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   a    r    g    u    m    e    n     t    e  1 Gérard Bökenkamp Demographischer Wandel und Fachkräftemangel Herausforderun g und Antwort Auf einem freien Arbeitsmarkt kämen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften in der Regel mit geringer Verzögerung zusammen. In der Praxis stehen dem jedoch eine Vielzahl von tarifrechtlichen, bürokratischen Restriktionen und steuerlichen Belastungen im Weg. Der demographische Wandel stellt das Land vor eine zusätzliche Herausforderung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Diese Herausforderungen können aber bewältigt werden, wenn folgende Grundsätze umgesetzt werden: Ältere Arbeitnehmer länger beschäftigen - Die Arbeitswelt noch stärker modernisieren und Arbeitsprozesse rationalisieren - Den technischen Fortschritt nicht behindern - Die Jungen früher in die Arbeitswelt bringen und einen größeren Anteil in den MINT-Fächern qualifizieren - Inländische Fachkräfte und Hochqualifizierte im Land halten - Ausländische Fachkräfte und Hochqualifizierte für das Land gewinnen. Fachkräftemangel im Bereich der MINT-Qualifikationen Pauschal kann derzeit noch nicht von einem generellen Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt gesprochen werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) stellte in seiner Studie „Fachkräftemangel in Deutschland“ aus dem Jahr 2009 fest, dass „in vielen hochqualifizierten Berufsgruppen relativ zum Fachkräftebedarf noch ein umfangreiches Fachkräfteangebot existiert. Insbesondere solche Berufsgruppen, die typischerweise einen Abschluss aus den Bereichen Kunst-, Kultur-, Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- oder Sprachwissenschaften voraussetzen, weisen aktuell eine vergleichsweise gute Arbeitsmarktverfügbarkeit entsprechender Fachkräfte auf. Ein qualifikationsgruppenübergreifender Fachkräftemangel im Segment Hochqualifizierter kann somit nicht konstatiert werden.“ In der Breite konzentriert sich die Knappheit vielmehr auf die MINT-Qualifikationen (MINT ist die Abkürzung für Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker). Auch innerhalb der MINT-Qualifikationen ergibt sich ein differenziertes Bild. In den Berufsgruppen der Techniker wurde nach den Angaben des IW tatsächlich eine „substantielle Fachkräftelücke“ festgestellt. Ein www.freiheit.org

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Gérard Bökenkamp

Demographischer Wandel und Fachkräftemangel

Herausforderung und Antwort

Auf einem freien Arbeitsmarkt kämen Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften in der Regel mitgeringer Verzögerung zusammen. In der Praxis stehen dem jedoch eine Vielzahl vontarifrechtlichen, bürokratischen Restriktionen und steuerlichen Belastungen im Weg. Derdemographische Wandel stellt das Land vor eine zusätzliche Herausforderung im Bereich derArbeitsmarktpolitik. Diese Herausforderungen können aber bewältigt werden, wenn folgendeGrundsätze umgesetzt werden:

Ältere Arbeitnehmer länger beschäftigen - Die Arbeitswelt noch stärker modernisieren und 

Arbeitsprozesse rationalisieren - Den technischen Fortschritt nicht behindern - Die Jungen

früher in die Arbeitswelt bringen und einen größeren Anteil in den MINT-Fächern qualifizieren -

Inländische Fachkräfte und Hochqualifizierte im Land halten - Ausländische Fachkräfte und Hochqualifizierte für das Land gewinnen.

Fachkräftemangel im Bereich der MINT-Qualifikationen

Pauschal kann derzeit noch nicht von einem generellen Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarktgesprochen werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) stellte in seiner Studie„Fachkräftemangel in Deutschland“ aus dem Jahr 2009 fest, dass „in vielen hochqualifiziertenBerufsgruppen relativ zum Fachkräftebedarf noch ein umfangreiches Fachkräfteangebot existiert.

Insbesondere solche Berufsgruppen, die typischerweise einen Abschluss aus den Bereichen Kunst-,Kultur-, Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- oder Sprachwissenschaften voraussetzen, weisen aktuelleine vergleichsweise gute Arbeitsmarktverfügbarkeit entsprechender Fachkräfte auf. Einqualifikationsgruppenübergreifender Fachkräftemangel im Segment Hochqualifizierter kann somitnicht konstatiert werden.“

In der Breite konzentriert sich die Knappheit vielmehr auf die MINT-Qualifikationen (MINT ist dieAbkürzung für Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker). Auch innerhalb derMINT-Qualifikationen ergibt sich ein differenziertes Bild. In den Berufsgruppen der Technikerwurde nach den Angaben des IW tatsächlich eine „substantielle Fachkräftelücke“ festgestellt. Ein

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ähnlich klares Bild ergab sich bei den Naturwissenschaften nicht. Außer bei den Berufsgruppen derPhysiker, Physikingenieure und Mathematiker zeigt sich kein signifikanter Fachkräftemangel. DasIW zieht das Fazit: „Bei den sonstigen Naturwissenschaftlern hingegen ist kein Fachkräfteengpasszu erkennen.“ Längerfristig wirkt sich jedoch der demographische Wandel negativ auf dasPotential an Hochqualifizierten aus.

Demographische Alterung der Gesellschaft

Da die Geburtenrate seit bald vierzig Jahren unter der Reproduktionsrate (2,1 Kinder pro Frau)liegt, aktuell bei 1,4 Geburten pro Frau, und gleichzeitig die Lebenserwartung steigt, schrumpftund altert die deutsche Bevölkerung. Die gängigen Prognosen des Statistischen Bundesamtes undder Vereinten Nationen gehen von einem Rückgang der Einwohnerzahlen bis zum Jahr 2050 auf 69 bis 75 Millionen aus. Aus demographischen Gründen wird das Potential an Hochqualifiziertenin den kommenden Jahrzehnten deutlich sinken. Stellt man die Zahl der Absolventen der Zahl derHochqualifizierten gegenüber, die in Kürze ausscheiden, so ergibt sich nach den Berechnungen desInstituts der Deutschen Wirtschaft ein erheblicher Mangel. In den Jahren 2027 und 2028 würdenin Deutschland voraussichtlich etwa 100.000 Hochqualifizierte mehr den Arbeitsmarkt verlassen

als jüngere Fachkräfte nachrücken.

Angesichts der demographischen Entwicklung kann es sich die Gesellschaft nicht mehr leisten,qualifizierte ältere Arbeitsnehmer frühzeitig auf Kosten der Altersvorsorgesysteme in denRuhestand gehen zu lassen und auf ihre Qualifikation zu verzichten. Längere Lebensarbeitszeitenkönnen dem Einzelnen in einer hochqualifizierten Tätigkeit durchaus zugutekommen. Wie dieAutoren des Buches „Workforce Crisis“ Dychtwald, Erickson und Morison feststellen, resultiert dasBedürfnis nach frühem Renteneintritt vor allem aus körperlich und psychisch anstrengendenTätigkeiten. Hochqualifizierte, die ihren Beruf bis ins hohe Alter ausüben, hätten hingegen einehöhere Lebenserwartung und ihr Gesundheitszustand sei besser. Die Autoren empfehlen den

Unternehmen, speziell auf ältere Arbeitnehmer zugeschnittene Arbeits- und Entlohnungsmodellezu entwickeln, um sie im Beruf zu halten.

Schon allein der Umstand, dass das Rentenniveau tendenziell abnimmt, aber der Bedarf anqualifizierten Arbeitskräften steigt, dürfte Angebot und Nachfrage nach älteren Facharbeiternsteigen lassen. Dies macht einen Umbau der Alterssicherung notwendig, um ein Rentensystem zuschaffen, das keine starre Pensionsgrenze zieht, sondern sich nach unten und nach oben denBedingungen der einzelnen Tätigkeitsfelder anpasst. Die Aufgabe der Politik besteht darin, dasRentensystem zu reformieren und starre Standardmodelle durch flexible Regelungen zu ersetzen.

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Einwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften

Bei den Schätzungen über die künftige Bevölkerungsentwicklung ist eine Einwanderung von100.000 bis 200.000 Personen im Jahr bereits eingerechnet. Das Berliner Institut für Bevölkerungund Entwicklung erklärte in seinem Dezember-Newsletter aus dem Jahr 2009: „Im Unterschied zurSituation in kinderreichen Ländern wie Frankreich oder Schweden stellt in Deutschland dieZuwanderung deshalb die einzige Möglichkeit dar, den Bevölkerungsrückgang der Zukunft wennauch nicht aufzuhalten, so wenigstens abzumildern.“ Das Institut fügt allerdings später hinzu, es

sei „offen, aus welchen Herkunftsländern diese kommen sollen und wie diese Menschen inDeutschland zu halten wären.“

Darin spiegelt sich der Umstand wider, dass die Zahl hochqualifizierter Fachkräfte, Ingenieure,Informatiker usw. in der Welt begrenzt ist. Zwar gibt es genügend Menschen, die die Möglichkeitin die Bundesrepublik zu kommen gerne ergreifen würden, doch verfügen die meisten nicht überdie gewünschte Qualifikation. Was das Fachkräftesegment international mobiler Arbeitskräfteangeht, so befindet sich die Bundesrepublik im Wettbewerb mit anderen westlichen Staaten.

Magdalena Ortner hat in ihrer 2009 publizierten Studie „War for Talents“ einen Vergleich

zwischen der Bundesrepublik und Großbritannien angestellt unter der Fragestellung, welcheFaktoren sie in dem Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte begünstigen und welche sieschwächen. Großbritannien liegt in fast allen Bereichen beim Kampf um die besten Köpfe vorn. Einwichtiger Nachteil für die Bundesrepublik ist im Vergleich zu Großbritannien die hohe Steuer- undAbgabenlast. Das Vereinigte Königreich kann kaum mit höheren Bruttolöhnen aufwarten, dafüraber mit weit höheren Nettoverdiensten locken. Bei einem jährlichen Bruttoeinkommen von knapp70.000 Euro bleibt in Großbritannien ein höherer Nettoverdienst von bis zu 10.000 Euro.

Aber das Vereinigte Königreich hat auch Vorteile, die selbst durch eine gute Wirtschaftspolitikkaum ausgeglichen werden können. Dazu gehört offensichtlich, dass die englische Sprache von

den meisten Hochqualifizierten gesprochen wird, wohingegen das Deutsche erst gelernt werdenmuss. Großbritannien verfügt als Erbe des Empires außerdem über Netzwerke in viele Staaten derErde, über die die Einwanderung von Hochqualifizierten erfolgt. Auch das nationale Image trägtdazu bei, dass Großbritannien von Hochqualifizierten als Lebensmittelpunkt vorgezogen wird.Während deutsche Produkte und Arbeitnehmer international ein hervorragendes Image genießen,wird nach Ergebnissen von Befragungen das Land Deutschland nicht mit hoher Lebensqualität in

 Verbindung gebracht.

Unter den jetzigen Bedingungen ist es also eher unwahrscheinlich, dass der Bedarf anFacharbeitern und Hochqualifizierten durch Zuzug von außen gedeckt werden kann, da andere

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Staaten wie die USA und Großbritannien sich als attraktivere Zielländer für Hochqualifiziertedarstellen.

Die Auswanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften

Ein besonderer Fokus muss bei dieser Betrachtung auf die deutschen Auswanderer gerichtet sein.

Da es unter den gegebenen Umständen schwer ist, den wahrscheinlichen deutschenFacharbeitermangel aus dem Pool international verfügbarer Fachkräfte zu decken, liegt es nahe,bei der Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Deutschland anzusetzen. Die Zahlder Fortzüge Deutscher hat sich zwischen 2001 und 2006 um 42 Prozent auf 155.000 Personenerhöht. Der Anteil Deutscher an allen Fortzügen ist von 18 auf 24 Prozent angewachsen. 65Prozent dieser Auswanderergruppe gehören in die Altersgruppe zwischen 25 und 65 Jahren.Deutschland verliert vor allem gut ausgebildete und hochqualifizierte Arbeitskräfte und sollte dasAugenmerk darauf legen, diese durch eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen imLand zu halten.

Das Prognos-Institut hat im Auftrag des Wirtschaftsministeriums 1410 ausgewanderte Fach- und

Führungskräfte zwischen 20 und 65 Jahren nach den Gründen für ihren Fortzug aus derBundesrepublik befragt. 53 Prozent nannten als Hauptgrund für ihre Auswanderung die schlechteEinkommens- und Beschäftigungssituation in Deutschland und 68 Prozent die positiven Berufs-und Einkommensperspektiven im Zielland. Die „höhere Lebensqualität“ und die Verwirklichung dereigenen Wertvorstellungen lagen mit 40 Prozent etwa gleich auf. Als wichtige Negativfaktorenwurden die hohe „Belastung mit Steuern und Abgaben“ von 30 Prozent, „Bürokratie“ von 31Prozent und „fehlende gesellschaftliche Toleranz und Gestaltungsfreiheit“ von 25 Prozent derBefragten genannt. Unter der Realisierung der eigenen Werte und Vorstellungen verstehen 75Prozent eine optimistischere Grundhaltung der Bevölkerung und 68 Prozent verbinden damit mehrFreiräume für individuelle Selbstverwirklichung. Jeweils die Hälfte sucht mehr Anerkennung für

Risikobereitschaft und größeren Lebensgenuss und je 45 Prozent schätzt im Ausland die größereWertschätzung für unternehmerisches Handeln und die Akzeptanz des eigenen Lebensstils.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration Klaus Jürgen Badebeklagt, dass auch immer mehr junge, gut ausgebildete Deutsch-Türken in die Türkei ziehen. Badesieht einen wesentlichen Grund für die Entwicklung darin, dass viele junge Türken in Deutschlandkein Heimatgefühl entwickelten. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass die Tüchtigen Deutschlandverließen, während die Chancenlosen blieben, weil es nirgendwo ein vergleichbares Sozialsystemgebe. Eser Polat von der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. machte auf einer Tagung desBundesamtes für Migration und Flüchtlinge auf die Bedeutung des Heimatgefühls und einer

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positiven Einstellung zur Identität des Aufnahmelandes für hochqualifizierte Einwandereraufmerksam. Deutschland konkurriere auch auf ideeller Ebene mit anderen Einwanderungsländernwie den USA, Großbritannien und Frankreich um hochqualifizierte Einwanderer.

Rationalisierung und Qualifizierung

Der Arbeitskreis „Städte und Regionen“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie hat sich inseiner Dezembertagung 2009 mit der praktischen Bewältigung des demographischen Wandels inden Städten und Gemeinden beschäftigt. Die Analyse der regionalen Handlungsansätze ergab, dassdie regionalen Entscheidungsträger sehr stark auf Gegensteuerung statt auf Anpassung setzen, umder demographischen Schrumpfung entgegenzuwirken und das, obwohl die Mehrheit der Akteurein Befragungen angab, dass sie die Erfolgschancen als eher gering einstufen. Da sich derdemographische Trend in absehbarer Zeit kaum umkehren lassen dürfte, muss in Deutschland auf andere Möglichkeit zurückgegriffen werden, um die Folgen des demographischen Wandelsabzumildern, wenn nicht zu meistern.

Dafür bietet sich der Weg an, den auch das geburtenarme Japan beschritten hat: Die verstärkteRationalisierung durch den Ersatz von Arbeitskraft durch Kapital und Technologie. AlleMöglichkeiten der Rationalisierung können in den nächsten Jahrzehnten ausgeschöpft werden. Woimmer eine Arbeitskraft durch Technik ersetzt werden kann, kann die Produktivität auch dannnoch gesteigert werden, wenn die entsprechenden Arbeitskräfte aus demographischen Gründennicht mehr zur Verfügung stehen.

Deshalb ist für die wirtschaftliche Zukunft die Qualität des Humankapitals entscheidender als dieQuantität. Schon das ist ein zentraler Grund, warum Deutschland nicht auf die Impulse durchgering qualifizierte Einwanderer setzen kann, solange es keinen rechtlich gesicherten und politisch

akzeptierten Niedriglohnsektor für einfache Tätigkeiten gibt und der Arbeitsmarkt durchTarifregelungen und Mindestlöhne nach unten hin abgeschottet wird.

Denn diese strömen in den Bereich des Arbeitsmarktes, in dem das Arbeitskräfteangebot ohnegroße Schwierigkeiten durch Rationalisierung teilweise substituiert werden kann. Der große Vorteilder Kapitaldeckung der Altersvorsorge und der Substitution von Arbeitskraft durch Technologiebesteht für eine alternde Gesellschaft eben darin, dass die Produktivität so weit wie möglich vomArbeitskräfteangebot entkoppelt und das Kapital unabhängig von Territorialgrenzen dorteingesetzt werden kann, wo am effizientesten produziert wird.

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Dieser Weg kann erfolgreich beschritten werden, solange der Wirtschaft genügend gutausgebildete Techniker und Ingenieure zur Verfügung stehen, die diesen Prozess derRationalisierung und Produktivitätssteigerung durch Innovationen umsetzen können. Deshalb wirdsich die Zukunft des Standortes Deutschland ganz wesentlich in der Organisation des Bildungs-und Hochschulsystems entscheiden.

Reformen im Hochschul- und Fachhochschulbereich können schon kurz- und mittelfristig wirken.Dazu gehört die Reduktion der Studienabbrecher. Die Abbrecherquote für den

Absolventenjahrgang 2006 lag bei 22 Prozent. Die Abbrecherquote in den Bereichen Mathematik,Informatik und Naturwissenschaften lag bei 28 Prozent und im Bereich Maschinenbau bei 34Prozent. Die Fächer mit der voraussichtlich größten Fachkräftelücke weisen also die höchstenAbbrecherraten auf.

Das Institut der deutschen Wirtschaft schlägt zur Schaffung einer größeren Nachfrageorientierungan den Hochschulen ein Gutscheinsystem für Studierende vor, um einen Investitionswettbewerbzwischen den Bundesländern um die Beiträge der Studenten auszulösen: „Je höher derländerübergreifende Finanzierungsanteil ausfällt, desto attraktiver wird es sein, zusätzlicheStudierende aufzunehmen, selbst wenn sie nach dem Studium in andere Bundesländer ziehen.“ DieStudiengutscheine sollten danach Kostengruppen zugeordnet werden, um den unterschiedlichenAusstattungskosten der verschiedenen Fächer Rechnung zu tragen. Das IW schlägt vor, bei dieserDifferenzierung die MINT-Fächer zu stärken, um Anreize für den Ausbau zu schaffen.

Außerdem kann der Zugang von beruflich Qualifizierten ohne Hochschulreife vereinfacht werden.Die Hochschulen sollten zu diesem Zweck autonom entscheiden dürfen, welche Bewerber sieaufnehmen. Darüber hinaus sollten auch Bewerber ohne Hochschulqualifizierung in dasGutscheinsystem eingebunden werden. Da sich auch in den Schulen die personellen Engpässe imnaturwissenschaftlichen Bereich auswirken werden, bringt das Institut den Vorschlag ins Spiel,Gehaltszulagen für die Lehrer bestimmter Fächer einzuführen.

Zusammenfassung

Derzeit beschränkt sich der Fachkräftemangel in Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs auf technische und naturwissenschaftliche Qualifikationen. Langfristig wird sich das Angebot gutqualifizierter Arbeitskräfte aufgrund der demographischen Entwicklung verknappen. Deshalb ist esfür die Gestaltung des Überganges von großer Bedeutung, qualifizierten älteren Arbeitnehmern zuermöglichen, länger ihre Tätigkeit auszuüben. Dazu sind vor allem flexible Renten- undRuhestandsregelungen notwendig, die den Rahmen dafür schaffen, auch über die Altersgrenzehinaus tätig sein zu können.

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Insgesamt führt der demographisch bedingte Arbeitskräftemangel zu der Notwendigkeit,Produktionsverfahren noch stärker zu rationalisieren und durch den Einsatz von Kapital und derFörderung des technischen Fortschritts den Wohlstand auch bei einem schrumpfendenArbeitskräftepotential zu sichern. Dafür ist vor allem die Erhaltung und der Ausbau derQualifizierung besonders in den Bereichen Wissenschaft und Technik notwendig.

Wenn ein größerer Anteil des akademischen Nachwuchses für die technischen undnaturwissenschaftlichen Fächer gewonnen werden und früher in den Arbeitsprozess eintretenkann, dann ist es möglich, die Facharbeiterlücke zu schließen und auf der Basis einer schmaleren,aber hoch qualifizierten Basis von Beschäftigten den Wohlstand zu sichern und durchProduktivitätssteigerungen noch weiter zu erhöhen.

Es ist geboten, der Abwanderung entgegenzuwirken und die Zuwanderung hochqualifizierterArbeitnehmer etwa mit einem Punktesystem, wie es etwa 2008 die FDP-Bundestagsfraktionvorgeschlagen hat, zweckgerichtet zu gestalten. Um das erreichen zu können muss Deutschlandals Lebens- und Arbeitsmittelpunkt wieder an Attraktivität gewinnen. Auf ökonomischer Ebenesind es vor allem hohe Steuern und Abgaben, die die Abwanderung beschleunigen und den Zuzug

Hochqualifizierter bremsen. Doch auch auf ideeller Ebene sollten die Bindungs- undAnziehungskräfte des Landes gestärkt werden.

Maßnahmenempfehlungen

  Reform der Hochschulen und Fachhochschulen etwa durch ein Gutscheinsystem

  Nutzung der Qualifikation älterer Arbeitnehmer durch flexible Altersgrenzen

  Schließung der Fachkräftelücke durch Rationalisierung und Effizienzsteigerung

  Senkung der Abbrecherquoten in den MINT-Fächern durch Verbesserung von Lehre undBetreuung

  Aufbau einer kapitalgedeckten Alterssicherung, um von der globalen Produktivität zuprofitieren

   Verbesserung der Qualität des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den Schulen

  Entlastung der Leistungsträger von Steuern und Abgaben

  Einführung eines Punktesystems zur Koordinierung zweckgerichteter Zuwanderung

  Ausbau der globalen Netzwerke in den Bereichen Forschung, Bildung und Wirtschaft

  Mitwirken auf einen Mentalitätswandel zu mehr Individualismus, Zuversicht undEigenverantwortung

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Literatur

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Migrationsbericht 2008.

Gérard Bökenkamp: Rationalisierung als Ersatz für die fehlenden Enkel?(>http://liberalesinstitut.wordpress.com/2009/12/30/rationalisierung-als-ersatz-fur-die-fehlenden-enkel/<).

Gérard Bökenkamp: Umbau und Rückbau: Anpassung an den demographischen Wandel. Bericht von derDezembertagung des Arbeitskreises „Städte und Regionen“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie.

(>http://liberalesinstitut.wordpress.com/2009/12/01/umbau-und-ruckbau-anpassung-an-den-demographischen-wandel/<).

Gérard Bökenkamp: Bericht zur Konferenz: „Zuwanderer auf Deutschland vorbereiten“.(>http://liberalesinstitut.wordpress.com/2009/11/06/bericht-zur-konferenz-zuwanderer-auf-deutschland-vorbereiten-%E2%80%93-handlungsempfehlungen-und-strategien/<).

Oliver Koppel/Alex Plünnecke: Fachkräftemangel in Deutschland. Bildungsökonomische Analyse, politischeHandlungsempfehlungen, Wachstums- und Fiskaleffekte, Köln 2009.

Ken Dychtwald, Tamara J. Erickson, Robert Morison: Workforce Crisis. How to beat the coming shortage of skills and talent, Boston 2006.

Sibylle Laurischk: Wie liberal sind die deutschen Zuwanderungsregelungen? Berlin 2009.

Magdalena Ortner: War for Talents: Fachkräftemangel und die Attraktivität Deutschlands undGroßbritanniens im Wettbewerb um hochqualifizierte Zuwanderer, Saarbrücken 2009.

Prognos-Studie: Gründe für die Auswanderung von Fach- und Führungskräften aus Wirtschaft undWissenschaft, Berlin 2008 (>http://www.prognos.com/fileadmin/pdf/publikationsdatenbank/Prognos_Studie_Fachkraeftemigration.pdf <).

Epoch Times Deutschland: Die Tüchtigen gehen: Migrationsforscher beklagt Abwanderung türkischer Elite.http://www.epochtimes.de/articles/2010/01/30/541798.html