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Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS P.b.b. 02Z031117M, Verlagsort: 3003 Gablitz, Mozartgasse 10 Preis: EUR 10,– Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Journal für www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Homepage: www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Das inzidentelle Aneurysma: Wann behandeln - wann abwarten? Neumann-Haefelin T Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2011; 12 (2), 148-151

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Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS

P.b.b. 02Z031117M, Verlagsort : 3003 Gablitz, Mozartgasse 10 Preis: EUR 10,–

Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz

Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie

Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

Journal für

www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr

Homepage:

www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr

Online-Datenbank mit Autoren-

und Stichwortsuche

Das inzidentelle Aneurysma: Wann

behandeln - wann abwarten?

Neumann-Haefelin T

Journal für Neurologie

Neurochirurgie und Psychiatrie

2011; 12 (2), 148-151

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148 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)

Inzidentelle Aneurysmen

Das inzidentelle Aneurysma:Wann behandeln – wann abwarten?

T. Neumann-Haefelin

Kurzfassung: Inzidentelle Aneurysmen werdenaufgrund der relativ hohen Prävalenz von ca.2 % und des zunehmenden Einsatzes derSchnittbilddiagnostik immer häufiger entdeckt.Die Mehrzahl dieser Aneurysmen liegt in dervorderen Zirkulation und ist < 7 mm im Durch-messer; eine primärprophylaktische Intervention(Clipping oder Coiling) ist in der Regel nicht sinn-voll. Ausnahmen von dieser Regel sind Zweit-aneurysmen („additionale Aneurysmen“), Aneu-rysmen der A. carotis interna am Abgang derA. communicans posterior und wahrscheinlichauch familiäre Aneurysmen. Bei größeren Aneu-rysmen der vorderen Zirkulation sowie allen An-eurysmen der hinteren Zirkulation sollte – beiausreichender Lebenserwartung – eine Behand-

lung in einem spezialisierten Zentrum ange-strebt werden. Diese studienbasierte Sichtwei-se sollte eine Leitlinie darstellen, wobei in dermitunter komplexen Beratungssituation im Ein-zelfall hiervon abgewichen werden muss.

Schlüsselwörter: Aneurysma, Subarachnoidal-blutung, Clipping, Coiling

Abstract: The Incidental Aneurysm: ToTreat or Not To Treat? Incidental aneurysmsare found with increasing frequency due to theirhigh prevalence (2 %) and the frequent perform-ance of neuroimaging procedures. The majority

Einleitung

Die Beratung von Patienten mit zufällig entdeckten Aneurys-men der hirnversorgenden Gefäße stellt eine komplexe Auf-gabe dar, die idealerweise an einem spezialisierten Zentrumim interdisziplinären Kontext erfolgen sollte. Es gibt mehrere,jeweils nicht risikolose Behandlungsmöglichkeiten. Die neu-rochirurgische Behandlung mittels mikrochirurgischem Clip-ping ist ebenso wie die neuroradiologische Intervention mitCoils eine primärprophylaktische Maßnahme zur Verhinde-rung einer Subarachnoidalblutung (SAB). Nur intradural ge-legene Aneurysmen können eine SAB verursachen.

Epidemiologie

Inzidentelle Aneurysmen sind per definitionem zufällig ent-deckte Aneurysmen ohne klinische Symptomatik [1]. Sie sinddamit von symptomatischen Aneurysmen (z. B. mit einerHirnnervenkompression), die zwar auch zu den nicht-rupturierten Aneurysmen („unruptured intracranial an-eurysm“ [UIA]) gehören, aber durch eine klinische Sympto-matik auffällig werden, abzugrenzen. Letztlich gibt es alsweitere Untergruppe der nicht-rupturierten Aneurysmen, dieso genannten additionalen Aneurysmen. Hierbei handelt essich um nicht-rupturierte Zweitaneurysmen bei SAB aus ei-nem anderen Aneurysma. Der vorliegende Artikel behandeltin erster Linie das inzidentelle, somit zufällig entdeckte,bislang nicht-rupturierte Aneurysma.

Die Prävalenz indizenteller Aneurysmen war Gegenstand ver-schiedener Studien [2], wobei als Faustregel eine Prävalenz

von ca. 2 % für Erwachsene ohne spezifische Risikofaktorenangenommen werden kann. Dies ergab sich u. a. aus Angio-graphie- und Autopsiestudien. Letztlich bestätigt wurde es inder kürzlich veröffentlichten populationsbasierten „Rotter-dam Scan“-Studie [3], in der ab einem Alter von 45 Jahreneine stabile Häufigkeit nicht-rupturierter Aneurysmen von1,6–1,8 % gefunden wurde. Grundlage dieser Studie warencMRT-Untersuchungen.

Ein interessanter Aspekt aus epidemiologischer Sicht ist, dassdie Prävalenz von Aneurysmen bei Jugendlichen verschwin-dend gering ist und erst ab einem Alter von ca. 20 Jahren deut-lich zunimmt [2]. Dies spricht dafür, dass Aneurysmen nichtangeborene, sondern im Laufe des Lebens erworbene Gefäß-fehlbildungen sind.

Die relativ hohe Prävalenz intrakranieller Aneurysmen von2 % (entspricht ca. 1,4 Millionen Aneurysmaträgern inDeutschland) kontrastiert mit der sehr viel geringeren Inzi-denz von Subarachnoidalblutungen von ca. 8000 pro Jahr [4].Hieraus folgt, dass die meisten Aneurysmen nie rupturieren.

Traditionelle Risikofaktoren, die eine Ruptur begünstigen,sind Rauchen, Bluthochdruck und Alkohol [5, 6]. Eine neuereMetaanalyse [7] hat allerdings die Relevanz des Bluthoch-drucks und des Rauchens wieder relativiert; stattdessen fan-den sich als Risikofaktoren für eine Aneurysmaruptur – nebender Lage in der hinteren Zirkulation und der Größe – folgendeParameter: weibliches Geschlecht (RR 1,6), eine Abstam-mung aus Finnland oder Japan (RR 3,4) sowie Alter > 60 Jah-re (RR 2,0). Andere Faktoren, vermutlich von Bedeutung,aber schwieriger zu erfassen, sind eine Größenzunahme beiverlaufskontrollierten Aneurysmen [8, 9] und mehrfach ge-lappte bzw. komplex geformte Aneurysmen im Vergleich zuunilobulär konfigurierten Aneurysmen [10].

Die meisten Aneurysmen, die zufällig entdeckt werden, lie-gen in der vorderen Zirkulation (80–90 %) und sind ≤ 10 mm

of aneurysms is found in the anterior circulationand is < 7 mm in diameter; interventional treat-ment (clipping or coiling) is generally not thetreatment of choice for these aneuryms. Excep-tions are additional aneurysms, those near theorigin of the posterior communicating artery andfamilial aneurysms. Larger aneurysms and pos-terior circulation aneurysms, on the other hand,should be treated in a specialized center. Thisevidence-based view needs to be adapted ac-cording to individual patient factors and the lo-cal expertise. J Neurol Neurochir Psychiatr2011; 12 (2): 148–51.

Key words: aneurysm, unruptured aneurysm,subarachnoid hemorrhage, clipping, coiling

Eingelangt am 7. September 2010; angenommen am 22. September 2010; Pre-Pub-lishing Online am 2. November 2010Aus der Klinik für Neurologie, Klinikum Fulda, DeutschlandKorrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Tobias Neumann-Haefelin, Klinik fürNeurologie, Klinikum Fulda gAG, D-36043 Fulda, Pacelliallee 4;E-Mail: [email protected]

For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

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J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (2)

Inzidentelle Aneurysmen

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im Durchmesser (90 %). Multiple intrakranielle Aneurysmenfinden sich in ca. 20–30 % der Patienten. Eine positive Fami-lienanamnese (entweder in Form von Angehörigen mit einerSAB oder einem Aneurysma) finden sich in ca. 20 % der Pati-enten mit inzidentellen Aneurysmen [1].

„Natural history“-Daten

Die chirurgische bzw. neuroradiologisch-interventionelle Be-handlung (Abb. 1) inzidenteller Aneurysmen stellt eine pri-märprophylaktische Therapie dar. Das Risiko der Behandlungmuss daher niedriger liegen als das Risiko einer Ruptur imSpontanverlauf.

Eine vollständige Übersicht über die bis 2007 publiziertenStudien zum natürlichen Verlauf findet sich in der Meta-analyse von Wermer et al. [7]. Die aktuell besten Daten stam-men aber eindeutig aus der Studie der „International Study ofUnruptured Intracranial Aneurysms“- (ISUIA-) Gruppe [11,12], in der im Wesentlichen 3 Parameter als relevant für dasRupturrisiko ermittelt werden konnten: Größe, Lage und einevorangegangene SAB. Bei der letzten Untergruppe handelt essich allerdings nicht um inzidentelle, sondern um so genannteadditionale, nicht-rupturierte Aneurysmen. Größe und Lagebeeinflussen auch die Behandlungsrisiken, was die Gesamt-beurteilung erschwert. Die jährlichen Rupturraten finden sichin Tabelle 1.

Von größter Relevanz (aufgrund der Häufigkeit) in ISUIA istdie Gruppe der Aneurysmen < 7 mm Durchmesser in der vor-deren Zirkulation. Bei dieser Untergruppe fand sich einRupturrisiko von 0,08 % pro Jahr, sofern die Aneurysmen inAbgangsnähe der Arteria communicans posterior mit einge-schlossen wurden [13]. Nach Post-hoc-Ausschluss dieserletzten Patientengruppe war das Risiko sogar 0, d. h. in derGruppe der Patienten mit Aneurysmen der vorderen Zirkula-tion < 7 mm trat keine einzige SAB auf. Das Rupturrisiko inder hinteren Zirkulation war für alle Aneurysmagrößen höherals in der vorderen Zirkulation.

Eine kürzlich publizierte japanische Studie [14] ist aufgrundihres prospektiven Designs, der Studiengröße (n = 374) undder Fokussierung auf den natürlichen Verlauf kleiner unrup-turierter Aneurysmen ebenfalls von großem Interesse. Hierfanden sich in der recht homogenen Studienpopulation Rup-turraten von 0,34 % pro Jahr für einzelne Aneurysmen und0,95 % pro Jahr für Patienten mit multiplen Aneurysmen.Patienten, bei denen im Verlauf eine Größenzunahme von≥ 2 mm oder eine Neuformation eines „blebs“ auftrat, konn-ten interventionell oder chirurgisch behandelt werden. Tat-

sächlich wurden 10 Patienten aufgrund dieser vordefiniertenKriterien therapiert. Insgesamt sind die Rupturraten im direk-ten Vergleich höher als in der ISUIA-Studie – trotz derBeschränkung auf Aneurysmen mit einem Durchmesser< 5 mm; allerdings ist zu berücksichtigen, dass nach derMetaanalyse von Wermer et al. [7] eine japanische Abstam-mung einen eigenständigen Risikofaktor für eine Aneurysma-ruptur darstellt, sodass eine Übertragung auf mitteleuropäi-sche Verhältnisse nicht ohne Weiteres möglich ist. Interessantist auch die Beobachtung, dass in der Endphase des Beobach-tungszeitraums keine SABs mehr aufgetreten sind, sodassmöglicherweise kein konstantes Rupturrisiko über die Zeithin besteht, was bei Hochrechnungen natürlich von eminenterBedeutung ist.

Therapierisiken

Die Behandlungsrisiken wurden in der ISUIA-Studie eben-falls untersucht und waren sowohl im chirurgischen als auchim interventionellen Arm höher als zuvor gedacht. Besonderseklatant waren die chirurgischen Komplikationsraten in derGruppe der Patienten > 50 Jahre. Dieser Effekt war in derneuroradiologischen Interventionsgruppe nicht im gleichenAusmaß vorhanden. Insbesondere für die Aneurysmen dervorderen Zirkulation waren die 1-Jahres-Ergebnisse desCoilings für die Patienten > 50 Jahre vergleichbar mit denPatienten < 50 Jahre.

Ausgehend von den ISUIA-Daten wurden Modellberechnun-gen durchgeführt, in denen der Nutzen einer Behandlung inAbhängigkeit von Aneurysmagröße und Alter untersuchtwurde [13]. Naturgemäß ergab sich für die Behandlung beiPatienten mit Aneurysmen der vorderen Zirkulation < 7 mmin keinem Fall ein günstiger Therapieeffekt. Auch bei Patien-

Tabelle 1: Jährliche Blutungsraten (%) in der ISUIA-Studie.Aus [12, 13].

< 7 mm < 7 mm 7–12 mm 13–24 mm > 24 mmInzidentell Additional

Vordere 0 (0,08)* 0,3 0,53 3,1 9,7ZirkulationHintere 0,51 0,67 3,1 4 13Zirkulation

Vordere Zirkulation: Aa. cerebri anterior, cerebri media und intra-durale A. carotis interna; Hintere Zirkulation: hintere Zirkulation undA. carotis interna am Abgang der A. comm. post.* einschließlich des Abgangs der A. communicans posteriorRupturraten für die kavernöse A. carotis interna sind nicht aufge-führt.

Abbildung 1: (A) Neuroradiologisch-interventio-nelle Behandlung eines T-Gabel-Aneurysmas mit-tels Coiling. (B) teilgecoiltes Aneurysma, (C) aus-geschaltetes Aneurysma nach Beendigung der Be-handlung.Mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Richarddu Mesnil und Prof. Dr. Joachim Berkefeld, Uni-versitätsklinikum Frankfurt/Main.A B C

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Inzidentelle Aneurysmen

ten mit mittelgroßen Aneurysmen (7–12 mm) ist ab einemLebensalter von ca. 50–60 Jahren weder mit einer chirurgi-schen Behandlung noch mit einer endovaskulären Therapieein klarer Therapieeffekt nach diesen Modellberechnungennachweisbar. In der hinteren Zirkulation ist ein Behand-lungseffekt auch für Aneurysmen bis 7 mm bis zu einem Le-bensalter von 50 Jahren errechenbar, für größere Aneurysmenbis zu einem Lebensalter von 60 bis maximal 70 Jahren.

In ISUIA und den darauf basierenden Modellberechnungenist eine Reihe von Risikofaktoren nicht berücksichtigt, die fürden Operateur oder Interventionalisten große Bedeutunghaben können. Dies betrifft insbesondere die Aneurysma-morphologie und die Angioarchitektur, den Vorzustand desPatienten und das Operationsrisiko [15].

Kritikpunkte an der ISUIA-Studie

Wenngleich die ISUIA-Studie die bislang besten Daten zurFrage der Rupturwahrscheinlichkeit inzidenteller Aneurys-men und der Komplikationsrate unter Therapie liefert, stelltsie letztlich doch aus verschiedenen Gründen eine nicht opti-male Studie dar [16]. Im Folgenden sollen einige wichtigeDetails der ISUIA-Studie beleuchtet werden. Es handelte sichum eine prospektive Beobachtungsstudie, in die Patienten mitnicht-rupturierten intrakraniellen Aneurysmen eingeschlos-sen wurden. Die Verlaufsbeobachtung erfolgte jährlich, imMittel für 4 Jahre. Es wurden Patienten mit und ohne vorange-gangene SAB eingeschlossen (n = 4060), die zwischen 1991und 1998 rekrutiert wurden. Insgesamt gab es in der Studie3 Arme: einen konservativen, einen operativen und einenendovaskulären Behandlungsarm. In der konservativen Be-handlungsgruppe, die für die Daten zum natürlichen Verlaufdie entscheidende ist, wurden 1692 Patienten eingeschlossen;nur 1077 hiervon waren inzidentelle Aneurysmen. Von allenPatienten im konservativen Behandlungsarm wechseltenim Verlauf der Studie 534 in einen anderen Behandlungsarm,193 Patienten verstarben. Primärer Endpunkt der Studie wardie Ereignisrate (SAB, „intracrebral bleeding“ [ICB] oderTod).

Folgende Kritikpunkte sind besonders bedeutsam:1. Der erste wesentliche Kritikpunkt am Studiendesign ist

die Tatsache, dass es sich um eine reine Beobachtungs-studie handelt (keine kontrolliert-randomisierte Studie),bei der naturgemäß ein Selektionsbias möglich bzw. imFall der ISUIA-Studie sogar wahrscheinlich ist. So lag esim Ermessen der Studienärzte, welchem Behandlungsarmsie den Patienten zuordneten. Es ist z. B. denkbar, dassbestimmte Charakteristika der Aneurysmamorphologie(wie etwa eine mehrfach lobulierte Form) die Behandlerdazu bewogen haben, Patienten systematisch eher einerBehandlungsgruppe als der Beobachtungsgruppe zuzu-ordnen.

2. Der zweite wesentliche Kritikpunkt ist, dass die Gruppen-einteilung nicht prospektiv, sondern post hoc erfolgte.Dies betraf zum einen die Größe der Aneurysmen: Imersten Teil von ISUIA war ursprünglich eine Größe von10 mm als Obergrenze für die „kleinen“ Aneurysmen mitsehr geringem Rupturrisiko angenommen worden , was inder Folge auf < 7 mm reduziert werden musste. Des Wei-

teren wurden post hoc die A.-carotis-interna-Aneurysmenin Abgangsnähe der A. communicans posterior der hinte-ren Zirkulation zugerechnet. Erst nach diesen beidenKorrekturmaßnahmen konnte die Rupturrate in der Grup-pe der häufigen Aneurysmen der vorderen Zirkulation mitgeringem Durchmesser auf „0“ gesenkt werden. DiesesVorgehen ist eigentlich nur für eine „hypothesengenerie-rende“ Studie erlaubt und sollte zwangsläufig eine konfir-mierende Studie nach sich ziehen.

3. Weitere Faktoren, die die Studienqualität erheblich ein-schränken, sind ein Fehlen einer prädefinierten Fallzahlund einer vordefinierte Follow-up-Zeit. Die geringe Ratean Outcome-Ereignissen (n = 51) lässt zudem Zweifeldaran aufkommen, ob die vielen Subgruppenanalysenwirklich gerechtfertigt sind.

Das Paradoxon der kleinen Aneurysmen

Der pathophysiologisch interessanteste Kritikpunkt an ISUIAbetrifft aber nicht das Studiendesign, sondern die konstanteBeobachtung, dass Aneurysmen, die angiographisch im Rah-men der Diagnostik bei SAB gefunden werden, mehrheitlichklein sind. Dies kontrastiert mit dem Hauptbefund aus ISUIA,dass kaum ein kleines inzidentelles Aneurysma rupturiert.

Für dieses Paradoxon gibt es eine Reihe an möglichen Erklä-rungen [17]:1. Die epidemiologische Hypothese besagt, dass kleine UIAs

soviel häufiger sind als die größeren UIAs, dass sie abso-lut gesehen – selbst bei niedriger Rupturrate – häufigerrupturieren als die größeren UIAs.

2. Die Schrumpfungshypothese besagt, dass in der Regeldoch die größeren UIAs rupturieren, dann aber im Rah-men der Ruptur kleiner werden (oder teilthrombosieren).

3. Die letzte These, die aktuell gegenüber den beiden erstenPunkten favorisiert wird, ist die Vorstellung, dass Aneu-rysmen im Laufe ihrer Entstehung eine initial vulnerablePhase durchmachen, in der sie präferenziell rupturieren.Anschließend kommt es zu einer Konsolidierung derGefäßwand. Erst in diesem Zustand werden die meistennicht-rupturierten Aneurysmen zufällig entdeckt, sodassdas niedrige Rupturrisiko dieser Aneurysmen dann gut er-klärt ist.

Wenn man die Limitierungen der ISUIA-Studie berücksich-tigt und zusätzlich das Paradoxon der kleinen Aneurysmenhinzuzieht, wird evident, dass eigentlich dringlich einerandomisierte Studie zur Klärung der Frage notwendig wäre,ob und wie nicht-rupturierte Aneurysmen behandelt werdensollten (Zusammenfassung bei [18]). Leider ist eine solcheStudie aufgrund der notwendigen Fallzahl sehr aufwendig;die kanadische TEAM-Studie (siehe http://clinicaltrials.gov),die zur Klärung der optimalen Behandlungsstrategie bei un-rupturierten Aneurysmen initiiert wurde, wurde kürzlich we-gen insuffizienter Rekrutierung vorzeitig abgebrochen; ande-re, vergleichbar große Studien sind nach dem Kenntnisstanddes Autors nicht in Planung. Zusätzlich lehrt die Erfahrungaus ähnlichen Studien, wie etwa der ARUBA-Studie (siehehttp://clinicaltrials.gov), in die Patienten mit nicht-rupturier-ten arteriovenösen Malformationen (AVM) eingeschlossenwerden können, dass die Rekrutierung schwieriger als initialangenommen sein kann. Bei einer so wichtigen Entscheidung

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Inzidentelle Aneurysmen

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wie der Behandlung einer intrakraniellen Gefäßfehlbildungscheint die Vorstellung, die Behandlung dem „Los“ zu über-lassen, vielen Patienten besonders unangenehm zu sein, so-dass sie sich gegen eine Studienteilnahme entscheiden.

In jedem Fall bleibt die Entscheidung, ob ein inzidentellesAneurysma besser beobachtet oder therapiert wird, eine hoch-komplexe und multifaktorielle Entscheidung, bei der nebender (insuffizienten) Studienevidenz auch eine Reihe von wei-teren Faktoren von entscheidender Bedeutung ist. Hierzu zäh-len die Expertise des Operateurs bzw. des Interventionalisten,die Konfiguration des Aneurysmas („Ist das Aneurysma gutmachbar?“) ebenso wie der Wunsch des Patienten. Es istjedem ärztlichen Kollegen, der Patienten mit inzidentellenAneurysmen berät, gut bekannt, dass manche Patienten sehrgut mit der Mitteilung eine solchen Befunds zurecht kommen,während andere eine schwere Einbuße ihrer Lebensqualitäthinnehmen müssen. Somit ist der Wunsch des Patientennatürlich ganz wichtig, wenngleich er uns nicht dazu verleitensollte, medizinisch unsinnige Dinge zu tun.

Familiäre Aneurysmen

Letztlich kurz erwähnt werden sollte die Spezialsituationbeim Vorliegen familiärer, nicht-rupturierter Aneurysmen[19, 20]. Das höchste Risiko haben Personen mit 2 Verwand-ten ersten Grades mit einer aneurysmalen SAB (relatives Risi-ko: 6,6) bzw. Zwillinge von SAB-Patienten. Bei diesen selte-nen „Aneurysmafamilien“ wird ein nicht-invasives Screeningnach entsprechender Aufklärung empfohlen. Sollte kein An-eurysma gefunden werden, wird in regelmäßigen Abständen(ca. alle 5 Jahre) erneut ein Screening empfohlen. Bei Perso-nen mit einem Verwandten ersten Grades wird nach Leit-linienempfehlung der „Deutschen Gesellschaft für Neuro-logie“ kein Screening empfohlen; im Einzelfall, insbesonderebei jungen Personen (< 40 a) und eher ängstlicher Persönlich-keit, wird aber der Wunsch nach entsprechender Diagnostikzu berücksichtigen sein. Das Rupturrisiko scheint bei Patien-ten mit familären Aneurysmen größer zu sein als bei familiärnicht vorbelasteten Personen [20], was ebenfalls zu berück-sichtigen ist. In jedem Fall sollte einem Screening eine aus-führliche Aufklärung hinsichtlich der therapeutischen und so-zialen Konsequenzen vorausgehen.

Relevanz für die Praxis

Nicht-rupturierte Aneurysmen werden bei einer Prävalenzvon ca. 2 % in der erwachsenen Bevölkerung häufig zufäl-lig entdeckt und stellen dann Arzt und Patient mitunter vorschwierige Entscheidungen. Die Beratung sollte heutzuta-ge in einem Zentrum mit neurovaskulärer Expertise aufneurologischem, neuroradiologischem und neurochirurgi-schem Fachgebiet erfolgen. Als stark vereinfachte Faustre-gel kann gelten, dass kleine Aneurysmen der vorderen Zir-kulation in der Regel beobachtet werden können, währendalle anderen Aneurysmen therapeutisch angegangen wer-den sollten, sofern dies technisch mit vertretbarem Risikomachbar ist und die Rahmenbedingungen (Alter, Lebens-erwartung, Wunsch des Patienten etc.) stimmen.

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Prof. Dr. Tobias Neumann-HaefelinGeboren 1966. 1986–1994 Studium der Hu-manmedizin in Freiburg, Köln und London.1994 Promotion am Max-Planck-Institut fürNeurologische Forschung Köln. 1994–2002Ausbildung zum Facharzt für Neurologie anden Universitätskliniken Düsseldorf undFrankfurt. 1999 DFG-Forschungsstipendiumzur Fortbildung in Stanford, USA. 2002–2010 Oberarzt und neurologischer Leiterdes Hirngefäßzentrums, UniversitätsklinikFrankfurt. 2008 Außerplanmäßiger Profes-sor. Seit 2010 Direktor der Klinik für Neuro-logie am Klinikum Fulda.

Interessenkonflikt

Der Autor verneint einen Interessenkonflikt.

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