„darf ich vorstellen ...?“

1
pflegewissenschaft 04/2013 pro care 20 © Springer-Verlag Liebe Leserinnen und Leser, pflegewissenschaftliche Studien werden immer häufiger auch in Zeitschriften pub- liziert, die nicht in erster Linie ein wissen- schaftlich arbeitendes Zielpublikum ha- ben und das ist gut so. Pflegepraktiker und -praktikerinnen mit mehr oder weniger großem Wissen über Forschungsmetho- den, lesen vermehrt diese Artikel, schnup- pern aber auch in wissenschaftliche Jour- nals – auch das ist eine durchaus positive Entwicklung. Auch ist auf der Ebene der fachein- schlägigen Veranstaltungen zu beobachten, dass die klassische Trennung: pflegewis- senschaftlicher Kongress/pflegeprakti- scher Kongress immer mehr der Vergan- genheit angehört und die emen sich durchaus durchmischen bzw. ergänzen. Das ist zu begrüßen, denn es fördert die Wissenszirkulation. Da aber das in der pflegewissenschaft- lichen Forschung angewandte Methoden- repertoire sehr umfangreich ist und sich auch immer weiter entwickelt, bzw. „neue“ Designs und Methoden im Zusam- menhang mit pflegewissenschaftlichen Fragestellungen Anwendung finden, fällt es selbst dem gut informierten wissen- schaftlichen Laien oft schwer, den Über- blick zu behalten und ungleich schwerer, einzelne, plötzlich sehr populär gewor- dene Designs oder Methoden zur Erfor- schung pflegewissenschaftlicher Frage- stellungen, gut zu verstehen (zumal bei Vorträgen oder auch im Rahmen eines Forschungsartikels häufig wenig Raum für methodische Erklärungen bleibt). Meine Kollegen und Kolleginnen vom Institut für Pflegewissenschaft und ich werden Ihnen nun in dieser neuen pflege- wissenschaftlichen Artikelserie in ProCare „Darf ich vorstellen…?“ einige ausge- wählte Designs, Methoden und Strategien vorstellen, die häufig in der pflegewissen- schaftlichen Literatur vorkommen, und die – unserer Meinung nach – durchaus nicht so eindeutig zu verstehen und zu in- terpretieren sind, und mit Beispielen aus unseren eigenen empirischen Arbeiten veranschaulichen. In den nächsten Ausgaben von Pro- Care wird es daher in der Serie „Darf ich vorstellen …?“ um folgende emen ge- hen: „Delphi-Befragungen“ (Sabine Köck- Hódi), „Focus Groups“ (Johanna Breuer & Maria Daniel), „Mixed Method Designs“ (Hanna Mayer), „Aktionsforschung“ (Eva Faul & Eva Zojer), „eoretical Sampling“ (Martin Nagl-Cupal). Eröffnet wird der Reigen mit dem fol- genden Beitrag zum ema „Case Study Design“ von Sabine Schrank. Viel Spaß beim Lesen und Lernen wünscht Ihnen Ihre Univ.-Prof. Dr. Hanna Mayer „Darf ich vorstellen …?“ Eine neue pflegewissenschaftliche Artikelserie in ProCare Institut für Pflegewissenschaft Das qualitative Case Study Design Komplexe pflegerische Phänomene verstehen S. Schrank, H. Mayer 1 Das qualitative Case Study Design (2) ist eine geeignete Methode, um komplexe pflegerische Phänomene in ihrem Kon- text zu untersuchen. Die in Folge daraus gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es, Einflussfaktoren auf unterschied- lichste soziale Situationen von Men- schen – wie Pflegebedürftigkeit oder Krankheit – besser zu verstehen. Das Case Study Design wird im Rahmen der qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschung vielfach angewendet. Es exis- tiert eine unterschiedliche Zahl an Begriff- lichkeiten, wie „Einzelfallstudie“ oder „Fallrekonstruktion“, die oftmals synonym zum Case Study Design verwendet wer- den. Der Terminus „qualitative Case Stu- dies“ per se sagt aber noch nichts über die Methodik aus, sondern bildet eine Art Rahmenbegriff für die Verwendung einer breiten Palette an Forschungsmethoden. Qualitative Case Studies haben ihren Ur- sprung im Grundgedanken qualitativer Forschung und folgen wie auch andere qualitative Forschungsmethoden den Grundsätzen des konstruktivistischen Pa- radigmas, welches besagt, dass die Wahr- heit relativ und abhängig von der jeweili- gen Perspektive ist (Baxter & Jack 2008; Simons 2008). Die Besonderheit qualitati- ver Case Studies besteht jedoch darin, dass der Fokus auf der Erklärung und Un- tersuchung des Kontextes zu einem Phä- nomen und dessen Einfluss liegt (Cress- 1 Mag. Sabine Schrank, Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer, Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien 2 Da die Begrifflichkeiten nicht klar voneinander abgrenzbar sind, wird in Folge der Begriff des qualitativen Case Study Designs und qualitative Case Studies synonym verwendet.

Upload: univ-prof-dr-hanna-mayer

Post on 09-Dec-2016

228 views

Category:

Documents


3 download

TRANSCRIPT

Page 1: „Darf ich vorstellen ...?“

pflegewissenschaft

04/2013 pro care20 © Springer-Verlag

Liebe Leserinnen und Leser,

p�egewissenschaftliche Studien werden immer häu�ger auch in Zeitschriften pub-liziert, die nicht in erster Linie ein wissen-schaftlich arbeitendes Zielpublikum ha-ben und das ist gut so. P�egepraktiker und -praktikerinnen mit mehr oder weniger großem Wissen über Forschungsmetho-den, lesen vermehrt diese Artikel, schnup-pern aber auch in wissenschaftliche Jour-nals – auch das ist eine durchaus positive Entwicklung.

Auch ist auf der Ebene der fachein-schlägigen Veranstaltungen zu beobachten, dass die klassische Trennung: p�egewis-senschaftlicher Kongress/pflegeprakti-scher Kongress immer mehr der Vergan-genheit angehört und die �emen sich durchaus durchmischen bzw. ergänzen. Das ist zu begrüßen, denn es fördert die Wissenszirkulation.

Da aber das in der p�egewissenschaft-lichen Forschung angewandte Methoden-repertoire sehr umfangreich ist und sich auch immer weiter entwickelt, bzw. „neue“ Designs und Methoden im Zusam-

menhang mit p�egewissenschaftlichen Fragestellungen Anwendung �nden, fällt es selbst dem gut informierten wissen-schaftlichen Laien oft schwer, den Über-blick zu behalten und ungleich schwerer, einzelne, plötzlich sehr populär gewor-dene Designs oder Methoden zur Erfor-schung p�egewissenschaftlicher Frage-stellungen, gut zu verstehen (zumal bei Vorträgen oder auch im Rahmen eines Forschungsartikels häu�g wenig Raum für methodische Erklärungen bleibt).

Meine Kollegen und Kolleginnen vom Institut für P�egewissenschaft und ich werden Ihnen nun in dieser neuen p�ege-wissenschaftlichen Artikelserie in ProCare „Darf ich vorstellen…?“ einige ausge-wählte Designs, Methoden und Strategien vorstellen, die häu�g in der p�egewissen-schaftlichen Literatur vorkommen, und die – unserer Meinung nach – durchaus nicht so eindeutig zu verstehen und zu in-terpretieren sind, und mit Beispielen aus unseren eigenen empirischen Arbeiten veranschaulichen.

In den nächsten Ausgaben von Pro-Care wird es daher in der Serie „Darf ich

vorstellen …?“ um folgende �emen ge-hen: „Delphi-Befragungen“ (Sabine Köck-Hódi), „Focus Groups“ (Johanna Breuer & Maria Daniel), „Mixed Method Designs“ (Hanna Mayer), „Aktionsforschung“ (Eva Faul & Eva Zojer), „�eoretical Sampling“ (Martin Nagl-Cupal).

Erö�net wird der Reigen mit dem fol-genden Beitrag zum �ema „Case Study Design“ von Sabine Schrank.

Viel Spaß beim Lesen und Lernen wünscht Ihnen Ihre

Univ.-Prof. Dr. Hanna Mayer

„Darf ich vorstellen …?“ Eine neue pflegewissenschaftliche Artikelserie in ProCare

Institut für Pflegewissenschaft

Das qualitative Case Study Design

Komplexe pflegerische Phänomene verstehen

S. Schrank, H. Mayer1

Das qualitative Case Study Design (2) ist eine geeignete Methode, um komplexe p�egerische Phänomene in ihrem Kon-text zu untersuchen. Die in Folge daraus gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen es, Ein�ussfaktoren auf unterschied-lichste soziale Situationen von Men-

schen – wie P�egebedürftigkeit oder Krankheit – besser zu verstehen.

Das Case Study Design wird im Rahmen der qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschung vielfach angewendet. Es exis-tiert eine unterschiedliche Zahl an Begri�-lichkeiten, wie „Einzelfallstudie“ oder „Fallrekonstruktion“, die oftmals synonym zum Case Study Design verwendet wer-den. Der Terminus „qualitative Case Stu-dies“ per se sagt aber noch nichts über die Methodik aus, sondern bildet eine Art Rahmenbegri� für die Verwendung einer

breiten Palette an Forschungsmethoden. Qualitative Case Studies haben ihren Ur-sprung im Grundgedanken qualitativer Forschung und folgen wie auch andere qualitative Forschungsmethoden den Grundsätzen des konstruktivistischen Pa-radigmas, welches besagt, dass die Wahr-heit relativ und abhängig von der jeweili-gen Perspektive ist (Baxter & Jack 2008; Simons 2008). Die Besonderheit qualitati-ver Case Studies besteht jedoch darin, dass der Fokus auf der Erklärung und Un-tersuchung des Kontextes zu einem Phä-nomen und dessen Ein�uss liegt (Cress-

1 Mag. Sabine Schrank, Univ.-Prof. Mag. Dr. Hanna Mayer, Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien

2 Da die Begrifflichkeiten nicht klar voneinander abgrenzbar sind, wird in Folge der Begriff des qualitativen Case Study Designs und qualitative Case Studies synonym verwendet.