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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de von christoph behrens I nternational feiert Deutschland sich gern als Umweltschützer. Neidisch, ehrfürchtig blickten viele Staaten während der Klimakonferenz in Paris zum Beispiel auf die Energiewende. Man- che Lorbeeren sind berechtigt. Fabriken, Haushalte, der Handel, die Energieerzeu- ger stoßen heute weniger Treibhausgase aus als vor 25 Jahren. Fast jeder hat sei- nen Beitrag für den Klimaschutz geleis- tet – außer der Individualverkehr. 1200 Milliarden Kilometer legen alle Deut- schen im Jahr insgesamt zurück, drei Viertel davon mit dem Auto. An dem Wert hat sich seit zwei Jahrzehnten nichts ge- ändert, der Benzinverbrauch steigt sogar. Der Trend geht zu schweren, spritschlu- ckenden Modellen; jedes fünfte Fahrzeug in Deutschland ist mittlerweile ein SUV. Kleinwagen würden dagegen „langweili- ger“ für die Käufer, urteilt der Duisbur- ger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Dummerweise ist diese Einstellung zum Exportschlager geworden. Die glei- chen PS-Boliden, die für hohe Feinstaub- werte in München und Stuttgart sorgen, verzeichnen die höchsten Wachstumsra- ten in Schwellenländern wie Indien und China. Nicht nur die heimische Energie- wende, auch der globale Klimaschutz wird so konterkariert. Der Erfolg des Grö- ßenwahns mag bislang beachtlich sein: 2014 war das umsatzstärkste Jahr der Au- tobranche, SUVs wirkten als „Gewinnbe- schleuniger“, schwärmen deren Vertre- ter. Doch die Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autoindustrie gerade ihre Innovationskraft verspielt. Die meisten Patentanmeldungen für al- ternative Antriebe kommen derzeit aus Fernost, hat die Münchner Kanzlei Grün- ecker ermittelt. Japan und Korea dominie- ren auch die Wertschöpfungskette neuer Batterietechnologien – zentrale Baustei- ne für die saubere Mobilität der Zukunft. In Deutschland hingegen haben Patent- anmeldungen auf den alten Verbren- nungsmotor einen Höchststand erreicht, die Forschung an Alternativen lässt nach. Langfristig könnte diese Rechnung bö- se ausgehen. In China laufen kleinere Her- steller von Elektroautos, wie der von War- ren Buffet finanzierte BYD–Konzern, den westlichen Firmen bereits den Rang ab. Gerade hat die Klimakonferenz in Paris deutlich gemacht, dass auch Schwerge- wichte wie die USA dazu bereit sind, Kli- maschutz künftig mit harten Vorschrif- ten zu erzwingen. Was passiert, wenn gro- ße Konzerne solche Vorzeichenwechsel verschlafen, zeigt das Beispiel RWE. Die Essener haben lange Zeit zu wenig in Er- neuerbare investiert und schreiben jetzt hohe Verluste. Auch der Ausbau von Windenergie und Solarkraft wurde zu- nächst belächelt – mittlerweile wird er weltweit kopiert. So ein Ruck muss nun auch bei der Mobilität passieren. von robert gast E ine stärkere Symbolik kann man sich kaum wünschen: Auf dem Pariser Klimagipfel ringen Diplomaten zwei Wochen lang um ein weltweites Abkommen, das eine CO 2 -freie Zukunft sichern soll. Und auf den letzten Metern der Verhand- lungen fällt der Startschuss für ein physi- kalisches Experiment, das den Weg zu ei- ner klimafreundlichen und theoretisch un- erschöpflichen Energiequelle weist. So sehen das zumindest die Befürwor- ter der Kernfusion. Für sie ist das Ver- schmelzen von Atomkernen, wie es im In- neren der Sonne stattfindet, die effizien- teste aller Energiequellen. Eine Energie- quelle, die man auch auf der Erde erschlie- ßen können müsste, indem man ein klei- nes Sonnenfeuer in einem Reaktor zündet. Am Donnerstag ist dieses ambitionierte Ziel ein Stück näher gerückt: In der Ostsee- Stadt Greifswald absolvierte der gut eine Milliarde Euro teure Forschungsreaktor „Wendelstein7-X“ seinen ersten Testlauf. Der 16 Meter breite und fünf Meter ho- he Forschungsreaktor ist weltweit die größte Anlage dieser Bauweise und in ge- wisser Weise ein Exot im Vergleich mit an- deren Fusionsreaktoren. Der sogenannte „Stellarator“ basiert auf einem anderen Prinzip als die meisten Versuchsanlagen. Auch der in Südfrankreich entstehende Iter ist anders designt als die verschlungen geformte Brennkammer von Wendelstein 7-X. Während das heiße Gas im Inneren von Iter in einer Donut-förmigen Brenn- kammer erhitzt wird, bewegt es sich in Wendelstein7-X wie in einer Brezel, die der Bäcker zu oft geknetet hat. Die Form ist das Resultat aufwendiger Computersi- mulationen. Lange von Forschern unter- schätzt, hat der sogenannte „Stellarator“ einen Vorteil gegenüber dem bisherigen Favoriten der Fusionsforscher. Während der kreisrunde „Tokamak“-Reaktortyp (Iter) regelmäßig Pausen einlegen muss, könnte die Greifswalder Version ohne Un- terbrechungen betrieben werden. Das hoffen zumindest die Physiker. Mit Vorhersagen ist es in der Fusionsfor- schung allerdings so eine Sache. Das For- schungsgebiet hat eine lange Geschichte enttäuschter Erwartungen hinter sich. Im- mer wieder sind in den vergangenen Jahr- zehnten Forschungsreaktoren spektaku- lär gescheitert, weil die Wissenschaftler von Problemen überrascht wurden. Doch die zugrunde liegende Idee ist ein- fach zu faszinierend. Der Traum von der Kernfusion ist ein schöner Traum, und noch dazu ein sehr alter. Er kam in den 1950er Jahren auf, als die Supermächte im- mer zerstörerische Atombomben bauten. Es zeigte sich, dass man Sprengkraft eben- so aus der Spaltung schwerer Atomkerne gewinnen kann wie auch aus der Ver- schmelzung leichter Kerne. Das letztere Prinzip der Wasserstoffbombe müsste sich doch ebenso in einem Reaktor umset- zen lassen, wie die Kernspaltung in einem klassischen Atomkraftwerk, glaubten die Physiker. Aus ihrer Sicht ist diese Variante weit eleganter als das Zertrümmern von Atomen und den strahlenden Abfällen, die das erzeugt. Statt etwas zu zerstören, schafft die Fusion etwas Neues: Treffen sich zwei Atomkerne des Elements Wasser- stoff, können sie zu einem etwas größeren Helium-Atomkern verschmelzen. Dabei wird Masse in Energie umgewandelt. Die Reaktion findet im Inneren der Sonne statt, unzählige Male pro Sekunde. So ent- steht die Wärme, ohne die nichts gehen würde auf der Erde. Seither propagieren Physiker die Kern- fusion als nahezu makellose Energiequel- le. In einem Gramm ihres Brennstoffs ste- cke so viel Energie wie in elf Tonnen Kohle. Man kann diesen Brennstoff – die Wasser- stoff-Varianten Deuterium und Tritium – aus Meerwasser gewinnen oder im Fusi- onsreaktor erbrüten. Das alles soll CO 2 -neutral möglich sein, und ohne das Ri- siko eines atomaren Super-GAUs. Die Vision hat allerdings einen Haken: Atomkerne lassen sich nur sehr ungerne verschmelzen. Wegen ihrer elektrischen Ladung stoßen sie einander ab. Nur in ei- nem Hundert Millionen Grad heißen Gas (einem sogenannten Plasma), prallen sie so heftig aufeinander, dass sie ihre natürli- che Abneigung überwinden. Allerdings könnte kein Behälter solch eine sengende Brühe aufnehmen, ohne zu schmelzen. Seit 65Jahren versuchen Physiker da- her, heiße Plasmen mit Magnetfeldern in der Schwebe zu halten. Für geladene Parti- kel wirken sie wie Leitplanken. Trifft ein Atomkern oder Elektron auf ein Magnet- feld, wird es auf eine Kurve gelenkt. Mit ge- schickt konstruierten Arrangements aus Spulen, die Magnetfelder erzeugen, kön- nen Physiker das Plasma von den Wänden des Reaktors fernhalten – zumindest für kurze Zeit. Es länger zu halten, ist so schwer, wie einen Pudding mit Gummibän- dern festzuzurren. Früher oder später quillt das Plasma aus jedem Magnetfeld- Käfig, stößt an die Wand und kühlt sich ab. Um das zu vermeiden, muss die Brennkam- mer die Ausmaße einer Kirche haben. Nur dann sind die Wärmeverluste vernachläs- sigbar, sodass die Kernfusion in Gang bleibt. Wendelstein 7-X hingegen soll noch gar keine Energie erzeugen. Im Inneren der 16Meter breiten Vakuum-Schlaufe wer- den vorerst überhaupt keine Fusionsreak- tionen stattfinden. Die Greifswalder Physi- ker haben ein anderes Ziel: Sie wollen ein 100 Millionen Grad heißes Plasma länger und besser gefangen halten als ein Reak- tor der Tokamak-Bauweise. Der bisherige Rekordhalter steht in Japan und hat das heiße Gas sechseinhalb Minuten lang ein- gesperrt. „Wir hoffen, im Jahr 2020 eine halbe Stunde zu schaffen“, sagt Thomas Klinger, der Leiter von Wendelstein 7-X. Damit das gelingen kann, sind 725 Ton- nen Hightech notwendig. 65 Vakuumpum- pen entfernen Luftatome aus dem Reak- tor, das Gas wird mit Mikrowellen er- wärmt, die 2000-mal so stark sind wie in einer Küchen-Mikrowelle. Außerdem müs- sen 230 Tonnen Edelstahl auf minus 270 Grad gekühlt werden. Nur dann verlie- ren die riesigen Magnetspulen ihren elek- trischen Widerstand und erreichen die not- wendigen Stromstärken, Physiker spre- chen von Supraleitung. Bereits 1993 reiften die Pläne, die Ma- schine in Greifswald als Herzstück einer Zweigstelle des Garchinger Max-Planck- Institut für Plasmaphysik (IPP) zu errich- ten. Bei den Planungen kam es aber immer wieder zu Rückschlägen. Viele der geliefer- ten Magnetspulen wiesen Mängel auf, ein Hersteller ging sogar pleite. Mehrere Kom- ponenten mussten neu entworfen werden. 2003 sah es so aus, als stünde das Projekt vor dem Aus. Letztlich ist Wendelstein 7-X mit neun Jahren Verspätung fertig gewor- den, zu doppelt so hohen Kosten wie ge- plant. Der Ablauf erinnert an den Internationa- len Fusionsreaktor Iter. Der 23000-Ton- nen-Koloss hat derzeit fast ein Jahrzehnt Verspätung. Statt 2016 wird er frühstens 2025 fertig werden. Die Kosten werden sich wohl mehr als verdreifachen. Ob die Europäische Union, die 45,5Prozent des Geldes bereitstellen soll, den Preisauf- schlag mitträgt, ist noch offen. Dabei wäre auch Iter trotz seiner geplan- ten Leistung von 500 Megawatt noch kein Kraftwerk, das man ans Stromnetz an- schließen könnte. Das könnte erst mit dem Nachfolger gelingen, der frühstens 2040 gebaut werden soll. Der Iter-Reaktor- typ „Tokamak“ hat allerdings einen kons- truktionsbedingten Nachteil: Iter wird sein Plasma immer nur für gut acht Minu- ten einschließen, dazwischen muss er Pau- sen einlegen. „Das ist ein Problem, aber wir arbeiten an einer Lösung“, sagt Ambro- gio Fasoli, Fusionsforscher an der Eidge- nössischen Technischen Hochschule Lau- sanne. Wenn in Greifswald alles gut geht, könnte die Lösung durchaus der Stellara- tor sein. Wie gut dessen sonderbar geform- te Spulen letztlich ein Plasma einsperren, muss sich in den kommenden Jahren aller- dings noch zeigen. Von dem Ziel, Energie zu erzeugen, ist der Stellarator noch viel weiter entfernt als die Tokamak-Konkurrenz. Das Plasma im Inneren von Wendelstein7-X nimmt nur 30Kubikmeter ein. In Iter wird Platz sein für 840 Kubikmeter Brennstoff. Dennoch hoffen die Greifswalder Physiker, dass ihr Reaktordesign am Ende womöglich sogar das bessere sein könnte. „Es könnte so lau- fen wie bei Otto- und Dieselmotor, die bei- de parallel entwickelt wurden“, sagt der Projektleiter Thomas Klinger. Auch Physi- ker, die eigentlich Tokamaks erforschen, schauen nun gespannt nach Greifswald. „Das ist ein aufregender Moment in der Ge- schichte der Fusionsforschung“, sagt der Plasma-Physiker Martin Greenwald vom Massachusetts Institute of Technology. „Wir alle sind froh, dass das Projekt trotz der großen Schwierigkeiten vollendet wur- de“, kommentiert auch sein Kollege Am- brogio Fasoli. Die Kritiker des Testreaktors dürften das anders sehen. Im Vorfeld liefen Um- weltaktivisten des BUND Mecklenburg- Vorpommern Sturm gegen Wendel- stein7-X. Sie warnten vor „schweren Si- cherheitsmängeln“, etwa feinen Rissen im 1,8 Meter dicken Betonpanzer, der den Re- aktorraum umgibt. Die Fusionsforscher beauftragten daraufhin den TÜV Süd, der in einem Gutachten feststellte, dass die An- lage sicherheitstechnisch in Ordnung sei. Der Streit hat allerdings in Erinnerung gerufen, dass es sich auch bei der Kernfusi- on um eine Nukleartechnologie handelt. Während Wendelstein7-X vergleichswei- se wenig Radioaktivität freisetzen wird, werden ausgewachsene Fusionsreaktoren Tonnen an Atommüll abwerfen, zum Bei- spiel weil die Wände der Brennkammer mit der Zeit radioaktiv werden und man sie austauschen muss. Diese Abfälle müss- ten allerdings nur 100 Jahre lang ins Endla- ger, sagen die Fusionsbefürworter. Immer- hin: Da sich stets nur wenige Gramm Brennstoff im Fusionsreaktor befinden, kann es zu keinem Nuklearunfall wie in Tschernobyl oder Fukushima kommen. Das Kalkül der Physiker ist, dass das künstliche Sonnenfeuer deshalb eines Ta- ges die Kernspaltung ablöst. Die atompoli- tische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kot- ting-Uhl, hat große Zweifel daran, ob das gelingen kann: „Die Kernfusion wird frü- hestens ab 2050 Strom liefern, aber dann muss unser Energiesystem bereits auf er- neuerbare Energien umgestellt sein“, sagt sie. Somit komme die Kernfusion schlicht- weg zu spät. „Ich bin gespannt, ob es gelin- gen wird, ganz Europa mit erneuerbaren Energien zu versorgen“, sagt hingegen Thomas Klinger. Es sei wichtig, in Sachen Energietechnik mehrgleisig zu fahren. Fest steht, dass es bei der Kernfusion längst nicht mehr nur um Technik oder Physik geht. Der Bau der Fusionsreakto- ren ist ein logistischer Alptraum. Und die Vision, einen kleinen Stern auf der Erde zu zünden, reicht womöglich nicht aus, die- sen Aufwand zu rechtfertigen. Noch liefern SUVs satte Gewinne – doch die Autoindustrie verschläft gerade die Zukunft VERKEHR Es stinkt was in Deutschland DEFGH Nr. 287, Samstag/Sonntag, 12./13. Dezember 2015 37 WISSEN Sternstunde In einem Versuchsreaktor in Greifswald erproben Physiker die Zündung eines kleinen Sonnenfeuers. Kann der bizarr geformte Fusionsofen eine unerschöpfliche, klimaneutrale Energiequelle werden? Auch die Kernfusion ist eine Nukleartechnologie. Das könnte ihr zum Verhängnis werden SZ-Grafik: Sead Mujić; Quelle: Roser, ourworldindata.org, 2015 Northern British Columbia Kanada, 1500 v. Chr. – 500 n. Chr. 32% Sarai Nahar Rai Indien, 1140 - 854 v. Chr. 30% Nubien Sudan, Friedhof 117, 12 000 – 10 000 v. Chr. 46% Der Brennstoff ist unerschöpflich. Man kann ihn aus Meerwasser gewinnen Die Weltkonzerne der IT-Industrie erobern das Gesundheitswesen – wie viel Privatsphäre wird den Patienten noch bleiben? Seite 38/39 Dr. med. Google Im Forschungs- reaktor Wendel- stein 7-X wirbeln geladene Teilchen durchein- ander. Magnet- felder verhindern, dass sie an eine Wand stoßen. Auf diesem Bild sind Bahnen von Elektronen zu sehen. FOTO: IPP Zwei Reaktortypen für die Kernfusion Tokamak: Der bisherige Favorit der Physiker kann nur mit Pausen betrieben werden. Mehrmals pro Stunde muss er ausgeschaltet werden. Stellarator: Er könnte pausenlos laufen. Die Anlage Wendelstein 7-X soll beweisen, dass er ähnlich gut funktioniert wie ein Tokamak. Plasma Magnetfeldlinie Magnetfeldlinie Magnetfeldspulen SZ-Grafik; Quellen: Creative Commons BY 3.0 muss er ausgeschaltet werden. fu Plasma Magnetfeldlinie Magnetfelds Top 3 Archäologische Stätten mit den meisten Skelettfunden, die auf einen gewaltsamen Tod deuten DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de GastR SZ20151212S3034429

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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, MünchenJegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

von christoph behrens

I nternational feiert Deutschland sichgern als Umweltschützer. Neidisch,ehrfürchtig blickten viele Staaten

während der Klimakonferenz in Pariszum Beispiel auf die Energiewende. Man-che Lorbeeren sind berechtigt. Fabriken,Haushalte, der Handel, die Energieerzeu-ger stoßen heute weniger Treibhausgaseaus als vor 25 Jahren. Fast jeder hat sei-nen Beitrag für den Klimaschutz geleis-tet – außer der Individualverkehr. 1200Milliarden Kilometer legen alle Deut-schen im Jahr insgesamt zurück, dreiViertel davon mit dem Auto. An dem Werthat sich seit zwei Jahrzehnten nichts ge-ändert, der Benzinverbrauch steigt sogar.Der Trend geht zu schweren, spritschlu-ckenden Modellen; jedes fünfte Fahrzeugin Deutschland ist mittlerweile ein SUV.Kleinwagen würden dagegen „langweili-ger“ für die Käufer, urteilt der Duisbur-ger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.

Dummerweise ist diese Einstellungzum Exportschlager geworden. Die glei-chen PS-Boliden, die für hohe Feinstaub-werte in München und Stuttgart sorgen,verzeichnen die höchsten Wachstumsra-ten in Schwellenländern wie Indien undChina. Nicht nur die heimische Energie-wende, auch der globale Klimaschutzwird so konterkariert. Der Erfolg des Grö-ßenwahns mag bislang beachtlich sein:2014 war das umsatzstärkste Jahr der Au-tobranche, SUVs wirkten als „Gewinnbe-schleuniger“, schwärmen deren Vertre-ter. Doch die Zahlen dürfen nicht darüberhinwegtäuschen, dass die Autoindustriegerade ihre Innovationskraft verspielt.Die meisten Patentanmeldungen für al-ternative Antriebe kommen derzeit ausFernost, hat die Münchner Kanzlei Grün-ecker ermittelt. Japan und Korea dominie-ren auch die Wertschöpfungskette neuerBatterietechnologien – zentrale Baustei-ne für die saubere Mobilität der Zukunft.In Deutschland hingegen haben Patent-anmeldungen auf den alten Verbren-nungsmotor einen Höchststand erreicht,die Forschung an Alternativen lässt nach.

Langfristig könnte diese Rechnung bö-se ausgehen. In China laufen kleinere Her-steller von Elektroautos, wie der von War-ren Buffet finanzierte BYD–Konzern, denwestlichen Firmen bereits den Rang ab.Gerade hat die Klimakonferenz in Parisdeutlich gemacht, dass auch Schwerge-wichte wie die USA dazu bereit sind, Kli-maschutz künftig mit harten Vorschrif-ten zu erzwingen. Was passiert, wenn gro-ße Konzerne solche Vorzeichenwechselverschlafen, zeigt das Beispiel RWE. DieEssener haben lange Zeit zu wenig in Er-neuerbare investiert und schreiben jetzthohe Verluste. Auch der Ausbau vonWindenergie und Solarkraft wurde zu-nächst belächelt – mittlerweile wird erweltweit kopiert. So ein Ruck muss nunauch bei der Mobilität passieren.

von robert gast

E ine stärkere Symbolik kannman sich kaum wünschen: Aufdem Pariser Klimagipfel ringenDiplomaten zwei Wochen langum ein weltweites Abkommen,

das eine CO2-freie Zukunft sichern soll.Und auf den letzten Metern der Verhand-lungen fällt der Startschuss für ein physi-kalisches Experiment, das den Weg zu ei-ner klimafreundlichen und theoretisch un-erschöpflichen Energiequelle weist.

So sehen das zumindest die Befürwor-ter der Kernfusion. Für sie ist das Ver-schmelzen von Atomkernen, wie es im In-neren der Sonne stattfindet, die effizien-teste aller Energiequellen. Eine Energie-quelle, die man auch auf der Erde erschlie-ßen können müsste, indem man ein klei-nes Sonnenfeuer in einem Reaktor zündet.Am Donnerstag ist dieses ambitionierteZiel ein Stück näher gerückt: In der Ostsee-Stadt Greifswald absolvierte der gut eineMilliarde Euro teure Forschungsreaktor„Wendelstein 7-X“ seinen ersten Testlauf.

Der 16 Meter breite und fünf Meter ho-he Forschungsreaktor ist weltweit diegrößte Anlage dieser Bauweise und in ge-wisser Weise ein Exot im Vergleich mit an-deren Fusionsreaktoren. Der sogenannte„Stellarator“ basiert auf einem anderenPrinzip als die meisten Versuchsanlagen.Auch der in Südfrankreich entstehendeIter ist anders designt als die verschlungengeformte Brennkammer von Wendelstein7-X. Während das heiße Gas im Innerenvon Iter in einer Donut-förmigen Brenn-kammer erhitzt wird, bewegt es sich inWendelstein 7-X wie in einer Brezel, dieder Bäcker zu oft geknetet hat. Die Formist das Resultat aufwendiger Computersi-mulationen. Lange von Forschern unter-schätzt, hat der sogenannte „Stellarator“einen Vorteil gegenüber dem bisherigenFavoriten der Fusionsforscher. Währendder kreisrunde „Tokamak“-Reaktortyp(Iter) regelmäßig Pausen einlegen muss,könnte die Greifswalder Version ohne Un-terbrechungen betrieben werden.

Das hoffen zumindest die Physiker. MitVorhersagen ist es in der Fusionsfor-schung allerdings so eine Sache. Das For-schungsgebiet hat eine lange Geschichteenttäuschter Erwartungen hinter sich. Im-mer wieder sind in den vergangenen Jahr-zehnten Forschungsreaktoren spektaku-lär gescheitert, weil die Wissenschaftlervon Problemen überrascht wurden.

Doch die zugrunde liegende Idee ist ein-fach zu faszinierend. Der Traum von derKernfusion ist ein schöner Traum, undnoch dazu ein sehr alter. Er kam in den1950er Jahren auf, als die Supermächte im-mer zerstörerische Atombomben bauten.Es zeigte sich, dass man Sprengkraft eben-

so aus der Spaltung schwerer Atomkernegewinnen kann wie auch aus der Ver-schmelzung leichter Kerne. Das letzterePrinzip der Wasserstoffbombe müsstesich doch ebenso in einem Reaktor umset-zen lassen, wie die Kernspaltung in einemklassischen Atomkraftwerk, glaubten diePhysiker. Aus ihrer Sicht ist diese Varianteweit eleganter als das Zertrümmern vonAtomen und den strahlenden Abfällen, diedas erzeugt. Statt etwas zu zerstören,schafft die Fusion etwas Neues: Treffensich zwei Atomkerne des Elements Wasser-stoff, können sie zu einem etwas größerenHelium-Atomkern verschmelzen. Dabeiwird Masse in Energie umgewandelt. DieReaktion findet im Inneren der Sonnestatt, unzählige Male pro Sekunde. So ent-steht die Wärme, ohne die nichts gehenwürde auf der Erde.

Seither propagieren Physiker die Kern-fusion als nahezu makellose Energiequel-le. In einem Gramm ihres Brennstoffs ste-cke so viel Energie wie in elf Tonnen Kohle.Man kann diesen Brennstoff – die Wasser-stoff-Varianten Deuterium und Tritium –aus Meerwasser gewinnen oder im Fusi-onsreaktor erbrüten. Das alles sollCO2-neutral möglich sein, und ohne das Ri-siko eines atomaren Super-GAUs.

Die Vision hat allerdings einen Haken:Atomkerne lassen sich nur sehr ungerneverschmelzen. Wegen ihrer elektrischenLadung stoßen sie einander ab. Nur in ei-nem Hundert Millionen Grad heißen Gas(einem sogenannten Plasma), prallen sieso heftig aufeinander, dass sie ihre natürli-che Abneigung überwinden. Allerdingskönnte kein Behälter solch eine sengendeBrühe aufnehmen, ohne zu schmelzen.

Seit 65 Jahren versuchen Physiker da-her, heiße Plasmen mit Magnetfeldern inder Schwebe zu halten. Für geladene Parti-kel wirken sie wie Leitplanken. Trifft einAtomkern oder Elektron auf ein Magnet-feld, wird es auf eine Kurve gelenkt. Mit ge-schickt konstruierten Arrangements ausSpulen, die Magnetfelder erzeugen, kön-nen Physiker das Plasma von den Wändendes Reaktors fernhalten – zumindest fürkurze Zeit. Es länger zu halten, ist soschwer, wie einen Pudding mit Gummibän-dern festzuzurren. Früher oder späterquillt das Plasma aus jedem Magnetfeld-Käfig, stößt an die Wand und kühlt sich ab.Um das zu vermeiden, muss die Brennkam-mer die Ausmaße einer Kirche haben. Nurdann sind die Wärmeverluste vernachläs-sigbar, sodass die Kernfusion in Gangbleibt.

Wendelstein 7-X hingegen soll noch garkeine Energie erzeugen. Im Inneren der16 Meter breiten Vakuum-Schlaufe wer-den vorerst überhaupt keine Fusionsreak-tionen stattfinden. Die Greifswalder Physi-ker haben ein anderes Ziel: Sie wollen ein100 Millionen Grad heißes Plasma längerund besser gefangen halten als ein Reak-tor der Tokamak-Bauweise. Der bisherigeRekordhalter steht in Japan und hat dasheiße Gas sechseinhalb Minuten lang ein-gesperrt. „Wir hoffen, im Jahr 2020 einehalbe Stunde zu schaffen“, sagt ThomasKlinger, der Leiter von Wendelstein 7-X.

Damit das gelingen kann, sind 725 Ton-nen Hightech notwendig. 65 Vakuumpum-pen entfernen Luftatome aus dem Reak-tor, das Gas wird mit Mikrowellen er-wärmt, die 2000-mal so stark sind wie ineiner Küchen-Mikrowelle. Außerdem müs-sen 230 Tonnen Edelstahl auf minus270 Grad gekühlt werden. Nur dann verlie-ren die riesigen Magnetspulen ihren elek-trischen Widerstand und erreichen die not-wendigen Stromstärken, Physiker spre-chen von Supraleitung.

Bereits 1993 reiften die Pläne, die Ma-schine in Greifswald als Herzstück einerZweigstelle des Garchinger Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) zu errich-ten. Bei den Planungen kam es aber immerwieder zu Rückschlägen. Viele der geliefer-ten Magnetspulen wiesen Mängel auf, einHersteller ging sogar pleite. Mehrere Kom-ponenten mussten neu entworfen werden.2003 sah es so aus, als stünde das Projektvor dem Aus. Letztlich ist Wendelstein 7-Xmit neun Jahren Verspätung fertig gewor-den, zu doppelt so hohen Kosten wie ge-plant.

Der Ablauf erinnert an den Internationa-len Fusionsreaktor Iter. Der 23 000-Ton-nen-Koloss hat derzeit fast ein JahrzehntVerspätung. Statt 2016 wird er frühstens2025 fertig werden. Die Kosten werdensich wohl mehr als verdreifachen. Ob dieEuropäische Union, die 45,5 Prozent desGeldes bereitstellen soll, den Preisauf-schlag mitträgt, ist noch offen.

Dabei wäre auch Iter trotz seiner geplan-ten Leistung von 500 Megawatt noch keinKraftwerk, das man ans Stromnetz an-schließen könnte. Das könnte erst mitdem Nachfolger gelingen, der frühstens2040 gebaut werden soll. Der Iter-Reaktor-typ „Tokamak“ hat allerdings einen kons-truktionsbedingten Nachteil: Iter wirdsein Plasma immer nur für gut acht Minu-ten einschließen, dazwischen muss er Pau-sen einlegen. „Das ist ein Problem, aberwir arbeiten an einer Lösung“, sagt Ambro-gio Fasoli, Fusionsforscher an der Eidge-nössischen Technischen Hochschule Lau-sanne. Wenn in Greifswald alles gut geht,könnte die Lösung durchaus der Stellara-tor sein. Wie gut dessen sonderbar geform-te Spulen letztlich ein Plasma einsperren,muss sich in den kommenden Jahren aller-dings noch zeigen.

Von dem Ziel, Energie zu erzeugen, istder Stellarator noch viel weiter entfernt alsdie Tokamak-Konkurrenz. Das Plasma imInneren von Wendelstein 7-X nimmt nur30 Kubikmeter ein. In Iter wird Platz seinfür 840 Kubikmeter Brennstoff. Dennochhoffen die Greifswalder Physiker, dass ihrReaktordesign am Ende womöglich sogardas bessere sein könnte. „Es könnte so lau-fen wie bei Otto- und Dieselmotor, die bei-de parallel entwickelt wurden“, sagt der

Projektleiter Thomas Klinger. Auch Physi-ker, die eigentlich Tokamaks erforschen,schauen nun gespannt nach Greifswald.„Das ist ein aufregender Moment in der Ge-schichte der Fusionsforschung“, sagt derPlasma-Physiker Martin Greenwald vomMassachusetts Institute of Technology.„Wir alle sind froh, dass das Projekt trotzder großen Schwierigkeiten vollendet wur-de“, kommentiert auch sein Kollege Am-brogio Fasoli.

Die Kritiker des Testreaktors dürftendas anders sehen. Im Vorfeld liefen Um-weltaktivisten des BUND Mecklenburg-Vorpommern Sturm gegen Wendel-stein 7-X. Sie warnten vor „schweren Si-cherheitsmängeln“, etwa feinen Rissen im1,8 Meter dicken Betonpanzer, der den Re-aktorraum umgibt. Die Fusionsforscherbeauftragten daraufhin den TÜV Süd, derin einem Gutachten feststellte, dass die An-lage sicherheitstechnisch in Ordnung sei.

Der Streit hat allerdings in Erinnerunggerufen, dass es sich auch bei der Kernfusi-on um eine Nukleartechnologie handelt.Während Wendelstein 7-X vergleichswei-se wenig Radioaktivität freisetzen wird,werden ausgewachsene FusionsreaktorenTonnen an Atommüll abwerfen, zum Bei-spiel weil die Wände der Brennkammermit der Zeit radioaktiv werden und mansie austauschen muss. Diese Abfälle müss-ten allerdings nur 100 Jahre lang ins Endla-ger, sagen die Fusionsbefürworter. Immer-hin: Da sich stets nur wenige GrammBrennstoff im Fusionsreaktor befinden,kann es zu keinem Nuklearunfall wie inTschernobyl oder Fukushima kommen.

Das Kalkül der Physiker ist, dass daskünstliche Sonnenfeuer deshalb eines Ta-ges die Kernspaltung ablöst. Die atompoli-tische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kot-ting-Uhl, hat große Zweifel daran, ob dasgelingen kann: „Die Kernfusion wird frü-hestens ab 2050 Strom liefern, aber dannmuss unser Energiesystem bereits auf er-neuerbare Energien umgestellt sein“, sagtsie. Somit komme die Kernfusion schlicht-weg zu spät. „Ich bin gespannt, ob es gelin-gen wird, ganz Europa mit erneuerbarenEnergien zu versorgen“, sagt hingegenThomas Klinger. Es sei wichtig, in SachenEnergietechnik mehrgleisig zu fahren.

Fest steht, dass es bei der Kernfusionlängst nicht mehr nur um Technik oderPhysik geht. Der Bau der Fusionsreakto-ren ist ein logistischer Alptraum. Und dieVision, einen kleinen Stern auf der Erde zuzünden, reicht womöglich nicht aus, die-sen Aufwand zu rechtfertigen.

Noch liefern SUVs satte Gewinne– doch die Autoindustrieverschläft gerade die Zukunft

V E R K E H R

Es stinkt wasin Deutschland

DEFGH Nr. 287, Samstag/Sonntag, 12./13. Dezember 2015 37

WISSEN

SternstundeIn einem Versuchsreaktor in Greifswald erproben Physiker die Zündung eines kleinen Sonnenfeuers.

Kann der bizarr geformte Fusionsofen eine unerschöpfliche, klimaneutrale Energiequelle werden?

Auch die Kernfusion ist eineNukleartechnologie. Das könnteihr zum Verhängnis werden

SZ-Grafik: Sead Mujić; Quelle: Roser, ourworldindata.org, 2015

Northern British Columbia Kanada, 1500 v. Chr. – 500 n. Chr. 32%Sarai Nahar Rai Indien, 1140 - 854 v. Chr. 30%

Nubien Sudan, Friedhof 117, 12 000 – 10 000 v. Chr. 46%

Der Brennstoff istunerschöpflich. Man kann ihnaus Meerwasser gewinnen

Die Weltkonzerne der IT-Industrie eroberndas Gesundheitswesen – wie viel Privatsphäre

wird den Patienten noch bleiben? � Seite 38/39

Dr. med. Google

Im Forschungs-reaktor Wendel-

stein 7-Xwirbeln geladene

Teilchen durchein-ander. Magnet-

felder verhindern,dass sie an

eine Wand stoßen.Auf diesem

Bild sind Bahnenvon Elektronen

zu sehen.FOTO: IPP

Zwei Reaktortypen für die Kernfusion

Tokamak: Der bisherige Favorit der Physiker kann nur mit Pausen betrieben werden. Mehrmals pro Stunde muss er ausgeschaltet werden.

Stellarator: Er könnte pausenlos laufen. Die Anlage Wendelstein 7-X soll beweisen, dass er ähnlich gut funktioniert wie ein Tokamak.

Plasma

Magnetfeldlinie Magnetfeldlinie

Magnetfeldspulen

SZ-Grafik; Quellen: Creative Commons BY 3.0

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muss er ausgeschaltet werden. fu

Plasma

Magnetfeldlinie

Magnetfelds

Top 3Archäologische Stätten

mit den meisten Skelettfunden,die auf einen gewaltsamen

Tod deuten

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