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TIBET BUDDHISMUS und April Mai Juni 2006 Heft 77 ERFAHRUNG 25 A ls ich in den späten siebziger Jahren anfing, mich mit dem Buddhismus zu beschäftigen, kam er für mich zunächst nur als unverbindliche Lebens- philosophie in Frage. Ich praktizierte und studierte zwar eifrig, hätte aber nicht im Traum daran gedacht, mich exi- stenziell an mein Hobby zu binden. Dennoch folgte ich etwa drei Jahre später, etwas verwirrt, einer plötzlichen Aufforderung meines Meditationslehrers Lama Jampa Thaye, und nahm in einer privaten Zeremonie Zuflucht und wurde „offiziell” Buddhistin. Der Schritt erwies sich als positiver Durchbruch, viele Hindernisse verschwan- den, hinterher blieben nur kleinere Identitätsfragen zu klären. Heute, fast dreißig Jahre später weiß ich: Jampa Thaye hatte das richtige Gespür und ich das seltene Glück einer persönlichen Betreuung. Durch alle Schwierigkeiten und Ernüchterungen hindurch blieb die Zufluchtnahme fest und gab mir eine starke innere Ausrichtung. Der Buddhismus wandelte sich dadurch für mich von einer Lebensphilosophie in eine Religion im besten Sinn des Wortes: keine Religion, die es äußerlich zu bekennen gilt oder die mich hindert, von anderen Lebensphilosophien und Religionen zu lernen. Vielmehr ist der Buddhismus für mich eine Stütze, die für mein Leben tragfähig geblie- ben ist und meinen Übungen eine Dimension verleiht, die weit über mein persönliches Leben hinausgeht. Seit einigen Jahren jedoch gebe ich praxisorientierte Kurse für Nicht-Buddhisten und bin dadurch, zumindest als Kursleiterin, wieder beim Buddhismus als Lebens- philosophie gelandet. Einige meiner Teilnehmer praktizie- ren nun schon seit Jahren mit anhaltendem Interesse, aber Zuflucht scheint kaum ein relevantes Thema. Manche die- ser Personen sind überzeugte Christen, und ich freue mich darüber, dass wir uns somit einer Zielvorstellung des Dalai Lama annähern: ein freies Lernen unterschiedlicher Richtungen von- und miteinander, ohne jeden Versuch der Missionierung. Buddhismus – Lebensphilosophie oder Religion? Das Interesse am Buddhismus im Westen ist groß. Cornelia Weishaar-Günter erör- tert die verschiedenen Möglichkeiten, sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen: als Lebensphilosophie oder als Religion auf der Basis der Zufluchtnahme. von Cornelia Weishaar-Günter S.H. der Dalai Lama spricht im Mai 2003 in Berlin vor rund 10.000 Menschen. Menschliche Werte zu vermitteln ist ihm wichtiger, als den Buddhismus zu verbreiten. dpa

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TIBET BUDDHISMUSund

April Mai Juni 2006 Heft 77

E R F A H R U N G

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Als ich in den späten siebziger Jahren anfing, michmit dem Buddhismus zu beschäftigen, kam er fürmich zunächst nur als unverbindliche Lebens-

philosophie in Frage. Ich praktizierte und studierte zwareifrig, hätte aber nicht im Traum daran gedacht, mich exi-stenziell an mein Hobby zu binden. Dennoch folgte ichetwa drei Jahre später, etwas verwirrt, einer plötzlichenAufforderung meines Meditationslehrers Lama JampaThaye, und nahm in einer privaten Zeremonie Zufluchtund wurde „offiziell” Buddhistin. Der Schritt erwies sichals positiver Durchbruch, viele Hindernisse verschwan-den, hinterher blieben nur kleinere Identitätsfragen zuklären.

Heute, fast dreißig Jahre später weiß ich: Jampa Thayehatte das richtige Gespür und ich das seltene Glück einerpersönlichen Betreuung. Durch alle Schwierigkeiten undErnüchterungen hindurch blieb die Zufluchtnahme festund gab mir eine starke innere Ausrichtung. DerBuddhismus wandelte sich dadurch für mich von einerLebensphilosophie in eine Religion im besten Sinn desWortes: keine Religion, die es äußerlich zu bekennen giltoder die mich hindert, von anderen Lebensphilosophienund Religionen zu lernen. Vielmehr ist der Buddhismusfür mich eine Stütze, die für mein Leben tragfähig geblie-ben ist und meinen Übungen eine Dimension verleiht, dieweit über mein persönliches Leben hinausgeht.

Seit einigen Jahren jedoch gebe ich praxisorientierteKurse für Nicht-Buddhisten und bin dadurch, zumindestals Kursleiterin, wieder beim Buddhismus als Lebens-philosophie gelandet. Einige meiner Teilnehmer praktizie-ren nun schon seit Jahren mit anhaltendem Interesse, aberZuflucht scheint kaum ein relevantes Thema. Manche die-ser Personen sind überzeugte Christen, und ich freuemich darüber, dass wir uns somit einer Zielvorstellung desDalai Lama annähern: ein freies Lernen unterschiedlicherRichtungen von- und miteinander, ohne jeden Versuchder Missionierung.

Buddhismus – Lebensphilosophie oder Religion?

Das Interesse am Buddhismus im Westen

ist groß. Cornelia Weishaar-Günter erör-

tert die verschiedenen Möglichkeiten, sich

mit dem Buddhismus zu beschäftigen: als

Lebensphilosophie oder als Religion auf

der Basis der Zufluchtnahme.

von Cornelia Weishaar-Günter

S.H. der Dalai Lama spricht im Mai 2003 in Berlin vor rund10.000 Menschen. Menschliche Werte zu vermitteln ist ihmwichtiger, als den Buddhismus zu verbreiten.

dpa

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Anderen Teilnehmern scheint jedoch der innere Halt zufehlen, und ich frage mich zuweilen, ob mein ersterMeditationslehrer bei dem einen oder anderen genausointervenieren würde wie damals bei mir. Es wäre jedochnicht ratsam, ihn imitieren zu wollen, und so folge ich lie-ber der Anweisung des Dalai Lama, im Zweifelsfall zumBuddhismus als bloßer Lebensphilosophie zu raten, umspätere Verwirrungen zu vermeiden.

MEHR GLÜCKIM HIER UND JETZT

Was bewirkt der Buddhismus,wenn er als Lebensphilosophiebetrachtet und praktiziert wird?Die Grundlage des Buddhis-mus bildet die Übung derEthik, zum Beispiel das Unter-lassen unheilsamer Handlungen, insbesondere desSchädigens anderer. Wer diese Ethik praktiziert, fördertdie Harmonie in sich und mit anderen sowie dieBereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Darüber hinaus gibt es viele Meditations- und Acht-samkeitsübungen des Buddha, die sich auch Nicht-Buddhisten leicht zu eigen machen können. Ob dieAtemmeditation oder die Praxis von Mitgefühl undGeduld – die Übungen können dazu führen, dass wir unsselbst und andere mehr akzeptieren, sie können innereAusgeglichenheit und Heiterkeit bringen. Wir werden mituns selbst und unserem Geist vertrauter.

Auch die Schulung der Weisheit ist bis zu einem gewis-

sen Grad hilfreich für Nicht-Buddhisten. Wer sich etwa miteiner der Grundlehren des Buddha von der Vergänglich-keit vertraut macht, dem wird die Kostbarkeit, aber auchdie Fragilität des Lebens sehr bewusst. Dadurch könnenwir uns im Leben auf das Wesentliche konzentrieren.Wenn wir stärker mit der Realität verbunden sind, ist unserGeist ruhiger und ausgeglichener.

Der Buddhismus ist als Lebensphilosophie grundsätz-lich mit jeder anderen humanistisch orientierten Welt-anschauung oder Religion vereinbar, denn wir können unsin der Praxis auf diejenigen Aspekte beschränken, die aufunser unmittelbares Leben gerichtet sind.

BUDDHISMUS ALS RELIGION

Zur Religion oder existenziellen Stütze wird derBuddhismus dann, wenn es um die tiefere Bedeutung desSeins geht. Dabei mache ich immer wieder die für micherstaunliche Erfahrung, dass Diskussionen über Karma(eine relative Wahrheit) deutlich beliebter sind als Dis-kussionen über die tiefste Sichtweise (die endgültige

Wahrheit).Dennoch löst die Vorstellungvon Karma und Wiedergeburtin unserer westlichen Kultursehr oft zwei typische Reak-tionen aus: spontane Ableh-nung oder Verharmlosung.Die Ablehnung erfolgt unterwestlichen Buddhismus-Inter-essierten in der Regel undra-

matisch: Man nimmt die fremde Meinung zur Kenntnisund lässt sich nicht weiter beunruhigen. Dennoch steckthinter dem Unwillen, die Möglichkeit der Wiedergeburternst zu nehmen, vermutlich der Wunsch nach Sicherheit,mit dem Tod endlich Ruhe zu finden.

Hier findet sich eine auffällige Parallele in der Reaktionder Chinesen auf ihre ersten Begegnungen mit demBuddhismus. Die Sinologin Livia Kohn fasst zusammen:„The Chinese were utterly horrified by the notion of anongoing responsibility.” („Die Chinesen waren entsetztüber die Auffassung, dass es eine andauernde Verant-wortung gibt.”, Livia Kohn, Laughing at the Tao, Debatesamong Buddhists and Taoists in Medieval China, 1995,S.4). Dabei verstanden die Chinesen zweifellos besser alswir heute, welch fürchterliche Maschinerie der Daseins-kreislauf nach den indischen Lehren darstellt. Sie zogen esvor, sich als Teil der Natur zu fühlen und sich zu entspan-nen, anstatt sich über den Tod hinaus zu sorgen.

Bei anderen westlichen Menschen löst die Idee derWiedergeburt hingegen oft positive, ja tröstliche Asso-ziationen aus. Ein Grund könnte das Hängen am Ego sein.Das Ego möchte gern überleben und erfreut sich an demGedanken, über den Tod hinaus weiterzubestehen. Aller-dings wird Wiedergeburt hier gründlich missverstanden,denn dem Buddhismus zufolge überlebt das Ego den Todnicht! Wiedergeburt bedeutet, dass sich auf der Basis einessubtilen Bewusstseinskontinuums eine neue Identität miteinem ganz neuen Umfeld bildet.

URSACHEN DER ZUFLUCHTNAHME

Den Buddhismus als Religion zu praktizieren ist eine echteLebensentscheidung, die uns eine stabile innere Aus-richtung geben soll. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsaufrichtig prüfen, bevor wir Zuflucht nehmen, d.h.Buddhist werden. Nicht wenige im Westen sind von eini-gen äußeren Aspekten der Kirchen enttäuscht und wen-den sich dann dem Buddhismus zu. Sie werden sich spä-ter genauso von den buddhistischen Organisationenabwenden, wenn sie ihre menschlichen Seiten undSchwächen nur besser kennenlernen.

Als die klassischen Ursachen der Zufluchtnahme wer-

„Die Übung der Ethik fördert die

Harmonie mit sich und anderen.”

Achtsamkeitsübungen können auch Nicht-Buddhistenhelfen, mehr Ausgeglichenheit zu finden.

Jens

Nag

els

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den Furcht und Vertrauen sowie, speziell im Mahåyåna-Buddhismus, zusätzlich Mitgefühl genannt. Die Furchtbetrifft das, was unsere Geistesgifte und negativen Emo-tionen (Hass, Begierde, Verblendung) anrichten – undzwar nicht nur in diesem Leben, sondern vor allem auchin der Gesamtheit des Daseinskreislaufs, also auch nachdem Tod.

Furcht ist kein so angenehmes Gefühl wie das Entspan-nen im Hier und Jetzt, und warum sollen wir ausgerech-net Furcht erzeugen? Der Buddhist wird antworten: weilder Daseinskreislauf eine wahre Tatsache ist. Lässt sich dasbeweisen?

Im üblichen Aufbau der buddhistischen Unter-weisungen wird das Karmagesetz (der Zusammenhangvon Ursache und Wirkung im Daseinskreislauf) zumeistzuerst ex cathedra erklärt, d.h. Kraft der Autorität desBuddha und der Siddhas, die seine Lehren in ihren Erfah-rungen bestätigt haben. Solange wir keinen Widerspruchin diesen Aussagen finden, gelten sie im Buddhismus alslogisch erwiesen. Hier werden wir als westliche MenschenEinspruch erheben, denn Logik bedeutet für uns, dassgewöhnliche Personen ohnebesonderes Geistestrainingalles nachvollziehen können.Dennoch können wir unsbewusst machen, dass wirgenauso die Aussagen vonAtomphysikern ernst nehmen,weil sie von ihren Kollegenbestätigt werden, auch wennsie ohne jahrelanges Spezial-Training für uns nicht wirklichnachvollziehbar sind.

Der etwas bittere Geschmack von Vorschussvertrauenkann sich jedoch auflösen, wenn wir zu den fortgeschrit-teneren Unterweisungen der Leerheit und des Abhän-gigen Entstehens gelangen: Jetzt wird die Karmalehre zu-mindest hochwahrscheinlich, denn wenn es keinen in-härenten Beginn einer Energie, z.B. unseres Bewusstseins,gibt, was sollte sie beenden? Je mehr das Verständnis derLeerheit wächst, um so mehr kommen wir nicht umhin,die unglaubliche Macht des Geistes, der Himmel und Höl-len schafft, anzuerkennen.

Wer zutiefst Zuflucht nehmen und seine innere Stützeim Buddhismus finden möchte, muss die Macht seinesGeistes im Positiven wie im Negativen sehen, und nur dasist es, was hier mit Furcht gemeint ist.

Der zweite Aspekt ist das Vertrauen: Vertrauen in dieFähigkeit der buddhistischen Methoden, unsere innerenAnlagen (Buddhanatur) zur Entfaltung zu bringen. DiesesVertrauen wird langsam mit der Erfahrung wachsen. Auchwenn uns die höheren Dimensionen noch verschlossenbleiben, sehen wir Schritt für Schritt, wie wir Weisheit,umfassendes Mitgefühl und Fähigkeiten weiter kultivierenkönnen.

WEISHEIT MIT DER ESSENZ DES MITGEFÜHLS

In manchen Mahåyåna-Texten wird auch Mitgefühl mitallen Lebewesen als Ursache für die Zuflucht genannt.

Dahinter steht ein wahrhaft umfassendes Verständnis desUniversums: "Wie Glieder eines einzigen Körpers"(Œåntideva) sind wir mit allen Lebewesen untrennbar ver-

bunden. Nicht nur zeitlich,auch räumlich und jedem ein-zelnen Wesen gegenüber ent-wickeln wir nach und nachgrenzenlose Offenheit."Leerheit mit der Essenz desMitgefühls" ist die wohl schön-ste Beschreibung für das, waswir in unserer tiefsten Naturerfahren können.

Mitgefühl mag für ent-sprechend veranlagte Men-

schen sofort eine höchst inspirierende, freudige Ursachefür Zuflucht sein, aber unsere eigene innere Festigkeit istdie Basis dafür, andere überhaupt konstruktiv unterstüt-zen zu können. Besonders Anfänger könnten dazu neigen,ihr Selbstwertgefühl nicht aus sich selbst zu ziehen, son-dern sich aus verstecktem Wunsch nach Anerkennung fürandere so zu verausgaben, dass sie schließlich ausge-brannt sind. Das ist in westlichen buddhistischen Zentrenleider oft zu sehen. Es ist zwar wesentlich, so früh wiemöglich eine umfassende Sichtweise und Motivation zupflegen, aber in der Praxis bescheiden bei unserenMöglichkeiten und Grenzen zu bleiben.

"Die Zeit der Missionierung ist vorbei, die Zeit desgegenseitigen Lernens istangebrochen", so verkündetder Dalai Lama unermüdlich- und entsprechend seienBuddhisten wie Nicht-Bud-dhisten ermutigt, von und mitanderen Religionen undPhilosophien zu lernen. Wirgewinnen jedoch viel, wennwir uns darum bemühen, ineiner der großen Religionenunsere innere Ausrichtungund Stütze zu finden.

Dr. Cornelia Weishaar-Günterist Schülerin verschiedenerLehrer unterschiedlicher tibeti-scher Schulrichtungen. Sie ar-beitet hauptberuflich als Tibe-tisch-Übersetzerin und Kurs-leiterin für tibetischen Bud-dhismus im Raum Wiesbaden.

„Die buddhistische Zufluchtnahme

kann dem Leben eine stabile

innere Ausrichtung geben."

Wer den Buddhismus als Religion praktiziert, kann dadurch Haltund Orientierung finden.

Jens

Nag

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