das pedobarographische korrelat der tibialis-posterior-dysfunktion – versuch einer klassifikation

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Fuß & Sprunggelenk 6 (2008) 30—36 ORIGINALARBEIT Das pedobarographische Korrelat der Tibialis-posterior-Dysfunktion Versuch einer Klassifikation Plantar pressure analysis in posterior tibial tendon dysfunction Johannes Hamel , Panos Bouliopoulos, Michael Olos Zentrum fu ¨r Orthopa¨dische Fußchirurgie (Dr. Kinast/Prof. Hamel) Schu ¨tzenstraße 5, D-80335 Mu ¨nchen, Germany Eingegangen am 21. November 2007; akzeptiert am 10. Dezember 2007 KEY WORDS Adult aquired flatfoot deformity; Plantar pressure distribution; Posterior tibial tendon dysfunction; Tendon rupture SCHLU ¨ SSELWO ¨ RTER Plantare Druckverteilung; Pedobarographie; Sehnenruptur; Tibialis posterior Dysfunktion Summary Dynamic plantar pressure distribution was analyzed in 31 patients with posterior tibial tendon dysfunction in comparison to normal individuals. Forces and peak pressures were reduced in the lateral forefoot region while the loading of the medial ray was markedly enhanced (load shift). A classification of this phenomenon regard- ing the peak pressures only was undertaken in another group of 66 patients with posterior tibial tendon dysfunction. The load shift in the metatarsal region appears to be suited to describe the functional disorder caused by posterior tibial tendon dysfunction in human gait. Zusammenfassung An einer Gruppe von 31 Patienten mit operativ besta ¨tigter Tibialis posterior Dys- funktion wurde eine Analyse der pra ¨operativ durchgefu ¨hrten dynamischen Pe- dobarographie vorgenommen. Die Ergebnisse wurden mit einem vorliegenden Normalkollektiv verglichen. Der load shift mit progredienter Entlastung der lateralen Mittelfußko¨pfchen-Region und zunehmender Lastzunahme im Bereich des ersten Strahles konnte als krank- heitstypisches Pha ¨nomen identifiziert werden. An einer zweiten Gruppe (66 Patien- ten mit operativ besta ¨tigter Tibialis posterior Dysfunktion) wurde eine Typisierung des Merkmales load shift anhand der Maximaldruck-Bilder vorgenommen. Dieses Merkmal erscheint geeignet, die gangdynamischen Vera ¨nderungen dieses Krank- heitsbildes zu erfassen. ARTICLE IN PRESS www.elsevier.de/fuspru doi:10.1016/j.fuspru.2008.01.002 Korrespondierender Autor. Tel.: 089/5525110; Fax: 089/55251155. E-Mail: [email protected] (J. Hamel).

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Page 1: Das pedobarographische Korrelat der Tibialis-posterior-Dysfunktion – Versuch einer Klassifikation

ARTICLE IN PRESS

Fuß & Sprunggelenk 6 (2008) 30—36

doi:10.1016/j.

�KorrespondE-Mail: J.H

www.elsevier.de/fuspru

ORIGINALARBEIT

Das pedobarographische Korrelat derTibialis-posterior-Dysfunktion – Versuch einerKlassifikation

Plantar pressure analysis in posterior tibial tendondysfunction

Johannes Hamel�, Panos Bouliopoulos, Michael Olos

Zentrum fur Orthopadische Fußchirurgie (Dr. Kinast/Prof. Hamel) Schutzenstraße 5, D-80335 Munchen, Germany

Eingegangen am 21. November 2007; akzeptiert am 10. Dezember 2007

KEY WORDSAdult aquiredflatfoot deformity;Plantar pressuredistribution;Posterior tibialtendon dysfunction;Tendon rupture

SCHLUSSELWORTERPlantareDruckverteilung;Pedobarographie;Sehnenruptur;Tibialis posteriorDysfunktion

fuspru.2008.01.002

ierender Autor. Tel.: [email protected] (J. Ha

SummaryDynamic plantar pressure distribution was analyzed in 31 patients with posteriortibial tendon dysfunction in comparison to normal individuals. Forces and peakpressures were reduced in the lateral forefoot region while the loading of the medialray was markedly enhanced (load shift). A classification of this phenomenon regard-ing the peak pressures only was undertaken in another group of 66 patients withposterior tibial tendon dysfunction. The load shift in the metatarsal region appearsto be suited to describe the functional disorder caused by posterior tibial tendondysfunction in human gait.

ZusammenfassungAn einer Gruppe von 31 Patienten mit operativ bestatigter Tibialis posterior Dys-funktion wurde eine Analyse der praoperativ durchgefuhrten dynamischen Pe-dobarographie vorgenommen. Die Ergebnisse wurden mit einem vorliegendenNormalkollektiv verglichen.Der load shift mit progredienter Entlastung der lateralen Mittelfußkopfchen-Regionund zunehmender Lastzunahme im Bereich des ersten Strahles konnte als krank-heitstypisches Phanomen identifiziert werden. An einer zweiten Gruppe (66 Patien-ten mit operativ bestatigter Tibialis posterior Dysfunktion) wurde eine Typisierungdes Merkmales load shift anhand der Maximaldruck-Bilder vorgenommen. DiesesMerkmal erscheint geeignet, die gangdynamischen Veranderungen dieses Krank-heitsbildes zu erfassen.

9/5525110; Fax: 089/55251155.mel).

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Das pedobarographische Korrelat der Tibialis-posterior-Dysfunktion 31

Einleitung

Die Tibialis-posterior-Dysfunktion ist eine haufi-ge, atiologisch noch nicht vollstandig geklarte,schwere Erkrankung der Unterschenkel-Fuß-Regi-on, bei der eine progrediente Schadigung der Tibia-lis-posterior-Sehne eine fortschreitende Funktions-storung hervorruft, die wiederum in den meistenFallen eine zunehmende Planovalgus-Deformierungnach sich zieht. Das Problem der Erfassung desSchweregrades dieser verschiedenen Aspekte desKrankheitsbildes ist bisher nur teilweise gelost.

Die Dokumentation der Sehnen-Pathologie istmithilfe der Sonographie [5,8] und des MRTmoglich; eine Quantifizierung der Fehlstellung ge-lingt mittels der Rontgenstellungsdiagnostik [4].Die Erfassung der Funktionsstorung ist durch klini-sche Muskelkraft-Testung und klinische Funktions-tests (z. B. Single-heel-rise-Test) orientierendmoglich; fur die relevanten gangdynamischen Aus-wirkungen sind bisher jedoch noch keine einfacherfaßbaren objektiven Parameter zur Quantifizie-rung beschrieben. Im Rahmen der vorgestellten Ar-beit sollen die pedobarographischen Verande-rungen in Abhangigkeit vom Schweregrad derTibialis-posterior-Dysfunktion naher untersuchtwerden. Speziell soll die Frage beantwortet wer-den, inwieweit die Pedobarographie im klinischenAlltag und mit einfachen Mitteln zur Klassifizierungdes Krankheitsbildes und moglicherweise zu einerVerfeinerung der immer noch gebrauchlichen, aberaußerst groben klinischen Einteilung in die Stadien Ibis III nach Johnson und Strom [6] beitragen kann.

Material und Methode

Von 2001 bis 2007 wurden vom Erstautor (JH) 95Falle von klinisch, sonographisch und in den meis-ten Fallen kernspintomographisch bestatigter Tibia-lis-posterior-Dysfunktion operativ behandelt. In 66Fallen lag eine verwertbare praoperative standar-disiert aufgenommene Pedobarographie mit Auf-zeichnung der Maximaldruckwerte vor, in einemTeil davon die kompletten pedobarographischenDatensatze. Es wurde mit der EMED-Druckmess-plattform (vier Sensoren pro cm2) der Firma Novel,Munchen untersucht.

In einer Vorstudie (Gruppe 1) wurden 31 dieserFalle der klinischen Stadien I bis III nach Johnsonund Strohm mit kompletten pedobarographischenDatensatzen genauer analysiert. Aus jeweils dreiMessungen wurden die gemittelten dynamischenMaximaldruckbilder verwendet. Das Stadium II wur-de nach klinischen Gesichtspunkten untergliedertin Falle mit leichter (IIa) und schwerer Deformitat(IIb). Im Stadium IIb lag insbesondere zumeist eine

deutliche supinatorische Fehlstellungs-Komponentedes Mittel-Vorfuß-Komplexes gegenuber dem Ruck-fuß bereits vor. Zur Problematik der klinischenKlassifizierung, auch der Abgrenzung der Stadien IIund III siehe unten. Es wurden die Druckmaximaund – nach Einteilung des Pedogramms in 9 Fuß-Regionen anhand einer Schablone – die im Bereichdieser Regionen einwirkende Maximalkraft sowiezeitliche Parameter naher analysiert.

Diese Gruppe wurde mit einem bereits vorlie-genden altersgemischten Normalkollektiv (Dr. med.Christian Wyss, Kantonsspital Aarau, Schweiz) vonschmerzfreien Probanden ohne vorangegangeneFußoperationen (n=512) verglichen (Alter 27 bis82 Jahre, Mittelwert 53,6 Jahre 714,7 Jahre).

Aufgrund der in der Vorstudie gewonnenen Er-kenntnisse wurden 66 (Gruppe 2) auswertbarepraoperative Aufzeichnungen der Maximaldruck-werte aus unterschiedlichen klinischen Stadien Ibis IV unter Verwendung eines Maximaldruck-Index,der die Belastungsrelation von lateralem und me-dialem Mittelfußkopfchen-Bereich widerspiegelt,typisiert und mit dem klinischen Stadium vergli-chen. Die Typisierung erfolgte in folgender einfachzu handhabender Weise: Der Vorfuß wird in Hoheder Metatarsal-Kopfchen in drei Sektoren einge-teilt, die von medial nach lateral 30% (Zone A), 50%(Zone B) und 20% (Zone C) der Mittelfußbreite desFußabdruckes umfassen. Hierdurch soll naherungs-weise die Belastungsflache der Metatarsal-Kopf-chen I, II bis IV bzw. V reprasentiert sein. Es wurdeder jeweilig hochste Spitzendruckwert der Zone Amit dem der Zone C ins Verhaltnis gesetzt. Untereinem Verhaltnis von 3:1 wurde ein Typ I (Normal-typ) angenommen. Dieser Grenzwert wurde will-kurlich gebildet; bei fußgesunden Probanden liegtdas Verhaltnis im Mittel etwa bei 1,3:1, wie Abbil-dung 3 erkennen laßt. Bei einem Verhaltnis zwi-schen 3:1 und 6:1 (Typ II) wurde dies als leichterload shift gewertet, zwischen 6:1 und 9:1 (Typ III)als mittelgradiger und uber 9:1 (Typ IV) als schwe-rer load shift. Wenn zusatzlich noch eine Minder-belastung der Zone B in der Weise vorlag, daß derhochste gemessene Spitzendruckwert in Zone A ge-genuber dem in Zone B gemessenen ein Verhaltnisvon uber 3:1 aufwies, wurde ein Typ V als Maxi-malbefund des load shiftes mit weitgehender Entlas-tung der Mittelfußkopfchen II bis V festgestellt.

Ergebnisse

A Gruppe 1 (Vorstudie)

Das plantare Druckverteilungsmuster zeigte sichin Bezug auf viele Parameter innerhalb der

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J. Hamel et al.32

TPD-Gruppe uneinheitlich. Es konnten jedoch eini-ge Charakteristika herausgearbeitet werden. Sonimmt z. B. die Kontaktzeit mit zunehmendemSchweregrad zu, die doppelgipflige Kurve der Bo-denreaktionskraft zeigt eine deutlich geringereEinsenkung bei Tibialis posterior Dysfunktion imVergleich mit Fußgesunden, hinweisgebend fur ei-nen weniger dynamischen Gang. Zum Teil waren diebeobachteten Phanomene in den einzelnen Stadiengegenlaufig; z. B. zeigte sich der Maximaldruck imBereich der Großzehe bei der Tibialis-posterior-Dysfunktion im Vergleich mit dem Normalkollektiverhoht, außer im Stadium III (Abb. 3). Diese Befun-de sollen im Rahmen dieser Untersuchung nichtnaher analysiert werden.

Die statistisch deutlichste Veranderung betrafdas Belastungsverhalten im Bereich der Mittel-fußkopfchen. Hier zeigten sich sowohl die Kraft(Abb. 1) in den einzelnen Regionen als auch dieMaximaldruckwerte (Abb. 2) in der Gruppe der Pa-tienten mit Tibialis-posterior-Dysfunktion hoch-signifikant im Sinne eines

’’load-shiftes

’’

gegenuberden Normal-Probanden verandert.

Die im Bereich der lateralen Vorfuß-Abschnittegemessenen Maximaldruckwerte nahmen mit kli-nisch hoheren Krankheitsstadien ab, wahrend dieWerte insbesondere unter dem Metatarsale-I-Kopf-chen stark anstiegen (Abb. 3). Zur Vereinfachungfur diese praxisorientierte Betrachtung wurden imweiteren die Maximaldruckwerte herangezogen, dahierdurch eine sektorielle Zuordnung von Pedo-barogramm und anatomischer Fußregion erleichtertwird. Die deutlichsten, stadienabhangig gemesse-nen Veranderungen zeigte der aus der Relation derunter dem Mittelfußkopfchen I und V gemessenenMaximaldruckwerte gewonnene Index.

Durch diese einfache, praxisorientierte Form dersemiquantitativen Typisierung wurde eine Einbe-ziehung anderer, die pedobarographischen Befunde

0100200300400500600700

Ferse

Later

ale Fers

e

Medial

e Fers

e

Mittelfu

ß

Vorfuß

Graßze

he

Max

imal

kraf

t [N

]

Abbildung 1. Verhalten der Maximalkraft in den 9 Fußregionlicher klinischer Stadien im Vergleich zu 512 Probanden (hell

beeinflussenden Großen wie etwa Korpergewicht,Schrittgeschwindigkeit oder Lebensalter erubrigt.

B Gruppe 2

Die in der Vorstudie statistisch gewonnenen Er-kenntnisse zum load shift wurden an einer großerenPatientengruppe uberpruft: Anhand von 66 aus-wertbaren praoperativen Aufzeichnungen der Ma-ximaldruckwerte wurde in den verschiedenenklinischen Stadien eine Zuordnung zum Schwere-grad des load-shiftes (Typ I bis V) vorgenommen(Tabelle 1). Abbildung 4 zeigt ein Pedobarogrammbei mittelgradigem, Abbildung 5 bei schwerstemload shift.

Hierbei wurden zwei Patientengruppen innerhalbder Gruppe 2 identifiziert, die fast ausschließlichhoheren klinischen Stadien angehorten, aber dieo.g. Kriterien eines load-shiftes nicht aufwiesen. Eshandelte sich einerseits um pedobarographischeBefunde, die keinerlei Taillierung im Bereich derFußlangswolbung mehr erkennen ließen, so daßAreale des medialen tarsometatarsalen Ubergangesmit in die Lastubertragung einbezogen wurden(Abb. 6). Diese Befunde wurden als pedobarogra-phischer Typ VI gewertet; sie spiegeln einen bereitsvollstandigen Kollaps des medialen tarsometatar-salen Uberganges wider. Andereseits handelte essich um pedobarographische Befunde, in denen einSpitzendruck von mindestens 350 kPa im Bereichder Metatarsalkopfchen nicht erreicht wurde(Abb. 7). Diese Befunde wurden einem Typ VII zu-geordnet. Moglicherweise entsprechen sie einerkompensatorischen (z. B. schmerzbedingten) Min-derbelastung des gesamten Vorfußes bei Patientenmit hohem aktuellem Schmerzniveau.

Die Verteilung der pedobarographisch ermittel-ten Typen in Relation zu den klinischen Stadien – zu

MFK1MFK2

MFK3MFK4

MFK5

Later

al-med

ial fo

rce in

dex

Kontrollgruppe TPD

en bei 31 Patienten (dunkle Balken) mit TPD unterschied-e Balken).

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0100200300400500600700800900

1000

Ferse

Later

ale Fers

e

Medial

e Fers

eMFK1

MFK2MFK3

MFK4MFK5

MFK1/MFK5

Druc

k [k

Pa]

Graßze

heVorfu

ß

Mittelfu

ß

Kontrollgruppe TPD

Abbildung 2. Verhalten des aufgezeichneten Maximaldruckes innerhalb der 9 Fußregionen bei 31 Patienten unter-schiedlicher klinischer Stadien (dunkle Balken) mit TPD im Vergleich zu 512 Probanden (helle Balken).

0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

MFK1MFK4

MFK5

MFK1/MFK5

Dru

ck [k

Pa]

Kontrollgruppe

TPD

Stadium 1

Stadium 2a

Stadium 2b

Stadium 3

Graßze

he

Abbildung 3. Verhalten der aufgezeichneten Maximaldrucke im Bereich des medialen und lateralen Vorfußes bei31 Patienten mit TPD der Stadien I, IIa, IIb und III (s. Text) im Vergleich zu 515 Probanden (helle Balken). Ganz rechts imDiagramm ist der aus den Spitzendrucken im Bereich des Metatarsale-I-Kopfchens zu den im Bereich des Metatarsale-V-Kopfchens gemessenen dargestellt. Die Stadien-Abhangigkeit dieses Index ist deutlich erkennbar.

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der Problematik der Zuordnung siehe in der Diskus-sion – zeigt Tabelle 1. Im klinischen Stadium I ohnewesentliche Deformitat war ein load shift nach deroben getroffenen Definition pedobarographisch nurin einem Fall in leichter Form nachzuweisen. Imfruhen Stadium II (IIa) wurde dieser in einzelnenFallen auch in ausgepragter Form beobachtet,wahrend das spate Stadium II (II b) uberwiegendeine schwere Form des load shiftes erkennen ließ(Stadien IV und V). Im klinischen Stadium III wurdepedobarographisch regelhaft eine schwere Funkt-ionsstorung beobachtet. Die Typen VI und VIIbezeichnen die oben beschriebenen Sonderfalle,in denen eine erhebliche Lastaufnahme im Bereich

des medialen tarsometatarsalen Uberganges vorlag(Typ VI) oder der Ballenbereich insgesamt nur ge-ring belastet wurde (Typ VII). Diese pedobarogra-phischen Befunde wurden fast ausschließlich beihoheren klinischen Stadien (II b und III) beobachtet.

Diskussion

Es existieren zahlreiche biomechanisch und pa-thogenetisch ansetzende Studien, die die Bedeu-tung des M. tibialis posterior in der Standbeinphasedes Ganges und die Auswirkungen eines progre-dienten Funktionsverlustes auf die Fußarchitektur

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Tabelle 1. Verteilung der pedobarographischen Ty-pen (Typ I bis VII) auf die klinischen Stadien I bis IV(n=66).

I II III IV V VI VII

I 8 1II a 11 4 1 1 1 1II b 2 1 2 7 5 4 4III 1 5 3 2IV 2

Abbildung 4. Deutliche Verlagerung der Mittelfuß-Kopf-chen-Belastung nach medial im Sinne des load shift (TypIII) bei Tibialis-posterior-Dysfunktion Stadium II. DieLastubernahme im Bereich der mittleren Metatarsaliaist noch erhalten. Beachte auch die ausgepragte, offen-bar kompensatorische, Belastung aller Zehen.

Abbildung 5. Maximalbefund des load shift (Typ V) mitweitgehender Entlastung auch der mittleren Metatarsaliaund starker Belastung des medialen Fußstrahles beispatem Stadium II mit intraoperativ noch erhaltener,stark verdickter Tibialis-posterior-Sehne. Der M. tibialisposterior zeigte funktionell nur noch schwache Restakti-vitat.

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analysieren. Dagegen wurden die hervorgerufenenganganalytischen Veranderungen bisher kaum di-rekt untersucht [2]. Tien et al. [9] untersuchtenUnterschenkel-Fußpraparate unter Anwendungquasi-physiologischer Sehnenspannung vor undnach Verlangerungen der lateralen Saule pedobaro-graphisch. Messungen der plantaren Druckvertei-lung, die unter Belastungs-Simulation ohneBerucksichtigung der dynamischen Effekte wichti-ger Unterschenkel-Muskeln erfolgen, erscheinenwenig aussagefahig [7]. Pedobarographische Unter-suchungen bei Tibialis-posterior-Dysfunktion im

Vergleich zu gesunden Patienten sind den Autorennicht bekannt.

Die plantare Druckverteilung in der Belastungs-phase des Ganges ist von verschiedenen allgemei-nen Einflußgroßen wie z. B. Lebensalter, Korper-gewicht, individuellem Gangmuster abhangig; aberauch aktuelle Beschwerden oder Kompensations-mechanismen zur Schmerzvermeidung konnen dasplantare Druckverhalten modifizieren. Daher ist esausgesprochen schwierig, den Einfluß des progre-dienten Funktionsausfalles des M. tibialis posteriorherauszufiltern und damit eine Aussage uber denSchweregrad der Funktionsstorung bei der TPDtreffen zu konnen. Die physiologische Taillierungdes Fußabdruckes, wie sie beim statisch gewonne-nen Belastungsbild als Maß fur die Fußsenkungherangezogen wird, bleibt im dynamischen Pedo-barogramm oft auch noch in fortgeschrittenen Sta-dien erhalten (vgl. Abb. 5 und 9).

Die Tibialis-posterior-Dysfunktion zeigt nach denvorgestellten Ergebnissen in dem Merkmal

’’load-

shift

’’

ein einfach zu erfassendes stadienabhangigespedobarographisches Korrelat, das zur Klassifzie-rung der Funktionsstorung bei diesem Krankheits-bild geeignet erscheint. Der hierfur relevanteParameter ist die unter den Mittelfußkopfchenubertragene Kraft. Da die Vorstudie ergab, daß

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Abbildung 6. Bei vollstandig eingesunkener Fußwolbung(Stadium III einer Tibialis-posterior-Dysfunktion) uber-nimmt auch die Region des medialen tarsometatarsalenUberganges Last und die Taillierung des Fußabdruckes istvollig aufgehoben. Ein schwerer load shift ist im Meta-tarsalkopfchen-Bereich in diesem Fall nicht nachweisbar(Typ VI).

Abbildung 7. Vollstandige Ruptur der Tibialis-posterior-Sehne mit aktuell hoher Belastungsschmerzhaftigkeit beimittelgradiger Deformitat. Der gesamte Ballenbereichwird nur gering belastet (33-jahriger Patient, ca. 90 kgKorpergewicht); ein load shift ist nicht nachweisbar (TypVII).

Das pedobarographische Korrelat der Tibialis-posterior-Dysfunktion 35

auch der Parameter Maximaldruck – zumindest furklinisch-praktische Belange – gleichermaßen geeig-net erscheint, das Phanomen des load shift zu cha-

rakterisieren, wurde fur die Typisierung derSpitzendruck herangezogen. Dies mindert zugleichdie bekannten methodischen Schwierigkeiten derZuordnung anatomischer Regionen zum pedobaro-graphischen Bild [3], da nur eine Einteilung in Sek-toren, nicht in Areale, erforderlich ist. Bewußtwurde diese Sektoren-Zuordnung in praktikabel-einfacher Weise in nur drei Bereiche vorgenommen.Eine genauere Uberprufung der hier dargestelltenersten Ergebnisse an einer großeren Patientengrup-pe unter Zugrundelegung der ubertragenen Krafteerscheint trotzdem sinnvoll.

Die weiterhin verbreitete Stadieneinteilung nachJohnson und Strom [6] in die Schweregrade I, II undIII, erganzt durch das Stadium IV bei Einbeziehungauch des Oberen Sprunggelenkes erscheint fur denklinischen Gebrauch vollkommen unzureichend:Das Stadium II umfaßt eine Gruppe von teilweiseerst beginnender Deformitat mit erhaltener Seh-nenfunktion und weitgehend normalem Belastungs-muster bis hin zu schwersten Funktionsstorungen.Die Abgrenzung zwischen den Stadien II und III istzudem unscharf; haufig sind auch schwere Formeneiner Tibialis-posterior-Dysfunktion noch

’’flexi-

bel

’’

, damit definitionsgemaß einem Stadium II zu-zuordnen. Manche Therapeuten beziehen dasAusmaß der supinatorischen Verwringung des Mit-tel-Vorfuß-Komplexes als Kriterium zur Abgrenzungvon Stadium II und III mit ein [1]. Zumindest unter-liegt die Zuordnung zum Stadium II oder III in hohemMaß der subjektiven Einschatzung des Untersu-chers.

Tabelle 1 laßt erkennen, daß im klinischen Sta-dium II vollstandig unterschiedliche pedobarogra-phische Befunde erhoben wurden und insbesonderedieses Stadium somit einer weiteren Aufgliederungbedarf. So kann in einem noch fruhen klinischenStadium II mit noch maßiger Fehlstellung bereitsein schwerster load shift (Abb. 8) beobachtet wer-den, wahrend im fortgeschrittenen Stadium II mitbereits deutlicher Deformitat (Abb. 9) dieser nochgering ausgepragt sein kann. Die Pedobarographieerscheint daher gerade im Stadium II geeignet, eineUntergliederung in Falle mit noch physiologischerLastverteilung und solche mit deutlichem load shiftzu ermoglichen.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß dieLastubernahme durch die lateralen Vorfußabschnit-te neben moglichen anderen Faktoren durch dieIntegritat der Tibialis-posterior-Muskel-Sehnenein-heit gewahrleistet wird. Mit zunehmendem Funk-tionsverlust kommt es zu einem typischen load shiftim Metatarsalkopfchenbereich, dessen Ausmaß al-lerdings offensichtlich noch von weiteren individu-ellen Faktoren abhangt (s. Beispiele Abb. 8 und 9).In Fallen hohergradiger Deformitat oder insgesamt

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Abbildung 8. Klinisch fruhes Stadium II mit maßiger De-formitat, allerdings vollstandiger Funktionsverlust des M.tibialis posterior, dessen Sehne im osteofibrosen Kanalvollstandig eingebacken ist. Pedobarographisch schwers-ter load shift (Typ IV).

Abbildung 9. Klinisch deutliche Deformitat, entspre-chend einem spaten Stadium II, mit vollstandiger Seh-nenruptur. Pedobarographisch kein load shift (Typ I).

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geringer Lastubernahme im Ballenbereich ist einload shift pedobarographisch nicht immer nach-weisbar. Die vorgestellten Ergebnisse bedurfen wei-terer Bestatigung an großeren Patientenkollektiven.In ein zu erstellendes Klassifikations-System derTPD konnte auch die pedobarographisch zu ermit-telnde gangdynamische Komponente mit eingehenund zu einer Differenzierung insbesondere des kli-nischen Stadiums II beitragen. Fur ganganalytisch-pedographische Untersuchungen vor und nach kon-servativer oder operativer Therapie konnen diemitgeteilten Ergebnisse zum load shift als Grund-lage herangezogen werden.

Wir danken Herrn Dr. Wyss, Kantonsspital Aarau,fur die freundliche Uberlassung seiner pedobaro-graphischen Befunde an fußgesunden Probanden.

Literatur

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