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Familienbildung im Aufbruch Chancen und Herausforderungen
für eine zukunftsfähige Familienbildung
Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb)
Fachtag, 3. Juli 2014
Die Bedeutung von Bindung im Kontext der Familienbildung
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Die Bedeutung von Bindung im Kontext der Familienbildung: Die Wünsche von Dr. Martina Rupp
1. Definition und Erläuterung des Bindungskonzeptes 2. Relevanz von gelingender Bindung für die kindliche Entwicklung (und den Lebenslauf) 3. Bezug zu Familienbildung - Was sollte in Konzepte zur Familienbildung einfließen? - Was sollten Mitarbeiter von Familienstützpunkten wissen und können?
Mary Ainsworth und John Bowlby, London 1987
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1. Definition und Erläuterung des Bindungskonzeptes
Bindung ist ein vom Gefühl getragenes Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft, das sie über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet. Meist wird die andere Person als stärker und weiser empfunden. Man kann an mehr als eine Person gebunden sein, aber nicht an viele. Seelisches und körperliches Trennungsleid sind ein eindeutiges Zeichen für Bindung.
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Das biologische Programm „Bindung“: Die Seite des Kindes
Ein Junges (schwach u. unerfahren) kann ohne Schutz und Fürsorge nicht überleben.
Verlassen-Werden bedeutet „in der Wildnis, im Krieg“ den Tod. Die erfolgreichste Überlebensstrategie von Jungen: • Eine Bindung an die bemutternde Person entwickeln, sie schnell
von anderen unterscheiden können, • Attraktiv sein (Kindchenschema), • Angst vor dem Verlassen-Werden angelegt von Geburt an • Verhaltensweisen haben, die die Nähe zur schützenden Person
gewährleisten = Bindungsverhaltensweisen (Rufen, Weinen, Nachfolgen, Anklammern, Protest gegen Trennung).
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„Die Aufrechterhaltung mütterlicher Zuwendung war einst für das Überleben eines Säuglings genau so wichtig wie die Luft zum Atmen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.“
(Hrdy, 2000, Mutter Natur. S. 436)
Evolution, Die „Natur“ und die Notwendigkeit von Bindung
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• Eine Bindung entwickelt sich aus häufigen Interaktionen mit besonderen beständigen Personen, die das Kind versorgen, beschützen und ihn bei Belastung beruhigen.
• Meist wird die andere Person als stärker und weiser empfunden, auch wenn die Rollen im Erwachsenenalter austauschbar sind.
• Die Bindungspersonen werden zum „sicheren Hafen“, zu dem man flüchten kann und wo man Schutz findet, und zur „Sicheren Basis“, von der aus man gesichert erkunden kann.
Das biologische Programm „Bindung“: Die Seite des Kindes
Ideal: Die Bindungsperson ist
Sicherer Hafen und
Sichere Basis
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Die kindliche Balance von Bindungs- und Explorations-System
Bei Wohlbefinden
Bei Missbehagen, Distress, Leid
Explorationsverhalten
Bindungsverhalten
Bindungsverhalten
Explorationsverhalten
Das Konzept der Bindungs-Explorations Balance: Das Bindungsverhaltenssystem und das Explorationsverhaltenssystem sind wie eine Wippe miteinander verbunden. Wenn ein System aktiviert ist, ist das andere deaktiviert.
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Das „Bindungs-Programm“ im Zusammenspiel mit Eltern
• Nur starke und zuverlässig zugewandte Eltern garantieren Schutz,
• Schutz fördert Zuwendung und Kommunikation.
• Schutz und Unterstützung sichern die Exploration.
• Gefühle sind auf die Eltern hin organisiert,
• Sie sind, in sicheren Bindungen, frei von Angst Darum haben sie „recht“, und nicht das Kind, auch bei schmerzenden
Erziehungsmaßnahmen zugunsten des Kindes. Wenn das nicht so wäre, wäre ein Kind „verloren“.
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Elterliche Feinfühligkeit ist die notwendige und angemessene externe Regulierung des Befindens eines
Schwächeren durch einen Stärkeren
Feinfühligkeit ist die Fähigkeit der „stärkeren und weiseren“ Person, die Signale und Kommunikationen des Kindes im Bindungs- und Explorationsbereich
– bewusst wahrzunehmen, – richtig zu interpretieren, und – auf sie angemessen und – prompt zu reagieren.
(Skala von Mary Ainworth) Feinfühliges Reagieren wird von allen „Stärkeren“ erhofft:
zeitweilig vom Partner, Erzieher, Lehrer, Therapeuten…
Grossmann, K.E., Bretherton, I., Waters, E., & Grossmann, K. (Guest Editors, 2013). Maternal sensitivity: Observational studies honoring Mary Ainsworth’s 100th year. Special Issue. Attachment and Human Development, 15, Nos. 5-6.
Skalen für wirkungsvolles mütterliches Verhalten (Mary Ainsworth)
• Feinfühligkeit gegenüber Unfeinfühligkeit gegenüber den Signalen (Mitteilungen, Kommunikationen, Ausdrucksweisen) des Babys
• Zusammenspiel (Kooperation) gegenüber Beeinträchtigung (Eingreifen/Einmischen)
• Annahme gegenüber Zurückweisung • Verfügbarkeit gegenüber Unerreichbarkeit
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Psychische Sicherheit versus Unsicherheit Hafen der Sicherheit: Das Kind beruhigt seine Gefühle von Angst und Unsicherheit durch konfliktfreie Nähe zur Bindungsperson.
– Eingeschränkte, an Bedingungen geknüpfte Verfügbarkeit (unsicher-vermeidend)
Sichere Basis: Das Kind hat eine ständig verfügbare Basis für konflikt- und angstfreie spielerische Exploration.
– Unterstützung fehlt, Autonomiewunsch wird eingeschränkt (unsicher-verstrickt)
Desorganisation. Dem Kind fehlt beides: – Bei Distress kein Hafen der Sicherheit, – bei Wohlbefinden keine Sichere Basis.
Es kann seine Gefühle nicht um ein „Loch“ organisieren. 14
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Sichere Bindung „B“
Unsicher ängstlich ambivalente Bindung „C“
Unsicher vermeidende Bindung „A“
Folgen unterschiedlicher Feinfühligkeit für Kinder im ersten Lebensjahr: Sichere und unsichere kindliche Bindungsstrategien nach Aktivierung des Bindungssystems durch kurzfristige Trennungen von einer Bindungsperson. (Optimale Nutzung und Einschränkungen)
„Desorganisierte“ Bindungsstrategien • Eine organisierte Strategie nach Nähe zur Bindungsperson bei
Verunsicherung ist oft nur ansatzweise zu erkennen (Sicher, Vermeidend, Ängstlich).
• Dies wird jedoch nicht durchgeführt. Das Kind kann unter Distress nicht
„organisiert“ handeln.
Grund: Emotionale Konflikte („Übersprungverhalten“) (zer-)stören die nicht ersetzbare Aufmerksamkeit und Orientierung gegenüber den Sicheren Hafen. Die Sichere Basis entfällt dadurch.
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Psychische Sicherheit: Die Aufmerksamkeit auf die äußere Wirklichkeit richten, und die innere Wirklichkeit (Gefühle) damit in Übereinstimmung bringen)
2 Videobeispiele: 1. Aufmerksamkeit nach innen gerichtet: von unsicheren
Gefühlen absorbiert, ihnen ausgeliefert, Hilfe vermeiden 2. Aufmerksamkeit nach außen gerichtet: Hilfe bei
Erklärungen für Gefühle suchen, Lösungen suchen…
2. Relevanz von gelingender Bindung für die kindliche Entwicklung (und den Lebenslauf)
• Früher (und heute?) „professionelle“ Versorgung der Familie mit schwer Erreichbarem (Ressourcenbeschaffer)
• Schutz von Mutter und Kind • Schutz des Kindes bei waghalsigen
Erkundungen („Secure Base“) • Sekundäre Bindungsperson • Vermittlung seines Wissens besonders
vom Männer-Handwerk • Vertrauter Lehrer und Gefährte • Vorbild für die männliche Rolle für
Mädchen und für Jungen • Vorbild für die Qualität der Beziehung
zur Mutter (Qualität der Ehe) und zu anderen.
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„Spielfeinfühligkeit“ mit eigenen 2 und 6-jährigen Kindern:
Das Kind zum Selber-Machen ermutigen Unauffällige Kooperation und Unterstützung, so dass das
Kind meint, es habe es allein gemacht. Werke und Taten des Kindes aufwerten Loben, aber nur was wirklich neu gekonnt war Lehren und Vormachen, was das Kind begreifen kann Erreichbare Ziele setzen Angemessene Verhaltensregeln erwarten und einfordern.
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Mu 5-10
Va 5-10
PI Sicher
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AAI Sicher
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Mutter: Feinfühlig-keit und Unterstüt-zung
Vater: Ermöglichung und Unterstützung (“Spiel-feinfühligkeit”)
stärker
Psychische Sicherheit als Ergebnis mütterlicher und väterlicher Feinfühligkeit und Unterstützung (Varianz-Dekompositionsanalyse)
* = Sign. Korrelationen bestehen)
gering Gem. Varianz> Einzelvarianz
Mu 0-3
Va 0-3
*
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Zunehmende „Mentalisierung“ (Reflexion über sich und die Welt)
3. Bezug zu Familienbildung
1. Sensibilisierung für die Bedürfnisse des Kindes nach Sicherheit und Unterstützung durch Anteilnahme („Feinfühligkeit gegenüber dem Ausdrucksverhalten)
2. Unterstützung der Eltern bei Überforderung (Armut, soziale Isolation, Krankheit, Bindungsstörungen, Konflikten…)
3. Bestätigung und Stärkung elterlichen Umgangs mit sich und ihren Kindern, Unterstützung durch neue Bindungs-Beziehungen zu Erziehern und anderen.
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