der diffusive stofftransport im Übergansgebiet zwischen kontinuum und knudsen-region
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Der diffusive Stofftransport imÜbergangsgebiet zwischenKontinuum und Knudsen-Region*
W E R N E R K A S T * *
1 Problemstellung
Bei experimentellen Untersuchungen zur Diffusion undPermeation von Gasen durch feinporiges Steinsalz [1, 2]stellte sich die Aufgabe, den Stofftransport in Abhängigkeitvom Porendurchmesser dp bzw. von der Knudsen-Zahl Kn =K/dp in den Bereichen vom Kontinuum, Kn < 0,01, bis in dieKnudsen-Region, Kn > 1, nach Möglichkeit geschlossen zubeschreiben1). Während die Gesetze des Stofftransports imKontinuum und in der Knudsen-Region allgemein bekanntsind, erhob sich die Frage, welche Bedeutung im Über-gangsgebiet den sekundären Effekten der Druckdiffusion,der Gleitströmung und der Diffusionsgleitung zukommt.Abb. 1 verdeutlicht das Zusammenwirken der verschiede-nen Transportmechanismen.
2 Modellbildung
Für das Zusammenspiel der Stofftransporte infolge vonKonzentrations-(ry) und Druckgradienten (rp), also ohneThermo- und Oberflächendiffusion, soll von einem Ersatz-schaltbild nach Abb. 2 ausgegangen werden. Die relativenStröme durch Normaldiffusion und durch Druckdiffusionwerden parallel geschaltet, hierzu parallel auch die konvek-tiven Ausgleichsströme beider. Ebenso werden die beidenTerme der Molekularbewegung (~ry und ~rp) parallel-geschaltet. Die Diffusionsströme und die Ströme der Mole-kularbewegung werden nun, wie es von anderen Modellenbekannt ist, hintereinandergeschaltet. Durch diese Hinter-einanderschaltung sind die Effekte der Diffusionsgleitung
und der Gleitströmung erfasst. Unter ¹Gleitenª wird die Er-scheinung verstanden, wenn im Übergangsgebiet zwischenKontinuum und Molekularbewegung das Regime von denzwischenmolekularen Stöûen auf Molekül-Wandstöûe über-geht und so das Geschehen in der Randzone mit den Ab-messungen der freien Weglänge K den Transport bestimmt.Die Diffusions- und Permeationsströme des Kontinuums¹gleitenª dann über dieser Wandschicht. (Zu dem hier inAbweichung von der Literatur verwendeten Begriff der Dif-fusionsgleitung s. u.).
Die in diesem Modell verwendeten Gesetze derTransportmechanismen lauten:1. Normaldiffusion
_N�y�dif;i� ÿDijcryi � yi
P_N�y�
dif;imit c � p
RT, Dij �
D�ij�p
(1)
2. Druckdiffusion
_N�p�dif;i� ÿ�i Dijcyi
rpp� yi
P_N�y�
dif;imit �i �
�MÿMi�M
(2)
3. Konvektive AusgleichsströmeDie konvektiven Ausgleichsströme, die bei unterschied-lichen Diffusionsgeschwindigkeiten der Komponenten ent-stehen, sollen als viskose Strömung betrachtet und durcheinen äquivalenten Diffusionsansatz beschrieben werden:
yiP
_N�y�dif;i� yi
P_N�p�
dif;i� ÿDvisc yi
rpp
(3)
mit Dvis � kp� nach D A R C Y oder Dvis �
d2p p
32�
nach H A G E N -P O I S E U I L L E .Durch diesen Ansatz wird es möglich, einen be-
dingten Druckanstieg in der Knudsen-Region kontinuierlichbis in das Kontinuum zu beschreiben.
4. Molekularbewegung
_NKn;i� ÿDKn;ic
rpip
mit DKn;i �43
dp
�p
�������������RT
2� Mi
s(4)
Der Partialdruckgradient rpi enthält die Termeryi und rp:
rpi = pryi + yirp, so dass die Ströme durch Mole-kularbewegung, wie im Modell, aufgeteilt werden können:
_N�y�Kn;i� ÿDKn;ic ryi (4a)
_N�p�Kn;i� ÿDKn;ic yi
rpp
(4b)
Abbildung 1.Überlagerung der Mechanismen des Stofftransports.
Abbildung 2.Modell für die Zusammenschaltung der Stoffströme.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
* Überarbeiteter Vortrag anlässlich der GVC-Fachausschusssitzung ¹Wärme- und Stoff-übertragungª, 5./6. März 2001 in Bamberg.
** Prof. em. Dr.-Ing. W . K A S T, ThermischeVerfahrenstechnik, TU Darmstadt,Hainberg 3A, D-61462 Königstein.
1) Eine Zusammenstellung der Formelzeichenbefindet sich am Schluss des Beitrags.
W I S S E N S C H A F T L I C H E K U R Z M I T T E I L U N G E N1150Chemie Ingenieur Technik (73) 9 | 2001
S. 1150±1153 � WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69469 Weinheim, 20010009-286X/2001/0909-1150 $17.50+50/0
5. Gleitströmung (bei ryi = 0)
_N�p�D;i� ÿ�Dvis �DKn;i�c yi
rpp
(5)
6. Diffusionsgleitung (bei rp = 0)
_N�y�D;i� ÿ 1ÿy�1�ai �
Dij
� 1DKn;i
" #ÿ1
c ryi
mit (1+ai) =P
_ND;i= _ND;i (6)
Der Begriff ¹Diffusionsgleitungª wird hier auf dieoben beschriebene Überlagerung von Diffusion und Mole-kularbewegung bezogen. In der Literatur [3] wird dieseBezeichnung oft für den konvektiven Strom im KontinuumP _NDif verwendet, da dieser reibungsfrei erfolgen muss, d. h.für diesen Strom muss rp = 0 sein. Dies ist aber wegenDvis >> Dij im Kontinuum auch ohne Annahme einer Gleit-ung geben (s. u.).
Werden die vorstehenden Ströme nach dem Mo-dell der Abb. 2 zusammengefügt , erhält man für den resul-tierenden Stoffstrom
_ND;i� ÿc 1
Dijryi��liDij�Dvis �yi
rp
p
� 1DKn;i�ryi�yi
rp
p�
264375ÿ1
(7)
Diese Gleichung ist kompatibel mit der, die ohneAnnahme eines viskosen Ausgleichsstromes erhalten wird
_ND;i� ÿc
1ÿyi �1�ai �Dijryi�l
iDijyi
rp
p
� 1DKn;i�ryi�yi
rp
p�
264375ÿ1
(8)
Im Folgenden sollen diese Beziehungen an Handvon Beispielen für ein binäres Gemisch (y1 = y; y2 = 1 ± y) be-trachtet werden.
Die in den Gleichungen verwendeten äquivalen-ten Diffusionskoeffizienten hängen in unterschiedlicherWeise vom Porendurchmesser bzw. von der Knudsen-Zahlab und bestimmen auf diese Art die Transportmechanismenin den Bereichen vom Kontinuum bis in die Knudsen-Re-gion, s. Abb. 3.
3 Beispiele
Aus den Gln. (7) und (8) erhält man zunächst für das Ver-hältnis der diffusiven Ströme a = _ND;2
_ND;1 :
a � DKn;2
DKn;1
rp2rp1
� ÿDKn;2
DKn;1
pryÿ�1ÿy�rppry�yrp
mitDKn;2
DKn;1
��������M1M2
s(9)
wie es sich direkt auch aus den Strömen im Kundsen-Be-reich ableitet.
Für rp = 0 folgt
a � ÿ�������M1M2
s(10)
eine Beziehung, die als Graham'sches Gesetz be-kannt ist und vielfach ± auch im Kontinuum ± experimentellbestätigt wurde [1, 3, 4].
3.1 Offene Systeme
In offenen Systemen sind die Konzentrations- und Druck-gradienten über das poröse Medium vorgegeben, s. Abb. 4a.Es herrscht zweiseitige Diffusion mit a nach Gl. (9) bzw.nach Gl. (10), wenn kein äuûerer Druckgradient vorhandenist. Aber auch in diesem letzteren Fall würde man für denkonvektiven Ausgleichsstrom einen Druckabfall berechnen,der sich im Kontinuum aus den Gln. (7) und (8) ergibt:
rp � D12Dvis
1�a1ÿy�1�a�pry (11)
Da aber Dvis >> D12 (s. Abb. 3), ist im Kontinuumein Druckgradient nicht gegeben:rp = 0 .
Die Annahme einer Diffusionsgleitung ist somitnicht erforderlich. In der Knudsen-Region ist unter diesenBedingungen a priori ein Druckgradient nicht möglich, da
rp1 � ÿrp2 ; a � ÿDKn;2
DKn;1
wird.
Die diffusiven Ströme im offenen System betra-gen damit:
_ND;1� ÿ
1ÿy�
1ÿ������M1M2
r �D12
� 1DKn;1
26643775ÿ1
cry (12)
_ND;2� �
1ÿ�1ÿy��
1ÿ������M2M1
r �D12
� 1DKn;2
26643775ÿ1
cry
Abbildung 3.¾quivalente Diffusionskoeffizienten: D12 für Normaldiffusion,DKn,i für Molekularbewegung, Dvis für viskose Strömung(Beispiel: Wasserdampf in Luft, p = 1 bar, lp = 1).
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3.2 Geschlossene bzw. halbgeschlosseneSysteme
In diesen Systemen ist das Verhältnis der diffusiven Strömedurch die Problemstellung gegeben. Als Beispiel werde dieVerdunstung aus einem Flüssigkeitsspiegel oder die Diffu-sion aus einem geschlossenen Hohlraum durch ein porösesMedium betrachtet, s. Abb. 4b (halbgeschlossenes S.). Beidiesen Anordnungen muss der Trägergasstrom im stationä-ren Zustand verschwinden: _ND;2= 0 und damit a = 0. Damitdies möglich ist, muss in der Knudsen-Region der Partial-druckgradient rp2 = 0 werden, d. h. pry ± (1 ± y)ry = 0 oderintegriert mit den Grenzen nach Abb. 4b ergibt sich einDruckanstieg auf der geschlossenen Seite
px=0 = p0 + (p²1 ± p¢1) (13)
Im Kontinuum gilt für den Druckanstieg Gl. (11)mit a = 0 wieder rp = 0. Für den Verlauf des Druckes inallen Bereichen findet man mit den Gln. (7) und (8) durch
Überlagerung der Gradienten im Konti-nuum und in der Knudsen-Region
rpp� D12
Dvis
� 1
" #ry1ÿy
(14)
oder nach Integration die in px=0 impliziteGleichung
px�0 � p01ÿy0
1ÿy00
� � 1
DvisD12
�1
� �� p0
p0ÿp0 1px�0ÿp00
1
" #D12Dvis
(15)
wobei y² mit dem Dampfdruck p²1 unddem Druck px=0 am Verdunstungsspiegelzu bilden ist.
Für die Verdunstung von H20 inLuft ist der Druckverlauf über derKnudsen-Zahl in dimensionsloser Formpx�0ÿp0p001ÿp0 1
in Abb. 5 dargestellt. Der Druck-anstieg von px=0 = p0 im Kontinuum auf den Wert nachGl. (13) wird deutlich. Der Einfluss des Konzentrationsgra-dienten ist gering.
Mit diesem Druckverlauf kann nun der Verdun-stungsstrom für verschiedene Knudsen-Zahlen des porösenStoffes durch Integration von Gl. (7) bestimmt werden. We-gen
�1 ��MÿM1
�M� �1ÿy��M2ÿM1�
y M1��1ÿy�M2
ist die Integration nur numerisch möglich. Das Ergebniszeigt Abb. 6 in dimensionsloser Form
_ND;1
s
D12c0
1y00
0ÿy0
Im Kontinuum wird das Ergebnis durch die be-kannte Gleichung
_ND;1
s
D12c0
� ln1
y000ÿy0
(16)
wiedergegeben; in der Knudsen-Region durch
_ND;1
s
D12c0
� DKn;1
D12
y00 ÿy0
1ÿy00� DKn;1
D12
�y000ÿ y0 � (17)
Für einige Konzentrationsdifferenzen (y0²-y¢)sind in Abb. 6 auch die Stoffströme _ND;1j0 eingetragen, diesich ohne Berücksichtigung eines Druckanstiegs ergebenwürden:
_ND;1j0s
D12c0
� ln
1�DKn;1
DKn;2�1ÿy0 �
1�DKn;1
DKn;2�1ÿy00
0�
(18)
Die Abweichungen zwischen _ND;1 nach Integra-tion der Gl. (7) und _ND;1j0 zeigt beispielhaft für eine Konzen-trationsdifferenz Abb. 7, aufgeschlüsselt auf die Anteile, diedurch die Druckänderung entstehen: Verringerung des Dif-fusionsstroms durch viskose Strömung, Erhöhung durchDruckdiffusion und durch den zusätzlichen Strom infolgedes Druckgradienten-Terms der Molekularbewegung.
Abbildung 4.a) Randbedingungen für offene Systeme;b) Randbedingungen für ein halb-geschlossenes System.
Abbildung 5.Druck am Verdunstungsspiegel als Funktion der Knudsen-Zahl.
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Man erkennt, dass diese Effekte nur im Über-gangsbereich zwischen Kontinuum und Knudsen-Regionauftreten und sich auch nur bei Konzentrationsdifferenzen(y0² ± y¢ � > 0,2) bemerkbar machen.
Mit dem Modell nach Abb. 2 und den daraus ab-geleiteten Gln. (7) und (8) dürfte damit eine physikalischplausible Beziehung für den diffusiven Stoffstrom im ge-samten Bereich der Knudsen-Zahlen gegeben sein.
Eingegangen am 11. April 2001 [K 2860]
Formelzeichen
c [kmol/m3] molare Dichtedp [m] PorendurchmesserD* [m2/s] Diffusionskoeffizient im freien
RaumD [m2/s] effektiver äquivalenter Diffusions-
koeffizientk [m2] PermeabilitätKn [±] Knudsen-ZahlM [kg/kmol] rel. Molmasse_N [kmol/m2s] molarer Strom, rel. zu stationären
Koordinatenp [bar] (Gesamt-) Druckpi [bar] PartialdruckR [J/kmol K] Gaskonstantes [m] Länge des DiffusionswegsT [K] absolute Temperaturx [m] Ordinatey [±] Molfraktion
g r i e c h i s c h e B u c h s t a b e na [±] Verhältnis _ND;2 / _ND;1
K [m] freie Weglängeli [±] Verhältnis der rel. Molmassenlp [±] Tortuositätsfaktorg [Pa s] dynamische Zähigkeit
Literatur
[1] H O H E N T H A N N E R , C . - R .
Bestimmung des Diffusions- und Permeations-verhaltens von Wasserstoff in Steinsalz, Disserta-tion, TH Darmstadt 1996.
[2] K A S T, W . ; H O H E N T H A N N E R , C . - R .
Mass Transfer within the Gas Phase of PorousMedia, Int. J. Hrat and Mass Transfer 43 (2000)S. 807/823.
[3] W I C K E , E . ; H U G O , P.
Gleitungserscheinungen bei der Gasdiffusion,Z. Physikal. Chem., Neue Folge 28 (1961) S. 401/421.
[4] M A S O N , E . A . ; M A L I N A U S K A S , A . P.
Gas Transport in Porous Media ± The Dusty GasModel, Elsevier, Amsterdam 1983.
Abbildung 6.Dimensionsloser Stoffstrom bei der Verdunstung von H2O inLuft als Funktion der Knudsen-Zahl.
Abbildung 7.Abweichung des Stoffstroms bei Berechnung mitBerücksichtigung der Druckänderung imVerdunstungsspiegel NÇ D,1 und ohne NÇ D,1|o bei px = 0 = p0:
D =_N
D;1ÿ _N
D;1j0_N
D;1j0= f(Kn).
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