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Das digitale Ich … „Selbst-Organisation“ im digitalen Zeitalter Tina Guenther, republica09 Berlin, 01.-03. April 2009

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Was macht digitale Identität aus? Warum ist digitale Identität ohne Vertrauen nicht vorstellbar?

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Page 1: Das digitale Ich Republica 09

Das digitale Ich

… „Selbst-Organisation“ im digitalen Zeitalter

Tina Guenther, republica09Berlin, 01.-03. April 2009

Page 2: Das digitale Ich Republica 09

Gliederung

„Das digitale Ich“

1. Sozialer & individueller Aspekt des Ich in der Soziologie

2. ‚Identitätsmanagement‘ & Selbst-Organisation im Alltag

3. Virtuelles Leben, zweite Identität?

4. Online-Identität – ein Minenfeld?

5. Online-Identität – soziale Praxis & „Selbst-Organisation“

6. Vertrauen schaffen – für ein vertrauenswürdiges Netz

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1. Das „Ich“

In sozialwissenschaftlichen Ansätzen hat „Ich“ eine soziale und eine individuelle Komponente:

Bei Freud ist das „Ich“ vermittelnde Instanz zwischen Überich (soziale Kontrollen) und Es (triebhaftes Impulse) – das „Ich“ hat die Persönlichkeit zu managen. Bei Durkheim sind nach erfolgreicher Sozialisation internalisierte Normen eine ordnende Instanz der individuellen Persönlichkeit, die freiwillige Bindung an Gesellschaft & positives Bekenntnis zu ihren Regeln ermöglichen.

Bei Simmel sind Formationen der Interaktionsnetzwerke Strukturvoraussetzung für Individualität. Die Entwicklung persönlicher Autonomie und Authentizität hängt von Größe und Heterogenität sozialer Netzwerke ab.

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1. Das „Ich“

Bei Mead entsteht Persönlichkeit durch Verbindung der Komponenten „Me“ (signifikanter und generalisierter Anderer) und „I“ (kreative Impulse) entsteht. Der Einzelne kann originäres Selbst und zugleich sozial integriert sein; er kann sich durch Zeichen (Sprache, Schrift, Gesten) verständigen und seiner Kreativität Ausdruck verleihen.

Bei Parsons ist Persönlichkeit zielgerichteter Aspekt des Handlungssystems. Handlungsfähigkeit entsteht im Austausch mit Sozialsystem (Gesellschaft, Normen), Verhalten und Kultur (Welt von Zeichen und Bedeutung).

Kompetenter Akteur „managt“ diese Komponenten, richtet Handeln an Situation, Zielen, Interessen und Commitments aus und lässt dabei keine Widersprüche entstehen.

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1. „Ich“-Kriterien

Welche strukturellen Bedingungen findet der Einzelne

vor, um seine persönliche Autonomie und Authentizität

zu entwickeln?

Wie gut gelingt es dem Akteur, situations- und

kontextübergreifend ein kohärentes Bild von sich zu

geben? Wie gut gelingt es ihm, Selbst-Darstellung in

schwierigen Situationen aufrechtzuerhalten?

Wie gut gelingt es dem Akteur, sich anderen Akteuren und

der Öffentlichkeit als vertrauenswürdig darzustellen? Dazu

gehört Kompetenz, Gutwilligkeit und Integrität (Bedeutung

kontextabhängig).

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2. Identitätsmanagement

Wie wir „Selbst-Organisation“ in Beruf und Alltag betreiben:

Wir „managen“ Sozialbeziehungen in Vielzahl sozialer Kreise und Netzwerkbeziehungen. I.d.R. wachsen Anzahl und Komplexität sozialer Beziehungen im Lebensverlauf.

Wir erachten es als Errungenschaft der Moderne, dass öffentliche und private Sphäre, Geschäftsbeziehungen, professionelle Beziehungen, Familie und Freizeit/Hobby getrennt sind.

In jeder Beziehung betreiben wir ein „Signalling“, speziell, wenn viel auf dem Spiel steht (z.B. Geschäftsbeziehungen, professionelle Beziehung, Partnerschaft). Wir signalisieren Kompetenz, Gutwilligkeit und Integrität. Glaubwürdigkeit muss immer wieder untermauert werden.

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2. Identitätsmanagement

Identität in Beruf & Alltag erfordert Darstellung (Signalling):

Körperliche Erscheinung, Bekleidung, Gesicht

Sprachliche Zeichen (Wort, Schrift, Symbole)

Übernahme & Gestaltung v. Funktionen und Rollen

Rahmung der Situation (Primärrahmen, Modulation oder Täuschung). Z.B. „Ernst“ vs. „Spiel“, „Theater“, „Humor“.

Koordination vielfältiger Funktionen, Rollen und Situationen

Ziel: Signalling, bei dem Sie sich Publikum als „vertrauenswürdiger Akteur“ (kompetent, gutwillig, integer) präsentieren. Anforderungen des Signalling steigen mit Dauer, Komplexität der Situation und sozialer Kontexte (z.B. professioneller Bereich, formale Organisationen).

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3. Virtuelles Leben?

Onlineleben keine „virtuelle Realität“ bzw. „Second Life“, das streng getrennt, eigenen Regeln und Codes separat vom „realen Leben“ stattfindet. Vielmehr ist Online-Leben Ergänzung und Erweiterung des Offlinelebens.

Was online stattfindet, betrifft reale Akteure.

Sprachliche Zeichen (Wort, Schrift, Symbole)

Übernahme & Gestaltung v. Funktionen und Rollen

Rahmung der Situation (Primärrahmen, Modulation oder Täuschung). Z.B. „Ernst“ vs. „Spiel“, „Theater“, „Humor“.

Koordination vielfältiger Funktionen, Rollen und Situationen

Ziel: Signalling als „vertrauenswürdiger Akteur“ aufbauen. Achtung: steigende Anforderungen!!

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4. Online-Identität

Online-Identität – ein Minenfeld?! In Medienberichterstattung

dominiert Bild vom Internet als Gefährdungszone:

Kriminalität – Betrug und Verbrechen (Kreditkartenbetrug,

Ponzi-Schema, Auktionsbetrug, Lotteriespiel, Nigerianian

Letter, Phishing, Spam, illegale Inhalte usw.)

Suchtverhalten - Einsamkeit, Labilität, Abkopplung

vom normalen Leben (assoziiert mit Online-Spielen)

Datenspuren (Gefahr der Weitergabe oder Veräußerung

an Dritte, Evaluation, Überwachung/Zensur, Rekonstruktion

von Online-Biografien aus Datenspuren).

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4. Online-Identität

Online-Identität ist etwas anderes die Summe der Zugänge,

Pseudonyme & Avatare, Passwörter & User Credentials,

Webseiten, Mitteilungen, Profile, Freunde/Kontakte,

Fans/Follower und Datenspuren:

Online-Identität ist eine kreative Tätigkeit und

soziale Praxis. Sie umfasst alle „Identitätsschnipsel“,

aus denen sich eine Online-Biografie formt oder ex post

rekonstruieren ließe. Somit umfasst Online Identität

sämtliche durchgeführte Aktivitäten im biografischen

Zusammenhang, sowie die vom Akteur absichtlich

unterlassenen Aktivitäten (Selektion).

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Hier entsteht ein Besucherraum: Rahmen: Primärrahmen, Modulation,

Täuschung, Vorder- und HinterbühneRegie und Rollenspiel Darsteller & EnsembleThema bzw. Themenspektrum Content, Dramaturgie/ProgrammPublikum (Wer ist Adressat, wer nicht?)Kontakte (Kooperationschancen)Markt (Tauschchancen)

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Als Anbieter eines Online-Projekts sind

Sie i.d.R. Architekt und Bühnenbildner

(Rahmen), Intendant, Programmchef,

Regisseur, Darsteller, und Produzent:

>> viele Funktionen & Rollen,

>> Was erwartet Anbieter?

>> Was erwartet Publikum?

>> Fokussierter Social Media Einsatz

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Plattformen

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5. Online-Identität als soziale Praxis

Ein möglicher Weg zur Online-Identität Definieren Sie ein Projekt mit Thema bzw. Themenspektrum,

das Sie kompetent mit Inhalt füllen und mit dem Sie gern

identifiziert werden möchten. Definieren Sie Ihre Rolle: z.B. Unternehmer, Forscher, Lehrer,

Reporter, Künstler, Entwickler, Repräsentant

einer Organisation, politischer Aktivist, Humorist … Definieren Sie Ihre Erwartungen! (Erw. später anpassen) Realisieren Sie Ihr Projekt mit Webseite und hochwertigem

Content! Integrieren Sie Step by Step Dienste, Funktionen. Integrieren Sie Selbstpräsentation & Impressum! Beanspruchen Sie Eigentum & Urheberschaft!

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5. Online-Identität als soziale Praxis

Wählen Sie anfangs alle Sicherheitseinstellungen & Auffind- barkeit Ihrer Profile auf SNS restriktiv, begrenzen Sie Angaben in Formularen auf die Pflichtfelder, beginnen Sie mit moderierten Kommentaren in Weblogs, wählen Sie Nutzungslizenzen zunächst restriktiv.

Knüpfen Sie Kontakte online, im Berufs- und Alltagsleben und positionieren Sie sich mit Ihrem Online-Projekt!

Laden Sie Feedback ein! Schaffen Sie eine offene Atmosphäre, dulden Sie jedoch keine Entgleisungen!

Definieren Sie Diskursregeln. Sie sind dafür verantwortlich – zusammen mit Besuchern und Betreibern anderer Projekte!

Bald werden Sie mit Ihrem Projekt identifiziert. Daher muss es einen Wert/eine Leistung repräsentieren und sich kohärent mit Ihrem Offline-Leben verbinden lassen.

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Online-Bühne & Online-Rolle

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Gezwitscher

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Profile, Kontakte

Page 19: Das digitale Ich Republica 09

Spielfiguren

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Meetings

Links: Republica 08 Berlin, rechts Identitycamp 08 Bremen

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Identitätsmanagement

Identitätsmanagement nach Prinzipien der Selbst-Organisation,

um vorteilhafte Webseiten, Profile, Leistungen in geordneter Form

darzustellen.

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Identitätsmanagement

Identitätsmanagement in Kombination mit Personen-Suchmaschine

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Identitätsmanagement

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3. Wie wird Vertrauen online konstituiert?

Von Vertrauen online könnte man sprechen, wenn

... eine Vertrauensbeziehung mit best. Verlauf gegeben ist

… die auf rationaler Wahl, Routine und Reflexivität gründet

… die verbleibende Verletzlichkeit und Unsicherheit aufhebt

… als ob eine mit Spannung behaftete Situation bereits zu einem guten Ende gekommen wäre

… wobei Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer positive Erwartungen an ein mehr oder minderspezifisches Gegenüber (Generalisierter Anderer) richten, aufrechterhalten und regelmäßig erneuern

… um die positive Auflösung tatsächlich zu ermöglichen.

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Provider A Provider B

Nutzer A Nutzer B

6. Vertrauenswürdiges Internet

Developer A

Developer B

Quelle: Möllering 2006 + Ergänzungen

Allgemeine Internetöffentlichkeit Allgemeine Internetöffentlichkeit Welche Akteure haben es

miteinander zu tun?

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6. Vertrauenswürdiges Internet

Wer ins Netz geht, könnte Schädigungen erleiden.

Trotz vielfältiger Maßnahmen bleibt Unsicherheit

über mögliche Schädigungen bestehen. Vertrauen

online lässt sich nicht reduzieren auf …

Technologie [Infrastruktur, Datenübertragung]

Kalkulation [Reputationssyssteme (z.B. Punkte)]

Usability [perfektes, nutzerfreundliches Design]

‚Perfektes‘ Set von Regeln und Rollen in Online-Community

Kontrolle und Überwachung durch Provider [Monitoring]

Politische Regulierung [Zugangssperren, Zensur]

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Institutionen(z.B. Wirtschaft, Politik, Recht)

Struktur…

Organisationen Struktur Akteur

Nutzer/Interaktion

Akteur

Source: Möllering 2006 + Ergänzungen

6. Vertrauenswürdiges

Internet

[Einbettung in Offline-Wirklichkeit auf allen Ebenen]

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3. Analytisches Konzept:Vertrauensrad

Rationale Wahl

Nutzen, Interessen

Indikatoren der Vertrauenswürdigkeit

Routinemodell SelbstverständlichkeitNatürliche Anschauung

Isomorphie Institutionen [Regeln, Rollen,

Routinen bzw. ‘gute Praxis’]Systemvertrauen

Aufhebung der Spannung!

‘Als ob’, Rahmung der Situation, Fiktion

‘Just do it’, Annahme einer positiven Lösung

Der ‘Sprung des Glaubens’

Reflexivität

Erfahrung, Prozess

Erneuerung & Bestätigung

Rückgriff auf Vertrautes

Strukturation

Quelle: Möllering 2006

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6. Vertrauenswürdiges Internet

1. Rationale Entscheidung: Vertrauensgeber schließt auf Basis von Vertrauenswürdigkeit und Signalen des Vertrauensnehmers Wette über Vertrauenswürdigkeit ab. Kriterien für Vertrauenswürdigkeit: Gutwilligkeit, Kompetenz, Integrität. Jederzeit besteht Möglichkeit, „auszusteigen“ (Konflikt, Rechtsweg).

2. Routinemodell: Vertrauen ist die natürliche Anschauung im Alltag, erleichtert Bewältigung alltäglicher Situationen. Isomorphie bedeutet, dass es wenige First-Mover, viele Institutionen (Regeln, Rollen, Routinen, Verfahren) fördern Vertrauen. Charakteristisch für Systemvertrauen: Jeder Einzelne vertraut, weil alle anderen Teilnehmer ebenfalls vertrauen.

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6. Vertrauenswürdiges Internet

3. Reflexion: Prozessperspektive – Lernprozess. Vertrauensgeber durchläuft Stufen von ‚naivem Vertrauen‘ hin zum ‚aktivem Vertrauen‘ des intensivem Informations- austauschs mit Vertrauensnehmer. Er reflektiert sein Handeln, tauscht Erfahrungen mit anderen aus. Beispiele: Ego-Googeln, „Identitätsmanagement“ & “Reputations- management“ bei Provider, Austausch mit Peers.

4. Glaubenssprung: Aufheben der Unsicherheit über mögliche Beschädigung durch Zuversicht, dass Online-Identität zu positivem Ergebnis führt. Aufrechterhaltung positiver Erwartungen auch bei Rückschlägen. Beispiel: Online-Projekt starten, Netzwerken, Reputation aufbauen, sich positionieren.

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6. Vertrauenswürdiges Internet

5. Erfahrung: Wer sich auf Soziales Leben online einlässt, ist mit emotionaler Erfahrung der Unsicherheit konfrontiert, bis kritische Situation positiv aufgelöst ist. Bei Online-Identität besteht Spannungsverhältnis dauerhaft.

6. Ermöglichung: Jeder Teilnehmer kann selbst zum Entstehen eines vertrauenswürdigen Internet beitragen. Wer selbst wertvolle Beiträge erbringt, Regeln definiert und auch gegen Widerstände durchsetzt, selbst den ‚guten Ton‘ repräsentiert, erschafft im Zusammenwirken mit anderen Teilnehmern das vertrauenswürdige Netz.

Misstrauen (Skepsis, Zurückhaltung, alle Faktoren überprüfen) und Macht (Sanktionspotenziale) sind keine Alternativen zu Vertrauen. 1. zu viele Unsicherheitsquellen 2. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis.

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Diese Präsentation wurde mit einer Creative Commens publiziert. Kontakt: Dr. Tina Guenther; E-Mail: mail (at) tguenther (punkt) de. Twitter @sozlog