starten, um die Unterstützung von Abgeordneten aus der Arbei-terInnenbewegung, anderen Ge-werkschaften usw. zu bekommen.

Zweitens, muss man in einem Arbeitskampf immer in größeren Dimensionen denken. Bevor das Ultimatum für den Streikbeginn abläuft sollte man immer schon ein oder zwei größere Kundge-bungen oder Versammlungen organisieren. Dazu sollen auch prominente GewerkschafterInnen und ArbeiterführerInnen als Spre-cherInnen eingeladen werden. Mit professionellen Flugblättern und Plakaten sollen diese Initiativen breit beworben werden. Alle Ge-werkschaften, nicht nur die eigene Fachgewerkschaft sollen eingela-den werden. Im Vorfeld muss man bei der Organisierung versuchen, möglichst alle Aspekte mitzuden-ken. Auf alle Fälle muss darauf geachtet werden, dass Frauen und ImmigrantInnen voll in der Kam-pagne berücksichtigt werden und eine wichtige Rolle einnehmen können.

In den großen Tageszeitun-gen und der ArbeiterInnenpresse sollten große Inserate geschalten werden, in denen die Anliegen der Gewerkschaft erklärt und die bisherigen UnterstützerInnen auf-gelistet werden. Sendet Vertrete-rInnen von Eurer Gewerkschaft zu den Versammlungen anderer Gewerkschaften und legt dort Eu-ren Fall dar. Schaut, dass bekann-te ArbeiterführerInnen Briefe an alle Gewerkschaften schreiben, in dem sie sich mit Eurem Kampf solidarisch zeigen und zur akti-ven Teilnahme an Euren Aktionen aufrufen. Also: Denkt in großen Dimensionen! Und dann denkt in noch größeren Dimensionen!

Organisiert Pressekonferenzen �mit GewerkschaftsführerInnen und anderen prominenten Unter-stützerInnen. Präsentiert in der Öffentlichkeit KollegInnen, deren persönliche Zukunft von einem erfolgreichen Streik abhängt.

Zeigt euch solidarisch bei der �Versorgung der Streikenden mit Gütern des täglichen Bedarfs!

Während eines Streiks muss �man immer damit rechnen, dass die Herausgeber der bürgerlichen Massenmedien den Fall in einem falschen Licht präsentieren. Des-halb brauchen wir eine eigene Pu-blikation, in der wir unsere Anlie-gen formulieren. Wenn wir wollen,

Teamstersstreik. Straßenschlacht zwischen Streikenden und der Polizei 1934 in Minneapolis.

Wie gewinnen wir einen Streik?Harry DeBoer, ein Streikführer im Teamstersstreik 1934 in Minneapolis/USA, berichtet in diesem Text

von den Erfahrungen dieser Auseinandersetzung, die wir hier leicht gekürzt wiedergeben.

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November 2011 Theorie Der Funke 13

dass die Wahrheit über den Streik berichtet wird, dann müssen wir selber darüber berichten. Eine tägliche Streikzeitung kann eine wichtige Funktion haben, wenn es darum geht die Streikenden und ihre UnterstützerInnen zu mo-bilisieren und die Öffentlichkeit politisch aufzuklären. Dadurch können neue Verbündete für die Streikenden gewonnen werden.

Alle Formen der Solidarität �sind erwünscht. Kontaktiert an-dere Gewerkschaften vor Ort, Frauengruppen und Stadtteilor-ganisationen. Es geht darum die UnternehmerInnen öffentlich zu isolieren, mit dem Ziel, dass der öffentliche Druck ihn zum Einlen-ken zwingt.

In der Tat, je mehr vor dem Streik geplant und je größer die Solidarität vom Rest der Arbeite-rInnenbewegung ist desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Streik kommt. Ein günstiges Kräfteverhältnis im Vorfeld kann sehr hilfreich sein, wenn es um das Abwenden des Streiks geht.

Natürlich braucht es einen spe-ziellen Plan zur sozialen Absiche-rung der ArbeiterInnen, vor allem jener, die unter dem größten finan-ziellen Druck stehen. Zu diesem Zweck sollte eine eigene Kommis-sion gegründet werden. Diese soll-te für den Fall, dass KollegInnen ihre ausständigen Rechnungen nicht bezahlen oder ihre Schulden nicht zurückzahlen können, einen Notfallplan ausarbeiten. In einem Streik muss immer Rücksicht auf die schwächsten Glieder in der ei-genen Kette genommen werden. Dies ist eine Grundvoraussetzung, dass ein Streik solide bleibt und nicht einzelne ArbeiterInnen sich finanziell gezwungen sehen den Streik zu beenden und individuell an die Arbeit zurückzukehren. Das wäre nämlich die größte Tragödie! Gerade diese KollegInnen werden aber zu den beherztesten Unter-stützerInnen der Gewerkschaft, wenn sie wissen, dass die Gewerk-schaft sich um sie kümmert.

Wie können wir unsere Gewerkschaft aktivieren?

„Wie soll unsere Gewerkschaft denn kämpfen?“, werden viele fragen. „Viele unserer Mitglie-der kommen nicht einmal zu den Gewerkschaftstreffen. Eure Ideen sind ja schön und gut, aber unsere Mitglieder würden da nicht mit-machen.“

Das Rückgrat einer jeden Ge-werkschaft bildet die Gewerk-schaftsdemokratie. Je demokrati-scher eine Gewerkschaft ist, desto stärker wird sie sein. Im Regelfall werden die Mitglieder nicht zu den Gewerkschaftstreffen gehen, weil sie ohnedies das Gefühl ha-ben, dass die Entscheidungen längst schon andernorts gefällt worden sind. Die Treffen müssen geöffnet werden und demokra-tischer ablaufen. Alle wichtigen Entscheidungen der Gewerkschaft sollten erst im Anschluss an eine breite Diskussion und eine Ab-stimmung unter den Mitgliedern gefällt werden. Wenn die Gewerk-schaftsführung undemokratisch ist, dann muss sie abgewählt und

durch KollegInnen ersetzt wer-den, die sich einer echten Gewerk-schaftsdemokratie verpflichtet fühlen. FührerInnen, die selbst kämpferisch sind und für Metho-den der Gewerkschaftsdemokratie stehen, wird es auch gelingen ein Klima zu schaffen, wo die Basis in zunehmendem Maße selbst aktiv wird. GewerkschaftsführerInnen sollten ihre Strategie immer offen mit der Mitgliedschaft diskutieren. BasisaktivistInnen sollten dazu er-mutigt werden Verantwortung zu übernehmen. Diskutieren, planen und abstimmen! Je demokrati-scher eine Gewerkschaft wird, des-to eher werden die Mitglieder sich an den Entscheidungsprozessen, die ihr eigenes Leben betreffen, beteiligen wollen.

GewerkschaftsführerInnen lehnen diese offene Form der Ge-werkschaftsdemokratie meist ab. Während eines Streiks oder im Zuge von Verhandlungen spre-chen sie sich für größtmögliche Geheimhaltung aus. Nicht selten steckt hinter diesem Argument der Versuch, hinter dem Rücken der ArbeiterInnen einen unbefrie-digenden Kompromiss aus zu ver-handeln. Jedes Verhandlungsab-kommen birgt einen Kompromiss in sich. Die Entscheidung der Ge-werkschaft darüber muss aber von den Mitgliedern gefällt werden. Die Forderungen, mit denen die Gewerkschaft in einen Kampf und in Verhandlungen geht, müssen von den Mitgliedern abgestimmt werden. Die Mitglieder sollten auch entscheiden, wenn eine For-derung am Verhandlungstisch aufgegeben wird. Je demokrati-scher eine Gewerkschaft ist, desto mehr werden die ArbeiterInnen in die Angelegenheiten der Gewerk-schaft eingebunden sein. Je unde-mokratischer eine Gewerkschaft ist, desto weniger enthusiastisch werden die Mitglieder ihrer Füh-rung folgen, wenn die Unterneh-merInnen die Gewerkschaft zu einem Arbeitskampf zwingen.

Wir machen die Bude dicht!

Es gibt verschiedene Methoden ein Unternehmen dichtzumachen. In

dieser kleinen Broschüre können wir nicht alle beschreiben. Es gibt jedoch einige zentrale Methoden.

Massenstreikposten: Sie müs- �sen teil eines jeden Streiks sein. Allein durch unsere zahlenmäßige Stärke können wir verhindern, dass der Betrieb funktioniert.

Sitzblockaden vor dem Werk: �Angesichts einer großen Polizei-präsenz ist es oft die beste Taktik, wenn sich einfach ein paar Hun-dert oder Tausend Menschen vor den wichtigsten Werkstoren posi-tionieren. Es mag dann vielleicht zu Massenverhaftungen kommen, aber damit können sie eine solche Aktion nicht stoppen.

Sitzstreik im Werk: Die- �se Taktik wurde in den 1930ern entwickelt und gehört zu den ef-fektivsten Streikmethoden. Es ist dann enorm schwierig für die UnternehmerInnen die Arbeite-rInnen rauszuschaffen, um mit StreikbrecherInnen den Betrieb wieder aufzunehmen.

„Fink drives“: „Finks“ ist eine �andere Bezeichnung für Streik-brecherInnen. Wenn die Unter-nehmerInnen solche einsetzen, um den Betrieb wieder in Gang zu setzen, dann haben wir die kämp-ferischsten ArbeiterInnen zusam-mengeholt, sind in den Betrieb rein und haben die Streikbreche-rInnen rausgeschmissen.

Massendemos und –kund- �gebungen: Damit holt man die Menschen zusammen und hebt ihr Bewusstsein, um sie dann für die Verstärkung von Streikposten und andere Aktionen gewinnen zu können.

Mit den ArbeiterInnen reden

Es ist notwendig den ArbeiterIn-nen zu erklären, warum wir im Streik sind. Und dies gilt auch für ArbeiterInnen, die als Streikbre-cherInnen angeheuert wurden. In vielen Fällen, wenn wir mit den ArbeiterInnen reden, werden wir sie für unsere Seite gewinnen kön-nen. Wenn uns das nicht gelingt, dann ist das eine andere Sache. In dieser Gesellschaft, in der wir so oft mit gewerkschaftsfeindlicher Propaganda konfrontiert sind,

werden auch viele ArbeiterInnen gegenüber Gewerkschaften eine ablehnende Haltung entwickeln. Wenn wir mit ihnen reden und unsere Anliegen gut erklären, dann können wir aber viele von ihnen umdrehen.

Diese Offenheit müssen wir auch im Umgang mit den Kolle-gInnen an den Tag legen, die nicht von Beginn an von der Notwen-digkeit kämpferischer Aktionen überzeugt sind. Anhand prakti-scher Erfahrungen werden aber auch die meisten von ihnen ihre Meinung ändern.

Die Unorganisierten organisieren

Viele der wichtigsten zukünfti-gen Kämpfe werden von unor-ganisierten ArbeiterInnen aus-gefochten werden. Es wird große Anstrengungen erfordern diese ArbeiterInnen gewerkschaftlich zu organisieren. Gewerkschaften tendieren heute dazu vor allem besser entlohnte ArbeiterInnen zu organisieren, und viele Ge-werkschaftsführerInnen vergessen gerne, woher ihre Gewerkschaften eigentlich kommen.

Streiks werden wir nur mit Massenaktionen gewinnen. Die Frage der gewerkschaftlichen Or-ganisierung erfordert eine ähnliche Herangehensweise. Massenmobi-lisierungen sind die beste Voraus-setzung für Organisierungskampa-gnen. Wir müssen Kundgebungen organisieren, in welche die gesam-te Mitgliedschaft eingebunden ist. Die Unterstützung der restlichen ArbeiterInnenbewegung muss si-chergestellt werden.

Im Zuge von Kollektivvertrags-verhandlungen setzen die Bosse nicht selten auf Einschüchterungs-versuche, um die ArbeiterInnen in die Knie zwingen zu können. Die Unternehmer drohen den Gewerkschaften, die höhere Löh-ne fordern, mit der Möglichkeit von Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, wo die Gewerk-schaften schwach sind. Gerade wenn die Belegschaft sehr qualifi-ziert ist, handelt es sich dabei meist nur um eine leere Drohgebärde. Doch die Gewerkschaften müssen

imstande sein auf solche Manöver schnell zu reagieren. Wenn die Unternehmer tatsächlich solche Schritte setzen, dann müssen die Gewerkschaften zurückschlagen und der Gegenseite eins klarma-chen: „Wir werden auch am neuen Standort eine starke Gewerkschaft aufbauen. Wenn Ihr ins Ausland geht, dann werden wir über unse-re internationalen Gewerkschafts-kontakte alles daran setzen, dass auch dort die ArbeiterInnen ge-werkschaftlich organisiert werden. Wohin Ihr auch gehen mögt, wir werden Euch folgen. Wir werden es nicht zulassen, dass Ihr Eure ArbeiterInnen ausbeutet. Es wäre also besser, am Verhandlungstisch gleich ein vernünftiges Paket vor-zulegen, weil es woanders für Euch nicht besser werden wird.“

Je mehr ArbeiterInnen in unse-rer Gewerkschaft organisiert sind, um so schwieriger wird es für die UnternehmerInnen einen Streik zu brechen. Und es wird die Ge-werkschaft zu einer machtvollen Kraft für Fortschritt und soziale Gerechtigkeit machen.

Die Gewerkschaft muss immer an der Seite derer sein, die ganz unten sind. Wir müssen uns um Alleinerziehende kümmern, um das Kind, das nicht einmal genug zu essen hat, um Behinderte, um die Opfer von Diskriminierung. Wir müssen zum Sprachrohr für die Alten werden, die mit ihrer kleinen Pension oft gar nicht über die Runden kommen.

Indem für all diese Gruppen kämpfen, können wir die Gewerk-schaften wieder groß machen. Deren Anliegen sind unsere An-liegen, wenn wir für ordentliche Löhne und Arbeitsbedingungen für alle kämpfen.

Zum Autor:Harry DeBoer wurde 1903 in Cookston, MN, geboren. In den frühen 1930ern begann er in den Kohlebergwerken von Minnea-polis zu arbeiten. In dieser Zeit wurde auch gewerkschaftlich aktiv und gehörte 1934 zum Organisati-onskomitee, welches den berühm-ten Teamsters- Streik anführte. DeBoer entwickelte die Taktik der „fliegenden Streikposten“, mit der die Gewerkschaft erfolgreich StreikbrecherInnen stoppte. Ande-re, mit denen DeBoer damals eng zusammenarbeitete, waren Carl Skoglund, Vincent R. Dunne und Farrell Dobbs, alles Mitglieder der trotzkistischen Communist Le-ague of America.

DeBoer blieb sein Leben lang seinen Prinzipien treu, noch in ho-hem Alter fungierte er als Berater für junge GewerkschafterInnen. In der vorliegenden Broschüre zieht mit großer Klarheit die Lehren aus den Erfahrungen, die er und seine KollegInnen in der Praxis gemacht haben. Diese Broschüre zeigt eine Perspektive auf und bie-tet für die heutige Generation von ArbeiterInnen Licht am Ende des Tunnels.

Opel-Werk in Wien. Die Belegschaft stimmt geschlossen für den Streik.

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Die großen Teamster-Streiks– Ein Beispiel für revolutionäre Gewerkschaftspolitik in der Wirtschaftskrise(Rote Reihe Nr. 30)

Broschüre erhältlich unter [email protected]

Page 14: Der Funke Nr. 106

November 201114 Der Funke International

Am 15. Oktober demonstrier-ten weltweit Hunderttausen-

de Menschen gegen die „Gier der Banken und Konzerne“ und gegen Sparpakete. Die größte Demo fand in Rom statt, wo über 300.000 auf die Straße gingen. Für die Mehr-heit der TeilnehmerInnen war klar, dass es sich dabei um keinen De-mo-Spaziergang handelt sondern dass ihr Protest im Zeichen einer neuen Militanz und Radikalität stehen müsse.

Am Rande des Massenprotests kam es jedoch auch permanent zu gewaltsamen Ausschreitungen und mutwilligen Sachbeschädi-gungen und Vandalenakten. Es kursieren verschiedene Theorien, wer hinter diesen Gewaltexzessen tatsächlich steht. Waren es Provo-kateure, die die Polizei bewusst in die Demo eingeschleust hat? Das ist keine aus der Luft gegriffene Verschwörungstheorie. Schon zu Beginn der Krise erklärte der ehemalige italienische Staatsprä-sident Cossiga angesichts von rie-sigen Studierendenprotesten ganz offen: “Die Polizeikräfte sollten von den Straßen und Universi-täten abgezogen werden, dann sollte die Bewegung mit Provo-kateuren unterwandert werden, die zu allem bereit sind. Ein paar Tage sollte man die Demonstran-ten Geschäfte verwüsten und Au-tos anzünden lassen. Dann, wenn man sich der Unterstützung im Volk sicher sein kann, müssen die Sirenen der Rettungswägen die Blaulichter der Polizeiautos übertönen. Die Ordnungskräfte müssen dann die Demonstranten ohne Gnade massakrieren und ins Spital befördern.“

Andere wiederum wollen Fa-schos und Fußball-Hooligans er-kannt haben. Oder waren es doch Teile der autonomen Szene, die in

der „direkten Aktion“ einen be-wussten politischen Akt sehen und glauben, auf diese Weise die Bewe-gung radikalisieren zu können? Im Rückblick kann man sagen, dass es mit einigen Ausnahmen vor allem Letztere waren, die zum Mittel der Verwüstung griffen.

Ganz abgesehen davon, dass das Anzünden von Autos, die wahllos entlang des Demozuges geparkt waren, kaum als Angriff auf die Reichen und Mächtigen durchgehen kann, müssen sich die politisch Verantwortlichen die Frage stellen, wer von solchen Ak-tionen profitiert und welche Kon-sequenzen damit ausgelöst wer-den. Unmittelbar nutzte die Polizei diese isolierten Vandalenakte für einen Angriff auf die Masse der DemonstrantInnen mit Tränen-gas, Wasserwerfern und Knüp-peln. Die Massenmedien stürzten sich sofort auf das Thema der Ge-walt, berichteten nur noch über brennende Polizeiautos und den „Black Block“ und ignorierten die Großdemo völlig. In Rom wurde sofort ein einmonatiges Demons-trationsverbot verhängt, und alle Großparteien überschlagen sich seither mit Vorschlägen zur (Wie-der)Einführung repressiver Ge-setze. Die herrschende Ordnung wurde durch diese Formen der Gewalt nicht im Geringsten beein-trächtigt. Mehr als die Zerstörung einiger Herrschaftssymbole haben diese „Radikalen“ nicht auf ihrer Habenseite. Und die Kampfbereit-schaft der Massen wurde dadurch auch nicht gesteigert. Worin soll also der Sinn von solchen Aktio-nen liegen?

Ganz anders sehen wir die Be-reitschaft sich kollektiv gegen die Polizeiangriffe zur Wehr zu setzen, die Tausende auf der Piazza San Giovanni an den Tag legten. Die-

Italien. Die Massenmedien berichteten am 15.10. nur über den „Black Block“ und ignorierten die Großdemo.

Gegen Gewalt oder Gegengewalt?Südeuropa. Brennende Autos, eingeschlagene Schaufenster, verwüstete Banken – in Griechenland und Italien

gehört Gewalt längst zur Begleitmusik der Massenproteste gegen die Krise. Von Alessio Marconi aus Rom.

Kein Stein wird auf dem andern bleiben;alles wird niedergerissen werden. (Mt 24,2)

Das Gefühl, dass man sich im Kampf gegen die alte Ordnung befindet und diesen gewinnen wird, steht am Beginn des Chris-tentums. Aufgrund der geschichtlichen Vorbedingungen konnte das Urchristentum das Himmelreich auf Erden allerdings nicht verwirklichen – und flüchtete ins Jenseits.

Karl KautskyDer Ursprung des Christentums – Eine historische Untersuchung

Der deutsche Sozialdemokrat Karl Kautsky legte 1908 eine bahnbrechende historisch-materialistische Analyse der Entste-hung des Christentums vor. Sein Werk ist nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten einem breiteren Publikum wieder zugänglich. Karl Kautsky führt uns in die Welt der antiken Gesellschaften und zeichnet deren Niedergangsprozess nach. Schritt für Schritt legt er dar, wie die Krise der damaligen Produktionsweise und der Ökonomie ihren Ausdruck in einer Krise aller politischen Institu-tionen und gesellschaftlichen Beziehungen sowie des damaligen Denkens, der vorherrschenden Weltanschauungen und religiösen Ansichten fand.

Neuerscheinung

ser Widerstand zur Verteidigung des Demonstrationsrechtes war le-gitim und darf auch nicht mit der sinnlosen Gewalt einer kleinen Minderheit auf eine Stufe gestellt werden.

Ein Blick auf die Liste der Ver-hafteten zeigt, dass es sich dabei durch die Bank um sehr junge DemonstrantInnen handelte, die offensichtlich in solchen Protesten einen Ausweg aus der kapitalisti-schen Sackgasse suchen und gegen diese Gesellschaftsordnung, die ihnen nichts zu bieten hat, rebel-lieren. Wer ihnen ebenfalls nichts zu bieten hat, sind die Gewerk-schaften und linken Parteien. Auf-grund des Fehlens einer sichtbaren politischen Alternative stößt das

Konzept der „direkten Aktion“ bei dieser Schicht von perspektivlosen Jugendlichen auf einen fruchtba-ren Boden.

Bei der Demonstration in Rom, bei den Protesten von #Occupy Wall Street oder den „Indigna-dos“ in Spanien aber auch beim Generalstreik am 18./19. Oktober in Athen hat sich eines gezeigt. Der Massenprotest auf der Straße kann seine Ziele nur dann errei-chen, wenn es ein gewisses Maß an Organisation gibt. Dies gilt vor allem in der Auseinandersetzung mit der Polizei, die in allen von der Krise betroffenen Ländern ver-mehrt auf Repression setzt. Dies gilt aber auch, wenn es darum geht bewusste Provokateure oder auch Grüppchen, die unbewusst mit ih-ren „direkten Aktionen“ und Sach-beschädigungen der Polizei einen Vorwand liefern, außer Gefecht zu setzen. Die Selbstverteidigung von Demos und Streikposten wird im Zuge der Krise zu einer Aufgabe, die der ArbeiterInnenbewegung und der Linken regelrecht aufge-zwungen wird. Wir dürfen hier nicht blauäugig agieren.

In Rom haben am 15. Okto-ber mehrere Blöcke (die Metal-lergewerkschaft FIOM, die Basis-gewerkschaften COBAS und die Rifondazione Comunista) spontan einen Ordnerdienst improvisiert. In Griechenland zeigte die KKE bei den Straßenprotesten die Schlag-fertigkeit eines im Vorfeld bereits organisierten Blockes mit eigenem Ordnerdienst. Ordnerdienste fal-len aber nicht vom Himmel. Sie sind vielmehr nur dort wirklich möglich, wo es bereits einen orga-nisierten Zusammenhang gibt, wo linke Organisationen, kämpferi-sche Gewerkschaften oder Studie-rendenorganisationen existieren.

Sowohl in Italien und Grie-chenland wie auch etwa in den USA sprachen sich nach Vorfäl-len staatlicher Repression einzelne Polizisten gegen die aggresive Po-

lizeistrategie bei Demos und auch gegen die schlechten Arbeitsbe-dingungen und niedrigen Löhne bei der Polizei aus. Dies zeigt, dass Teile der Polizei ein Verständnis für die Proteste haben. Solange sie jedoch hinter Wasserwerfern, Kastenwägen und Schilderreihen Position beziehen und gegen die Bewegung vorgehen, verteidigen sie die herrschende Klasse, die ein Interesse an staatlicher Repression zur Aufrechterhaltung ihrer Ord-nung hat, und stellen sich gegen die Interessen der ArbeiterInnen und der Jugendlichen. Eines Tages werden sie sich vielleicht gegen jene wenden, die ihnen die Befehle erteilen und sich auf unsere Seite stellen. Aber bis dahin müssen wir uns mit allen Mitteln gegen die Re-pression verteidigen.

Weder die „Ästethik der direk-ten Aktion“ noch eine pazifistische Einstellung, bei der dem Aggres-sor auch noch die andere Backe hingehalten wird, können die rich-tige Antwort auf die zunehmende staatliche Repression sein. Die Frage des Einsatzes von Gewalt ist letztlich eine Frage des politischen Konzepts. Die Bewegung ist etwas ganz besonderes, sie setzt Ener-gien frei, welche die Gesellschaft grundlegend verändern können. Aber diese Energie verpufft, wenn sie nicht zielgerichtet wird. Darin liegt die Notwendigkeit der Orga-nisation und der politischen Füh-rung, die der Bewegung eine Pers-pektive zu geben vermag. Die heute existierenden Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken sind dieser Aufgabe nicht wirklich gewachsen und erweisen sich sogar oft als Bremsen für die Bewegung. Doch das Problem der Führung löst sich nicht, indem man es ignoriert. Es muss offensiv angegangen werden, mit dem Ziel die bestehenden Organisationen, allen voran die Gewerkschaften, in Kampfinstrumente zu verwan-deln.

Der marxistische Klassiker neu aufgelegt€ 19,90 – ISBN 978-3-9502191-6-6Jetzt bestellen: [email protected]

Page 15: Der Funke Nr. 106

November 2011 Der Funke 15International

Der Sturz der Diktatur von Mu-barak war nur der Anfang ei-

ner weitaus größeren Bewegung. In der Revolution ging es von Anfang an nicht nur um demokratische Rechte sondern wurden endlich auch die wahren sozialen Proble-me zum Thema gemacht. Seit der Machtergreifung durch das Militär kam es zu keinerlei sozialen Ver-besserungen, und die ägyptischen ArbeiterInnen gehen daher wieder erneut auf die Straße um für hö-here Löhne und bessere Lebens-verhältnisse zu demonstrieren. Dass das Militär außerdem den von der Revolution gewünschten demokratischen Wandel blockiert und für die Präsidentschaftswah-len immer noch kein Datum fi-xiert wurde, sorgt ebenfalls für großen Unmut. Bis jetzt wurden nur die Parlamentswahlen auf den 28. November gelegt. Demons-trationen werden mit äußerster Brutalität und Streiks mit einer Notstandgesetzgebung begegnet. Die Militärführung zieht es vor den Regierungsstil Mubaraks zu kopieren, anstatt reale Verände-rungen durchzuführen. Die Eliten paktieren hinter den Kulissen, um die Massen von der Straße zu be-kommen und „business as usual“ zu machen. Das führt dazu, dass die Streiks nicht nur ökonomische Kämpfe sind sondern auch einen politischen Charakter haben.

Doch die Reaktionen auf diese Verzögerungstaktik ließen nicht lange auf sich warten.

Als Anfang September ca. 22.000 TextilarbeiterInnen auf die Straße gingen und auch einige ih-rer Forderungen durchsetzten, wie verbesserte Bonusleistungen und Zugang zu verbilligten Lebens-mitteln, zog dies Kreise im ganzen Land. Mittlerweile streikten sogar erstmals seit 1951 die LehrerInnen mit ihren SchülerInnen und Stu-dierenden für einen höheren Min-destlohn von 148 Euro im Monat und für einen verbesserten Zugang

zu öffentlichen Bildungseinrich-tungen. Aber auch im öffentlichen Verkehr und im Gesundheitssys-tem kommt es vermehrt zu Streiks und Demos.

Durch diese Bewegungen, wel-che sich nun nicht mehr gegen einen unterdrückenden Diktator richten, sondern aufzeigen unter welch schlechten Bedingungen die arbeitende Bevölkerung unter die-sem System zu leiden hat, kristalli-siert sich auch ganz klar die Rolle der Moslembruderschaft heraus, welche unter Mubarak noch als „Opposition“ galt. Diese rief vor den massiven Demonstrationen am 9. September ihre Mitglieder dazu auf zu Hause zu bleiben und spielte im Lehrerstreik sogar eine offen streikbrecherische Rolle. Durch ihre beständige Zusam-menarbeit mit der Militärregie-rung, der reichen Elite und der korrupten Staatsbürokratie zeigt die Bruderschaft ihr wahres Ge-sicht. Ihre Führung ist selbst Teil der Elite und verfolgt die gleichen Interessen wie diese.

Gewerkschaften

Die oben erwähnten Textilarbei-terInnen aus Al Mahalla aus der „Misr Company for Spinning an Weaving“ bilden seit 2008 die Vorhut der Bewegung. Sie drohen mit einem unbefristeten Streik, wenn ihre Forderungen nach öko-nomischen Verbesserungen und der Erhöhungen der staatlichen Unterstützungen des Textilsek-tors nicht erfüllt werden. Am 18. September kam es zu einem sechs-tägigen Streik in den Zuckerraffi-nerien in Arment, Luxor, wo die ArbeiterInnen das Management beschuldigten mit den USA und Israel zu paktieren. Auch sie dro-hen mit unbefristeten Streiks bis zu einem Sturz der Regierung. Der Aktivist und Journalist Hos-sam El-Hamalawy bringt diese Bewegung mit folgender Aussage auf den Punkt: “Diese Arbeiter fordern nicht bloß höhere Löhne, so wie es die Medien darzustellen versuchen - sie kämpfen gegen

Korruption und machen einen wirtschaftlichen Kampf zu einem politischen.“

Den ArbeiterInnen wurde in diesen ökonomischen Kämpfen bewusst, dass es nicht Mubarak al-lein war, der für ihre Ausbeutung verantwortlich war, sondern dass immer noch dieselbe alte Bürokra-tie in den Betrieben das Sagen hat, welche nur ihre eigenen Interessen vertritt. Um dieser Korruption entgegenzutreten, werden Arbei-terInnenkontrolle und Verstaatli-chung gefordert: Ein kollektives, demokratisches System soll an die Stelle des alten treten.

Eine weitere wichtige Errun-genschaft seit der Revolution sind die unabhängigen Gewerkschaf-ten, welche sich im Gegensatz zu der bestehenden, staatsnahen und bürokratisch erstarrten Ge-werkschaft „General Federation of Trade Unions“ (GFTU) gegründet haben, und eine immer wichtigere Position bei der Organisierung der verschiedenen Streiks einnehmen. Die GFTU wurde mittlerweile so-

gar aufgelöst, und die unabhängi-gen Gewerkschaften werden im-mer stärker.

Perspektiven

Die politische Aktivität der Mas-sen wird von den Eliten nicht ger-ne gesehen, denn diese sehen dar-in eine immanente Gefahr. So ist etwa Magda Kandil, die Direkto-rin des “Egyptian Center for Eco-nomic Studies“ nicht erfreut über die Streiks: „Jetzt ist der Geist aus der Flasche. Jetzt ist die Angst ver-schwunden, die Arbeiter fordern mehr. Sie glauben, dass Streiks zu ökonomischen Verbesserungen führen, und die Streiks breiten sich immer weiter aus und sind schwieriger im Zaum zu halten. Das ist nicht das, was die Wirt-schaft jetzt braucht.“

Die Frage eines Generalstreiks wird heute offen in den unabhän-gigen Gewerkschaften diskutiert. Ein solcher Massenstreik würde nicht nur die Revolution in Ägyp-ten auf eine neue Ebene heben sondern auch die revolutionären Bewegungen in Syrien, Libyen und Tunisien neuerlich beflügeln.

Die Autorin studiert Internati-onale Entwicklung und ist Mit-glied der SJ Alsergrund/Wien.

Mubaraks Fall war erst der Anfang

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Ägypten. Schenkt man den westlichen Medien Glauben, so könnte man annehmen, der „arabische Frühling“ habe seinen Höhepunkt bereits überschritten. Doch der Schein trügt, so Bianca Schellander.

Kopten gegen Moslems?

Die Regierung versucht die Wel-le des Klassenkampfs dadurch zu stoppen, indem sie gezielt religiöse Konflikte schürt. Am 9.10. starben 24 Mitglieder der koptischen Gemeinde bei der Niederschlagung eines Pro-testmarsches durch das Militär. Diese Demo richtete sich gegen staatliche Repression gegen die christliche Gemeinde. An ihr nahmen aber auch unzählige Moslems teil, um gemeinsam gegen das Regime zu protestie-ren.

Page 16: Der Funke Nr. 106

Schon seit Anfang Oktober erschüttert eine neue Protest- und Streikwelle Grie-

chenland. Das war die unmittelbare Antwort auf die Ankündigung der Regierung ein weiteres Sparpaket beschließen zu müssen. Unter anderem sieht dieses Paket den Abbau von 30.000 (!) Stellen im öffentlichen Dienst vor. Ohne diese weiteren Einschnitte würde Griechenland von der Troika bestehend aus EU, EZB und IWF keine zusätzlichen Geld-mittel bekommen. Obwohl die Regierung bereits im Juni ein massives Sparpaket und Steuererhöhungen verabschiedet hat, ist Griechenland nicht imstande sein Budget-defizit auf die von der Troika vorgeschriebe-nen 7,5% des BIP zu senken. In Wirklichkeit würgen diese Maßnahmen aber die Wirt-schaft noch mehr ab, was sich auch auf den Staatshaushalt negativ auswirkt.

Für die griechischen Lohnabhängigen ist ein Punkt erreicht, wo sie nicht mehr weiter mitkönnen. Diese Sparpakete sind für viele existenzbedrohend. Ihre Lebensbedingun-gen haben sich schon in den letzten Mona-ten dramatisch verschlechtert. Die Löhne wurden durchschnittlich um 30 % gekürzt. Die Kinder in den öffentlichen Schulen er-halten keine Schulbücher mehr, die Unis haben kein Geld mehr für den Tagesbetrieb, viele Spitäler können sich den Ankauf von Medikamenten, Verbandsmaterial usw. nicht mehr leisten und werden dement-sprechend von Konzernen wie Roche auch nicht mehr beliefert. Die U-Bahn in Athen fährt aus Personalmangel nur noch alle 30 Minuten. Laut der Fachzeitschrift „Lancet“ wirkt sich die bereits seit Jahren anhalten-de Sparpolitik mittlerweile spürbar auf die Gesundheit der Bevölkerung aus, ganz zu schweigen davon, dass die Selbstmordrate regelrecht explodiert ist.

Wir müssen hier festhalten, dass die Ab-geordneten der SPÖ, der ÖVP und der Grü-nen direkt für dieses soziale Massaker an unseren griechischen Brüdern und Schwe-stern verantwortlich sind, indem sie für die Stabilitätsmechanismen gestimmt haben. Sie haben grünes Licht für diese Kriegskredite des 21. Jahrhunderts gegen die Arbeiterklas-se gegeben.

Streikwelle

Seit der Ankündigung dieses neuerlichen Megasparpakets durch die griechische Re-gierung sind nicht mehr die „empörten BürgerInnen“ sondern vor allem die stärks-ten Gewerkschaften ins Zentrum der Aus-einandersetzung gerückt. Dazu zählen die Beschäftigten im Transportsektor, in den Häfen, der Energieversorgung, den Spitä-lern, im Bildungswesen, den Finanzämtern sowie die Gemeindebediensteten und die BeamtInnen. In all diesen Sektoren kam es

seit Anfang Oktober ununterbrochen zu Streiks, in mehreren Fällen wurden auch Regierungsgebäude besetzt.

Erstmals genießen die Beschäftigten aus diesen öffentlichen Bereichen auch die Un-terstützung seitens der Arbeitslosen und der ArbeiterInnen in der Privatwirtschaft. Das herkömmliche Bild von den angeblichen Privilegienrittern im öffentlichen Dienst lässt sich angesichts der angekündigten Kürzungspläne (Massenentlassungen, 50%-Lohnkürzungen) einfach nicht mehr auf-recht erhalten.

Außerdem versucht die Troika auch im Privatsektor Verschlechterungen durch-zusetzen. So soll der Mindestlohn von 750 Euro auf 550 Euro reduziert werden, in-dem der nationale Kollektivvertrag und alle Branchenkollektivverträge beseitigt werden. Das Gesetz sieht de facto vor, dass die Ge-werkschaften “bis zum Ende der Krise” kei-ne Rolle mehr spielen.

Die Stimmung unter den ArbeiterInnen war noch nie so kämpferisch wie jetzt. Die Bereitschaft, den Kampf bis zum Letzten zu führen, ist augenscheinlich vorhanden. GewerkschafterInnen sagen in den Medien ganz offen, dass es sich hierbei um politische Streiks handelt. Ein hochrangiger Vertreter der Gewerkschaft der Busfahrer sagte im TV: “Wir werden die Streiks fortsetzen bis die Regierung gestürzt ist. Wir wollen diese Bande rauswerfen!”

Den militantesten Arbeitskampf führ-ten in den letzten Wochen die Beschäftig-ten der Müllabfuhr. Sie haben über Tage gestreikt und die Müllplätze besetzt. Die Regierung versuchte mit Sondereinheiten der Polizei den Streik zu brechen, doch die Arbeiter waren nicht bereit die Besetzungen aufzugeben. Sie proklamierten sogar, dass es zu einem Blutvergießen kommt, wenn die Regierung keinen Rückzieher macht.

Die Regierung versuchte daraufhin private Müllentsorgungsunternehmen einzusetzen, diese sind jedoch nicht imstande den gan-zen Müll zu sammeln und zu entsorgen, weil ihre Mitarbeiter ständig von Menschen auf der Straße als “Streikbrecher” beschimpft und sogar körperlich attackiert werden. Diese kleine Tatsache zeigt sehr schön wie stark die Solidarität in der Bevölkerung mit diesen Arbeitskämpfen ist.

Unter dem Druck der Basis haben die Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY einen weiteren Generalstreik aus-gerufen, der unter dem Druck der Basis so-gar auf 48 Stunden ausgedehnt wurde. Die Stimmung geht jedoch immer mehr in die Richtung, dass es einen unbefristeten poli-tischen Generalstreik braucht in Kombina-tion mit der Besetzung von Betrieben, wo ArbeiterInnen entlassen werden sollen.

Die Krise der Linken

Die PASOK-Regierung steht heute noch viel schwächer da als im Sommer. Der Par-lamentsklub der PASOK gerät immer mehr unter den Druck der Gewerkschaften. Im-mer mehr Teile der soziademokratischen Gewerkschaftsfraktion PASKE spalten sich von der PASOK ab. Dies gilt für die PASKE in der Lehrergewerkschaft, der Gewerk-schaft der Gemeindebediensteten und nun auch bei der Eisenbahnergewerkschaft. Im ganzen Land treten FunktionärInnen aus der Partei aus. Die PASP, die Studierenden-organisation der PASOK, hat sich im Zuge der jüngsten Uniproteste gespalten. An vie-len Unis haben linke PASP-AktivistInnen die Initiative zu Einheitsfronten mit ande-ren linken Studierendenorganisationen zur Unterstützung der Unibesetzungen gestartet und wurden daraufhin ausgeschlossen.

Die stalinistische Führung der KKE re-

agiert zusehends auf den Druck der Bewe-gung. Nicht mehr Neuwahlen lautet ihr zen-traler Slogan sondern die Organisierung von Massenprotesten sieht sie als ihre Hauptauf-gabe. Für den Tag der Abstimmung über das Sparpaket im Parlament plante sie eine spektakuläre Umzingelung des Parlaments-gebäudes auf. Schon im Sommer versuchte die Volksversammlung vom Syntagma-Platz die Besetzung der Gegend rund um das Par-lament. Die damalige Aktion war aber weit spontaner, unorganisierter und amateurhaf-ter. Jetzt wurde dieser Protest von der KKE und ihrer Gewerkschaftsfraktion PAME or-ganisiert. Dadurch bekam diese Aktionsform einen ganz anderen Charakter, nicht zuletzt angesichts der Teilnahme der “schweren Ba-tallione” der ArbeiterInnenklasse.

Dieser Generalstreik markierte einen weiteren wichtigen Wendepunkt in der Ent-wicklung der Krise in Griechenland, an dem sich der Zorn der ArbeiterInnen und der Ju-gendlichen voll entladen hat.

Griechenland ist nur das schwächste Glied in der Kette des europäischen Kapi-talismus. Seinem Schicksal könnten andere Länder bald schon folgen. Was sich heute in Athen und anderen griechischen Städten abspielt, liefert ein lebendiges Bild davon, wie der Klassenkampf in Europa in absehba-rer Zukunft aussehen könnte. Mit der Mas-senbewegung im vergangenen Mai und Juni befand sich das Land bereits in einer vorre-volutionären Situation. Jetzt wieder.

Doch was fehlt, ist eine politische Kraft mit einer wirklichen Verankerung in der Massenbewegung, die ein klares revolutio-näres Programm hat und den Protesten eine Führung geben könnte. Die Aufgabe von MarxistInnen ist es eben eine solche Füh-rung aufzubauen.

Faktum ist, dass im Parlament die Spar-maßnahmen trotz gewaltiger Massenpro-teste verabschiedet wurden. Die Bewegung für sich ist also nicht ausreichend, um diese Angriffe abzuwehren. Positiv ist jdoch, dass durch die Proteste der letzten Monate eine neue Kampftradition entstanden ist. In den Athener Stadtvierteln treffen sich weiterhin die Volksversammlungen. Im Bildungs-system wurden in den letzten Wochen 350 Fakultäten und 750 Schulen besetzt. Im öf-fentlichen Dienst kam es flächendeckend zu Massenversammlungen, wo z.B. Kampag-nen zur Nichtbezahlung der neuen Steuern beschlossen wurden. Es gibt auch erste An-zeichen einer politischen Radikalisierung, so haben die Linksparteien erstmals unter den Beschäftigten der griechischen Rüstungsin-dustrie eine Mehrheit. Und in den Gewerk-schaften wächst auch der Druck seitens der Basis für einen unbefristeten politischen Generalstreik.

Athen, 19.10.2011

Die marxistische Strömung.

Ein weiteres Megasparpaket hat Griechenland erneut in eine revolutionäre Krise schlittern lassen. Die Proteste der Gewerkschaften werden immer

radikaler. Ein Bericht unseres Korrespondenten aus Athen.

„Es ist der Krieg gegen dich, Prolet!“

Griechenland. Massenproteste gegen die Diktatur des Kapitals.

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