das interdisziplinäre denken fördern · 2016. 2. 23. · schweiz monatsschr zahnmed, vol 113:...

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Schweiz Monatsschr Zahnmed, Vol 113: 7/2003 803 Zahnmedizin aktuell Bericht vom SSO-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2003 in Luzern (2.Teil) Das interdisziplinäre Denken fördern Thomas Vauthier, Basel «Primum nihil nocere, secundum multum bonum agere!» Um diesem hippokratischen Leit- satz zu genügen, ist es unabdingbar, dass sich jeder Zahnarzt gerade auch mit den medizini- schen Erfordernissen des Berufs auseinander setzt und die interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur innerhalb des eigenen Fachgebiets, sondern auch mit den übrigen medizinischen Spezialisten pflegt und fördert. Denn das medizinische Wissen der Zahnärzte geht durch die zunehmende Spezialisierung leider oft unter.Unter dem Titel «Zahnmedizin und Gesundheit» war der diesjährige SSO-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2003 im wunderschönen KKL in Lu- zern eine perfekte Gelegenheit, etwas über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und sowohl Bewährtes wie auch Neues über die multidisziplinären Aspekte der zahnärztlichen Tätigkeit zu erfahren und zu diskutieren. Zahlreiche Experten aus dem In- und Ausland erläuterten während zweieinhalb Tagen in ihren Referaten die vielfältige und enge Vernetzung von Medi- zin und Zahnmedizin in Diagnostik und Therapie. Der Bogen war weit gespannt und reichte von grundlegenden Überlegungen zum Thema bis zu den neusten Paradigmenwechseln. Der vorliegende zweite Teil der Bericht- erstattung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Anbetracht des Um- fangs der vorgetragenen Informationen war eine gewisse Selektion unumgäng- lich. Um den Rahmen nicht zu sprengen, umfasst dieser Bericht deshalb eine (sub- jektive) Auswahl spannender und inte- ressanter Themen, die am Kongress präsentiert wurden. Auch sind die fran- zösischsprachigen Referate im entspre- chenden Bericht separat zusammenge- fasst. Komplette Informationen und gra- fisches Material zu allen Vorträgen wer- den auf einer im Auftrag der SSO pub- lizierten CD-ROM ab Anfang Juli zur Verfügung stehen. Differenzialdiagnostik der Risikoläsionen Prof. Daniel Buser, Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern Das Mundhöhlenkarzinom zeichnet sich durch eine hohe Mortalität und eine schlechte Prognose aus. Zudem wird die Diagnose in vielen Fällen zu spät gestellt. Besonders die endophytisch wachsenden Karzinome können lange indolent sein. Der Zahnarzt und sein Team sind hier gefordert, stehen sie doch an vorderster Front bei der Erkennung von suspekten Läsionen der Schleimhäute. Im Ver- dachtsfall sollte der Patient immer zur weiteren Abklärung an einen Spezialis- ten verwiesen werden. Zu den Risikolä- sionen müssen alle roten oder weissen Gewebsveränderungen oder Wucherun- gen gezählt werden, die mehr als 10 Tage in der Mundhöhle zu beobachten sind, sowie schlecht oder nicht heilende Wun- den oder Ulzerationen, Zahnlockerun- gen oder Auftreibungen des Knochens. Differenzialdiagnostisch sind sie abzu- grenzen gegen Druckstellen oder andere Traumata, Aphten und eventuell ANUG. Die Leukoplakie zählt zu den häufigsten Präkanzerosen. Es ist festzuhalten, dass dieser Terminus ein rein klinischer Begriff ist, der die weissen Läsionen beschreibt, die keiner anderen Krankheit zugeordnet werden können. Je nach klinischem Er- scheinungsbild werden homogene und inhomogene Leukoplakien unterschie- den sowie die Erythroleukoplakien. Un- ter den Ätiologien steht der Tabakabusus («fingerprints of tobacco») an erster Stel- le, es kommen aber auch mechanische und irritative Faktoren in Betracht. Das Entartungsrisiko der Leukoplakien wird mit 4,4% angegeben. Es scheint abhän- gig zu sein vom Durchmesser, der Loka- lisation, der Morphologie und dem Dys- plasiegrad der Läsion, eventuell spielt auch eine Suprainfektion mit Candida albicans eine Rolle. Für den Kliniker ist es wichtig, die hauptsächlichen Differenzialdiagnosen ge- genüber den weissen Läsionen zu ken- nen. Das Spektrum umfasst das Leukö- dem, mechanisch oder irritativ bedingte Hyperkeratosen, z.B. durch scharfe Kan- ten, den Rauchergaumen – besonders bei Pfeifenrauchern –, die Morsicatio buc- carum – oft bei gestressten Patienten an der Innenseite der Wangen anzutreffen –, die Hairy Leukoplakia, verursacht durch das Epstein-Barr-Virus oder HIV, sowie die Verruca vulgaris als Folge einer Infek- tion durch Papilloma-Viren (HPV 2 und 4). Letztere wird als direkter Risikofaktor für das Entstehen von Karzinomen ange- sehen. Als Empfehlung für den Kliniker hielt der Spezialist fest, dass beim Auftreten einer mehr oder wenig harmlosen Gewebs- veränderung allfällige Ursachen beseitigt werden sollten, insbesondere wenn es sich um mechanische oder irritative Fak- toren handelt. Es kann ruhig bis zu einer Woche bis zum ersten Recall zugewartet werden. Hat sich keine Besserung einge- stellt, sollte dann aber der Patient umge- hend zu einem Spezialisten weitergelei- tet werden. Dieser kann dann im Ver- dachtsfall eine Probebiopsie entnehmen, entweder mit dem Skalpell oder mit ei- nem CO2-Laser. Allergische und Immunkrankheiten der Mundhöhlenschleimhaut Dr. Michael Bornstein, Klinik für Oral- chirurgie und Stomatologie der Universität Bern Als Leiter der Stomatologiesprechstunde der Klinik für Oralchirurgie und Stoma- tologie der Universität Bern war dieser Referent besonders berufen, das Riesen- gebiet der allergisch und immunologisch bedingten Dermatosen und ihrer spezifi- schen Erscheinungsformen in der Mund- höhle zu diskutieren. Je nach Lokalisation der pathologischen Prozesse im Gewebe können drei grund- sätzliche Gruppen der bullösen Autoim- mundermatosen unterschieden werden: Der Pemphigus vulgaris, das Pemphigoid und der orale Lichen planus (OLP). Der Pemphigus vulgaris gehört zu den int- raepidermalen Läsionen, denn er führt zu einer typischen Akantholyse inner- halb des Epithels. In der Stomatologie spielt der Pemphigus aber eine sehr un- tergeordnete Rolle. Wesentlich häufiger sind Erkrankungen, die eine junktionale Ablösung des Epithels von der Laminal basalis verursachen. Die typischen Ver- treter dieser Form sind das Pemphigoid und der orale Lichen planus (OLP). Das vernarbende Schleimhaut-Pemphigoid, in der Stomatologie weitaus häufiger an- zutreffen, entsteht durch einen Verlust Zwei Eckpfeiler der reibungslosen Or- ganisation des Kongresses in Luzern: Antoine Zimmer, Präsident der SSO, und Monika Lang, Sekretariat der SSO.

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S c h w e i z M o n a t s s c h r Z a h n m e d , V o l 1 1 3 : 7 / 2 0 0 3 803

Zahnmedizin aktuell

Bericht vom SSO-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2003 in Luzern (2.Teil)

Das interdisziplinäre Denken fördernThomas Vauthier, Basel

«Primum nihil nocere, secundum multum bonum agere!» Um diesem hippokratischen Leit-satz zu genügen, ist es unabdingbar, dass sich jeder Zahnarzt gerade auch mit den medizini-schen Erfordernissen des Berufs auseinander setzt und die interdisziplinäre Zusammenarbeitnicht nur innerhalb des eigenen Fachgebiets, sondern auch mit den übrigen medizinischenSpezialisten pflegt und fördert. Denn das medizinische Wissen der Zahnärzte geht durch diezunehmende Spezialisierung leider oft unter. Unter dem Titel «Zahnmedizin und Gesundheit»war der diesjährige SSO-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2003 im wunderschönen KKL in Lu-zern eine perfekte Gelegenheit, etwas über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und sowohlBewährtes wie auch Neues über die multidisziplinären Aspekte der zahnärztlichen Tätigkeitzu erfahren und zu diskutieren. Zahlreiche Experten aus dem In- und Ausland erläutertenwährend zweieinhalb Tagen in ihren Referaten die vielfältige und enge Vernetzung von Medi-zin und Zahnmedizin in Diagnostik und Therapie. Der Bogen war weit gespannt und reichtevon grundlegenden Überlegungen zum Thema bis zu den neusten Paradigmenwechseln.

Der vorliegende zweite Teil der Bericht-erstattung erhebt keinen Anspruch aufVollständigkeit. In Anbetracht des Um-fangs der vorgetragenen Informationenwar eine gewisse Selektion unumgäng-lich. Um den Rahmen nicht zu sprengen,umfasst dieser Bericht deshalb eine (sub-jektive) Auswahl spannender und inte-ressanter Themen, die am Kongresspräsentiert wurden. Auch sind die fran-zösischsprachigen Referate im entspre-chenden Bericht separat zusammenge-fasst. Komplette Informationen und gra-fisches Material zu allen Vorträgen wer-den auf einer im Auftrag der SSO pub-lizierten CD-ROM ab Anfang Juli zurVerfügung stehen.

Differenzialdiagnostik der RisikoläsionenProf. Daniel Buser, Klinik für Oralchirurgieund Stomatologie der Universität BernDas Mundhöhlenkarzinom zeichnet sichdurch eine hohe Mortalität und eineschlechte Prognose aus. Zudem wird dieDiagnose in vielen Fällen zu spät gestellt.Besonders die endophytisch wachsendenKarzinome können lange indolent sein.Der Zahnarzt und sein Team sind hiergefordert, stehen sie doch an vordersterFront bei der Erkennung von suspektenLäsionen der Schleimhäute. Im Ver-dachtsfall sollte der Patient immer zurweiteren Abklärung an einen Spezialis-ten verwiesen werden. Zu den Risikolä-sionen müssen alle roten oder weissenGewebsveränderungen oder Wucherun-gen gezählt werden, die mehr als 10 Tagein der Mundhöhle zu beobachten sind,sowie schlecht oder nicht heilende Wun-den oder Ulzerationen, Zahnlockerun-gen oder Auftreibungen des Knochens.Differenzialdiagnostisch sind sie abzu-

grenzen gegen Druckstellen oder andereTraumata, Aphten und eventuell ANUG.Die Leukoplakie zählt zu den häufigstenPräkanzerosen. Es ist festzuhalten, dassdieser Terminus ein rein klinischer Begriffist, der die weissen Läsionen beschreibt,die keiner anderen Krankheit zugeordnetwerden können. Je nach klinischem Er-scheinungsbild werden homogene undinhomogene Leukoplakien unterschie-den sowie die Erythroleukoplakien. Un-ter den Ätiologien steht der Tabakabusus(«fingerprints of tobacco») an erster Stel-le, es kommen aber auch mechanischeund irritative Faktoren in Betracht. DasEntartungsrisiko der Leukoplakien wirdmit 4,4% angegeben. Es scheint abhän-gig zu sein vom Durchmesser, der Loka-lisation, der Morphologie und dem Dys-plasiegrad der Läsion, eventuell spieltauch eine Suprainfektion mit Candidaalbicans eine Rolle.Für den Kliniker ist es wichtig, diehauptsächlichen Differenzialdiagnosen ge-genüber den weissen Läsionen zu ken-nen. Das Spektrum umfasst das Leukö-dem, mechanisch oder irritativ bedingteHyperkeratosen, z.B. durch scharfe Kan-ten, den Rauchergaumen – besonders beiPfeifenrauchern –, die Morsicatio buc-carum – oft bei gestressten Patienten ander Innenseite der Wangen anzutreffen –,die Hairy Leukoplakia, verursacht durchdas Epstein-Barr-Virus oder HIV, sowiedie Verruca vulgaris als Folge einer Infek-tion durch Papilloma-Viren (HPV 2 und4). Letztere wird als direkter Risikofaktorfür das Entstehen von Karzinomen ange-sehen.Als Empfehlung für den Kliniker hielt derSpezialist fest, dass beim Auftreten einermehr oder wenig harmlosen Gewebs-veränderung allfällige Ursachen beseitigt

werden sollten, insbesondere wenn essich um mechanische oder irritative Fak-toren handelt. Es kann ruhig bis zu einerWoche bis zum ersten Recall zugewartetwerden. Hat sich keine Besserung einge-stellt, sollte dann aber der Patient umge-hend zu einem Spezialisten weitergelei-tet werden. Dieser kann dann im Ver-dachtsfall eine Probebiopsie entnehmen,entweder mit dem Skalpell oder mit ei-nem CO2-Laser.

Allergische und Immunkrankheitender MundhöhlenschleimhautDr. Michael Bornstein, Klinik für Oral-chirurgie und Stomatologie der UniversitätBernAls Leiter der Stomatologiesprechstundeder Klinik für Oralchirurgie und Stoma-tologie der Universität Bern war dieserReferent besonders berufen, das Riesen-gebiet der allergisch und immunologischbedingten Dermatosen und ihrer spezifi-schen Erscheinungsformen in der Mund-höhle zu diskutieren.Je nach Lokalisation der pathologischenProzesse im Gewebe können drei grund-sätzliche Gruppen der bullösen Autoim-mundermatosen unterschieden werden:Der Pemphigus vulgaris, das Pemphigoidund der orale Lichen planus (OLP).Der Pemphigus vulgaris gehört zu den int-raepidermalen Läsionen, denn er führtzu einer typischen Akantholyse inner-halb des Epithels. In der Stomatologiespielt der Pemphigus aber eine sehr un-tergeordnete Rolle. Wesentlich häufigersind Erkrankungen, die eine junktionaleAblösung des Epithels von der Laminalbasalis verursachen. Die typischen Ver-treter dieser Form sind das Pemphigoidund der orale Lichen planus (OLP).Das vernarbende Schleimhaut-Pemphigoid,in der Stomatologie weitaus häufiger an-zutreffen, entsteht durch einen Verlust

Zwei Eckpfeiler der reibungslosen Or-ganisation des Kongresses in Luzern:Antoine Zimmer, Präsident der SSO,und Monika Lang, Sekretariat der SSO.

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der Haftung des Epithels an der Basal-membran infolge einer Antigen-Anti-körperreaktion. Es kommt zur Bildungvon Blasen und einer Ablösung desEpithels. Anschliessend werden die Lä-sionen, die meist nahe der Gingiva si-tuiert sind, von einem Fibrinbelag über-zogen und vernarben. Die Diagnose er-gibt sich zunächst aus der Klinik unddem Nikolski-Test, bei dem das Berührender Schleimhaut mit einen stumpfenInstrument oder mit dem Stahl des Luft-bläsers die lokale Bildung einer Blaseauslöst. Die Histologie von Biopsien isteher unspezifisch, wobei die direkte Im-munfluoreszenz IgG und IgA, aber keineIgM nachweisen kann. Die Behandlungbasiert auf der lokalen Anwendung vonCorticoiden, in Form von Cremen, Pastenoder Spülmitteln.Mit einer Prävalenz von 0,1–2,2% istder orale Lichen planus (OLP) eine rechthäufige Erkrankung der Mundhöhlen-schleimhaut. OLP ist die orale Manifes-tation des Lichen ruber planus und kannin dieser Form unabhängig von dermato-logischen Symptomen auftreten. Amhäufigsten sind Patienten im Alter vonetwa 60 Jahren betroffen. Unterschiedenwerden einerseits die retikulären, pa-pulären und Plaque-ähnlichen Formenund andererseits der atrophische, ulzera-tive und bullöse Typ. Während Ersteremeist asymptomatisch verlaufen, istLetzterer typischerweise mit erheblichenSchmerzen verbunden. Auch beim OLPist die Histologie unspezifisch und um-fasst ein Infiltrat von Leukozyten, vorallem von T-Zellen, und Ablagerungenvon Kolloid, die als «Civatte-Bodies» be-zeichnet werden. Über die Ätiologie desOLP wird in der Literatur spekuliert, ge-

sichert ist aber nur, dass in irgendeinerWeise die T-Zellen impliziert sind. Ver-mutlich löst eine Freisetzung von Anti-genen aus der Basalmembran die immu-nologische Reaktion aus. Auch ein Zu-sammenhang mit Hepatitis C wird seitneustem diskutiert. Wie beim Schleim-haut-Pemphigoid beruht auch die Be-handlung des OLP auf der Anwendungvon Corticosteroiden, sei es topisch oderintraläsional, in schweren Fällen auchsystemisch. Retinoide und Cyclosporinkommen als Alternativen ebenfalls inFrage. Wegen des erheblichen Risikos,ein Köbner-Phänomen auszulösen, solltegrundsätzlich auf chirurgische Massnah-men verzichtet werden.Die oralen lichenoiden Läsionen (OLL)sind zwar nur in Form von Case reportsbeschrieben, scheinen aber trotzdemeine eigenständige Gruppe von aller-gischen Reaktionen der Mundhöhlen-schleimhaut darzustellen. Es werden inder Literatur sowohl metallische (insbe-sondere Amalgam und Goldlegierungen)wie auch pharmakologische (Medika-mente gegen Malaria und Bluthoch-druck) Faktoren als Auslöser beschrie-ben. Die allergische Hypothese wird ei-nerseits gestützt durch die Tatsache, dassin 14–62% der Fälle eine Reaktion aufQuecksilber nachgewiesen werden kann(wobei der Epikutantest recht diskutableResultate liefert). Andererseits wurdenach Elimination der Noxe in der Mehr-zahl der Fälle ein Verschwinden derLäsionen beobachtet. Die Diagnose derOLL ist nicht einfach zu stellen, aber siesollte gegen OLP abgegrenzt werden.Oft wird die Verdachtsdiagnose erst durchdie Behandlung erhärtet, beispielsweisedurch eine Amalgamsanierung.

Mundbrennen und XerostomiePD Dr. Markus Koller, Klinik für Alters-und Behindertenzahnmedizin, ZZMKZürichObwohl Xerostomie und Burning MouthSyndrome scheinbar nahe miteinanderverwandt sind, treten diese beiden Er-krankungen selten zusammen auf, aus-genommen bei spezifischen psychischenKrankheiten oder als Folge einer Poly-pharmazie, wie sie besonders bei älterenMenschen häufig anzutreffen ist.Xerostomie beschreibt das subjektiveGefühl von Mundtrockenheit. Die hohePrävalenz unter älteren Menschen ist aufdie allgemeinmedizinischen Erkrankun-gen und die Pharmakotherapie zurückzu-führen. Das Gefühl von Mundtrockenheittritt auf, wenn die Speichelflussrate um50% vermindert ist. Obwohl physiolo-gisch im Alter die Funktion der Spei-cheldrüsen abnimmt, kommt es wegender Kompensation durch die Reservege-webe nicht obligatorisch zu einer Xeros-tomie, sondern wenn eine solche auftritt,ist sie immer durch eine andere Patholo-gie bedingt. Die Hauptursache für einechronische Verminderung des Speichel-flusses ist die Pharmakotherapie, beson-ders die Einnahme von Psychopharmaka.Mit zunehmendem Alter steigt der Medi-kamentenkonsum aufgrund der Polymor-bidität und Polypathie an. Als weiterehäufige Ursachen, die für den Zahnarztrelevant sein können, sind die Radio-therapie im Kopf-, Halsbereich und Auto-immunerkrankungen, insbesondere dasSjögren-Syndrom zu nennen. Letzteres istfür rund 70% der klinischen Xerostomienverantwortlich. Infolge der Speicheldrü-senhypofunktion gehen die Schutz-funktionen des Speichels verloren; dieorale Mukosa trocknet aus und wird dünnund glanzlos. Die gehäuft auftretendentraumatischen Läsionen und Fissurierun-gen stellen ein erhöhtes Risiko für bakte-rielle, virale oder mykotische (Candida)Infektionen dar. Die trockenen, klebendenSchleimhäute verursachen Schwierigkei-ten beim Sprechen und Essen.Therapeutisch steht die Linderung deroralen Symptomatik im Vordergrund. Beigut kollaborierenden Patienten kann diesdurch das Kauen von Kaugummis mitZusatz von Xylit erfolgen, saure Bonbonsund Ähnliches sind wegen der herabge-setzten Pufferkapazität tunlichst zu ver-meiden. Als zusätzliche Massnahmensind die regelmässige Flüssigkeitszufuhr,Luftbefeuchter und topische Anwendun-gen von Produkten zur Mundbefeuch-tung oder künstlichem Speichel zu er-wähnen.

Nicht nur Kongressteilnehmer, sondern auch viele Touristen tummelten sich aufdem Vorplatz des imposanten KKL von Jean Nouvel.

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Beim Mundbrennen oder Burning MouthSyndrome (BMS) hingegen ist die oraleMukosa in der Regel unauffällig. BMS istgekennzeichnet durch eine Vielzahl vonSymptomen, die sehr variabel auftretenkönnen. Meist tritt das brennende oderstechende Gefühl auf dem vorderenDrittel der Zunge, am Gaumen oder anden Lippen auf. Die Symptomatik kannkonstant sein, oder der Patient ist nachtsbeschwerdefrei. Der Beginn ist allmäh-lich oder plötzlich. BMS betrifft meistFrauen im Alter von 40–49 Jahren (15%),im Klimakterium (26%) oder mit Diabe-tes (10%). Unter den Ätiologien stehenInfektionen durch Candida albicans,OLP und mechanische oder irritative Ur-sachen im Vordergrund. Vitaminmangel,Medikamente und psychische Störungenwie Depressionen und Phobien könnenebenfalls ein BMS hervorrufen. Wegender grossen Variabilität des BMS ist eineausführliche Anamnese sehr wichtig. Dieklinische Untersuchung umfasst dieInspektion und Palpation, besonders die-jenige der Speicheldrüsen.Eine Behandlung kommt nur bei umris-sener Ätiologie in Frage, bei idiopathi-schen Fällen ist es besser, nichts zu tun,um keine falschen Hoffnungen zu we-cken. Allenfalls kann bei Verdacht einerpsychischen Komponente eine kognitiveVerhaltenstherapie oder die Verschrei-bung subdosierter trizyklischer Antide-pressiva hilfreich sein.

Myoarthropathien und GesundheitPD Dr. Jens Türp, Klinik für Prothetik undKaufunktionslehre, Zentrum für Zahn-medizin der Universität BaselWie der Referent eingangs erwähnte, gibtes relativ wenige Übersichtsarbeiten zumThema der Zusammenhänge zwischenden Myoarthropathien (MAP) und derallgemeinen Gesundheit. So ergab zumBeispiel eine Internetsuche bei Medline/PubMed nur gerade zwei Treffer. Dieklinische Trias der MAP, zusammenge-setzt aus Schmerzen, Einschränkung derUnterkieferbeweglichkeit und Gelenks-geräuschen, erfuhr in neuerer Zeit eineNeugewichtung. Das herausragendeSymptom ist in dieser Betrachtungsweisedas Vorhandensein von (chronischen)Schmerzen, während die funktionellenEinbussen und besonders die Geräuscheals zweitrangig eingestuft werden. DieMAP werden auch als kraniomandibu-läre Dysfunktionen bezeichnet. Frauensind zweimal häufiger betroffen als Män-ner. Im Gegensatz zu anderen Bereichenin der Zahnmedizin steht der Patient mitseinem Wunsch nach Behandlung im

Zentrum bei der Definition einer Be-handlungsnotwendigkeit und nicht wiesonst der Behandler. Trotzdem ist festzu-halten, dass gerade beim KiefergelenkAbweichungen von der Norm nicht au-tomatisch als pathologisch (und damit zubehandelnd) gelten dürfen. Der Spezia-list warnte eindringlich vor dem Risikoder Überdiagnostik und Überbehand-lung in diesem Gebiet. «Der Mensch istkein Artikulator und die Gnathologie istdoch bloss die Wissenschaft, die be-schreibt, wie Artikulatoren kauen!»Bei der Symptomatik gibt es eine grossebiologische Variabilität, beispielsweisekönnen Geräusche oft ohne Schmerzenauftreten. Demzufolge sollte sich derZahnarzt bei der Abklärung einer allfälli-gen Behandlungsnotwendigkeit am bes-ten an den Rheumatologen und Or-thopäden orientieren. Reibegeräuschesind meist ein klinisches Zeichen für eineArthrose, doch nicht jede Arthrosebraucht eine Behandlung. Ebenso sindKnackgeräusche eine Variation der Nor-malität und benötigen weder eine Diag-nose noch eine Therapie. Nur 5–12% derdurch Geräusche auffälligen MAP verur-sachen klinisch relevante Schmerzen, inder Altersgruppe 35–44 Jahre im Durch-schnitt 4,4%.Wird in solchen Fällen sys-tematisch zur Kernspintomographie ge-griffen, verursacht dies nicht nur unnöti-ge Kosten, sondern führt allenfalls auchzu einer ebenso überflüssigen (Über-)Be-handlung.MAP können aber auch im Zusammen-hang mit allgemeinmedizinischen Prob-lemen auftreten, insbesondere bei rheu-matischen Erkrankungen wie Polyarth-ritis oder Fibromyalgie. Zudem gibt esÜberlappungen mit funktionell somati-schen Erkrankungen, unter anderen dasColon irritabile oder die Fibromyalgie.Andere Manifestationen von MAP wer-den als Folge therapeutischer Massnah-men beobachtet, insbesondere nach Ent-fernung von Weisheitszähnen, Intuba-tionsnarkosen und bei Patientinnen un-ter Hormonsubstitution oder oraler Kon-trazeption (um 30 respektive 20% erhöh-tes Risiko für MAP!).Die allgemeine Gesundheit kann durchMAP erheblich beeinträchtigt werden.Es kann, wie bei anderen chronischenSchmerzen, zu einer allgemeinen Hyper-algesie, zu einer Somatisierung oderauch zu psychischen Störungen (Ängst-lichkeit oder Depressionen) kommen.Daraus ergibt sich für die Therapie dieNotwendigkeit, MAP nicht nur soma-tisch anzugehen, sondern in Kooperationmit anderen Fachgebieten. Es gilt, je nach

Patient Physiotherapeuten, Rheumatolo-gen und klinische Psychologen in dieAbklärung und therapeutische Planungeinzubeziehen. Gerade die psychologi-sche Beratung ist wichtig, weil MAP fastimmer durch die Diskrepanz zwischenklinischem Befund und subjektivemEmpfinden geprägt sind.Unter-, Über- und Fehlbehandlungenvon MAP sind häufig und entstehenmeist durch die «krampfhafte Suchenach dem morphologischen Substrat».Der Schlüssel zum Erfolg in der Therapieliegt aber bei dieser Pathologie nicht inder Apparatemedizin, die uns so naheliegen würde, sondern vielmehr in derKrankengeschichte. Die Therapie derMAP soll immer symptomorientiert ge-staltet werden nach dem Prinzip des«low tech, high prudence, approach».Ebenso sollen nur konservative und re-versible Massnahmen zum Einsatz kom-men, sonst besteht die Gefahr einer «kli-nischen Iatrogenesis». Zum Schluss for-derte der Spezialist zum längst fälligenParadigmenwechsel auf, damit MAPkünftig möglichst aus einer biologischenSichtweise und multidisziplinär ange-gangen werden.

Die Bedeutung des Zahnarztes beider Erkennung von Erkrankungen im AlterDr. Christian Besimo, Aeskulap-Klinik,Brunnen«Alle wollen alt werden, aber keiner willes sein!» Mit diesem prägnanten Satzführte der Referent in seine Betrachtun-gen ein zu den Veränderungen des de-mographischen Profils in der Schweizund ihren Konsequenzen für das Ge-sundheitswesen und im Besonderen fürdie Zahnärzteschaft. Mit eindrucksvollenStatistiken legte er dar, dass die gesell-schaftspolitischen Folgen des rasanten

Die Pausen boten eine willkommeneGelegenheit, frische Luft zu schnappenund informell mit Kollegen zu diskutie-ren.

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Zuwachses von Senioren, auch im Seg-ment der 80- bis 90-Jährigen, noch längstnicht erkannt sind. So ist beispielsweisedie Zahl der Erwerbstätigen pro AHV-Bezüger in den letzten Jahren von 4,7 auf2,5 gesunken. Parallel dazu nehmendie Gesundheitskosten exponentiell zu.Auch im Gebiet der Zahnmedizin. Heutesind gegen 41 Prozent der Schweizer imAlter von 15 bis 71 Jahren vollbezahnt.66 Prozent der 65- bis 74-Jährigen trageneinen abnehmbaren Zahnersatz, abernur 43 Prozent in diesem Alterssegmentgehen in ein jährliches Recall, gegenüber70 Prozent der Bevölkerung generell.Nach diesen allgemeinen Betrachtungenging der Spezialist etwas detaillierter aufdie fundamentalen Veränderungen ein,die das Altern mit sich bringt. Sie sindgeprägt von einer mehr oder wenigermarkanten Abnahme der kognitiven Fä-higkeiten, der neuromuskulären Steue-rungsmechanismen (und damit der ma-nuellen Geschicklichkeit, die für einekorrekte Mundhygiene unabdingbar ist)sowie der Lernfähigkeit (und damit derMöglichkeit, sich an eine veränderte ora-le Situation anzupassen). Depression, De-menz und Delirium nehmen ab 70–80Jahren rasant zu. Es kommt zur Vereinsa-mung und zum Verlust der Mobilität undder Selbstständigkeit, schliesslich zur«Abschiebung» ins Heim. Parallel dazunimmt mit zunehmendem Alter gegebe-nermassen die Polymorbidität und Poly-pathie zu und damit auch die Polyphar-mazie mit all ihren Konsequenzen, gera-de auch in der Mundhöhle. Ausser derGefahr des Auftretens von durch Medi-kamenten bedingten Nebenwirkungen(insbesondere Xerostomie) ist zu letztemPunkt zu bedenken, dass auch die Phar-makokinetik im Alter signifikant verän-dert ist. Dosierungen sind entsprechendanzupassen und die durch kognitiveHandicaps nicht immer verlässlicheCompliance sorgfältig zu überwachen.Gemäss Prognosen aus kompetentenQuellen dürfte sich die Zahl der Patien-ten mit Alzheimer von heute 70 000 inden nächsten 15 Jahren verdoppeln.30 Prozent der über 80-Jährigen leidenheute unter irgendeiner Form der De-menz, davon 20 Prozent an Alzheimer.Daher ist es wichtig, dass auch der Zahn-arzt in der Lage ist, ein Grobscreeningdurchzuführen, am besten mit der MiniMental Scale Examination (MMSE) nachFolstein.Dazu kommt, dass 20 Prozent der über65-Jährigen an klinisch relevanten De-pressionen leiden, die aber häufig garnicht diagnostiziert werden. Auch hier

kann mit der Geriatric Depression Scale(GDS) eine erste Einschätzung vorge-nommen werden. Insbesondere ist dieDepression differenzialdiagnostisch ge-genüber einer Demenz abzugrenzen.Als «Take Home Messages» forderte derReferent die multidimensionale Erfas-sung des Alterns, unter Berücksichtigungder biologischen und pathologischenVeränderungen bei der zahnmedizini-schen Betreuung. Dies ist nur möglichdurch eine multidisziplinäre Zusammen-arbeit zwischen Zahnarzt und Ärzten inDiagnose und Therapie. Das Ziel heisstPrävention und nicht Reparation.

Malnutrition, Delirium, Demenz: Was geht das den Zahnarzt an?Prof. Dr. Walter O. Seiler, Geriatrische Universitätsklinik, BaselIn seinem Vortrag vertiefte dieser Spezia-list der Geriatrie die wichtigsten Aspekteder Demenz und der Fehl- oder Mangel-ernährung im Alter. Demenz ist geprägtdurch Gedächtnisstörungen und die Ab-nahme der kognitiven Fähigkeiten inverschiedenen Schweregraden. Alzhei-mer (Alzheimer’s Disease, AD) ist sicherdie prominenteste Form der Demenzund betrifft 15 bis 20 Millionen Men-schen weltweit. Wissenswert ist, dass ei-ner der physiopathologischen Gründefür AD die markante Abnahme der Ver-fügbarkeit des Neurotransmitters Acetyl-cholin ist. Man spricht in diesem Zusam-menhang auch vom «anticholinergen»Patienten. So setzen denn auch die neuenAnti-Alzheimer-Medikamente (Aricept®,Exelon®, Reminyl®, Axura®) auf die Hem-mung der Acetylcholinesterase. Der an-dere bei der Entstehung von AD verant-wortliche Faktor scheint die Ablagerungvon Amyloid zu sein, ein Prozess, derschon ab 40 Jahren einsetzt. Hier sollenmonoklonale Antikörper als Impfstoffegegen die Amyloid-Depots präventivund therapeutisch eingreifen. Es istdurchaus möglich, dass ein Patient in derZahnarztpraxis einen akuten Schub vonDemenz in Form eines Deliriums erlei-det.Genereller Appetitmangel, aber auchEinsamkeit und Armut spielen bei derMalnutrition die Schlüsselrollen. Der Be-ginn ist oft schleichend, meist in Formdes Vermeidens von Fleisch in derErnährung.Verschiedene Studien zeigteneine Beziehung zwischen Protein-Ener-gie-Malnutrition und längeren Spitalauf-enthalten, höheren Komplikationsratenund höherer Mortalität. Das Screeningerfolgt am besten über die Messung desSerum-Albumins. Ebenso zeigte sich,

dass Gewichtsverlust bei älteren Men-schen das Risiko, zu sterben oder abhän-gig zu werden in den Aktivitäten destäglichen Lebens, deutlich erhöht. Einniedriger Bodymass-Index ist ein signi-fikanter und unabhängiger Prädiktor fürverkürztes Überleben. Ältere Menschen,insbesondere solche mit einer Protein-Energie-Malnutrition, sind häufig aucheinem höheren Risiko für Vitamin- undSpurenelemente-Mangelzuständen aus-gesetzt. Vitaminmangelzustände könnenzu kognitiven Störungen führen – z.B.beim Vitamin B12; auch zeigte es sich,dass eine Nahrungsergänzung mit Vita-min D die Häufigkeit von Stürzen redu-ziert.

Nagen orale Bakterien an der Gesundheit?Prof. Dr. Ulrich Saxer, Prophylaxe-SchuleZürich NordAn den Anfang seines Referats stellteProf. Saxer noch einmal eine Zusam-menfassung der wichtigsten Paradig-menwechsel in der Parodontologie, dieseit den 70er-Jahren festzustellen sind.Anstatt einer unspezifischen Entzün-dung, die jedermann jederzeit gleicher-massen gefährdet, verstehen wir heutedie Parodontitis als spezifische multifak-torielle Infektionskrankheit, die nichtstetig und linear, sondern schubweiseverläuft. Auch ist das Dogma von derProportionalität zwischen Plaquebefallund Mundhygiene einer weit differen-zierteren, wenn auch komplexeren Be-trachtungsweise der Ätiologie gewichen.Risikofaktoren, Wirtsantwort und Beein-flussbarkeit der Wundheilung stehenheute im Vordergrund. Für Rauchen, Dia-betes und das Risiko untergewichtigerFrühgeburten sind diese Wechselwirkun-gen heute gesichert. Als fundiert werdenauch Zusammenhänge zwischen Nie-renerkrankungen, Schlaganfall und Hirn-infarkt, Pneumonie und kardiovaskulärePathologien angesehen.Parodontitis führt zu einer chronischenBelastung des Organismus mit gramne-gativen Bakterien und entsprechendenimmunologisch aktiven Antigenen undLipopolysacchariden. Granulozyten, Mo-nozyten und Entzündungsmediatorenwie PGE2, IL-1b oder TNF-a können so-wohl lokal wie auch systemisch Reaktio-nen in verschiedenen Organsystemenauslösen. Aber auch direkte Einwirkun-gen, wie z.B. die Aspiration von oral pa-thogenen Keimen aus dem Oropharynxin die Atemwege, können zu Komplika-tionen führen. So ist belegt, dass dasRisiko von Lungenentzündungen durch

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respiratorische Pathogene, die man auchals Auslöser von Parodontitis bei institu-tionalisierten Patienten und bei Opera-tionen unter Intubationsnarkose kennt,wesentlich erhöht ist. Mit Hilfe vonMundspülungen mit Chlorhexidin kanndieses Risiko gesenkt werden kann. Auchbei Diabetes sind die Zusammenhängezwischen bakterieller Belastung, Gefäss-veränderungen und reduzierter Immun-abwehr heute gut belegt.Der Spezialist aus Zürich bedauertezwar, dass Interventionsstudien als letz-ter schlüssiger Beweis der Zusammen-hänge zwischen Parodontitis und All-gemeinerkrankungen nicht realisierbarsind. Doch gibt es recht schlüssige Resul-tate aus grossen klinischen Studien undauch aus Laborversuchen, die kaum nochZweifel an der Existenz solcher Wechsel-wirkungen offen lassen. Es ist wichtig,diese Erkenntnisse zu thematisieren undan die Mediziner weiterzugeben, da dieÄrzteschaft sich nur unzureichend mitdiesen Problemen beschäftigt. Es bestehthier durchaus ein Nachholbedarf!

Antibiotische Prophylaxe und Therapie in der ZahnmedizinProf. Dr. J.Thomas Lambrecht, Klinik fürzahnärztliche Chirurgie, Radiologie, Mund-und Kieferheilkunde, Zentrum für Zahn-medizin der Universität BaselAls Leitregel der antibiotischen Prophy-laxe und Therapie sollte der Zahnarzt inerster Linie den unnötigen Einsatz vonAntibiotika vermeiden respektive dieseSubstanzen nur in Fällen mit einer be-gründeten Verdachtsdiagnose einsetzen.Zur Vermeidung von Resistenzen, die zu-nehmend ein Problem darstellen, ist dieBehandlung mit Schmalspektrum-Anti-biotika immer vorzuziehen. Falls die er-wartete Antwort ausbleibt, kann gegebe-nenfalls auf eine alternative Substanz um-gestellt werden. Zu unterscheiden ist die«kalkulierte» antibiotische Behandlung,abgestützt durch ein Antibiogramm, ge-genüber der «ungezielten» Therapie.Zu beachten sind ferner die allfälligenNebenwirkungen von Antibiotika. Eskann zu toxischen, biologischen (Super-infektionen durch opportunistische Kei-me wie Candida albicans) und allergi-schen Reaktionen kommen. Letzteresind nicht abhängig von der verabreich-ten Dosis und können auch ohne anam-nestische Hinweise plötzlich auftreten.Wechselwirkungen mit Antikoagulantienund Kontrazeptiva sind häufig.Im Allgemeinen ist eine Chemoprophy-laxe eher die Ausnahme, kann aber beilänger dauernden chirurgischen Eingrif-

fen oder erhöhtem Kontaminationsrisi-ko sowie bei internistischen Risikopa-tienten (Stichwort: Endokarditisprophy-laxe) durchaus indiziert sein. Eine Endo-karditisprophylaxe muss bei allen Patien-ten mit künstlichen Herzklappen oderKlappenvitien durchgeführt werden. DreiVarianten stehen zur Diskussion: dieKurzzeitprophylaxe, 4–2 Stunden prä-operativ beginnend und während48 Stunden postoperativ verlängert, mitder Variante der Ultrakurzprohylaxe, dienur während 24 Stunden postoperativaufrechterhalten wird, sowie die «OneShot»-Prophylaxe.Wie eingangs erwähnt, soll eine antibio-tische Therapie nur nach Stellung einerbegründeten Diagnose und allfälligerAbklärung der Ätiologie des Infekts ein-gesetzt werden. Zwingend ist eine solcheBehandlung bei Abszessen in der Fossacanina und bei retromolaren oder para-pharyngealen Abszessen wegen der Ge-fahr der Dissemination in lebenswichtigeOrgane. Bei aggressiven Formen paro-dontaler Erkrankungen kann eine anti-biotische Therapie als adjuvante Mass-nahme in gewissen Fällen diskutiert wer-den. Falls möglich, sollte hier durch einelokale Applikation die systemische Gabevon Antibiotika vermieden werden.Spezifische Indikationen für eine anti-biotische Prophylaxe oder Therapie sindInfektionen und andere Komplikationennach chirurgischen Eingriffen (z.B. frei-liegender Nervus mandibularis nachZystektomie), Augmentationen mit auto-logem Knochen, Periimplantitis und of-fene Frakturen in der Traumatologie. BeiInfekten der Kieferhöhle ist eine antibio-tische Behandlung nicht primär indiziert,es sei denn, es handle sich um eine Perfo-ration oder eine mehr als 6 Stunden per-sistierende Eröffnung.Bei Risikopatienten mit internistischenGrunderkrankungen, Diabetes, anikoa-gulativer Medikation und während der

Schwangerschaft sollte über den Nutzeneiner antibiotischen Behandlung beizahnärztlichen Eingriffen individuell mitdem behandelnden Arzt diskutiert wer-den oder der Patient von vornherein aneinen Spezialisten, eine Klinik oder einuniversitäres Zentrum gewiesen werden.

Prävention und Therapie beimstrahlenbelasteten PatientenDr. Gion Pajarola, Poliklinik für OraleChirurgie der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, ZZMK ZürichZwischen 0,5 und 2 Prozent der Krebs-erkrankungen betreffen den Kopf- undHalsbereich. Diese werden meist durchChemo- und Radiotherapie, in manchenFällen in Kombination, behandelt. Des-halb ist die Prävention und Therapiebeim strahlenbelasteten Patienten auchin der Zahnmedizin ein wichtiges The-ma. Nach den üblicherweise eingesetz-ten Dosen von 6–70 Gy treten kurz- undlangfristige Gewebeveränderungen inden bestrahlten Geweben auf, die zumTeil durch die Chemotherapie noch po-tenziert werden. Die Radiotherapie kannnormo- oder hyperfraktioniert zum Ein-satz kommen. Die letzte Errungenschaftauf diesem Gebiet ist die so genannteintensitätsmodulierte Strahlentherapie(IMRT). Sie zeichnet sich insbesonderedurch eine signifikante Verminderungdes Risikos der gefürchteten Osteoradio-nekrose aus, die bei Dosen ab 66 Gy inerster Linie in der Mandibula auftritt.Auch erlaubt die IMRT, bei der Indika-tionsstellung der Herdsanierung wenigerradikal vorzugehen.Während unter den erwünschten Folgender Radiotherapie die Abtötung (Apop-tose) der tumoralen Zellen im Vorder-grund steht, überwiegen doch die uner-wünschten Nebenwirkungen erheblich.Es kommt zu einer Hemmung der Hei-lungsvorgänge, was besonders nach Ex-traktionen zu Komplikationen führt.

Keine Panik, das KKL ist nicht für einen Umbau eingerüstet ... Die Lichtreflexe inden filigranen Elementen der Fassade wirken geradezu impressionstisch.

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Auch Ulzerationen und Nekrosen vonHaut und Weichgewebe, Infekte undXerostomie kommen als direkte und in-direkte Folgen häufig vor.Die Prävention zielt auf die Erhaltungder Kaufähigkeit ab. Es ist wichtig, vorder Bestrahlung durch eine sorgfältigeHerdabklärung alle potenziellen und ma-nifesten Infektionsquellen auszuschaltenrespektive zu sanieren. Dadurch soll eineklare Situation geschaffen werden, wobeidie Indikationen wesentlich radikalersein müssen als z.B. vor einem herzchi-rurgischen Eingriff. Der Patient muss vorund nach der Radiotherapie präzise In-formationen und Instruktionen erhaltenund in eine langfristige zahnärztlicheProphylaxe eingebunden sein.Therapeutisch können die Folgen der zuerwartenden Xerostomie durch Medika-mentenschienen und intensive Fluori-dierung abgefangen werden. Die trocke-nen, klebenden Schleimhäute verursa-chen Schwierigkeiten beim Sprechenund Essen. Eine beeinträchtigte Ge-schmackswahrnehmung, Kau- undSchluckschwierigkeiten sind Beschwer-den, die mit der Nahrungsaufnahme ein-hergehen. Diese Komplikationen kön-nen durch die Anwendung von Speichel-ersatzprodukten signifikant abgedämpftwerden. Kommt es zu einer verringertenMundöffnung durch Vernarbung oderstrahlenbedingten Verlust der Elastizitätder Weichgewebe, ist eine funktionelleRehabilitation indiziert. Intraoral wirdder Komfort des Patienten je nach Situa-tion nur durch Schutzplatten oder fallsmöglich durch temporären oder definiti-ven Zahnersatz verbessert. EngmaschigeKontrollen sind unabdingbar, um Druck-stellen und andere Kompressionen um-gehend beseitigen zu können.Zusammenfassend meinte der Referent(und frisch gekürtes Ehrenmitglied derSSO!), die Prävention und Therapie beimstrahlenbelasteten Patienten müsse aufvier Pfeilern stehen: Abklären – Beurtei-len – Sanieren – Betreuen.

Allergologische Probleme in der ZahnmedizinProf. Dr. Brunello Wüthrich, Dermatolo-gische Klinik und Poliklinik des Kantons-spitals ZürichGleich eingangs bedauerte der Referent,dass das medizinische Wissen der Zahn-ärzte durch die zunehmende Spezialisie-rung heute leider oft untergeht. Es istaber wichtig, dass der Zahnarzt geradeauch auf dem Gebiet der allergischen Re-aktionen ein solides Grundwissen be-sitzt, denn eine Vielzahl der in der Zahn-

medizin verwendeten Substanzen undMaterialien können solche auslösen. DasSpektrum umfasst Lokalanästhetika,Wurzelfüllmaterialien, Kunststoffe undfast alle Füllungsmaterialien, insbeson-dere die neuen adhäsiven Systeme. Dazukommen Unverträglichkeiten oder Aller-gien gegen Desinfektionsmittel, Latexund von Zahnärzten verschriebene Me-dikamente, vor allem gewisse Antiphlo-gistika. Obwohl recht selten, könnenAllergien auf Chlorhexidin vorkommen.Häufiger sind Reaktionen und Unver-träglichkeiten nach Einnahme von nicht-steroidalen Entzündungshemmern zubeobachten. Als Alternativen stehen Pa-racetamol oder die neuen Coxibe zurVerfügung. Im Falle von Latexallergienbesteht übrigens häufig eine Kreuzreak-tion auf Pflanzen wie Ficus benjamina(«Gummibaum») und auf Früchte wieBananen, Kiwi und Avocado, sowie aufBuchweizen!Das prominenteste Beispiel sind aber dieAllergien gegen die in den Lokalanästhe-tika enthaltenen Konservierungsstoffewie Methlylparaben oder Natriumdisulfit.Diese können sowohl eine echte allergi-sche Reaktion vom Typ I (IgE-vermittelt)oder Typ IV (T-Zell-vermittelt) auslösenoder auch eine Pseudoallergie im Sinneeiner Intoleranz. Diese ist unspezifischund durch die Ausschüttung von Hista-min bedingt. Daneben ist die echte phar-makologische Intoleranz, meist gegenAdrenalin, bekannt. Auch direkte toxischeReaktionen sind beschrieben worden.Wichtig ist zu wissen, dass Angst so ge-nannte «bedingte Reaktionen» auch oh-ne Einfluss eines Allergens verursachenkann. Weil es in diesen Fällen zu einermassiven Ausschüttung von Histaminund Acetylcholin kommt, sind solchePhänomene nicht immer von einer aller-gischen Reaktion zu unterscheiden.Die typischen Symptome sind Juckreizauf der Kopfhaut und an den Extremitä-ten, Urtikaria und im schlimmsten Falldas Quincke-Ödem. Die neurovegetati-ven Folgen sind Tachykardie, Unwohlseinund Schweissausbrüche. Im Verdachtsfallkann ein Prick- oder Epikutan-Test füreine erste Einschätzung durchgeführtwerden. Die weitere Abklärung ist dannmeist sehr aufwendig und kosteninten-siv. Ausser den obligaten Laboruntersu-chungen basiert sie in erster Linie aufsubkutanen placebokontrollierten Pro-vokationen mit verschiedenen Substan-zen. Der Zahnarzt sollte dem untersu-chenden Spezialisten eine möglichst de-taillierte Liste der in Frage kommendenSubstanzen oder Materialien (nach Be-

darf unter Angabe der genauen Zusam-mensetzung!) zustellen.Was sollte man im Notfall in der zahn-ärztlichen Praxis zur Verfügung haben?Ausser Sauerstoff vor allem ein schnellwirkendes Antihistamin (z.B. Semprex®)und ein Corticosteroid (Prednison, 2�50mg per os oder Betnesol® 2�0,5 mgper os). Der Epi-Pen-Autoinjektor ist dasideale Mittel zur Verabreichung von Ad-renalin im Falle eines anaphylaktischenSchocks. Alle Zwischenfälle sind dembehandelnden Arzt zu melden und derPatient ist einem Spezialisten zur weite-ren Abklärung zu überweisen.

SchlussbemerkungenMit 1430 angemeldeten Zahnärztinnenund Zahnärzten sowie 540 Dentalassis-tentinnen war der diesjährige SSO-Kon-gress ein voller Erfolg und auch rekord-verdächtig gut besucht. Wahrscheinlichgerade wegen des ebenso spannendenwie wichtigen Themas, das wie eingangserwähnt in der täglichen Routine oft un-terbewertet wird. Ein ganz grosser Danksei an dieser Stelle noch einmal an JürgEppenberger, Luzern, Präsident des Or-ganisationkomitees, und an seinen Vize,Daniel Meyer, sowie an das Team derSSO (Monika Lang, Liliane Orlando undHans-Caspar Hirzel), gerichtet, die allegemeinsam für eine fehlerlose Abwick-lung des Kongresses verantwortlich zeich-neten. Es bleibt nur zu hoffen, dass dieAusgabe 2004 unter dem Thema «Sozia-le Zahnmedizin – wirtschaftlich und ziel-gerichtet», vom 10. bis 12. Juni 2004 inInterlaken, ebenso viel Interesse weckenwird. ■

Andere drängten sich an den Ständender Dental-Ausstellung im Foyer desKKL, um aus erster Hand mehr über dieneusten Angebote der Industrie zu er-fahren.

Die CD-ROM mit den Präsentatio-nen in Wort und Bild ist erschie-nen. Sie können sie zum Preis vonFr. 80.– (+MWST und Versandkos-ten) beim SSO-Shop beziehen.

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Ein Seminar zur Schulung in «evidence based dentistry» (EBD) für die Vorbereitung der in-terdisziplinären SSO-Fortbildungswoche 2005, Emmetten (OW), 5–7. Mai 2003

Systematic reviews in oral health careDr. med. dent. Giovanni Ruggia, Contrada del Torchio, 6934 Bioggio,[email protected]

Am 5., 6. und 7. Mai haben sich mehr als 50 Angehörige der vier zahnmedizinischen Uni-versitätszentren sowie praktizierende Zahnärzte und Vertreter von Fachgesellschaften im Ho-tel Seeblick in Emmetten zur Vorbereitung der Interdisziplinären Fortbildungswoche 2005 derSSO versammelt. Ziel des Seminars, unter Leitung von Dr. Ian Needleman, Eastman DentalInstitute, London, war, sich mit Theorie und Praxis der Evidence based dentistry (EBD) ver-traut zu machen und die Durchführung von «systematic reviews» zu üben. Ziel solcher Ar-beiten ist es, dem Zahnarzt Informationen zu liefern, die wissenschaftliche Korrektheit mitRelevanz für die Praxis vereinen.

EBD befindet sich an der Schnittstellezwischen klinischer Forschung, klini-scher Erfahrung und Patientenerwartun-gen. Ihr Kernverfahren ist die Formulie-rung spezifischer Fragen resultierend auseinem Patientenproblem. Die Antwortenzu diesen Fragen, die in der wissen-schaftlichen Literatur zu suchen sind,sollen praktische Konsequenzen in derklinischen Tätigkeit haben.Die grössten Probleme verursachen dieenorme Menge zahnmedizinischer Lite-ratur und die sehr unterschiedliche Qua-lität der publizierten Arbeiten. Man kannje nach Zielen, die man sich setzt, ver-schiedene Evidenzgrade und -hierarchi-en definieren. Die «systematic review» istdas standardisierte Verfahren, mit demman aus dieser Menge sehr unterschied-licher Arbeiten das Wichtigste heraus-holt. Ferner erlaubt sie uns, Lücken inunseren Kenntnissen zu identifizierenund die Forschung entsprechend zu fo-kussieren.Heute fehlt die wissenschaftliche Evidenzin der Zahnmedizin zum grossen Teil. Zu-dem sind nicht alle Fragen mit wissen-schaftlicher Evidenz beantwortbar.Schritte einer «systematic review»– Formulieren einer fokussierten Frage– Erarbeiten eines Suchprotokolls– Literaturauslese– Werten der Studienqualität und Zu-

sammenfassen der Literaturdaten– Bericht und DisseminationDie systematische Übersicht (systematicreview) der fachspezifischen Literatur istdas Kernverfahren einer auf Evidenzbasierenden Zahnmedizin. Sie liefert In-formationen über die Wirksamkeit vonzahnärztlichen Massnahmen, indem sieForschungsresultate aus sonst unbe-herrschbaren Mengen identifiziert, wer-tet und zusammenfasst.Der erste Schritt in einer systematischenAuslese ist die Formulierung einer fokus-

sierten Frage. Dieser Vorgang soll das kli-nische Problem, das man anpacken will,nach gewissen standardisierten Regelnformulieren, sodass daraus eine relevan-te und mit den Daten der Literatur be-antwortbare Frage entsteht. Die Kompo-nenten einer fokussierten Frage sollenklar definieren, welches Bevölkerungs-segment in Frage kommt, welche Inter-vention (therapeutischer Eingriff oderprophylaktische Massnahme) man mitwelchem Kontrollstandard vergleichenwill und welche Resultate uns interessie-ren. Das Akronym PICO (population, in-tervention, comparison, outcomes) fasstdieses Verfahren zusammen.Nachdem man die fokussierte Frage for-muliert hat, geht man zum nächstenSchritt, dem Design eines Suchprotokolls.Da muss man Kriterien zur Inklusionoder Exklusion von Studien in den Re-viewarbeiten formulieren. In diesem Sta-dium spielen die verschiedenen Niveausund Hierarchien von wissenschaftlicherEvidenz eine Rolle. So sind zum Beispielrandomisierte, kontrollierte Untersuchun-gen das beste Forschungsdesign zur Ab-klärung der Wirkung einer Therapie odereines diagnostischen Tests; Kohorten-

Studien sind am zweckmässigsten für dieAbklärung der Ursache und der Progno-se; Stichproben-Studien für die Bestim-mung der Prävalenz. Es ist daher wichtig,sich von Anfang an Klarheit zu verschaf-fen, welches Forschungsdesign für diegeplante Review am zweckmässigstenist.Erst jetzt kann die Literatursuche begin-nen. Dieser Schritt soll auch mit einerklaren Strategie geschehen. Die Sucheerfolgt in medizinischen Datenbankenund wird oft mit manuellen Recherchenin den letzten noch nicht archiviertenNummern von Fachzeitschriften und mitpersönlichen Interviews mit Expertenvervollständigt. Normalerweise erhältman nach diesem Schritt eine Flut vonwissenschaftlichen Arbeiten, die dannuntersucht, geprüft und gewertet werdenmüssen.Man kommt dann langsam zu den letz-ten Schritten: Daten extrahieren und zu-sammenfassen sowie eventuell kombi-nieren. Diese Kombination wird Meta-analyse genannt. Das Wort Metaanalysewird oft als Synonym von «systematicreview« gebraucht. Es sind aber ganz an-dere Dinge: zwar wird eine Metaanalysenur am Schluss einer «systematic review»produziert, aber oft kann man keine Me-taanalyse machen: Die untersuchten Ar-beiten sind in der Mehrheit der Fälle zuheterogen, um ein Pooling ihrer Resulta-te zu erlauben.Die Arbeit wird durch einen Bericht in ei-nem Journal mit Impact Factor gekrönt,Es folgt dann eine sehr wichtige Aufgabe:Die Dissemination der mit harter Arbeitgewonnenen Information. In unseremFall wird die IFW 05 ein wichtiges Reso-nanzinstrument für Resultate aus unse-ren und verwandten systematischenÜbersichtsarbeiten sein, die damit denpraktizierenden Zahnärzten zur Verfü-gung gestellt werden können. ■

Ideen und Konzepte für die Wohlfühl-Praxis

Die Wohlfühl-Praxis war Thema einer Ausstellung, die Healthco-Breitschmid AG anlässlichdes SSO-Kongresses 2003 im Kultur- und Kongresszentrum Luzern zeigte. Im Mittelpunktstanden Wohlfühlfaktoren, die den Kunden an seinen Zahnarzt binden. Es ging also nicht uml’art pour l’art, sondern darum, dass heute Komfort und Ästhetik zum Marketing modernerZahnarztpraxen gehören.

Patienten wollen nicht nur zahnärztlichgut behandelt werden, sie möchten sichdabei auch wohl fühlen. Der Wohlfühl-faktor ist für eine erfolgreiche Kunden-beziehung ausschlaggebend: Ein Patient,

der sich wohl fühlt, kommt gerne wieder.Komfort und Ästhetik spielen bei seinemEntscheid bewusst oder unbewusstentscheidende Rollen. Die Ausstellung«Mehr Lebensfreude in der Praxis» hat

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dem Fachpublikum Inputs gegeben, wieeine moderne Wohlfühl-Praxis aussehenkönnte. Zusammen mit verschiedenenPartnern wurden sechs Themenbereicheentwickelt.

Entspannen statt wartenGezeigt wurden Behandlungsraum,Empfangsbereich, Besprechungszimmer

sowie Entspannungsraum – denn «in derWohlfühl-Praxis wird nicht gewartet,sondern entspannt», sagt Roger Frei,Direktor der Healthco-Breitschmid AG.Licht und Farben schaffen Atmosphäreund Emotionen, Wohlklänge und har-monische Formen beruhigen und för-dern das Wohlbefinden. Die Einrichtungist edel und funktional, das Ambiente

leicht und fröhlich. Im Wohlfühlstuhlentspannt sich der Patient, die Behand-lung wird angenehmer, die Arbeit leich-ter, die Kommunikation mit den Kundenungezwungener, Ängste werden zer-streut und Stress abgebaut. Das gesamteKlima in der Praxis wird lockerer, wasnicht nur den Patientinnen und Patientenzugute kommt, sondern auch dem Zahn-arzt und seinem Team.

Umbauten und NeueinrichtungenDie Healthco-Breitschmid AG , Kriens,ist seit 50 Jahren in der Branche erfolg-reich und konzipiert sowohl Umbautenals auch Neueinrichtungen von Zahn-arzt-Praxen. Das Unternehmen arbeitetmit kompetenten Partnern aus allen Be-reichen zusammen und kann deshalbüberzeugende Lösungen von A bis Z an-bieten. «Uns ist wichtig, dass wir unsereKunden von der Konzeption bis zur Rea-lisierung begleiten und so eine überzeu-gende Lösung aus einer Hand anbietenkönnen, von unserer ganzheitlichen Be-ratung bis zum umfassenden techni-schen Support», fasst Roger Frei die Fir-menphilosophie zusammen. So ist eskein Zufall, dass gerade erfahrene Zahn-ärzte, die sich an die erste Einrichtungihrer Praxis erinnern, bei späteren Um-bauten diese Dienste in Anspruch neh-men.

Links im Bild der Empfangsbereich unter dem Titel «Ein warmer Empfang», rechts«Ein gutes Gefühl»: Die sterile Praxis braucht kein steriles Ambiente, sondern einlückenloses Hygienesystem.

Die Wohlfühl-Praxis schafft Raum füreine partnerschaftliche Gesprächssitua-tion: Nur ein informierter Kunde ist einguter Kunde.

In der Wohlfühl-Praxis wird nicht gewartet, sondern entspannt.

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Wenn Kunden eigene, ihnen persönlichbekannte Architekten wünschen, ist dasfür Roger Frei kein Problem: «Wir arbei-ten jederzeit gerne mit ideenreichen undkompetenten Fachleuten zusammen –am Schluss zählt das Resultat.» Dankmodernster 3-D-Praxisplanung kannsich der auftraggebende Zahnarzt jeder-zeit ein Bild von seiner zukünftigen Pra-xis machen und seine Wünsche gezielteinbringen. Dazu gehören nicht nur diePraxiseinrichtung selber, sondern alleFaktoren, die eine erfolgreiche Wohlfühl-Praxis entscheidend beeinflussen: Archi-tektur, Design, Lichtgestaltung, Farbge-bung, Klangsysteme, Duftsäulen, Bilder,Pflanzen usw.

Wohlfühlen als MarketingelementZahnmedizinische Kompetenz und einemoderne technische Infrastruktur setztder Patient voraus. Ausschlaggebend fürden Erfolg eines Zahnarztes sind heuteaber gerade die weichen Faktoren, siemachen den vielleicht kleinen, aber im-mer öfter entscheidenden Unterschiedzum Mitbewerber aus. Für Interessierte,die sich intensiver mit diesen Themen,die für ein zeitgerechtes Praxis-Marke-

tingkonzept unabdingbar sind, ausei-nander setzen möchten, findet im Herbstein Wohlfühl-Praxis-Seminar am Health-co-Breitschmid-Weiterbildungszentrumin Zürich statt. Angesprochen sind Neu-gründer, aber auch Zahnärzte, die ihrebestehende Praxis umbauen und opti-mieren möchten.Die Firma wurde 1954 gegründet, ist inFamilienbesitz und seit 1998 ISO-9000-zertifiziert. Das Unternehmen berät undbeliefert Zahnärztinnen und Zahnärztein der ganzen Schweiz. Das Unterneh-men hat das erste Nachschlagwerk mitNettopreisen lanciert und gibt den über800-seitigen Katalog «Dental total»jährlich neu überarbeitet heraus. «Mitklaren Nettopreisen haben wir denZahnärzten zu besseren Preisen verhol-fen», sagt Roger Frei, seit 1996 an derSpitze des Unternehmens. Über 30 000Artikel und Geräte sind ständig liefer-bereit. Im Jahr 2002 erwirtschafteten68 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter(50 Vollstellen) einen Umsatz von rundCHF 30 Mio. 14 Aussendienstmitarbei-ter beraten die Kunden vor Ort, zwölfGeräte-Techniker sorgen für einen stetstadellosen Service. ■ den biomechanischen Grundlagen und

der Klebetechnik (Bänderersatz, Retai-ner) auch das hochresiliente Bogen- undFedermaterial, eine effizientere interma-xilläre Mechanik, die Zahngrössen-Re-duktion und auch die Implantologie ent-hielt. Zusätzlich habe sich auch auf inter-disziplinärem Gebiet wie in der Kiefer-und Gesichtschirurgie (Obwegeser undSchüler) sowie in der rekonstuktivenZahnmedizin (Schärer, Marinello, Glau-ser) wie auch auf dem Gebiet der Kau-funktionsstörungen (Palla) und bei denbiologischen Grundlagen (Schroeder,Luder) Entscheidendes weiterentwickelt.Während Mythen in der Antike als un-wahre Geschichten, aber mit tiefererWeisheit definiert sind, existieren dieseauch heute noch – auch in der Kieferor-thopädie. Zu diesen zählte z.B. die Aus-sage, dass eine volle Dentition, die idealausgerichtet ist, automatisch auch eineoptimale Gesichtsästhetik und eine ma-ximale Stabilität bringen würde, oderauch die Feststellung, dass die «ganz-heitliche Kieferorthopädie» eine Korrek-tur ohne Anwendung von Kräften erzie-len könne bzw. dass sich ein defizientesUnterkieferwachstum mit funktionskie-ferorthopädischen Mitteln massiv stimu-lieren liesse. Prof. Stöckli stellte klar, dassein Einsatz von funktionskieferorthopä-dischen Geräten sehr wohl bei entspre-chender Indikation eine Stimulation desUnterkieferwachstums bewirken könne,

KONGRESSE / FACHTAGUNGEN

Fortbildung der besonderen Art

Kieferorthopädie – Mythen und RealitätenClaudia Reicheneder, Regensburg (Text), Guido Pedroli, Zürich (Foto)

Vom 16.–22. März 2003 trafen sich in St. Moritz 195 Teilnehmer/innen aus der Schweiz,Österreich, Deutschland und Italien zum Wochenkurs «Kieferorthopädie – Mythen und Rea-litäten» unter der Leitung von Prof. Dr. Paul Stöckli und PD Dr. U. Teuscher aus Zürich. AlsReferenten waren neben Prof. Dr. Stöckli und PD Dr. Teuscher auch zahlreiche frühere bzw.jetzige Oberassistenten und Instruktoren tätig, namentlich Dres. S. Affolter, M. Antonini,G. Baldini, W. Frunz, P. Leuenberger, R. Männchen, F. Schuler, H. van Waes und ZT G. Pedroli.Der letzte St. Moritzer Kurs von Prof. Stöckli vor dessen Emeritierung zeigte in interessanterund eindrucksvoller Weise die langjährige kieferorthopädische Erfahrung und die Verdienstevon Prof. Stöckli auf diesem Fachgebiet, der seit 1975 die Klinik für Kieferorthopädie und Kin-derzahnmedizin in Zürich leitet.

Die Eröffnung der Kurswoche begannmit einem Festvortrag von Prof. Dr. Petervon Matt mit dem Thema «Nichts un-bändiger doch denn die Wut des leidigenMagens», in dem der Professor auf sehramüsante Weise die Not und das Glückdes Essens in der Literatur von Homerbis Brecht schilderte.Der fachliche Teil der Kurswoche wurdemit einem Vortrag von Prof. Dr. P. Stöckli

über Mythen und Wunschvorstellungenund das «Neue» in der Kieferorthopädieeröffnet. Nach den Ausführungen desReferenten müsse Erfahrung dokumen-tiert, aber auch kritisch hinterfragt wer-den. Prof. Stöckli gab vor diesem Hinter-grund einen Überblick über seine Fort-schrittsliste in der Kieferorthopädie, dieneben der festsitzenden Edgewise-Tech-nik, dem Gesichts- und Kieferwachstum,

Festredner Prof. Dr. Peter von Matt undProf. Dr. Paul Stöckli mit Begleitungen.

Auch der gesellschaftliche Teil kamnicht zu kurz: Nach dem Festvortragtrafen sich die Teilnehmer zum Apero.

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dies aber alles nur in einem biologischenRahmen und im Zusammenhang mitdem Wachstumspotenzial zu sehen sei.Prof. Stöckli stellte die Bedeutung derSymphyse des Unterkiefers heraus: siesei zum einen ein Angelpunkt, auf demdas ganze Gesicht aufgebaut sei, zumanderen aber auch ein begrenzenderFaktor unserer kieferorthopädischer Be-handlung. Das Manipulieren im Kinnbe-reich, das sog. «Kinn-Management», seieine Herausforderung in der Behand-lung. Eine Kinnprominenz entstehe häu-fig durch eine Rotation des Unterkiefersnach vorne oder durch eine Resorptionim Alveolarfortsatz. Auch die Aussage,dass eine entsprechend zu starke Protru-sion der Unterkieferfront zu Gunsten ei-nes idealen Zahnbogens bei Platzmangeloder einer angedachten Profilverbesse-rung gerechtfertigt sei, sei kritisch zu be-werten. Eine Protrusion der Unterkiefer-front hat häufig Resorptionen im labialenBereich des Knochens und Gingivarezes-sionen zur Folge. Diese Feststellungkonnte Prof. Stöckli eindrucksvoll durchCT-Bilder herausarbeiten.In diesem Zusammenhang gingen dieReferenten Dr. H. van Waes und Dr. Jaeger-Erni auf Techniken und Effekte der ap-proximalen Schmelzreduktion ein. Indi-kationen der Zahngrössenreduktion sei-en Platzgewinn bei Engstand, Ausgleicheiner evtl. bestehenden Bolton-Diskre-panz sowie die Verbesserung der Ästhe-tik (black triangle). Bei der Frage, wie vielSchmelz eigentlich entfernt werden dür-fe, sei die von Fillion (1995) publizierteTabelle der Grenzwerte heranzuziehen.

Ein entscheidender Effekt ist die durchdas Stripping herbeigeführte Umwand-lung der Kontaktpunkte in Kontakt-flächen, durch die eine erhöhte Abstüt-zung der Zähne zueinander resultiert(«Keystoning»). Wichtig sei dabei aller-dings, dass zunächst nivelliert und dannerst gestrippt werde, um eine ideale Ab-stützung der Zähne zueinander zu errei-chen. Daraufhin wurden die verschiede-nen Techniken des Stripping vorgestellt:Es könne sowohl mit Metallstrips alsauch mit Feilen (EVA-System), Diamant-scheiben, Diamantschleifern und auchmit Wolframkarbidfräsen eine Zahnbrei-tenreduktion erreicht werden. Dabei istzu beachten, dass die Abtragung wegender Beweglichkeit des Zahnes und derunregelmässigen Oberfläche deutlichgrösser sei als die Instrumentendicke.Zum Polieren stehen Diamanten, Finie-rer und manuelle Strips zur Verfügung.Dr. van Waes stellte fest, dass immer

Kratzer auf der Zahnoberfläche zurück-bleiben würden, die im Rasterelektro-nenmikroskop zu erkennen seien. Ambesten für die Oberflächenqualität wäreaber eine Abstufung der Korngrösse beider Politur von 90 µ nach 6 µ, wobei aller-dings auch die Anzahl der Arbeitsbewe-gungen entscheidend sei. Empfehlungenfür die praktische Handhabung warenu.a., EMLA R als Oberflächenanästhe-tikum zu verwenden, von lingual, nichtvon buccal mit dem Stripping zu begin-nen und das Winkelstück bereits vor demeigentlichen Stripping laufen zu lassen,um Verkantungen zu vermeiden. Ausser-dem sei es hilfreich, vor der Schmelzre-duktion einen Holzkeil in den Zahnzwi-schenraum einzuschieben, um Platz zuschaffen und sowohl intermittierend alsauch mit Wasserkühlung zu arbeiten.In dem Vortrag «Gaumenimplantat»stellte Dr. Männchen nach einer Übersichtüber die verschiedenen Verankerungs-strategien die Anforderungen an eineSuprakonstruktion dar. Wichtig sei, dasssie universell einsetzbar für Stabilisie-rung und aktive Bewegungen in allendrei Dimensionen sei (ohne Neuanferti-gung), dass sie rotationsstabil für einsei-tige aktive Bewegungen sei, ein einfachesHandling habe, dass kein Präzisionsab-druck nötig sei, dass sie vom Ortho-Techniker herstellbar und kostengünstigsei. Das Gaumenimplantat sollte para-median der Sutura palatina mediana (aufder Seite des grösseren Verankerungsbe-darfs) und auf der Höhe zwischen denApices der Prämolaren senkrecht zurGaumenoberfläche angebracht werden.Mit Hilfe eines Videofilms zeigte Dr.Männchen das chirurgische Vorgehenbeim Setzen eines Gaumenimplantatsund die zwei bis drei Monate später er-folgende Abdrucknahme über die an denbeiden 6ern angepassten Bändern unddas Gaumenimplantat mit Hilfe des Ab-druckpfostens. Dabei sei darauf zu ach-ten, dass der Löffel im Frontbereich nichtmit Alginat beschichtet wird, um einleichtes Abziehen des Abdrucklöffels zugewährleisten. Im Labor werden an dieBänder Damon-Brackets angelötet, andenen gemäss den klinischen Anforde-rungen Sectionals befestigt werden kön-nen. Diese Sectionals können verändertwerden, ohne dass damit das Grund-gerüst beeinträchtigt ist oder geändertwerden müsste. Dr. Männchen zeigtedazu zwei klinische Fälle: zum einen dieIntrusion von Molaren, zum anderen dieeinseitige Mesialisierung eines 7ers mitHilfe eines Gaumenimplantats. Prinzi-piell ist mit Hilfe der Sectionals aber jeg-

Die beiden Kursleiter Prof. Dr. P. Stöck-li und PD Dr. U. Teuscher hielten dengrössten Teil der Vorträge.

Das exklusive Suvretta-Hotel gab das geeignete Ambiente für den Kurs der Spit-zenklasse.

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liche Bewegung, also Distalisierung, Ro-tation, Mesialisierung und auch Intrusion,möglich. Probleme im Zusammenhangmit einem Gaumenimplantat könnendann entstehen, wenn keine Primärsta-bilität vorhanden ist oder wenn Schmer-zen in der Oberkieferfront auftreten, dieauf eine Beeinträchtigung des Canalisincisivus schliessen lassen.Dr. Affolter rundete durch seinen Vortrag«Kasuistik-Implantate» die verschiede-nen Indikationsmöglichkeiten von Im-plantaten zur kieferorthopädischen Ver-ankerung ab. Er zeigte an zahlreichenFällen den Einsatz von Implantaten undunterschied dabei zwischen dem von Dr.Männchen bereits gezeigten einzeitigemVorgehen und einem zweizeitigen Vor-gehen, bei dem das Verankerungsele-ment im Laufe der Behandlung noch-mals umgesetzt wird.Äusserst interessant für die praktischeAnwendung waren die Demonstrationenvon ZT Guido Pedroli, der die Herstellungder Implantatsuprakonstruktion vom Zeit-punkt der Abdrucknahme an detailliertaufzeigte. Weiterhin ging er auf die prak-tische Herstellung von festsitzenden Re-tainern, verschiedenen abnehmbarenRetainerplatten und Essix-Retainern ein.Er gab Tipps zur Herstellung von ver-schiedenartigen Gaumennahterweite-rungsapparaturen und Klasse-III-Akti-vatoren und stellte Vor- und Nachteileder Verbindungsmöglichkeiten des La-serns denen des Lötens gegenüber.Dr. M. Antonini, der bereits über 200 Dis-traktionsfälle behandelt hat, stellte in sei-nem Vortrag über die Distraktion zu-nächst die historische Entwicklung die-ser Methode vor. Indikation für diekörperliche Bewegung des Unterkiefer-segments nach anterior wäre z.B. einEngstand im Unterkieferzahnbogen beieinem Fall, bei dem verschiedenste Fak-toren gegen eine Extraktion zur Platzge-winnung sprechen. Als weitere Bewe-gungsmöglichkeit nannte der Referenteine transversale Distraktion des Unter-kiefers, die als Problem die Lateralbewe-gung auf das Kiefergelenk und eine da-raus resultierende Kiefergelenksproble-matik haben könne. Daneben existiereauch die Y-Distraktion, die eine Erweite-rung sowohl in sagittaler als auch trans-versaler Richtung bewirkt. Bei der Pla-nung der Distraktion ist zunächst dieWahl der Distraktionsart wichtig (z.B.kippende Distraktion, kippende Distrak-tion und leichter basaler Gewinn, Dis-traktion der Basis, transversale Distrak-tion, Y-Distraktion), wobei als Parameterder Platzbedarf und die Achsenneigung

der Unterkieferfront ausschlaggebendsind. Zusätzlich ist auch die Wahl desInterdentalraumes von Bedeutung (Dis-traktion zwischen 2ern und 3ern oderzwischen 3ern und 4ern). Als Vorberei-tung der Distraktion ist es notwendig, dieWurzeln der der Distraktionsstelle be-nachbarten Zähne kieferorthopädisch zuspreizen und einen bukkalen Retainer ander UK-Front zu befestigen. Die Distrak-tion selbst beginnt ca. eine Woche nachder Operation, wobei die Aktivierung ba-sal an der Schraube ca. 0,75 mm und aufdentaler Ebene ca. 0,5 mm pro Tag be-trägt. Dabei ist eine Kontrolle der Patien-ten mindestens alle zwei Tage erforder-lich, vorzugsweise täglich, und eine Über-korrektur wünschenswert. Der Distraktorwird eine Woche nach erfolgter Distrak-tion entfernt und ein Lingualbogen zumHalten des gewonnenen Platzes einge-setzt. Vier Wochen nach Ende der Dis-traktion kann bereits mit der Nivellie-rung der Zähne begonnen werden. AlsGefahren einer Distraktion nannte Dr.Antonini eine mögliche Beschädigungbzw. anschliessende Resorption derZahnwurzeln und die Gefahr einer inter-nen Blutung der Zähne. Eine Dauerre-tention ist nach Distraktion in jedem Fallerforderlich.Dr. W. Frunz und Dr. P. Leuenberger disku-tierten mit den Kursteilnehmern in Ein-zelseminaren zwei komplexe kieferor-thopädische Fälle. Dazu wurden denTeilnehmern schon vor der Kurswochedie kompletten diagnostischen Unterla-gen zugesendet. Somit konnte bereits je-der für sich eine Planung der Fälle erstel-len und mit guter Vorbereitung verschie-dene Aspekte, Gefahren, Vor- bzw.Nachteile bei der jeweiligen geplantenkieferorthopädischen Behandlung disku-tieren.Ein weiterer Schwerpunkt der Kurswo-che war der Vortrag «Engstand im Lichte

des aktuellen Paradigmenwechsels» vonProf. Dr. P. Stöckli. Zunehmend wird –hauptsächlich in der amerikanischen Li-teratur, z.B. durch David M. Sarver –empfohlen, die kieferorthopädische Be-handlung hauptsächlich auf das «SoftTissue», die Weichteile des Gesichts, aus-zurichten. Ein Paradigma, das als «allge-mein akzeptierte wissenschaftliche Wahr-heit» definiert werden kann, sei dieseThese allerdings nicht. Es sei dabei wich-tig, die Grenzen einer kieferorthopädi-schen Behandlung und Bewegung vonZähnen zu erkennen und zu akzeptieren.Hierbei ist die dünne labiale Kno-chenwand der unteren Frontzähne eben-so zu nennen wie das Postulat der Eck-zahndistanz im Unterkiefer. Viele Stu-dien haben bereits vor langer Zeit ge-zeigt, dass eine transversale Erweiterungder Eckzahndistanz im Unterkiefer zuRezidiven führe. Eine extreme Expansionder Zahnbögen bei extremem Engstand,wie es häufig im Zusammenhang mit derWerbung für Damon-II-Brackets propa-giert wird, sei deshalb gefährlich. DasGesicht in die kieferorthopädische Be-handlungsplanung miteinzubeziehen, seiin jedem Fall ein wichtiger Aspekt, aberdas «Extending of Soft Tissue» habe seinenatürlichen Grenzen im kieferorthopädi-

Insgesamt 195 Teilnehmer/innen ausder Schweiz, Österreich, Deutschlandund Italien besuchten die hochkaräti-gen Vorträge.

Einige Referenten bzw. Mitwirkende (von links nach rechts): Dr. R. Haubensak, Dr.W. Gnoinski, Dr. W. Frunz, Dr. P. Leuenberger, PD Dr. U. Teuscher, Dr. M. Antonini,Dr. B. Jaeger-Erni, Dr. F. Schuler und Dr. R. Männchen.

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schen Bereich. Manchmal sei in diesemZusammenhang auch eine Erwägungeiner kieferorthopädisch/kieferchirurgi-schen Kombinationsbehandlung indi-ziert. Wichtig sei vor allem auch eine per-manente Retention, wenn Grenzen inder kieferorthopädischen Behandlungüberschritten wurden.Die Bedeutung dieser Aussagen wurdendurch vielfältige Fallpräsentationen un-terstrichen.PD Dr. U. Teuscher ging in seinem Vortragauf «Lückenschluss nach Extraktion der4er, 5er oder 6er» ein. Dabei betonte derReferent die Wichtigkeit der Aufrichte-drehmomente beim Lückenschluss. Beieinem planparallelen Lückenschluss seien�- und �-Drehmoment gleich gross. Beieinem Tiefbissfall sei es notwendig, ge-ringfügig mehr �-Drehmoment einzuge-ben. Es sei wichtig, die Lückenschlussbö-gen sowohl falladäquat als auch zielge-richtet in allen drei Dimensionen zubiegen und die Lage der Drähte zwi-schendurch immer wieder am Patientenzu testen. Zur Beantwortung der Frage,in welchen Fällen im Unterkiefer die 4erbzw. die 5er extrahiert werden sollten, seidie natürliche Bewegung der Zähne nachder Extraktion und der Widerstandswertder Segmente zu berücksichtigen. Einevon PD Dr. Teuscher betreute Disserta-tion zeigte, dass bei einer Extraktion derunteren 5er eine im Gegensatz zur 4er-Extraktion erwartete bissschliessendeKomponente vorhanden sei, dass aber –entgegen allen Erwartungen – bei einerim Unterkiefer erfolgten 5er-Extraktionmit einer im Vergleich zur 4er-Extraktionebenso starken Retraktion der unterenFront zu rechnen sei. Bei einer 6er-Ex-traktion habe man eine bissschliessendeWirkung, allerdings sei es wichtig, Pri-märkontakte an den 7ern während desLückenschlusses zu vermeiden. In prak-tischen Demonstrationen zeigte PD Dr.U. Teuscher auch das Biegen speziellerBögen, z.B. für die Lückenschlussmecha-nik, deren Aktivierung und Koordina-tion. Gewinn bringend für die praktischeAnwendung war dabei vor allem, dass erauf viele kleine Details verwies, die dabeibesonders zu beachten sind.In einem weiteren Schwerpunkt mit demThema «Klasse II» zeigte Prof. Dr. P.Stöckli anhand von verschiedenen Fällen,dass funktionskieferorthopädische Gerä-te zwar eine Stimulation des Unterkiefer-wachstums bewirken, dass die Haupt-wirkung aber häufig – ähnlich wie beimHeadgear – am Oberkiefer, nicht am Un-terkiefer stattfinde. FKO-Geräte zur Be-handlung der Klasse II tragen sehr wohl

Wesentliches dazu bei, dass der Unter-kiefer nach anterior entwickelt wird; dasUnterkieferwachstum sei aber nicht aus-schliesslich den FKO-Geräten zuzu-schreiben. Grundlage für ein gutes Er-gebnis sei vor allem das potenziell vor-handene Wachstum. Nur wenn auchWachstum vorhanden sei, könne diesesmit einem FKO-Gerät unterstützt undverstärkt werden. Wichtig bei einer Be-handlung der Klasse II sei es, dass einkondyläres Wachstum erfolge. Bei einerlediglich muskulären Adaptation desUnterkiefers in die gewünschte Positionwerde die Unterkieferstellung sehr raschrezidivieren. Die gegossene Herbst-Ap-paratur könne potenziell eine Gefahr fürdas Kiefergelenk darstellen, da die Den-tition bei der starren Verbindung desGerätes kein Abfederungspotenzial mehrhabe. Auch nach Dysgnathieoperationenmit fester Verschraubung in Zusammen-hang mit einer kieferorthopädischen Be-handlung könne es in seltenen Fällen zueiner Kondylose kommen. Risikofakto-ren seien dabei vor allem schlanke Kon-dylen, präoperative TDM, Hyperdiver-genz, eine kurze posteriore Gesichts-höhe, ein offener Biss und eine Unter-kiefervorverlagerung von mehr als 8 mm.Zu beachten sei bei einer Behandlungder Klasse II (Herbst-Apparatur, Dysgna-thieoperation etc.), dass bei einer massi-ven Veränderung der Position des Unter-kiefers durchaus mit einem gewissen Re-zidiv zu rechnen sei.Bei einem Patienten mit skelettalem Tief-biss werde sich meist auch im Zusam-menhang mit einer kieferorthopädischenBehandlung das skelettale Grundpatternnicht wesentlich ändern. Prof. Stöcklizeigte Tiefbissfälle, die mit einer an denoberen 6ern befestigten Nanceplatte mitfrontalem Aufbiss oder auch mit einerherausnehmbaren Platte mit frontalemAufbiss behandelt wurden. Der Referentgab die Empfehlung, bei einem skeletta-len Tiefbiss mit Klasse-II-Komponentenachts die Klasse-II-Gummizüge an amHeadgear angebrachten Häckchen undnicht am Oberkiefer einhängen zu las-sen.Zur Behandlung der Klasse III stellteProf. Stöckli fest, dass trotz verschiedenerVersuche keine Vorhersage über dieSchwierigkeit bzw. Notwendigkeit eineranfallenden Dysgnathieoperation objek-tiv möglich sei. Offenbar würden sich dieskelettalen Veränderungen relativ unab-hängig von den dentalen abspielen. Esexistiere eine gewaltige «Potenz der Den-tition», d.h. die Zähne könnten häufigein skelettales Pattern kaschieren. Die

Okklusionsebene würde bei der Behand-lung eines Klasse-III-Falles häufig nachanterior schwenken. Prof. Stöckli zeigteaus seinem reichhaltigen Behandlungs-repertoire verschiedene Klasse-III-Fälle,die mit einer Gaumennahterweiterungs-apparatur, einer Delaire-Maske, Spatel-überstellung bzw. Monoblock behandeltwurden. Von einer Kombination einesAktivators mit einer Kopfkinnkappe rietProf. Stöckli ab, denn hierbei bestehe dieGefahr, dass der Impuls der Kopfkinn-kappe auch auf den Oberkiefer übertra-gen werde. Häufig sei auch eine Verzö-gerung einer (notwendigen) Extraktionim Unterkiefer bei Klasse-III-Fällen in-diziert, weil dann – falls wegen einesungünstigen Wachstumsmusters dochnoch eine Dysgnathieoperation nötigwerde – die Unterkieferfront erneut prot-rudiert werden müsse. Ein Abwarten undeine Reevaluation in Bezug auf eine evtl.notwendig werdende Dysgnathieopera-tion sei deshalb sinnvoll.In Ergänzung zu dieser Aussage stellteDr. F. Schuler mit vielen Tabellen und Be-rechnungen eindrucksvoll fest, dass trotzdiverser Versuche und verschiedensterstatistischen Auswertungen und Extra-polierungen eine Vorhersage darüber, obein skeletteler Klasse-III-Fall zu einemspäteren Zeitpunkt ein Dysgnathieope-rationsfall werden würde, nicht möglichist.Prof. Dr. P. Stöckli führte aus, dass bei derBehandlung eines offenen Bisses vor al-lem die «orale Umstellung» wichtig sei.Diese werde häufig schon durch ein imMund befindliches Gerät erreicht. Wei-tere Behandlungsmöglichkeiten beste-hen mit einem Lipbumper an der Ober-kieferfront bzw. mit einem TPA, einembis zur Schmelz-Zement-Grenze derUnterkieferzähne ausgedehntem Zun-gengitter, eines Zungenkorbs, mit Spi-kes, einer Herbst-Apparatur (rotatori-sche Komponente) oder einem High-Pull-Headgear. Auch ein Monoblockhalte nachts die Zunge von den Zähnenab. Vor Behandlungsbeginn bei einemoffenen Biss sei es wichtig abzuklären,ob eine nasale Kompetenz des Patientenvorhanden sei. Ohne diese sei eine Kor-rektur des offenen Bisses schwierig. EineExtrusion der Front bei einem offenenBiss sei gefährlich, da häufig mit Wurzel-resorptionen zu rechnen sei. Die Ursa-chensuche für das Auftreten eines offe-nen Bisses sei oft schwierig, manchmalsogar erfolglos (grosse vertikale Ge-sichtshöhe, verstärkte vertikale Alveo-larfortsatzentwicklung im Molarenbe-reich, Zunge etc.).

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Dr. G. Baldini referierte zum Thema«Eröffnungsphase bei Extraktionsbehand-lungen – Überlegungen und Erfahrun-gen». Während in früher Zeit, als eskaum festsitzende Behandlung gab, häu-fig eine Steuerung des Zahndurchbruchs(nach Prof. Hotz) durch Extraktionen be-wirkt werden sollte, gäbe es heute dieEmpfehlung, erst nach Durchbruch allerPrämolaren eine Extraktionstherapie ein-zuleiten. Die Vorteile für dieses Vorgehenliegen bei den zu diesem Zeitpunkt exak-teren Kenntnissen der effektiven Platz-verhältnisse, bei einer verbesserten Ein-schätzung der skelettalen Entwicklung,der Möglichkeit der Extraktion der unte-ren 5er an Stelle der unteren 4er undauch darin, dass der Patient nicht ständigmit Extraktionen belästigt werde. BeiKlasse-II-Fällen hätte die Extraktion derunteren 5er an Stelle der unteren 4er Vor-teile: Zum einen schliesse sich der Bissbei vertikalen Fällen besser, und es wäreauch eine einfachere Einstellung in Klas-se I möglich. Eine evtl. zu erwartendeKippung des unteren 6ers bei dieser Ex-traktionswahl sei sehr gering. Extraktio-nen im Oberkiefer führten dagegengrundsätzlich zu einer relativ raschenVorbewegung der Molaren, falls diesenicht gesichert werden. Bei einer Asym-metrie der Fronten könne sich mit einerasymmetrischen Extraktion (z.B. 45 und

34) die Mittellinie häufig von selbst aus-gleichen. Der Referent empfahl, dass indiesen Fällen möglichst lange nach Ex-traktion mit dem Beginn einer Multi-bandbehandlung gewartet werden solle.Ein weiterer ausserordentlich interessan-ter und informativer Vortrag von Dr. G.Baldini befasste sich mit «Tipps undTricks» aus der Praxis, deren Einzelauf-zählung den Rahmen dieses Berichtsübersteigen würde.Neben der Fülle an Vorträgen und In-formationen wurde auch der Rahmen

der Veranstaltung hervorragend vomOrganisationsteam Dr. M. Jungo, Dr. C.Metzler und Fr. A. Tütsch gestaltet. Prof.Stöckli wurde u.a. mit dem Konzert drei-er Sängerinnen («The Gentlemen»), diemit Witz und Humor vortrugen, für sei-nen langjährigen Einsatz für das Fachge-biet der Kieferorthopädie und die Uni-versität Zürich geehrt. Ein hervorragendorganisierter Kurs, der mit vielfältigen In-formationen sehr gut auf die praktischeBehandlung abgestimmt war. Danke,Herr Prof. Stöckli und Mitarbeiter! ■

Prof. Dr. P. Stöckli erklärte mit viel Ein-satz und Humor die kieferorthopädi-schen Zusammenhänge.

Für eine hervorragende Kursorganisa-tion sorgten Dr. M. Jungo, Fr. A. Tütschund Dr. C. Metzler.

Bericht der Jubiläumstagung der Abteilung für Orale Chirurgie an der Klinik für Zahn-,Mund- und Kieferheilkunde der Universität Wien

20 Jahre orale Chirurgie – Gegenwart und ZukunftProf. Dr. Dr. med. Hermann Berthold

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Abteilung für Orale Chirurgie an der Wiener Uni-versitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde fand unter der wissenschaftlichenLeitung von Prof. DDr. G. Watzek, Leiter der Abteilung und Vorstand der Klinik, in der BA-Halle der neu konzeptionierten Gasometer-City-«G-Town» in Wien eine hochkarätige wis-senschaftliche Tagung statt.

Der Einladung zur Jubiläumstagung folg-ten zahlreiche Kollegen/innen vor allemaus Östereich, aber auch Deutschlandund der Schweiz, die eine interessanteVeranstaltung auf hohem wissenschaftli-chem Niveau erlebten.In seiner Begrüssung würdigte Prof. Wat-zek die Entwicklung der Abteilung voneiner spezialisierten zahnärztlichen Fach-abteilung zu einer heute hochmodernenKlinik, die die gesamte Oralchirurgie ab-deckt. Sie verfügt neben der Poliklinikund einer Röntgenstation über einenmodernst ausgestatteten Operationstraktsowie eine Tagesbetten-Station, die esder Abteilung erlaubt, ein breit gefächer-tes Spektrum an oralchirurgischen Ope-rationen vorzunehmen.Dankbar erinnert sich Prof. Watzek dabeider Erfahrungen und Fachkenntnisse, dieihm von seinen akademischen LehrernProf. Wunderer, Frau Prof. Matras undProf. Hollmann aus der Wiener kiefer-chirurgischen Schule vermittelt wurden.Hervorzuheben ist auch die Zahl von zir-ka 2000 Zahnärzten/innen, die im Laufevon zwei Jahrzehnten an der Abteilungihre oralchirurgische Ausbildung erhiel-ten. Mit Stolz verweist er auch auf 7 Ha-bilitationen, die nicht nur für die För-derung des akademischen Nachwuchses,sondern auch für die aktive wissenschaftli-che Arbeit an der Abteilung sprechen.

Die Glückwünsche des Dozentenkolle-giums der Wiener Klinik überbrachte Prof.R. Slavizek. Er hob die gute Zusammenar-beit mit der Abteilung für Orale Chirurgiesowohl im Hause als auch mit staatlichenInstitutionen hervor und betonte dasgrosse wissenschaftliche Engagement vonProf. Watzek und seinem Team.Das wissenschaftliche Programm eröff-nete Prof. Mailath-Pokorny mit einemÜberblick zur «Behandlung traumatisier-ter Zähne – State of the Art». Ausgehendvon der Epidemiologie dieser Verletzun-gen, die Knaben häufiger betroffen siehtals Mädchen, verwies er auf den grossenmateriellen Schaden, den sie verursa-chen. Als Komplikation wurde die hoheFrequenz der Durchbruchstörungen her-vorgehoben, die bei Subluxationen ge-ringer ist als bei den Intrusionen. An-hand der Klassifikation der Kronenfrak-turen verwies er auf das endodontischeManagement, wobei seine Prognose fürdie Überkappung schlechter ausfällt alsdie bei der partiellen Pulpotomie. Nochungünstiger sind die Ergebnisse nach derapikalen Pulpotomie. Für die Avulsionsieht er die Indikation zur Replantation,vorausgesetzt das Alveolenfach bietet dieentsprechenden Bedingungen für eineEinheilung.Als Vitalitätstest gelangen die Laser-Doppler-Flowmetrie mit dem Perimed

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400 R, die dentale Magnetresonanz-Tomographie sowie die Gewebespektro-graphie zur Anwendung. Für die gesteu-erte Ankylose wurde zur Verwendungvon Emdocain-Gel geraten. Gelingt eineZahnerhaltung nicht, empfahl er im Kin-desalter die frühzeitige kieferorthopädi-sche Behandlung, für Erwachsene eineSofortimplantation. Abschliessend wur-den Empfehlungen zur Prophylaxe sol-cher Verletzungen (z.B. Mundschutz fürgefährdete Sportarten) vermittelt.Prof. Buser (Bern) referiert über «chirur-gische Aspekte zur Optimierung der Im-plantatästhetik». Er betonte, dass we-sentliche Fortschritte auf diesem Gebieterfolgt seien, andererseits sich aber ein«unglaubliches Showbusiness» zu dieserProblematik entwickelt habe. Anhandinstruktiver klinischer Beispiele belegteer die Wichtigkeit, die richtige Implantat-grösse zu wählen und die Implantate vorallem richtig zu positionieren. Als Prinzipstellte er heraus, dass das Implantat ineinem mindestens 1–2 dicken bukkalenSegment verankert sein sollte. Für dieÄsthetik wesentlich wurde weiterhin aufdie richtige orofaziale Position hingewie-sen. Das vertikale Knochendefizit solltedabei nicht höher als 5 mm sein. Als wei-teren wesentlichen Faktor betonte erdie richtige Auswahl des Implantattyps.Weichteilaugmentationen werden nurempfohlen, wenn kein Knochen trans-plantiert werden musste. Für die Kno-chenaugmentation bevorzugt der Refe-rent die Verwendung von Kollagenmem-branen und autologen Knochen inKombination mit Bio Oss. Als geeigneterZeitpunkt für die Implantation wurdedie Frühimplantation im simultanen Ap-proach empfohlen, da sie ein geringeresRisiko für die Weichteilexposition dar-stellt. Die Erfolgssicherheit für die Im-plantation nach horizontaler Augmenta-tion bezifferte er mit 98 Prozent.Prof. Haas aus der Wiener Klinik wies inseinem Vortrag über «Sinn und Unsinndes Softlasers bei oralchirurgischen Ein-griffen» einleitend auf die Auswirkungender Infrarot-Lasertherapie hin, die viaEingriff in den Zitronensäure-Zyklus inder Beeinflussung der Zellsuspension undErhöhung der ATP-Produktion bestehen.Als gesicherte Wirkungen der Softlaser-Anwendung seien nur der Analgesieeffektsowie die günstigen Auswirkungen aufdie Wundheilung bekannt.Zur Anwendung des Lasers in der Im-plantologie wurden die Möglichkeitenzur Implantatbettpräparation mit demHartgewebe-Laser sowie – mittels desWeichgewebe-Lasers – für die präim-

plantologische Konditionierung desKnochenlagers erörtert. Messungen derindividuellen Fluoreszenzintensität erga-ben bei Anwendung des Softlasers posi-tive Auswirkungen auf die Bildung derOsteoblasten und mithin die Knochen-neubildung. Durch histomorphologischeStudien konnte in diesem Zusammen-hang belegt werden, dass ein und dreiMonate nach Laserapplikation eine pro-zentual signifikante Vermehrung derImplantat-Knochenkontakte zu verzeich-nen ist.Dr. A. Gahleitner nahm im Weiteren ausder Sicht des Radiologen zur «Charakte-risierung und zum Behandlungsverlaufzystischer Läsionen im Dental-CT» Stel-lung. Er stellte ein breites Spektrum zys-tischer Veränderungen vor und diskutier-te dazu die Kriterien für eine Differenzie-rung in benigne und maligne Prozesse.Seine Aussage bestand letztlich aber inder Feststellung, dass sowohl das Ortho-pantomogramm als auch das Dental-CTkeine sichere Aussage zur Dignität derLäsion erlauben. Diese kann nur durcheine histologische Untersuchung gesi-chert werden. In der anschliessendenDiskussion wurden die Kriterien zur In-dikation für die Anfertigung eines Den-tal-CT in der Praxis erörtert.Dr. R. Gruber berichtete über «Knochen-gewebe aus dem Labor – Gegenwart undZukunft». Er gab zunächst einen Über-blick über die verschiedenen Stadien derKnochenentwicklung. Er verwies darauf,dass «Bone morphogenetic proteins»(BPMs) die Expression des Transkrip-tionsfaktors Cbfa 1 in mesenchymalenVorläuferzellen stimulieren. Cbfa 1 ist einso genanntes «master gen», da es für dieosteogene Differenzierung von Vorläu-ferzellen zu reifen Osteoblasten notwen-dig ist. Das Verständnis jener Mechanis-men, die zur osteogenen Differenzierungvon mesenchymalen Vorläuferzellen füh-ren, stellt die wissenschaftliche Grundla-ge des «bone tissue engineerings» dar.Diese neue Technologie ist eine möglicheAlternative zur Verwendung von Auto-und Allocraft-Knochenersatzmaterialien.Die Zellgewinnung kann dabei aus demKnochenmark oder Periost, begrenzt ausdem Fettgewebe, erfolgen. RichtigerKnochen entsteht erst im Organismusdurch Umbauvorgänge, bei denen die«künstliche» Matrix durch Knochenge-webe ersetzt wird.Als Perspektiven wurden genannt: diecomputerunterstützte Herstellung vonindividuellen Matrices, welche mit kör-pereigenen osteogenen Zellen besiedeltwerden können; die Verwendung von

mesenchymalen Vorläuferzellen alloge-nen Ursprungs; die Anwendung von Ma-trices, die bei deren Abbau zuerst chemo-taktische und mitogene, in weiterer Folgeosteogene Faktoren freisetzen; die Ein-bringung künstlicher Blutgefässe in dieMatrices, um die Versorgung der Zellenzu gewährleisten, und die Anwendungeiner so genannten «genactivated ma-trix», die Plasmide für osteogene Fakto-ren, wie z.B. BMPs, enthält.Prof. G. Watzek erweiterte anschliessendin seinem Vortrag «Sinusliftoperation mitautologen labortechnisch vervielfachtenKnochen- und Stammzellen» die kom-plexe Problematik des Tissue engineering.Einleitend wurde auf die wechselseitigenBeziehungen der drei Komponenten Zel-len – Matrix – Wachstumsfaktoren hinge-wiesen. Anhand der genetischen Eigen-schaften der Stammzellen sowie derOsteoblasten wurde die Vision entwickelt,aus Knochenmarkspunktaten mesenchy-male Vorläufer- bzw. Stammzellen zu iso-lieren und ex vivo zu expandieren. AusBeckenkamm-Gewebe sind viele Stamm-zellen zu gewinnen und speziell in derKnochenwunde ist eine Vermehrung vonStammzellen zu verzeichnen. Besondersbetont wird die Tatsache, dass die ausThrombozyten abgegebenen Wachstums-faktoren eine chemotaktische Wirkungauf mesenchymale Stammzellen ausüben.Für die Zukunft wird auf die Gene thera-py of bone hingewiesen, mit deren Hilfesich für den Einsatz der Stammzellenneue Möglichkeiten eröffnen könnten.Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zu-sammenhang die aufwendige labortech-nische Gestaltung. Ein Hauptproblembesteht gegenwärtig darin, geeigneteTrägersubstanzen zu finden.Die Nachmittagssitzung des ersten Tageswurde von Prof. Mailath-Pokorny mitdem Vortrag über «die lokale Augmenta-tion als Basis einer suffizienten Ästhetik»eröffnet. Es wurde herausgestellt, dassdas Einzelzahnimplantat an der WienerKlinik im Rahmen der Indikationsgren-zen als Standard angesehen wird, da sichkeine Alternativen mit besserer Prognoseanbieten. Mit der präimplantologischenAugmentation, wurde betont, sind dabeisubjektiv die besten Ergebnisse zu erzie-len. Die an der Wiener Klinik angewand-te Methode der lokalen Augmentationmit einem Knochen-Monoblock-Trans-plantat aus der Kinnregion wurde dazuanhand klinischer Fallbeschreibungenvorgestellt.Auf der Grundlage eines Ästhetik-Skorserfolgte eine Nachuntersuchung, wobeidie objektiven ästhetischen Ergebnisse als

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«gut», aber nicht perfekt bezeichnet wur-den. Überraschend war, dass seitens derPatienten/innen dennoch ein hoher Zu-friedenheitsgrad und eine grosse Akzep-tanz der Implantate bestand. Die Ergeb-nisse wurden anhand klinischer Beispielebelegt und als wesentlich für das ästheti-sche Resultat wurde auf eine optimalesagittale Implantatposition hingewiesen.Anschliessend vermittelte Prof. Häm-merle (Zürich/Schweiz) sein Konzept derKnochenregeneration mittels der Mem-brantechnik (GBR). Als wichtigsten Fak-tor für eine erfolgreiche Augmentationbezeichnete er die Sicherung des Mem-branhohlraumes durch geeignete Stütz-materialien. Aus der Vielzahl der ange-botenen Produkte bevorzugt er das Kno-chentransplantat in Kombination mitBio Oss R. Dabei – so betont er – sei beider Auswahl des geeigneten Materialszwischen Front- und Seitenzahngebiet zudifferenzieren. Abhängig von einer Klas-sifikation der Defekte wurde das klinischeKonzept des operativen Vorgehens ver-mittelt. Zum Zeitpunkt der Implantationwird – wegen der günstigeren Auswir-kungen auf die Weichgewebe – die verzö-gerte Implantation bevorzugt.Aus diesemGrunde befürwortet er auch eine Überex-tension mit den Regeneraten.Was die Zukunft betrifft, so erwartet erden vermehrten Einsatz von Wachstums-faktoren, vorausgesetzt, dass dafür geeig-nete Trägersubstanzen sowie eine geeig-nete Matrix zur Verfügung stehen. Letz-tere sollte dabei möglichst zur Weichge-websregeneration beitragen.Prof.Y. Lin (Peking/VR China) vermitteltseine «Erfahrungen zur Indikation undAnwendung der Distraktionsosteogene-se in der oralen Chirurgie». Das Spek-trum der vorgestellten Indikationenreicht dabei von der Gaumenspalte übermaxilläre und mandibuläre Dysplasienbis zu den skelettalen Veränderungennach Kiefergelenksankylosen. Das opera-tionstechnische Vorgehen wird an die-sem Beispiel vorgestellt, ebenso für dievertikale Distraktion alveolärer Defekte.In kritischer Bewertung seiner Ergebnissekommt der Autor zu der Feststellung, dassfür Einzelzahn-Implantationen im Ober-kiefer mit der Distraktionsosteogenesekeine so günstigen Ergebnisse zu erzielensind. Deswegen empfahl er, ergänzenddazu eine Augmentation vorzunehmen,womit ein Platzgewinn von mindestens10 Millimeter zu erreichen wäre.DDr. G. Füst berichtete zur «Optimie-rung der Knochenqualität und Implan-tatstabilität mit dem Platelet Rich Plasma(PRP): Realität oder Irrweg?»

Anhand von In-vitro-Untersuchungensowie im Tierexperiment wurde der Ein-fluss von PRP (Thrombozyten-reichesPlasma) überprüft. Es stellt sich dabei dieFrage, ob man mittels PRP aus Throm-bozyten freigesetzte Wachstumsfaktorenaktivieren kann.Dazu wurden im Tierversuch drei ver-schiedene Modelle untersucht: Im erstengelangte PRP beim Sinuslift mit Bio Ossbzw. autologen Knochen und Bio Oss zurAnwendung; im zweiten wurde PRP inKombination mit Sofort- oder Spätim-plantationen überprüft und schliesslichgelangte drittens PRP in Verbindungmit Collagen bzw. Tissucol zur Anwen-dung.Zusammenfassend kam der Referent zudem Schluss, dass bei Anwendung vonPRP in Verbindung mit einer Implanta-tion eine Steigerung der Knochenneubil-dung abhängig von der Knochenstruktur(Kortikalis oder Spongiosa) zu seinscheint. Gute Ergebnisse wurden imspongiösen Knochenlager gefunden. Be-züglich der Knochendichte war eine Er-höhung nachweisbar. Bezüglich der Im-plantatstabilität kam der Autor zu derAussage, dass durch die Steigerung derKnochendichte auch eine Verbesserungder Stabilität möglich erscheint. Die An-wendung von PRP zusammen mit Colla-gen bzw. Tissucol habe die Erwartungenan diese Substanzen bezüglich einer Ver-besserung der Knochenqualität nicht er-füllt. In klinischen Versuchen ergab sichbisher keine Verbesserung der Stabilitätvon interforaminal gesetzten Implanta-ten bei Überprüfung mittels der Reso-nanzfrequenzanalyse.Im Weiteren nimmt Prof. G. Watzek zumThema «Implantate bei jugendlichen Pa-tienten» Stellung. Einleitend weist er aufdas Kieferwachstum bei der Entwicklungdes Ober- und Unterkiefers hin. Diesesgeht während des ganzen Lebens mit ei-nem Drifting der Zähne einher; demge-genüber sei keine Implantatwanderung,aber ein gewisses Remodeling des Kno-chenlagers zu verzeichnen. Die gravie-renden Auswirkungen einer Nichtanlageim Ober- und Unterkiefer wurden vorge-stellt und auf die begrenzten Möglichkei-ten durch eine konservative Behandlunghingewiesen.Anhand einer Reihe interessanter kli-nischer Fallbeispiele von Nichtanlagenkommt er zu dem Schluss, dass sowohl imOber- als auch Unterkiefer eine frühzei-tige Implantation im jugendlichen Altermöglich ist. Eine Segmentosteotomie be-währt sich für Einzelzahn-Implantatio-nen nach seinen Erfahrungen nicht; für

die Wachstumsphase sei diese ohnehinnicht indiziert. Abschliessend wies er amklinischen Beispiel darauf hin, dass eineImplantatversorgung im jugendlichenAlter im speziellen Fall erst eine kiefer-orthopädische Behandlung ermöglichenkann oder eine Implantat-getragene pro-thetische Rehabilitation möglich macht.DDr. G. Watzek berichtet zum Ende desersten Kongresstages über den «Ver-schluss von Mund-Antrumverbindun-gen als Basis einer suffizienten Sinus-liftoperation». Einleitend wies er daraufhin, dass der Implantologe häufig mit Pa-tienten konfrontiert wird, die im Gefolgefrüherer Extraktionen und einer artifizi-ellen Mund-Antrumverbindung an einerchronischen Sinusitis maxillaris leiden.Ein Verschluss derartiger Defekte mit ei-nem reinen Weichteil-Transpositionslap-pen ist vielfach, abhängig von der Grösseund Zahl der Perforationen, nicht mehrindiziert. Für den zeitlich versetzten Si-nuslift könnten sich speziell bei der Mo-bilisation der Schneider’schen MembranProbleme ergeben.Als grundlegende Massnahme ist dahersowohl die Sanierung der Kieferhöhlen-schleimhaut als auch die Wiederherstel-lung der knöchernen oroantralen Begren-zung zu fordern. Dazu wurde – in Anleh-nung an PROCTER (1969) – eine neueOperationsmethode vorgestellt. Der De-fektverschluss erfolgte dabei mit eineminterforaminal oder retromolar gewonne-nen monokortikalen Knochenblock, derdurch Klemmpassung primär stabil ver-ankert wurde. Das Verfahren gelangte bis-lang bei 21 Patienten zur Anwendung. ImErgebnis konnte bei allen Patienten dieMAV erfolgreich sowohl mit Hart- alsauch Weichgewebe verschlossen werden.Als wesentlich ist dabei die Sanierung deschronisch-entzündlichen Zustandes derKieferhöhlenschleimhaut zu verzeichnen.Den zweiten Verhandlungstag eröffnetDDr. G. Tepper mit dem Vortrag «Was er-wartet sich der Patient von Implantatenund dem behandelnden Zahnarzt». Ver-mittelt wurden darin die Ergebnisse einerGallupumfrage bei über 1000 Patienten,durchgeführt vom Wiener Universitäts-institut für Wirtschaftswissenschaften.Einige der interessanten Aussagen sollenhier herausgegriffen werden:In Verbindung mit der Frage nach derInformation über die unterschiedlichenArten des Zahnersatzes ergab sich, dass42 Prozent der Befragten nichts über Im-plantate bekannt war. Zum Informa-tionsgrad wurde ermittelt, dass 78 Pro-zent der Befragten ihre Information überihren Zahnarzt bzw. ihre Zahnärztin er-

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halten. Bezüglich der Bereitschaft für ei-ne Implantation waren Männer am ehe-sten interessiert. Der Wunsch nach einerImplantatversorgung nahm mit der Ver-schlechterung der Situation des Zahnsy-stems deutlich ab. Als grösster Nachteilwurden primär die Kosten ermittelt. ZurFrage, inwieweit die behandelndenZahnärzte Implantate anbieten, ergabsich, dass in Österreich 49,5 Prozent derZahnärzte implantologisch tätig sind.Das Arbeiten mit Implantaten gilt dabeials Qualitätsbewertung des zahnärztli-chen Handelns. Der Referent gelangte zuder Empfehlung, die Erfahrungen der Pa-tienten mit Implantaten in Broschüren-form zusammenzufassen und poten-ziellen Patienten zu vermitteln. Da dasImplantat ein Produkt mit sehr komple-xem Charakter sei, hielt er es weiter fürwichtig, Teilaspekte transparent für denPatienten zu verdeutlichen. Insgesamtwurde der Zahnärzteschaft – in Verbin-dung mit den Implantaten – ein insuffi-zientes Dienstleistungs- marketing «be-scheinigt» und daraus der dringendeBedarf nach Werbung abgeleitet. DieImageförderung sei dabei auch Aufgabeder Fachgesellschaften.Prof. Kim (Philadelphia/USA) stellte inseinem Vortrag «State of the Art of micro-surgical apex resection with rootfilling»die traditionelle Chirurgie der Wurzel-spitzenresektion der sog. endodonti-schen Mikrochirurgie gegenüber. Zumstandardisierten operativen Vorgehenhob er die Forderung hervor, dass dieWurzel mindestens 3 mm zu resezierensei. Dadurch gelingt es, die Ramifikatio-nen des Kanals zu beseitigen.Als wesentlicher Vorteil der Mikrochirur-gie wird die Möglichkeit der Inspektiondes resezierten Wurzelquerschnittes ge-sehen, wodurch Wurzelfrakturen sowie -perforationen und pathologische Isth-musbefunde zu erfassen sind.

Zum retrograden Verschluss empfahl erMineral trioxide oder Super Eba Zement.Die Erfolgsquote gab der Referent mit96,8 nach einem Jahr und 91,2 nach 5 bis7 Jahren an.Prof. Th. Bernhart wies in seinem Vortrag«Erfahrungen mit kieferorthopädischenImplantaten unterschiedlicher Art undLokalisation» zunächst auf die Verbes-serung der desmalen Verankerung durchAnwendung der Implantate bei der kie-ferorthopädischen Behandlung hin. DasImplantat stellt dabei einen Fixpunkt dar,der die Bewegung der Zähne in dreidi-mensionaler Richtung ermögliche. Fürdie Implantatinsertion im Gaumen for-derte er ein vertikales Knochenangebotvon mindestens 3 mm und einen distalenAbstand von 6 mm zum Foramen incisi-vum. Im Weiteren wurde das chirurgi-sche Vorgehen bei der Verankerung vonOmblane (Hydroxylapatit-beschichteteTitanscheibe) vorgestellt. Auf der Suchenach neuen Konzepten wurde die Über-legung angestellt, die Implantate künftignoch weiter lateral zu inserieren. Auchwäre eine Anwendung bikortikaler Schrau-ben interradikulär im Widerstandszent-rum denkbar.Prof. Zarb (Toronto) stellte in seinem Vor-trag «Implants for the elderly people» dieThese voran: Älter werden, aber gesundbleiben. Am klinischen Beispiel einerVestibulumplastik in Verbindung mit ei-ner Kieferaugmentation und Implantat-versorgung verdeutlichte er die Proble-matik dieser Behandlung mit den Aus-wirkungen und Folgen für den älterenMenschen. Im Weiteren wurde auf dieZusammenhänge von Implantatdesignsowie Kompatibilität der Implantatmate-rialien in Relation zu den Knochenver-hältnissen beim älteren Menschen hin-gewiesen. Zu berücksichtigen sind vorallem Knochenveränderungen durch dieOsteoporose sowie die Veränderungen

der Mundhöhlen-Ökologie. Schliesslichwurde die ökonomische Seite der Im-plantatversorgung herausgestellt, die ei-ne nicht unwesentliche Rolle spiele. Zu-sammenfassend wurde nochmals her-vorgehoben, dass die Möglichkeit derImplantatversorgung beim älteren Men-schen und der Implantationserfolg ganzwesentlich von der Knochenquantitätdes Patienten abhängen.DDr. G. Monov differenzierte in seinemReferat «Die Evaluierung der Implantatsta-bilität – Möglichkeiten und Grenzen ak-tueller Verfahren» zwischen invasiven Me-thoden (Histologie) und nichtinvasivenVerfahren. Die radiologischen Methodenergeben nach seinen Ausführungen keineAussage zur Knochenqualität, nur in be-grenztem Masse zur trabekulären Struk-tur. Es wurde dann auf die Möglichkeitenhingewiesen, mit dem Vibrationstest mit-tels Periotest-Gerät oder der Resonanzfre-quenz-Analyse zu einer Aussage zu kom-men. Als intraoperative Messmethodewurde die Möglichkeit, den Schneidewi-derstand bei der Bearbeitung des Kno-chenlagers zu bestimmen, erwähnt. Ins-gesamt blieben die nichtinvasiven Me-thoden aber eine Momentaufnahme.DDr. W. Zechner berichtete zum Thema«Die optimierte Implantatposition mit-tels navigationstechnischer Verfahren».Einleitend wurde auf die Einflussfakto-ren der Implantatstabilität hingewiesen.Anhand des klinischen Fallbeispieles ei-ner suffizienten klinischen Planung, aberprothetisch ungünstigen Implantatposi-tion konnte die Wichtigkeit einer exaktenpräimplantologischen Abklärung belegtwerden. Als dafür bestens geeignet siehtder Referent die computergestützte Pla-nung vor. Dazu wurde auf folgendeMöglichkeiten hingewiesen: computer-gestützte Navigationssysteme, die Imageguided implantology sowie die Work-flow-Navigationssysteme.

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Ergänzend wurde auf die CT-gestütztestereolithographische Bohrschablone so-wie die Möglichkeit zur radiologischenVisualisierung der prothetisch gewünsch-ten Implantatposition hingewiesen.Frau DDr. R. Gritsch referierte zum The-ma «Die gegenwärtigen Behandlungsan-sichten zur Therapie des Dolor post ex-tractionem». Einleitend wurde auf diebekannte Symptomatik dieser Wundhei-lungsstörung hingewiesen. Die Inzidensdes Dolor post extractionem wurde mit3 bis 4 Prozent angegeben, liegt jedochdeutlich höher bei Osteotomien. Als prä-disponierende Faktoren wurden hervor-gehoben: das Alter der Patienten, Niko-tinabusus sowie die Pericoronitis. DieAltersklasse der 20- bis 30-jährigen Pa-tienten war am häufigsten betroffen. Ei-ne deutliche Erhöhung des Risikos ergabsich, wenn unmittelbar nach dem opera-tiven Eingriff geraucht wurde. Ebensowar bei weiblichen Patientinnen mit ei-nem erhöhten Östrogenspiegel infolgeEinnahme von Antikonzeptiva ein er-höhtes Risiko zu verzeichnen. Als weite-rer Risikofaktor wurde eine deutlich ver-längerte Operationsdauer angegeben.Anhand einer Literaturübersicht gelang-te die Referentin bezüglich der gängigenTherapie zu der Aussage, dass die chirur-gische Revision, d.h. Aufklappung undprimäre Defektdeckung mit einem Mu-koperiostlappen, die besten Ergebnissezeitigte.Mag. S.Tangl berichtete über die Resulta-te einer experimentellen Studie zur «Be-deutung von Implantatoberfläche und -form für die Langzeitprognose». ZurUntersuchung gelangten dabei je zweiSchrauben- und ein Zylinderimplantat,die bei 12 Affen im Intervall von drei Mo-naten nach probatorischer Zahnentfer-nung implantiert wurden. Zur Erhöhungder Belastung wurden bei den Tieren zu-sätzlich alle Prämolaren sowie 3. Mola-ren entfernt. Nach einer Belastungszeitvon insgesamt 18 Monaten erfolgte diehistopathologische Auswertung an Fein-schliffpräparaten. Im Ergebnis zeigte sichbei Schraubenimplantaten in der Maxillaund Mandibula mehr Knochengewebeangelagert als bei den Zylinderimplanta-ten. Bezüglich der Knochen-Implantat-kontakte waren diese in der Maxilla beiden Schraubenimplantaten und in derMandibula bei den Zylinderimplantatenam stärksten nachweisbar.Dr. G. Gomez-Roman (Tübingen) wiesin seinem Vortrag einleitend auf dasVorgehen zur schonenden Explantationnicht erhaltungswürdiger Implantatehin. Er vermittelte dann das Procedere

der Sofortversorgung nach Implantatver-lust mit Reimplantation und provisori-scher prothetischer Versorgung anhandklinischer Beispiele. Zur Frage der Reim-plantation bei Implantatverlust infolgePeriimplantitis bekannte er sich zur Im-plantatentfernung und anschliessendenSofortimplantation als bestem Weg. Zu-sammenfassend stellte er fest, dass dieErgebnisse bei den Nachimplantationenals schlechter zu bewerten sind als dieder Erstimplantation; es bestehe dies-bezüglich aber keine Signifikanz. Dasästhetische Ergebnis der Zweitimplanta-tionen wäre demgegenüber als besser zubeurteilen.Prof. Neukamm (Erlangen-Nürnberg)handelte in einem klar strukturierten Vor-trag das Thema «dentogene Sinusitis –geltende Behandlungsrichtlinien» ab. Ein-gangs des Referates erfolgte eine kritischeBewertung der verschiedenen diagnosti-schen Verfahren, von der klinischen Un-tersuchung über die konventionelle Rönt-genuntersuchung, die CT- Verfahren undSonographie bis hin zur endoskopischenUntersuchung. Letzteres Verfahren ergibtdabei wohl die objektivsten Ergebnisse. Erverdeutlichte dann die Pathophysiologiedieser Erkrankung, die nur in 15–25 Pro-zent odontogenen Ursprungs ist, dierhinogene Genese mit 60–80 Prozentdemgegenüber deutlich überwiegt. Hier-zu wurde die Störung der Ventilation undin Folge die Störung der Ciliarfunktionmit der Folge des Sekretstaues herausge-stellt.Als häufigste Ursache für eine dentogeneSinusitis wurde die Mundantrumverbin-dung (MAV) genannt, die am häufigstennach Extraktion der Molaren auftritt.Durch Keimverschleppung muss in60–75 Prozent der Fälle mit einer Infek-tion gerechnet werden. Zur Therapiewurde der sofortige plastische Verschlussempfohlen, wenn kein Hinweis auf einentzündliches Geschehen besteht; fürdiesen Fall wurde zunächst eine konser-vative Behandlung empfohlen. Bezüglichder operativen Technik zum Verschlussder MAV wies der Referent auf die vesti-bulär gestielte Lappenplastik hin, die aufRehrmann (1936) zurückgeht. Das früherviel «geübte» Verfahren der Radikalope-ration der Kieferhöhle nach Caldwell-Luc wurde wegen der bekannten Kom-plikationen und Spätschäden längstverlassen und wird heute durch die en-donasale Chirurgie ersetzt.Prof. Th. Bernhart äusserte sich dannzum Thema «Sofortbelastung – in wel-cher Form ist sie Praxis-reif?» Er verwiesdarauf, dass erstmals Ledermann für eine

Sofortbelastung mit der von ihm inaugu-rierten Ledermann-Schraube eingetre-ten ist, und stellte alternativ das Novum-Implantatsystem von Branemark vor, vondem über gute Erfahrungen berichtetwird. Zusammenfassend wurde auf dieFaktoren hingewiesen, die in Zusam-menhang mit dieser Frage zu beachtensind; demnach bestimmen eine guteKnochenqualität ebenso wie -quantitätund vor allem eine ausreichende Primär-stabilität den Erfolg. Weiterhin bestim-men das Implantatdesign und eine per-fekte prothetische Versorgung über denErfolg der Sofortbelastung. Ohne klaresBekenntnis sah der Referent die Indika-tion dafür eher ausgewählten Fällen vor-behalten.Frau DDr. M. Baron verwies im ab-schliessenden Vortrag «Die Periimplan-titis und ihre Behandlungsmöglichkei-ten» zunächst auf die bakterielle undmechanische Komponente der Ätiologie.Als Ursache für die periimplantäre Ent-zündung sah sie dieselben pathogenenKeime, die auch für die Parodontitis aus-lösend sind. Im Weiteren wurden die kli-nischen Parameter zur Verifizierung derPeriimplantitis aufgeführt.Erklärtes Ziel der Behandlung sei es, denImplantatverlust zu vermeiden. Als the-rapeutischer Ansatz wurde auf die kon-servative Therapie der Mukositis hinge-wiesen. Bei tiefen vertikalen Defektenwurde eine alsbaldige chirurgische Inter-vention empfohlen. Die alleinige An-wendung des Softlasers bei Oberflä-chenalterationen wurde wegen der unsi-cheren antibakteriellen Wirkung infragegestellt. Im Weiteren wurde auf Untersu-chungen mit einer Kombinationsthera-pie Softlaser, NaCl und Toluidinblau (ak-tuell Methylenblau) hinweisen, die Erfolgversprechende Ergebnisse zeigten.Bei periimplantären Infektionen in Ver-bindung mit einer Membranabdeckungwurden Spülungen des Defektes miteiner Chlorhexidin-Lösung und nach60 Tagen die Membranentfernung vorge-nommen. ■

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Jugendzahnheilkunde

Künkel A:Die Psychologie der zahnärztlichenGruppenprophylaxe136 S. 20 Abb. E 29.90/Fr. 49.90,Schlütersche GmbH & Co. KG Verlag und Druckerei, Hannover (2003)ISBN 3-87706-724-7

Die zahnärztliche Gruppenprophylaxe istbei uns in der Schweiz eine seit langemin den Kindergärten und Schulen etab-lierte kollektive Prophylaxe. Viele be-kannte Persönlichkeiten haben sie ent-worfen, entwickelt, unterstützt und pro-pagiert. Viele Schulzahnpflegehelferin-nen haben sich sehr dafür engagiert.Was früher einfacher war – die ganz Klei-nen waren leicht zu begeistern, die Grös-seren machten noch interessiert mit, unddie Grossen konnten noch irgendwiemotiviert werden – ist heute bestimmtschwieriger: die ganz Kleinen verstehenunsere Sprache häufig nicht, die Grös-seren sind life-style-orientiert, und dieGrossen haben ganz andere Interessen...Viele Schulzahnpflegehelferinnen fühlensich zunehmend überfordert. Wie sinddenn die Kinder heute?Das vorliegende Buch von Almuth Kün-kel versucht diese Frage sehr eingehendzu beantworten.Es ist ein beeindruckendes Psychologie-kompendium rund um die zahnärztlicheProphylaxe. Manchmal wird so ausführ-lich beschrieben, dass sich Verhaltensfor-schung und angewandte Prophylaxekaum unterscheiden.Im 1. Kapitel werden Ziele und Inhalteder Gruppenprophylaxe definiert.Im 2. Kapitel geht die Autorin auf wichti-ge Grundlagen der Kommunikation ein:– Körpersprache, Stimme und Ausstrah-

lung sind die Zauberformel.– Doppeldeutige Signale sind unbedingt

zu vermeiden.– Kinder wollen nicht verurteilt, sondern

durch Einfühlungsvermögen verstan-den werden.

– Zwischen Form und Inhalt der pro-phylaktischen Botschaften muss einklarer Zusammenhang sein.

– Räumliche Enge verhindert Selbstent-faltung und provoziert Aggressivität.

Im 3. Kapitel wird aufgelistet, wie Ge-wohnheiten aufgebaut werden. Die Ein-

flüsse von Erbanlagen und Umwelt sindnicht einzig und allein verhaltensbestim-mend; Umstrukturierung und Weiterent-wicklung sind lebenslänglich möglich.Die zahnärztliche Prophylaxe möchtegesundes Verhalten durch Lernen auf-bauen. Der Pädagogik des Lernens giltbesondere Aufmerksamkeit:– Lernen am Erfolg durch Einsatz von

Verstärkern (Belohnungsprinzip)– Lernen durch Beobachten und Nach-

ahmen, wobei hier die emotionale Be-ziehung zwischen den Menschen dieHauptrolle spielt. Diese Bindung brauchtaber Zeit und Gelegenheit zum Ken-nenlernen.

– Kognitives Lernen in den verschiede-nen Altersphasen

– Der Handlungsorientierte Unterrichtnach Piaget wird auch erläutert.

– Physiologische und psychologischeBedürfnisse sollen erkannt werden,und entsprechend soll die Konzentra-tion gefördert werden.

Zusammenfassend werden Gewohnhei-ten durch frühes und regelmässigesÜben aufgebaut und in den Alltag einge-bettet. Mit einem positiven Selbstbild,positiven Gefühlen und mit sozialer Fer-tigkeit werden diese unterstützt.Wie sollen diese Erkenntnisse in derzahnärztlichen Gruppenprophylaxe um-gesetzt werden?

Im 4. Kapitel geht die Autorin auf dieverschiedenen Altersstufen ein, auf diejeweilige körperliche, motorische, geisti-ge, emotionale und soziale Entwicklung.Sie zeigt typische Probleme und einzelneLösungswege. Nur kurz erwähnt sie,dass in einer Altersklasse meistens ver-schiedenste Entwicklungsstufen vertre-ten sind ...Im 5. Kapitel erwähnt die Autorin dieGefahr von Burn out und andere be-kannte berufliche Probleme. Auch hiergibt sie einige Tipps aus ihrer Erfahrung.Im letzten Kapitel stellt sie einige Unter-richtsmaterialien und Methoden der ver-schiedenen deutschen Arbeitsgemein-schaften vor. Am Schluss erwähnt sie dieWichtigkeit der Öffentlichkeitsarbeit.Wie schon einleitend erwähnt, liegt hierein reiches psychologisches Kompen-dium vor, das sich intensiv mit Verhal-tenspsychologie und Pädagogik der ver-schiedenen Altersstufen beschäftigt unddie allgemeingültigen Schlussfolgerun-gen auf die zahnärztliche Gruppenpro-phylaxe zu fokussieren versucht. Es ist si-cher ein bemerkenswertes Sammelwerk.Instruktor/innen, die unsere kollektiveProphylaxe gestalten, finden hier theore-tische Grundlagen. Einige wichtige psy-chologische Aspekte sind leider nicht an-gesprochen worden: die psychologischeAusbildung der Prophylaxehelferinnen,der Zeitfaktor, die begrenzten finanziel-len Möglichkeiten und der Einsatz derverschiedenen Medien. Auch sie gehörenzum psychologischen Profil einer er-folgsorientierten Kollektivprophylaxe!

Elisabeth Altermatt-Tschopp, Zürich

BUCHBESPRECHUNG

ZEITSCHRIFTEN

Röntgen

Diverse Autoren:Zuverlässigkeit von Orthopanto-mografien zur Bestimmung derWurzelmorfologie vor Weisheits-zahnentfernung im UnterkieferOral Surgery, Oral Medicine, Oral Pathology,Oral Radiology and Endodontics,Vol. 95,Nr. 1, pp. 119–125, 2003

Vor operativer Entfernung unterer Weis-heitszähne muss der Chirurg bei der Pla-nung des Eingriffs den Schwierigkeits-grad desselben und das Risiko einer Ver-letzung des Nervus alveolaris inferior

sorgfältig abschätzen. Dazu benötigt ereine radiologische Evaluation, wobei dasOrthopantomogramm (OPT) das fürdiesen Zweck am meisten verwendeteRöntgenbild darstellt. Impaktierte untereWeisheitszähne weisen oft gekrümmteWurzeln auf. Idealerweise soll eine Wur-zelkrümmung schon präoperativ erkanntwerden, um ein gezieltes Vorgehen undeine geeigneteTechnik bei der Operationzu ermöglichen. Eine exakte Planung be-züglich des operativen Vorgehens beugtunerwünschten Wurzelfrakturen und derRetention von Zahnfragmenten vor. DasRisiko einer Verletzung des Nervs bei ei-ner Approximität des unteren Weisheits-

Page 19: Das interdisziplinäre Denken fördern · 2016. 2. 23. · Schweiz Monatsschr Zahnmed, Vol 113: 7/2003 803 Zahnmedizin aktuell Bericht vom SSO-Kongress vom 22. bis 24. Mai 2003 in

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Z a h n m e d i z i n a k t u e l l

zahnes zum Kanal ist gut untersucht. Zielder Studie war es, den diagnostischenNutzen des OPT vor operativer Weis-heitszahnentfernung bezüglich Wurzel-morfologie und Beziehung zum Canalismandibularis zu evaluieren.Die Nullhypothese für diese Studie sagt,dass die radiologische Situation der ana-tomischen entspricht. Im Zeitraum vonJanuar bis Juni 2000 wurden 219 Patientenmit 300 unteren Weisheitszähnen eva-luiert. Alle OPT dieser Patienten wurdendurch einen übergeordneten Behandler,welcher in dentaler Chirurgie und Radio-logie speziell ausgebildet war, interpre-tiert. Weitere 8 Chirurgen wurden in2 Gruppen aufgeteilt und interpretiertenje die Hälfte aller Röntgenbilder. Die OPTwurden in drei verschiedenen Klinikenhergestellt, also mit drei verschiedenenTomografen. Die Qualität der Röntgenbil-der musste bestimmten Richtlinien ent-sprechen. Zur Auswertung wurden dieOPT auf einem Röntgenbetrachter mon-tiert und gegebenenfalls durch eine Ver-grösserungsoptik betrachtet. Es musstedie Zahl und der Verschmelzungsgrad derWurzeln, die Anwesenheit, Grösse (alsWinkel) und Richtung von Wurzelkrüm-mungen und die Beziehung der Wurzelnzum Nerven beurteilt werden. Die Datenwurden mittels Nummerncode in einerExcel-Datei gespeichert.Alle Zähne wurden vom übergeordnetenBehandler entfernt, der die Alveole miteiner feinen Sonde bezüglich Anwesen-heit und genauer Lage des Nervenkanalsuntersuchte. Die extrahierten Zähne undZahnfragmente wurden aufbewahrt, beiBedarf wieder zusammengesetzt und inihrer Anatomie beurteilt. Zur Einteilungder Zähne wurde der gleiche Nummern-code wie bei der präoperativen Diagnos-tik verwendet. Danach wurden die Datenprä- und postoperativ miteinander ver-glichen.Von den 300 Zähnen hatten 9% 1 Wurzel,83% 2 Wurzeln, 7% 3 Wurzeln, 0,7% so-gar 4 Wurzeln. Es gab beträchtliche Varia-tionen bei der Präsenz und Ausbildungvon Wurzelkrümmungen. Die Sensiti-vität und Spezifität lag bei 29% bzw.94%. Der häufigste Fehler war, dass eineKrümmung nicht erkannt wurde. Derintraoperative Befund zeigte in 12% allerFälle eine Beteiligung des Nervs. Dabeiwar in 69% der Fälle der apikale Teil derWurzel involviert, in den andern 31% warder Nerv weiter koronal, bukkal oder lin-gual. In 4 Fällen verlief der Nerv zwi-schen den Wurzeln. Die Sensitivität undSpezifität bei der Beurteilung der Bezie-hung zwischen Wurzeln und Nerv lag bei

66% bzw. 74%. Dabei wurden keine sta-tistisch signifikanten Unterschiede zwi-schen den drei verschiedenen Röntgen-apparaten, wohl aber zwischen den 8 Un-tersuchern gefunden.Die Resultate dieser Studie zeigen, dasstrotz der erfahrenen Untersucher die Zu-verlässigkeit der OPT bezüglich präope-rativer Diagnostik gering ist. Bilder, wel-che mit einem dentalen Tomografen er-zeugt wurden, zeigten nur eine be-stimmte Schicht mit einer ausreichendenSchärfe. Die Qualität des Bildes ist ab-hängig von der exakten Positionierungdes Patienten, dessen Kooperation, denExpositionsfaktoren und den Verarbei-tungsfaktoren des Bildes. Bei korrekterHerstellung des Bildes ist die Zahnreihescharf abgezeichnet. Da impaktierteWeisheitszähne meist gekrümmte Wur-zeln aufweisen, welche in 92% der FälleAbweichungen von mehr als 3 mm ha-ben, wird deutlich, dass diese selten inder geeigneten Schicht des Röntgenbil-des zu liegen kommen. Dasselbe gilt fürden Verlauf des Canalis mandibularis.Trotzdem sollte bedacht werden, dasstrotz enttäuschender Genauigkeit das

OPT das meistverwendete Bild für diepräoperative Diagnostik ist, da seltenschwer wiegende Probleme bei Entfer-nungen von unteren Weisheitszähnenauftreten. Die Schwierigkeit für den Be-handler liegt darin abzuschätzen, wanneine weiterführende Diagnostik mit de-taillierteren Röntgenbildern nötig ist. Esgilt die präoperative Diagnostik bezüg-lich Strahlenbelastung und Kosten, aberauch bezüglich der Genauigkeit zu opti-mieren.Diese Studie zeigt, dass es einen statis-tisch signifikanten Unterschied gibt zwi-schen der präoperativen Diagnostik mit-tels OPT und der effektiven Anatomieder Weisheitszähne und deren Relationzum Nervus alveolaris inferior. Das OPTist nur hilfreich für die Bestimmung derPosition, Tiefe und Art der Impaktierungund der Textur des umgebenden Kno-chens. Man muss sich aber bewusst sein,dass das OPT nur schlechte Informatio-nen über die tatsächlichen topografi-schen Verhältnisse liefert. In kritischenSituationen müssen andere bildgebendeVerfahren beigezogen werden.

Kaya Thoma, Zürich