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Briefe (I) des Hl. Franz von Sales, Ordensgründer, Mystiker und Kirchenlehrer; dem Patron der Schriftsteller, Journalisten und Gehörlosen. BAND 5/12

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FRANZ VON SALES FRANZ VON SALES FRANZ VON SALES FRANZ VON SALES FRANZ VON SALES ..... BRIEFE I BRIEFE I BRIEFE I BRIEFE I BRIEFE I

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Deutsche Ausgabe derDeutsche Ausgabe derDeutsche Ausgabe derDeutsche Ausgabe derDeutsche Ausgabe der

WERKE DES HL. FRANZ VWERKE DES HL. FRANZ VWERKE DES HL. FRANZ VWERKE DES HL. FRANZ VWERKE DES HL. FRANZ VON SON SON SON SON SALESALESALESALESALES

Band 5Band 5Band 5Band 5Band 5

Nach der vollständigen Ausgabe derNach der vollständigen Ausgabe derNach der vollständigen Ausgabe derNach der vollständigen Ausgabe derNach der vollständigen Ausgabe der

OEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALESOEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALESOEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALESOEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALESOEUVRES DE SAINT FRANÇOIS DE SALES

der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)der Heimsuchung Mariä zu Annecy (1892-1931)

herausgegeben von den Oblaten des hl. Franz von Salesherausgegeben von den Oblaten des hl. Franz von Salesherausgegeben von den Oblaten des hl. Franz von Salesherausgegeben von den Oblaten des hl. Franz von Salesherausgegeben von den Oblaten des hl. Franz von Sales

unter Leitung von Punter Leitung von Punter Leitung von Punter Leitung von Punter Leitung von P. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. F. F. F. F. Franz Reisinger OSFS.ranz Reisinger OSFS.ranz Reisinger OSFS.ranz Reisinger OSFS.ranz Reisinger OSFS.

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Franz von SalesFranz von SalesFranz von SalesFranz von SalesFranz von Sales

B R I E F EB R I E F EB R I E F EB R I E F EB R I E F E

I. An Johanna Franziska von ChantalI. An Johanna Franziska von ChantalI. An Johanna Franziska von ChantalI. An Johanna Franziska von ChantalI. An Johanna Franziska von Chantal

FFFFFranz-Sales-ranz-Sales-ranz-Sales-ranz-Sales-ranz-Sales-VVVVVerlag, Eichstätterlag, Eichstätterlag, Eichstätterlag, Eichstätterlag, Eichstätt

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AAAAAus dem Fus dem Fus dem Fus dem Fus dem Französischen überranzösischen überranzösischen überranzösischen überranzösischen übertragentragentragentragentragenvon Susi Handler und Pvon Susi Handler und Pvon Susi Handler und Pvon Susi Handler und Pvon Susi Handler und P. F. F. F. F. Franz Reisingerranz Reisingerranz Reisingerranz Reisingerranz Reisinger.....

Die kirchliche DrDie kirchliche DrDie kirchliche DrDie kirchliche DrDie kirchliche Druckuckuckuckuckerlaubnis ererlaubnis ererlaubnis ererlaubnis ererlaubnis erteilte dasteilte dasteilte dasteilte dasteilte dasBischöfliche Generalvikariat Eichstätt.Bischöfliche Generalvikariat Eichstätt.Bischöfliche Generalvikariat Eichstätt.Bischöfliche Generalvikariat Eichstätt.Bischöfliche Generalvikariat Eichstätt.

ISBN 3-7721-0115-1Alle Rechte vorbehalten.

© © © © © Franz Sales Verlag, Eichstätt2. Auflage 2002

Herstellung Brönner und Daentler, Eichstätt

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VORWORTVORWORTVORWORTVORWORTVORWORT

Mit diesem Band beginnen wir die Herausgabe der Briefe des hl.Franz von Sales. Sie bilden in der Ausgabe von Annecy die Bände XIbis XXI. Über 2000 Briefe sind in diesen Bänden veröffentlicht worden.Die Erstausgabe der Briefe des Heiligen (1626) stand unter der Aufsichtder hl. Johanna Franziska von Chantal, die selber einen Großteil davonbeisteuerte. Was sie veröffentlicht hat, stammt sicher alles von Franz vonSales. Freilich hat sie, wie bei der Herausgabe der „Geistlichen Gespräche“ desHeiligen, sich nicht gescheut, manches auszulassen, einiges aus anderenBriefen hinzuzufügen; ferner sind die Briefe nicht chronologisch geord-net, sondern nach anderen Gesichtspunkten. H. Hérissant hat im Jahre1758 auch eine gute Anzahl damals noch nicht veröffentlichter Briefeherausgegeben.

Was vor 1800 an Briefen des Heiligen herausgekommen ist, kannmit Sicherheit als echt angesprochen werden (einige wenige jansenisti-sche Fälschungen ausgenommen). – Im 19. Jahrhundert haben leider einigeGruppen von Fälschern angebliche Briefe des Heiligen angefertigt und fürviel Geld abgesetzt. Einige Verleger haben dieses Material dann in ihreSammlungen der Briefe hineingenommen (besonders Blaise 1821, Datta1835, aber auch Migne 1861 und Vives 1856); leider auch die authentischeAusgabe von Annecy (1900). Die Heimsuchungsschwestern, die die erstenBände unter Führung des gelehrten Benediktiners Dom Mackey, dann zweiBände in Verbindung mit P. Novatel S.J. herausgaben, haben die späterenBände allein bearbeitet. Sie haben Gewaltiges geleistet: vor allem dieFestsetzung der chronologischen Reihenfolge, die Identifizierung allerPersönlichkeiten, die in den Briefen erwähnt werden, usw. Auf ihren Appellhin, alle noch nicht veröffentlichten Briefe, Predigten und kleineren Schrif-ten an sie zur Herausgabe einzuschicken, sind ihnen neben vielen echtenBriefen auch Fälschungen zugeschickt worden. Damals war es auch nochnicht bekannt, daß es im 19. Jahrhundert drei Fälscherwerkstätten (zuLyon, Genf und Paris) gegeben hat, die für ihre Fälschungen auch lukra-tiven Absatz gefunden haben. – In den letzten Jahren hat sich besondersder Herr Kanonikus Secret von Chambery bemüht, diese Fälschungen her-auszufinden. Das Ergebnis seiner Studien soll im 27. Band der Ausgabe

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von Annecy veröffentlicht werden. Ihm schulde ich Dank für die Hin-weise in seiner Broschüre und seine persönlichen Fingerzeige.

In dieser deutschen Ausgabe der Briefe an die hl. Johanna Franziskabringen wir 1. alle Seelenführungsbriefe des Heiligen, soweit sie vor 1800veröffentlicht worden sind; ausgeschieden sind eine Anzahl Briefe undTeile von Briefen, die in der ersten Ausgabe nicht standen, und auch Teilevon Briefen, die nur unwichtige Nachrichten und Grüße enthielten.

2. von den nach 1800 bekannt gewordenen Briefen solche, die nachInhalt und Form mit den sicher echten übereinstimmen und auch von seel-sorglichem Interesse sind.

Diese Kriterien sind zwar reichlich subjektiv. Eine wirklich kritischeSichtung aller nach 1800 bekannt gewordenen echten oder unechtenBriefe des Heiligen ist mir praktisch unmöglich, weil man alle Manuskripteuntersuchen müßte, die über ganz Frankreich, Savoyen, Italien usw. ver-streut sind, wie aus den Tafeln ersichtlich ist, die am Ende eines jedenBandes der Ausgabe von Annecy stehen. Es ist zu hoffen, daß der 27.Band der Ausgabe Annecy bald erscheinen und diese Aufgabe erfül-len wird.

Eines möchte ich noch bemerken: Man stößt zuweilen auf widersinnigeBemerkungen über die Freundschaft zwischen Franz von Sales und JohannaFranziska von Chantal, von der ja die Briefe reichlich Kunde geben. Zuwei-len glaubt man auch, sich darauf stützen zu können, um fragliche Freund-schaften zwischen Mann und Frau zu beschönigen.

Man könnte es mit Recht tun, wenn es Freundschaft zwischen Heili-gen wäre und deren Gegenstand das gemeinsame heldenhafte Strebennach Heiligkeit, wenn es eine ganz reine, heilige Freundschaft und Liebewäre, ohne eine Spur von Sinnlichkeit. Wer kann wagen, das von sich zusagen? Die Schau einer so edlen, leuchtenden Freundschaft ist aberetwas so Erhebendes, daß es ein Unrecht wäre, wollte man davon et-was vertuschen.

Die Ausdrucksformen sind romanisch und barock, wären also in un-serer Zeit und in unseren Landen unangebracht; damals aber waren siegang und gäbe. Man soll sich freuen, daß es so etwas Edles auf Erdengegeben hat, darf aber keine falschen Konsequenzen daraus ziehen.

Eichstätt, 21. November 1962.P. Dr. Franz Reisinger.

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INHALINHALINHALINHALINHALTSÜBERSICHTTSÜBERSICHTTSÜBERSICHTTSÜBERSICHTTSÜBERSICHT

Die Angaben der ersten Zeile bedeuten: Briefnummer, Band undSeitenzahl der „Oeuvres“, das Datum und rechts außen die Seiten-zahl dieser Ausgabe.

Vorwort 5Zur Einführung 29

I. An die Baronin von Chantal215. Bd. XII, Seite 262, vom 26. April 1604 43

„Gott hat mich Ihnen gegeben.“216. XII, 263-267, vom 3. Mai 1604 43

Die zwei Säulen des Heiligtums: Verlangen nach Vollkommenheit undLiebe zum Witwenstand. – Vor Skrupeln hüten. – Liebe zur Kirche, Ge-bet für die Seelsorger. – Oft und vertrauensvoll schreiben.

221. XII, 277-281, vom 14. Juni 1604 46Bedenken wegen des Beichtvaters. – Ehrende Worte für ihn.

223. XII, 282-288, vom 24. Juni 1604 48Ihr Beichtvater und Franz von Sales. – Furcht vor Unaufrichtig-k e i t . – W i e d e r s e h e n i m S e p t e m b e r . – W i d e r s p r ü c h e u n dBitterkeiten. – Vor Überhastung, Melancholie und Ängstlichkeithüten.

234. XII, 352-370, vom 14. Oktober 1604 52Wahl des Bischofs zum Seelenführer. – Verhalten bei Versuchun-gen. – Tägliche Gebete und Übungen. – Grundregel ihres Gehorsams:Alles aus Liebe, nichts aus Zwang. – Ihre Angehörigen. – Der Geistder Freiheit. – Gott will, daß sie sich seiner bediene.

238b. XIII, 392a-392e, vom 1. November 1604 67Er steht ihr in Liebe zur Verfügung. – Demut, die Tugend der Wit-wen. – Mut, wenn der Feind lärmt. – Geist des Zwanges.

240. XII, 386-390, vom 21. November 1604 70Schwere Zeiten für Franz von Sales. – Unvermögen ihrer Fähigkeiten.– Eigenliebe und Gottesliebe. – Wünsche: Fliegen, ohne Flügel zu ha-ben; Gefühl der Festigkeit. – Ungestüm und Mangel an Ergebung. –Gott dienen, wie er will. – Versprechen, Gott nichts zu verweigern. –Erwartung eines Sturmes. – „Die Hölle ist voll von guten Vorsätzen.“

273. XIII, 4-11, vom 18. Februar 1605 77Ausdauer im Ertragen der Prüfungen. – Frau von Brulart. – Fest blei-ben in Versuchungen und Trockenheit. – Versuchung als Läuterung.

276. XIII, 16-17, von Ende Februar 1605 83Kreuztragen. Gedanken über ein Bildchen.

283. XIII, 39-42, um den 20. April 1605 83Über ihre Reise nach Thorens.

285. XIII, 45-46, vom 19. Mai 1605 86Ankündigung eines Reisebegleiters. – Jungfrauen- und Witwenweihe.

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286. XIII, 46-47, vom 29. Mai 1605 86Gedanken zu einem Bild. – Jesus throne in beider Herzen.

288. XIII, 51-52, von Anfang Juni 1605 87Bußübung. – Unruhe. – Einheit der Herzen. – Verlangen nach Gehor-sam. – Seelenführung.

297. XIII, 67-68, vom 3. Juni 1605 88Verhalten gegen den unfreiwilligen Mörder ihres Mannes.

300. XIII, 74-76, vom 21. Juli 1605 89Gedanken zum Fest der hl. Magdalena. – „Geheiligt werde Dein Name.“– Freude und Mut.

304. XIII, 80-85, vom 1. August 1605 90Zuversicht des Heiligen für sie; deren Gründe. – Schranken der Wit-we. – Kreuze des Heiligen. – Warten können. – Gespräch mit Häre-tikern. – Zuneigung des Bischofs. – Bekehrung eines jungen Mannes.– Erhebung zum Kardinal? – Ehrentitel „Vater“.

306. XIII, 87-89, vom 28. August 1605 94Versuchungen nicht fürchten. – Erfolge im Chablais. – Liebe zu ihrerSeele. – Verhalten in Versuchungen, Dunkelheit und Trauer.

308. XIII, 91-92, vom 8. September 1605 96Mariä Geburt in den Herzen. – Demut, Einfachheit und Liebe. –Übung der kleinen Tugenden.

311. XIII, 98-100, vom 14. September 1605 97Ermunterung, ihm alles zu schreiben; Teilnahme an ihren Schwierigkeiten.– Ihr Wunsch für seine Vollkommenheit. – Ruhm und Freude im Kreuz.

316. XIII, 113-115, vom 13. Oktober 1605 98Bevorstehende Visitationsreise. – Den Feind toben lassen. – Beichte.– Der Herr sei ihr Alles.

321. XIII, 126-128, vom 5. Dezember 1605 100Ruhen im Willen Gottes. – Die Seeschwalben.

325. XIII, 133-134, vom 28. Dezember 1605 102Gedanken zum Jahresschluß. – Keine Kasteiungen in der Fastenzeit.

328. XIII, 138-141, vom 30. Januar 1606 102Geist der Freiheit und des Gleichmuts. – Reise nach Chambéry. –Last der Amtsgeschäfte; Liebe zu den Seelen; Gnadenerweise Gottestrotz Trockenheit. – Frau Brulart und ihr Beichtvater. – Verhaltender Baronin gegen Bewerber. – Unmöglichkeit eines Treffens in Bur-gund; geplanter Besuch der Baronin in Annecy. – Schwestern, dieKarmelitinnen werden wollen.

329. XIII, 144-145, vom 24. Februar 1606 107Gedanken zur Fastenzeit. – Leichte Wendung zum Besseren. – DieSeele, der Weinberg des Herrn. – Altar, die Kelter der Kirche.

330. XIII, 146-148, von Ende Februar 1606 108Über seine Predigten. – Wünsche für den Fortschritt in der heiligenLiebe. – Wahl des himmlischen Bräutigams. – Echtheit ihrer Herzens-verbindung; Grundlage ist das Kreuz. – Vorsätze des Bischofs.

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332. XIII, 152-153, vom 6. März 1606 110Verhalten in Versuchungen. – Keine Befürchtung über die „Säulen“;Gnadenwünsche.

339. XIII, 161-163, vom April 1606 111Herr Gallemand; zwei Bücher. – Verstand und Vorstellungskraft imGebet. – Treffen in diesem Jahr. – Geist der Freiheit; vom Reden.

351. XIII, 181-192, vom 8. Juni 1606 112Wiedersehen erst im nächsten Jahr. – Wohlgefallen Gottes, Verzichtauf Tröstungen. – Der Bischof, eine Fessel für die Baronin? Sorge fürseine Gesundheit. – Einbildungskraft und Verstand im Gebet. – Hand-arbeiten für die Armen; der Rauchmantel für den Bischof. – Ihr Wunschnach dem Ordensleben; kleine Tugenden üben. – Kommunion auch amDonnerstag. – Erziehung der Schwester des Bischofs bei der Baronin. –Ihre „Geheimnisse“. – Visitationsreise; Nachrichten und Grüße.

352. XIII, 192-193, vom 17. Juni 1606 120Gedanken zur Visitationsreise. – Weisungen für innere Schwierigkeiten.

358. XIII, 199-201, von Ende Juli-Anfang August 1606 121Der erfrorene Hirte. – Die heilige Dorfbewohnerin. – Gebete undRatschläge für die Baronin: Ganz Gott gehören, vom Kreuz geprägt.

359. XIII, 201-212, vom 6. August 1606 123Die „Spindel“ der Baronin; ihr Unvermögen: den Gekreuzigten lie-ben. – Von der Erniedrigung. – Bedenken wegen ihrer Kloster-wünsche; noch keine Entscheidung. – Erziehung ihrer Kinder. – Angstvor Schwierigkeiten: auf Jesus schauen.

360. XIII, 212-213, von August-September 1606 132Johannes der Täufer. – Die heilige Dorfbewohnerin.

365. XIII, 221-222, vom 2. Oktober 1606 132Bericht von der Visitationsreise. – Öftere Kommunion.

366. XIII, 222-225, von Ende Oktober 1606 133Gedanken des Bischofs über seine Seele; der Hirte im Gletscher.

371. XIII, 236-237, um den 25. November 1606 134Jubiläum in Annecy. – Liebe des Volkes für den Bischof.

2022. XXI, 83-85, vom 30. Dezember 1606 134Gedanken zum Jahreswechsel. – Ermutigung. – Krankheit des Bischofs.

381. XIII, 252-253, vom 20. Januar 1607 136Wünsche für ihren geistlichen Fortschritt: Klein bleiben ist wahreGröße; Pfeil der Gottesliebe.

385. XIII, 260-267, vom 11. Februar 1607 136Klostergedanken und Wille Gottes. – Ratschläge für die Kleidung. –Die Jahreszeiten der Seele. – Demut und Nächstenliebe. – Prozessemeiden. – Der Bischof als Schiedsrichter. – Heilung einer Person vonungehöriger Liebe. – Ratschläge erfordern keinen Gehorsam. – An-deutung über den „Theotimus“. – Kinder-Katechese. – Ermutigung.

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390. XIII, 274, vom 5. April 1607 140Eine ärgerliche Ungewißheit. – Vom Besuch der Baronin in Annecy. –Jesus, das Herz unserer Herzen.

391. XIII, 275-276, vom 5. April 1607 140Fastenzeit in Annecy. – Frau von Charmoisy. – Mit Jesus verbundensein. – Stellung der Baronin im Gebet des Bischofs; der Heiland,Treffpunkt ihrer Liebe.

394. XIII, 280-281, vom 14. April 1607 141Ostergedanken. – Mißdeutung der Geduld als Verstellung. – Predigtin St. Klara. – Jesus nimmt unsere Kreuze auf sich. – Ihre Kinder. –Ihre Wünsche.

396. XIII, 283-284, vom 20. April 1607 142Bevorstehende Reise der Baronin nach Annecy; Jubiläum in Thonon.

398. XIII, 287, von Ende April oder 1. Mai 1607 143Ihre Reise. – Ganz Gott angehören.

401. XIII, 292-294, vom 2. Juli 1607 144Rückreise der Baronin. – Gedanken über die Eucharistie. – Festhal-ten an den Entschlüssen. – Sorge für seine Gesundheit. – Weite desHerzens; Ruhen in den Armen des Heilands.

402. XIII, 294-297, vom 7. Juli 1607 145Vertrauen in Kreuz und Stürmen. – Eigenart seiner Liebe zur Baronin. –Wie vom verstorbenen Gatten sprechen? – Vertrauen auf die Vorse-hung.

403. XIII, 297-298, vom 10. Juli 1607 147Gedanken auf einer Fahrt über den See: Gehorsam; die hl. Marta.

405. XIII, 300-302, vom 20. Juli 1607 147Die Baronin und die hl. Margarete. – Keine Angst vor Versuchungen.– Die Frösche von Viuz. – Positive Demut. – Vorsehung, Freiheit,Unerschrockenheit.

406. XIII, 302-305, vom 24. Juli 1607 149Zu Füßen Jesu mit Magdalena und Unserer lieben Frau. – Kleine Fehler.– Weite Reisen der Frauen. – Klugheit und Einfachheit. – „Der Geist-liche Kampf“. – Verhalten in Versuchungen; Sehnen nach dem Frie-den; Vertrauen auf die Führung des Bischofs.

407. XIII, 305-309, vom 9. August 1607 151Wünsche nach Vollkommenheit, die das Herz tyrannisieren; auf Jesusschauen. – Über ein Gewitter. – Mut, Einfachheit, Demut. – Gedan-ken des Bischofs über seine Seele.

408. XIII, 309-312, vom 16. August 1607 154Liebe des Bischofs zur Pflicht gegen die Baronin. – Im Haus der hl.Marta; Ausgleich der Aufgaben. – Von einer Leichenrede. – Gebets-und Mahlzeiten. – Gewitter auf Sales. – Sorge um Frau von Charmoisy.

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412. XIII, 317-319, vom 6. September 1607 156Geduld und Gleichmut im Kreuz. – Eine Unruhe des Bischofs. – Über-legung und Freude an den Entschlüssen. – Frage der Baronin nachseinem betrachtenden Gebet.

418. XIII, 328-333, vom 2. November 1607 157Nach dem Tod seiner Schwester in Bourbilly: Der Wille Gottes; Ver-halten der Mutter; Dank an die Baronin; Empfindungen des Bischofs.– Kritik am Verhalten der Baronin. – Weisungen für das Requiem.

425. XIII, 347-348, von 1606-1607 161Einigkeit und Frömmigkeit in seiner Familie.

426. XIII, 348, von 1606-1607 161Nachrichten aus Sales.

428. XIII, 354-355, vom 1. Januar 1608 161Der heilige Name Jesus.

429. XIII, 355-356, um den 20. Januar 1608 162Bitte um reine Liebe zum Erlöser. – Fastnachtszeit in Annecy.

430. XIII, 357-363, vom 24. Januar 1608 163Öftere Kommunion in der Fastenzeit. – Der „Geistliche Kampf“. – Einjunger Bediensteter, von der Baronin empfohlen. – Der allgemeine undbesondere Wille Gottes. – Gute Vorzeichen für die „Heimsuchung“.

433. XIII, 367-370, vom 5. März 1608 166Genügend schlafen. – Nicht so übergenau sein. – Eine Versuchung desBischofs. – Weisungen für Versuchungen. – Mit dem Beichtvater be-sprechen; Gutachten über ihr Vorhaben.

436. XIII, 373-377, vom 7. März 1608 169Ratschläge für Unruhe und Angst. – Thibaut; Frau von Charmoisy;Groisy. – Wirkung der Predigten des Bischofs.

437. XIII, 377-379, vom 7. März 1608 172Begleitschreiben zu einer „Übung“. – Entschlüsse bei der Gewissens-erforschung. – Weniger von ihm schreiben.

451. XIV, 13-14, vom 6. Mai 1608 173Geplante Rangerhöhung für den Bischof. – Gleichmut. – Aimée.

452. XIV, 14-16, um den 11. Mai 1608 174Wünsche der „guten Seele“. – Widerstreben gegen Abberufung vonAnnecy. – Sorge für die Seele der Baronin.

461. XIV, 33-38, vom 25. Juni 1608 174Sehnsucht nach Zurückgezogenheit. – Aufnahme zweier Apostaten.

464. XIV, 44-45, vom 4. Juli 1608 176Die geplante Lebensweise. – Geduld.

478. XIV, 63-64, vom 19. September 1608 176Ein Bauernmädchen als künftige Windenschwester.

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481. XIV, 67-73, vom 29. September 1608 177Wünsche der Baronin für den Bischof. – Warten auf den Klosterein-tritt. – Valladier; Franziska von Rom. – Zurückhaltung außerhalb derBeichte. – Krankheit seiner Mutter. – Angehörige der Baronin. – DasHolz auf dem Wasser.

484. XIV, 76-77, vom 8. Oktober 1608 180Kirchweihfest. – Rosenkranz.

487. XIV, 80-81, vom 28. Oktober 1608 181Hochschätzung und Vertrauen der Baronin für den Bischof. – Gleich-mut; Freiheit des Geistes.

492. XIV, 88, vom 16. November 1608 182Friedliche Güterteilung in seiner Familie.

494. XIV, 91, vom 7. Dezember 1608 182Jahrestag seiner Bischofsweihe.

496. XIV, 93-97, vom 18. oder 19. Dezember 1608 183Heiratsprojekt seines Bruders. – Abfall; Bekehrung; Predigt.

500. XIV, 101-102, von Ende Dezember 1608 185Fräulein von Blonay und die künftige Kongregation.

510. XIV, 116-117, von Ende 1608 oder 1609 185In Erwartung Aimées.

515. XIV, 128-132, von Mitte Februar 1609 185Ratschläge für die Reise nach Sales. – Frau von Puits d’Orbe. – Groisy;Fräulein Bréchard. – Briefe und Abhandlungen für die „Anleitung“. –Frau von Charmoisy; Frau von Puits d’Orbe.

533. XIV, 163-164, vom 27. Mai 1609 187Trauer einer Frau über den Tod ihrer Tochter. – Menschliches Empfin-den und Glaubensgeist. – Innerliches Gebet des Bischofs.

536. XIV, 169-171, vom 18. Juni 1609 188Gedanken und Empfindungen am Fronleichnamsfest.

552. XIV, 206-207, um den 10. Oktober 1609 189Bevorstehende Ankunft des Bischofs in Bourbilly.

555. XIV, 210-211, vom 16. November 1609 190Gedanken und Empfindungen des Bischofs.

557. XIV, 214, von Ende November 1609 191Ruhen an der Brust des Heilands.

560. XIV, 226-231, vom 11. Dezember 1609 191Kandidatinnen für die „Heimsuchung“. – Ritt des Bischofs durch Genf.– Angebot eines Hauses. – Eifersucht. – Das heilige Schweißtuch unddie wunderbare Hostie. – Zweite Auflage der „Anleitung“. – Verlan-gen, dem Herrn zu dienen. – Groisy.

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561. XIV, 231-232, von Mitte Dezember 1609 194Anne-Jacqueline und die Abtötung seiner Töchter; Entblößung desHerzens, Einfachheit und Aufgeben des Eigenwillens.

563. XIV, 234-235, vom 29. Dezember 1609 194Zeit und Ewigkeit . – Einsamkeit inmitten zahlreicher Besucher;Wunsch, für die heilige Liebe zu leben. – Sehnen nach gemeinsamerVollkommenheit.

566. XIV, 239, Anfang 1610 195Anne-Jacqueline fragt nach dem Kommen der Baronin.

540/838. XXI, 89-98, vom 16. Januar 1610 195Der Neffe der Baronin. – Warten auf den „Freudentag“ – Ruhe desBischofs in Widrigkeiten; Mitteilungen über seine Seele. – Gebets-weise der Baronin. – Frau von Saint-Jean. – Sorge um das Kloster. –Die Schwestern von St. Katharina. – Die Schwester des Bischofs. –„Anleitung“ und „Gottesliebe“. – Groisy. – Fräulein Favre und LaThuille. – Nochmals Gebetsleben der Baronin. – Gegenwart Gottes;die Statue in der Nische. – Vertrauen.

572. XIV, 246-248, vom 5. Februar 1610 200Absage der Predigten in Salins. – Fräulein Favre. – Erkundung desWillens Gottes. – Das Buch über die Gottesliebe.

576. XIV, 252-254, um den 23. Februar 1610 201Lange ohne Nachricht von der Baronin. – Ruhe in der Hetze derGeschäfte. – Ihre Empfehlung der Demut. – Beim Kreuz bleiben;im Herzen Jesu. – Gedämpfter Karneval; viele Kommunionen; flam-mende Predigt.

581. XIV, 260-267, vom 11. März 1610 203Über den Tod seiner Mutter: Schmerz der Trennung; letzte Lebenstageder Mutter; Verhalten seines Bruders. – Einladung nach Annecy. –Die kleine Charlotte. – Die Äbtissin von Puits d’Orbe. – P. de Monchi.– Die ersten Kandidatinnen. – Gebetsweise der Priorin der Karmelitin-nen.

583. XIV, 268-269, um den 25. März 1610 207Witwen als Anwärterinnen. – Rigaud. – Gedanken zum Kommen derBaronin.

592. XIV, 289, vom 24. April 1610 207Gedanken zum Abschied von der Welt; Wohnung in der Seite desErlösers; nichts ohne ihn tun.

596. XIV, 296-297, vom 5. Mai 1610 208Traum von der Kongregation. – Leben im Dienste Jesu. – Einheitder Herzen; Wunsch nach Wachstum in der Liebe.

601. XIV, 312-313, vom 28. Mai 1610 209Sorgen um die zeitlichen Angelegenheiten des Hauses. – Ganz seineTochter. – Einheit der Herzen.

602. XIV, 313-315, vom 10. Juni 1610 209Gedanken zu Fronleichnam. – Ankauf des Hauses der „Galerie“.

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II. An die Mutter von Chantal606. XIV, 320-321, vom 23. oder 24. Juni 1610 211

Johannes der Täufer: engelhafter Mensch, Engel in Menschengestalt;Gehorsam ...

608. XIV, 323-325, vom 30. Juni 1610 212Fasten der Kandidatinnen. – Gedanken über Mariä Gang zu Elisabet.

612. XIV, 334-335, von Juli-August 1610 213Leiden der Nichte. – Ihr Vater. – Gebet. – Liebe zu den Töchtern.

618. XIV, 343-344, vom 7. September 1610 214P. de Monchi. – Fasten. – Frauen. – Neffe der Baronin. – Gelassenheitund Ruhe des Geistes. – Erwartung des Kindleins.

631. XIV, 366-367, vom 28. November 1610 215Ratschläge für den Advent: Maria, Johannes, der Erlöser.

2026. XXI, 101, vom 28. November 1610 215Predigt für das Volk, für die Schwestern.

633. XIV, 369, vom 3. Dezember 1610 215Zum Fest der Unbefleckten Empfängnis. – Tägliche Kommunion.

636. XIV, 374-375, vom 5. Dezember 1610 216Gebet um gemeinsamen Fortschritt. – Tägliche Kommunion.

638. XIV, 381-382, vom 8. Dezember 1610 216Ratschläge bei ärgerlichen Gedanken; Zuflucht bei der Mutter; Ver-trauen auf Gott.

645. XIV, 392-393, vom 25. Dezember 1610 217Weihnachtsgedanken; Geschenke für den König: Gold – Liebe, Myrr-he – Abtötung, Weihrauch – Gebet.

651. XIV, 400-401, von Ende 1610-1611 218Ärztliche Behandlung der Mutter Chantal; Ergebung. – Wunsch nachLiebe für „unser“ Herz.

657. XV, 10-11, um den 6. Januar 1611 218Neujahrsgruß. – Über ein Buch. – Rückkehr einer großen Seele.

660. XV, 15-17, um den 12. oder 20. Januar 1611 219Aufnahme der Frau von Saint Sergues in der Kapelle der Kongregati-on. – Hilfe für unser Herz. – Gott oder nichts.

663. XV, vom Februar 1611 220Ehre Gottes. – Einheit in Gott.

666. XV, 26-27, vom März 1611 220Erholung beim Heiland.

668. XV, 29-31, vom 9. März 1611 221Änderung des Namens „Oblatinnen“.

670. XV, 32, vom März 1611 221Der Bischof als Schiedsrichter unter Franzosen.

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671. XV, 33, vom 17. März 1611 221Größe des hl. Josef; Bitte für die Mutter von Chantal.

681. XV, 47, vom 29. April 1611 222Unser Herz Jesus zu eigen; sein Herz uns geschenkt.

688. XV, 56-57, um den 10. Mai 1611 223Freude über Wiederherstellung des katholischen Kultes in Gex. – Pre-digt vor Häretikern.

691. XV, 61, vom 19. Mai 1611 224Ankündigung seiner Rückkehr nach Annecy. – Sorge um seine krankeSchwester.

692. XV, 61-62, vom 22. Mai 1611 224Pfingstgedanken; Geist der Stärke in menschlicher Schwachheit; Um-wandlung durch das Feuer der Liebe.

693. XV, 63-64, vom 10. Juni 1611 225Wappen der Heimsuchung; ein Werk der Herzen Jesu und Mariä.

698. XV, 74-76, vom 24. Juni 1611 225Johannes der Täufer; seine Vorzüge vor Jungfrauen, Bekennern ...

699. XV, 76, vom 1. oder 2. Juli 1611 227Maria im Haus des Zacharias. – Kommunion und Selbstentäußerung.

705. XV, 87, vom 11. August 1611 227Nichts übereilen; Feier in St. Klara; Katechese.

709. XV, 91-92, um den 29. August 1611 227Versprechen der Sorge für sich. – Betrachtungsgegenstand vor derGelübdeablegung; Wünsche für die Heiligkeit.

712. XV, 98-100, vom 10. September 1611 228Aus Thonon an Mutter Chantal in Burgund: Sorge um ihre Gesund-heit; Ratschläge für ihre Angelegenheiten. – Nachrichten und Grüße.

713. XV, 101-102, vom 14. September 1611 230Übernatürliche Auffassung irdischer Angelegenheiten. – Seine Ge-sundheit und seine Heiligkeit. – Vertrauen. – Fruchtbare Wünsche;Fortschritt in der Liebe; Einheit der Herzen; Liebe zum Kreuz.

718. XV, 107-108, vom 1. Oktober 1611 231Wünsche und Grüße vor dem Aufbruch von Bous.

725. XV, 121-122, vom 15. November 1611 232Verbleiben der Mutter von Chantal in Burgund. – Wünsche für denFortschritt in der heiligen Liebe.

728. XV, 125-126, vom 7. Dezember 1611 233Arbeitsfülle in Gex. – Vermehrter Eifer zur Liebe; Dank für denGlauben.

2028. XXI, 104-105, von Juni-August 1610-1612 234Erkältung der Mutter von Chantal. – Wünsche.

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907. XVI, 58, um den 23. Dezember 1611 234Unfall der Mutter von Chantal. – Einladung zur Rückkehr; Freudeauf das Wiedersehen. – Wünsche.

739. XV, 143-144, vom 1. Januar 1612 235Neujahrsgedanken: Beschneidung

743. XV, 149-151, vom 17. Januar 1612 236Himmlische und irdische Arznei. – Freude des Geistes. – Antonius. –Tröstungen.

747. XV, 158-160, vom 24. Januar 1612 237Muster einer Ansprache für die Aufnahme; Selbstüberwindung, Ge-horsam, Kreuztragen. – Zugleich Mahnung für die Schwestern.

748. XV, 160-161, vom 25. Januar 1612 238Gedanken zur Bekehrung des hl. Paulus: Gott wollen lassen. – Geduldin geistlicher Dürre. – Gründe, warum Gott sich entzieht. – Empfeh-lung für das Verhalten gegen eine Dame.

750. XV, 163, vom 9. Februar 1612 239Heilung des Bischofs durch eine Reliquie der hl. Apollonia.

764. XV, 197-199, vom 28. März 1612 240Trostworte vor einer Predigt in Chambéry für ihre innere Prüfung:Gefühllosigkeit, Vergleich mit Unmündigkeit. – Anbetung der Vor-sehung; Ergebung; Streben nach Vollkommenheit.

780. XV, 220, von Ende Mai 1612 241Ratschläge für die Behandlung eines schwierigen Charakters.

781. XV, 221-222, vom 31. Mai 1612 242Gedanken zur Himmelfahrt des Herrn: Schönheit des Himmels; höch-stes Gut ist die Liebe; Glück der Verklärung.

791. XV, 240-241, vom 24. Juni 1612 243Rose als Sinnbild des hl. Johannes. Maria und Jesus als Lilien inseinem Herzen.

798. XV, 252-253, vom 1. August 1612 244Gedanken zur Befreiung des hl. Petrus: Hingabe an den göttlichenWillen. – Einheit der Herzen für Gott.

802. XV, 258-259, vom 15. August 1612 245Mariä Himmelfahrt und die kleine Kongregation. – Seine Predigt.

826. XV, 306, vom 20. November 1612 246Umzug der Schwestern in das neue Haus. – Mißbilligung ihrer Arbeit,des Fastens bei ihrer Kränklichkeit.

830. XV, 311-312, vom 30. November 1612 246Weisungen in der Krankheit der Mutter von Chantal.

831. XV, 312-313, vom 9. Dezember 1612 247Frage nach ihrem Befinden. – Seine Predigt am Jahrestag der Bischofs-weihe.

839. XV, 323-324, von 1611-1612 247Weisungen für das innere Leben. – Empfehlung einer Nonne.

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840. XV, 324, von 1611-1612 248Über die Annahme des Wortes Gottes in Einfachheit.

844. XV, 330, von 1612-1613 248Eingebungen im Gebet für das Buch von der Gottesliebe.

846. XV, 333-336, um den 10. Januar 1613 248Persönliche Wünsche. – Geplante Priesterkongregation. – Tod desBarons von Lux. – Erkundigung nach ihrem Befinden.

865. XV, 367-369, um den 7. April 1613 249Gedanken zum Vespermantel, den Mutter Chantal ihm schickte.

866. XV, 367-370, vom 8. April 1613 250Arbeiten der Mutter Chantal für die Kirche. – Grüße und Wünsche.

869. XV, 374, vom 21. April 1613 251Froh im Herrn leben. – Weisungen und Wünsche.

870. XV, 375-376, von April-Mai 1613 251Von der Krankheit einer Schwester. – In Frieden bleiben.

873. XVI, 1-3, vom 6. Mai 1613 252Bericht aus Turin; Ankündigung der Rückkehr.

875. XV, 5-7, vom 15. Mai 1613 253Bericht aus Turin. – Die Herzogin von Mantua. – Grüße und Wün-sche. – Von einem Prozeß.

878. XVI, 12-13, vom 25. Mai 1613 254Gruß an Mutter Chantal und die Schwestern nach der Rückkehr; An-kündigung seines Besuches.

880. XVI, 14-16, vom 27. Mai 1613 254Der Prozeß. – Frau von Gouffiers.

883. XVI, 19-21, vom 6. Juni 1613 254Nachricht über ihr Befinden; religiöse Erwägungen. – Die AnschauungGottes. – Schwester Favre. – Empfehlung eines „armen Geschöpfes“.

888. XVI, 29, um den 14. Juni 1613 255Erwartung eines Sturmes. – Duft der Nelken am Abend.

893. XVI, 35-36, vom 23. oder 24. Juni 1613-1614 256Johannes der Täufer: Reinheit, Gleichmut, entsagende Liebe.

895. XVI, 37-39, von Ende Juni-Anfang Juli 1613 256Besuch des Celse-Benigne.

904. XVI, 49-51, vom 12. August 1613 257Weisungen für das innere Leben. – Die kranke Biene.

915. XVI, 72-73, um den 15. September 1613 257Schwester Marie-Aimée de Blonay. – Demut und Treue, verbundenmit Liebe und Beharrlichkeit.

936. XVI, 112, vom 7. Dezember 1613 258Die Schwestern von St. Katharina. – Der Immaculata übergeben.

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2023. XXI, 109-110, vom 8. Dezember 1613 258Gedanken zum Jahrestag seiner Bischofsweihe.

940. XVI, 120-121, vom 25. Dezember 1613 259Weihnachtsgedanken. – Einheit ihrer Herzen. – Predigt.

941. XVI, 122, vom 31. Dezember 1613 260Der Wille Gottes. – Die Auswechslungen in der Heimsuchung.

942. XVI, 123, von 1613 260Empfehlung der Vereinigung mit dem Heiland.

944. XVI, 125, von 1610-1613 261Die Vorsehung Gottes.

947. XVI, 128, von 1612-1614 261Arbeit am 9. Buch der „Gottesliebe“; der taube Sänger.

952. XVI, 140, vom 11. Januar 1614 261Arbeit an der „Gottesliebe“.

953. XVI, 140-141, von Mitte Januar 1614 261Weisungen für Briefe. – Arbeit am Buch.

963. XVI, 168-169, vom 19. März 1614 262Litanei vom hl. Josef; Betrachtung seiner Größe.

967. XVI, 172-173, um den 14. April 1614 262Über den Bau des neuen Klosters.

971. XVI, 177-179, vom 4. Mai 1614 263Erinnerung an die Ausstellung des Schweißtuches in Turin.

1001. XVI, 231-232, um den 6. Oktober 1614 264Besichtigung ihres Hauses.

1002. XVI, 232, vom 7. Oktober 1614 264Arbeiten an seinem Buch. – Gartentausch.

1008. XVI, 248, von Anfang November 1614 264Arbeitsüberlastung; wenig Fortschritt im Buch.

1009. XVI, 250-251, um den 6. November 1614 264Eine Beichte. – Ankündigung seines Besuches.

1020. XVI, 272, vom 2. Dezember 1614 265Auf der Reise nach Sitten. – Empfindungen über die Gnade.

1023. XVI, 279, von der zweiten Hälfte Dezember 1614 266Um die Berufung eines Mädchens.

1026. XVI, 282-283, von 1614 266Glaube in der Seelenspitze; Nacht des Leidens.

1031. XVI, 288, von 1613-1614 266Gelegenheit für Mutter Chantal, ihrem Kind zu schreiben.

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1036-1042. XVI, 295-299, vom 26. Januar 1615 267Sieben Geleitbriefe für Mutter von Chantal und die Schwestern aufdem Weg nach Lyon zur Klostergründung.

1045. XVI, 302-306, vom 4. Februar 1615 270Nachrichten und Wünsche von Chateaufort nach Lyon.

1049. XVI, 311-313, vom 1. oder 2. März 1615 272Weisungen für das innere Leben: Jeden Tag neu beginnen; wenig vonsich sprechen. – Jesus in ihrem Haus.

1050. XVI, 313-315, vom 5. März 1615 273Freuden in Sales. – Erleuchtungen. – Fortschritt des Buches.

1058. XVI, 327-328, vom 19. März 1615 274Grüße und Nachrichten von der Heimsuchung. – Predigt in St. Klaraund in der Heimsuchung.

1060. XVI, 329-333, von Ende März bis Anfang April 1615 275Antwort auf drei Briefe. – Weisungen für ihre Gesundheit, für ihreBriefe. – Gebet der einfachen Hingabe. – Andachtsbeichten.

1065. XVI, 342-346, vom 18. April 1615 277Weisungen für die Heimsuchung. – Predigt am Karfreitag.

1072. XVI, 358, vom 10. Mai 1615 278Grüße. – In Jesus leben.

1073. XVI, 359-361, vom 13. Mai 1615 279Gleichmut. – Einheit trotz örtlicher Trennung. – Weisungen für dieHeimsuchung. – Erwägungen über seine Seele.

1074. XVI, 361-362, vom 14. Mai 1615 280Sehnsucht nach dem Dienst der Liebe Gottes. – Bericht über dieSchwestern. – Vertrauen.

1076. XVI, 363-364, vom 14. Mai 1615 280Nachrichten. – Ergebung. – Vereinigung mit dem göttlichen Willen.

1077. XVI, 365-366, vom 16.-18. Mai 1615 281Krankheit der Mutter von Chantal. – Über sein Herz.

1088. XVII, 6, vom 14. Juni 1615 oder 1616 282Erneuerung der Berufung.

1095. XVII, 7-8, vom 2. Juli 1615 282Einheit der Herzen zur Einheit des Dienstes. – Predigt.

1096. XVII, 19, vom 1.-9. Juli 1615 283Das Memorandum.

1097. XVII, 19-20, vom 1.-9. Juli 1615 283Das Memorandum.

1099. XVII, 22-24, vom 14. Juli 1615 283Reisebericht. – Präsident Le Blanc. – Frau von Traverney. – Grüße.

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1105. XVII, 34-37, vom 16. oder 17. August 1615 285Erwartung von Gästen. – Heimsuchung und Dritter Orden.

1121. XVII, 70-71, vom 8. Oktober 1615 286Schwester Jeanne-Charlotte. – Entrückungen der Schwester Isabeau.

1155. XVII, 127-128, vom 1. Januar 1616 287Neujahrsbrief. – Das gemeinsame Herz. – Heilige Wünsche.

1191. XVII, 190, vom 7. April 1616 288Ankündigung der Rückkehr. – Ein einziges Herz, von Gott geschaffen.

1199. XVII, 210, vom 12. oder 13. Mai 1616 288Erkältung des Bischofs.

1201. XVII, 212, vom 14.-16. Mai 1616 289Unpäßlichkeit des Bischofs.

1202. XVII, 213-214, vom 15.-17. Mai 1616 289Über die Eigenliebe.

1203. XVII, 214-215, vom 18. Mai 1616 290Übung der Selbstentäußerung: Verzicht auf die „Amme“.

Antwort der Mutter von Chantal 2911204. XVII, 216-217, vom 19. Mai 1616 291

Die Entblößung der Mutter von Chantal: Maria und Josef auf derFlucht; Verklärung; Schulammit; der ägyptische Josef ; Jesus inder Krippe und am Kreuz; Maria. – Einfaches Vertrauen.

Antwort der Mutter von Chantal 2931205. XVII, 218-219, vom 21. Mai 1616 294

In der Entblößung bleiben. – Vereinigung mit dem Willen Gottes;nicht mehr an die Freundschaft denken.

1206. XVII, 219-220, vom 21. Mai 1616 295Wünsche für ihre Entblößung: Martial; Wohlgefallen Gottes. – Wunschnach eigener Heiligkeit. – Fröhlich in Gott leben.

1230. XVII, 270-271, vom 15. August 1616 296Gedanken zum Tod der seligsten Jungfrau.

1235. XVII, 276-277, vom 7. September 1616 296Hoffnung auf das Jenseits. – Maria Blumen streuen.

1263. XVII, 317, vom 3. Dezember 1616 297Bericht aus Grenoble.

1264. XVII, 318-319, vom 8. Dezember 1616 297Aus Grenoble zwischen zwei Predigten. – Fromme Damen.

1266. XVII, 322, von 1616 298Ausruhen im Schoß der Vorsehung. – Grundlagen friedvoller Freude.

1268. XVII, 324, von Anfang Januar 1614-1617 298Abtötung durch Unannehmlichkeiten. – Die hl. Paula. – Verherrli-chung der göttlichen Liebe.

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1275. XVII, 337, vom 23. Januar 1617 299Geburtstagswünsche für Mutter von Chantal.

1279. XVII, 343-345, vom 9. Februar 1617 299Bericht aus Grenoble über die Aussichten für ein Kloster. – Predigten. –Nachrichten und Grüße.

1288. XVII, 356-357, vom 12. März 1617 300Bericht aus Grenoble über das Volk und die Klosteraussichten.

1321. XVIII, 27-29, vom 24. Juni 1617 300Krankheit einer Schwester. – Weisungen für Mutter von Chantal.

1323. XVIII, 32-34, vom 29. Juni 1617 301Bericht aus Viuz. – Zwei „arme Mädchen“. – Frau von Fléchere.

1331. XVIII, 46-49, um den 8. Juli 1617 302Bericht aus Thonon über Kandidatinnen, Frau von Puits d’Orbe, sei-ne Aufgaben. – Die Kranken.

1337. XVIII, 55, vom 30. Juli 1617 304Mitteilung der Rückkehr aus Thonon.

1347. XVIII, 70, vom 5. September 1617 304Betrübnis über Aimée und ihr Kind.

1348. XVIII, 70-71, vom 5. September 1617 304Hindernisse für den geplanten Besuch.

1369. XVIII, 109-111, vom 15.-31. Oktober 1617 305Verdrießliche Angelegenheiten. – Erbschaftsfragen. – Geplante Hei-rat des Herrn Foras.

1375. XVIII, 123-124, vom 4. Dezember 1617 305Gruß aus Grenoble. – Liebe zu ihrem Herzen.

1377. XVIII, 126-127, vom 8. Dezember 1617 305Über eine Predigt in Grenoble. – Hoffnung auf Genesung von Mutterund Tochter. – Maria, Königin der Liebe; Erinnerung an die Bischofs-weihe.

1378. XVIII, 127-128, vom 9. Dezember 1617 306Dank für die Genesung der Mutter von Chantal; Dank an Maria.

1393. XVIII, 156-157, vom 24. Januar 1618 306Zum Tod des Herrn von Quoex. – In Frieden bleiben.

1412. XVIII, 191-192, vom 11. März 1618 307Errichtung des Klosters in Grenoble. – Präsidentin Le Blanc. – Die„Bienchen“ zum Ausfliegen vorbereiten.

1413. XVIII, 192-193, vom 15.-Ende März 1618 307Über eine Schwester, die in Annecy zu bleiben wünscht.

1419. XVIII, 201-208, vom 30. April 1618 307Bericht aus Annecy an Mutter von Chantal in Grenoble. – Angelegen-heiten der Heimsuchung. – Heirat des Herrn von Chantal. – Tägliche

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Kommunion. – Gesundheit und Reisepläne der Mutter von Chantal. –Briefe und Grüße. – Echtheit der Worte der Liebe.

1424. XVIII, 216, von Anfang Mai 1618 311Das Begehren nach Klöstern der Heimsuchung.

1437. XVIII, 233, von Ende Mai-Anfang Juni 1618 311Absage des Besuches wegen Überlastung. – Vermählung des Fräuleinsvon Chavanne. – Ratschläge für Mutter von Chantal.

1439. XVIII, 235, von Mai oder Juni 1614-1618 312Gottgewollte Sehnsucht. – Selbstentäußerung.

1453. XVIII, 257-258, vom 31. Juli 1618 312Entlassung eines Mädchens; Wirkung und Grundsätze.

1475. XVIII, 290-291, von Anfang Oktober 1618 312Um eine Generalbeichte. – Von einer Kandidatin.

1490. XVIII, 318, vom 24. Dezember 1618 313Bericht über eine Predigt am Hof von Paris.

1492. XVIII, 320-321, vom 29. Dezember 1618 313„Noviziat bei Hof“. – Vereinigung des Herzens mit Gott. – Wunscheiner Schwester nach Versetzung.

1966. XXI, 2-3, von 1615-1618 314Unterwerfung der Affekte. – Wirkungen der Liebe. – Tapferkeit.

1497. XVIII, 332-334, vom 5. Januar 1619 315Ratschläge für die inneren Leiden der Mutter von Chantal. – Herrvon Foras. – Nachrichten und Grüße aus Paris.

1500. XVIII, 339-340, vom 11. Januar 1619 316Der Gekreuzigte als Bräutigam. – Unangenehme Nachrichten über Herrnvon Chantal; Bitte um Milderung des Kelches.

1503. XVIII, 345-349, vom 19. Januar 1619 316Aufnahme eines Adeligen in die Kirche. – Aufnahme von Kränklichenin die Heimsuchung. – Frau von Gouffiers. – Heirat der Prinzessin. –Bemühungen für Herrn von Chantal. – Das Haus des Prinzen. –Heiratspläne des Herrn von Foras. – Beinleiden des Bischofs.

1504. XVIII, 350-353, vom 21. Januar 1619 318Bericht über verschiedene Personen und den Plan einer Heimsuchungin Paris. – Grüße.

1508. XVIII, 359, um den 20. Februar 1619 320Begeisterung in Frankreich für Heimsuchung und Mutter von Chantal.

1510. XVIII, 364-365, vom 21. oder 23. März 1619 320Auftrag zur Reise nach Orléans. – Vertrauen auf die Vorsehung.

1515. XVIII, 373-374, vom 29. oder 30. April 1619 321Betreuung der „Büßerinnen“ durch die Heimsuchung.

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2037. XXI, 119, von Januar-Mai 1619 321Ablehnung angebotener Würden.

1527. XVIII, 395-396, vom 24. Juni 1619 321Über den Täufer in der Wüste; nur Gott und sich schauen. – Güte.

1535. XVIII, 409-410, um den 22. Juli 1619 322Unpäßlichkeit des Bischofs; Behandlung durch die Äbtissin von Port-Royal. – Ankündigung seines Besuches.

1538. XVIII, 414-415, vom 31. Juli 1619 322Unpäßlichkeit des Bischofs. – Wunsch nach einer Unterredung mitMutter von Chantal.

1544. XIX, 5-6, vom 20. August 1619 323Besorgnis um die Gesundheit der Mutter von Chantal. – Predigt überden hl. Augustinus. – Fräulein von Plessis.

1552. XIX, 19-21, vom 18. September 1619 324Reisepläne. – Aufmerksamkeiten der Königinmutter; Gedanken überden Hof. – Briefankündigung.

1558. XIX, 31-33, vom 28. oder 29. September 1619 324Meldung mehrerer Briefe. – Familie Foras. – Messe in der Heimsu-chung von Bourges. – Unruhe.

1560. XIX, 37-45, vom 5.-19. Oktober 1619 325Bericht aus Roanne-Voreppe über verschiedene Personen, die Pläne,den Bischof in Frankreich zu behalten, die weitere Reiseroute. –Die unfähige Oberin von Bourges. – Gründungsplan in Orléans. –Über Schwestern.

1563. XIX, 49-50, vom 30. Oktober 1619 329Ernennung zum Großalmosenier; Verachtung für den Hof.

1565. XIX, 53-54, vom November 1619 329Bericht aus Annecy über die Schwestern von Bourges und die Oberin.

1569. XIX, 58-59, vom 30. November 1619 330Leiden des Herrn von Foras. – Verleumdung des Bischofs.

1578. XIX, 71-74, vom 13. Dezember 1619 330Ergebung in die Vorsehung. – Mutter von Chantal ist um ihn zu be-sorgt. – Adventpredigten. – Bericht über die Schwestern; Grüße.

2039. XXI, 121-122, von 1619 332Aufnahme von Sündern in das Kloster.

1591. XIX, 100-102, vom 8. Januar 1620 332Wahl zum „König“ der Heimsuchung. – Geplante innere Einkehr. –Schwierigkeiten mit einer Schwester. – Ernennung des Bruders zumKoadjutor. – Pläne und Wünsche des Bischofs.

1618. XIX, 151-156, vom 26. Februar 1620 334Ernennung des Koadjutors. – Plan der Berufung des Bischofs nachPar i s . – Fräu le in von Chanta l ; e ine Schwes ter . – Hingabe anGott inmitten von Schmerzen. – Nachrichten und Grüße.

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1631. XIX, 172-173, vom März 1620 336Ernennung seines Bruders ein Werk Gottes.

1642. XIX, 188-189, von Ende April-Anfang Mai 1620 336Bericht über seine Seele. – Einsetzung des Koadjutors. – Nachrichten.

2042. XXI, 124, von Januar-Mai 1620 337Bereitschaft zum Dienst Gottes nach seinem Wohlgefallen.

1645. XIX, 193-195, vom 14. Mai 1620 337Über die Zukunft des Bischofs. – Geplante Reise nach Rom.

1666. XIX, 250-251, um den 15. Juni 1620 338Die Gaben des Heiligen Geistes.

1672. XIX, 263-269, vom 5. oder 6. Juli 1620 339Nachrichten über Schwestern. – Frau von Gouffiers; einige Damen. –Der Bischof von Belley. – Klostergründung in Turin. – Fürsprache fürein gefährdetes Mädchen.

1683. XIX, 289-290, vom 26. Juli 1620 342Streit zwischen Moulins und Nevers um Geld zur Gründung in Nevers.

1690. XIX, 302-304, vom 4. August 1620 343Unpäßlichkeit. – Zwei Schwestern. – Nachrichten und Grüße.

1694. XIX, 310-313, vom 9. August 1620 344Angelegenheiten von Schwestern und Klöstern. – Gedanken an dasJenseits. – Prüfung der Satzungen in Rom.

1702. XIX, 334-338, vom 22. September 1620 346Nachrichten. – Bevorstehende Reise nach Paris. – Das Kloster in Orléans.– Msgr. Camus. – Die Frau von Port-Royal. – Wiedersehen.

1707. XIX, 348-350, von Juli-Oktober 1620 348Stellung der Frauenklöster.

1710. XIX, 352-354, vom 11. Oktober 1620 349Verschiebung der Reise nach Frankreich. – Versprechen von Antworten.– Mutter von Chantal und die Frau von Port-Royal.

1726. XIX, 381, um den 9. oder 10. November 1620 350Einigung in Nevers in der Geldfrage.

1729. XIX. 387-389, vom 22. November 1620 350Abfall des Abbé Granier. – Freude über die Ausbreitung der Heimsu-chung und die Äbtissin von Port-Royal. – Grüße. – Empfindungenüber die Güte Gottes.

2046. XXI, 130, vom 6. Januar 1621 oder 1622 351Gedanken zum Dreikönigsfest.

1788. XX, 74, von Anfang Mai 1621 352Grundsätze des Evangeliums. – Prozessieren.

1798. XX, 93-94, gegen Ende Mai 1621 353Der Ärger des Paters. – Unpäßlichkeit. – Durchsicht des GeistlichenDirektoriums.

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1811. XX, 114-116, gegen Ende Juli 1621 353Frau Gouffiers. – Regeltreue; Wachstum der Frömmigkeit. – Grüße.

1819. XX, 127-130, vom 7. August 1621 354Durchsicht der Satzungen; Stellungnahmen von Rom. – Rückreise derMutter von Chantal. – Von zwei Oberinnen. – Frau Gouffiers.

1821. XX, 134-137, vom 24. August 1621 357Empfinden der Größe Gottes. – Dank für die Festigung in Paris. –Kinder des Leidens und Todes Jesu. – Frau Gouffiers. – Einwändegegen das Offizium der Schwestern; Erlaubnis für weitere zehn Jahre.– Plan für die Klöster. – Die Gitter.

1826. XX, 142-143, vom August 1621 358Ehrerbietung gegen den Pfarrer. – Vollmachten der Oberin; Aufnah-me von Gebrechlichen.

1847. XX, 174-183, vom 10. oder 11. November 1621 359Beruhigung über Genf. – Reise-Anweisungen. – Nachrichten über ver-schiedene Personen und Ereignisse. – Fragen der Heimsuchung. – DieÄbtissin von Port-Royal.

1863. XX, 210-211, vom 15. Dezember 1621 363Hoffnung auf das Wiedersehen. – Tod der Frau Gouffiers.

1867. XX, 215, von 1620 oder 1621 364Menschliche Klugheit und Vertrauen auf die Gnade. – Brief an eineSchwester. – Schaden der Rührseligkeit.

1873. XX, 226, von 1619-1621 365Zunehmende Immunität des Bischofs gegen die Welt.

1907. XX, 290-293, vom 23. April 1622 365Bericht über abreisende Schwestern. – Frau von Dalet. – Glück desLebens in Gott.

1912. XX, 300, vom April oder Mai 1622 366Bericht über die Schwestern in Paris.

1937. XX, 349-356, vom 30. August 1622 367Weisungen für die Heimsuchung. – Tod der Präsidentin Brulart, desKardinals von Retz.

1940. XX, 360-363, von Anfang September 1622 369Weisungen für die Heimsuchung.

1954. XX, 384-386, vom 22. Oktober 1622 371Reise-Anweisungen für Mutter von Chantal. – Bedrängnis des Bischofs.

I I I. B r u c h s t ü c k e

I. Aus den Jahren 1605-1608 (Bd. XIV)501. XIV, 103-104 373

1. Bestimmte Zeit für das Gebet; Armseligkeit und BarmherzigkeitGottes. – 2. Der Gekreuzigte als Bräutigam. – 3. Einfachheit inder Beichte, in Handlungen; nicht grübeln; Aufblick zu Gott; Gottanrufen; Demut und Aufgeschlossenheit.

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502. XIV, 105-106 374Gegen den Zorn.

503. XIV, 106-107 3751. Prüfung des Herzens auf Leidenschaften. – 2. Den Augenblick nutzen.

504. XIV, 107-108 375Weltmännische Freundschaft: Kennzeichen und Abhilfe.

505. XIV, 109-111 376Übungen der Witwe: Kleine Tugenden. – Ekstasen. – Kleine und großeTugenden. – Wünsche; Wandel vor Gott. – Frohsinn, Vertrauen.

506. XIV, 111-113 379Natürlicher Verstand und Glaubensgeist. – Versuchungen. – Ergebungin Gottes Willen.

507. XIV, 114 3801. Ruhen in den Armen des Erlösers. – 2. Gegenwart Gottes.

508. XIV, 114-115 381Urteil über den Nächsten, seine Handlungen und Absichten.

2. Aus den Jahren 1604-1622 (Bd. XXI)

2060. XXI, 140-141, von 1604-1605 382Alles Gott überlassen; Unruhe; gekünstelte Handlungen.

2061. XXI, 141-142, von 1605-1607 382Einfachheit und Offenheit in der Beichte. – Herzenserhebungen. –Erneuerung des Entschlusses, Gott zu dienen. – Lektüre.

2062. XXI, 143-144, von 1605-1607 3831. Liebe zu Eltern und Freunden. – 2. In den Armen der Vorsehung. –3. Frohsinn und Mut, unseren Weg mit Jesus gehen.

2063. XXI, 144-145, von 1605-1607 384Wahre Liebe und Freundschaft; Vergleich mit der Koralle.

2064. XXI, 146, von 1605-1608 384Ertragen des Leides. – Kürze des Lebens; Geduld.

2065. XXI, 146-147, von 1605-1608 3851. Priester und zeitliche Geschäfte. – 2. Vertrauen zum Bischof; Heilmit-tel gegen Versuchung, Trockenheit usw.

2066. XXI, 147-148, von 1606-1608 385Gottes Willen wollen. – Einfachheit im Gehorsam.

2067. XXI, 149, von 1606-1608 3861. Christus möge uns erfüllen. – 2. Überwindung beim Essen. –3. Wunsch nach Liebe für Jesus. – 4. Freudig leben für Jesus.

2068. XXI, 150, von 1604-1609 387Alle Kreuze lieben; die besten; Dauer verleiht ihnen Wert.

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2069. XXI, 151-152, von 1605-1609 3881. Demut, Demütigung, Verachtung seiner selbst . – Armseligkeitführt zu Gott.

2070. XXI, 152-153, von 1607-1609 389Erneuerung durch Betrübnis.

2071. XXI, 153-154, von 1608-1610 3891. Alles dem Herrn überlassen. – 2. Liebe zu Gott; innerliches Ge-spräch mit Gott; Willensvereinigung.

2072. XXI, 154-155, von 1608-1609 390Prüfung des Herzens auf Anhänglichkeit. – Aufmerksamkeit auf Wich-tiges. – Neid; Geist der Milde; Ertragen; Entblößung und Einfachheit.

2073. XXI, 156-157, von 1610-1613 391Heiliger Gleichmut. – Weichliche Frömmigkeit. – Bereitschaft zum Guten.

2074. XXI, 157-158, von 1610-1613 392Die Liebe schließt alle Tugenden ein. – Natürliche Tugenden auf Gottausrichten. – Tugendhaltung und Tugendakte. – Eingebungen.

2075. XXI, 158-159, von 1610-1613 3921. Abtötung; Nähe des Kreuzes. – 2. Demütigung; Geistliches Martyri-um; Sanftmut im Kreuztragen.

2076. XXI, 159-160, von 1611 oder 1612 3931. Ruhe des Geistes in Krankheit. – 2. Kleine Leiden von Liebe erfüllt.– 3. Trost in der gottgeschaffenen Einheit.

2077. XXI, 160-161, von 1612-1613 394Liebe ohne Gefühl. – Unerschütterliche Einheit.

2078. XXI, 161-162, von 1612-1614 3941. Zuflucht in der Vorsehung Gottes. – 2. Absichten Gottes mit denLiebesgluten: Arbeit oder Kreuz.

2079. XXI, 162-163, von 1611-1614 395Geduld mit dem eigenen Herzen.

2080. XXI, 163, von 1613-1614 395Zustimmung zum Kreuz, weil Gott es will.

2081. XXI, 163-164, von 1611-1615 395Zulassung der Versuchungen; Liebe zur Vorsehung.

2082. XXI, 164-165, von 1611-1615 396Demut, Einfachheit, Mut. – Geduld und Gleichmut.

2083. XXI, 166, von 1611-1615 397Sehnen nach der Liebe. – Einheit des Geistes mit dem göttlichen Wohl-gefallen. – In Frieden bleiben.

2084. XXI, 167, von 1612-1615 397Ertragen der Fehler in Ruhe und Sanftmut. – Einfachheit.

2085. XXI, 168-169, von 1612-1616 3981. Erkenntnis des göttlichen Willens bewahren. – 2. Demut und Sanft-mut. – 3. Alles Gott anheimgeben; Zurechtweisungen.

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2086. XXI, 169-170, von 1612-1616 399Rührseligkeit in Widrigkeiten und Versuchungen; Gott handeln lassen.

2087. XXI, 171-172, von 1612-1616 4001. Hingabe an den Willen Gottes, an die Vorsehung. – 2. Ergebungin Leiden; Güte im Reden; um nichts Sorgen machen.

2088. XXI, 173, von 1614-1616 4011. Fest in der Treue; Ruhen im Willen Gottes. – 2. Selbstentäußerung.

2089. XXI, 174, nach dem 21. Mai 1616 402Über die Selbstentäußerung; Empfindlichkeit; Tränen Jesu.

2090. XXI, 174-176, von 1615-1617 4021. In Gott sein und sich selbst entäußern. – 2. Seelischer Nutzendurch Liebe, Wirken und Leiden. – 3. Zurechtweisungen.

2091. XXI, 177, von 1615-1620 403Armut und Liebe zur Niedrigkeit; Freuden der heiligen Armut.

2092. XXI, 178-180, von 1615-1621 4041. Eingebungen; Hingabe an Gott; Gefühle der Liebe. – 2. Liebe zu Gottund den Geschöpfen. – 3. Ertragen des Nächsten.

2093. XXI, 180-181, von 1620-1622 4051. Freudig von der Vorsehung führen lassen. – 2. Gefühle der Liebedurch die Berufung zum Dienste Gottes.

2094. XXI, 181-182, von August-Oktober 1622 405Gott volle Freiheit lassen. – Hungersnot.

2095. XXI, 182-184 4061. Andrang zum Bischof als Seelenführer. – 2. Der Wille Gottes.– 3. Schwäche und Vertrauen in Bedrängnis. – 4. Eingebungen und Stre-ben nach göttlicher Liebe. – 5. Hilfe Marias in Predigten.

2096. XXI, 184-185 4071. Gedanken über den Tod. – 2. Sinn des Lebens. – 3. Sich absterben.

2097. XXI, 185-186 4081. Demut und Sanftmut; Einbildung und Entrückungen. – 2. Demut.– 3. Wohlgefallen Gottes.

2098. XXI, 186-187 408Ertragen und Mitleid, mit dem Nächsten, mit sich selbst. – Erniedri-gung und Sünde. – Gewohnheit der Tugenden. – Höherer und niedererSeelenbereich.

2099. XXI, 188-189 409Schwierigkeiten, Schwächen. – Demut und Vertrauen. – Liebe derGeschöpfe nicht suchen.

2100. XXI, 189 410Auf sich schauen, nur um Gott wohlzugefallen.

Anmerkungen 411Vergleichende Tafeln 428

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ZUR EINFÜHRUNGZUR EINFÜHRUNGZUR EINFÜHRUNGZUR EINFÜHRUNGZUR EINFÜHRUNG

1. Mit dem 26. April 1604 beginnt der Briefwechsel zwischen Franz vonSales und der Baronin von Chantal, in dem Franz von Sales seine reichenGaben als Seelenführer entfalten und Johanna Franziska von Chantal unterAnleitung des heiligen Bischofs zu hoher Heiligkeit heranreifen wird.

Franz von Sales hatte bereits zehn Jahre eines reichen priesterlichen Lebenshinter s ich, als er mit Johanna Franziska von Chantal zum erstenmalzusammentraf. Er hielt in Dijon die Fastenpredigten und sah vor der Kanzeleine Dame in Witwenkleidern, die mit großer Aufmerksamkeit seinen Wor-ten lauschte. Er fragte den jungen Erzbischof von Frémyot, den Sohn desPräsidenten von Dijon, wer diese Dame sei. Lächelnd antwortete ihm derBischof: „Meine Schwester.“ Beim gemeinsamen Mahl stellte er sie ihm dannvor. Beide hatten einander bereits gesehen, uzw. in Visionen, deren Geschichtlich-keit über jeden Zweifel erhaben ist. – Davon sprach zunächst weder der Bischofnoch die Witwe. Franz von Sales war sich aber sofort der Größe dieser Fraubewußt. Sie hatte von Anfang an großes Vertrauen zu ihm gefaßt, und da siegerade von Ängsten und Versuchungen geplagt war, glaubte sie, ihn um Ratfragen und ihm ihre Seele erschließen zu dürfen.

Franz von Sales beendete seine Fastenpredigten und kehrte in seine Diözesezurück. Auf der ersten Station schrieb er der Baronin drei inhaltsschwereZeilen, die den Auftakt bildeten zu einem der schönsten Briefwechsel, diedie Kirche und die französische Literaturgeschichte kennen, der sowohl fürFranz von Sales wie für Johanna Franziska von höchster Bedeutung wurde.

Der Bischof von Genf hatte in diesen Tagen viel über seine Begegnungmit der jungen Witwe nachgedacht. Er sagt es deutlich: „Es wird mir jedeStunde mehr zur Gewißheit . . .“ Was ihn so beschäft igte , sagt er k lar ,wenn auch etwas zögernd: „Gott, so scheint es mir, hat mich Ihnen gege-ben.“ – Ein Wort, das für die Baronin wie Balsam für ihre wunde Seelewar, allerdings zunächst Anlaß zu schweren seelischen Ängsten gab.

2. Wer waren die beiden Korrespondenten, als sie Gott auf diese geheim-nisvolle Weise zusammenführte?

Franz von Sales war damals 37 Jahre alt. Er hatte hinter sich ein Jahreifrigsten Priesterwirkens zu Annecy und vier Jahre harter Missionsarbeitim Chablais, ferner ein Jahr kirchlich-diplomatischer Verhandlungen in Pa-ris und zwei Jahre bischöflichen Wirkens. Im Salon der heiligmäßigen BarbeAcarie in Paris hatte er reiche Anregungen empfangen und war mit vielen eifrigenKatholiken bekannt geworden, hatte allerdings noch besser die Nöte undSchwierigkeiten kennen gelernt, unter denen die katholische Kirche litt.Als Bischof arbeitete er mit Feuereifer an der Vertiefung christlichen Lebensin seiner Diözese, aber auch darüber hinaus durch Advent- und Fastenpredigten,und durch eine immer reger werdende Korrespondenz.

Johanna Franziska von Chantal, 1572 geboren, war die Tochter des Prä-sidenten Frémyot zu Dijon. Mit dem jungen Baron von Chantal verheiratet,verbrachte sie glückliche Jahre auf Schloß Bourbilly mit ihrem Gatten, den sie

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innig liebte. Ein Jagdunglück raffte 1600 ihren Mann hinweg. Nach einerZeit niedergeschlagener Trauer raffte sie sich auf: Sie mußte jetzt für ihreKinder leben. Um ihnen das Erbe zu erhalten, zog sie zu ihrem Schwiegervaterauf Schloß Monthelon; zu einem griesgrämigen Mann, der von seiner Mätressebeherrscht wurde, von der die Baronin Unsagbares zu erdulden hatte.

Zugleich mit dieser einschneidenden Änderung ging eine tiefe religiöseWandlung in ihr vor. Sie war bisher gewiß ein gutes Mädchen und eine echtchristliche Frau gewesen. In ihren jungen Jahren war sie, nach ihren eigenen Wor-ten, ein übermütiges, zu jedem Unfug bereites Mädchen gewesen, „fille à toutefollie“, aber zugleich ihrem katholischen Glauben leidenschaftlich treu erge-ben. Als junge Frau tat sie bei allen Festlichkeiten, die auf Schloß Bourbillywie in allen adeligen Schlössern gefeiert wurden, fröhlich mit. Zugleich aber war siedie tüchtige Verwalterin des verschlampten Besitzes, die gütige Herrin undbesorgte Helferin der Armen und Kranken, liebende Gattin ihres Mannes.

Ihr Herz aber war doch geteilt gewesen. Da nun ihr geliebter Mann sotragisch von ihr gegangen war, wandte sich ihre Seele mit dem ihr eigenenUngestüm ganz Gott zu. „Durch die blutige Bresche drang Gott in ihr Herz ein“(Brémond) und sie gab sich ihm hin ohne Vorbehalt und ohne Zögern.

Es war aber noch viel Unklares in ihrer Seele. Einerseits das Drängen ihresHerzens, ganz Gott anzugehören, das sie gleich nach dem Tod ihres Mannesantrieb, das Gelübde ewiger Witwenschaft abzulegen, andererseits aber auchVersuchungen gegen den Glauben, viel Ängstlichkeit, wie sie es recht machenkonnte. Sie hatte Sehnsucht nach einem Seelenführer. Gott hatte ihn ihrallerdings in einem Gesicht gezeigt; aber wo war dieser Mann Gottes zu finden?

Als sie wieder einmal in Dijon bei ihrem Vater weilte, drangen einige„fromme Seelen“ in sie, doch zu ihrem Seelenführer zu gehen. Sie willigteein, und dieser seltsame Priester, den sie noch gar nicht gebeten hatte, ihrSeelenführer zu werden, band diese so in seinen Bannkreis geratene Seele sofortdurch vier Gelübde an sich: 1. ihm zu gehorchen; 2. niemals einen anderenSeelenführer zu nehmen; 3. keinem anderen Priester Mitteilungen über das zumachen, was er ihr sagte; 4. von ihrem Seelenleben nur mit ihm zu sprechen.Zugleich legte er ihr eine Unzahl religiöser Übungen und Kasteiungen auf,die sie willig auf sich nahm.

Es zeigte sich aber kein Fortschritt. Im Gegenteil: die Ängste, Versuchungenund Unklarheiten wuchsen ins Ungemessene; außerdem wurde sie ihrenDienerinnen, die sie nachts für ihre Übungen wecken und ihr dafür immerzur Verfügung stehen mußten, schwer erträglich.

Da sah und hörte sie Franz von Sales in der Kathedrale von Dijon. Daswar der Priester, den sie in der Vision als ihren künftigen Seelenführer gesehenhatte! Seine schlichten Worte gaben ihr Klarheit. Alles drängte sie, sich demBischof anzuvertrauen, zumal sie gerade damals unter einem schweren Ansturmvon Versuchungen und Ängsten stand. Da glaubte sie, diesen weisen Bischofin ihrer Not befragen zu dürfen.

Ihr merkwürdiger Seelenführer hatte eine Aufpasserin bestellt, die sie nichtaus den Augen lassen sollte, damit ihm dieses edle Schäflein nicht entgleite.Es gelang ihr aber, sie fortzuschicken, und ihr Bruder, der Erzbischof vonBourges, stand Wache vor der Tür des Zimmers, in dem sie sich mit Franz

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von Sales besprach. – Franz von Sales gab ihr Ratschläge für die augenblick-liche Drangsal. Sie besprach sich aber noch mehr mit ihm, über ihre Vorsät-ze, ihre Seelenführung und ihre Schwierigkeiten. Franz von Sales gab ihr inseiner gütigen aber festen Art Weisungen und Ratschläge, die plötzlich einmildes und klares Licht über ihren Lebensweg breiteten.

Franz von Sales selbst war aufs tiefste beeindruckt von dieser Frau, derenSeele ganz heilige Entschlossenheit war, sich vorbehaltlos und für immerGott hinzugeben. Keimte schon in Dijon das Große auf, das er Jahre später derHeiligen mitteilen wollte? Jedenfalls wird er sie und sich noch lange prüfen,ehe er seine endgültigen Beschlüsse fassen wird.

A. Briefe an die Baronin von ChantalA. Briefe an die Baronin von ChantalA. Briefe an die Baronin von ChantalA. Briefe an die Baronin von ChantalA. Briefe an die Baronin von Chantal

I. Von Dijon bis Saint-Claude. Die ersten Briefe des Heiligen.

1. Der erste Brief besteht aus wenigen Zeilen. „Gott hat mich Ihnen ge-geben“, ist sein wesentlicher Inhalt (23. 4. 1604).

2. Der zweite Brief ist ausführl icher (3. 5. 1604). Er sollte wohl dasschriftlich festhalten, was Franz von Sales der jungen Witwe in der Unter-redung von Dijon gesagt hatte. Franz von Sales freut sich, daß die beiden„Säulen ihres Heiligtums“ feststehen, ihr Verlangen nach Vollkommenheitund ihre Liebe zum Witwenstand. Die Liebe zu diesen beiden Säulen sollwachsen und reiche Frucht bringen.

3. Der dritte Brief (14. 6. 1604) sollte den seltsamen Beichtvater be-schwichtigen. Franz von Sales hat ihn in aller Ehrlichkeit und Wahrhaftig-keit, aber doch recht klug abgefaßt. Dieser Priester und wahrscheinlich derKreis „frommer Seelen“ um ihn dürften Frau von Chantal Vorwürfe über ihreUnterredung mit Franz von Sales gemacht haben. So schreibt ihr Franz vonSales, sie solle sich über diese Aussprache nicht ängstigen, ihre seelische Notrechtfertige sie. Das sei keine Verfehlung gegen ihren Seelenführer, über dener viel Gutes sagt, während er zugleich ihr Recht auf Freiheit unterstreicht.

4. Der vierte Brief (24. 6. 1604) war für sie allein bestimmt. Wiederbeteuert er, daß ihrem seelischen Verkehr mit ihm nichts im Wege stehe. Siesoll sich des Bischofs in aller Liebe und Offenheit bedienen. Es bedarf zwi-schen ihnen keines anderen Bandes als der Liebe. Sie soll Hast, Melancholieund Ängstlichkeit meiden und frohen Herzens sein.

Aus beiden Briefen geht hervor, daß Franz von Sales sich noch nicht klarwar, ob er ganz die Seelenführung der Frau von Chantal übernehmen oder ihrnur gelegentlich Ratschläge geben sollte. Eine Unterredung gelegentlich einerWallfahrt nach Saint-Claude sollte die Klärung bringen.

5. Mitte August 1604 fand diese statt. Frau von Chantal kam mit zweiFreundinnen von Dijon, Franz von Sales mit seiner Mutter und Schwestervon Annecy. Am ersten Abend (21. August) hört Franz von Sales nur allesan, was Johanna Franziska über ihren Seelenzustand berichtet. Am nächstenMorgen sagt er ihr: „Ich habe die ganze Nacht auf Ihre Angelegenheit ver-wendet. Ich sehe, es ist der Wille Gottes, daß ich die Leitung Ihrer Seele

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übernehme und Sie meinen Weisungen folgen. Diese vier Gelübde taugen zunichts, als Ihren Seelenfrieden zu zerstören ...“ Noch am gleichen Tag legteJohanna Franziska ihre Generalbeichte ab.

So schien jetzt alles klar zu sein. In den nächsten, meisterhaften Briefen hattefreilich Franz von Sales noch manche Gewissensängste zu zerstreuen.

II. VII. VII. VII. VII. Von Saint-on Saint-on Saint-on Saint-on Saint-Claude bis Schloß Sales. Die großen WClaude bis Schloß Sales. Die großen WClaude bis Schloß Sales. Die großen WClaude bis Schloß Sales. Die großen WClaude bis Schloß Sales. Die großen Weisungen.eisungen.eisungen.eisungen.eisungen.(Ende August 1604 – Ende Mai 1605)

1. Vom 14. Oktober 1604 ist ein 20 Seiten langer Brief datiert. Er beant-wortet eine Reihe von Fragen, die Johanna Franziska gestellt hatte, enthält aberauch grundsätzliche Erörterungen, besonders über die Freiheit, auf die Franzvon Sales noch oft zurückkommen wird. Die Fragen offenbaren den seeli-schen Zustand der Baronin, die Antworten die weise Führung des Heiligen.

2. Ein weiterer Brief vom 1. November 1604 ist einem großen Anliegendes Heiligen gewidmet: der Demut. Sie ist die eigentliche Tugend der Wit-wen.

3. Ein langer Brief vom 21. November 1604 offenbart das ungestümeDrängen der Witwe nach Heiligkeit, ihre Unzufriedenheit mit sich selbstund ihre Ungeduld über das Unvermögen ihrer Seele. Franz von Sales gehtauf ihre Schilderung ein, analysiert sie, sucht ihr dadurch Klarheit übersich selbst zu vermitteln, sie in ihrem Drängen zu mäßigen, ohne ihremStreben nach Vollkommenheit Abbruch zu tun.

4. Der Brief vom 18. Februar 1605 enthält sehr eingehende Weisungenüber die Geduld im Tragen ihres Kreuzes, ihrer Schwierigkeiten und Versuchun-gen. Der Feind hat den unbezwinglichen Turm nicht eingenommen. Die Ver-suchung kommt vom Teufel, Leid und Qual aber von der BarmherzigkeitGottes; durch sie läutert er das Gold. Ein Brief von Ende Februar 1605kommt nur kurz auf das Thema des letzten Briefes zurück.

5. Die beiden nächsten Briefe (20. 4. und 19. 5. 1605) bereiten auf dieZusammenkunft in der Woche vor Pfingsten vor. Die Baronin soll viel Gleich-mut und Selbstverleugnung mitbringen; bei der Vorbereitung soll sie nichtin Unruhe geraten, sondern sie gelassen und in der Freiheit der Kinder Got-tes vernehmen und frohen Herzens kommen.

Die Zusammenkunft auf Schloß Sales bildet wieder eine wichtige Etappefür die Baronin im Aufstieg zur Heiligkeit. Sie legte eine Generalbeichte abund erneuerte ihre Gelübde. Während der nächsten Tage fragte JohannaFranziska ihren Seelenführer, ob er sie aus der Welt herausnehmen werde.Franz von Sales hatte zwar damals schon seine Pläne, hielt aber die Zeit nochnicht für gekommen und entließ die Baronin mit der Empfehlung, zunächstim Witwenstand zu bleiben.

III. VIII. VIII. VIII. VIII. Von Schloß Sales bis zur Begegnung in Annecyon Schloß Sales bis zur Begegnung in Annecyon Schloß Sales bis zur Begegnung in Annecyon Schloß Sales bis zur Begegnung in Annecyon Schloß Sales bis zur Begegnung in Annecy.....(Mai 1605 – Mai 1607)

1. Jede der bisherigen Zusammenkünfte war ein Markstein im Leben derBaronin von Chantal. Die erste zu Dijon hatte als Ergebnis die Erklärungdes Bischofs: „Gott hat mich Ihnen gegeben.“ Die zweite zu Saint-Claude

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gab Franz von Sales die Gewißheit, daß er nun der Seelenführer der Baroninsein soll. Die dritte auf Schloß Sales führte zur feierlichen Erklärung derBaronin, daß sie ganz für Gott leben wolle, und zum Versprechen des Heiligen,daß er sie einmal aus der Welt herausnehmen werde. – In der vierten Zusammen-kunft zu Annecy wird Franz von Sales der Baronin seinen Plan enthüllen,eine Gemeinschaft zu gründen, in der Marta und Maria vereinigt sind, Mariaaber der bessere Teil zufällt.

2 . Zwischen der dr i t ten und v ierten Zusammenkunft l iegt nun dieKorrespondenz von zwei Jahren, vom Mai 1605 bis April 1607; etwa 30Briefe, die meisten kurz; nur vier, die in ihrer Länge mit den ersten ver-gleichbar sind.

Wieder enthüllt sich uns in den Antworten des Heiligen die Seele der Baroninin ihrem ungestümen Drängen und ungeduldigen Aufbäumen gegen ihr„ U n vermögen“, gegen die Schranken, die ihr gesetzt s ind, – und ihrsehnsüchtiger Wunsch, der Welt entrückt zu werden, um ganz ungeteilt Gottlieben und ihm dienen zu können.

Und wieder offenbart in diesen Briefen der Bischof seine unnachahmlicheKunst, die Seele zum Aufstieg zu höchsten Höhen anzuspornen, sie aberzugleich dahin zu führen, daß sie sich mit ihrer Begrenztheit abfinde.Fast in jedem Brief lesen wir glühende Aufrufe zur Liebe Gottes, zum„Leben in Christus“. Darin soll ja das einigende Band zwischen Bischof undWitwe bestehen, in diesem gemeinsamen Streben, in der heiligen Liebe zuwachsen.

3. Für die Abwehr der Versuchungen weist er auf seine früheren Ausfüh-rungen hin und ergänzt sie. Sie soll sich darum nicht kümmern, sie nichtansehen, den Teufel draußen toben lassen, sich ablenken. Angst soll sie nichthaben. Warum auch? Gott ist mit ihr, Jesus liebt sie. Was hat sie noch zufürchten? Sie soll auf Gott vertrauen und soll auch dem Bischof ihr Vertrau-en bewahren; er will ihr ja immer gerne helfen. Und er hilft ihr immerwieder mit großer Güte, geht auf alles ein, was sie ihm schreibt, kann aberauch streng sein, wenn sie ihm schreibt, daß sie vor ihm sterben möchte.Einmal schreibt er ihr: „Bin ich zu hart? Zumindest bin ich aufrichtig.“

4. Immer wieder drängt sich das Verlangen der Baronin vor, die Welt zuverlassen und in der Einsamkeit ganz und ausschließlich Gott zu dienen. Franzvon Sales antwortet mehrmals auf diese Fragen und Bitten der Baronin. Erläßt die Frage offen, gibt aber zu erkennen, daß einmal die Entscheidungfallen wird. Dann wird er sagen, wie er sich das vorstellt, sie selbst aber mußsich frei entscheiden, während sie in allem anderen einfach gehorchen soll.

5. Oft spricht er von ihren Kindern. Unbefangen schreibt er von seinenErlebnissen und Eindrücken, freut sich, wenn sie ihn in aller Einfachheitum sein Gebetsleben befragt, knüpft oft an seine Erlebnisse das Bekenntnisseiner Armseligkeit und bittet sie um ihr Gebet. Natürlich kommt er oft aufihre gegenseitigen Beziehungen zu sprechen; darüber soll aber später ingrößerem Zusammenhang die Rede sein.

6. Durch diese Briefe vorbereitet, tritt die Baronin die Reise nach Annecy an,wo die Entscheidung für ihr Leben und das vieler anderer fallen wird. Sietraf einige Tage vor Pfingsten dort ein. Franz von Sales ließ sie zunächstRechenschaft über ihr Seelenleben in der letzten Zeit ablegen; er sagte ihr noch

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nichts von dem, was er plante, hieß sie aber eifrig beten und sich ganz Gottüberlassen.

Der Pfingstmontag brachte die Entscheidung. Franz von Sales will ihreBereitschaft prüfen und fordert sie nacheinander auf, Klarissin zu werden,Krankenschwester, Karmelitin; jedesmal ist sie bereit, ihrem Seelenführer zugehorchen. Schließlich erklärt er ihr seinen Plan, eine eigene Kongregationzu gründen, deren Zweck sein soll, auch kranken und älteren Menschen, die nachVollkommenheit streben, diese Möglichkeit zu bieten, die in den bisherigenOrden wegen der harten Kasteiungen und langen Chorgebete nicht bestand.Die Liebe sollte das Grundgesetz seiner Gründung sein. Gelübde sah er zu-nächst nicht vor, wohl aber neben dem Hauptziel der Kontemplation denDienst an den Armen und Kranken als Nebenaufgabe.

Der Plan war klar; wie aber ihn verwirklichen? Beide Heilige meinten,daß es wohl sechs oder mehr Jahre bräuchte, bis die Gründung möglich wurde;das hohe Alter ihres Vaters und Schwiegervaters, die Jugend ihrer Kinderschienen unüberwindliche Hindernisse zu bilden.

IV. Von der Begegnung in Annecy bis zur Gründung der „Heimsuchung“.

(Mai 1607 – April 1610)

1. Der Briefverkehr verläuft meist in den bisherigen Bahnen, aber schonbald schiebt sich die geplante Gründung der „Heimsuchung“ in den Vorder-grund. Dieses Vorhaben nimmt allmählich greifbare Formen an.

Anläßlich eines Besuches der Baronin bei der Mutter des Bischofs hatteein harmloses Wort der Baronin in der Mutter die Hoffnung geweckt, ihrjüngster Sohn könnte die Tochter Aimée der Baronin heiraten. Die Baronin sahdamals kaum eine Möglichkeit dazu. Nun starb aber die jüngste Schwester desBischofs bei der Baronin, der sie anvertraut worden war. In ihrem überausgroßen Schmerz erinnerte sich die Baronin der Andeutung der Mutter desBischofs und gelobte, dieser ihre Tochter Aimée zur Tochter zu geben, indemsie nicht nur in deren Vermählung mit dem jüngsten Sohn der Frau von Boisyeinwilligte, sondern auch alles tun wollte, um diesen Plan zu verwirkli-chen. Nun konnte Frau von Chantal den Verwandten begreiflich machen,daß ihr Platz in Annecy sein müsse, um der jungen Frau zur Seite zu stehen.

2. Der Brief des Bischofs an die Baronin nach dem Tod seiner Schwesterund der Brief, den er ihr über den Tod seiner Mutter schrieb, gehören wohlzum Ergreifendsten, was zum Tod lieber Menschen je geschrieben wurde.

3. So schmerzlich das Ableben dieser beiden Menschen dem Bischof und derBaronin war, so beschleunigten sie doch den Abschied der Baronin von denIhren. – Es meldeten sich auch bereits Gefährtinnen für ihr künftiges Leben,deren Namen in den Briefen zwischen 1607 und 1610 auftauchen.

4. Mit einem ergreifenden Abschied von ihren Lieben, mit der Reise nachAnnecy, wo es noch in den letzten Tagen Schwierigkeiten mit dem verspro-chenen Haus gibt, ist das Leben der Baronin von Chantal in der Welt zuEnde. Es beginnt ein neuer, überaus fruchtbarer Abschnitt ihres Lebens alsOrdensfrau und Mutter vieler geistlicher Töchter.

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B. Briefe an die Mutter von ChantalB. Briefe an die Mutter von ChantalB. Briefe an die Mutter von ChantalB. Briefe an die Mutter von ChantalB. Briefe an die Mutter von Chantal

Diese Briefe spiegeln nicht nur die Seele der beiden Heiligen wieder, siebieten auch Einblick in die Geschichte der „Heimsuchung Mariä“ von derenAnfängen (1610) bis zu ihrer bereits weiten Entfaltung beim Tod des hl.Franz von Sales (1622).

I. Von der „Galerie“ bis zur Gründung in Lyon (1610-1615).

1. Das erste Jahr (Sommer 1610-1611) ist nicht sehr ergiebig an Briefendes Bischofs; etwa 20 Briefe sind uns erhalten. Einige davon sind wieder,wie früher, fromme und geistreiche Erwägungen zu kirchlichen Festen, je-weils mit praktischen Anwendungen. Im anderen gibt Franz von Sales Anwei-sungen für die Schwestern.

Der Mutter von Chantal erlaubt er vom 8. Dezember 1610 an die täglicheKommunion; er läßt sie teilnehmen an den Freuden seines Wirkens, erzählt ihrvon seinen Mühen, von seinem Beten, von seinen Schwierigkeiten, muntertsie zum Fortschritt in der heiligen Liebe auf ...

Die Briefe geben nur einen kleinen Ausschnitt aus den Beziehungen bei-der Heiligen zueinander. Die eigentliche Formung der Mutter und ihrerTöchter vollzog sich in der Kapelle, im Sprechzimmer und im Garten der „Gale-rie“. Einige der köstlichen Unterredungen des Heiligen mit seinen Töchtern sinduns in den „Geistlichen Gesprächen“ erhalten. Vieles hat Mutter von Chantalspäter ihrer Sekretärin von Chaugy erzählt, die es in den Memoiren festhielt.

2. Das zweite Jahr (Mitte 1611-1612) ist bewegter. Wir haben aus dieserZeit wieder etwa 20 Briefe. In einem Schreiben vom 10. 6. 1611 gibt Franzvon Sales seiner Gründung ein Wappen, das sie als Werk der heiligen Her-zen Jesu und Mariä kennzeichnet.

Am 23. August 1611 reiste Mutter von Chantal, begleitet von SchwesterFavre, nach Burgund, um die Erbrechte ihrer Kinder zu wahren. Sie bliebdort vier Monate. Franz von Sales beteuert in seinen Briefen die innigeVerbundenheit mit ihr. Sie muß ihre Aufgabe dort gut erfüllen, aber auchbereit sein, Mißerfolge zu tragen und ihr Kreuz zu lieben. Gegenüber wohl-meinenden Ratgebern soll sie fest dabei bleiben, nur die notwendige Zeitaußerhalb ihres Klosters zu weilen.

Am 24. Dezember ist Mutter von Chantal wieder in Annecy. Er schreibt ihrwieder Gedanken zu Festtagen, nimmt Stellung zu der von ihr beklagten Ge-fühllosigkeit, erzählt seine plötzliche Heilung (9. 2. 1612) und legt ihr einelängere Ansprache vor, die sie den Novizinnen bei deren Aufnahme halten soll;ein echtes Lebensprogramm: Abtötung, Gehorsam, Offenheit, Demut.

3. Von Juli 1612-1613. Die Feste Petri Kettenfeier und Maria Himmel-fahrt geben dem Bischof Gelegenheit, Mutter von Chantal in ihrer Hingabe anChristus zu bestärken. Ihre Gesundheit ist erschüttert. Franz von Sales er-muntert sie, jede ärztliche Behandlung willig anzunehmen; er muß sie auchtadeln, daß sie beim Umzug in das neue Kloster mitgearbeitet hat.

Mitte April bis Ende Mai 1613 ist Franz von Sales auf einer Wallfahrtnach Mailand zum Grab des hl. Karl Borromäus, die er im Jahr zuvor wäh-rend einer schweren Erkrankung der Mutter von Chantal gelobt hatte. Mit

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der Wallfahrt verbindet er wichtige Verhandlungen in Turin. Von der Reiseschreibt er einige Male an Mutter von Chantal, gibt Weisungen, erzählt vonseinen Erlebnissen in Mailand und Turin.

Seine Arbeit über die „Gottesliebe“ erwähnt er zweimal in diesem Jahr.Gott gibt ihm so viel Licht, daß er nicht weiß, woher er die Worte nehmensoll (XV, 330); einmal mußte er die Arbeit unterbrechen, als er gerade vonheiligen Empfindungen überwältigt war (XVI, 19 ff). Ende Juni kommt Celse-Benigne nach Annecy. Franz von Sales schreibt seiner geistlichen Tochter,sie solle ihm nicht zu „abgetötete Zärtlichkeiten“ erweisen und nicht grau-sam mit ihm sein.

4. Von Juni 1613 – Januar 1615. Der sechswöchige Aufenthalt der Muttervon Chantal in Burgund (Juli bis Mitte August 1613) hinterließ keine Spu-ren in den erhaltenen Briefen des Bischofs. Die meiste übrige Zeit warenbeide Heilige in Annecy und konnten alles mündlich besprechen. Die wenigenBriefe aus dieser Zeit betreffen Einzelheiten, immer von hoher Warte aus be-trachtet; ferner Erwägungen zu Festen, Bemerkungen über seine „Abhand-lung von der Gottesliebe“, Verhandlungen über das neue Haus in Annecy ...

Im Dezember 1614 reist Franz von Sales nach Sitten, um an der Weihedes neuen Bischofs teilzunehmen; Ende Dezember ist er wieder in Annecyund bespricht mit Mutter von Chantal schriftlich deren persönliche Anlie-gen und Fragen der „Heimsuchung“.

5. Das Jahr 1615 bringt die Gründung eines zweiten Klosters der „Heim-suchung“, zugleich das erste außerhalb von Annecy und Savoyen, uzw. inLyon, dem Sitz des Primas von Gallien. In den sieben Jahren bis zum Toddes hl. Franz von Sales folgen noch 16 Gründungen; bis zum Tod der Stifte-rin weitere 60. – Das Jahr 1615 bringt wichtige, wenn auch nicht wesentli-che Änderungen im Leben der Schwestern von der Heimsuchung.

Die nicht immer erquickliche Geschichte der Gründung zu Lyon ist in denLebensbeschreibungen der beiden Stifter ausführlich dargestellt. Nach dermißglückten Gründung eines Klosters der „Darstellung Mariä“ wendetsich Erzbischof Marquemont nach Annecy um Hilfe. Franz von Sales, dersich der Wichtigkeit dieser Neugründung bewußt ist, schickt einige seinerbesten Schwestern nach Lyon, angeführt durch Mutter von Chantal, diejedoch nicht dauernd dort bleiben soll. Die Schwestern reisen am 26. Januar1615 ab. Franz von Sales gibt in zarter Aufmerksamkeit einer der Schwes-tern sieben kleine Briefe mit; jeden Tag soll sie einen der Mutter von Chantalübergeben; sie enthalten liebevolle Aufmunterungen, väterliche Wünsche.

Eine Woche später schreibt er ihr wieder. Von März bis Juli schickt er ihrzunächst jede Woche einen Brief, im April nur einen, aber im Mai und Juniin rascher Folge sieben Briefe. Diese enthalten gute Nachrichten vom Klo-ster zu Annecy und von ihm selbst, Vorschriften für ihre Gesundheit, Bil-ligung ihres Gebetes der einfachen Hingabe. Dann gibt er ihr Weisungen fürdie Schwestern und dazwischen immer wieder aufmunternde Worte, demWillen Gottes allein zu leben.

Ende Juni begibt sich Franz von Sales selbst nach Lyon, wo er eine Wochebleibt. Drei Brieflein an Mutter von Chantal sind uns erhalten; zweimal istdarin die Rede von einem Memorandum, wahrscheinlich über die Wünsche

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des Erzbischofs von Lyon. Die Kontroverse mit ihm wird sich noch längerhinziehen.

Der erste Brief nach seiner Rückkehr beschreibt seine Reise; die nächstenhandeln von Frauen des Dritten Ordens aus Toulouse, die in der Heimsu-chung von Annecy ausgebildet werden wollen; andere Klöster bitten umHeimsuchungs-Schwestern, um von ihnen geformt zu werden.

Mutter von Chantal kam Ende Oktober 1615 nach Annecy zurück. Ausden letzten Monaten dieses Jahres haben wir keinen sicheren Brief des Bi-schofs.

II. Von 1616 bis zum Tod des hl. Franz von Sales (1622).1. Das Jahr 1616 bringt einen wichtigen Briefwechsel innerhalb weniger

Tage, während Mutter von Chantal in der „Einsamkeit“ (Exerzitien) und Franzvon Sales durch eine Krankheit ans Bett gefesselt ist. Der Anstoß dazu magwohl die Sorge der Mutter von Chantal über die Krankheit des Bischofs gewe-sen sein (Briefe an Franz von Sales, Seite 33 f). Franz von Sales hält nun dieZeit für gekommen, von seiner geistlichen Tochter das Höchste zu verlangen:die totale Entäußerung, die Bereitschaft, auf alles zu verzichten, um nur Gottallein anzugehören; zu verzichten auf das eigene Ich, auf jede „Amme“, auchdarauf, daß der Bischof ihr als „Amme“ diene; zu verzichten auf jeden Liebes-erweis für das Geschöpf, „um sich allen gegenüber gleichmütig zu verhalten“;zu verzichten auf Hochschätzung, auf den Eigenwillen, auf jedes Gefallen anden Geschöpfen und an natürlicher Liebe, mit einem Wort, auf sich selbst; alldies soll sie begraben in einer ewigen Hingabe an Gott und nur das wollen, wasGott anordnen und wie er es anordnen wird.

Die Antwort der Heiligen ist ihrer würdig. Sie hat die feste Absicht, indieser Selbstentäußerung zu bleiben. Es scheint ihr, sie dürfe nichts mehrdenken und wünschen als das, was Gott sie denken und wollen läßt. Franzvon Sales schreibt sofort zurück. Er ist hocherfreut, sie ganz von sich entäu-ßert vor Gott zu wissen; ihr Herz soll so einfach und restlos mit Gott vereintsein, daß nichts anderes an ihr hafte. – Mutter von Chantal antwortet.Sie scheint erst aus dem zweiten Brief die ganze Tragweite der Forderungenihres Seelenführers zu erkennen. Sie wagt nicht mehr, wie bisher (und Franzvon Sales auch weiterhin) von „unserer“ Seele zu sprechen. „Mein Gott ...wie tief ist das Messer eingedrungen!“ Aber ein paar Zeilen weiter: „Ichbin voll Zuversicht und Mut, Frieden und Ruhe . . .“ Früher hatte ihr derBischof angekündigt, er werde sie aller Dinge entäußern; jetzt geht es ummehr: „Wie leicht ist es doch, alles zu verlassen, was um uns ist. Aber seineHaut, sein Fleisch zu verlassen und in das innerste Mark einzudringen, dasist etwas Unmögliches, wenn Gottes Gnade nicht hilft ...“ Und großmütigfügt sie hinzu: „Ohne Ihre Erlaubnis möchte ich mir nicht mehr den Trostverschaffen, den mir die Unterredung mit Ihnen gewährt.“

Franz von Sales erwidert, sie soll nun auch auf alle Tugenden verzichten,sie nur in dem Maß haben und erwerben wollen, als Gott sie ihr verleihenwill. Gott liebt sie; nur auf ihn allein soll sie ihre Blicke richten; sie sollnicht mehr an ihre von Gott geschaffene Freundschaft und Einheit denken... sie hat ja alles Gott überlassen.

Wir haben nicht mehr die Antwort der Mutter von Chantal auf diesen

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Generalangriff des Heiligen, wohl aber noch einen weiteren kurzen Brief desBischofs vom 21. Mai 1616: Gott wird sie in seine Arme nehmen wie den hl.Martial, um sie nach seinem Willen zur höchsten Vollkommenheit zu tragen.Wenn Gott ihr Tröstungen und das Gefühl seiner Gegenwart entzieht, sodeshalb, daß nicht mehr seine Gegenwart ihr Herz festhalte, sondern nur Erund sein Wohlgefallen.

So hat der Heilige in diesen denkwürdigen Tagen Mutter von Chantal zu denlichten Höhen der völligen Selbstentäußerung, zum heiligen Gleichmut ge-führt, die er wohl um dieselbe Zeit in seinem Werk von der Gottesliebebeschrieben hat. An anderer Stelle werden wir versuchen, den tieferen Sinndieser Briefe vom Mai 1616 zu ermitteln. Jedenfalls bedeuten sie einen Gip-fel in der Korrespondenz der Heiligen und einen Wendepunkt in ihren Be-ziehungen, wenn auch in einem anderen Sinn, als zuweilen angenommen wird.– Außer diesen besitzen wir nur wenige sichere Briefe aus dem Jahr 1616.

2. Von 1617 bis zur Gründung des Klosters zu Grenoble (Apri l 1618) .Franz von Sales ist zeitweise von Annecy abwesend; dadurch besitzen wir ausdieser Zeit einige Briefe an Mutter von Chantal, darunter zwei während derTodeskrankheit der von beiden so geliebten Aimée. Von Grenoble schreibt erwährend der Adventpredigten über die letzten Vorbereitungen der dortigenKlostergründung.

3. Von Grenoble nach Paris (April 1618-1619). Mutter von Chantal kehrtnach der Gründung in Grenoble Ende Mai nach Annecy zurück. Die Briefedes Bischofs von April bis Dezember 1618 betreffen zum Großteil Angele-genheiten der Heimsuchung; daneben auch die Sorge um den Sohn der Hei-ligen und Segenswünsche.

Ende Dezember 1618 ist Franz von Sales in Paris, Johanna Franziska inBourges, wo sie wieder ein Kloster der Heimsuchung gründet. Wieder kreisendie Briefe des Bischofs besonders um Probleme des Ordens; er behandeltaber auch persönliche Fragen der Mutter von Chantal, die ihren Sohn betref-fen, und seelische Leiden, die sie bedrücken. – Anfang 1619 bespricht erdie schwierigen Verhandlungen um eine Gründung in Paris und gibt der Hei-ligen Weisungen für ihre Reise dorthin.

4. Von der Gründung in Paris bis zum Tod des Heiligen. Franz von Salesbleibt noch einige Monate in Paris und unterstützt Johanna Franziska beider schwierigen Gründung. Die Briefe dieses halben Jahres behandeln Fra-gen der Heimsuchung. – Die Äbtissin von Port-Royal taucht zum erstenmalin seiner Korrespondenz mit Mutter von Chantal auf.

Auf seiner Reise im Gefolge des Hofes besucht Franz von Sales einigeKlöster der Heimsuchung. Am Hof sind Bestrebungen, ihn als Koadjutor desKardinals von Retz nach Paris zu holen, er gibt aber seiner Abneigung gegen denHof und dessen Intrigen offen Ausdruck. – Im Advent predigt er in Annecyüber die Gebote Gottes.

Die Ernennung seines Bruders zu seinem Koadjutor beschäftigt ihn stark,ebenso die Bestrebungen, ihn nach Paris zu ziehen, einige schmerzliche Ereignissein seinem Orden, der Wunsch der Frau von Port-Royal, in die Heimsuchungeinzutreten, der Abfall des Neffen seines Vorgängers ... Obwohl er leidend

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ist, muß er den Fürstkardinal auf einer großen Reise begleiten; es soll seineletzte Reise sein. All dies spiegelt sich in seinen Briefen.

Briefe an Mutter von Chantal aus den letzten Monaten seines Lebens sindnicht erhalten. Der letzte vom 22. Oktober 1622 ist eine Aufmunterung,zwei neue Klöster zu besuchen.

In den letzten Perioden des Briefwechsels zwischen Franz von Sales undJohanna Franziska finden sich wohl immer wieder Ermunterungen zur Hingabean den Heiland, zum Leben aus dem Geist des Evangeliums, aber keine ausführ-lichen Erörterungen zur geistlichen Führung der Mutter von Chantal. Er hatseine Aufgabe als „Amme“ erfüllt, wie es in den großartigen Briefen von1616 heißt. Ihre völlige Selbstentäußerung enthebt ihn der Notwendig-keit, ihr noch Richtlinien zu geben. Sie hat mit ihm den Gipfel heiligen Gleich-muts erklommen.

C. Bruchstücke, gesammelt von Mutter ChantalC. Bruchstücke, gesammelt von Mutter ChantalC. Bruchstücke, gesammelt von Mutter ChantalC. Bruchstücke, gesammelt von Mutter ChantalC. Bruchstücke, gesammelt von Mutter Chantal

In den Oeuvres finden sich zwei Sammlungen von Stellen aus Briefendes hl. Franz von Sales, die Johanna Franziska von Chantal abgeschriebenund aufbewahrt hatte.

Die erste Sammlung ist im Band XIV der Oeuvres enthalten und bietet Briefean die Baronin zwischen 1605 und 1608. Das Original dieser Abschriftenist verloren, aber einige Kopien sind erhalten. Zuerst wurden sie 1875 unter denSchriften der hl. Johanna Franziska veröffentlicht. Die Herausgeber der Oeuvreshaben sie nach einem Manuskript der Heimsuchung von Annecy übernommen.Sie machen darauf aufmerksam, daß die Heilige nicht immer ganz genauabgeschrieben habe, daß möglicherweise auch durch Kopisten sich einigeFehler eingeschlichen haben. Man kann diese Bruchstücke daher nicht sowerten wie Briefe, die im Original vorliegen; immerhin enthalten sie kostba-re Gedanken des Heiligen.

Die zweite Sammlung, aus der Zeit von 1605 bis 1622, findet sich im BandXXI der Oeuvres nach einer 1921 entdeckten Handschrift. Diese wurde 1626von Johanna Franziska nach Pont-à-Mouson gebracht und ist eine von ihrveranlaßte Kopie ihrer Aufzeichnungen, die in Annecy blieben. Diese Kopiebefindet sich jetzt in der Heimsuchung von Nancy. – Dieser zweiten Samm-lung sind in den Oeuvres noch einige Aussagen des hl. Franz von Sales hinzu-gefügt; am Ende dieses Bandes wird angegeben, woher sie stammen. – Fürdiese zweite Sammlung gilt das gleiche, was von der ersten gesagt wurde: Sie istkeine Originalschrift des Heiligen; gewiß äußerst wertvoll (dafür bürgt die hl.Johanna Franziska von Chantal), aber doch nur eine Kopie.

In beiden Sammlungen hat Johanna Franziska keinen Wert auf chronologischeReihenfolge gelegt. Die Herausgeber der Oeuvres haben sich bemüht, ausdem Inhalt dieser Bruchstücke auf das Datum ihres Ursprungs zu schließen;in der Übersetzung geben wir diese Datierung an, aber ohne Gewähr.

Es ist fast unmöglich, diese Bruchstücke unter größeren Gesichtspunktenzusammenzufassen. Es sind durchwegs typisch salesianische Gedanken, die offen-bar Johanna Franziska besonders beeindruckten und daher in ihrer seeli-schen Entwicklung eine bedeutende Rolle spielten. Manche mag Franz von Sales

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niedergeschrieben, andere in seinen Aussprachen zu Annecy, Grenoble oder Pa-ris mündlich gegeben haben; insofern sind sie eine willkommene Ergänzungder Briefe und Schriften des Heiligen.

D. ZusammenfassungD. ZusammenfassungD. ZusammenfassungD. ZusammenfassungD. Zusammenfassung

Überblicken wir die Briefe des Heiligen von 1604 bis 1622 und die vonJohanna Franziska notierten Worte des Heiligen, so kommen wir zu folgendenErgebnissen.

1. Franz von Sales führt Johanna Franziska mit großer Liebe, aber auchmit klarer Sicht ihrer Seele und mit starker Hand. Ihre Seele liegt ausge-breitet vor seinen Augen. Schon die ersten Zusammenkünfte haben ihm dieseerlesene Seele geoffenbart: mit ihrem hohen Idealismus, mit ihrem kraftvollenStreben, das aufs Ganze ging, mit ihrem Opfermut, allerdings auch mit ihrenÄngsten und Unklarheiten, die noch gesteigert wurden durch die unmöglichenAnweisungen des Priesters, der sich ihr als Seelenführer aufgedrängt hatte.

Er stellt zuerst das Positive heraus; es muß gestärkt und geklärt werden;das Streben nach Vollkommenheit und die gelobte heilige Witwenschaft. DiesesStreben nach immer größerer Liebe zu Christus und nach letzter Hingabestellt Franz von Sales immer wieder in den Vordergrund seiner Ermunterungen.

Er übersieht dabei auch nicht das Störende. Da ist zunächst eine bei diesertatkräftigen Frau erstaunliche Skrupelhaftigkeit, wohl herrührend von ihrerAngst, den Willen Gottes nicht zu erkennen und zu erfüllen. Diese Skrupelnbetrafen zunächst ihre Bindung an den ersten Seelenführer, später die Frage,ob die Gründung der „Heimsuchung“ wirklich gottgewollt war. – Franz vonSales gibt sich viel Mühe, diese Ängste zu zerstreuen, nicht durch einenherrischen Befehl, sondern durch eingehende Beweisführung.

Derselben Quelle ihres Strebens nach Vollkommenheit entspringt eine gewisseEnge. Ihr früherer Beichtvater hatte sie mit vielen Einzelvorschriften gefesselt,die sie peinlich genau auszuführen suchte. Dem gegenüber proklamiert Franzvon Sales das Gesetz der Freiheit der Kinder Gottes. Ausführlich handelter davon in einem seiner ersten Briefe, er kommt aber darauf immer wiederzurück.

Viel zu schaffen macht ihm ihr Ungestüm. Immer wieder muß er ihr sagen,daß dieses „empressement“, dieses Hasten und Jagen vom Übel ist. Sie willfliegen, noch ehe sie Flügel hat; sie will vorwärtsstürmen, ohne die Schran-ken zu sehen. – Sie muß lernen, mit sich Geduld zu haben; sie soll dieSchranken bejahen; sie muß warten können, bis ihr die Flügel gewachsensind.

Dabei leidet sie unter Versuchungen, besonders gegen den Glauben. Franzvon Sales beteuert ihr, daß Versuchung keine Sünde ist, solange ihr Willeintakt ist, Gott nicht beleidigen zu wollen. Alles ist in Ordnung, auch wenndie Versuchung den niederen Seelenteil förmlich betäubt hätte. Auch wennsie nichts mehr sieht, wenn alles Finsternis ist: solange auf der oberstenSpitze der Seele das Licht leuchtet, kann Satan ihr nichts anhaben.

Dunkelheit und innere Trockenheit scheint auf weite Strecken ihres Le-bensweges ihr Los gewesen zu sein. Der Heilige versichert ihr oft, daß daseinzig Notwendige die Richtung ihres Willens auf Gott ist.

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Dann ist noch der merkwürdige Zustand der Ohnmacht ihrer Fähigkeitenihr großes Kreuz. Der erfahrene Seelenführer fragt sich, ob die Ursache in derEigenliebe, im Mangel an Ergebung liegt, oder ob er eine Prüfung Gottes ist.Sie soll darüber nicht grübeln und mutig das Kreuz tragen; nicht ein selbst-gewähltes, sondern das Kreuz, das Gott ihr auferlegt.

2 . Über das Gebe t s l eben der h l . Johanna Franz i ska von Chanta l i s tviel geschrieben worden. Bekannt sind die geistreichen Paradoxe Brémonds, derFranz von Sales zum Schüler der hl. Johanna Franziska stempelt und von „köst-lichen Mißverständnissen“ des Heiligen spricht, der die mystischen Zuständeder Frau von Chantal mit asketischen Mitteln behandelt hätte; bekanntauch seine Ansicht, daß Franz von Sales erst durch seine Beziehungen zumKarmel Einblick in das mystische Gebet erhalten hätte, das er dann der Heiligenerlaubt, dem er sich auch selbst hingegeben habe.

Ausgangspunkt für diese Behauptungen sind Besprechungen der Baroninvon Chanta l mi t den Karmel i t innen von Di jon , d ie angeb l i ch ihreBetrachtungsmethode und damit auch die des Bischofs geändert hätten. –Franz von Sales antwortet im April 1606, am 8. Juni 1606 und am 11. März1610 auf Briefe der Baronin, die von Ratschlägen der Priorin und desSuperiors des Karmels berichten. In den beiden ersten Briefen erwähnt dieBaronin deren Ansicht, bei der Betrachtung solle der Wille mehr als Ver-stand und Einbildungskraft tätig sein.

Franz von Sales gibt in seiner Antwort ebenfalls dem Willen den Vorzug,möchte aber die beiden anderen Fähigkeiten nicht ganz ausgeschaltet sehen,besonders wenn es sich um die Menschheit Christi handelt (worin er mit der hl.Theresia und deren Jüngerin, Anna von Jesus, ganz im Einklang ist, wieSérouet beweist). Nach dem Brief von 1610 meint die Priorin, man solle dieVorbereitung auf die Betrachtung fallen lassen. Franz von Sales antwortet, meistbrauche man diese, die Baronin soll sich aber diskret bei der Priorin erkundigen,worauf sie ihre Ansicht stütze. Es handelt sich hier also nicht um die Frage, obBetrachtung oder Beschauung, ob Aszetik oder Mystik, sondern um Detailfra-gen: um die Rolle der einzelnen Fähigkeiten beim innerlichen Gebet und umdie Vorbereitung auf die Betrachtung. Der Wunsch des Heiligen, JohannaFranziska solle sich erkundigen, weshalb die Priorin auf die Vorbereitungkein Gewicht lege, hat nur dies eine zum Gegenstand, keineswegs ein Aus-fragen der Karmelitin über ihr geistliches Gebet überhaupt, wie auch behaup-tet wurde. Franz von Sales konnte das einfacher aus den Schriften der hl.Theresia erfahren, die er damals schon gut kannte.

Anzumerken ist, daß sowohl Franz von Sales wie die Baronin damalsbereits seit Jahren das innerliche Beten vereinfacht hatten und zum minde-sten zeitweise zur aktiven Beschauung gelangt waren, zeitweise auch derpassiven Beschauung gewürdigt wurden (Nachweis bei Sérouet, De la viedévote à la vie mystique. Paris 1958; besonders auf den Seiten 147-160, 183-198, 243-261).

3. Die Freundschaft der beiden Heil igen . Franz von Sales spricht sichdarüber mehrmals ausführlich aus. Es ist eine echte Freundschaft, echteLiebe, die beide verbindet. Das Band, das sie eint, ist das gemeinsame Stre-ben nach Heiligkeit, die gemeinsame Liebe zu Christus, zu Gott.

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Wir erinnern uns der Theorie der Freundschaft in der „Anleitung zumfrommen Leben“ (3. Teil, 19. Kap.). Was Franz von Sales von der Freund-schaft zwischen den Heiligen Basilius und Gregor von Nazianz mit denWorten Gregors erzählt, daß es schien, als hätten beide nur eine Seele inzwei Körpern, das wendet er immer wieder auf seine Freundschaft mit Jo-hanna Franziska an. Ungezählte Male spricht er in seinen Briefen von dieserEinheit, die Gott geschaffen hat, wo es kein Mein und Dein gibt, durch diebeide gemeinsam nach immer größerer Liebe zu Christus, nach immer grö-ßerer Vollkommenheit strebten.

Es ist auch nicht der geringste Schein einer sinnlichen Liebe in dieserwahrhaft engelhaften gegenseitigen Zuneigung zu sehen. Einige Male in derersten Zeit spricht sich Franz von Sales darüber aus (vgl. Seite 93, 108, 113,144); später ist es eine Selbstverständlichkeit, die keiner Erklärung bedarf.

Das Jahr 1616 hat daran nichts geändert. Nach wie vor verwendet Franzvon Sales dieselben Ausdrücke, sind seine Briefe im gleichen herzlichen Tongehalten, wie es die Briefe vor 1616 sind. Von einer Kündigung seiner Freund-schaft kann daher nicht die Rede sein. Wohl aber hatten die Briefe des Heiligenaus dem Jahr 1616 den Zweck, Frau von Chantal von allem innerlich freizu-machen, was nicht Gott und seine Liebe ist. Er weiß sie seelisch auf solcherHöhe, daß sie seiner nicht mehr bedarf. Außerdem mögen sein Gesundheitszu-stand und vielleicht Todesahnungen ihn bewogen haben, sie darauf vorzube-reiten, daß sie bald allein ihren Weg gehen mußte. Wir wissen, wie hochher-zig sie diese Mahnung entgegengenommen hat und wie tapfer sie in denJahren bis zum Tod und nach dem Hinscheiden des Heiligen diesen Wegheiligen Gleichmuts gegangen ist.

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I. BRIEFE AN DIEI. BRIEFE AN DIEI. BRIEFE AN DIEI. BRIEFE AN DIEI. BRIEFE AN DIEBARONIN VBARONIN VBARONIN VBARONIN VBARONIN VON CHANTON CHANTON CHANTON CHANTON CHANTALALALALAL

26. April 1604.Gott, so scheint es mir, hat mich Ihnen gegeben; dies wird mir mit jeder

Stunde mehr zur Gewißheit. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen vermag.Empfehlen Sie mich Ihrem Schutzengel.1

Annecy, 3. Mai 1604.

Gnädige Frau!Dieses Schreiben soll Sie noch mehr versichern, daß ich mein Versprechen,

Ihnen, sooft ich nur kann, zu schreiben, auch sorgfältig erfüllen will.Je weiter ich äußerlich von Ihnen entfernt bin, desto mehr fühle ich michinnerlich mit Ihnen verbunden.

Ich werde nie aufhören, Gott zu bitten, daß er in Ihrer Seele sein heili-ges Werk vollbringe (vgl. Phil 1,6) und Ihr tiefes Verlangen erfülle, zurVollkommenheit christlichen Lebens zu gelangen. Lieben Sie es und nähren Siees inniglich im Herzen. Ist es doch ein Werk des Heiligen Geistes und einFunke seines göttlichen Feuers.

In Rom sah ich einen Baum, den St. Dominikus gepflanzt hatte; jederBesucher schaut ihn gerne an aus Liebe zu dem, der ihn gepflanzt. So habeauch ich in Ihrer Seele den Baum des Verlangens nach Heiligkeit wahrge-nommen, den der Herr selbst gepflanzt hat. Ich liebe diesen Baumsehr und betrachte ihn mit Freude – jetzt noch mehr als bei unseremZusammensein.

Machen Sie es bitte so wie ich und sagen Sie: „Gott schenke dirWachstum, edles Reis! Er lasse reife Früchte aus dir sprossen, du gött-

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liches Samenkorn (vgl. Ps 1,3)! Und wenn du einmal solche trägst,bewahre er dich vor dem Sturm, der sie zu Boden schüttelt, wo häßli-che Tiere sie verzehren.“

Gnädige Frau, Ihr Verlangen nach Vollkommenheit gleiche den Oran-genbäumen an der Küste von Genua. Sie tragen fast das ganze Jahrhindurch Früchte, Blüten und Blätter zugleich. So soll auch Ihr StrebenFrüchte bringen in den vielen Gelegenheiten des Alltags; es muß aber auchstets neue und höhere Ziele ins Auge fassen: dies sind die Blüten desBaumes; den Blättern vergleichbar ist das häufige Bewußtsein der eigenenSchwäche, das unseren guten Werken und Wünschen immer Bestandgibt.

Das Verlangen nach Vollkommenheit ist die erste Säule Ihres Heiligtums.Die zweite ist Ihre Liebe zum Witwenstand, eine heilige und begehrens-

werte Liebe. Die Gründe hiefür sind zahlreich wie die Sterne am Him-mel. Witwenschaft, die nicht geliebt wird, ist gering zu werten und un-echt. Der hl. Paulus (1 Tim 5,3) befiehlt, „die Witwen zu ehren, die eswirklich sind“. Die aber keine Liebe zu ihrer Witwenschaft haben, sindWitwen nur dem Scheine nach. Ihr Herz ist verheiratet. Von solchenaber gilt nicht das Wort: „Mit reichem Segen will ich der Witwe geden-ken“ (Ps 132,15); oder jenes im Psalm 68,6 und Psalm 146,9, wo es heißt,daß Gott der Richter, Beschützer und Anwalt der Witwen ist. Dank seiGott, daß er Ihnen diese kostbare und heilige Liebe geschenkt hat. LassenSie diese immer mehr wachsen! Dann wird auch Ihre Freude daranimmer größer werden, denn all Ihr Glück ruht ganz auf diesen beidenSäulen.

Überprüfen Sie wenigstens einmal im Monat, ob die eine oder andereerschüttert wurde. Sie können sich dabei einer frommen Betrachtung undErwägung bedienen, ähnlich der, die ich mit einigem Erfolg auch schonanderen, meiner Führung anvertrauten Personen mitgeteilt habe. Ich legeIhnen eine Abschrift bei, doch brauchen Sie sich nicht genau daran hal-ten. Dazu schicke ich sie Ihnen nicht, sondern nur, damit Sie sehen, woraufsich diese monatliche Erforschung und Prüfung richten soll. Es soll Ihnen eineHilfe bieten. Wollten Sie aber diese Betrachtung doch lieber wiederho-len, so wird sie Ihnen nicht ohne Nutzen sein.

Aber ich sage wieder: nur wenn Sie es gern wollen; denn in allemund über alles wünsche ich, daß Sie für den Gebrauch der Mittelzu Ihrer Heiligung eine heilige Freiheit des Geistes walten lassen. Wich-tig ist nur, daß die beiden Säulen fest und gesichert bleiben. Das „Wie“ istdabei unwesentlich.

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Hüten Sie sich vor Skrupeln! Verlassen Sie sich ganz auf das, was ichIhnen schon mündlich sagte; denn ich habe es Ihnen im Herrn gesagt.Halten Sie sich ganz fest in Gottes Gegenwart. Tun Sie es mit allenMitteln, die Sie kennen. Hüten Sie sich vor Hast und Unruhe, denn nichtshindert den inneren Fortschritt mehr als dies. Versenken Sie ohneGewalt und ganz ruhig Ihr Herz in die Wunden des Herrn. Haben Sieunbegrenztes Vertrauen, daß seine Barmherzigkeit und Güte Sie nieverlassen wird. Hören Sie darob nicht auf, sein heiliges Kreuz zu um-fassen.

Nach der Liebe zu unserem Herrn empfehle ich Ihnen sehr die Liebe zuseiner Braut, der Kirche. Sie ist die edle und sanfte Taube, die als einzigeihrem göttlichen Bräutigam Kinder zu schenken vermag. Danken Sie Gottoft und oft für die Gnade, eine „Tochter der Kirche“ sein zu dürfen. So tat esMutter Theresia, die dieses Wort auf dem Sterbebett immer wieder mit großerFreude aussprach. Richten Sie Ihre Blicke auf den Bräutigam und die Braut;sagen Sie zum Herrn: „Wie schön ist doch Deine Braut!“ und zu ihr: „OBraut, welches Glück, einem göttlichen Herrn vermählt zu sein!“

Nehmen Sie warmen Anteil an den Aufgaben derer, die in der Seelsorgearbeiten und das Wort Gottes verkünden. Schauen Sie, wie sie überall wir-ken und wie es heute kein Land und keinen Erdteil gibt, wo sie sich nichtum die Seelen mühten. Beten Sie für sie, daß ihre Arbeit den Menschenund ihnen selbst zum Segen sei. Hier darf ich Sie sehr bitten, auch michnicht zu vergessen, zumal mir Gott solch festen Willen eingab, auch Ihrernie zu vergessen.

Ich sende Ihnen eine Schrift über die Vollkommenheit christlichenLebens. Sie ist nicht für Sie geschrieben, sondern für verschiedene anderePersonen. Aber Sie werden sehen, wieweit sie auch Ihnen dienen kann.

Schreiben Sie mir bitte, so oft Sie können, und tun Sie es ganz vertrau-ensvoll. Mir liegt doch Ihr Wohl und Ihr Fortschritt so sehr am Her-zen, daß ich mir Sorgen machen würde, wäre ich längere Zeit ohne Nach-richt, wie es Ihnen geht. Empfehlen Sie mich im Gebet dem Herrn! Ichbedarf dessen mehr als irgend jemand. Ich will Gott sehr darum bitten, ermöge Ihnen und den Ihren in reichem Maße seine Liebe schenken.

Ich bin auf immer (und ich bitte mich auch als solchen zu betrachten),Ihr in Jesus Christus ganz ergebener Diener

Franz, Bischof von Genf.Annecy, am Tag des heiligen Kreuzes 1604.

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Annecy, den 14. Juni 1604.Gnädige Frau!

Ihr Brief vom 30. Mai bereitete mir große Freude, und zwar alles,was Sie mir schreiben: erstens, daß Sie meiner in Ihren Gebeten gedenken;das bezeugt Ihre Liebe. Zweitens, daß Sie sich meiner Fastenpredigtennoch gut erinnern. Wenn auch mein Anteil daran nur Unvollkommenheitwar, so war es doch immerhin Gottes Wort, dessen Erinnerung Ihnennur sehr nützlich sein kann. Freude machte es mir auch zu sehen, mitwelchem Eifer Sie nach Vollkommenheit verlangen, was ja bereits einegute Grundlage ist, um dieses Ziel zu erreichen.

Dies alles war für mich eine große Freude, besonders auch die Erwäh-nung, der hochwürdige Herr Pater, den Gott Ihnen als Führer gege-ben, hätte es für sehr gut befunden, daß Sie mir in Dijon Ihre Seeleeröffneten; ja daß er es sogar für gut hielte, wenn Sie mir ab und zu schrie-ben.

Sie werden sich noch erinnern, gnädige Frau, daß ich Ihnen dies schonsagte, als Sie von Ihrer Befürchtung sprachen, Sie könnten ihn verletzthaben. Sie waren besorgt, weil Sie von mir mündlich einige Ratschlägeüber die inneren Schwierigkeiten empfingen, die Sie im heiligen Gebetverwirrten. Ich sagte Ihnen damals schon, daß Sie damit keinen Fehlerbegangen haben, zumal Sie dieses Übel sehr bedrängte und Ihr Seelen-führer gerade abwesend war. Ich wies darauf hin, daß dies doch keines-wegs einen Wechsel des Seelenführers bedeutete, was für Sie nur sehrnachteilig gewesen wäre. Sie hatten sich ja nur erleichtern wollen, weil IhrSeelenführer nicht erreichbar war. Meine Ratschläge bezogen sich auchnur auf dieses augenblickliche Übel, das eine sofortige Hilfe erforderlichmachte, und wollten daher in keiner Weise der Gesamtleitung durch Ihren ei-gentlichen Seelenführer vorgreifen.

Was nun Ihre andere Angst betrifft, mich um meine Ansicht über Ihreganze Lebensführung befragt zu haben, so muß ich Ihnen gleichfalls sa-gen: auch darin haben Sie nicht gegen die Gesetze der Unterwerfung ver-stoßen, wie sie religiöse Menschen ihrem geistlichen Vater schulden. MeineRatschläge wollten nicht mehr Geltung beanspruchen als irgendeine reli-giöse Schrift, deren Befolgung doch immer dem Urteil Ihres gewöhnlichenSeelenführers überlassen bleiben müßte. Dieser hat Sie immer vor Augen,besitzt auch eine größere Klarheit des Urteils und eine tiefere KenntnisIhrer Eigenschaften. Das alles gibt ihm die Möglichkeit, Sie besser zuführen, als ich es mit dem könnte, was ich bin.

Außerdem sollten die Ratschläge, die ich Ihnen erteilen wollte, ganz im

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Einklang mit denen Ihres Seelenführers sein. Erinnern Sie sich doch dessen, wasich Ihnen sagte, als Sie mir seinen Namen nannten; nämlich, daß er michkenne und mich sogar einmal durch die Versicherung seiner Freundschaftgeehrt habe. Erinnern Sie sich auch, wie ich Ihnen sagte, er würde ganzsicher nichts Unrechtes daran finden, daß Sie mit mir in Verbindunggetreten seien. So sehr zählte ich ihn zu meinen Freunden.

Sie sehen also, gnädige Frau, daß ich dies wohl erwog, ja kaum Zeit undÜberlegung brauchte, um zu diesem Schluß zu kommen. Ich freue mich,wenn Sie nun erkannt haben, daß Menschen, die einig sind in der Absicht,Gott zu dienen, auch in Neigung und Urteil kaum weit voneinander ab-weichen.

Ich billige durchaus Ihre tiefe Ehrfurcht vor dem Seelenführer, ja ichlege Ihnen dies auch weiter sehr ans Herz. Aber lassen Sie mich doch nochein Wort über dieses Thema sagen: Jener ehrfurchtsvolle Gehorsam sollSie zweifellos in der frommen Lebensführung, die Sie verheißungsvollbegannen, fördern. Er darf jedoch die rechte Freiheit, die der Geist desHerrn den Seinen verleiht (2 Kor 3,17), weder hemmen noch ersticken.

Gewiß verstößt es keineswegs gegen die dem Seelenführer geschuldeteEhrfurcht, wenn man Ratschläge und Weisungen anderer annimmt und sich inAbwesenheit des Seelenführers an sie wendet, vorausgesetzt, daß derSeelenführer und seine Autorität immer den Vorrang hat. Gott sei geprie-sen!

Diese Zeilen sollten Sie wieder an alles erinnern, was ich Ihnen schonmündlich gesagt habe. Ich fügte nur einige Gedanken hinzu, die mir beimSchreiben kamen, um meine Meinung über Ihre Skrupel klar auszu-drücken. Wenn Sie in der nächsten Aussprache Ihrem Seelenführer diesemeine Auffassung vorlegen werden, wird er hierin genau so mit mireinig gehen, wie in den übrigen Fragen. Dies wage ich wohl zu be-haupten. Aber ich überlasse es auch hier Ihrem Urteil, ob Sie darüber mitihm sprechen wollen oder nicht. Ich würde Sie aber sehr bitten, ihm meineGrüße zu vermitteln und ihn meiner Ergebenheit zu versichern. Lange bevor ichihn persönlich kennen gelernt hatte, schätzte ich ihn schon sehr hoch. Alsich nun mit ihm bekannt wurde, wuchs meine Zuneigung für ihn noch mehr.Als ich aber seine Erfolge in Dijon sah (denn Sie sind nicht die Einzige!),war ich ihm so sehr von Herzen zugetan, als er es sich von mir nur wün-schen konnte. So bin ich ihm und ihm in Ihnen und beiden in Jesus Chris-tus tief verbunden.

Der Herr Erzbischof2 schrieb mir einen so außergewöhnlich wohlwol-lenden Brief, daß es mich in meiner Armseligkeit bedrückt. Man muß es

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seiner Höflichkeit und echt menschlichen Güte nachsehen; doch Ihnen ge-genüber muß ich es beklagen, bringt es mich doch in Gefahr, eitel zuwerden ...

Da Ihnen übrigens Ihr Seelenführer erlaubt, mir hin und wieder zuschreiben, tun Sie es bitte ganz ruhig, auch wenn es Ihnen schwierigist. Es ist ja ein Werk der Nächstenliebe: Mein Amt und meine Arbeitsind so schwer, daß ich ein gewisses Mittragen durch andere brauche. Sowird es mir immer Erleichterung bringen, im Trubel so vieler ärgerlicherund unangenehmer Geschäfte Nachricht von Menschen wie Ihnen zu er-halten. Das ist für meine Seele wie frischer Tau.

Die Länge dieses Briefes zeigt Ihnen, wie gerne meine Seele mit derIhren spricht. Gott gebe uns die Gnade, in seiner Liebe zu leben und –wenn es ihm gefällt – für seine Liebe zu sterben. Dies ist mein Gebet ...

Gott sei Ihr Herz und Ihre Seele, gnädige Frau, und ich bin Ihr ganzergebener und wohlgeneigter Diener ...

Annecy, 24. Juni 1604.Gnädige Frau!

Der andere Brief sollte den guten Pater zufriedenstellen, dem Siediesen Brief ja zeigen wollten. Ich stopfte ihn voll mit vielerlei Dingen,um jeden Verdacht zu zerstreuen, er könnte in bestimmter Absichtgeschrieben sein. Er ist aber trotzdem ganz wahrhaftig und aufrichtiggeschrieben, wie es ja meine Pflicht ist; nicht aber mit soviel Freiheit wiedieser Brief, in dem ich von Herz zu Herz mit Ihnen sprechen möchte.

Man wollte Sie mit der Behauptung ängstigen, daß man nur einen geist-lichen Vater haben dürfe, dessen Autorität in allem den Vorrang vor demeigenen Willen und vor den Ratschlägen irgendwelcher Privatpersonenhaben soll. Das ist wohl wahr, hindert aber keineswegs, daß eine Seele sicheiner anderen erschließt und manch guten Rat und Wink auch von ande-ren annimmt.

Kurz bevor ich Ihren Brief erhielt, nahm ich in den Abendstundenein Buch über die gute Mutter Theresia3 zur Hand, um meine Seelevon des Tages Mühen zu entspannen. Ich las darin, daß sie ein eigenesGelübde abgelegt hatte, Pater Gratian aus dem Karmeliterorden zu ge-horchen und sich das ganze Leben hindurch seinen Weisungen zu fügen,sofern sie nicht im Widerspruch zu Gott oder zum Gehorsam gegen-über den rechtmäßigen kirchlichen oder Ordensoberen stünden. Dane-ben aber hatte sie immer Priester, denen sie besonderes Vertrauen schenk-te. Sie sprach sich bei ihnen aus, befolgte gewissenhaft ihre Weisungen und

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machte sich diese in allem zunutze, was nicht dem gelobten Gehorsamentgegen war. Das tat ihr sehr gut, wie sie selber an mehreren Stellen ihrerSchriften bezeugte.

Mögen Sie daraus ersehen, daß die Wahl eines bestimmten geistlichenVaters keineswegs das Vertrauen zu anderen und eine Aussprache mitihnen ausschließt. Voraussetzung ist nur, daß der gelobte Gehorsam dengebührenden Platz einnimmt und den Vorrang hat.

Geben Sie sich bitte damit zufrieden und quälen Sie sich nicht weitermit dem Gedanken, welche Stellung Sie mir geben sollen. Dies ist allesnur Versuchung und sinnlose Grübelei. Was liegt schon daran, zu wissen, obSie mich für Ihren geistlichen Vater halten dürfen oder nicht, wenn Sie nurwissen, wie meine Seele zu Ihnen steht – und wenn ich weiß, was IhreSeele mir bedeutet?

Ich sehe, daß Sie volles Vertrauen in meine Zuneigung setzen. Daranzweifle ich nicht im mindesten und es macht mir viel Freude. Sie sollenauch wissen und fest daran glauben: ich spüre in mir den starken undentschiedenen Willen, Ihrer Seele mit allen meinen Kräften zu dienen.Ich bin nicht imstande, Ihnen die Art und Größe meiner Liebe zum Dienstan Ihrer Seele zu schildern; eines kann ich Ihnen wohl sagen: ich glaube,sie stammt von Gott. Darum will ich sie innig hegen, zumal ich erkenne,daß sie täglich tiefer wird. Wenn es anginge, würde ich Ihnen noch mehrsagen – und dies der Wahrheit gemäß, aber ich muß es dabei bewendenlassen.

Aber Sie sehen jetzt schon deutlich genug, liebe gnädige Frau, in wel-chem Ausmaß Sie meine Dienste in Anspruch nehmen dürfen und wiesehr Sie Vertrauen zu mir haben können. Nützen Sie meine Zuneigungund gebrauchen Sie alles, was Gott mir zum Dienst an Ihrer Seelegegeben hat. Ich bin ganz der Ihre. Machen Sie sich keine Gedankenmehr darüber, in welcher Eigenschaft und in welcher Rangordnung ichdies nun bin. Gott hat mich Ihnen gegeben. Nehmen Sie mich in ihm alsden Ihren an und nennen Sie mich, wie Sie wollen. Das hat keinerleiBedeutung.

Doch muß ich Ihnen noch sagen, um alle Einwände, die sich in IhremHerzen erheben könnten, sogleich im Keime zu ersticken: Ich habeniemals beabsichtigt, daß eine Bindung zwischen uns bestehen solle, dieirgendwelche Verpflichtungen nach sich zieht, außer solche, die sich ausder Nächstenliebe und aus wahrer christlicher Freundschaft ergeben, derenBand der hl. Paulus (Kor 3,14) „das Band der Vollkommenheit“ nennt.So ist es in Wahrheit; denn dieses Band ist unlöslich und lockert sich nie.

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Alle anderen Bindungen währen nur in der Zeit, ja selbst das Gelübde desGehorsams, das Tod und andere Umstände lösen. Das Band der Liebehingegen festigt sich mit der Zeit und schöpft stets neue Kraft aus seinerDauer. Es ist das einzige Band, das der Tod nicht zerreißt. Sonst mäht seineSense alles nieder, nur die Liebe bleibt bestehen. „Die Liebe ist starkwie der Tod“ und „stärker als die Hölle“, sagt Salomo (Hld 8,6; vgl. 1Kor 13,8).

Sehen Sie, meine liebe Schwester – erlauben Sie mir, daß ich Siemit diesem Namen anrede, durch den schon die Apostel und die erstenChristen ihre herzliche Liebe zueinander ausdrückten, – das ist unserBand, das sind unsere Ketten. Je mehr sie uns zusammenschließen undzusammenhalten, desto mehr Wohlsein und Freiheit werden sie uns schen-ken. Ihre Kraft ist mild und sanft ihre Gewalt; nichts ist so schmiegsam,nichts aber auch so fest.

Betrachten Sie mich denn als ganz eng mit Ihnen verbunden undmachen Sie sich weiter keine Sorgen. Es genügt für Sie zu wissen, daßunsere Bande keiner anderen Bindung entgegenstehen, weder einem Ge-lübde noch dem Band der Ehe. Bleiben Sie also in dieser Hinsicht ganzruhig. Gehorchen Sie Ihrem ersten Führer kindlich und frei, bedienen Siesich aber meiner in Liebe und Offenherzigkeit.

Nun will ich noch auf einen anderen Punkt Ihres Briefes eingehen. Siefürchten, irgendwie unaufrichtig gewesen zu sein, als Sie bekannten, Siehätten sich bei mir ausgesprochen und mich um Rat gebeten. Ich freue mich,daß Sie List und Doppelzüngigkeit verabscheuen. Es gibt auch kaum etwas,das dem Wohlbefinden und der Anmut der Seele mehr entgegengesetztwäre. Aber in Ihrem Fall ist doch von Doppelzüngigkeit keine Rede!Selbst wenn Sie wegen Ihrer skrupelhaften Ängstlichkeit, mir Ihr Herzaufzuschließen und um Rat zu bitten, einen kleinen Fehler begangen hät-ten, so hatten Sie ihn doch nachher wieder hinreichend gutgemacht, so daßSie nicht mehr verpflichtet waren, es irgend jemand zu sagen. Dennochlobe ich Ihre Einfachheit und ich freue mich, daß Sie es – wie alles ande-re – offen bekannten. Halten Sie aber künftig fest an meiner Entschei-dung: Was im Geheimnis der Beichte gesagt wird, ist derart heilig, daß esaußerhalb der Beichte nicht besprochen werden soll. Wenn also jemandfragt, ob Sie dies oder jenes, was Sie unter dem heiligen Siegel der Beichteoffenbarten, gesagt haben, dürfen Sie getrost und ohne Gefährdung derAufrichtigkeit „Nein“ sagen! Hier gibt es keine Schwierigkeit. Nungut! Gott sei gepriesen! Es ist mir lieber, Sie gehen in der Offenheit zuweit, als daß sie Ihnen mangelte. Ein anderes Mal jedoch bleiben Sie

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fest und halten Sie das, was mit dem sakramentalen Schleier verhüllt ist,für nicht gesagt und reden Sie mit anderen nicht darüber. Machen Sie sichaber jetzt keine Gewissensbisse. Sie haben dadurch, daß Sie es sagten, kei-ne Sünde begangen, wenn Sie auch besser getan hätten zu schweigen. DieEhrfurcht vor dem Sakrament sollte so groß sein, daß von dem, wasdarin gesagt wird, außerhalb der Beichte nicht gesprochen wird. Icherinnere mich noch gut, wie wir über dieses Thema zum ersten Malsprachen.

Sie schreiben, daß ich vielleicht die Freude haben werde, Sie im Septem-ber wiederzusehen. Das wird ein sehr froher Tag für mich sein, zumal ichauch Frau Brulart und Fräulein von Vilars treffen werde. Wenn Sie michbenachrichtigen, werde ich trachten, Ihnen so viel Zeit als möglich zu wid-men. Ich will Gott sehr bitten, daß ich Ihnen allen in dem Maße dienenkann, als ich Sie lieb habe.

Ich mußte mehr als zwölfmal zur Feder greifen, um Ihnen diese beidenBlätter zu schreiben. Es schien mir, als wollte der böse Feind durch Ab-lenkung und Geschäfte mich daran hindern. Legen Sie die Länge dieses Briefesnicht falsch aus. Sie war notwendig, um neue Einwände und Skrupeln –wie sie bei Frauen immer wieder aufsteigen – zu entkräften. Hüten Siesich davor, ich bitte Sie darum. Und haben Sie guten Mut!

Wenn Sie Unangenehmes befällt, mag es von innen oder außen kom-men, nehmen Sie Ihre zwei Entschlüsse, welche die beiden Säulen desGebäudes der Vollkommenheit sind, fest in die Hand. Handeln Siewie eine Mutter, die ihre Kinder vor einer Gefahr rettet. Bergen Sie IhreEntschlüsse in den Wunden des Herrn! Bitten Sie ihn, er möge diese fürSie behüten und Sie selber mit ihnen! Und warten Sie in diesem heili-gen Versteck (Hld 2,14), bis der Sturm vorüber ist.

Sie werden Widersprüche und Bitterkeiten erfahren. Wehen und Schmer-zen der geistigen Geburt sind nicht geringer als die der körperlichen! Siehaben beides schon mitgemacht. Ich habe mich inmitten meiner kleinenSchwierigkeiten schon oft mit den Worten des Herrn ermutigt: „Wenn dieFrau gebiert, leidet sie Not, weil ihre Stunde gekommen ist; aber wenn siedas Kind zur Welt gebracht hat, denkt sie nicht mehr an die Not vor lauterFreude, daß ihr ein Kind geboren ist“ (Joh 16,21). Ich glaube, diese Wortewerden auch Sie trösten, wenn Sie sie still betrachtend oft wiederholen.Unsere Seelen sollen, nicht aus sich heraus, sondern in sich hinein ein Kindgebären, ein edles und schönes Kind, wie man es lieblicher nicht wün-schen kann; Jesus soll in uns geboren werden. Er soll in uns Gestalt ge-winnen (vgl. Gal 4,19). Sie, meine liebe Schwester, tragen ihn schon in

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Ihrem Herzen. Gott sei gepriesen, der sein Vater ist. Nur Mut, manmuß viel leiden, um dieses Kind zur Welt zu bringen. Doch ist es wert,daß man diese Schmerzen auf sich nimmt. Nur so können Sie es besit-zen und ihm Mutter sein.

Nun habe ich Ihnen aber schon allzuviel erzählt. Ich will schließen mitder Bitte an dieses göttliche Kind, es möge Ihnen seine Gnade undHuld schenken und uns für ihn oder doch wenigstens in ihm sterben lassen.Erbitten Sie diese Gnade auch für mich, gnädige Frau! Ich bin ja einarmer Mensch, beladen mit eigener und fremder Last. Sie wäre untragbar,wenn er selbst, der mich mit allen meinen Sünden einst am Kreuz trug(vgl. 1 Petr 2,24), mich nicht auch in den Himmel trüge.

Indessen feiere ich nie das heilige Meßopfer, ohne Ihrer und derAnliegen Ihres Herzens zu gedenken. Ich empfange nie unseren Herrn inder heiligen Kommunion ohne Sie. Kurz, ich bin so sehr der Ihre, wieSie es mehr nicht wünschen könnten.

Hüten Sie sich vor Überhastung, Melancholie und Ängstlichkeit!Sie wollen doch um nichts in der Welt Gott beleidigen. Das genügt,um frohen Herzens zu leben.

Meine liebe Mutter und alle meine Geschwister sind Ihnen sehrergeben. Sie läßt Ihnen aufrichtig danken für Ihr Wohlwollen. Auch meinBruder fühlt sich Ihnen dankbar verbunden, weil Sie sich seiner erinnern.Er gedenkt Ihrer stets am Altar. Er ist gerade abwesend, da ich diesenBrief schreibe. Ich wünschte gerne Namen und Alter Ihrer Kinder zu wis-sen, weil ich sie in Gott als die meinen ansehe.

Ich wage es nicht, die von Ihnen genannten Damen zur Reise zudrängen. Es wäre nicht schicklich. Doch ich wünsche ihre Reise sehr undfreue mich jetzt schon auf Ihr Kommen.Ich bleibe, gnädige Frau,

Ihr ganz geringer und ergebener Diener im Herrn ...Am Fest des hl. Johannes 1604.

Es lebe Jesus!Sales, den 14. Oktober 1604.

Gnädige Frau!Gebe Gott, daß ich mich in diesem Brief so verständlich machen kann,

wie ich es gerne möchte. Dann wäre ich überzeugt, daß Sie wenigstensin einigen der vorgelegten Fragen beruhigt wären, vor allem in jenenbeiden Bedenken, die der böse Feind Ihnen dagegen vormacht, daß Siemich zu Ihrem geistlichen Vater gewählt haben. Aber nun will ich Ihnen,

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so gut ich kann, mit wenigen Worten sagen, was Sie meiner Ansicht nachdarüber wissen müssen.

Fürs erste: Die von Ihnen getroffene Wahl weist alle Zeichen einerguten und rechtmäßigen Entscheidung auf. Zweifeln Sie doch nichtmehr daran, ich bitte Sie! Solche Zeichen sind: das starke Drängen IhresHerzens, das Sie fast mit Gewalt und doch wieder voll Freude dahin ge-führt hat; ferner meine eigene, der Einwilligung vorausgegangene gründ-liche Überlegung; dann die Tatsache, daß weder Sie noch ich uns auf daseigene Urteil verließen, sondern Ihren guten, klugen und erfahrenenBeichtvater4 befragten; außerdem, daß wir dem ersten inneren DrängenZeit ließen, sich abzukühlen, für den Fall, daß es unbegründet gewesen wäre;endlich, daß dieser Entscheidung doch auch das Gebet nicht bloß einesoder zweier Tage, sondern mehrerer Monate vorausgegangen war; dasalles sind ohne Zweifel untrügliche Zeichen, daß hier Gottes Wille ge-schah.

Die Antriebe des bösen Feindes oder des menschlichen Geistes sindganz anderer Natur. Sie sind gewaltig und heftig, aber ohne Beständigkeit.Vor allem suchen sie die Seele, die sich von ihnen angetrieben fühlt, dahinzu bringen, auf keinen Rat zu hören; oder wenn schon, dann nur auf dieRatschläge von Menschen mit wenig oder keiner Erfahrung. Sie drän-gen zur Eile und wollen, daß man entscheide, bevor man überlegt hat. Siegeben sich mit einem kurzen Gebet zufrieden, das nur als Vorwand dient,Dinge von größter Wichtigkeit zu unternehmen.

In unserem Falle trifft dies alles nicht zu. Weder Sie noch ich habendiese Abmachung getroffen. Ein Dritter tat es, der dabei nur auf Gottallein schauen konnte. Schon mein anfängliches Zögern, das nur davonherrührte, daß ich es gründlich überlegen mußte, sollte Sie vollständigüberzeugen. Glauben Sie doch, es fehlte nicht an tiefer Neigung zum Dien-ste Ihrer Seele, – sie war unsagbar stark – ich wollte aber in einer sofolgenschweren Angelegenheit weder Ihrem Wunsch noch meiner Neigung,sondern nur Gott und seiner Vorsehung folgen. Lassen Sie es bitte dabeibewenden und diskutieren Sie darüber nicht mehr mit dem Feind. SagenSie ihm entschieden, daß Gott es so fügte und wollte (vgl. Ps 115, 11;135,6). Gott lenkte Sie hin zur ersten Führung, die damals für Sie gut war;Gott führte Sie nun zur zweiten, die er auch für Sie nützlich und frucht-bringend machen wird, mag auch das Werkzeug unwürdig sein.

Nun fürs zweite: Bedenken Sie auch, meine sehr liebe Schwester, daßmir Gott vom ersten Augenblick, da Sie mir Einblick in Ihre Seele ge-währten, eine große Liebe zu ihr gab. Ich sagte es Ihnen soeben. Als

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Sie sich mir noch mehr erschlossen, war dies für meine Seele wie einewunderbare Bindung, die Ihre immer mehr zu lieben. Deshalb schriebich Ihnen, daß Gott mich Ihnen gegeben habe. Ich meinte damals, daßdiese Zuneigung, die ich im Geiste und vor allem im Gebet für Sieempfand, nicht mehr größer werden könnte. Nun aber, meine liebe Toch-ter, scheint mir etwas Neues hinzugekommen zu sein, das ich nichtbeschreiben kann, dessen Wirkung aber das Empfinden einer großen in-neren Freude ist, Ihnen die vollkommene Gottesliebe und all die Seg-nungen des geistlichen Lebens zu wünschen. Nein, ich übertreibe nicht imgeringsten. Ich sage es vor dem Gott meines und Ihres Herzens (vgl.Ps 73,26): Jede Liebe hat ihre Besonderheit, wodurch sie sich vonjeder anderen unterscheidet. Jene, die ich zu Ihnen hege, hat dies an sich, daßsie mich unendlich erfreut und – um alles zu gestehen – von größtemNutzen für mich selbst ist. Glauben Sie mir das! Es ist die volle Wahrheit.Hegen Sie also keine Zweifel mehr. Ich wollte an sich darüber nicht so vielreden, aber ein Wort ergibt das andere. Ich denke aber, Sie werdenvorsichtig damit umgehen.

Von großer Bedeutung, meine Tochter, scheint mir dies: In Nachahmungihres Bräutigams lehrt uns die heilige Kirche Gottes, nicht für uns alleinzu beten, sondern immer für uns und unsere Brüder in Christus: „Gibuns“, betet sie, „gewähre uns“, und mit ähnlichen Worten, die mehrereumfassen. Es ist nie sonst vorgekommen, daß ich bei dieser allgemeinenForm der Gebete meinen Geist auf irgendeine einzelne Person lenkte; seitich nun von Dijon abgereist bin, kommen mir bei dem Wort „wir“ immermehrere Einzelpersonen in den Sinn, die sich meinem Gebet empfohlenhaben. Sie sind aber gewöhnlich die erste, und wenn nicht die erste, – wasselten geschieht – dann die letzte, doch nur um länger bei Ihnen zu verwei-len. Kann man da noch mehr sagen? Reden Sie aber um Gottes willen mitniemand darüber; ich spreche ohnehin schon ein wenig zu viel davon,wenn auch in voller Wahrheit und Reinheit. Dies möge genügen, um inZukunft all diesen Einwänden zu begegnen oder zumindest Ihnen Mut zumachen, daß Sie deren Urheber verächtlich ins Gesicht spucken. Dasübrige will ich Ihnen ein anderes Mal sagen, in dieser oder in der anderenWelt.

Als Drittes fragen Sie mich um Rat, wie Sie Versuchungen bekämpfensollen, die Ihnen der Teufel gegen den Glauben und die Kirche ein-gibt. So verstehe ich Sie wenigstens. Ich will Ihnen sagen, was Gott mireingeben wird. Man muß hier die gleiche Haltung einnehmen wie bei denVersuchungen des Fleisches: sich weder wenig noch viel auf Debatten ein-

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lassen, sondern es so machen wie die Juden mit den Knochen des Oster-lamms, die sie gar nicht erst zu zerbrechen suchten, sondern einfach insFeuer warfen (Ex 12,10.46; Joh 19,36). Man darf keineswegs dem Feindantworten, oder sich auch nur den Anschein geben, als höre man, was ersagt. Mag er vor der Tür lärmen, soviel er will; man soll nicht einmalfragen: „Wer ist da?’’

„Aber“, so werden Sie einwenden, „er wird mir lästig und seinLärmen läßt jene, die drinnen sind, nicht einmal das eigene Wort ver-stehen.“ Das tut nichts! Nur Geduld, man muß dann eben durch Zei-chen sprechen: sich vor Gott niederwerfen und zu seinen Füßen blei-ben. Aus dieser demütigen Haltung wird Gott erkennen, daß Sie ihmgehören wollen und seine Hilfe erbitten, auch wenn Sie nicht sprechenkönnen. Vor allem aber halten Sie sich in Ihrem Innern fest eingeschlos-sen. Öffnen Sie auf keinen Fall die Tür, weder um zu sehen, wer da ist,noch um diesen Störenfried zu verjagen! Am Ende wird er seines Lärmensmüde werden und Sie in Ruhe lassen. „Dazu wäre es bald Zeit!“ werdenSie sagen.

Verschaffen Sie sich doch das Buch „Über die Drangsal“ von PaterRibadeneira. Es ist spanisch geschrieben, aber ins Französische übersetzt.Pater Rektor wird Ihnen sagen, wo es gedruckt wurde. Lesen Sie essorgfältig durch.

Haben Sie Mut! Es wird bald wieder vorübergehen. Wenn nur der Feindnicht eindringt, dann liegt nichts daran. Es ist übrigens ein sehr gutesZeichen, wenn er vor der Tür schlägt und tobt. Das zeigt doch, daß er nichthat, was er möchte. Hätte er es erhalten, würde er nicht mehr schreien. Erwürde eintreten und bleiben. Merken Sie sich das, damit Sie nicht Skru-peln verfallen.

Noch ein anderes Mittel will ich Ihnen nennen: Die Versuchungen ge-gen den Glauben wenden sich geradewegs an den Verstand, um ihn zuveranlassen, darüber zu debattieren, nachzusinnen und zu grübeln. Wis-sen Sie, was Sie tun sollen, während der Feind sich müht, Ihren Ver-stand zu erstürmen? Unternehmen Sie einen Ausfall durch das Tor desWillens und greifen Sie ihn tapfer an! Ich will damit sagen: Sobald dieVersuchung gegen den Glauben naht und Ihnen zuflüstern will: „Wieist denn das möglich?“ „Wie ist dies und jenes?“ – lassen Sie sichmit dem Feind nicht ins Gespräch ein, sondern werfen Sie sich mit derganzen Kraft Ihres Willens auf ihn. Fügen Sie zum inneren Wort ru-hig auch das äußere: „Unglückseliger Verräter! Unseliger! Du selberhast die Gemeinschaft der Engel verlassen; nun willst du, daß ich jene

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der Heiligen verlasse. Treuloser Lügner, du zeigtest der ersten Frau denApfel des Verderbens (Gen 3,1-6), nun willst du, daß auch ich anbei-ße? Weiche, Satan, es steht geschrieben: ‚Du sollst den Herrn, deinenGott, nicht versuchen!’ (Mt 4,7). Nein, ich laß mich mit dir nicht ein, ichwill nicht mit dir streiten. Eva ließ sich mit dir ein und ward verführt.– Es lebe Jesus, an den ich glaube! Es lebe die Kirche, zu der ich michbekenne!“ Solche und ähnliche flammende Stoßgebete können Sie spre-chen. Wenden Sie sich in dieser Weise auch an den Heiland und an denHeiligen Geist, wie er es Ihnen gerade eingibt. Oder auch an die Kirche:„Mutter aller Gotteskinder, nie werde ich mich von dir trennen. Ich willin deinem Schoß leben und sterben!“

Ich weiß nicht, ob ich mich gut verständlich mache. Ich will ebensagen, daß man sich wehren soll mit Affekten, nicht mit Vernunftgründen,mit Leidenschaft, nicht mit Überlegungen. Freilich ist der arme Wille insolchen Zeiten der Versuchung ganz trocken. Umso besser, desto furcht-barer werden seine Hiebe den Feind treffen. Merkt er einmal, daß erIhnen nur Gelegenheit gibt, tausend Tugendakte zu erwecken, anstatt Ih-ren Fortschritt zu hemmen; merkt er, daß Sie erst recht Ihren Glaubenbekennen, dann wird er Sie am Ende in Ruhe lassen.

Noch ein drittes Mittel will ich Ihnen nennen: Ab und zu werdenIhnen fünfzig oder sechzig Geißelschläge gut tun oder auch nur dreißig, jenach Ihrem Befinden. Es ist erstaunlich, wie sich dies bei einer mir be-kannten Seele bewährt hat. Zweifellos lenkt der äußere Schmerz von derinneren Bedrängnis und vom Bösen ab und fordert Gottes Barmherzig-keit heraus. Überdies bekommt der Teufel Angst und flieht, wenn er sei-nen Verbündeten – das Fleisch – gezüchtigt sieht. Dieses dritte Mittelgebrauche man jedoch mit Maß und je nach dem Gewinn, den Ihnen dieErfahrung einiger Tage zeigen wird.

Letzten Endes sind diese Versuchungen nur Leiden wie alle anderen.Man muß sich mit dem Wort der Heiligen Schrift trösten: „Selig derMann, der in der Versuchung standhält! Wenn er sich bewährt, wird erden Siegeskranz des Lebens empfangen“ (Jak 1,12). Glauben Sie mir, ichhabe kaum Menschen gekannt, die ohne solche Prüfungen voran-gekommen wären. Man muß eben Geduld haben. Nach dem Sturmwird Gott die Stille senden. Bedienen Sie sich vor allem des erstenund zweiten Mittels.

Was nun Ihre vierte Frage betrifft, will ich weder das ändern, wasSie bei Ihrem ersten Gelöbnis geopfert haben, noch den Ihnen zugeteiltenPlatz, noch sonst etwas.

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Als tägliche Gebete rate ich Ihnen folgende: Machen Sie am Morgendie Betrachtung mit der Vorbereitung, wie ich sie in der bereits übersand-ten Schrift angebe. Fügen Sie hinzu das „Vater unser“, „Gegrüßet seist Du,Maria“, das Glaubensbekenntnis, die Gebete: „Komm Schöpfer Geist“,„Stern des Meeres sei gegrüßt“, „Engel Gottes“, sowie ein kurzes Gebet zuden beiden heiligen Johannes und zu den Heiligen Franz von Assisi undFranz von Paula.

Diese Gebete finden Sie im Brevier, vielleicht stehen sie auch schon indem Büchlein, das Sie mir schicken wollen. Grüßen Sie die Heiligen mitfolgendem Gebet aus der Prim: „Heilige Maria und alle Heiligen, bittetfür uns beim Herrn, damit wir Hilfe und Rettung erlangen durch ihn,der lebt und herrscht in Ewigkeit. Amen.“

Nach diesem Gruß an die Heiligen des Himmels beten Sie ein „Vaterunser“ und „Gegrüßet seist Du, Maria“ für die Armen Seelen und ein an-deres für alle lebenden Christen. So haben Sie gleichsam die ganzeKirche besucht, die sich im Himmel, auf Erden und unter der Erde befin-det, wie der hl. Paulus (Phil 2,10) und der hl. Johannes (Offb 5,13) bezeu-gen. Das alles wird eine gute Stunde in Anspruch nehmen.

Wohnen Sie möglichst jeden Tag dem heiligen Meßopfer bei und feiernSie es so mit, wie ich dies in der Schrift über die Betrachtung beschriebenhabe.

Ich möchte auch, daß Sie täglich, entweder während der Heiligen Mes-se oder im Laufe des Tages recht andächtig den Rosenkranz beten. MachenSie tagsüber möglichst viele Stoßgebete, besonders beim Stundenschlag;diese Übung wird Ihnen nützlich sein.

Vor dem Abendessen empfehle ich Ihnen eine kurze Sammlung. Siekönnen dabei fünf „Vater unser“ und „Gegrüßet seist Du, Maria“ zu denWunden des Herrn beten. Vielleicht so, daß Ihre Seele jeden Tag in einerder fünf Wunden des Herrn Einkehr hält; am sechsten Tag in den Wundenseiner Dornenkrone und am siebten in seiner durchbohrten Seite; denndamit soll jede Woche ihren Anfang nehmen und ihr Ende finden, so daßwir am siebten Tag, am Sonntag, stets zum Herzen Jesu zurückkom-men.

Am Abend, ungefähr eine bis eineinhalb Stunden nach dem Essen, zie-hen Sie sich zurück und beten das „Vater unser“ und „Gegrüßet seist Du,Maria“ und das Glaubensbekenntnis; dann das Confiteor bis „mea culpa“.Hierauf erforschen Sie Ihr Gewissen und beten das Confiteor zu Ende.Beten Sie auch noch die Lauretanische Litanei oder abwechselnd eine von densieben Litaneien zu unserem Herrn, zu Unserer lieben Frau, zu den heili-

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gen Engeln usw., wie sie in einem eigenen Büchlein stehen, das freilichnicht leicht zu bekommen ist. Wenn Sie es nicht finden können, ge-nügt die Lauretanische Litanei. Zu all dem werden Sie ungefähr eine halbeStunde brauchen. Machen Sie jeden Tag eine geistliche Lesung. Sie darf guteine halbe Stunde dauern. Dies genügt für die Wochentage. An Sonn-und Feiertagen können Sie noch der Vesper beiwohnen und das kleineOffizium Unserer lieben Frau beten.

Sollten Ihnen aber die Gebete, die Sie bisher verrichtet haben, mehrzusagen, so ändern Sie bitte nichts. Und wenn Sie von den angegebenenirgendwelche auslassen sollten, machen Sie sich keine Sorge.

Dies soll die Grundregel unseres Gehorsams sein: Ich schreibe sie ingroßen Buchstaben:

ALLES AUS LIEBE TUN UND NICHTS AUS ZWANG! MEHR DENGEHORSAM LIEBEN, ALS DEN UNGEHORSAM FÜRCHTEN! – Ichlasse Ihnen den Geist der Freiheit; nicht jenen, der den Gehorsamverneint, denn dies ist die Freiheit des Fleisches, sondern jenen, der Zwang,Skrupel und Hast ausschließt. Wenn Sie Gehorsam und Unterordnungsehr lieben, ist es mein Wunsch, – dies soll für Sie eine Art Gehorsamsein – daß Sie aus einem berechtigten Grund oder aus NächstenliebeIhre Übungen unterlassen und diese Unterlassung durch die Liebe aus-gleichen.

Ich möchte, daß Sie eine französische Übersetzung all Ihrer Gebetehaben. Sie sollen diese aber nicht französisch beten, sondern lateinisch;so werden Sie mehr zur Andacht gestimmt. Ich möchte nur, daß Sie denSinn jedes Gebetes verstehen, auch der Litaneien vom Namen Jesu,der Gottesmutter und der anderen. Aber tun Sie das alles ohne Hast,ruhig und liebevoll.

Gegenstand Ihrer Betrachtung sei das Leben und Sterben des Herrn.Sie können die „Geistlichen Übungen“ von Tauler, die „Betrachtun-gen“ des hl. Bonaventura und jene von Capiglia verwenden. Sieenthalten ja das Leben unseres Herrn, wie es in den Evangelien steht.Halten Sie sich aber dabei in allem an die Art und Weise derSchrift, die ich Ihnen schicke. Die Betrachtungen über die vier letz-ten Dinge werden Ihnen nützen, vorausgesetzt, daß Sie immer mit einemAkt des Vertrauens auf Gott schließen. Stellen Sie sich Tod und Höllenie vor, ohne auf der anderen Seite das Kreuz zu sehen. Nachdem Siedurch das eine zur Furcht erregt werden, sollen Sie sich voll Vertrauenzum anderen flüchten. Die Betrachtung soll höchstens dreiviertel Stun-

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den dauern. Ich liebe geistliche Lieder, doch müssen sie andächtig gesun-gen werden.

Für den Bruder Esel billige ich das Fasten am Freitag und ein mäßigesAbendbrot am Samstag. Freilich muß man ihn die ganze Woche in Zuchthalten, aber nicht so sehr durch den Entzug der Nahrung – die Mäßigkeitmuß freilich immer gewahrt bleiben, – sondern vielmehr durch Ein-schränkung in der Auswahl. Doch heiße ich es gut, ihn bisweilen zu strei-cheln, wie es St. Franziskus tat, um ihn schneller in Gang zu bringen: Ichmeine die Geißel, die eine wunderbare Kraft besitzt. Während sie demFleisch die Sporen gibt, weckt sie den Geist. Wenden Sie diese aber nurzweimal in der Woche an.

An der Häufigkeit der heiligen Kommunion sollen Sie nichts ändern,sofern es Ihnen nicht Ihr Beichtvater befiehlt. An den Festtagen ist esmir eine besondere Freude zu wissen, daß wir am Tisch des Herrn vereintsind.

Nun zum fünften Punkt: Es ist wahr, daß ich unseren Celse-Benigne wieIhre anderen Kinder besonders liebe. Da Ihnen Gott den Wunsch, siegänzlich seinem Dienst zu weihen, ins Herz legte, müssen Sie Ihre Kinderauf dieses Ziel hin erziehen und ihnen liebevoll solche Gedanken eingeben.Nehmen Sie das Buch der „Bekenntnisse“ des hl. Augustinus und lesenSie sorgfältig vom 8. Buch an. Sie sehen hier die heilige Witwe Moni-ka, wie sie um Augustinus besorgt ist, und noch vieles andere, was Sieermuntern wird.

Auf Celse-Benigne muß man mit hochherzigen Motiven einwirkenund in sein junges Herz den Keim legen zu edlem, ritterlichem Strebennach dem Dienst Gottes, zugleich aber seine Vorstellungen von reinweltlichem Ruhm zu korrigieren suchen. Aber alles nur nach und nach.Später werden wir dann mit Gottes Hilfe an die besonderen Maßnahmendenken, die seinen Altersstufen entsprechend notwendig sind. Fürjetzt achten Sie darauf – nicht nur bei ihm, sondern auch bei seinenSchwestern, – daß sie möglichst allein schlafen oder zusammen mitPersonen, denen Sie vertrauen können wie sich selbst. Man sollte nichtglauben, wie nützlich dieser Rat ist; meine Erfahrung läßt mich dies im-mer wieder empfehlen.

Wenn Franziska von selbst Ordensfrau werden will, gut; andernfallsbin ich nicht dafür, ihrem Willen durch Entscheidungen vorzugreifen,5

wohl aber – wie auch bei den anderen, – durch liebevolle Beeinflussungauf sie einzuwirken. Wir müssen soweit wie möglich gleich den Engeln anden Seelen wirken, nämlich durch liebevolle, gütige Anregungen und ohne

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Gewalt. Ich bin aber einverstanden, daß Sie Ihre Kinder zur Erziehung ins Klo-ster Puits d’Orbe geben. Ich hoffe, daß dort das religiöse Leben bald wie-der sichtlich aufblühen wird. Wirken Sie in diesem Sinne mit! Tilgen Sieaber die Eitelkeit aus den Herzen all Ihrer Kinder; sie ist beinahe einMerkmal Ihres Geschlechtes.

Ich weiß, daß Sie die Briefe des hl. Hieronymus in französischerSprache besitzen. Lesen Sie den Brief über Pacatula und die anderen fürdie Erziehung der Mädchen. Diese Lektüre wird Ihnen Freude bereiten. Aberman muß dabei Maß halten! Mit dem Wort „liebevolle Beeinflussung“habe ich alles gesagt.

Ich sehe, daß Sie 2.000 Taler Schulden haben. Beeilen Sie sich möglichst, diesezurückzuzahlen. Achten Sie sehr darauf, so gut es geht, bei niemand mitder Bezahlung im Rückstand zu bleiben.

Geben Sie gelegentlich kleine Almosen, aber in großer Demut. Ichhabe es gerne, wenn Sie kranke und alte Leute besuchen, besonders Frau-en, aber auch junge Leute, wenn sie sehr krank sind. Ebenso liegt mir amHerzen, daß Sie die Armen besuchen, besonders die armen Frauen. Tun Sie esmit viel Güte und Demut!

Und nun zum sechsten Punkt:Es ist mir recht, wenn Sie sich teils bei Ihrem Vater, teils bei Ihrem

Schwiegervater aufhalten, um für deren Seelenheil in der erwähnten Artder Engel zu sorgen. Ob dieser Aufenthalt in Dijon etwas länger ausfällt,ist unbedeutend. Das ist ja auch Ihre erste Pflicht. Trachten Sie, sichden beiden gleicherweise mit jedem Tag liebevoller und ergebener zuerweisen, und sorgen Sie sanften Geistes für ihr Heil. Zweifellos wird esfür Sie besser sein, den Winter in Dijon zu verbringen.

Ich schrieb Ihrem Herrn Vater; und da er mich gebeten hatte, ihm etwasfür das Heil seiner Seele zu schreiben, tat ich es mit großer Einfach-heit. Mein Rat bezog sich auf folgende zwei Punkte: erstens, er mögeeinen umfassenden Rückblick auf sein Leben halten, um dann eine Gene-ralbeichte abzulegen, ohne die kein Mann von Ehre sterben sollte. Zweitens,er möge versuchen, sich nach und nach von den Bindungen an diese Weltzu lösen. Ich nannte ihm auch die Mittel hierzu. Ich denke, meineVorschläge sind klar und behutsam gefaßt. Ich meine, daß man die Bindun-gen an die Welt und ihre Geschäfte keineswegs mit einem Schlag zerrei-ßen, sondern allmählich lockern und lösen sollte. Er wird Ihnen zweifel-los meinen Brief zeigen. Helfen Sie ihm, diese Worte richtig zu verstehenund zu verwirklichen.

Sie sind ihm zu großer Liebe verpflichtet, daher auch verpflichtet,

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ihn zu einem seligen Ende zu geleiten. Die Ehrfurcht vor ihm darf Sienicht hindern, sich mit demütigem Eifer dafür einzusetzen; denn erist Ihr erster „Nächster“, den Gott Sie zu lieben verpflichtet. Unddas erste, was Sie an ihm lieben sollen, ist seine Seele; in seiner Seeleaber das Gewissen; im Gewissen die Reinheit und in der Reinheit dieHeimkehr zur ewigen Seligkeit. Das gleiche gilt von Ihrem Schwieger-vater.

Vielleicht wird Ihr Vater, da er mich nicht kennt, meinen Freimutunpassend finden; aber sehen Sie zu, daß er mich kennen lerne; ichbin dann sicher, daß er mich dieser Offenheit wegen mehr lieben wird alsum anderer Dinge willen.

Ich schrieb Herrn von Bourges einen fünf Blätter langen Brief über dasPredigtamt.6 Zugleich erlaubte ich mir, ihm sehr offen meine Ansicht übermanche Dinge im Leben eines Erzbischofs zu sagen. Nun, bei ihm zweifleich nicht, daß er es gut aufnehmen wird. Was wollen Sie noch mehr? Vater,Bruder, Onkel, Kinder – alle liegen mir sehr am Herzen.

Ihre siebente Frage betrifft den Geist der Freiheit. Ich will Ihnensagen, was das ist. Jeder rechtschaffene Christ ist frei von Todsünde undvon jeder Anhänglichkeit an sie. Das ist eine zum Heil notwendige Frei-heit. Von dieser spreche ich nicht. Ich meine die Freiheit der Kinder Got-tes (Röm 8,21). Worin besteht sie? Sie ist die Loslösung des Herzens vonallen Dingen, um dem erkannten Willen Gottes zu folgen. Sie wer-den dies leicht verstehen, wenn mir Gott die Gnade schenkt, Ihnen dieMerkmale, Kennzeichen und Wirkungen dieser Freiheit darlegen zu kön-nen.

Wir bitten Gott vor allem, daß „sein Name geheiligt werde, seinReich komme, sein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“(Mt 6,9 f). Das alles ist nichts anderes als der Geist der Freiheit. Er machtsich um nichts weiter Sorgen, wenn nur der Name Gottes geheiligt wird,seine Majestät in uns herrscht und sein Wille geschieht.

Erstes Kennzeichen: Das Herz, das diese Freiheit besitzt, hängt nichtan Freuden. Es nimmt das Leid gelassen an, soweit die Natur dessen fähigist. Ich sage nicht, daß es Freude nicht liebt und wünscht. Aber eshängt nicht an ihr.

Zweites Kennzeichen: Das Herz bindet sich in keiner Weise an geistli-che Übungen. Wird es durch Krankheit oder durch andere Umständedaran gehindert, so entsteht in ihm kein Bedauern. Ich sage wiederumnicht, daß es diese Übungen nicht liebt, sondern nur, daß es nicht daranhängt.

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Drittes Kennzeichen: Es verliert kaum jemals seinen Frohsinn, dennkein Verlust kann den traurig machen, dessen Herz an nichts hängt. Ichsage nicht, daß es die Freude nie verliert, wenn es sie jedoch verliert, dannnur für kurze Zeit.

Die Wirkungen dieser Freiheit sind eine wohltuende Milde des Gei-stes, große Güte und Aufgeschlossenheit für alles, was nicht Sünde oderGefahr zur Sünde ist. In dieser Haltung ist man für alle Tugend- undLiebesakte in schlichter Bereitschaft. Ein Beispiel: Jemand hängt sehran der Betrachtung. Unterbrechen Sie ihn einmal dabei! Sie werdensehen, wie er dann verärgert, aufgeregt und unwillig aufhört. Wer aberdie wahre Freiheit besitzt, wird dem Störenfried mit gleichmütigemGesicht und liebenswürdigem Herzen begegnen und die Betrachtungruhig unterbrechen. Es ist ihm völlig eins, ob er Gott in der Betrachtungoder im Ertragen des Nächsten dient. Das eine wie das andere ist GottesWille, aber den Nächsten zu ertragen, ist für diesen Augenblick geradedas Notwendige.

Diese Freiheit können wir bei allem üben, was unserer Neigung entge-gensteht. Wer an seinen Neigungen nicht hängt, wird nicht ungeduldig,wenn er sie nicht erfüllt sieht.

Dieser Freiheit stehen zwei einander entgegengesetzte Laster gegen-über: Unbeständigkeit und innerer Zwang oder Ungebundenheit undknechtische Abhängigkeit.

Unbeständigkeit oder Ungebundenheit ist eine Übertreibung der Frei-heit. Man will ohne Grund seine Übungen wechseln, seinen Stand ändern,ohne Grund und ohne zu wissen, ob dies Gottes Wille ist. Man ändertbeim kleinsten Anlaß Übung, Plan und Ordnung. Ein geringfügiger Um-stand schon genügt und man läßt von seiner Einteilung und von einerlobenswerten Gewohnheit. So verflüchtigt und verliert sich das Herz. Eswird wie ein offener Garten, dessen Früchte nicht dem Herrn, sondernallen Vorübergehenden gehören (vgl. Ps 80,13).

Innerer Zwang und knechtische Abhängigkeit hingegen offenbaren ei-nen gewissen Mangel an Freiheit. Hier wird der Geist verdrossen undaufgebracht, wenn er nicht tun kann, was er sich vorgenommen; selbstwenn er Besseres dafür tun könnte.

Ein Beispiel: Ich nehme mir vor, täglich am Morgen die Betrachtungzu halten; bin ich unbeständigen oder ausgegossenen Geistes, werde ichsie beim geringsten Anlaß auf den Abend verschieben: wegen einesHundes, der mich nachts nicht schlafen ließ, wegen eines Briefes, denich schreiben muß, obwohl es nicht eilt. Habe ich aber den Geist des

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Zwanges und der knechtischen Abhängigkeit, werde ich auch dann nichtvon meiner Betrachtung lassen, wenn ein Kranker gerade in dieserStunde meine Hilfe notwendig braucht oder ein sehr eiliger Brief zuschreiben ist, der nicht gut aufgeschoben werden kann, und derglei-chen mehr.

Noch zwei oder drei Beispiele für diese Freiheit des Geistes. Sie sollenIhnen noch deutlicher zeigen, was ich in Worten nicht auszudrücken ver-mag.

Zuerst aber muß ich sagen, daß hier zwei Regeln zu beachten sind.Sonst könnten Sie stolpern.

Erste Regel: Man darf nur dann von seinen Übungen und von den allge-mein geltenden Grundsätzen für die Tugendübung abgehen, wenn manganz klar auf der anderen Seite Gottes Willen erkennt. Dieser gibt sich aufzweierlei Art kund: durch Notwendigkeit und durch Aufgaben der Liebe.– Ich will in diesem Jahr während der Fastenzeit in einem kleinen Ortmeiner Diözese predigen. Wenn ich inzwischen krank werde oder mir einBein breche, habe ich nicht zu klagen und mich nicht darüber zu beunru-higen, daß ich nicht predigen kann. In solchem Fall ist es ohne ZweifelGottes Wille, daß ich ihm durch Leiden und nicht durch Predigen diene.Wenn ich nun nicht krank bin, aber Umstände es nahelegen, an einenanderen Ort zu gehen, wo die Leute zu den Hugenotten abfallen könn-ten, wenn ich nicht käme, so zeigt sich der Wille Gottes deutlich genug,um gelassen meinen Plan zu ändern.

Zweite Regel: Muß man aus Nächstenliebe von der Freiheit Gebrauchmachen, so soll dies ohne Ärgernis und Ungerechtigkeit geschehen. Ichweiß zum Beispiel, daß ich irgendwo weitab von meiner Diözese nütz-licher sein könnte. In diesem Fall darf ich von der Freiheit nicht Gebrauchmachen, weil ich Ärgernis erregte und unrecht täte; denn hier hält michmeine Pflicht fest. So machen auch verheiratete Frauen einen falschenGebrauch von der Freiheit, wenn sie sich ohne rechtmäßigen Grund undunter dem Vorwand der Frömmigkeit und Nächstenliebe von ihrem Gat-ten entfernen. Die rechte Freiheit schadet keinem Stand. Im Gegenteil,sie bewirkt, daß jeder seinen Beruf liebt, weil er weiß: es ist der WilleGottes, daß er darin bleibe (1 Kor 7,20.24).

Nun will ich Ihren Blick auf den Kardinal Karl Borromäus lenken,der in wenigen Tagen heiliggesprochen wird.7 Er war der denkbargewissenhafteste, gegen sich strengste und härteste Mann. Er tranknur Wasser und aß nur Brot. Er war so gewissenhaft, daß er als Erz-bischof in 24 Jahren nur zweimal das Haus seiner Brüder betrat, weil

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sie krank waren, und nur zweimal in seinen eigenen Garten ging. Undtrotz seines strengen Geistes aß er oft mit den Schweizern – seinenNachbarn, – um sie zu einem besseren Leben anzuhalten. Er trug auchkein Bedenken, in ihrer Mitte über seinen Durst zu trinken und mit ihnenbei ihren Mahlzeiten anzustoßen.

Das ist ein Zug heiliger Freiheit an diesem vielleicht strengstenMann seiner Zeit. – Ein ungezügelter Geist hätte leicht zuviel getan, einenger hätte darin eine Todsünde gesehen. Ein Geist der Freiheit aber tutsolches aus Nächstenliebe.

Spiridion, ein Bischof des christlichen Altertums, nahm zur Fastenzeiteinen halbverhungerten Pilger auf. Er hatte gerade nur Pökelfleischim Haus, ließ es kochen und setzte es dem Fremden vor. Dieser wolltetrotz des Hungers nichts essen. Spiridion aß nun als erster davon, obwohlbei ihm keine Notlage gegeben war. Er tat es aus Liebe, um durch seinBeispiel die Bedenken des Pilgers zu zerstreuen. So sieht die liebevolleFreiheit eines Heiligen aus.

Pater Ignatius von Loyola, der demnächst heiliggesprochen wird,8 aßam Aschermittwoch Fleisch auf die bloße Anordnung des Arztes hin, deres wegen einer Unpäßlichkeit für notwendig hielt. Ein engherziger Geisthätte sich drei Tage lang bitten lassen.

Nun will ich Ihnen noch einen Heiligen vorstellen, der alle wie einehelle Sonne überstrahlt, eine wahrhaft offene und an nichts hängendeSeele, die nur den Willen Gottes kannte! Ich fragte mich schon oft, werunter den mir bekannten Heiligen wohl die größte Selbstverleug-nung geübt habe. Schließlich fand ich, daß es Johannes der Täufer war.Mit fünf Jahren ging er hinaus in die Wüste und wußte, daß unser undsein Erlöser ganz nahe, etwa eine bis drei Tagesreisen entfernt,geboren worden war. Gott allein weiß, wie sehr sein Herz, das schonim Mutterschoß von der Liebe des Erlösers getroffen war, verlangte, inseiner liebevollen Gegenwart zu sein. Dennoch bleibt er 25 Jahre in derWüste und sucht nicht ein einziges Mal den Herrn zu sehen. Er verläßtsie nur, um sich ganz der Predigt zu widmen. Jesus selbst aber suchter nicht auf; er wartet vielmehr, bis der Herr zu ihm kommt. Auchnach der Taufe folgt er ihm nicht, sondern bleibt seiner Berufungtreu (Mt 3; Lk 3). – Mein Gott, welche Selbstbeherrschung wird hieroffenbar! Seinem Herrn so nahe sein und ihn doch nicht sehen! Ihnso nahe haben und seine Nähe doch nicht verkosten! Was soll dasbedeuten, als seinen Geist von allem gelöst haben, selbst von Gott –aber um Gottes Willen zu tun und ihm zu dienen! Gott um Gottes

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willen lassen, ihm nicht anzuhangen, um ihn umso tiefer und reinerzu lieben. Dieses Beispiel überwältigt mich ob seiner Größe.

Ich vergaß zu sagen, daß Gottes Wille sich nicht nur durch Notwendig-keiten und durch Aufgaben der Nächstenliebe zu erkennen gibt, sondernauch durch den Gehorsam. Wer darum einen Befehl erhält, muß darinGottes Willen sehen. Geht dies nicht zu weit? Doch mein Geist fliegtschneller, als ich es will. Es trägt ihn der Eifer, Ihnen zu dienen.

Nun zum achten Punkt: Erinnern Sie sich des Festes des heiligenLudwig. Da nahmen Sie erneut von Ihrem Geist die Krone Ihres König-reiches herab und legten sie dem König Jesus zu Füßen (Offb 4, 10). Anjenem Tag „erneute sich Ihre Jugendkraft gleich dem Adler“ (Ps 103,5),da Sie in das Meer der Buße tauchten.9 So bereitete er Ihrer Seele den Wegzum ewigen Tag. Erinnern Sie sich doch, wie ich über Ihren großen Ent-schluß, mit Leib, Geist und Herz ganz Gott zu gehören, im Namen unse-rer Mutter Kirche das Amen sprach. Wie dann als Echo vom Himmel dasgroße Amen und Halleluja der seligsten Jungfrau, der Engel und Heiligenzurückklang? Erinnern Sie sich daran, daß Sie willens sind, die ganzeVergangenheit als ein Nichts zu betrachten, und daß Sie jeden Tag mitDavid sprechen sollen: „Nun will ich anfangen“, meinen Gott von Herzenzu lieben (Ps 77,2).

Tun Sie viel für Gott und tun Sie nichts ohne Liebe. Alles soll dieserLiebe gehören, auch Essen und Trinken (vgl. 1 Kor 10,31).

Verehren Sie den hl. Ludwig! Seine große Treue ist bewundernswert. Erwurde mit zwölf Jahren König, hatte neun Kinder, mußte ständig gegenRebellen oder Feinde des Glaubens Kriege führen und war über vierzigJahre König. Nach seinem Tod aber sagte sein Beichtvater, ein heilig-mäßiger Mann, bei dem der Heilige das ganze Leben lang gebeichtet hat-te, unter Eid aus, daß er ihn nie in eine schwere Sünde habe fallen sehen.– Der König unternahm zwei Fahrten über das Meer. Beide Male verlor ersein Heer. Auf der zweiten Fahrt starb er selbst an der Pest, nachdem erlange Zeit die Pestkranken seines Heeres besucht, sie verbunden und biszu ihrer Gesundung gepflegt hatte. Er starb frohen, mutigen Herzens, miteinem Worte Davids auf den Lippen (Ps 5,8; 138,2). Ich gebe Ihnen die-sen Heiligen zum besonderen Patron für dieses Jahr. Schauen Sie immerwieder auf zu ihm und den anderen hier genannten Heiligen. Im kom-menden Jahr werde ich Ihnen, so Gott will, wieder einen anderen Heili-gen als Vorbild geben, nachdem Sie von diesem Heiligen heuer viel ge-lernt haben.

Nun kommen wir zum neunten Punkt: Glauben Sie mir zwei Dinge:

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Erstens will Gott, daß Sie sich meiner bedienen. Zweifeln Sie nicht daran!Zweitens: In allem, was Ihrem Heil dient, wird mir Gott mit seinemLicht helfen, das mir notwendig sein wird, um Ihnen gut dienen zu kön-nen. Das Wollen hat er mir so groß gegeben, daß es nicht größer seinkönnte! – Ich habe das Brieflein mit Ihren Gelübden erhalten und bewah-re es sorgfältig auf; betrachte ich es doch als die Urkunde unserer ganz inGott gegründeten Verbundenheit, die kraft der Barmherzigkeit ihres Ur-hebers ewig dauern wird.

Vor kurzem starb der Bischof von Saluces, einer meiner vertrautestenFreunde und einer der größten Diener Gottes und der Kirche. Sein Volktrauerte sehr um ihn, durfte es sich doch seines Wirkens nur eineinhalbJahre erfreuen. Wir erhielten am gleichen Tag die Bischofsweihe. Bitte,beten Sie dreimal den Rosenkranz für seine Seelenruhe. Hätte er michüberlebt, würde er mir wohl den gleichen Liebesdienst bei allen erwirkthaben, auf die er Einfluß hatte.

Nach einer Stelle Ihres Briefes zu schließen, scheinen Sie es schon fürausgemacht zu halten, daß wir uns eines Tages wiedersehen. Gebe es Gott,meine sehr liebe Schwester! Von meiner Seite sehe ich allerdings nichts,was mich erhoffen ließe, mich frei zu machen. Den Grund sagte ich Ih-nen schon im Vertrauen damals in Saint Claude. Ich bin hier mit Hän-den und Füßen gebunden. Und Sie, meine gute Schwester, schrecken Sienicht die Mühen der letzten Reise? Wir werden aber bis Ostern sehen,was Gott von uns haben will. Sein heiliger Wille sei immer der unsere! Ichbitte Sie, mit mir Gott zu danken für das Ergebnis der Reise nach SaintClaude. Ich kann nicht darüber sprechen. Aber es ist von außerordentli-cher Art. Wenn Sie einmal Zeit haben, schreiben Sie mir doch die Bege-benheit vor der Pforte von Saint Claude. Glauben Sie mir, ich frage nichtaus Neugierde danach.10

Meine Mutter ist Ihnen ganz zugetan. Ich freue mich, daß Sie die FrauPuits d’Orbe so gerne Schwester nennen; sie ist eine große Seele, wenn siegut unterstützt wird. Gott wird sich ihrer zur Verherrlichung seines Na-mens bedienen. Helfen Sie ihr und halten Sie brieflich Kontakt mit ihr. Gottwird es Ihnen danken.

Wenn es nach mir ginge, würde ich diesen Brief niemals zu Endebringen; ich habe ihn nur geschrieben, um Ihnen zu antworten. Ichwill ihn aber nun doch beenden, wobei ich Sie um die große HilfeIhres Gebetes bitte; und wie sehr bedarf ich doch dessen! Ich bete nie,ohne daß Sie zum Teil Gegenstand meiner Bitten würden; ich grüße nie-mals meinen Schutzengel, ohne nicht auch den Ihren zu grüßen. Tun Sie

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das gleiche für mich und auch Ihr Celse-Benigne, für den ich ständig bete,wie auch für Ihre ganze Familie. Glauben Sie mir, daß ich in der HeiligenMesse niemals Ihre Kinder vergesse, auch nicht deren verstorbenen Vater,Ihren Gatten.

Gott sei Ihr Herz, Ihr Geist, Ihre Seele, meine sehr teure Schwester,und ich bin in seinem Schoß Ihr sehr ergebener Diener ...

Annecy, 1. November 1604.Mein Gott, mit welcher Liebe und welchem Eifer ich Ihrem Geiste

zur Verfügung stehe, das können Sie mir gar nicht genug glauben, mei-ne liebe Schwester. Ich bin so sehr davon erfüllt, daß dies allein ge-nügt, um mich zu überzeugen, daß unser Herr es mir eingibt; dennmeiner Meinung nach kann alle Welt zusammen nicht ein so starkesVerlangen in mir wecken; zumindest bin ich dessen noch niemals gewahrgeworden.

Ich gebe den Brief diesem Boten mit, weil er wieder hierher zurück-kehrt und mir Briefe von Ihnen mitbringen kann.

Heute ist das Fest Allerheiligen. Als ich die feierliche Matutin betete,fand ich (7. Lesung), wie der Heiland die acht Seligkeiten mit der Armut imGeiste (Mt 5,3) beginnt und der hl. Augustinus darunter die heilige und soerstrebenswerte Tugend der Demut versteht. Dabei erinnerte ich mich anIhre Bitte, Ihnen etwas darüber zu schreiben. Meines Wissens tat ich dasnicht im letzten Brief, obwohl er umfangreich und vielleicht zu lang war.Und gerade über die Demut hat mir Gott so viel eingegeben, um es Ihnenzu schreiben, daß ich Ihnen darüber viel Schönes sagen könnte, wennich nur genügend Zeit dafür hätte.

Zunächst, meine liebe Schwester, fiel mir ein, daß die Kirchenlehrerdie Demut als die den Witwen eigene Tugend bezeichnen. Die Jungfrauenhaben ihre Tugend, ebenso die Apostel, Märtyrer, Kirchenlehrer und Seelsorger– jeder hat seine besondere Tugend gleich einem Ehrenzeichen seiner Ritter-schaft. Freilich mußten alle die Demut üben; denn sie wären nicht erhöhtworden, wenn sie sich nicht erniedrigt hätten (Mt 23,12; Lk 18, 14). Der Witweaber geziemt Demut vor allen: denn was könnte ihr Grund zum Hochmutsein? Sie besitzt ihre Unversehrtheit nicht mehr (die indes durch einegroße Witwendemut ausgeglichen werden kann. Viel besser ist, Witwe zusein mit viel Öl in der Lampe, als Jungfrau ohne Öl oder mit nur wenigÖl); andererseits fehlt ihr auch das, was in den Augen der Welt der Frauhöheren Wert verleiht: ihr Mann, der ihre Ehre war und dessen Namen sie

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getragen hat. Welcher Ruhm bleibt ihr noch, wenn nicht Gott? O seligerRuhm, o kostbare Krone!

Im Garten der Kirche gleichen die Witwen den Veilchen. Diese klei-nen, niedlichen Blumen haben keine leuchtenden Farben und auchkeinen durchdringenden Duft, aber sie sind doch überaus lieblich.Welch schöne Blume ist die christliche Witwe! Klein und niedrig durchihre Demut, fällt sie nicht auf in den Augen der Welt, die sie sogarflieht; sie schmückt sich nicht mehr, um Blicke auf sich zu lenken. Warumsollte sie auch nach den Augen jener verlangen, deren Herz sie nicht be-gehrt? Der Apostel trägt seinem Schüler auf (1 Tim 5,3), „die Witwen zuehren, die es wahrhaft sind“. Und wer sind solche, wenn nicht jene, die esdem Herzen und dem Geiste nach sind, d. h. deren Herz mit keinemGeschöpf verheiratet ist? Der Heiland sagt heute nicht: „Selig, diereinen Leibes sind“, sondern: „die reinen Herzens sind“ (Mt 5,8), und erpreist nicht die Armen, sondern die Armen im Geiste. Jenen Witwen ge-bührt Ehre, die es dem Herzen und dem Geiste nach sind. Witwe sein,heißt das nicht: heruntergesetzt, d. h. elend, arm und schwach sein? Diearm, elend und schwach sind im Geiste und im Herzen, sind also zupreisen; mit anderen Worten: die Demütigen, deren Schützer der Herr ist(Ps 146,9).

Was aber ist Demut? Ist sie die Erkenntnis dieses Elends, dieser Ar-mut? Ja, sagt unser hl. Bernhard. Aber das ist nur eine rein sittliche undmenschliche Demut. Was ist also die christliche? Sie ist die Liebe zudieser Armut und Niedrigkeit in Anbetracht des Beispiels unseres Herrn.Wissen Sie, daß Sie eine schwache und arme Witwe sind? Dann lieben Siediesen Zustand der Niedrigkeit! Rühmen Sie sich, nichts zu sein! FreuenSie sich darüber, denn Ihr Elend ist Gegenstand der Güte Gottes, so kann erBarmherzigkeit an Ihnen üben. Von den Bettlern halten sich jene fürdie tüchtigsten und erfolgreichsten, die am elendsten aussehen und diegrößten und schrecklichsten Wunden haben. Wir sind auch nur Bettler:die Elendsten haben die besten Aussichten, denn die BarmherzigkeitGottes behält sie gern im Auge (Ps 11,4).

Demütigen wir uns, ich bitte Sie, und lassen wir am Tor des Tempelsder göttlichen Güte nur unsere Wunden und Nöte sprechen (Apg 3,2).Denken Sie immer daran, sich ihrer mit Freude zu rühmen. – Es sollIhnen ein Trost sein, daß Sie ganz leer und ganz Witwe sind, auf daß Sieder Heiland mit seinem Reich erfülle. Seien Sie gütig und freundlich zuallen außer zu jenen, die Ihnen Ihren Ruhm, nämlich Ihre Armseligkeitund vollkommene Witwenschaft nehmen wollten. „Ich will mich mei-

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ner Schwachheit rühmen“, sagt der Apostel (2 Kor 12,9), und: „ich willlieber sterben als – nein – meinen Ruhm soll mir niemand zunichtemachen!“ (1 Kor 9,15). Sehen Sie, er möchte lieber sterben, als seineSchwächen verlieren, die sein Ruhm sind. So müssen auch Sie IhrElend, Ihre Armseligkeit recht wahren: denn Gott sieht herab aufsie, wie er es bei der heiligsten Jungfrau getan (Lk 1,68). „Die Menschenblicken auf das Äußere, der Herr aber schaut auf das Herz“ (1 Sam16,7). Wenn er dann unsere Herzensdemut sieht, wird er uns großeGnaden erweisen.

Diese Demut verleiht der Keuschheit Bestand; darum wird im Hohelied(2,1) jene schöne Seele die „Lilie im Talgrund“ genannt. – Bleiben Siealso voll frohen Mutes demütig vor Gott; aber auch froh und demütig vorder Welt. Freuen Sie sich, wenn die Welt Sie unbeachtet läßt. Über ihreHochschätzung aber machen Sie sich frohen Herzens lustig. Ja, lachenSie über ihr Urteil und über Ihre von der Welt verachtete Armseligkeit.Über deren Mißachtung trösten Sie sich fröhlich mit dem Gedanken, daßsie zumindest darin der Wahrheit folgt.

Nach außenhin streben Sie nicht nach sichtbarer Demut; Sie wer-den aber auch nicht gut tun, sie zu fliehen; nehmen Sie diese vielmehr an,aber immer mit frohem Herzen. Ich bin dafür, manchmal niedrige Dien-ste zu leisten, sogar Untergebenen und auch eingebildeten Menschen; be-sonders aber Armen, Kranken, den Hausgenossen und auswärts; esmuß aber immer unbefangen und fröhlich geschehen. Das betone ich immerwieder, denn hier liegt der Schlüssel zu diesem Geheimnis für Sie und fürmich. Ich hätte besser sagen sollen: „mit Liebe“; denn – so sagt der hl.Bernhard nach dem hl. Paulus – „die Liebe ist frohgemut“ (Gal 5,22).Demütige Dienste und äußere Demut sind nur Schale; diese bewahrtaber die Frucht.

Halten Sie es mit dem Empfang der heiligen Kommunion und mit denÜbungen weiter so, wie ich es Ihnen geschrieben habe. Bleiben Sie diesesJahr bei der Betrachtung des Lebens und Sterbens des Herrn; es ist dasTor zum Himmel. Wenn Sie gerne mit Jesus verkehren, werden Sieseine Haltungen besser kennen lernen.

Haben Sie guten Mut und beharrlichen Mut. Verlieren Sie ihn nicht,auch wenn der Feind viel lärmt und wenn Sie gegen den Glaubenversucht werden. Unser Feind ist ein großer Polterer; machen Sie sichseinetwegen keine Sorge. Er kann Ihnen nicht schaden, ich weiß essicher. Lachen Sie über ihn, verachten Sie ihn und lassen Sie ihn lärmen.Streiten Sie nicht mit ihm, nehmen Sie von ihm keine Notiz; das alles ist

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nichts. Um Heilige herum hat er oft laut geschrien und gepoltert. Was hater erreicht? Sie sind doch an der Stelle, die der Elende verlor.

Ich wünsche, daß Sie im „Weg zur Vollkommenheit“ der seligenTheresia das 41. Kapitel lesen. Es wird Ihnen helfen, ein Wort richtig zuverstehen, das ich Ihnen schon so oft gesagt habe: man darf in derÜbung der Tugenden nicht zu kleinlich sein, sondern ungezwungendaran gehen, aufrichtig, natürlich, nach alter französischer Art, frei-mütig, redlich, großzügig. Ich fürchte tatsächlich den Geist des Zwan-ges und des Trübsinns. Nein, meine liebe Tochter! Ich wünsche, daß Sieein weites und großes Herz voll Demut haben auf dem Weg unseres Herrn,aber zugleich ein Herz voll Demut, Milde und Zucht.

Ich empfehle mich den kleinen, aber inständigen Gebeten unseres Celse-Benigne. Wenn Aimée beginnt, mir manch kleine Wünsche anzuvertrauen,werden sie mir sehr am Herzen liegen. Ich schenke Sie selbst, Ihr Witwen-herz und Ihre Kinder alle Tage dem Herrn, wenn ich ihm seinen Sohndarbringe. Beten Sie für mich, meine liebe Tochter, damit wir uns einstmit allen Heiligen im Himmel wiedersehen. Mein Wunsch, Sie zu liebenund von Ihnen geliebt zu werden, hat kein geringeres Maß als dieEwigkeit. Diese möge Jesus in seiner Liebe und Güte uns geben. Amen.

So bin ich denn und will es immer sein, ganz der Ihre in Jesus Chris-tus ...

Am Tage Allerheiligen.

Annecy, 21. November 1604.Gnädige Frau, sehr liebe Schwester!

Unsere glorreiche und heiligste Herrin, Königin und Jungfrau Maria,deren Darbringung im Tempel wir heute feiern, möge unsere Herzen ih-rem Sohn darbringen und das seine uns schenken.

Ihr Bote kam ziemlich an der mühsamsten und schwierigsten Stelle zumir, der ich auf meiner Fahrt über das stürmische Meer dieser Diözesebegegnen konnte.11 Sie glauben nicht, wieviel Trost mir Ihre Briefe ge-bracht haben. Ich bin nur in Sorge, ob es mir gelingen wird, im Trubelmeiner Geschäfte die nötige Zeit zu finden, Ihnen so bald zu antworten,wie ich es wünsche, und auch so gut, wie Sie es erwarten. Ich schreibe, sogut ich vermag, und ohne Ordnung. Wenn mir noch etwas einfällt, werdeich Ihnen bald durch einen Bekannten schreiben, der nach Dijon reist undwieder zurückkommt.

Ich danke Ihnen für die Mühe, die Sie sich machten, mir die Bege-

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benheit von der Pforte des hl. Claudius zu erzählen. Dieser liebe Heilige istZeuge der Reinheit und Lauterkeit des Herzens, mit der ich Sie liebein unserem Herrn und gemeinsamen Meister. Von seiner göttlichen Gütemöge uns St. Claudius den Beistand des Heiligen Geistes erbitten, der unsnotwendig ist, damit wir gut in die Ruhe des Heiligtums der Kirche einge-hen können (Ps 15,1; 143,10) ... 12

Ich komme nun auf Ihr Kreuz zu sprechen, aber ich weiß nicht, ob mirGott die Augen recht geöffnet hat, um es in seinem vollen Umfang zuerkennen. Aus ganzem Herzen wünsche ich es und bitte ihn, er mögemich das Richtige sagen lassen.

Nach Ihren Angaben handelt es sich um ein gewisses Unvermögen derFähigkeiten oder Kräfte Ihres Verstandes, sodaß Sie nicht zufrieden seinkönnen, wenn Sie Gutes tun wollen. Am meisten jedoch quält Sie, daß Sienicht mehr die gewohnte Entschiedenheit fühlen, wenn Sie dann einenEntschluß fassen. Sie stoßen auf eine merkwürdige Schranke, die Sie jähinnehalten läßt. Daher stammen dann die quälenden Versuchungen widerden Glauben.

Das ist gut gesagt, meine liebe Tochter, Sie drücken sich richtig aus; ichweiß aber nicht, ob ich Sie gut verstehe. Sie fügen hinzu, daß – dankder Gnade Gottes – der Wille trotzdem einfach und fest zur Kirche steht,sodaß Sie gerne für diesen Glauben sterben wollten.

Gott sei gepriesen, meine liebe Tochter, „diese Krankheit führt nichtzum Tod, sondern dient zur Verherrlichung Gottes“ (Joh 11,4).

Zwei Völker sind im Schoß Ihres Geistes; ein Volk kämpft gegen dasandere, schließlich aber „wird das ältere dem jüngeren dienen“ (Gen 25,23),wie zu Rebekka gesagt wurde.

Die Eigenliebe stirbt erst, wenn wir selber sterben. Sie hat tausend Schli-che, sich in unserer Seele zu verschanzen; man kann sie daraus nicht vertrei-ben. Sie ist die Erstgeborene in unserer Seele, denn sie gehört zu unsererNatur oder ist wenigstens mit ihr verbunden. Sie führt eine LegionKämpfer mit sich: Regungen, Handlungen, Leidenschaften. Sie ist gewandtund versteht sich auf tausend listige Wendungen.

Auf der anderen Seite haben Sie die Liebe zu Gott. Sie wurde späterempfangen und später geboren. Auch sie hat ihre Regungen, Neigungen,Leidenschaften und Handlungen.

Diese zwei Kinder bekämpfen sich im gleichen Schoß wie Esau undJakob; darum rief Rebekka aus: „Wäre es nicht besser für mich zusterben, als mit soviel Schmerzen zu gebären!“ (Gen 25,22). Diese Kämp-fe erzeugen einen eigenartigen Ekel, so daß Ihnen die besten Speisen

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nicht mehr schmecken. Aber was liegt daran, ob sie schmecken odernicht, da Sie doch nicht aufhören, ordentlich zu essen? Sollte ich einenmeiner Sinne verlieren müssen, würde ich auf den Geschmackssinn ver-zichten, der mir sogar weniger notwendig zu sein scheint als der Ge-ruchssinn.

Glauben Sie mir: es fehlt Ihnen nur der Geschmack, nicht das Seh-vermögen. Sie sehen, aber ohne Befriedigung. Sie kauen das Brot, als wärees Werg, ohne Geschmack und Lust. Ihre Entschlüsse scheinen Ihnenkraftlos zu sein, weil sie nicht freudig und froh sind. Aber Sie täuschensich; der heilige Apostel Paulus hatte sehr oft auch nur solche (Röm7,21-25). Die arme Lea ist ein wenig triefäugig und häßlich, aber IhrGeist muß sich mit ihr begnügen, ehe er die schöne Rahel erhält (Gen29,16-28). Nur Mut, sie wird trotzdem schöne und Gott wohlgefälligeWerke gebären. – Aber ich halte mich zu lange auf.

Sie fühlen sich nicht fest, beharrlich und nicht sehr entschlossen. Siesagen: es steckt etwas in mir, das immer unbefriedigt bleibt, aber ichvermag nicht zu sagen, was es ist. Ich möchte es gerne wissen, meine liebeTochter, um es Ihnen zu sagen. Aber ich hoffe, eines Tages darüber klar zuwerden, wenn ich Sie mit Muße anhören kann.

Ist es nicht etwa eine Menge von Wünschen, die Ihrem Geist Hemmun-gen verursacht? Auch ich litt an dieser Krankheit. Der an eine Stangegekettete Vogel spürt nur, wenn er zu fliegen versucht, daß er gefesselt istund die Fesseln die Stöße verursachen. Ebenso weiß er, bevor er Flü-gel hat, nichts von seinem Unvermögen zu fliegen. Er wird es erst innebeim ersten Flugversuch.

Ich sage Ihnen ein Heilmittel dagegen, meine liebe Tochter: DaSie noch keine Flügel haben zum Flug und das eigene Unvermögen IhremWollen Schranken setzt, schlagen Sie nicht um sich, haben Sie keineEile zu fliegen, sondern gedulden Sie sich noch, bis Sie Flügel haben,um gleich den Tauben zu fliegen (Ps 55,7). Ich fürchte sehr, daß Sieetwas zu hitzig auf Ihre Beute losgehen, daß Sie zu ungestüm vorstürmenund Ihre Wünsche etwas zu üppig wuchern lassen. Sie erkennen dieSchönheit des Lichtes, das Wohltuende der Entschlüsse; Sie meinen, diesefast in Händen zu haben; die Nähe des Guten weckt in Ihnen ein maßlo-ses Verlangen danach und dieser Heißhunger wiederum drängt Sie vor-an und Sie möchten sich hinaufschwingen. Aber umsonst, denn der Mei-ster hält Sie an der Stange gekettet oder besser gesagt: Sie besitzen nochkeine Flügel. Dabei aber magern Sie ab infolge der andauernden Erre-gung des Herzens und erschöpfen ständig Ihre Kräfte. – Man soll schon

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Versuche machen, aber mit Maß, ohne um sich zu schlagen und sich zuerhitzen.

Prüfen Sie gründlich Ihr Vorgehen in dieser Hinsicht. Vielleicht werdenSie erkennen, daß Sie Ihren Geist zu sehr fesseln lassen vom Verlangennach diesem großen Empfinden, das der Seele das Gefühl der Festigkeit,Beständigkeit und Entschiedenheit verleiht. Sie besitzen diese Festigkeit.Was ist denn Festigkeit anders, denn lieber sterben wollen, als denGlauben verletzen oder aufgeben? Aber Sie haben nicht das Gefühldieser Festigkeit; hätten Sie es, dann empfänden Sie tausend Freuden.Halten Sie aber ein! Hasten Sie nicht ungestüm! Sie werden sehen, daßIhr Befinden sich bessern wird. Ihre Flügel werden dann leichter erstarken.

Dieses ungestüme Hasten ist einer Ihrer Fehler. Das ist eben jenes„Ich weiß nicht was“, das unbefriedigt ist, es ist ein Mangel an Er-gebung. – Sie fügen sich wohl, jedoch mit einem „aber“; denn Siemöchten gerne dies oder jenes haben und Sie schlagen um sich, um es zuerhalten. – Ein einfacher Wunsch ist dieser Ergebung nicht entgegen, wohlaber dieses Zappeln des Herzens, dieses Schlagen der Flügel, diese Erre-gung des Willens, dieser ständig wiederholte Flugversuch. All das istMangel an Ergebung. – Mut, meine liebe Schwester! Da unser WilleGott gehört, sind wir auch ohne Zweifel sein Eigen. Sie haben alles, wasnotwendig ist, aber Sie fühlen nichts dabei. Das ist kein großer Ver-lust. Wissen Sie, was man tun soll? Man muß es gerne annehmen, nichtfliegen zu können, da man eben noch keine Flügel hat.

Sie erinnern mich an Mose. Als der heilige Mann auf dem Berge Pisgaanlangte, sah er das ganze Land der Verheißung vor seinen Augen. Eswar das Land, das er unter Murren und Auflehnung seines Volkes vier-zig Jahre ständig ersehnt und erhofft hatte, mitten in den Härten derWüste. – Er sah es und betrat es nicht, sondern starb im Anblick diesesLandes (Dtn 34,1-5). Er hielt das Glas Wasser an die Lippen und konntenicht trinken. O Gott, welch schmerzliche Sehnsucht mußte seine Seeleempfinden! Er starb aber viel glücklicher als so manche, die imverheißenen Land starben. Denn Gott erwies ihm die Ehre, ihn selbst zubegraben (Dtn 5,6). Wenn Sie also sterben müßten, ohne vom Wasser derSamariterin (Joh 4,15) getrunken zu haben, was läge schon daran? Wennunsere Seele nur zugelassen wird, in Ewigkeit an der Quelle und amBorn des Lebens zu trinken! (Ps 36,10). Ereifern Sie sich nicht ineitlen Wünschen. Ja, ereifern Sie sich nicht einmal darüber, daß Sie sichnicht mehr ereifern. Gehen Sie ganz ruhig Ihren Weg, denn er ist gut.

Sie müssen wissen, meine sehr teure Schwester, daß ich Ihnen dies schrei-

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be, während viele Dinge mich ablenken. Wenn Sie mein Schreiben konfusfinden, ist das kein Wunder, denn ich bin es selber auch, aber Gott seiDank, ohne Unruhe.

Wollen Sie sehen, daß ich recht habe, wenn ich sage: „was Ihnenfehlt, ist die volle Ergebung“? Sie wünschen wohl ein Kreuz, aber einselbstgewähltes; Sie wollen ein gewöhnliches, ein körperliches, eines vondieser oder jener Art. Aber was ist das, meine sehr liebe Tochter? Achnein, ich wünsche, daß Ihr Kreuz und auch meines ganz das Kreuz JesuChristi sei (Joh 19,25; Gal 6,14), sowohl in der Art, wie es uns aufer-legt wird, als auch in der Auswahl. Gott weiß wohl, was er tut undwarum er es tut: es ist zweifellos zu unserem Besten. Unser Herr überließzwar David die Wahl der Rute, die ihn züchtigen sollte (2 Sam 24, 12-14).Gott sei gepriesen; aber mir scheint, ich hätte nicht gewählt, sondern allesseiner göttlichen Majestät überlassen. Je mehr ein Kreuz von Gott kommt,umso mehr müssen wir es lieben.

Nun aber, meine Schwester, meine Tochter, meine Seele (und dasist, wie Sie wissen, nicht zuviel gesagt), sagen Sie mir, ist Gott nicht besserals der Mensch? Ist der Mensch nicht ein wahres Nichts im Vergleich zuGott? (Jes 40,17). Und doch ist hier ein Mensch, – oder vielmehr dasreinste Nichts unter so vielen Nichtsen, der Gipfel aller Armseligkeit, – derdas Vertrauen, das Sie ohne jedes Gefühl auf ihn setzen, um nichtsweniger liebt, als wenn Sie alle Gefühle der Welt hätten. Wie solltedann Gott Ihren guten Willen nicht für gut finden, auch wenn er ganzohne Gefühl ist? Ich bin, sagt David (Ps 119,23), wie ein Schlauch amRauch des Feuers ausgedörrt; man weiß nicht, wozu er dienen soll. –Aber mag es noch soviel Trockenheit und innere Leere geben, wenn wirnur Gott lieben!

Mit all dem sind Sie aber noch immer nicht in dem Land, wo es über-haupt kein Licht mehr gibt; manchmal ist es doch wieder Tag in der Seeleund Gott sucht Sie heim. Ist er nicht gut? Scheint es Ihnen nicht so? Ichglaube, daß dieses Auf und Ab Ihnen alles nur sehr schmackhaft machensoll. Ich heiße es aber doch gut, daß Sie dem guten Heiland Ihr Leidklagen, aber liebevoll und ohne Ungestüm; er möge sich – wie Siesagen – wenigstens von Ihrem Geist finden lassen. Er gefällt sich darin,daß wir ihm das Leid sagen, das er uns bereitet, und daß wir uns überihn beklagen, vorausgesetzt, daß es liebevoll und demütig gescheheund ihm selbst gegenüber, wie es die kleinen Kinder tun, wenn ihre liebe

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Mutter sie gezüchtigt hat. Indessen müssen wir noch ein wenig Leid ertragenund zwar in aller Ruhe.

Ich halte es nicht für unrecht, den Heiland zu bitten: „Komm in unsereHerzen!“ Nein, da ist auch gar kein Schein von Bösem.

Der Herr weiß auch, daß ich seit meiner Abreise aus Ihrer Stadtniemals ohne Sie die heilige Kommunion empfing. Gott will, daß ich ihmdiene im Erdulden von Trockenheiten, Ängsten, Versuchungen, wieIjob und der hl. Paulus – und nicht im Predigen. Dienen Sie Gott so, wieer es will. Sie werden sehen, daß er eines Tages alles tun wird, was Siewollen, ja noch mehr, als Sie je wünschen könnten.

In der halbstündigen geistlichen Lesung können Sie folgende Bücherlesen: Granada, Gerson,13 „Das Leben Jesu Christi“ von Ludolf dem Kar-täuser (aus dem Lateinischen ins Französische übersetzt), Mutter There-sia, „Die Abhandlung über das Leiden“, die ich Ihnen bereits im vorher-gehenden Brief angab.

Ach, werden wir nicht eines Tages alle zusammen im Himmel sein, umGott ewig zu preisen? Ich hoffe es und freue mich dessen.

Ihr dem Herrn gemachtes Versprechen, nie zu verweigern, um was Siein seinem Namen ersucht werden, soll Sie zu nichts anderem verpflich-ten, als Gott ganz zu lieben. Das heißt: Sie könnten es wohl auchfalsch auslegen, wenn Sie mehr geben wollten, als recht ist, und wenn Siesinnlos gäben. Das Versprechen muß also so verstanden werden, daß Sie esunter Wahrung des rechten Maßes erfüllen wollen. Und es sagt also nichtmehr, als daß Sie Gott ganz lieben und sich bemühen wollen, so zu leben,zu reden, zu tun und zu geben, wie er es will.

Ich behalte das Psalmenbuch und danke Ihnen für die Musik dazu. Ichverstehe allerdings nicht das geringste davon, liebe sie aber sehr, wenn siezum Lobpreis des Herrn dient.

Fürwahr, wenn Sie wünschen, daß ich rasch antworte und – ohne Zeitzu haben – Zeit zum Schreiben finden soll, so schicken Sie mir wiederdiesen guten Herrn (Rose); denn, offen gesagt, er hat mir letztesmal der-art zugesetzt, daß es nicht zu überbieten war; er hat mir auch keineneinzigen Tag Aufschub gewähren wollen. Ich möchte nicht Richter sein ineinem Prozeß, den er betreiben würde.

Ich kann die Anrede „Gnädige Frau“ nicht lassen. Der heilige Evange-list Johannes gebraucht das gleiche Wort in dem Brief an Frau Elekta.Wie könnte ich mir anmaßen, zu glauben, daß ich Ihnen in Liebe nä-herstehe, als Johannes jener Frau Elekta. Und sollte ich mich weiser dün-ken als der hl. Hieronymus, der seine fromme Eustochium gleichfalls

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„Gnädige Frau“ nennt? Ihnen jedoch will ich verbieten, mich mit Mon-seigneur anzureden. Wenn dies auch bei Ihnen gegenüber Bischöfen so üb-lich ist, bei uns nicht, und ich liebe die Einfachheit.

Sie dürfen ruhig eine Heilige Messe wöchentlich zu Ehren Unsererlieben Frau geloben. Ich möchte aber, daß dieses Versprechen nur fürein Jahr gelte; Sie können es allenfalls erneuern. Beginnen Sie damit anMaria Empfängnis, dem Tag meiner Weihe, an dem ich das große underschreckende Gelöbnis ablegte, mich dem Dienst der Seelen zu weihenund, wenn nötig, für sie zu sterben. Der Gedanke daran müßte micherschaudern lassen. – Gleiches gilt auch vom Rosenkranz und vom Avemaris stella.

In dieser Antwort achtete ich weder auf Ordnung noch auf Maß; derÜberbringer nahm mir ja jede Möglichkeit dazu.

Wie ich bereits eingangs erwähnte, erwarte ich jetzt in aller Ruheeinen schweren Sturm, der mich ganz persönlich betrifft. Ich bin aberdabei froh gestimmt und mit dem Blick auf die Vorsehung Gottes habeich die Hoffnung, daß dies zu seiner größeren Ehre, zu meinem innerenFrieden und zu noch viel anderem dienen wird. Ich bin nicht sicher,daß dieser Sturm wirklich hereinbricht, ich bin nur von ihm bedroht.Aber wozu sage ich Ihnen das? Weil ich nicht anders kann; mein Herzmuß sich dem Ihren weit öffnen; und da ich in der Erwartung desKommenden voll Trost und Hoffnung auf einen glücklichen Ausgangbin, warum sollte ich es Ihnen nicht sagen? Aber nur Ihnen allein, ichbitte Sie.

Ich bete innig für unseren Celse-Benigne und für die kleine Mädchen-schar; ich empfehle mich auch ihren Gebeten. Vergessen Sie nicht, fürmein Genf zu beten, daß Gott es bekehre. Bringen Sie dem guten geistli-chen Vater – Sie wissen, wen ich meine – in allem große Hochachtung undEhrfurcht entgegen, ebenso dem Kreis seiner Schützlinge, damit diese beiIhnen nur echte Sanftmut und Demut sehen. Wenn man Ihnen Vor-würfe macht, bleiben Sie ruhig, bescheiden und geduldig. Was Sie sagen,soll wahrer Demut entspringen. So muß es sein.

Gott sei immerdar Ihr Herz, Ihr Geist, Ihre Ruhestätte, und ich bin,Gnädige Frau, Ihr sehr ergebener Diener im Herrn ...

Meine kranke Mutter grüßt Sie ergebenst und stellt Ihnen ihre beschei-denen Dienste und die ihres ganzen Hauses zur Verfügung. Ich bin so inEile, daß ich die Seiten verwechselt habe, aber Sie können alles an Handder Nummern ordnen. Gott sei Ehre und Ruhm! (1 Tim 1,17).

Am Tag der Darbringung unserer Lieben Frau, 21. November 1604.

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Heute früh, am Fest der hl. Cäcilia, füge ich noch etwas hinzu: DerAusspruch unseres hl. Bernhard: „Die Hölle ist voll von guten Vor-sätzen und Wünschen“, soll Sie in keiner Weise beunruhigen. Es gibtzwei Arten von guten Vorsätzen: Der eine sagt: „Ich möchte es eigent-lich tun, aber es ist mir lästig, ich werde es darum nicht tun.“ Der anderesagt: „Ich will gewiß gut handeln, aber ich habe nicht so viel Kraft wieguten Willen, und das hält mich auf.“ Die erste Art von Vorsätzenfüllt die Hölle, die zweite den Himmel. Die erste enthält nur einen Ansatzzum Wollen und Streben, führt aber das Wollen nicht zu Ende; sol-chen Wünschen fehlt es an Mut, es sind nur „Fehlgeburten“ des Willens,darum füllen sie die Hölle. Die zweite Art aber bringt ganze und klargeformte Wünsche hervor. Darum wurde Daniel „Mann der Wünsche“genannt.

Unser Herr möge Ihnen den dauernden Beistand seines Heiligen Gei-stes schenken, meine Schwester und ganz liebe Tochter!

Annecy, 18. Februar 1605.14

Gnädige Frau!Ich preise Gott für Ihre Ausdauer beim Ertragen Ihrer Prüfungen. Den-

noch sehe ich noch immer etwas Unruhe und Hast, die Ihre Geduld nichtzur vollen Wirkung gelangen lassen. „In Geduld“, sagt der Sohn Gottes,„werdet ihr eure Seelen besitzen“ (Lk 21,19). Die Geduld also bewirkt,daß man seine Seele besitzt. Je vollkommener die Geduld, desto ausschließ-licher und vollkommener ist die Herrschaft über die Seele. Die Geduldaber ist umso vollkommener, je weniger sie mit Unruhe und Hast durch-setzt ist. Gott möge Sie denn von diesen beiden Unvollkommenheitenbefreien, dann werden Sie auch bald von der anderen frei sein.

Aber nur Mut, meine sehr liebe Schwester, ich bitte Sie. Sie haben erstdrei Jahre die Mühe des Weges getragen und wollen schon Ruhe. Erin-nern Sie sich doch zweier Dinge: 1. Die Kinder Israels lebten vierzigJahre lang in der Wüste, bevor sie in das Land ihrer Verheißung kamen,und doch hätten für die ganze Wegstrecke sechs Wochen genügt. Aber es warihnen nicht erlaubt zu fragen, warum Gott diese vielen Umwege zuließund sie auf so rauhen Pfaden führte; die darüber murrten, starben vorErreichung des gelobten Landes (Num 16, 36 f). 2. Selbst Mose, denGott von allen am meisten liebte, starb angesichts des Landes der Ruhe.Nur sehen durfte er es, doch seines Besitzes konnte er sich nicht mehrerfreuen (Dtn 34 f).

Gebe Gott, daß wir wenig auf die Beschaffenheit des eingeschlagenen

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Weges achten und die Augen mehr auf den richten, der uns führt, und aufdas selige Land, dem er uns zuführt. Was liegt daran, ob es durch Wüstenoder Fluren geht, wenn nur Gott mit uns ist und wir den Himmel errei-chen. Glauben Sie mir bitte und lenken Sie sich möglichst ab von IhremKreuz. Wenn Sie es fühlen, betrachten Sie es nicht; denn sein Anblickwird Ihnen mehr Besorgnis bereiten, als das Fühlen Ihnen Schmerz zufü-gen wird. So verhüllt man auch jenen die Augen, an denen man eine größe-re Operation vornehmen will. Es scheint mir nämlich, daß Sie etwas zu-viel bei der Betrachtung Ihres Kreuzes verweilen.

Sie sagen, es bereite Ihnen großes Leid, etwas zu wollen, es abernicht ausführen zu können. Ich möchte nicht sagen, man solle nur dasAusführbare wollen. Ich sage Ihnen vielmehr: das Wollenkönnen ist be-reits ein großes Können vor Gott. Gehen Sie Ihren Weg weiter, ich bitteSie, und denken Sie an die große Verlassenheit unseres Herrn imÖlgarten. Betrachten Sie den Sohn, der vom Vater so sehr geliebt wird –er bittet ihn um Tröstung, und da er erkennt, daß der Vater sie ihmnicht gewähren will, denkt er nicht mehr daran, gerät nicht in Unruhe,verlangt nicht mehr danach, sondern vollbringt, als hätte er nie darumgebetet, tapfer und mutig das Werk unserer Erlösung.

Haben Sie also den Vater um Trost gebeten, und er will ihn nichtgewähren, dann denken Sie nicht mehr darüber nach. Fassen Sie allIhren Mut zusammen, um das Werk Ihres Heils am Kreuz zu wir-ken, als sollten Sie nie mehr herabsteigen und die Freude haben, IhrLeben klar und heiter zu sehen. Was wollen Sie? Man muß Gott sehenund mit ihm sprechen auch im Donnergrollen und Wirbelsturm (Ex19,16). Man muß ihn im Busch, im Feuer und in den Dornen sehen. Umdies zu können, ist es wahrhaft nötig, die Schuhe abzulegen und hoch-herzig unseren Wünschen und Neigungen zu entsagen (Ex 5,2 f). GottesGüte aber berief Sie nicht auf diesen Weg, ohne Sie dafür zu stärken; anihm liegt es, das Werk zu vollenden (Phil 1,6). Der Weg ist freilichetwas lang, dies erfordert aber die Natur des Werkes. Jedoch Geduld!

Kurz, fügen Sie sich ganz dem Willen Gottes – ihm zur Ehre. Glau-ben Sie keineswegs, ihm anders besser dienen zu können; denn mandient ihm niemals gut, wenn man ihm nicht so dient, wie er es will.Nun aber ist es sein Wille, daß Sie ihm ohne Freude und ohne Gefühl,mit Widerstreben und seelischen Krämpfen dienen. Solcher Dienst ge-währt Ihnen keine Befriedigung, wohl aber ihm; er ist nicht nachIhrem Geschmack, wohl aber nach seinem. Stellen Sie sich vor, Siesollten niemals mehr von Ihren Ängsten befreit werden; was würden Sie

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dann tun? Zu Gott sprechen: „Ich bin Dein (Ps 119,94); wenn meinElend Dir angenehm ist, so lasse es wachsen an Größe und Dauer!“ Ichvertraue im Herrn, daß Sie so sprechen und nicht mehr darüber nachden-ken, zumindest aber nicht mehr voll Unruhe sein werden. Tun Sie dasschon jetzt und gewöhnen Sie sich an Ihr Leiden, als sollten Sie immer mitihm zusammenleben. Sie werden sehen: wenn Sie nicht mehr daran den-ken, davon frei zu werden, wird Gott daran denken; und wenn SieIhr ungestümes Hindrängen abgelegt haben, wird Gott dafür herbeiei-len. Dies möge einstweilen genügen, bis Gott mir Muße schenkt, ausführ-lich darüber zu sprechen. Das wird geschehen, wenn wir auf ihn unserengesicherten Lebensweg gründen werden. So Gott will, soll dies beimnächsten Wiedersehen sein.

Jene gute Seele, die Sie und ich so sehr lieben,15 läßt mich fragen,ob sie auf die Anwesenheit ihres Seelenführers warten kann, um sich einerSache wegen anzuklagen, an die sie sich bei ihrer Generalbeichte nichtmehr erinnert hat. Wie ich sehe, wünscht sie dies sehr. Sagen Sie ihrbitte, daß dies auf keinen Fall geht; ich würde an ihrer Seele Verratüben, wollte ich diesen Mißbrauch erlauben. Sie soll sich vielmehr beiihrer nächsten Beichte gleich zu Beginn dieser vergessenen Sünde an-klagen (das gleiche gilt, wenn es sich um mehrere Sünden handelt), of-fen und einfach, ohne etwas anderes aus ihrer Generalbeichte zu wieder-holen, die doch recht gut war. Sie möge sich also wegen der vergessenenDinge in keiner Weise beunruhigen. Nehmen Sie ihr die falsche Vorstel-lung, die in dieser Frage Ursache ihrer Sorge ist. Der erste und wichtig-ste Punkt der christlichen Einfachheit liegt doch wahrhaftig in jenerzwanglosen Art, sich seiner Sünden anzuklagen, wenn es notwendig ist;und zwar offen und unverhüllt, ohne das Ohr des Beichtvaters zu fürch-ten, das nur da ist, um Sünden und nicht Tugenden zu hören, undzwar Sünden aller Art.

Sie möge sich also mutig und unverzagt in diesem Sinne ihrer Lastentledigen mit großer Demut und Selbstverachtung, ohne Furcht; sie sollihre Armseligkeit dem zeigen, durch dessen Vermittlung Gott sie hei-len will. Wenn sie vor ihrem ständigen Beichtvater zu viel Scham undFurcht empfindet, mag sie anderswohin gehen; aber ich wünsche darin volleEinfachheit. Ich glaube übrigens, daß das, was sie zu sagen hat, inWirklichkeit etwas ganz Unbedeutendes ist und nur durch die Angst au-ßergewöhnlich groß erscheint. Sagen Sie ihr das alles mit großer Liebe undversichern Sie ihr, daß ich darin, wenn es möglich wäre, sehr gerne ihremWunsch entspräche, da ich doch der heiligen Freiheit der Christen meine

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Dienste geweiht habe. Falls sie sich beim nächsten Zusammentreffen mitihrem Seelenführer aus dem Bekenntnis dieses gleichen Fehlers etwasTrost und Gewinn verspricht, könnte sie dies tun, obwohl es nicht notwen-dig wäre; aber wie ich aus ihrem letzten Brief ersehe, wünscht sie es. Ichhoffe, daß es ihr sogar nützlich sein wird, von neuem eine Generalbeichtenach gewissenhafter Vorbereitung abzulegen. Doch soll sie erst kurz vorihrer Abreise damit beginnen. Es wäre sonst zu fürchten, daß sie in Ver-wirrung gerät.

Sagen Sie ihr auch, ich bitte Sie, ich hätte gesehen, wie in ihr der Wunschwächst, sich eines Tages an einem Ort zu sehen, wo sie Gott mit Leibund Stimme dienen kann. Dämmen Sie in ihr diesen Wunsch gleich zuBeginn ein und erklären Sie ihr, daß er von zu großer Tragweite ist, um ihnzu wiederholen oder erstarken zu lassen, bevor sie sich darüber mit ihremSeelenführer völlig ausgesprochen hat und bevor beide gemeinsam ver-nommen haben, was Gott dazu sagt. Ich fürchte sonst, sie könnte sichvon vornherein zu sehr darauf festlegen. Es wäre nachher schwer, sie zujenem Gleichmut zurückzuführen, mit dem man das hören soll, was Gottuns rät. Es ist mir recht, daß sie diesen Wunsch hegt, nicht aber, daß ernoch stärker wird. Glauben Sie mir, es ist immer besser, auf den Herrnmit Gleichmut und innerer Freiheit zu hören. Das aber ist nicht mög-lich, wenn dieser Wunsch noch zunimmt. Denn dann wird er alle innerenFähigkeiten beherrschen und der Vernunft bei ihrer Wahl seinen Willenaufzwingen.

Ich bereite Ihnen viel Mühe, wenn ich Sie zur Überbringerin dieserBotschaft mache; aber da Sie die Mühe auf sich nehmen, mir deren Fra-gen vorzulegen, wird es Ihre Nächstenliebe nicht abschlagen, ihr meineAntwort zu überbringen.

Bleiben Sie fest, ich bitte Sie darum; nichts soll Sie erschüttern. Nochist es „Nacht, doch der Tag bricht an“ (Röm 13,12); ja gewiß, er wirdkommen. Indessen sprechen wir mit David: „Erhebt eure Hände im Hei-ligtum inmitten der Nacht und preist den Herrn!“ (Ps 134,2). Preisen wirihn von ganzem Herzen und bitten wir ihn, er möge uns Führer,Barke und Hafen sein.

Ich will nicht auf alle Einzelheiten Ihres letzten Briefes eingehen,sondern nur auf einige Punkte, die mir vordringlich erscheinen.

Sie dürfen nicht glauben, meine sehr liebe Tochter, daß die Ver-suchungen gegen Glauben und Kirche von Gott kommen. Wer hat Siedenn je gelehrt, daß Gott deren Urheber sei? Manche Dunkelheit, man-ches Unvermögen und Gefesseltsein, manche Verlassenheit, manches Ver-

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sagen der Kräfte, mancher Ekel am geistlichen Leben, manche innere Bit-terkeit, die den süßesten Wein der Welt bitter werden läßt: dies alleskönnte wohl von Gott kommen; nicht aber Versuchungen zu Gottes-lästerung, Untreue oder Unglaube; nein, das kann nicht von Gott kom-men (Jak 1,13); zu rein ist sein Herz, als daß es solche Absichten hegenkönnte.

Wissen Sie, wie Gott dabei verfährt? Er läßt zu, daß der böse Rän-keschmied uns solche Erzeugnisse seines Geistes anbietet, damit wirdurch die ihm bekundete Verachtung unsere Liebe zu den göttlichenDingen erweisen. Soll man sich deswegen, meine liebe Schwester, meinesehr teure Tochter, in Unruhe stürzen lassen? Darf man deshalb seineHaltung ändern? O Gott, niemals! Denn der Teufel umschleicht unse-ren Geist (1 Petr 5,8), lauernd und Verwirrung stiftend; er schaut, ob ernicht irgendeine Tür offen findet. So ist er bei Ijob, beim hl. Antonius,bei der hl. Katharina von Siena und bei einer Menge guter Seelen vorge-gangen, die ich kenne. Was nun? Soll man sich deswegen ärgern? –Lassen Sie ihn nur sich langweilen, meine gute Tochter, und haltenSie alle Zugänge fest verschlossen; am Ende wird er müde werden;wenn aber nicht, dann wird Gott ihn zwingen, die Belagerung aufzu-geben. Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen bereits früher gesagt habe(ich glaube es wenigstens): es ist ein gutes Zeichen, wenn der Teufelsoviel Lärm und Getöse um den Willen herum macht. Das ist ein Zei-chen dafür, daß er nicht drinnen ist.

Nur Mut, meine liebe Seele! Ich sage dieses Wort mit einem starkenEmpfinden und in Jesus Christus: meine liebe Seele, Mut! Solange wirentschlossen – wenn auch ohne Gefühl – sagen können: „Es lebe Jesus!“,brauchen wir nichts zu fürchten. Wenden Sie nicht ein, daß Ihre WorteIhnen müde vorkommen, ohne Kraft und Mut. Sie müßten sich dafürförmlich Gewalt antun. O Gott, das ist sie ja doch, jene heilige Gewalt,die das Himmelreich an sich reißt (Mt 11,12). Sehen Sie, meine Tochter,meine Seele, das ist ein Zeichen, daß der Teufel in unserer Festung alleseingenommen und besetzt hat, außer den uneinnehmbaren und unbe-zwingbaren Turm, der nur durch sich selbst verlorengehen kann. Dies istjener freie Wille, der, ganz entblößt vor Gott, im höchsten und gei-stigsten Teil der Seele herrscht, von nichts anderem abhängig als vonsich selbst. Mögen auch alle anderen Fähigkeiten der Seele verloren undvom Feind besetzt sein, der Wille allein bleibt Herr seiner selbst undergibt sich nicht.

Sehen Sie, wie manche Seelen voll Kummer sind, weil der Feind

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alle anderen Fähigkeiten besetzt hält und da drinnen schrecklichen Lärmschlägt? Kaum vermag man zu hören, was in jenem höchsten Willen ge-sagt und getan wird, obwohl seine Stimme viel klarer und lebendiger istals die des niederen Willens; doch diese ist so schreiend und laut, daß siedie Klarheit der anderen erstickt. Merken Sie sich dies: solange die Ver-suchung Ihnen mißfällt, ist nichts zu befürchten; warum mißfällt sieIhnen denn? Doch wohl, weil Sie sie nicht wollen!

Jedenfalls kommen diese lästigen Versuchungen von der Bosheit desTeufels; Leid und Qual aber, die wir dabei empfinden, von der Barmher-zigkeit Gottes, der gegen den Willen seines Widersachers aus dessen Bos-heit eine heilige Betrübnis schafft, durch die er das Gold läutert, das erdann in seine Schatzkammern legen will (Weish 3,5 f). Ich sage darum so:Ihre Versuchungen stammen vom Teufel und von der Hölle, Ihr Leid undIhr Kummer aber von Gott und dem Himmel; die Mütter sind aus Baby-lon, die Töchter aus Jerusalem. Verachten Sie die Versuchung, umfangenSie die Prüfung. – Wenn ich einmal viel Muße habe, will ich Ihnen schil-dern, welchen Schaden solche Geisteshemmungen anrichten; das läßt sichnicht mit einigen Worten abtun.

Befürchten Sie bitte keineswegs, mir irgendwelche Mühe zu machen;im Gegenteil, ich muß bekennen, daß es mir sehr großen Trost verschafft,zu einem Dienst für Sie gedrängt zu werden. Schreiben Sie nur getrost, oftund ohne Ordnung und so unbefangen wie möglich; es wird mir immersehr viel Freude bereiten.

In einer Stunde etwa reise ich nach einem kleinen Marktflecken ab,wo ich predigen soll; Gott will sich eben meiner bedienen im Leiden undim Predigen; er sei immerdar gepriesen! Der Sturm, von dem ichsprach, ist noch nicht hereingebrochen, aber die Wolken liegen noch dun-kel und gewitterschwer über meinem Haupt.

Das Vertrauen, das Sie mir schenken, könnte nie zu groß werden.Ich bin ja ganz und unwiderruflich in Jesus Christus der Ihre. Oft und oftdes Tages wünsche ich Ihnen die Fülle seiner Gnaden und seines Segens.Leben und sterben wir in ihm und für ihn! Amen.

Ihr im Herrn ganz ergebener Diener ...

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La Roche, Ende Februar 1605.Gnädige Frau!

Der Wunsch, das Wohl Ihrer Seele zu fördern, bereitet mir solchtiefe Freude, daß nichts, was ich unter diesem Antrieb tue, mir schadenkönnte. Sie schreiben, daß Sie noch immer Ihr schweres Kreuz zu tragenhaben, daß seine Last aber weniger drückt, weil Sie mehr Kraft besitzen. OHeiland der Welt, so ist es recht; man muß sein Kreuz tragen (vgl. Lk14,27); wer das größere hat, ist besser daran. Möge uns Gott noch größereauferlegen, möge es ihm aber auch gefallen, uns größere Kraft zum Tra-gen zu verleihen. Mut also! „Wenn du Vertrauen hast, wirst du dieHerrlichkeit Gottes schauen!“ (Joh 11,40).

Diese Zeilen sind keine Antwort, dazu komme ich noch nicht; ich er-wähne nur kurz Ihre Briefe. Heute kann ich auch noch nichts über denEmpfang der heiligen Kommunion beilegen; aber wenn möglich, das näch-ste Mal.

Ich sah einmal ein Bildchen: ein Herz, darüber das Jesuskind. Herr,sagte ich, nimm doch in gleicher Weise Besitz vom Herzen dieser Toch-ter, die Du mir und der Du mich gegeben hast. An diesem Bild gefielmir die Haltung Jesu: er saß und ruhte. Das stellte mir eine gewisseBeständigkeit dar. Es gefiel mir auch, daß er als Kind abgebildetwar; das ist das Alter, in dem die Menschen ganz einfach und vollLiebreiz sind. Als ich dann die heilige Kommunion empfing undwußte, daß Sie es auch taten, wies ich dem hohen Gast diesen Platz anbei Ihnen und bei mir.

Gott sei in allem und durch alles gepriesen, er möge sich unserer Her-zen für alle Ewigkeit bemächtigen! Amen.

Ihr im Herzen unseres Herrn ganz ergebener Diener ...

Annecy, um den 20. April 1605.Gnädige Frau, meine sehr liebe Schwester!

Nun will ich Ihnen kurz auf Ihre letzten Briefe antworten. Da Sieentschlossen sind, mich in der Zeit bis Pfingsten zu treffen, und sich davonviel Gewinn versprechen, so kommen Sie denn im Namen Gottes. AlsTreffpunkt würde ich Ihnen Thorens bei meiner Mutter vorschlagen; dennhier in der Stadt könnte ich Ihnen nicht eine Minute meiner Zeit zusi-chern. Als Tag wäre mir der Samstag nach Christi Himmelfahrt recht,damit ich Ihnen die darauffolgenden vier oder fünf Tage ungestört schenkenkann. Zu Pfingsten muß ich wieder in Annecy sein, um den Gottesdienst zuhalten und meinen Pflichten nachzukommen. Ich kann nicht sagen, ob die

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Prüfung Ihres ganzen Seelenzustandes längere Zeit in Anspruch nehmenwird. Das wird sich zeigen, ob wir etwas mehr oder weniger Zeit brau-chen.

Sollte ein Hindernis auftreten, das Sie zwingt, Ihr Kommen zu ver-schieben, brauchen Sie mich nicht durch einen eigenen Boten verständi-gen, sondern bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit. Nach Pfing-sten bin ich nämlich auf Visitation. Ich halte mich bis zum Marien-fest im September nirgends länger auf. Auch dann werde ich nur vier-zehn Tage hier sein. Sie haben also bis dahin genug Möglichkeit, mich zubenachrichtigen. Ich sage das für den Fall, daß der Grund der Ver-zögerung an sich nicht wichtig genug ist, mir zu schreiben. HandelnSie aber hierin, wie Sie es für richtig finden, mich zu benachrichtigenoder nicht.

Bereiten Sie alles Erforderliche gut vor, damit diese Reise Fruchtbringe und die Begegnung für mehrere Jahre genüge. Vertrauen Sie dieReise dem Herrn an. Stöbern Sie in allen Falten, durchsuchen Sie alleTriebfedern Ihrer Seele und erwägen Sie alles, was in Ordnung ge-bracht oder aufgegeben werden muß. Ich meinerseits werde Gott mehrmalsdas Meßopfer darbringen, um von seiner Güte die notwendige Erleuch-tung und Gnade für diesen Dienst zu erlangen. Vor allem möchte ichIhnen ans Herz legen: Bringen Sie großes Vertrauen mit, ein ganz großesund vollkommenes Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, aber auchauf meine Liebe. Doch ich weiß, daß Sie Ihre Vorbereitungen in dieserWeise bereits getroffen haben.

Wenn es Ihnen nützlich erscheint, Ihre Erinnerungen und Über-legungen aufzuschreiben, so bin ich sehr dafür. Bringen Sie recht vielGleichmut und Verleugnung Ihres Eigenwillens mit, nämlich den festenWunsch und Entschluß, den Eingebungen und Weisungen Gottes zu ge-horchen, welcher Art immer sie sein mögen. Das wird das Beste sein,denn Gott wirkt nur in den Seelen, die ganz sein und nicht von An-hänglichkeiten und Eigenwillen beherrscht sind. Vor allem aber achten Siedarauf, bei dieser Vorbereitung nicht in Unruhe zu geraten. Machen Siediese gelassen und in Freiheit des Geistes. Was die Unruhe über Ihre Ver-suchungen gegen den Glauben betrifft, so halten Sie sich nicht dabei auf,sondern warten Sie zu, bis Sie selber hier sind. Das wird noch immer frühgenug sein. Reisen Sie nicht ohne Zustimmung Ihres Beichtvaters ab;ich denke, daß Sie ihm von Ihren Plänen Mitteilung machten, ehe Siesich dazu entschlossen haben.

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Außerdem muß ich Sie um einen Gefallen bitten. Meine Mutter wünschtsehnlichst, meine junge Schwester nach Puits d’Orbe zu schicken, damitsie in eine andere Umgebung komme und am frommen Leben Geschmackfinde. Sie möchte aber in keiner Weise, daß der Frau Äbtissin oder ihremHaus irgendwelche Unannehmlichkeiten daraus erwachsen, außer derSorge um ihr gutes Verhalten. Deshalb bitte ich Sie, mir mitzuteilen,was in dieser Hinsicht alles getan werden muß, ohne daß die FrauÄbtissin es weiß, damit alles ordnungsgemäß vor sich geht und meineSchwester noch den Vorteil hat, Sie bei Ihrer Rückreise begleiten zukönnen. Ich bereite Ihnen Mühe, aber es geschieht für ein Werk derNächstenliebe.

Nun kann ich nur noch Gott bitten, er möge Sie auf dieser Reise undin all Ihren Vorhaben führen und leiten. Ich bitte ihn darum aus ganzemHerzen, Sie aber, meine liebe Schwester, bitte ich, freudig zu kommenin ihm, der Ihre Freude und Ihr Trost ist.

Wenn Sie wüßten, wie ich Ihnen schreibe, würden Sie das Durcheinandermeiner Worte und meines Stiles wohl entschuldigen; aber das ist gleich.Ich schreibe, ohne viel nachzudenken, aber nicht ohne ein Herz voll inni-ger Liebe für Ihr Wohl und Ihre Vollkommenheit. Mut, meine Schwe-ster, Gott wird sich Ihnen gut und gnädig erweisen!

Ich bin Ihr in seinem Namen ganz ergebener Diener. Amen ...Von Saint Claude führt Ihr Reiseweg direkt nach Gex, wohin ich

Ihnen einen Mann entgegenschicke, der Sie zu meiner Mutter begleitenwird. Von Gex werden Sie nach Genf kommen, wo Sie sich nicht auf-halten müssen, wenn Sie nicht wollen. Sonst können Sie aber ruhigdort Halt machen, denn es besteht keine Gefahr. – Von dort führt IhrWeg nach Thorens. Von Saint Claude nach Gex sind es nur sechs Meilenund von Gex nach Thorens sieben. Der Mann, der Ihnen entgegenreist,wird Sie führen. Ich würde Sie lieber schon am Vortag von ChristiHimmelfahrt erwarten, als am darauffolgenden Samstag.

Ich lud Sie für den Vorabend von Christi Himmelfahrt ein, aber alsich den Brief zumachte, kamen Kartäuser-Patres und beschworen mich,in einem nahen Kloster die Jungfrauenweihe vorzunehmen. So wird derTag, an dem ich Sie erwarte, doch der Samstag nach Christi Himmelfahrtsein. Gott stehe Ihnen bei! Es ist der 21. Mai.

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Mélan, 19. Mai 1605.16

Meine liebe Tochter!Dieser Mann kommt Ihnen nach Gex entgegen, um Sie an Ihrem

letzten Reisetag zu begleiten. Könnte ich ebenso leicht abkommen wie er,hätte ich Sie selbst abgeholt. Kommen Sie freudig, Gott erwartet Sie!Ich flehe ihn an, er möge Sie stets begleiten.

Ich will nun dem Herrn die Jungfrauen weihen; im Geiste werde ichmit diesen auch eine Witwe weihen, der ich Reinheit, Verdienst und Lohnder Jungfrauen wünsche.

In Mélan, am Tag Christi Himmelfahrt.Jener, dessen Seele Gott Ihnen gibt ...

Annecy, 29. Mai 1605.Meine Tochter!Hier schicke ich Ihnen ein Bildchen. Es stellt Ihre heilige Äbtissin17

dar, da sie noch im Kloster der Verheirateten war, und ihre gute Mutter,wie sie aus dem Kloster der Witwen zu ihr auf Besuch kommt. SehenSie, wie die Tochter die Augen gesenkt hält; weil sie die des göttlichenKindes nicht sehen kann. Die Mutter dagegen hebt den Blick, weil er aufdie Augen ihres Kindchens gerichtet ist. Die Jungfrauen erheben ihrenBlick nur, um die Augen ihres Bräutigams zu sehen, und die Witwensenken den Blick, es sei denn, daß ihnen die gleiche Ehre zuteil wird.

Ihre Äbtissin ist herrlich geschmückt mit einer Krone auf dem Haup-te, aber sie achtet ihrer nicht; sie schaut auf ein paar kleine Blumennieder, die auf die Stufen ihres Thrones gestreut sind. Die gute Groß-mutter hat neben sich am Boden einen Korb voll Früchte stehen. Ichglaube, das sind die Werke der Heiligkeit, vollbracht durch die demüti-gen und kleinen Tugenden, die sie ihrem Kindchen überreichen will,sobald sie es auf ihren Armen tragen wird.

Außerdem sehen Sie, wie das liebe Jesuskind sich niederneigt, seinerGroßmutter zugewandt, obwohl diese eine Witwe ist, keinen Kopf-schmuck und nur einfache Kleidung trägt. Und wenn Sie genauhinschauen, hält das Kind eine Welt in seinen Händen, die es behut-sam nach links dreht, denn es weiß wohl, daß sie nicht Sache der Witwenist; mit der anderen Hand aber gibt es ihr den heiligen Segen.

Halten Sie sich an diese Witwe und haben auch Sie Ihren kleinenKorb. Wenden Sie Augen und Arme dem Kind zu. Seine Mutter, IhreÄbtissin, wird es Ihnen darreichen. Es wird sich gerne zu Ihnen herab-neigen und Sie gnadenvoll segnen. Ach, wie sehr wünsche ich dies doch,

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meine Tochter! Meine ganze Seele ist durchdrungen von diesem Wunsch; undewig wird es so sein.

Leben Sie froh in Gott und grüßen Sie Ihre Äbtissin und liebe Herrinrecht demütig von mir. Der gute Jesus throne in Ihrem und in meinemHerzen gemeinsam! Er möge dort immerdar leben und herrschen. Amen.

Annecy, Anfang Juni 1605.Meine liebe Tochter!

Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß Sie die Gebete zum hl. Johannes,Franziskus und andere auch auf französisch beten können – wenn Siedies mehr anspricht. Ich bin ganz damit einverstanden. Bleiben Sie inFrieden, meine Tochter, in inniger Vereinigung mit Ihrem göttlichenBräutigam.

Wie froh ist doch meine Seele über die Bußübungen, die wir in diesenvergangenen, so glücklichen, gnadenreichen (2 Kor 6,2) und denkwürdi-gen Tagen vollbracht haben. Ijob (3,5) wünscht, daß der Tag seinerGeburt ausgelöscht und für immer vergessen sein möge; ich aber, meineTochter, wünsche, daß diese Tage, an denen Gott Sie ganz zu der Seinengemacht hat, immerfort in Ihrem Geiste weiterleben und die Erinne-rung daran ewig dauern möge. Ja, meine Tochter, es sind Tage, an diewir uns zweifellos in alle Ewigkeit mit Freude erinnern werden, voraus-gesetzt, daß unsere mit soviel Kraft und Mut gefaßten Entschlüsse unterdem kostbaren Siegel, das ich eigenhändig aufgedrückt habe,18 verschlos-sen bleiben. Meine Tochter, ich will, daß wir alle Jahre diese Gedenkta-ge feiern durch besondere zusätzliche Übungen. Ich will, daß wir siedie Tage unserer Weihe nennen, denn an diesen Tagen haben Sie IhreSeele ganz Gott geweiht.

Nun soll Sie nichts mehr beunruhigen, meine Tochter; sagen Sie mitdem hl. Paulus: „Weiterhin soll mir niemand Mühe bereiten; ich tragedie Male Jesu, des Herrn an meinem Leib“ (Gal 6,17), das heißt: Ich binseine Dienerin, ihm geweiht, ihm zugeeignet, ihm geopfert. Behüten Siewohl die Klausur Ihres Klosters; lassen Sie Ihre Gedanken nicht daund dort hinausschweifen, denn das alles bedeutet eine Zerstreuung desHerzens. Beachten Sie gewissenhaft die Regel und glauben, ja glaubenSie es wahrhaftig, daß der Sohn Ihrer Äbtissin ganz der Ihre sein wird.

Pflegen Sie möglichst viel die Verbindung mit der Frau von Puitsd’Orbe und Madame Brulart, denn es scheint mir für diese von Nutzenzu sein.

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Daraus, daß ich Ihnen bei jeder Gelegenheit schreibe, werden Sie wohlzur Genüge erkennen, daß ich im Geiste bei Ihnen bin. Das ist dieWahrheit. Nein, niemals wird mich irgendetwas von Ihrer Seele trennenkönnen; so stark ist das Band. Selbst der Tod wird es nicht zu lösenvermögen; denn es besteht aus einem Stoff, der von ewiger Dauer ist.

Ich bin sehr erfreut, meine liebe Tochter, Sie voll Verlangen nach Ge-horsam zu sehen; das ist ein Wunsch von unvergleichlichem Wert. Erwird Ihnen in all Ihren Nöten ein fester Halt sein. Aber, meine sehr teureTochter, achten Sie nicht auf den, dem Sie gehorchen, sondern auf den, umdessentwillen Sie es tun. Ihr Gelübde ist Gott gemacht, wenngleich eseinen Menschen betrifft. Mein Gott, haben Sie keine Angst, daß seineVorsehung Sie jemals im Stich ließe. Nein, eher würde Ihnen Gott, wennnötig, einen Engel schicken, Sie zu führen, als daß er Sie ohne Führung ließe,da Sie doch mit soviel Mut und Entschlossenheit gehorchen wollen. VerlassenSie sich, meine liebe Tochter, auf diese väterliche Vorsehung. Geben Siesich ihr ganz anheim; ich aber werde mich möglichst schonen und somein Wort halten, damit ich mit Gottes Gnade Ihnen lange diene. Aberdieser göttliche Wille geschehe immerdar. Amen.

Annecy, 3. Juli 1605.Sie fragten mich, wie ich mir denke, daß Sie sich gegen den Herrn

verhalten sollen, der Ihren Gatten tödlich getroffen hatte. Ich antworteder Reihe nach:

Sie brauchen weder Tag noch Gelegenheit zu einer Begegnung suchen;wenn sie sich aber ergibt, will ich, daß Sie ein gütiges, liebenswürdigesund mitfühlendes Herz mitbringen. Ich weiß, daß dieses Herz heftig zuckenund aufbegehren und daß Ihr Blut in Wallung geraten wird. Aber was istdas schon? Ähnlich erging es auch dem Herzen unseres Herrn beimAnblick seines toten Freundes Lazarus und bei der Vorausschau aufsein Leiden (Joh 11,33.38; 13,21). Was aber sagt die Schrift: Daß er inbeiden Fällen die Augen zum Himmel erhob (Joh 11,41; 17,1). Das istes, meine Tochter: Gott läßt uns in solchen Erregungen erkennen, wie sehrwir aus Fleisch, aus Gebein und Geist bestehen. Ich bin eben im Begriff,über das Evangelium vom Verzeihen und von der Feindesliebe zu predi-gen (Mt 5,20-44). Ich bin ergriffen, wenn ich sehe, welche Gnaden mirGott schenkt nach sovielen Beleidigungen, die ich ihm zugefügt.

Ich habe mich deutlich genug ausgedrückt. Ich wiederhole: Sie braucheneine Begegnung mit diesem armen Menschen nicht zu suchen, aber Sie

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sollen auch bezeugen, daß Sie alles in Liebe annehmen, selbst den TodIhres Gatten; auch den Ihrer Väter, Kinder und Angehörigen, sogarIhren eigenen Tod, im Tod und in der Liebe unseres gütigen Heilands.

Mut, meine Tochter, schreiten wir voran und üben wir diese kleinenund unscheinbaren, aber soliden, heiligen und ausgezeichneten Tugen-den. Gott befohlen, meine Tochter; bleiben Sie in Frieden, stellen Sie sichauf die Fußspitzen und strecken Sie sich weit dem Himmel entgegen!

Annecy, 21. Juli 1605.Sie haben meine kurzen Briefe, die ich Ihnen unterwegs schrieb, mit

so hoher Freude aufgenommen, daß ich Ihnen jetzt mehrere dieserArt schicken werde und keine Gelegenheit vorübergehen lassen will,ohne Ihnen viel oder weniger zu schreiben.

Was soll ich Ihnen sagen, meine liebe Tochter? Morgen, am Magda-lenentag, werde ich vor unseren guten Töchtern von St. Klara predigen;Ihnen aber sage ich: einst sprach Magdalena zu unserem Herrn, weinteund verlangte nach ihm; sie glaubte, von ihm getrennt zu sein, und warso erregt, daß sie ihn sah und doch nicht sah (Joh 20,11-16). Nur Mut!Kein ungestümes Hasten! Wir haben unseren gütigen Jesus bei uns, wirsind nicht von ihm getrennt – wenigstens hoffe ich dies fest. „Weib,warum weinst du?“ (Joh 20,15). Nein, wir dürfen nicht mehr weibischsein, wir müssen ein männliches Herz haben. Wenn unsere Seele denfesten Willen hat, im Dienst Gottes zu leben und zu sterben, werden unsweder Dunkelheit, noch Schwäche, noch Hindernisse erschrecken kön-nen. Was diese betrifft: Magdalena wollte den Herrn umfassen, der güti-ge Meister aber stellt eine Schranke auf, da er spricht: Nein, „rühre michnicht an! Denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren!“ (Joh 20,17).Dort oben wird es keine Schranken mehr geben, hier aber müssen wirsolche hinnehmen. Es muß uns genügen, daß Gott unser Gott ist undunser Herz seine Wohnung (vgl. Eph 3,17; 2 Kor 6,16).

Soll ich Ihnen erzählen, welcher Gedanke mir kürzlich in früher Mor-genstunde kam, die ich Ihrem Wunsch gemäß meiner schwachen Seelevorbehalte? Ich betrachtete die Bitte im Gebet des Herrn: Sanctificeturnomen tuum – Geheiligt werde dein Name (Mt 6,9). Mein Gott, sagteich, wer wird mir das Glück verleihen, eines Tages den Namen Jesus inden tiefsten Grund des Herzens jener eingegraben zu sehen, die seinZeichen auf ihrer Brust trägt? O wie hätte ich gewünscht, das Eisen derLanze unseres Herrn in einer Hand und Ihr Herz in der anderen zu

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halten! Ich hätte zweifellos dieses Werk vollbracht. Ich dachte auch an diePaläste in Paris, auf deren Fassade die Namen der Fürsten, denen sie ge-hören, geschrieben stehen, und ich empfand Freude bei dem Gedanken,daß die Wohnung Ihres Herzens Jesus Christus zu eigen ist. Möge erhier ewig wohnen!

Beten Sie viel für mich, der ich so sehr und in unvergleichlicherWeise der Ihre bin ...

Ihren Leuten hier geht es gut, aber niemand weiß davon, daß ichIhnen schreibe. Ich bin voll Hoffnung auf die Güte Gottes, daß wir ganzdie Seinen sein werden; ich bin voll Freude und Mut: ist Gott nichtganz unser? Amen. Es lebe Jesus!

Bei erster Gelegenheit werde ich an die Frau von Puits d’Orbe schreiben;aber jetzt geht es nicht.

Annecy, 1. August 1605.Nein, bei Gott, meine sehr liebe Tochter, nein, ich werde wegen Ihres

häufigen Unvermögens nicht Mühe, Angst und Zweifel haben; auchnicht wegen des Übels in Ihrem Kopf. Ich bin jetzt nicht mehr so ängst-lich; die Geburtswehen sind vorüber. Was kann ich jetzt für Sie nochfürchten? Nein, was Ihren Seelenzustand betrifft, ist in mir ein „ichweiß nicht was“, das mir ein beruhigendes Gefühl gibt.

Rahel, die keine Kinder haben konnte, gab ihrem Mann die gute MagdBilha zur zweiten Frau (in jener Zeit war es erlaubt, mehrere Frauen zuhaben, damit sich das Volk Gottes rasch vermehre). Bilha gebar auf denKnien Rahels; dann nahm Rahel deren Kinder zu sich und behielt sie alsihre eigenen (Gen 30), so daß Bilha, die zweite Frau, mit ihnen keineSorge mehr hatte, zumindest keine große Sorge.

O meine Tochter, so ist mir, als hätte ich Sie ein für allemal glück-lich auf den Knien der schönen Rahel, unserer vielgeliebten und heiligenÄbtissin, zur Welt gebracht; sie nahm Sie zu eigen, sodaß ich nicht mehrdie Hauptsorge für Sie trage. Bleiben Sie auf ihren Knien oder vielmehrdemütig zu ihren Füßen kniend. Das ist ein Grund, weshalb ich nicht fürSie fürchte.

Ein zweiter Grund ist, daß es einfach nichts zu fürchten gibt. BeimTod unseres gütigen Herrn „brach eine Finsternis über das ganzeLand herein“ (Mt 27,45). Ich denke, daß Magdalena, die mit Ihrer Äbtis-sin zugegen war, tief unglücklich wurde, weil sie nun ihren liebenHerrn nicht mehr klar und deutlich sehen konnte; sie nahm ihn nurnoch dunkel am Kreuz wahr, stellte sich auf die Fußspitzen und heftete ihre

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Augen innig auf ihn, aber sie sah nur einen fahlen und verschwom-menen Schein. Dennoch war sie ihm genau so nahe wie zuvor. – LassenSie es nur geschehen, es wird alles gut werden. Möge sich noch so oftFinsternis ausbreiten, wir sind doch nahe dem Licht; mögen wir noch sooft unsere Ohnmacht fühlen, wir sind doch zu Füßen des Allmächtigen.Es lebe Jesus! Mögen wir uns nie mehr von ihm trennen, weder im Dunkelnoch im Licht! (Röm 8,35-39).

Sie wissen nicht, was ich darüber denke, daß Sie von mir Mittel zurHeilung erbaten? Ich kann mich nicht erinnern, daß unser Herr unsaufgetragen hätte, das Haupt der Tochter von Zion zu heilen, sondernnur ihr Herz. Nein, er hat niemals gesagt: „Sprich zum Haupt von Jeru-salem“ (Jes 11,2). Ihr Herz ist in Ordnung, da Ihre Entschlüsse darinlebendig sind. Bleiben Sie in Frieden, meine Tochter. Sie haben dasErbe der Kinder Gottes. „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie wer-den Gott schauen“ (Mt 5,8); Jesus sagt nicht: „Sie schauen ihn“, son-dern „sie werden ihn schauen.“

Dennoch ein kurzes Wort als Heilmittel. Laufen Sie innerhalb derSchranken, die nun einmal aufgerichtet sind; Sie werden gleichwohlden Preis gewinnen – und dies umso sicherer. Machen Sie sich keineSorgen. Geben Sie nicht Ihre ganze Kraft aus. Sie sagen ja selbst: „AufRegen folgt Sonnenschein“ (vgl. Tob 3,22). Seien Sie nicht so sehr aufIhren Geist bedacht. Bei ärgerlichen Nachrichten fühlt er also Unruhe.Nun, es ist wirklich kein Wunder, daß der Geist einer armen kleinenWitwe schwach und armselig ist. Aber wie sollte er denn sonst sein? Einhellschauender, starker, beständiger und fester Geist? Finden Sie sichdoch damit ab, daß Ihr Geist Ihrem Stand angemessen ist: der Geist einerWitwe, d. h. unbedeutend und jeder Erniedrigung unterworfen, außerjener, die in der Beleidigung Gottes liegt.

Neulich sah ich im Gefolge des Allerheiligsten eine Witwe. Währenddie anderen große weiße Wachskerzen trugen, hatte sie nur ein kleines,vielleicht selbstgefertigtes Talglicht, das überdies der Wind auslöschte.Doch dies brachte sie weder in größere Nähe zum Allerheiligsten, nochtrennte es sie von ihm. Sie war genauso bald in der Kirche wie dieanderen.

Noch einmal: Seien Sie nicht so sehr auf Ihren Geist bedacht; Sietragen doch nicht allein an diesem Kreuz. Mein Gott, soll ich von mir zusprechen beginnen, da Sie es wünschen? In Wahrheit: den ganzen ge-strigen Tag und heute Nacht habe ich ein ähnliches Kreuz getragen,nicht in meinem Kopf, sondern im Herzen: aber jetzt ist es wieder von

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mir genommen durch die soeben abgelegte Beichte. Gestern den ganzenTag über war mein Wille wirklich so kraftlos, daß eine Milbe ihnhätte umwerfen können. Aber selbst wenn Sie ganz allein für sich einKreuz hätten, was wäre schon daran? Es würde umso mehr wiegenund müßte Ihnen schon durch seine Seltenheit umso teurer sein. Mein guter hl.Petrus wollte nicht, daß sein Kreuz dem seines Meisters glich, so ließ eres umdrehen; er starb mit dem Haupt zur Erde und dem Herzen imHimmel.

„Nützt das wenige Licht, solange ihr es habt“, sagt unser Herr (Joh12,35), „bis die Sonne aufgeht“. Noch steht Ihnen das Tor nicht offen,aber durch das Gitter (vgl. Hld 2,9) sehen Sie bereits den Hof und dieVorderfront vom Palast Salomos. Bleiben Sie hier. Es steht den Witwennicht übel an, ein wenig zurückgesetzt zu sein. Es gibt eine Mengeehrenwerter Leute, die wie Sie warten, und es ist durchaus vernünftig,daß diese vorgezogen werden. Haben Sie denn einstweilen keine kleinenArbeiten zu verrichten?

Bin ich zu hart, meine Tochter? Zumindest bin ich aufrichtig. Dochzu etwas anderem: ich habe wenig Zeit, denn heute ist das Fest des hl.Petrus, unser großer Festtag.

Ich sagte Ihnen schon, daß Sie die Hugenotten besuchen könnten;ich wiederhole nochmals: ja, tun Sie es, aber nicht häufig. Seien Sie kurzund zurückhaltend, trotzdem aber freundlich, ganz bescheiden und ein-fach. Der Sohn Ihrer guten Meisterin schrieb einst der frommenMaxima, seiner geistlichen Tochter, etwa mit diesen Worten (Augustinus,Brief 264): „Seien Sie im Gespräch mit den Häretikern einfach und lie-benswürdig wie eine Taube, haben Sie Mitleid mit solchem Unglück;seien Sie aber auch klug wie die Schlange (Mt 10,16), indem Sie sichbei gelegentlicher Begegnung bald wieder ihrer Gesellschaft entziehenund überhaupt nur selten solche Besuche machen.“ Das sage ich Ihnenauch.

Ja, meine Tochter, ich bin einverstanden, daß Sie die inneren Regun-gen, die Unvollkommenheiten und Fehler verursacht haben, aufschrei-ben – vorausgesetzt, daß Sie das nicht beunruhigt. Um flüchtig auf-steigende Gedanken brauchen Sie sich nicht zu kümmern, sondern nurum solche, die wie Bienen Gift und Stachel in den Wunden zurücklassen.

Nun noch ein paar Worte über mich: ich möchte, daß Sie mich auchim Innersten ganz kennen lernen, vorausgesetzt, daß Sie an meinen Un-vollkommenheiten nicht Anstoß nehmen. Seit Ihrer Abreise gab es un-aufhörlich große und kleine Schläge; aber, Gott sei Dank, weder Herz

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noch Geist sind davon niedergeschlagen. Ich spürte keinen Trost und keineFreude mehr, bis gestern war alles in Wolken gehüllt; aber jetzt, da ichvon der Heiligen Messe komme, ist alles heiter und klar.

Ich habe zum Teil getan, was Sie von mir wünschten: für die vonmeinem Körper und Geist geforderten Werke meine Kräfte zu erhalten.Mit Gottes Hilfe werde ich es jeden Tag besser machen; zumindest habeich den Willen dazu.

Ich brauche Ihnen nichts zu sagen über die Größe meiner Zuneigungzu Ihnen. Ich sage Ihnen nur, daß sie weit über jeden Vergleich erhabenist. Und diese Zuneigung ist weißer als der Schnee und reiner als dieSonne; darum habe ich ihr während dieser Abwesenheit die Zügelgelockert und sie mit eigener Kraft dahineilen lassen. Herr Gott, wervermag zu sagen, welche Freude im Himmel sein wird, da man einanderim vollen Meer der Liebe lieben wird, wenn schon deren Bächlein so vielFreude bringen!

Vor vier Tagen habe ich einen 20jährigen Edelmann, lauter wie derTag und tapfer wie sein Degen, in die Kirche aufgenommen und seineBeichte gehört. Herr meines Herzens, welche Freude war es für mich, diedemütige Anklage seiner Sünden zu hören und im Gespräch darübereine so eigenartige, besondere Führung der Vorsehung zu erkennen, dieihn mit so erhabenen, wunderbaren, dem menschlichen Auge nicht wahr-nehmbaren Antrieben und Kräften an sich zog. Ich war tief ergriffen.Wieviele Friedensküsse habe ich ihm gegeben!

Von zwei Seiten höre ich,19 daß man mir eine in den Augen der Welthöhere Stellung geben will: einerseits aus dem Schreiben, das ich Ihnenin der Galerie in Sales vorgelesen habe; andererseits hörte ich es auchaus Rom. Meine Antwort vor Gott lautet: Nein! Zweifeln Sie nicht dar-an, meine Tochter, ich würde nicht einen einzigen Augenaufschlag fürdie Welt tun, ich verachte sie aus innerstem Herzen; wenn es nichtzur größeren Ehre Gottes gereicht, rührt sich nichts in mir. Aber diesbleibt zwischen Vater und Tochter; darüber hinaus kein Wort, ich bitteSie! Übrigens, was die „Tochter“ betrifft: ich will in Ihren Briefen keineanderen Ehrentitel haben, als den eines Vaters; er ist kraftvoller, liebe-voller, heiliger und ehrenvoller für mich als jeder andere Titel.

Wie glücklich würde ich sein, Ihrem Onkel einmal dienen zu können;denn ich habe ihn von ganzem Herzen lieb. Ich grüße aufrichtig IhrenSchwiegervater und biete ihm meine Dienste an. Ihren Kindern, die ichim Herrn als die meinen betrachte, wünsche ich tausendfachen Segen:das sind Worte des Sohnes Ihrer Meisterin aus einem Brief an seine

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geistliche Tochter Italica (Augustinus, Brief 99). Ich bitte unseren Herrn,Sie in seiner Liebe wachsen zu lassen.

Gott befohlen, meine sehr liebe Tochter; diesem großen Gott, demwir uns geweiht und hingegeben haben. Er hat mich für immer und ohneEinschränkung ganz Ihrer Seele geschenkt, die mir lieb ist wie meineeigene, ja, die ich ganz als die meine im Herrn betrachte, der uns seineSeele geschenkt und uns damit untrennbar in sich selbst vereint hat. Eslebe Jesus! ...

Am Hochfest des hl. Petrus.

Annecy, 28. August 1605.Meine Tochter, Sie haben jetzt sicher meine drei Briefe in Händen,

die Sie noch nicht erhalten hatten, als Sie mir am 2. August schrieben.So brauche ich mich nur auf diesen Brief beziehen; denn alle anderenhabe ich mit meinen vorhergehenden Schreiben bereits beantwortet.

Ihre Versuchungen sind also wiedergekommen und bedrängen Sie,obwohl Sie ihnen kein Wort erwidert haben. Sie erwidern ihnen nichts;das ist gut, meine Tochter; aber Sie denken zu viel daran, Sie fürchtensich zu sehr davor, Sie haben zu viel Angst vor ihnen; wäre diesnicht, so könnten sie Ihnen in keiner Weise schaden. Sie sind denVersuchungen gegenüber allzu empfindsam. Sie lieben den Glaubenund möchten, daß Ihnen auch nicht ein einziger Gedanke dagegen käme.Sobald ein Zweifel Sie berührt, geraten Sie in Traurigkeit und Ver-wirrung. Sie sind zu eifersüchtig auf die Reinheit des Glaubens be-dacht; Sie meinen, alles beflecke Sie gleich. Nein, nein, meine Tochter,lassen Sie den Wind sein Spiel treiben und halten Sie nicht gleich dasSäuseln der Blätter für Waffengeklirr!

Neulich hielt ich mich in der Nähe von Bienenstöcken auf. EinigeBienen setzten sich auf mein Gesicht. Ich wollte sie mit der Handwegnehmen. „Nicht so“, sagte mir ein Bauer, „haben Sie keine Angstund rühren Sie keine an, dann werden sie Ihnen nichts tun. Nurwenn Sie sie anrühren, werden sie stechen.“ Ich glaubte seinen Wor-ten und nicht eine einzige stach mich. So glauben auch Sie mir: Fürch-ten Sie die Versuchungen nicht, rühren Sie sie nicht an, dann werdensie Ihnen nichts anhaben; gehen Sie zu etwas anderem über und den-ken Sie nicht daran.

Ich komme eben aus dem entferntesten Winkel meiner Diözese ander Schweizer Grenze zurück, wo ich die Errichtung von 33 Pfarreienzu Ende führte, in denen es vor elf Jahren nur kalvinische Prediger gab

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und ich in dieser Zeit drei Jahre lang der Einzige war, der denkatholischen Glauben verkündete. Gott ließ mir auf dieser Reise großenTrost zuteil werden, denn wo ich einst kaum 100 Katholiken antraf,fand ich jetzt keine 100 Hugenotten mehr. Ich hatte wohl viel Müheauf dieser Reise und furchtbare Schwierigkeiten. Da es sich um zeit-liche Dinge und den Unterhalt von Kirchen handelte, gab es da schwereHindernisse; aber Gott hat durch seine Gnade dies zu einem guten Endegeführt und es ergab sich dabei sogar ein wenig geistliche Frucht. Ichschreibe Ihnen dies, weil mein Herz dem Ihren nichts verheimlichen kannund sich nicht für verschieden von Ihnen oder für etwas anderes, sondernfür ein Einziges mit Ihrem Herzen hält.

Heute ist der Tag des hl. Augustinus und Sie können sich denken,wie sehr ich für Sie beim Meister, seinem Diener und der Mutter desDieners Gottes gebetet habe. Wie sehr hat meine Seele die Ihre lieb! Trach-ten Sie, daß Ihre Seele auch weiterhin recht auf die meine vertraut undsie innig lieb hat. Gott will es, meine Tochter, das weiß ich wohl,und es wird ihm zur Ehre gereichen. Er sei unser Herz, meine Tochter,und in ihm bin ich durch seinen Willen ganz der Ihre. Leben Sie frohund seien Sie hochherzig; so will uns Gott, den wir lieben und demwir geweiht sind. Er hat mich Ihnen gegeben; er sei immerdar gelobtund gepriesen!

Am Tag des hl. Augustinus.

Gerade, da ich diesen schlechtgeschriebenen Brief beende, bringt man mirzwei andere Briefe vom 16. und 20. August in einem einzigen Paketzusammengeschlossen. Ich sehe nichts anderes, als was Ich Ihnen gesagthabe. Sie fürchten zu sehr die Versuchungen, das ist das einzige Übel.Seien Sie ganz versichert, daß alle Versuchungen der Hölle einen Geistnicht beflecken können, der sie nicht lieb hat; lassen Sie ihnen also ihrenLauf. Der heilige Apostel Paulus litt unter schrecklichen Versuchungenund Gott wollte sie nicht von ihm nehmen (2 Kor 12,7-9) – und allesaus Liebe! Kopf hoch, meine Tochter, Mut! Dieses Herz gehöre immerdarseinem Jesus; und lassen Sie den Unhold draußen vor der Tür Lärmschlagen, soviel er will.

Leben Sie, meine Tochter, mit dem gütigen Jesus und Ihrer heiligenÄbtissin in all den Dunkelheiten, Wolken, Dornen, Lanzenstichenund Verlassenheiten und leben Sie mit Ihrer Herrin; leben Sie langein Tränen, ohne etwas zu erreichen; am Ende wird Gott Sie wiederauferwecken, Ihnen wieder Freude schenken und Sie das Ziel Ihres Her-

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zens sehen lassen (Ps 21,3). Das hoffe ich; und wenn er es nicht tut,so wollen wir doch nicht ablassen, ihm zu dienen. Er hört deswegen nichtauf, unser Gott zu sein, denn die Liebe, die wir ihm schulden, ist vonunsterblicher und unvergänglicher Natur.

Am 30. August 1605.

Annecy, am 8. September 1605.Mein Gott, meine Tochter, wann wird wohl Unsere liebe Frau in

unserem Herzen geboren werden? Ich für meine Person sehe wohl ein,daß ich dessen in keiner Weise würdig bin. Sie werden wohl das gleichevon sich denken. Aber ihr Sohn wurde doch in einem Stall geboren.Also Mut denn, bereiten wir im Herzen einen Raum für dieses heiligeKind. Unsere liebe Frau liebt nur Räume, die durch Demut vertieft,durch Einfachheit niedrig, durch Liebe weit geöffnet sind. Sie weilt gernebei der Krippe und zu Füßen des Kreuzes; sie sorgt sich nicht, ob sienach Ägypten gehen muß, ohne rasten zu können, wenn sie nur ihrteures Kind bei sich hat.

Nein, möge unser Herr uns nach links oder rechts drehen und wenden,möge er uns gleich dem Patriarchen Jakob festhalten und uns hundert-fachen Verrenkungen unterwerfen; möge er uns bald von der einen,bald von der anderen Seite her bedrängen: kurz, möge er uns tausendfa-ches Leid bereiten, wir wollen doch nicht von ihm lassen, er schenke unsdenn seinen ewigen Segen (Gen 32,24-26). Niemals, meine liebe Toch-ter, verläßt uns unser guter Gott, es sei denn, um uns umso fester zuhalten; niemals läßt er uns los, außer um uns besser zu behüten;niemals kämpft er mit uns, außer um sich uns zu ergeben und unszu segnen.Gehen wir indes weiter, meine liebe Tochter, durch diese niedrigenTäler der bescheidenen und kleinen Tugenden. Wir werden Rosen unterDornen sehen, Nächstenliebe, die inmitten von inneren und äußerenKümmernissen hervorleuchtet; Lilien der Reinheit, Veilchen der Selbst-überwindung, und was weiß ich noch. Ich liebe vor allem diese dreikleinen Tugenden: die Güte des Herzens, den Geist der Armut und dieEinfachheit des Lebens; und diese niedrigen Übungen: Kranke besu-chen, Armen dienen, Betrübte trösten und ähnliche; alles aber ohneUngestüm in wahrer Freiheit. Nein, unsere Arme sind noch nicht langgenug, um die Zedern des Libanon zu erreichen; begnügen wir uns mitdem Schilfrohr der Täler (1 Kön 4,33) ...

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Annecy, 14. September 1605.... Machen Sie sich meinetwegen keinerlei Sorgen um all das, was

Sie mir schreiben, denn sehen Sie, in Ihrer Angelegenheit ergeht es mir,wie es einst Abraham erging. Er legte sich in düsterem Dunkel an einemganz grausigen Ort nieder und empfand große Furcht; diese hielt abernicht lange an, denn plötzlich sah er einen Feuerschein und hörte dieStimme Gottes, die ihm Segnungen verhieß (Gen 19,12-18).

Mein Geist erlebt gewiß Ihre Dunkelheiten und Versuchungen mit,denn er ist stets ganz fest mit Ihrem Geist verbunden. Der Bericht überIhre Nöte erfüllt mich mit Mitleid, aber ich sehe wohl, daß das Endedavon glücklich sein wird, da ja unser guter Gott uns seine Schule zumGewinn werden läßt. In dieser Schule sind Sie, einer Schildwache gleich,mehr wach als zu anderen Zeiten. Schreiben Sie mir nur offenherzigüber alles, was in Ihnen vorgeht, über das Üble wie über das Gute undseien Sie unbesorgt, mein Herz eignet sich für das alles.

Mut, meine liebe Tochter, gehen, ja gehen wir diese niedrigen Tälerentlang; leben wir – das Kreuz in den Händen – in Demut und Geduld.Was liegt uns daran, ob Gott aus Dornen oder aus Blumen zu unsspricht? Aber ich erinnere mich nicht, daß er jemals aus Blumen herausgesprochen habe, wohl aber mehrmals in der Wüste und im Gestrüpp.Gehen Sie also, meine liebe Tochter, gehen Sie Ihren Weg auch bei diesemschlechten Wetter und bei Nacht.

Vor allem aber schreiben Sie mir ganz aufrichtig! Dies ist das Haupt-gebot, recht offenherzig mit mir zu sprechen; denn davon hängt allesandere ab. Und schließen Sie die Augen vor jeder Rücksicht auf meineRuhe. Glauben Sie mir, ich werde die Ruhe niemals Ihretwegen verlie-ren solange ich sehe, daß Sie festen Herzens bestrebt sind, unseremGott zu dienen. Niemals, wirklich niemals, wenn es seiner Güte gefällt,werde ich Sie anders als in dieser Weise sehen. Also machen Sie sichkeinerlei Sorgen.

Seien Sie mutig, meine Tochter; mit Gottes Hilfe werden wir manchestun können. Und glauben Sie mir, daß diese Zeit zum Reisen weitgünstiger ist, als wenn die Sonne ihre glühende Hitze auf unsere Köpfeschüttet. Neulich beobachtete ich, wie Bienen in ihren Stöcken verkro-chen blieben, da das Wetter nebelig war; nur ab und zu flogen sie heraus,um nach dem Wetter zu sehen, hatten aber keine Eile, herauszukommen,sondern waren es zufrieden, ihren Honig zu genießen. O Gott, Mut! Er-leuchtungen stehen nicht in unserer Macht, auch kein anderer Trost alsein solcher, der von unserem Willen abhängt. Sind wir geborgen in

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den von uns gefaßten heiligen Entschlüssen, und ist das große Siegel deshimmlischen Hofes Ihrem Herzen eingeprägt, dann ist nichts zu fürch-ten.

Ich will Ihnen noch ein paar Worte über mich sagen. Seit einigenTagen hatte ich mich etwas krank gefühlt; ein Ruhetag aber hat michwiederhergestellt. Mein Herz ist in Ordnung, Gott sei Dank, und ichhoffe, es nach Ihrem Wunsch noch zu bessern. Mein Gott, mit wievielFreude lese ich doch solche Worte, wie Sie mir schrieben, daß Sie nämlichmeiner Seele fast noch mehr Vollkommenheit wünschen, als Ihrer eigenen.Das ist doch wirklich eine echte geistliche Tochter! Aber lassen Sie nurIhrer Vorstellungskraft, soviel Sie wollen, freien Lauf, sie vermag jadoch nicht dorthin zu reichen, wohin mein Wille mich trägt, um Ihnenviel Liebe zu Gott zu wünschen.

Dieser Bote reist sogleich ab. Ich werde nun unseren Büßern vomheiligen Kreuz eine Ansprache halten. Jetzt kann ich Ihnen nichts mehrsagen, sondern Ihnen nur noch den Segen erteilen. Ich gebe Ihnen diesenSegen im Namen des gekreuzigten Jesus Christus, dessen Kreuz unserRuhm und unsere Freude sei, meine liebe Tochter. Möge dieses Kreuz in unse-rer Mitte erhöht und in unserem Haupt eingepflanzt sein, wie es beimersten Adam geschah.20 Möge es unser Herz und unsere Seele erfüllen,wie es den Geist des hl. Paulus erfüllte, der nichts anderes kannte alsdieses (1 Kor 2,2). Mut, meine Tochter, Gott ist für uns. Amen.

Ich bin in alle Ewigkeit immer ganz der Ihre. Gott weiß es, denner hat es so gewollt und mit überlegener und sorgsamer Hand bewirkt.

Am Tage der Kreuzerhöhung 1605.

Annecy, 13. Oktober 1605.Nachdem ich bisher durch eine Menge dringender Geschäfte aufgehal-

ten worden war, meine liebe Tochter, begebe ich mich jetzt auf diesegesegnete Visitation, wobei ich an jeder Ecke Kreuze aller Art sehe.Mein Fleisch schaudert davor, mein Herz aber betet sie an. Ja, ich grüßeeuch, ihr kleinen und großen, geistigen und zeitlichen, äußeren und in-neren Kreuze. Ich grüße und küsse den Fuß des Kreuzes, dessen Schat-ten ich nicht wert bin.

Aus welchem Anlaß schreibe ich das? Es hat seinen guten Grund,meine so sehr liebe Tochter; ich bete nämlich mit gleicher Liebe IhreKreuze an, die ich für die meinen ansehe, und ich will (zumindest bitteich Sie darum), daß Sie meine Kreuze genau so innig lieben. – Seitunserer Ablaßfeier hatte ich reichlich Kreuze; sie waren aber leicht

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und von kurzer Dauer. Mein Gott, stütze meine schwachen Schulternund lege ihnen nur wenige Lasten auf, damit ich so erkenne, welch arm-seliger Streiter ich wäre, wenn ich großen Angriffen gegenüberstünde.

Wie sehr haben mich doch Ihre Briefe erfreut, meine liebe Tochter!Sehe ich Sie doch voll guter Wünsche, voll Mut und Entschlossen-heit. So ist alles in Ordnung. Lassen wir nur den bösen Feind an derTür und rund um uns herum knurren und toben; denn Gott ist in unse-rer Mitte (Dtn 7,21; 20,4), in unserem Herzen und er wird sich nichtdavon wegrühren, wenn es ihm so beliebt. Ach, bleibe bei uns Herr,denn es will Abend werden (Lk 24,29).

Ich will Ihnen nichts mehr sagen, weder davon, daß man alle Dingeund sich selbst Gott zuliebe gänzlich aufgeben soll, noch davon, daßman aus seinem Land und aus dem Haus seiner Eltern fortziehen muß(Gen 12,1). Nein, ich will nichts davon reden; Gott möge uns rechterleuchten und sein Wohlgefallen erkennen lassen, denn selbst unterGefährdung all dessen, was in uns ist, werden wir ihm folgen, wohiner uns führen will (Mt 17,4).

Ich denke da an die Seele des sehr guten und sehr heiligen Schächers.Der Herr hatte ihm gesagt, daß er noch am gleichen Tag bei ihm imParadies sein werde (Lk 23,43), und kaum war seine Seele aus seinemLeib entwichen, nahm sie der Herr mit in die Vorhölle. Denn sie solltemit unserem Herrn sein, unser Herr war aber in die Vorhölle hinab-gestiegen; so ging sie mit ihm dorthin. Bei Gott! Was mag sie wohlgedacht haben, als sie so niederstieg und diese Abgründe vor ihreminneren Auge sah? Ich glaube, daß sie mit Ijob sagte: „Wer wird mir dieGnade erweisen, o mein Gott, daß Du mich in der Hölle bewahrst undschirmst?“ (Ijob 14,13); und mit David (Ps 23,4): „Nein, ich fürchtekein Übel, denn Du, Herr, bist ja bei mir.“ – Nein, meine liebe Tochter,solange unsere Entschlüsse lebendig sind, bin ich nicht beunruhigt.Mögen wir sterben, möge alles umgestürzt werden, was liegt daran,wenn nur dies eine feststeht? Die Nächte werden uns zum Tag, wennGott in unseren Herzen ist, und die Tage zur Nacht, wenn er nicht daist. Was unsere Töchter betrifft, gehen Sie nicht fehl, wenn Sie den RatIhres Beichtvaters befolgen.

Es ist nicht notwendig, in der Beichte von solch kleinen Gedanken zureden, die wie Mücken vor unseren Augen hin- und herschwirren; auchnicht davon, daß die fühlbare Freude über Ihre Gelübde nachließ, dennall das sind keine Sünden, sondern nur Verdrießlichkeiten und Un-annehmlichkeiten.

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Da man mich drängt, beschließe ich diesen Brief. Ich bitte unserenHerrn, er möge Sie mehr dazu führen, ganz sein zu werden; er sei derSchützer Ihrer Entschlüsse, der Schirmherr Ihrer Witwenschaft, der Herr Ih-res Gehorsams; er sei Ihr Alles und ganz der Ihre. Ich bitte die heiligeÄbtissin, unsere liebe Frau und Königin, sie möge uns immerdar ge-wogen sein und uns sterben und leben lassen in ihrem Sohn.

Ich bin, meine liebe Tochter, in unvergleichlicher Weise ganz derIhre im Herzen des Sohnes und der Mutter ...

Annecy, 5. Dezember 1605.Meine sehr teure Tochter!

Seit meiner Rückkehr von der Visitationsreise hatte ich einige An-fälle von fieberhaftem Katarrh; unser Arzt wollte mir nichts anderesverschreiben als Bettruhe und ich habe ihm gehorcht. Sie wissen ja,meine Tochter, daß ich auch gerne Ruhe als Heilmittel verordne und jedesHasten immer verbiete. Darum habe ich auch während dieser körper-lichen Ruhezeit an die geistige Ruhe gedacht, die unsere Herzen imWillen Gottes besitzen sollen, wohin er uns auch führen mag. Aberes ist mir nicht möglich, die Erwägungen, die dafür nötig wären, längerauszudehnen, außer wenn ich dafür einmal wirklich freie Zeit hätte.

Wir wollen also, meine Tochter, in diesem Tal der Tränen leben,solange es Gott gefällt, in völliger Unterwerfung unter den allerhöch-sten heiligen Willen. Ach, wie sehr sind wir doch seiner Güte zu Dankverpflichtet, die in uns den Wunsch erweckt, verbunden mit so vielenEntschlüssen, in seiner Liebe zu leben und zu sterben! Denn das wün-schen wir zweifellos, meine Tochter, dazu haben wir uns entschlossen;hoffen wir also, daß dieser große Heiland, der uns den Willen dazuverleiht, uns auch die Gnade zuteilt, um ihn durchzuführen (Phil 2,13).

Neulich erwog ich, was einige Schriftsteller über die Seeschwalbenerzählen, jene kleinen Vögelchen, die am Gestade des Meeres brüten;sie bauen ihre Nester ganz kugelförmig und so dicht, daß das Meer-wasser niemals einzudringen vermag; und nur oben haben diese Nestereine kleine Öffnung, durch die sie aus- und einatmen können. Da hineinlegen sie ihre Jungen, damit sie, wenn das Meer sie überfällt, sicherschwimmen und auf den Wellen treiben können, ohne mit Wasservollzulaufen und unterzusinken. Die Luft, die durch die kleine Öffnungeindringt, dient als Gegengewicht, sodaß sie niemals umkippen. – Omeine Tochter, wie sehr wünsche ich doch, daß unsere Herzen ebenso

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wären, so völlig fest, überall abgedichtet, damit die dagegen anprallendenStürme und Unruhen der Welt nicht einzudringen vermögen, und daßunsere Herzen nirgendshin offenstehen als gegen den Himmel zu, umganz für unseren Heiland zu leben und zu atmen. Und wofür ist diesesNest gemacht, meine liebe Tochter? Wohl für die kleinen Kücken dessen,der das Nest gebaut hat: also für die Liebe zu Gott, für die göttlichen undhimmlischen Liebesregungen.

Während aber die Seeschwalben ihre Nester bauen und ihre Jungennoch zu zart sind, um dem Ansturm der Wogen trotzen zu können, dasorgt Gott für sie und erbarmt sich ihrer und verhindert, daß das Meersie erfaßt und mit sich reißt. O Gott, meine Tochter, so wird denn diesehöchste Güte das Nest unserer Herzen zugunsten seiner Liebe gegenalle Anstürme der Welt sichern, von denen wir gewiß überfallen werden.Ach, wie liebe ich diese Vögel! Rings vom Wasser umgeben, leben sie nurvon der Luft, sind im Meer verborgen und sehen nur den Himmel!Sie schwimmen wie Fische und singen wie Vögel: und am meistengefällt mir, daß der Anker, der ihnen Halt geben soll vor den Wogen,nach oben ausgeworfen ist und nicht nach unten. – O meine Schwester,meine Tochter, möge uns der gütige Jesus so werden lassen, daß wirinmitten der Welt und des Fleisches vom Geist leben; daß wir inmittender Eitelkeiten der Erde immer nur auf den Himmel schauen; daß wir,inmitten von Menschen lebend, ihn mit den Engeln preisen und daß un-sere Hoffnungen stets nach obenhin und im Paradies verankert seien(Hebr 6,18 f).

O meine Tochter, mein Herz mußte diesen Gedanken zu Papier brin-gen und seine Wünsche zu Füßen des Kreuzes niederlegen, damit dieheilige, göttliche Liebe in allem und überall unsere große Liebe sei.Ach, wann endlich wird sie uns verzehren? Wann wird sie unser Lebenso aufzehren, daß wir uns selbst sterben und wieder für unseren Heilandaufleben (Röm 6,8,11)? Ihm allein sei immerdar Preis und Ruhm undLob (1 Tim 1,17; Offb 5,13).

Mein Gott, meine liebe Tochter, was schreibe ich Ihnen da? Ich meine,wozu dies? O meine Tochter, da unser unabänderlicher Entschluß undunser endgültiger und unabänderlicher Vorsatz unaufhörlich auf die LiebeGottes hinzielen, sind Worte über die Liebe zu Gott niemals für unsunangebracht.

Gott befohlen, meine Tochter, ja, ich sage, meine wahrhafte Tochterin jenem, dessen heilige Liebe mich verpflichtet, ja dazu geweiht hat,immerdar zu leben, zu sterben und wieder aufzuleben als der Ihre

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und ganz der Ihre! Es lebe Jesus! Es lebe Jesus und Unsere liebe Frau!Amen.

Am Vorabend des hochheiligen Nikolaus.

Annecy, 28. Dezember 1605.Meine liebe Tochter, ich beschließe dieses Jahr mit dem nicht nur

großen, nein brennenden Wunsch, weiter voranzukommen in dieser hei-ligen Liebe, die ich niemals aufhöre zu lieben, obwohl ich sie noch nichtverkostet habe. Es lebe Gott! Meine Tochter, unser Herz (sehen Sie,ich sage „unser Herz“) ist dafür geschaffen; ach, warum sind wir davonnicht ganz erfüllt? Sie können sich gar nicht vorstellen, wie stark ichjetzt dieses Verlangen fühle. O Gott, wofür werden wir denn im näch-sten Jahr leben, wenn nicht dafür, diese höchste Güte besser zu lieben?O möge sie uns von dieser Welt nehmen oder die Welt von uns nehmen;möge sie uns sterben lassen oder den Tod der Welt mehr lieben lassen alsunser eigenes Leben.

Mein Gott, meine Tochter, wie sehr wünsche ich Sie jetzt in Betlehembei Ihrer heiligen Äbtissin! Ach, wie gut steht es ihr doch an, dieseskleine Kindchen zur Welt zu bringen und zu umhegen. Vor allem aberliebe ich ihre Güte, die jeden, der es nur will, dieses Kindlein sehen,berühren und küssen läßt. Bitten Sie darum, und sie wird es Ihnengeben; und wenn Sie es halten, stehlen Sie ihm heimlich eine der kleinenTränen, die in seinen Augen stehen. Noch ist es keine Tränenflut, nochsind es nur die ersten Tautropfen seiner Tränen. Wunderbar, welcheHeilwirkung diese Tränen gegen jedes Herzweh haben!

Belasten Sie sich für die kommende Fastenzeit nicht mit Kasteiungen,außer mit Erlaubnis Ihres Beichtvaters, der Ihnen meiner Meinung nachsolche nicht auferlegen wird.

Gott möge Ihren Jahresbeginn mit Rosen bekränzen, die rot sindvon der Farbe seines Blutes! Gott befohlen, meine liebe Tochter; ich bin es,der Sie ganz seinem Dienst geweiht hat ...

Annecy, 30. Januar 1606.Am 22. dieses Monats war ich in Sales, um meiner Mutter zu gehor-

chen, die mich vor meiner Abreise sehen wollte. Dort erhielt ich IhrenBrief vom Neujahrstag, der mir viel Freude bereitete; diese verbreitetesich über die ganze Familie, die so sehr die Ihre ist. Am 25. kamdann Ihr Bote und fand mich so stark von Arbeit überhäuft, daß ichihn erst heute abfertigen kann.

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Aber sagen Sie mir, meine Tochter, ist es nicht ein Leid, Ihnennur so nebenbei schreiben zu können? Darum müssen wir soviel als mög-lich den Geist der heiligen Freiheit und des Gleichmuts zu erringentrachten; dieser ist für alles gut. Auch dafür, daß sechs bis sieben Wochendahingehen, ohne daß ein Vater, und ein Vater mit soviel Liebe, wie iches bin, und eine Tochter, wie Sie es sind, irgendwelche Nachrichtenvoneinander erhalten.

Sie waren nach Maria Empfängnis krank, auch ich war sieben bisacht Tage lang krank und fürchtete schon, es würde länger dauern. AberGott wollte dies nicht. – Ich kann leider nicht so ausführlich schreiben,wie ich möchte; denn heute ist ja mein Abschiedstag und morgen vorTagesanbruch reise ich nach Chambéry ab, wo mich der Pater Rektorder Jesuiten erwartet, um mich für diese fünf oder sechs Tage vor derFastenzeit aufzunehmen. Ich habe sie mir vorbehalten, um meinen armen,von so viel Geschäften bestürmten Geist wieder Ruhe finden zu lassen.Dort, meine Tochter, will ich, mit Hilfe dieses guten Paters, der michund mein Wohl unerhört lieb hat, alles in mir überblicken und alleEinzelheiten meines Herzens wieder an ihren richtigen Platz bringen.

Und nun, meine Tochter, will ich Ihnen etwas über mich erzählen,da Sie es so sehr wünschen und weil Sie mir sagen, daß es Ihnen zumNutzen gereicht; aber nur Ihnen und Ihnen ganz allein. – Die Angelegen-heiten dieser Diözese sind keine ruhigen Gewässer, sondern reißendeStröme. Ich kann Ihnen in Wahrheit sagen, daß ich maßlos Arbeit habe,seit ich mich auf Visitation begab, und bei meiner Rückkehr fand icheine Arbeit21 vor, von der ich meinen Teil übernehmen mußte. Diese hatmich sehr in Anspruch genommen. Das Gute daran ist, daß all dieszur Verherrlichung Gottes dient, für die er mir so große Vorliebe ver-liehen hat, und ich bitte ihn, es möge ihm gefallen, diese Vorliebe inEntschlüsse umzuwandeln.

Ich fühle eine größere Liebe zu den Seelen als gewöhnlich; das istder ganze Fortschritt, den ich seit unserem Wiedersehen gemacht habe;inzwischen aber habe ich unter großen Trockenheiten und Verlassen-heiten gelitten, zwar nicht lange, denn mein Gott ist so gut, daß keinTag vergeht, ohne daß er mich begünstigt, um mich für sich zu ge-winnen. Aber ich Elender entspreche nicht der treuen Liebe, die er mirbezeugt. Das Herz meines Volkes ist nun schon fast ganz mein. Frei-lich bleibt immer etwas zu sagen übrig, denn ich begehe aus Unwissen-heit und Schwäche Fehler, weil ich nicht immer den rechten Weg ein-

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zuschlagen weiß. Heiland der Welt, welch gute Wünsche hege ich doch,aber ich verstehe nicht, sie auszuführen (Röm 7,18).

Ist damit genug gesagt, meine gute Tochter? Ich sage, meine guteTochter, weil Sie mir recht gut sind und mir mehr Freude bereiten, alsSie glauben können. Zweifellos ruht ein bestimmter Segen Gottes aufdiesem Kindesverhältnis.

Unsere andere Schwester in Dijon (Frau Brulart) hat gut daran getan,ihre geistliche Aussprache auf den Beichtstuhl einzuschränken. Ich habekeine Nachricht von ihr erhalten; sollte ich welche bekommen, werdeich ihr antworten, entsprechend dem, was sie mir schreiben wird. –Wenn die Fliegen, welche die Köstlichkeit des Salböls (Koh 10,1) ver-dorben haben, oder es zumindest verderben wollten, recht zudringlichund zahlreich wären, o Gott, in diesem Fall muß sie sich gewissenhaftdaran halten, alle überflüssigen Worte, alle Gesten, alle Blicke einzu-schränken und nur den Beichtstuhl frei benutzen. Mein Gott, ist es nichtschade, daß dieser Balsam geistlicher Freundschaft solchen Insektenausgesetzt ist? Dieses so heilige, so geheiligte Salböl braucht eine rechteSorgfalt, damit es ganz sauber, ganz rein bewahrt bleibe. Wer aber,sagt der Weise (Sir 24,11), nicht erprobt worden ist, was weiß der? Allesgeht gut und alles wird mit Gottes Hilfe gut gehen, und – wie ich zusagen pflege – wenn Gott uns hilft, werden wir schon viel zustande-bringen .... 22

Sprechen wir ein wenig über Sie, das braucht es wohl. Welche Ver-messenen wollen diese weiße Säule unseres geheiligten Tabernakelszerbrechen und zertrümmern?23 Fürchten Sie nicht die Kerubim, die denTabernakel auf beiden Seiten stützen und ihn unter dem Schatten ihrerFlügel verbergen (Ex 37,7 ff)? Nun, es mag ein wenig Eitelkeit, einwenig Selbstgefälligkeit und ein wenig „ich weiß nicht, was“ gegeben ha-ben; das ist aber nichts. Fest und mutig sein! Unsere Säulen sind, scheintmir, fest gegründet; ein wenig Wind wird sie wohl nicht erschüttert ha-ben. Das haben Sie gut gesagt, meine Tochter, bei solchen Dingen heißtes: glatt abschneiden und reinen Tisch machen! Man darf sich mitsolchen Kunden nicht abgeben. Da wir die von ihnen verlangte Warenicht führen, müssen wir es ihnen offen sagen, damit sie anderswo ihrGlück versuchen. Das sind doch wahrhaft tüchtige Leute! Sehen sie nicht,daß wir das Firmenschild abgenommen und den Verkehr, den wirmit der Welt pflegen konnten, abgebrochen haben? Es ist doch klar, daßunser Leib uns nicht mehr gehört, ebensowenig wie das Elfenbeindes Thrones Salomos (1 Kön 10,18) den Elefanten gehört, deren Zahn

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es einst war. Der große König Jesus hat unser Herz zu seinem Sitzerwählt; wer soll ihn daraus vertreiben? Sie müssen also in dieserSache ganz einfach sein und nichts von Kapitulation hören wollen. Las-sen wir nur alles geschehen, Gott wird schon unseren Vater behüten, unddiesen wird die Tochter nicht verlieren. Wahrlich, das ist nicht schlechtgesprochen; die hl. Agatha, die hl. Thekla, die hl. Agnes haben den Todgelitten, um nicht der Lilie ihrer Keuschheit verlustig zu gehen, und unsmöchte man Angst mit Gespenstern machen?

Ja doch, meine Tochter, lesen Sie und lesen Sie mit Liebe die NachfolgeIhrer Äbtissin24 und die Briefe des hl. Hieronymus; Sie werden dabeijenen Brief finden, den er an seine Furia schreibt, und noch einige andere,die recht schön sind.

Sie fragen mich, ob ich in diesem Jahr nach Burgund kommen werde.Gott allein weiß es, ich nicht. Ich denke eher nein, denn tausend Bandeschnüren mich so eng und fest zusammen, daß ich weder Hände nochFüße bewegen kann, wenn Gott mit seiner heiligen Hand mich nicht dar-aus erlöst. Das glaube ich Ihnen bereits in einem früheren Brief gesagt zuhaben. Ich für meine Person werde alles tun, um – ich sage nicht, Ihnen –sondern dem Geringsten aller meiner Kinder, die Gott mir geschenkthat, zu dienen. Aber meine arme Braut25 tut mir leid; ich kann sie nichtverlassen, ohne daß sie tausend Unannehmlichkeiten daraus erleidet, undda Gott will, daß ich ihr angehöre (Gen 2,24; Mt 19,5), so stehe ich mitgefesselten Händen da. Ich sage nicht, daß ihr eine Abwesenheit von weni-gen Tagen schadet, weil sie meine Gegenwart entbehren muß; nicht dashindert mich; aber die Jahreszeit ist so sehr Stürmen und Unwettern aus-gesetzt, daß ich nicht nach meinem Willen kommen und gehen kann,sondern so segeln muß, wie sie mich treiben.

Verstehen Sie mich gut? Ich glaube ja, denn Sie wissen, was ich Ihneneines Tages über meine Reise nach Dijon gesagt habe: Ich unternahm siegegen den Rat all meiner Freunde, vor allem aber gegen den Rat desFreundes, auf den ich am meisten hören sollte. Es ist der gleiche PaterRektor, den ich vor Beginn der Fastenzeit aufsuchen werde. Aus großemEifer für mein Wohlergehen wollte er mich zurückhalten; der großeGott aber, auf dessen Antlitz ich geradewegs hinsah, zog meine Seelederart zu dieser gesegneten Reise hin, daß mich nichts aufhalten konnte,und er hat auch alles zum Guten und zu seiner Verherrlichung geführt.Jetzt aber dorthin zurückzukehren, bevor alles geklärt ist, hieße dieseGüte versuchen, die so gütig gegen mich ist, daß ich sie nur von Herzenverehren kann.

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Ich habe Ihnen das ausführlich gesagt, weil meiner Seele der Gedankekam, es tun zu müssen; es soll aber für Sie allein sein. Mein Gott weißwohl, daß ich überall, wohin mich die Pflicht ruft, gehen, ja fliegen wür-de, wenn ich ganz frei wäre. Der hl. Paulus sagt seinen geliebten Rö-mern, unter denen und durch die er später sterben sollte: „Ich habe mirschon oft vorgenommen, zu euch zu kommen, um bei euch einige Fruchtzu gewinnen; aber ich war bisher verhindert“ (Röm 1,13). Wer aberhinderte ihn daran? Seine eigene Seele; und der hl. Chrysostomus sagt,daß es der Heilige Geist war.

Wie ich sehe, geht es Ihrer Seele trotz der Widrigkeiten und Heimsu-chungen gut; jetzt müssen Sie nur darauf achten, daß Sie fest bleiben.Wenn Sie mir während der Fastenzeit über Lyon schreiben, wird es fürSie leichter sein; von Lyon nach Chambéry ist es nicht so weit wie vonhier, und es kommen alle Tage die Kuriere. Was mich betrifft, so denkeich schon, mit Gottes Hilfe, Ihnen alle acht Tage zu schreiben. Dannwerden Sie mir sagen, ob es erforderlich ist, daß wir uns in diesem Jahrsehen. – Ist dies der Fall, werde ich Ihnen mitteilen, wann es möglich ist.Eigentlich kann ich es jetzt schon sagen: die Pfingstwoche wird mir, vonder Pfingstvigil angefangen, ganz gehören, ebenso die Oktav des Fron-leichnamsfestes; ich werde dann hier sein und auch meine Mutter wirddann kommen. In der übrigen Zeit muß ich noch 300 Pfarreien berei-sen, die ich noch zu visitieren habe. Aber ich sage das nur für den Fall,daß Sie und Ihr Beichtvater die Zusammenkunft für nützlich erachten;denn – ehrlich gestanden – tut mir die Mühe leid, die Sie dafür auf sichnehmen. Wenn sie nicht durch einen größeren geistlichen Nutzen ausge-glichen würde, wäre sie mir zu schade.

Ich weiß nicht, ob die Karmelitinnen andere Ordensschwestern auf-nehmen; ich glaube nicht. Sollten sie aber dies tun, so wäre dies, glaubenSie mir, eine Versuchung für diese guten Damen, dies anzustreben, au-ßer sie könnten alle ihre Klöster in Karmelitinnenklöster umwandeln.Nun ja, also zu den Karmelitinnen! Dabei können wir uns aber nichteinem kleinen Gehorsam unterwerfen. Aber das Strengste wollen wirunternehmen!

Gott befohlen, meine liebe Tochter, seien Sie immerdar Gottes. Ichgehöre Ihnen in ihm viel mehr an, als Sie je glauben möchten; es gibtkeinen Vergleich dafür. Der gütige Jesus ruhe immerdar an Ihrem Her-zen und lasse Sie an dem seinen ruhen, oder doch zumindest zu seinenFüßen.

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Chambéry, 24. Februar 1606.

Das wird nur ein kurzer Brief heute, denn ich werde sogleich die Kan-zel besteigen, meine sehr liebe Tochter. Sie sind jetzt in Dijon, wohin ichIhnen erst vor ein paar Tagen geschrieben habe. Sie haben durch dieGnade Gottes dort viel Freude erlebt, an der ich im Geiste teilhabe. DieFastenzeit ist der Herbst des geistlichen Lebens, in dem man die Früchteernten und für das ganze Jahr sammeln soll. Tun Sie alles, ich bitte Sie,um reich zu werden an diesen kostbaren Schätzen, die nichts Ihnen rau-ben oder verderben kann (Mt 6,20). Erinnern Sie sich daran, was ich oftsage: Solange wir zugleich zwei Fastenzeiten halten wollen, werden wirniemals auch nur eine gut halten. Halten wir also diese, als ob sie unsereletzte wäre, und dann werden wir sie gut halten.

Ich weiß, daß in Dijon ein ausgezeichneter Prediger sein wird. Dieheiligen Worte sind Perlen und zwar solcher Art, wie der wahre Ozeandes Ostens, der Abgrund der Barmherzigkeit, sie uns liefert. Legen Siederen viele auf Ihre Halskette, hängen Sie sich welche an die Ohren,behängen Sie damit Ihre Arme; dieser Putz ist einer Witwe nicht verbo-ten, denn er macht sie keineswegs eitel, sondern demütig.

Was mich betrifft, so sehe ich hier zunächst nur eine leichte Wen-dung zur Frömmigkeit in den Seelen. Gott wird diese, wie es ihm ge-fällt, zu seiner Ehre verstärken. Ich werde jetzt meinen Zuhörern sa-gen, daß ihre Seelen der Weinberg Gottes sind (Mt 21,33; Mk 12,1):die Zisterne ist der Glaube, der Turm die Hoffnung und die Kelter istdie heilige Liebe; die Hecke ist das Gesetz Gottes, das sie von ungläu-bigen Völkern trennt.

Ihnen, meine liebe Tochter, sage ich, daß Ihr Weingarten der guteWille ist; die Zisterne sind die heiligen Eingebungen zur Vollkommen-heit, die Gott vom Himmel in sie hineinregnen läßt; der Turm ist dieheilige Keuschheit, welche – wie es vom Turm Davids (Hld 4,4; 7,5)gesagt wird – aus Elfenbein sein muß; die Kelter ist der Gehorsam, derein großes Verdienst den Handlungen gibt, die er hervorbringt; die Hek-ke sind Ihre Gelöbnisse. – Gott bewahre diesen Weingarten, den er ei-genhändig gepflanzt hat! Gott möge immer mehr die heilsamen Wasserseiner Gnaden in seine Zisterne einströmen lassen; Gott sei immer derBeschützer seines Turmes; Gott sei es, der der Kelter alle zum Auspres-sen guten Weines notwendigen Umdrehungen geben möge, und er haltediese schöne, den Weingarten umgebende Hecke immer geschlossenund versperrt, damit die Engel seine unsterblichen Winzer seien.

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Gott befohlen, meine liebe Tochter, die Glocke drängt mich. Ich tretejetzt an die Kelter der Kirche, an den heiligen Altar, wo unaufhörlichder geheiligte Wein gewonnen wird aus dem Blut dieser köstlichen undeinzigartigen Traube (Dtn 32,14), welche Ihre heilige Äbtissin als himm-lischer Weinstock uns glückhaft reifen ließ. Da werde ich – Sie wissenwohl, daß ich nicht anders kann – Sie dem Vater in der Einheit mitseinem Sohn darbringen und immer wieder darbringen in dem, für denund durch den ich einzigartig und völlig der Ihre bin ...

Chambéry, Ende Februar 1606.Beim öfteren Aufwachen heute Nacht kamen mir tausend gute Ge-

danken für die Predigt, aber dann haben mir die Kräfte gefehlt, sie rich-tig in die Welt zu setzen. Gott weiß alles und ich überlasse alles seinergrößeren Ehre, bete seine Vorsehung an und bleibe in Frieden. Es istnichts zu machen: ich muß das tun, was ich nicht will, und das Gute, dasich will, tue ich nicht (Röm 7,19). Ich stehe nun mitten in den Predigtenund in einer großen, ja größeren Menge Volkes, als ich dachte; wenn ichaber da nichts tue, wird mir das wenig zum Trost gereichen.

Glauben Sie mir, daß ich indessen ständig an Sie und an Ihre Seeledenke, derentwillen ich unaufhörlich meine Wünsche Gott und den En-geln vorbringe, damit sie mehr und mehr erfüllt werde von der Fülleseiner Gnaden. Meine recht liebe Tochter, glühend wünsche ich doch, soscheint es mir, Ihren Fortschritt in der hochheiligen himmlischen Liebe,der ich Sie heute früh beim heiligen Meßopfer neuerlich geweiht undaufgeopfert habe. Mir scheint, als ob ich Sie auf meinen Armen empor-hob, wie man es mit kleinen Kindern und auch noch mit den großen tut,wenn man stark genug ist, sie zu heben. Sehen Sie, welche Vorstellungunser Herz doch bei solchen Anlässen hervorbringt. Ich bin ihm wirklichsehr dankbar, daß es so alles mit dieser schönen, unvergleichlichen Zu-neigung verbindet und es zugleich auf Heiliges hinwendet.

Ich habe nicht versäumt, besonders Ihres teuren Gatten zu gedenken.Ach, welch glücklichen Tausch machten Sie trotzdem an diesem Tag, alsSie sich zu diesem Zustand vollkommener Ergebung entschlossen, indem ich Sie mit soviel Trost gefunden habe. Ihre Seele, die einen Bräu-tigam so hohen Standes erwählt hat, kann wohl mit Recht in außeror-dentlicher Freude der Stunden ihrer Verlobung mit ihm gedenken.

Es ist wahr, meine liebe Tochter, unsere Einheit ist ganz der aller-höchsten Einheit geweiht; und ich empfehle immer lebhafter die Echt-

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heit unserer Herzensverbundenheit, die mich wohl davor bewahren wird,Sie jemals zu vergessen, auch nachher und lange Zeit nachher, wenn ichmich selbst werde vergessen haben, um mich umso besser ans Kreuz zuhalten. Ich muß immerdar mich bemühen, Sie hoch oben und ständig aufdem Sitz zu halten, den Gott Ihnen in meiner Seele gegeben hat, und derauf dem Kreuz errichtet ist.

Gehen Sie indessen Ihren Weg weiter, meine liebe Tochter, lassen SieIhre guten Vorsätze und heiligen Entschlüsse Fuß fassen; vertiefen Siemehr und mehr Ihr Denken in den Wunden unseres Heilands. Sie wer-den dort eine Unzahl Gründe finden, die Sie in Ihrem hochherzigenVorhaben bestärken und Sie wieder empfinden lassen werden, wie eitelund erbärmlich ein Herz ist, das anderswo seine Heimat hat und aufeinem anderen Baum nistet als auf dem des Kreuzes. O mein Gott, wieglücklich werden wir sein, wenn wir in diesem heiligen Tabernakelleben und sterben; nein, nichts, nichts in der Welt ist unserer Liebewürdig; sie gehört ganz dem Heiland, der uns seine ganze Liebe ge-schenkt hat.

Wahrlich, ich empfand in den vergangenen Tagen, zu welch unendli-chem Dank ich Gott verpflichtet bin, und mit tausend Freuden habe ichmich von neuem entschlossen, ihm mit der größtmöglichen Treue zudienen und meine Seele noch beständiger in seiner göttlichen Gegen-wart zu halten; und bei all dem empfand ich eine gewisse, nicht ungestü-me, aber – so scheint es mir – doch wirksame frohe Entschlossenheit,meine Besserung in Angriff zu nehmen. Wird es Sie nicht freuen, meineliebe Tochter, wenn Sie mich eines Tages bei guter Verfassung im Dien-ste unseres Heilands sehen? Ja, meine liebe Tochter, denn alles, was wiran geistlichen Gütern besitzen, ist untrennbar und unteilbar gemeinsam.Sie wünschen mir ständig viele Gnaden und ich bitte Gott mit unver-gleichlichem Eifer, daß er Sie unumschränkt ganz zu der Seinen machenmöge.

Mein Gott, sehr liebe Tochter meiner Seele, wie gern möchte ich ausLiebe zu meinem Heiland sterben! Zumindest aber, wenn ich schon nichtfür ihn sterben kann, doch für ihn allein leben.

Meine Tochter, ich bin sehr in Eile; was kann ich Ihnen noch sagen,außer, daß dieser gleiche Gott Sie mit seinem reichsten Segen segnensoll?

Gott befohlen, meine liebe Tochter, drücken Sie diesen teuren Ge-kreuzigten fest an Ihre Brust! Ich flehe ihn an, er möge Sie immer mehran sich drücken und Sie mit sich vereinen. Nochmals Gott befohlen,

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meine sehr teure Tochter; die Nacht ist schon weit vorgeschritten, abernoch mehr und weiter bin ich voran in der Freude, mir vorzustellen, wieder gütige Jesus in Ihrem Herzen thront. Möge er dort auf immerdarbleiben! Noch einmal Gott befohlen, meine gute, meine liebe Tochter,meine Schwester, die ich unvergleichlich in unserem Herrn liebe, der dalebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Es lebe Jesus! ...

Chambéry, 6. März 1606.Meine sehr teure Tochter!All diesen erneuten Angriffen und Versuchungen zu Untreue oder

Glaubenszweifel gegenüber nehmen Sie Ihre Zuflucht zu den Weisun-gen, die Ihnen bisher gegeben wurden; dann werden Sie nichts zu fürch-ten haben. Hüten Sie sich davor, sich in Debatten einzulassen oder zufeilschen; ebenso, traurig und unruhig zu werden; dann werden Sie da-von befreit werden.

Ich sehe den großen Abscheu und Haß, den Sie gegen diese Vorstel-lungen hegen, und ich zweifle nicht daran, daß dies Ihnen nicht zumSchaden gereichen und daß der Feind keinen Vorteil davon haben wird.Es genügt ihm, Sie zu belästigen und zu beunruhigen, weil er nichtsanderes zu tun vermag und es auch mit Gottes Hilfe nie wird tun kön-nen. Aber nur Mut, meine liebe Tochter, halten Sie sich nicht dabei auf,über das alles Erwägungen anzustellen; es muß Ihnen genügen, daß Gottbei diesen Angriffen, denen Sie ausgeliefert sind, nicht beleidigt wird.Ihre Waffe gegen diese Umtriebe sei deren größtmögliche Mißachtung,denn diese ist das wirksamste Mittel dagegen.

Nein, ich befürchte nichts für die Säulen unseres Tabernakels, dennGott ist sein Schützer. Nichtsdestoweniger habe ich darüber viel nach-denken und erwägen müssen, was wohl der Welt die Kühnheit und Un-klugheit gestatten konnte, zu denken, daß sie diese Säulen erschütternwürde; denn mir scheint, wir zeigen ihr doch wahrhaftig genug böseMiene, um ihr den Mut zu nehmen, uns zu reizen. Nun, das ist ja allesnichts.

Ich kann und will niemals schließen, ohne Ihnen ein Übermaß anGnade von unserem Herrn und seiner hochheiligen Mutter zu wün-schen, in deren Liebe ich der Ihre bin und unabänderlich und ganz ein-zigartig immer der Ihre sein werde ...

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Annecy, April 1606.Es freut mich, daß Herr Gallemant26 derselben Meinung ist wie ich.

Als Mittel gegen diese lästigen Glaubensschwierigkeiten nennt er ganzrichtig: sich in keine Debatten einlassen, sondern sich demütigen, nichtmit dem Verstand herumtüfteln, sondern den Willen straffen.

Das Buch über die „Methode, Gott zu dienen“27 ist gut, aber verwor-ren und schwierig, mehr als Ihnen zuträglich ist. Das Buch über den„Geistlichen Kampf“28 enthält alles, was es sagt, jedoch viel klarer undmethodischer.

Sich beim innerlichen Gebet weder der Vorstellungskraft, noch desVerstandes zu bedienen, ist nicht möglich. Unzweifelhaft aber soll mansich ihrer nur dazu bedienen, um den Willen zu bewegen. Ist der Willein Bewegung gesetzt, soll man ihn mehr als die Vorstellungskraft undden Verstand gebrauchen. Auch das ist sicher. Diese gute Mutter29 sagt,es bedürfe nicht der Vorstellungskraft, um sich die geheiligte Mensch-heit des Heilands vorzustellen. Vielleicht brauchen es jene nicht, diebereits auf den Berg der Vollkommenheit hoch hinaufgelangt sind; füruns andere aber, die wir noch in den Tälern sind – wenngleich willens,den Berg zu besteigen, – ist es unerläßlich, denke ich, daß wir uns allunserer Fähigkeiten bedienen, auch der Vorstellungskraft. Ich habe Ih-nen jedoch irgendwo aufgeschrieben, daß diese Vorstellungskraft „rechteinfach“ sein und gleichsam als Nadelöhr dienen soll, um diese Affekteund Entschlüsse in unseren Geist einzufädeln. Das ist, meine liebe Toch-ter, die Hauptstraße, von der wir nicht abbiegen sollen, bevor der Tagetwas weiter fortgeschritten ist und die Wege deutlich erkennbar sind.Es ist wahr, daß diese Vorstellungen nicht von vielen Einzelheiten über-laden, sondern einfach sein sollen. Bleiben wir, meine liebe Tochter,noch ein wenig in diesen niedrigen Tälern, begnügen wir uns noch einwenig damit, die Füße des Heilands zu küssen; er wird uns schon anseinen heiligen Mund rufen, wann es ihm gefällt (Hld 1,1). Gehen Siealso nicht von unserer Methode ab, bevor wir uns wiedersehen.

Wann das sein wird, fragen Sie mich? Wenn Sie denken, meine liebeTochter, daß Ihnen meine Gegenwart so sehr Hilfe, reiche Frucht undgeistliche Stärkung bringen könnte, wie Sie mir schreiben, und daß Sieden heißen Wunsch danach haben, werde ich nicht so hart sein, Sie auf daskommende Jahr zu verweisen, sondern weise Sie wieder auf den erstenPlan zurück, der mir keine Mühe macht außer der, die Ihre Reise Ihnenbereitet; denn im Grunde bin ich recht froh und zufrieden darüber.

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Die Schwierigkeit ist, daß mir nur die Oktaven von Pfingsten undFronleichnam zur Verfügung stehen. Zu welchem dieser Zeitpunkte Sieauch kommen wollen, werden Sie mich herzlich bereit und mit GottesHilfe freudig finden, Ihnen zu dienen.

Und sehen Sie, meine liebe Tochter, nehmen Sie in diesen nicht not-wendigen Dingen oder zumindest in jenen, deren Notwendigkeit ichnicht recht zu unterscheiden vermag, meine Worte nicht so genau; dennich will nicht, daß diese Sie einengen, sondern ich will, daß Sie dieFreiheit haben, zu tun, was Sie für besser erachten. Wenn Sie also glau-ben, daß diese Reise Ihnen sehr nützlich sein wird, bin ich damit – undzwar gerne und mit ganzem Willen – einverstanden. Nur müssen Siemich verständigen, auf welchen dieser Zeitpunkte Ihre Wahl fällt, dennich will in diesem Fall meine Mutter hierherkommen lassen; und glau-ben Sie mir, daß sie und ich darüber sehr erfreut sein werden, auf KostenIhrer Reiseanstrengung.

Gott sei immerdar mit Ihnen und möge ewiglich in unseren Herzenleben! Gott befohlen, meine sehr teure Tochter! Ich verbleibe der, dener so einzigartig zu dem Ihren gemacht hat ...

Annecy, 8. Juni 1606.Wir werden uns also, so Gott will, im nächsten Jahr wiedersehen,

meine sehr teure Tochter; dann aber unfehlbar und dann wieder entwe-der zu den Pfingstfeiertagen oder zu Fronleichnam, ohne daß jetzt schoneine genauere Zeitbestimmung nötig ist. So kann man sich beizeitendanach richten. – Und was werden wir inzwischen tun? Wir wollen unsganz und rückhaltlos dem Wohlgefallen Gottes fügen und in seinenHänden auf alle unsere Tröstungen, geistliche wie zeitliche, verzichten.Wir wollen rein und schlicht seiner Vorsehung Tod und Leben all derUnsrigen anheimstellen, ob nun die Vorsehung die einen den anderenoder Sie auch uns selbst nach seinem Wohlgefallen überleben läßt. Wirsind ja dann sicher, daß er uns überreich genügt, wenn nur seine höchsteGüte mit uns, in uns und für uns ist.

Ich soll bitten, Sie zu überleben? O wahrhaftig, Gott soll tun, was ihmgefällt, ob früh oder spät. Das würde ich in meinen Akten der Ergebungin Gottes Willen nicht ausnehmen, wollte ich solche erwecken. AberSie sagen, Sie seien in dieser Beziehung noch nicht losgelöst. Herr undGott, was sagen Sie da, meine ganz liebe Tochter? Soll ich Ihnen eineFessel sein, ich, der Ihnen nichts heißer wünschte, als Sie in gänzlicherund vollkommener Herzensfreiheit der Kinder Gottes zu sehen (Röm

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8,21)? Aber ich verstehe Sie gut, meine liebe Tochter, das wollen Sie garnicht sagen; Sie wollen wohl sagen, daß es Ihrer Meinung nach zur EhreGottes dient, wenn ich Sie überlebe, und darum hängen Sie diesem Ge-danken nach. So liegt Ihnen also die Verherrlichung unseres Herrn amHerzen und nicht seine Geschöpfe. Das weiß ich wohl und preise seinegöttliche Majestät dafür.

Aber wissen Sie, was ich Ihnen gern versprechen will? Nämlich, vonnun an für meine Gesundheit mehr Sorge zu tragen, obwohl ich immereine bessere Gesundheit hatte, als ich sie verdiente. Und Gott sei Dank,fühle ich mich jetzt bei recht guter Gesundheit, nachdem ich das langeAufbleiben am Abend und die vielen Schreibereien, die ich dann zuverrichten pflegte, völlig aufgegeben habe und auch mehr die Mahlzei-ten einhalte. Aber glauben Sie mir, Ihr Wunsch hat zu diesem Entschlußviel beigetragen; denn mir liegt Ihre Zufriedenheit und Freude sehr amHerzen. Dies aber mit einer gewissen Freiheit und Aufrichtigkeit desHerzens, sodaß meine Zuneigung mir wie Tau vorkommt, der mein Herzleise und zart benetzt. Und wenn Sie wollen, daß ich Ihnen alles sage: siewirkte zu Beginn, da Gott sie mir schickte (und er war es zweifellos),nicht so beglückend wie jetzt, da sie unendlich stark ist und – so scheintes mir – immer noch stärker wird, freilich ohne Aufregung und Unge-stüm. Aber ich habe nun zuviel von etwas gesprochen, wovon ich eigent-lich nichts sagen wollte.

Nun aber will ich Ihnen Ihre Stundeneinteilung bekanntgeben: um 9Uhr womöglich Schlafengehen, oder um 10 Uhr, wenn es nicht andersgeht. Aufstehen 5 Uhr, denn Sie brauchen schon 7 bis 8 Stunden Schlaf.Das betrachtende Gebet morgens soll eine halbe bis dreiviertel Stundedauern; eine ungefähr viertelstündige Sammlung um 5 Uhr nachmit-tags. Eine Viertelstunde Lesung vorher oder nachher; am Abend einehalbe Viertelstunde für die Gewissenserforschung und das Abendgebet;untertags viele Herzenserhebungen zu Gott.

Ich habe über das nachgedacht, was Sie mir geschrieben haben, daßHerr N.30 Ihnen geraten hat, sich weder der Einbildungskraft, noch desVerstandes, auch nicht der langen Gebete zu bedienen, und daß die guteMutter Maria von der Dreifaltigkeit Ihnen bezüglich der Einbildungs-kraft das gleiche gesagt hat. Gewiß, wenn Sie heftigen Phantasiegebildennachgegeben und sie mit Gewalt festgehalten haben, dann bedurften Siezweifellos dieser Richtigstellung; wenn Sie aber Ihre Einbildungskraftkurz und einfach gebrauchen und nur, um Ihren Geist zur Aufmerksam-keit zurückzurufen und seine Fähigkeiten zur Betrachtung hinzuführen,

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so denke ich nicht, daß es dann noch nötig ist, sie ganz aufzugeben. Mandarf sich dabei nicht zuviel aufhalten, aber sie auch nicht ganz mißach-ten. Man soll nicht zu sehr auf Einzelheiten eingehen, wie etwa, zu den-ken, welche Haarfarbe Unsere liebe Frau hatte, welche Gesichtsformund ähnliches. Stellen Sie sich die Mutter Gottes ganz einfach und imGroßen und Ganzen vor, etwa, wie sie nach ihrem Sohn Sehnsucht hat-te, und auch das nur kurz.

Zu dem anderen, vom Verstand keinen Gebrauch zu machen, sage ichdas gleiche. Wenn Ihr Wille, ohne Gewaltanwendung, mit seinen Liebesaf-fekten davonläuft, brauchen Sie sich nicht mit Erwägungen abgeben. Dadies aber gewöhnlich bei uns unvollkommenen Leuten nicht geschieht,müssen wir wohl noch für ein Weilchen zu Erwägungen Zuflucht nehmen.

Aus all dem entnehme ich zusammenfassend, daß Sie sich zu langerBetrachtungen enthalten sollen (denn eine Betrachtung von dreivierteloder einer halben Stunde nenne ich nicht lang), ebenso heftiger, zu sehrin Einzelheiten gehender und lange andauernder Übungen der Einbil-dungskraft; diese sollen einfach und recht kurz sein und nur als Über-gang von der Zerstreuung zur Sammlung dienen. Das gleiche gilt für denGebrauch des Verstandes, denn auch dieser dient nur dazu, die Affekteauszulösen, und die Affekte sollen zu Entschlüssen führen, und diesewieder zu deren Ausführung, die Ausführung der Entschlüsse aber zurErfüllung des Willens Gottes, in dem unsere Seele aufgehen und sichauflösen soll. Das kann ich Ihnen zu diesem Gegenstand sagen. Sollteich Ihnen das Gegenteil gesagt, oder sollten Sie es anders verstandenhaben, müßte es zweifellos richtiggestellt werden.

Ich billige Ihre Abstinenzübungen am Freitag, aber ohne Gelübdeund ohne sich zu sehr Zwang anzutun. Mehr noch billige ich Ihre Hand-arbeiten wie Spinnen und ähnliches in den Stunden, wo keine größerenAufgaben Sie beschäftigen. Ebenso billige ich, daß diese Handarbeitenfür die Altäre oder für die Armen bestimmt seien. Halten Sie sich abernicht so streng daran! Wenn Sie einmal etwas für sich oder für die Ihrentun, dann sollen Sie sich nicht gezwungen sehen, den Armen den Gegen-wert zu geben. Überall soll doch die heilige Freiheit und Geradheitherrschen. Wir wollen kein anderes Gesetz, kein anderes „Muß“ ken-nen als das der Liebe. Wenn diese uns vorschreibt, irgendeine Arbeit fürdie Unsrigen zu leisten, so darf sie doch nicht getadelt werden, als hättesie Böses getan, oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wie Sie es tunwollten. Wozu immer sie uns auffordert, ob es für einen Armen odereinen Reichen bestimmt ist, tut sie alles recht und alles ist in gleicher

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Weise unserem Herrn angenehm. Ich denke, daß Sie mich gut verstehen.Sie werden sehen, daß ich die Wahrheit sage und für eine gute Sachekämpfe, wenn ich die heilige und liebevolle Freiheit des Geistes vertei-dige, die ich – wie Sie wissen – besonders hochschätze, vorausgesetzt,daß sie die wahre Freiheit ist und sich fern von Zügellosigkeit und vonLeichtfertigkeit hält, die ja nur eine Maske der Freiheit ist.

Ich habe wirklich gelacht und herzhaft gelacht, als ich Ihren Wunschlas, daß der von Ihnen gewebte Stoff für meinen Gebrauch verwendet undich den Gegenwert den Armen geben sollte. Dennoch mache ich michnicht darüber lustig, denn ich sehe wohl, daß die Quelle dieses Wunschesrein und klar ist, obwohl das Bächlein selbst etwas getrübt ist. O Gott!Mein Gott möge mich so gestalten, daß alles, was ich zu meinem Ge-brauch verwende, auf seinen Dienst bezogen werde und daß mein Lebenganz ihm zu eigen sei, daß also von dem, was seiner Aufrechterhaltungdient, gesagt werden könne, es diene seiner göttlichen Majestät.

Ich lache wohl, meine liebe Tochter, aber nicht ohne große Angstwegen des Unterschiedes zwischen dem, was ich bin, und dem, was vieleglauben, daß ich sei. Nun wohl: Ihre Absicht möge vor Gott gelten! Ichbin darüber einerseits erfreut; aber wer mag es mir wohl nach seinemrichtigen Wert einschätzen? Wenn ich den Armen seinen Gegenwertnach meiner Einschätzung zurückerstatten wollte, dann seien Sie versi-chert, daß ich nicht Geld genug dafür hätte. Niemals hielt mich einKleidungsstück so warm wie dieses, dessen Wärme bis ins Herz dringt,und ich glaube nicht, daß es violett ist, sondern purpurn und scharlach-rot, da es – scheint mir – in Liebe getaucht ist. Also gut denn, für dieseseine Mal; denn Sie müssen wissen, daß ich mir nicht jedes Jahr neueKleider machen lasse, sondern nur nach Notwendigkeit. Für die ande-ren Jahre werden wir schon eine Möglichkeit finden, Ihre Arbeiten nachIhrem Wunsch gut unterzubringen.

Das ist noch nicht alles. Diese Ihre Absicht hat mich auf viele froheGedanken gebracht; aber ich will Ihnen nur einen davon sagen, dermir am Oktavtag von Fronleichnam kam, als ich das Allerheiligste beider letzten Prozession trug. Ich gab Ihnen, scheint es mir, viel zu spin-nen auf und auf einem guten Spinnrocken. Sehen Sie, ich betete Ihn an,den ich trug, und dabei kam mir der Gedanke, daß er das wahre LammGottes ist, das hinwegnimmt die Sünden der Welt (Joh 1,29). O heili-ges und göttliches Lamm, betete ich, wie elend wäre ich ohne Dich!Ach, ich bin nur mit Deiner Wolle bekleidet, die mein Elend vor demAngesicht Deines Vaters bedeckt. Bei dieser Überlegung kommt mir

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ein Wort des Propheten Jesaja (50,7) in den Sinn, daß unser Herr inseinem Leiden wie ein Lamm war, das – wenn es geschoren wird – denMund nicht auftut. Und was ist dieses göttliche Vlies, wenn nicht dasVerdienst, das Beispiel, das Geheimnis des Kreuzes? Es scheint mirdenn, daß das Kreuz der schöne Spinnrocken der heiligen Braut desHoheliedes, dieser frommen Sulamitin ist. Die Wolle des unschuldi-gen Lammes ist sorgsamst darauf aufgebunden: das Verdienst, das Bei-spiel, das Geheimnis.

O, stellen Sie gar ehrerbietig diesen Spinnrocken an Ihre linke Seiteund spinnen Sie den Faden beständig durch Erwägungen, Herzenserhe-bungen und gute Übungen, ich will sagen: durch heilige Nachfolge. Spin-nen Sie, sage ich, und ziehen Sie in die Spindel Ihres Herzens all dieseweiße und zarte Wolle. Das daraus entstandene Tuch wird Sie am TagIhres Todes bedecken und vor Angst schützen, es wird Sie im Winterwarm halten und Sie werden, wie der Weise sagt (Spr 31,21), die Eises-kälte nicht fürchten. Und das hat vielleicht der gleiche Weise gedacht,als er zum Lob der heiligmäßigen Hausfrau sagte: „An Großes legt sieihre Hand und ihre Finger ergreifen die Spindel“ (Spr 31,19). Denn istdas „Große“ in Bezug auf die Spindel nicht das durch unsere Nachfolgegesponnene Geheimnis des Leidens Christi? Darüber wünschte ich Ih-nen tausend- und abertausendfachen Segen. Möge dieser große Tag desGerichtes uns alle bekleidet finden, den einen als Bischof, die andere alsWitwe, diese als verheiratete Frau und jenen als Kapuziner, einen alsJesuiten, den anderen als Weinbauer, alle aber mit der gleichen weißenund roten Wolle, den Farben des himmlischen Bräutigams (Hld 5,10).

Das also, meine liebe Tochter, kam mir in den Sinn, als ich in meinenHänden eben dieses Lamm hielt, von dessen Wolle ich spreche. Wahr-haftig, bei den göttlichen Übungen kreuzt immer der Gedanke an Sie inmeinem Geist auf, ohne aber, Gott sei Dank, ihn zu durchkreuzen oderabzulenken. Tue ich recht daran, meine liebe Tochter, Ihnen meine Ge-danken zu sagen? Ich denke, zumindest dabei nicht schlecht zu handeln,und hoffe, daß Sie diese für das nehmen, was sie sind.

Nun, Ihre Wünsche, sich all diesen weltlichen Unterhaltungen fern-zuhalten, wie Sie sagen, können nur gut sein, da diese Sie nicht beunru-higen. Aber haben Sie Geduld, wir werden im kommenden Jahr darübersprechen, wenn Gott uns am Leben erhält. Das mag genügen und ichwollte Ihnen auch nicht antworten auf diese Wünsche, von daheim fort-zugehen oder im Noviziat von Mädchen zu dienen, die nach dem Or-densleben streben. All dies, meine liebe Tochter, ist zu bedeutungsvoll,

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um schriftlich behandelt zu werden, es ist noch Zeit genug dafür. Spin-nen Sie indessen Ihren Spinnrocken, nicht mit den großen und schwerenSpindeln, denn Ihre Finger werden nicht damit umzugehen wissen, son-dern nur im Rahmen Ihrer geringen Leistungsfähigkeit: Demut, Ge-duld, Erniedrigung, Sanftmut des Herzens, Ergebung, Einfachheit, Lie-be zu den armen Kranken, Ertragen ärgerlicher Leute und ähnliche Akteder Nachfolge könnten wohl in Ihre kleinen Spindeln Einlaß finden.Ihre Finger werden sie wohl zu handhaben verstehen im Verkehr mitder hl. Monika, der hl. Paula, der hl. Elisabeth, der hl. Lidwina undvieler anderer, die sich zu Füßen Ihrer glorreichen Äbtissin aufhalten.Diese weiß wohl mit jeder Art von Spindeln umzugehen, aber meinerMeinung nach handhabt sie lieber noch diese kleinen Spindeln, um unsein Beispiel zu geben.

Nun aber wirklich genug gesagt von der Wolle unseres unbeflecktenLammes. Wollen wir nicht von seinem göttlichen Fleisch etwas häufigeressen? Wie köstlich und nahrhaft ist es doch! Ich meine, wenn es sichohne Schwierigkeiten machen ließe, wäre es gut, den Leib des Herrnauch an einem Wochentag außer Sonntag, und zwar am Donnerstag zuempfangen, falls kein Festtag auf einen anderen Tag der Woche fällt.Dies jedoch, ohne Lärm zu machen, ohne unsere Pflichten zu vernach-lässigen, ohne weder die eine, noch die andere Spindel wegzulegen.

Ich freue mich, die guten Kapuzinerpatres in Ihrem Autun zu sehen,denn ich hoffe, daß Gott dadurch verherrlicht wird. Ich habe einen Briefvom Bruder Mathieu aus Thonon zugeschickt bekommen, wo er sichaufgehalten hat.

Ich weiß nicht, wo sich jetzt unser Erzbischof befindet. Sie werdenmir einen großen Gefallen erweisen, wenn Sie ihm meinen Brief nach-senden. Ich schätze ihn aus allen Kräften und ich vergesse niemals beimheiligen Opfer, ihn unserem Herrn zu empfehlen. Man hat mir gesagt,daß er ein Priorat nicht weit von meiner Diözese erhalten hat; es sollNantua sein, aber ich höre nichts mehr davon. Der gute Vater, der guteOnkel liegen mir sehr am Herzen und ich wünsche ihnen an göttlicherGnade, was ich vermag, und auch den kleinen Kindern, die ich als diemeinen ansehe, da sie die Ihren sind. Gott sei immerdar ihr Beschützer,auch des Celse-Benigne, von dem ich schon lange Zeit nichts gehörthabe; aber Claude wird mir nach seiner Rückkehr wohl etwas über ihnberichten können.

Nun muß ich noch über meine kleine Schwester mit Ihnen reden. Ichzweifle keineswegs, ob ich sie Ihnen nun anvertrauen soll oder nicht;

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denn abgesehen von meiner Geneigtheit dazu, will es auch meine Mutterso sehr, daß sie darüber ganz unruhig ist, seitdem sie weiß, daß diesesKind nicht ins Kloster eintreten will. Wenn ich es auch selber nicht woll-te, müßte ich es daher doch wollen. Zu diesem Zweck habe ich Ihnen 30Dukaten über Lyon geschickt, sowohl für die notwendigen Ausgaben, da-mit sie abgeholt werden kann, als auch für kleine Aufmerksamkeiten zu-gunsten der Mädchen, die der Frau Äbtissin dienen. Bei ihrem langenAufenthalt hat sie dieser gewiß viel Unannehmlichkeiten bereitet.

Wie das geschehen soll, kann ich mir nicht ausdenken. Ich muß Siebitten, meine liebe Tochter, das Nötige zu veranlassen, damit alles rich-tig gemacht wird. Ich fürchte schon ein wenig, daß unsere Frau Äbtissindarüber verärgert sein wird; aber da ist nichts zu machen. Es wäre nichtvernünftig, ein Mädchen so lang in einem Kloster zu belassen, wenn esdort nicht sein ganzes Leben bleiben will.

Und was Sie betrifft, soll ich irgendein Zeremoniell einhalten, umIhnen diese Last aufzuladen? Ich versichere Ihnen, daß ich das nichtvermag; wohl aber, Sie zu bitten, ja zu beschwören, und womöglich Ih-nen noch mehr zu sagen: daß Sie mir doch schreiben, was notwendig ist,um sie jetzt und auch in Zukunft nach Ihrem Ermessen auszustatten, wiees die Prinzessinnen von Spanien tun, wenn man ihnen Mädchen alsHoffräulein zuweist. Das will ich so haben und ganz bestimmt. Sie sollauch ein Tuchhäubchen tragen, wenn das zu ihrer Kleidung gehörensollte. Sie sehen, meine liebe Tochter, daß ich nicht schlecht gelaunt bin.Aber ich beschwöre Sie ganz bewußt: es muß so sein, ich will und würdees befehlen, wenn es notwendig wäre, daß Sie mir alles aufschreiben, wasfür das Mädchen erforderlich ist. Ich meine für ihre Ausstattung, dennüber die Verköstigung darf ich ja kein Wort verlieren, sonst würden Siemich tausendfach schelten, das weiß ich. Ich schreibe Ihrem HerrnSchwiegervater die Bitte, gütig einverstanden zu sein mit dem Gefallen,den Sie mir erweisen wollen. Freilich verstehe ich mich nicht auf schöneWorte, bitte, bewegen Sie ihn dazu.

Aber triumphieren Sie nicht, wenn Sie mir Stillschweigen über IhreGeheimnisse auferlegen? In Wirklichkeit habe nicht ich, meine liebeTochter, Herrn N. gesagt, daß Sie meine Tochter sind; er hat es mirgleich gesagt als etwas, das mich sehr freuen sollte, und ich freute michja auch. Ebenso sagte mir auch Herr von Sauzéa, daß Sie nicht prunklie-bend seien, daß Sie keine aufgebauschten Röcke tragen und nicht darandenken, sich wieder zu verheiraten. Das wurde mir so unbefangen ge-sagt, meine liebe Tochter, daß ich es wirklich glaube. Und dann kom-

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men Sie und verbieten mir, über Ihre Geheimnisse zu sprechen, nach-dem alle Welt diese bereits weiß. Nun, ich werde kein Wort über das,was Sie tun und wie Sie es tun, verlieren; denn wem, ich bitte Sie, sollteich es denn sagen?

Ich habe Ihre kleine jüngste Tochter sehr gern, denn sie ist, wie Siesagen, eine engelhafte Seele. Ich wußte bereits von der Abreise des gutenPaters von Villars; das tat mir sehr leid, denn es wird wohl nicht leichtsein, einer Persönlichkeit zu begegnen, die Ihrem Wesen so entsprichtwie er. Es scheint mir, daß wir fast in allen Dingen gut übereinstimmen.Aber schließlich hilft unsere teure Geistesfreiheit allem ab. Man hatmir gesagt, daß an seine Stelle eine große Persönlichkeit gekommen ist,einer der ersten Prediger Frankreichs, aber ich kenne ihn nur dem Na-men nach; er genießt ein großes Ansehen.

Ich werde in zehn Tagen von hier abreisen, um während fünf vollenMonaten die Visitation inmitten unseres Hochgebirges fortzusetzen, wodie guten Leute mich mit herzlicher Zuneigung erwarten. Ich werde aufmich möglichst achtgeben aus Liebe zu mir, den ich nur zu sehr liebe,und auch aus Liebe zu Ihnen, die dies will und die an allem Gutenteilhaben soll, das geschehen wird, wie Sie allgemein teilhaben an allem,was in meiner Diözese geschieht, entsprechend der Vollmacht, die ichdurch meinen Stand habe, es mitzuteilen.

Mein Bruder, der Kanonikus, wollte Ihnen schreiben; ich weiß nicht,ob er es tun wird. Der arme Mann hat keine gute Gesundheit; er schlepptsich dahin, soweit er es vermag, mit mehr Tapferkeit als Kraft. Er wirdsich ein wenig bei seiner guten Mutter erholen können, während ich inunseren Bergen von Fels zu Fels springen werde. Ich habe der Frau vonPuits d’Orbe geschrieben, von der ich seit langem keine Nachricht habe.Ich höre, daß ihre Töchter sich danach sehnen, Karmelitinnen zu wer-den, was sie doch nicht erreichen können. Dadurch verlieren sie denMut zur Vollkommenheit ihres Klosters, die sie doch leicht erlangenkönnten. Das ist eben gewöhnlich so.

Herr von N. hat mir versprochen, daß er mit Ihnen kommen und IhrFührer sein werde, und hat erzählt, daß er bei Ihnen aufgewachsen sei.Das hat mir sehr gefallen, wie auch, was Sie mir von der gegenseitigenLiebe zwischen Ihnen und unserer Schwester von Dijon geschriebenhaben; denn ich halte sie für eine recht gute, mutige und aufrichtigeFrau. Es freut mich auch, daß die guten Karmelitinnen Ihnen zugetansind, und möchte gerne wissen, woher die gute Schwester Maria von der

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Dreifaltigkeit ist. Ich kenne Karmelitinnen von Paris und schätze ihrenOrden sehr hoch.

Gott befohlen, meine liebe Tochter! Wir wollen immerdar Gott ange-hören, ohne etwas auszunehmen und ohne je aufzuhören. Er lebe undherrsche immerdar in unseren Herzen. Amen ...

Es lebe Jesus, meine liebe Tochter und Jesus lebe ewiglich! Amen.Die Pfingst- und Fronleichnamsoktav haben mir gehört, meine liebe

Tochter, aber nur, um hier zu bleiben und nicht um etwa freie Zeit zuhaben. Ich kann mich mein ganzes Leben nicht erinnern, je in so vielverschiedene, aber gute Dinge hineingezogen worden zu sein; ich erzäh-le davon, um mich zu entschuldigen, daß ich Ihnen nicht ausführlicherschreibe.

Ich vergaß, Sie zu bitten, mir – sobald Sie können – die geistlichenLieder zu schicken, die Sie dort haben. Tun Sie mir bitte den Gefallen,meine liebe Tochter, aus Liebe zu Gott, der Sie segnen und ewiglichbewahren möge. Amen.

Annecy, 17. Juni 1606.31

Meine sehr liebe Tochter!Ich erhielt Ihren Brief vom 6. Juni; gleich werde ich das Pferd bestei-

gen für eine Visitationsreise von fünf Monaten. Sie können sich denken,ob ich gerne nach Burgund reisen würde. Aber, meine liebe Tochter,diese Arbeit der Visitation ist für mich notwendig und gehört zu denHauptaufgaben meines Amtes. Ich gehe mit großem Mut daran und seitheute morgen habe ich eine besondere Freude an diesem Unternehmenempfunden, obwohl ich vorher mehrere Tage hindurch tausenderlei sinn-lose Ängste und traurige Anwandlungen hatte, die jedoch mein Herznur von außen her anrühren und nicht ins Innere drangen; es war wie einFrösteln beim Einbruch der Kälte. Wie ich Ihnen aber schon öftersgesagt habe, behandelt mich Gott wie ein zartes Kind, denn er setzt michkeinen rauhen Erschütterungen aus; er kennt meine Schwäche und weiß,daß ich keine schweren ertragen kann. – Ich rede so über meine kleinenAngelegenheiten zu Ihnen, weil es mir recht wohl tut.

O ja, ich weiß Ihnen schon Dank dafür, daß Sie Ihr Fieber lieben. Ichstelle mir vor, hätten wir einen etwas feineren Geruchssinn, so nähmenwir wahr, daß die Heimsuchungen wie Moschus duften und wie vontausend guten Wohlgerüchen ganz durchtränkt sind. Wenn sie auch vonsich aus einen unangenehmen Beigeschmack haben, erreichen sie unsdoch, erfüllt von jeder Köstlichkeit, da sie von der Hand und mehr noch

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vom Schoß, vom Herzen des göttlichen Bräutigams kommen, der vonsich aus nur Duft und Wohlgeruch ist.

Meine liebe Tochter, halten Sie Ihr Herz weit offen vor Gott; gehenSie Ihren Weg in seiner Gegenwart immer fröhlich weiter. Er liebt unszärtlich, er ist ganz unser, dieser gütige Jesus; seien auch wir nur ganzdie Seinen, lieben wir ihn, geben wir uns ihm hin. Mögen uns auch Fin-sternisse umgeben, Stürme umtoben und mögen uns die Wasser der Bit-terkeit bis an den Hals reichen: solange er uns den Mantel hochhält, gibtes nichts zu befürchten.

Ich will Ihnen oft schreiben, meine liebe Tochter, und will Sie tau-send- und abertausendmal segnen mit dem mir von unserem Gott ver-liehenen Segen. Leben Sie fröhlich, ob gesund oder krank, und drückenSie Ihren göttlichen Bräutigam fest an Ihr Herz, meine liebe Tochter,meine ganz liebe Tochter. Ich bin Ihnen ja, was ich nach dem Willenseiner göttlichen Majestät sein soll, und was sich nicht in Worten aus-drücken läßt. Es lebe Jesus immerdar! Amen.

Ende Juli oder Anfang August 1606.Mein Gott, meine gute Tochter, wie sehr freuen mich doch Ihre Briefe

und wie lebendig stellen Sie doch Ihr Herz und Ihr Vertrauen auf michmit einer so klaren Reinheit dar, daß ich gezwungen bin zu glauben, daßdies aus der Hand Gottes selbst kommt.

Ich habe in diesen vergangenen Tagen schreckliche Berge, ganz be-deckt mit 10-12 Spieß dickem Eis, gesehen, und die Bewohner der be-nachbarten Täler erzählten mir, daß ein Hirte, der eine seiner Kühesuchen gegangen war, in eine 12 Spieß tiefe Gletscherspalte fiel, in derer erfror. O Gott, sagte ich mir, war der Eifer des Hirten für die Sucheseiner Kuh so heiß, daß dieses Eis ihn nicht abgekühlt hat? Warum alsobin ich so lau auf der Suche nach meinen Schäflein? Sicher, das hat micherschüttert, und mein ganz eisiges Herz ist etwas geschmolzen.

Ich habe Wunderbares in diesen Gegenden gesehen: Täler voll Häu-ser und Berge voll Eis bis in die Täler hinab. Kleine Witwen, kleineDorfbewohner, ähnlich den niedrigen Tälern, sind so fruchtbar, undBischöfe, die in der Kirche Gottes so hoch erhoben werden, sind eiskalt.Ach, findet sich denn keine Sonne, stark genug, um das Eis zu schmel-zen, in dem ich erstarre?

Zur gleichen Zeit brachte man mir einen Bericht über das Leben undden Tod einer heiligmäßigen Dorfbewohnerin32 meiner Diözese, die im

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Monat Juni gestorben war. Was meinen Sie wohl, daß ich davon denkensoll? Ich werde Ihnen einmal einen Auszug davon schicken, denn ohnezu übertreiben – es liegt etwas ungemein Anziehendes in dieser be-scheidenen Geschichte einer verheirateten Frau, die dank der GnadeGottes eine meiner großen Freundinnen war und mich oft Gott emp-fohlen hatte.

Ich habe schon in der Heiligen Messe zu unserem Herrn über Sie,meine ganz teure Tochter, gesprochen. Ich habe freilich nicht gewagt,ihn vollends um Ihre Befreiung zu bitten; denn wenn es ihm gefällt, dasOpfer zu häuten, das ihm dargebracht werden soll, so liegt es nicht anmir, zu wünschen, daß er es nicht tue; aber ich habe ihn beschworen undbeschwöre ihn noch bei dieser unendlichen Verlassenheit, in der er Blutschwitzte (Lk 2 2,43 f) und am Kreuz ausrief: „Mein Gott, mein Gott,warum hast Du mich verlassen?“ (Ps 22,1; Mt 27,46): Er möge Sie im-mer mit seiner heiligen Hand festhalten, wie er es bis jetzt getan hat,wenngleich Sie nicht wissen, an welcher Seite er Sie hält, oder zumin-dest es nicht spüren. Sie werden bestimmt gut daran tun, einfach unserengekreuzigten Herrn zu betrachten und ihm Ihre Liebe und vollständigeErgebung zu beteuern, so trocken, dürr und gefühllos diese auch seinmag. Geben Sie sich nicht damit ab, Ihr Übel zu betrachten und zuprüfen, nicht einmal, um es mir zu sagen.

Schließlich gehören wir Gott an, ganz, vorbehaltlos, ungeteilt, aus-nahmslos und ohne anderes zu beanspruchen als die Ehre, die Seinen zusein. Hätten wir nur eine einzige Liebesflamme in unserem Herzen, dienicht ihm gehörte und von ihm käme, o Gott, wir würden sie unmittel-bar ausreißen. Bleiben wir also in Frieden und sagen wir mit dem gro-ßen Liebhaber des Kreuzes: „In Hinkunft soll nichts mehr mich in Un-ruhe stürzen, denn ich trage in meinem Herzen die Wundmale meinesJesus“ (Gal 6,17). – Ja, meine sehr liebe Tochter, wenn eine kleine Faserunseres Herzens nicht die Prägung des Kreuzes trüge, wollten wir siekeinen Augenblick behalten. Warum also uns beunruhigen? „Meine Seelehofft auf Gott, warum bist du traurig und warum wirst du verwirrt?“ (Ps42,61), da doch Gott mein Gott ist und mein Herz ein Herz, das ganzsein ist.

Ja, meine sehr liebe Tochter, beten Sie für den, der Ihnen unaufhör-lich tausendfachen Segen wünscht und den Segen der Segen, seine voll-kommene heilige Liebe.

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Cluses, 6. August 1606.33

Gott möge mir beistehen, meine sehr teure Tochter, um Ihren Briefvom 9. Juli mit Nutzen zu beantworten. Es ist dies mein heißer Wunsch,aber ich sehe schon voraus, daß ich nicht genug Zeit haben werde, ummeine Gedanken richtig zu ordnen; es wird viel heißen, wenn ich sievorbringen kann.

Das ist recht gesagt, meine Tochter, sprechen Sie nur offen mit mir,das heißt mit einer Seele, die Gott in seiner allerhöchsten Autorität ganzzu der Ihren gemacht hat. Sie legen ein wenig Hand ans Werk, sagen Siemir. Ach, mein Gott, welch große Freude für mich! Tun Sie das immer,legen Sie immer ein wenig Hand ans Werk; spinnen Sie alle Tage einwenig, sei es am Tag beim Licht der inneren Freuden und Klarheiten, seies bei Nacht, bei Lampenschein in Unvermögen und Unfruchtbarkeit.Der Weise lobt darum die starke Frau (Spr 31,19): Ihre Finger haben,sagt er, die Spindel gehandhabt. Wie gerne würde ich Ihnen etwas überdieses Wort sagen! Ihr Spinnrocken ist die Vielzahl Ihrer Wünsche:spinnen Sie alle Tage ein wenig, drehen Sie Ihre Vorsätze zum Faden biszur Durchführung, und Sie werden zweifellos ans Ziel gelangen. HütenSie sich aber vor Hast, denn sonst verwickelt sich Ihr Faden zu einemKnoten und bringt Ihre Spindel in Unordnung. Machen wir nur immerweiter; wenn wir auch nur langsam vorwärts kommen, so legen wir docheinen weiten Weg zurück.

Ihr Unvermögen schadet Ihnen sehr, denn, so sagen Sie, es hindert Siedaran, in sich zu gehen und sich Gott zu nahen. Das ist zweifellos schlechtgesagt. Gott beläßt Sie darin zu seiner Verherrlichung und zu Ihremgroßen Nutzen; er will, daß Ihre Erbärmlichkeit der Thron seiner Barm-herzigkeit und Ihre Ohnmacht der Sitz seiner Allmacht sei. Wohin ver-legte Gott die göttliche Kraft, die er Simson verlieh? Doch in seineHaare (Ri 16,17), den gewiß schwächsten Teil seines Körpers. SolcheWorte will ich nimmer von einer Tochter hören, die Gott dienen willnach seinem göttlichen Wohlgefallen und nicht nach fühlbarer Freudeund Leichtigkeit. Ijob sagt (13,15): „Und wenn er mich tötet, werde ichnoch auf ihn hoffen.“ Nein, meine Tochter, dieses Unvermögen hindertSie nicht, in sich einzukehren; aber es hindert Sie wohl daran, Gefallenan sich selbst zu finden.

Wir wollen immer dies und das, und obwohl wir unseren gütigen Je-sus in unserem Herzen tragen, sind wir damit nicht zufrieden; und trotz-dem ist dies alles, was wir wünschen können. Eines nur ist uns notwen-

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dig: bei ihm zu sein. Sagen Sie mir, meine liebe Tochter, Sie wissendoch, daß bei der Geburt unseres Herrn die Hirten die Engelchöre unddie göttlichen Gesänge der himmlischen Heerscharen hörten; so be-richtet die Schrift (Lk 2,13 f). Dennoch ist nirgends gesagt, daß Unsereliebe Frau und der hl. Josef, die doch am engsten zum Kind gehörten,auch die Stimmen der Engel vernahmen oder dieses wunderbare Lichtsahen; im Gegenteil, anstatt die Engel singen zu hören, hörten sie dasKind weinen und sahen beim Schein irgendeiner schlechten Lampe dieAugen dieses göttlichen Knaben von Tränen überfließen und sahen ihnselbst zitternd unter der strengen Kälte. Nun aber frage ich Sie aufrich-tig: Hätten Sie nicht auch eher gewählt, in dem finsteren Stall bei demweinenden kleinen Kindlein zu sein, als mit den Hirten außer sich zusein vor Freude und Jubel über die Süße dieser himmlischen Musik undüber die Schönheit dieses wunderbaren Lichtes (Lk 2,9)?

„Ja“, sagte der hl. Petrus, „hier ist es gut sein“ (Mt 17,4), angesichtsder Verklärung (und heute ist der Tag, an dem die Verklärung Christi inder Kirche gefeiert wird, der 6. August); aber Ihre Äbtissin ist nichtdabei, sondern nur auf dem Kalvarienberg (Joh 19,25), wo sie nichtssieht als Tote, Nägel, Dornen, Ohnmacht, tiefe Finsternis, Verlassenheitund Trostlosigkeit.

Doch genug darüber, meine Tochter, und mehr schon, als ich überdiesen bereits so viel zwischen uns besprochenen Gegenstand sagenwollte. Nichts mehr davon, ich bitte Sie. Lieben Sie den inmitten derDunkelheiten gekreuzigten Gott, bleiben Sie bei ihm, sagen Sie: „Es istgut für mich, hier zu sein; lasset uns drei Zelte bauen“, eines für unserenHerrn, eines für Unsere liebe Frau und das dritte für den hl. Johannes.Drei Kreuze, sonst nichts (Lk 18,33); und stellen Sie sich zu dem desSohnes, oder zu dem der Mutter, Ihrer Äbtissin, oder zu dem des Jün-gers; Sie werden überall gut aufgenommen werden mit den anderenTöchtern Ihres Ordens,34 die sich darum scharen.

Lieben Sie Ihre Erniedrigung. – Aber, so sagen Sie, was heißt das:seine Erniedrigung lieben? Denn mein Verstand ist dunkel und ohn-mächtig für alles Gute. Nun, meine Tochter, das ist es: Wenn Sie demü-tig ruhig, sanftmütig vertrauend bleiben inmitten dieser Dunkelheit undOhnmacht, wenn Sie nicht ungeduldig werden, wenn Sie sich nicht ab-hasten, wenn Sie wegen alldem nicht der Aufregung verfallen, sonderngerne (ich sage nicht „ fröhlich“, aber ehrlich und fest) dieses Kreuzumfassen und in diesen Dunkelheiten bleiben, dann lieben Sie Ihre Er-niedrigung. Denn was heißt erniedrigt sein anderes, als in Dunkelheit

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und Ohnmacht sein? Lieben Sie sich so aus Liebe zu dem, der Sie sohaben will, und Sie werden Ihre eigene Erniedrigung lieben.

Meine Tochter, auf lateinisch heißt Erniedrigung Demut und DemutErniedrigung; Unsere liebe Frau wollte also mit den Worten „weil erherabgeschaut hat auf die Niedrigkeit seiner Magd“ (Lk 1,48), sagen,„weil er herabgeschaut hat auf meine Erniedrigung und Armseligkeit.“Dennoch besteht ein gewisser Unterschied zwischen der Tugend derDemut und der Erniedrigung, weil Demut das Bekenntnis zur eigenenErniedrigung ist. Der Gipfel der Demut besteht nun darin, seine Ernied-rigung nicht nur zu bekennen, sondern sie zu lieben; und dazu wollte ichSie aufmuntern.

Damit ich mich besser verständlich mache, müssen Sie wissen, daß esunter den Übeln, unter denen wir leiden, erniedrigende und ehrenvollegibt. Viele fügen sich in ehrenvolle Übel, wenige aber in erniedrigende.Da ist zum Beispiel ein armselig gekleideter und frierender Kapuziner:Jeder ehrt sein zerrissenes Gewand und hat Mitleid mit dem Frieren-den. Da ist aber ein armer Handwerker, ein armer Schüler, eine armeWitwe, die das gleiche erleiden. Man macht sich über sie lustig; ihreArmut ist erniedrigend. Ein Ordensmann erträgt geduldig eine Rügeseines Oberen; jeder wird das Selbstüberwindung und Gehorsam nen-nen. Ein Edelmann hingegen erduldet einen Tadel aus Liebe zu Gott,und man nennt das Feigheit; da haben wir eine erniedrigende Tugend,ein verachtetes Leiden. Ein Mann hat ein Geschwür am Arm, ein ande-rer im Gesicht; jener verbirgt es und hat nur den Schmerz zu ertragen;dieser aber kann es nicht verbergen und muß mit den Schmerzen auchnoch die Verachtung und Erniedrigung erdulden. Nun sage ich aber, daßman nicht nur das Übel lieben muß, sondern auch die Erniedrigung.

Weiter gibt es auch erniedrigende und ehrenvolle Tugenden. Gewöhn-lich sind Geduld, Sanftmut, Selbstüberwindung und Einfachheit für Welt-menschen erniedrigende Tugenden; Almosengeben, Höflichkeit undKlugheit gelten als ehrenvolle Tugenden. Manche Handlungen der glei-chen Tugend sind erniedrigend, andere wieder ehrenvoll. Almosenge-ben und Verzeihen von Beleidigungen sind Handlungen aus Nächsten-liebe; die eine ist ehrenvoll, die andere in den Augen der Welt jedocherniedrigend.

Oder ich bin krank in einer Umgebung, die dies als lästig empfindet;auch hier gesellt sich zum Übel eine Erniedrigung. Junge Damen derGesellschaft, die mich wie eine echte Witwe auftreten sehen, sagen, ichsei eine Betschwester; wenn sie mich aber – wenn auch nur bescheiden

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– lachen sehen, sagen sie gleich, daß ich noch umschwärmt werden wol-le. Man will nicht glauben, daß ich nicht höher hinaus will und keineEhre anstrebe, oder daß ich meinen Stand ohne Bedauern liebe. All dasträgt zur Erniedrigung bei; das alles lieben, heißt seine eigene Erniedri-gung lieben.

Und noch etwas anderes: meine Schwestern und ich machen Kran-kenbesuche. Meine Schwestern schicken mich zu den armseligsten Kran-ken; das ist in den Augen der Welt eine Erniedrigung; wenn sie mich zuden weniger armseligen schicken, ist das eine Erniedrigung vor Gott;denn jener Krankenbesuch ist von geringerer Würde vor Gott, dieseraber vor der Welt. Nun, ich werde die eine und die andere lieben, wie siesich ergibt. Auf dem Weg zum Elendsten werde ich sagen: es ist recht,daß ich erniedrigt werde. Wenn ich aber zu den weniger Armseligengehe, sage ich: das ist recht, denn ich habe nicht genug Verdienste, umeinen heiligeren Krankenbesuch abzustatten.

Oder ich begehe eine Dummheit; sie erniedrigt mich: gut. Ich fallenieder und ärgere mich darüber maßlos; ich bereue die BeleidigungGottes, freue mich aber, dadurch geoffenbart zu haben, wie wenig wert,wie armselig und erbärmlich ich bin.

Trotzdem, meine Tochter, achten Sie wohl auf das, was ich Ihnen jetztsagen werde: Obgleich wir die Erniedrigung lieben, die dem Übel folgt,dürfen wir doch nicht davon ablassen, das Übel zu überwinden. Ichwerde tun, was ich kann, um nicht ein Geschwür im Gesicht zu bekom-men; wenn ich aber eines habe, werde ich die Erniedrigung daran lie-ben. – In allem Sündhaften muß man sich noch stärker an diese Regelhalten. Ich habe mich z. B. in dem und jenem gehen lassen; ich bindarüber traurig, obwohl ich die daraus folgende Erniedrigung gerne aufmich nehme. Wenn das eine vom anderen getrennt werden könnte, wür-de ich herzlich gern die Erniedrigung behalten, das Übel und die Sündeaber beseitigen. – Man muß hier auch die Nächstenliebe berücksichti-gen; sie erfordert zuweilen, daß wir wegen der Erbauung des Nächstendie Erniedrigung ausschalten, das heißt in diesem Fall, sie aus den Au-gen des Nächsten entfernen, der daran Anstoß nähme, aber nicht ausunserem Herzen, das daran Erbauung findet. „Ich habe gewählt“, sagtder Prophet (Ps 84,11), „lieber im Haus Gottes erniedrigt zu sein, als inden Zelten der Sünder zu wohnen.“

Schließlich möchten Sie wissen, meine Tochter, welches die bestenErniedrigungen sind. Ich sage Ihnen: jene, die wir nicht gewählt habenund die uns weniger angenehm sind, oder besser gesagt, jene, zu denen

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wir nicht viel Neigung verspüren; das sind aber, um offen zu sprechen,jene unseres Standes und Berufes. Die verheiratete Frau z. B. würde jedeandere Art der Erniedrigung eher wählen als solche, die sich aus demEhestand ergeben; diese Klosterschwester würde jedem anderen liebergehorchen als ihrer Oberin; und ich wiederum würde eher ertragen, voneiner Ordensoberin gescholten zu werden, als im eigenen Haus vonmeinem Schwiegervater.35 Ich meine, daß für jeden seine eigene Ernied-rigung die beste ist. Wenn wir aber selber eine Wahl treffen, so nimmtuns dies einen Großteil unserer Tugenden weg.

Wer, meine liebe Tochter, erweist mir die Gnade, daß wir unsere Er-niedrigung so recht lieben? Das vermag keiner, außer jener, der seineErniedrigung so sehr liebte, daß er – um sie zu bewahren – sterbenwollte. Das mag wohl genügen.

Sie hatten Angst, gegen den Gehorsam verstoßen zu haben, weil Sie sichder Hoffnung und dem Gedanken hingaben, in einen Orden einzutreten.Aber nein, ich habe Ihnen nicht gesagt, Sie dürften keine Hoffnung oderkeinen Gedanken darein setzen, wohl aber, Sie sollen sich damit nichtsoviel abgeben. Denn das steht fest, daß nichts uns so sehr daran hindert,in unserem Stand zur Vollkommenheit zu gelangen, als wenn wir unsnach einem anderen Stand sehnen. Anstatt auf dem Feld zu arbeiten, aufdem wir uns befinden, schicken wir dann unsere Ochsen mit dem Pfluganderswohin, auf das Feld unseres Nachbarn, wo wir jedoch in diesemJahr nicht ernten können. All das ist Zeitvergeudung. Wenn unsere Ge-danken und Hoffnungen anderswo sind, ist es unmöglich, daß unser Herzsich ganz auf den Erwerb der Tugenden ausrichtet, die an dem Platz, aufdem wir stehen, erforderlich sind. Nein, meine Tochter, niemals liebteJakob Lea richtig, während er sich nach Rahel sehnte (Gen 29,25.28).Beherzigen Sie diesen Grundsatz, denn er ist sehr wahr.

Aber sehen Sie, ich sage nicht, daß man nicht daran denken und nichtdarauf hoffen könne, sondern ich sage, daß man sich nicht viel abgebenund nicht viel daran denken soll. Es ist erlaubt, zum Ort hinzusehen, anden wir zu kommen wünschen, aber nur unter der Bedingung, daß manimmer auf den Weg vor sich schaut. Glauben Sie mir, niemals konntendie Israeliten in Babylon singen, weil sie an ihre Heimat dachten (Ps137,104); ich aber möchte, daß wir überall singen.

Sie ersuchen mich, Ihnen zu sagen, ob ich nicht daran denke, daß Sieeines Tages alle Dinge dieser Welt um Gottes willen gänzlich und völligverlassen werden. Sie bitten mich, Ihnen dies nicht zu verschweigen,sondern Ihnen diese teure Hoffnung zu lassen. O gütiger Jesus, was soll

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ich Ihnen sagen, meine liebe Tochter? Seine Allgüte weiß, daß ich oftüber diesen Punkt nachgedacht und seine Gnade beim heiligen Opferund auch sonst dafür angefleht habe; und nicht nur das: sondern ichhabe dafür auch die Frömmigkeit und Gebete anderer beansprucht, diebesser sind als ich. Und was habe ich bis jetzt erfahren? Daß Sie, meineTochter, eines Tages alles verlassen sollen; das heißt damit Sie darunternichts anderes verstehen als ich – ich habe vernommen, daß ich Ihneneines Tages raten soll, alles zu verlassen. Ich sage: alles, ob das aber zumZweck des Eintretens in einen Orden geschehen wird, das ist eine großeFrage, und ich bin bisher noch nicht so weit gelangt, dieser Meinung zusein. Ich bin darüber noch in Zweifel und ich sehe nichts vor meinenAugen, was mich einlädt, es zu wünschen. Verstehen Sie mich recht umder Liebe Gottes willen: Ich sage nicht nein, sondern ich sage, daß meinGeist noch nichts gefunden hat, um Ja zu sagen. Ich will unseren Herrnimmer mehr um Erleuchtung darüber bitten, damit ich das „Ja“ klarersehen kann, wenn es mehr zu seiner Ehre gereicht, oder das „Nein“,wenn es mehr nach seinem Wohlgefallen ist. Und Sie müssen wissen,daß ich in dieser Untersuchung mich so stark wie nie zuvor in den Gleich-mut meiner eigenen Neigung gegenüber versetzt habe, um den WillenGottes zu suchen; und doch hat sich das „Ja“ in meinem Herzen niefestsetzen können, so daß ich es bis jetzt nicht zu sagen und auszuspre-chen wüßte, das „Nein“ aber sich im Gegenteil darin ganz fest behaup-ten konnte.

Da aber dieser Punkt von sehr großer Bedeutung ist und nichts unsdrängt, geben Sie mir noch etwas Zeit; Zeit, noch mehr zu beten und indieser Meinung beten zu lassen. Ich muß auch, bevor ich mich entschlie-ße, ausführlich mit Ihnen sprechen, was mit Gottes Hilfe nächstes Jahrder Fall sein wird. Und doch möchte ich nach all dem nicht, daß Sie indiesem Punkt Ihren Entschluß gänzlich auf meiner Ansicht aufbauen,außer Sie finden eine große Beruhigung darin und innere Übereinstim-mung damit. Wenn die Zeit hierfür gekommen ist, werde ich es Ihnenausführlich sagen; und wenn dieser Entschluß Ihnen nicht die innereRuhe schenkt, befragen wir dann jemand anderen, den vielleicht Gottseinen heiligen Willen besser erkennen läßt. Ich sehe nicht ein, daß eserforderlich wäre, sich damit zu beeilen; indessen können Sie selbstdaran denken, ohne sich damit zu viel zu beschäftigen und damit Zeit zuverlieren. Denn, wie ich Ihnen sagte, hat wohl bisher der Gedanke, Sieim Ordensstand zu sehen, in meinem Geist noch nicht Platz gegriffen;aber ich habe trotzdem noch keinen endgültigen Entschluß gefaßt. Stün-

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de aber mein Entschluß fest, so würde ich gleichwohl meine Ansichtnicht durchsetzen und nicht meine Meinung Ihren Neigungen vorzie-hen, falls sie in dieser besonderen Angelegenheit sehr stark wären. (Über-all sonst werde ich zu meinem Wort stehen und Sie meinem Urteil undnicht Ihren Wünschen gemäß führen.) Ich werde auch meine Ansichtnicht dem Rat geistlicher Personen vorziehen, die man befragen könnte.

Bleiben Sie, meine Tochter, ganz ergeben in den Händen unseresHerrn; schenken Sie ihm den Rest Ihrer Jahre und flehen Sie ihn an, daßer Sie für jene Lebensweise gebrauche, die ihm am meisten genehm seinwird. Beunruhigen Sie Ihren Geist nicht mit eitlen Hoffnungen auf Ruhe,Freude und Verdienst, sondern bieten Sie Ihrem göttlichen BräutigamIhr Herz dar, ganz leer von jeder anderen Zuneigung, aber erfüllt vonseiner keuschen Liebe. Flehen Sie ihn an, er möge es in aller Reinheitund Einfachheit mit Regungen, Bestrebungen und Wünschen erfüllen,die in seinem eigenen Herzen sind, damit Ihr Herz wie eine Perlmutternur den Tau vom Himmel und nicht Wasser von dieser Welt empfange;und Sie werden sehen, daß Gott uns helfen wird und daß wir das Rechtetun werden, sowohl was die Entscheidung, als auch, was die Ausführungbetrifft.

Und nun zu Ihren Kindern: Ich billige, daß Sie ihnen einen Platz inKlöstern vorbereiten, vorausgesetzt, daß Gott in ihren Herzen Platz fürdas Kloster schafft. Das heißt, ich billige, daß Sie sie in Klöstern erzie-hen lassen in der Absicht, sie dort zu belassen, unter zwei Bedingungen:1. daß die Klöster gut reformiert seien und daß man in ihnen das innereLeben pflege, 2. daß man im Zeitpunkt der Gelübde-Ablegung, alsowenn sie 16 Jahre alt sind, genau wisse, ob sie diese Weihe an Gott mitAndacht und gutem Willen ablegen wollen; denn wenn sie es nicht mitLiebe tun wollten, wäre es ein schweres Sakrileg, sie dort einzusperren.Wir sehen oft genug, wie die wider ihren Willen aufgenommenen Mäd-chen Mühe haben, sich einzuordnen und anzupassen. Man soll sie gütigund lieb beeinflussen, daß sie ins Kloster gehen. Wenn sie dann so dortbleiben, werden sie recht glücklich sein und auch ihre Mutter wird glück-lich sein, daß sie diese in den Garten des Bräutigams gepflanzt hat, dersie mit hunderttausend himmlischen Gnaden überhäufen wird. Berei-ten Sie Ihre Töchter also auf diesen Stand ganz liebevoll und sorgfältigvor; das ist so meine Meinung.

Da aber unsere Aimée in der unruhigen und stürmischen Welt bleibenwill, bedarf sie zweifellos einer hundertfach größeren Pflege, um sie inder wahren Tugend und Frömmigkeit zu festigen. Man muß ihre Barke

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noch viel besser mit aller erforderlichen Ausrüstung gegen Wind undWetter versehen; man muß ihr die wahre Gottesfurcht tief ins Herzpflanzen und sie durch ganz heilige Andachtsübungen erziehen.

Für Celse-Benigne wird wohl sicher sein Herr Onkel36 Sorge tragenund mehr auf die Bildung seiner jungen Seele sehen, als auf die seinesÄußeren. Wenn es ein anderer Onkel wäre, würde ich sagen, daß Sieselbst dafür Sorge tragen sollen, damit dieser Schatz an Unschuld nichtverlorengehe. Lassen Sie jedoch nicht davon ab, in seinen Geist diegütigen und köstlichen Düfte der Frömmigkeit zu träufeln und oft sei-nem Onkel die Pflege seiner Seele zu empfehlen. Gott möge dabeinach seinem Gutdünken verfahren, und die Menschen müssen sichdarein fügen.

Ich wüßte Ihnen nichts anderes zu sagen zu Ihrer Besorgnis wegen IhresÜbels und zu Ihrer Furcht, daß Sie es ungeduldig ertragen. Sagte ich Ih-nen nicht gleich beim ersten Mal, als ich zu Ihnen über Ihre Seele sprach,daß Sie viel zu viel über das grübeln, was Ihnen an Kreuz und Versuchungzustößt, daß man diese nur im Großen und Ganzen (grosso modo) anse-hen soll und daß die Frauen und manchmal auch die Männer zuviel Grü-beleien über ihre Schwierigkeiten anstellen, was nur die Gedanken inein-ander verwickelt. Befürchtungen und Wünsche verwirren dann derart dieSeele, daß sie sich daraus nicht zu lösen vermag. Erinnern Sie sich anHerrn N., wie sein Geist gegen Ende der Fastenzeit in sinnlosen Ängstenverwirrt und verstrickt war und wie das zu nichts geführt hat? Ich bitte Sieum Gottes willen, meine Tochter, haben Sie nicht Angst vor Gott, denn erwill Ihnen nichts Böses zufügen; lieben Sie ihn nur recht stark, denn erwill Ihnen viel Gutes erweisen. Gehen Sie ganz einfach Ihren Weg weiterim Schutz unserer Entschlüsse und weisen Sie die Grübeleien über IhrKreuz als grausame Versuchungen zurück.

Was kann ich Ihnen sagen, um diesem Gedankenfluß in Ihrem Her-zen Einhalt zu gebieten? Sorgen Sie sich nicht ab, es zu heilen, denndiese Sorge macht es noch kränker. Strengen Sie sich nicht an, IhreVersuchungen zu besiegen, denn diese Anstrengung verstärkt sie nur.Verachten Sie sie, beschäftigen Sie sich nicht mit ihnen. Stellen Sie sichin Ihrer Einbildungskraft den gekreuzigten Jesus Christus in Ihren Ar-men und an Ihrer Brust vor und sagen Sie hundertmal, seine Seitenwun-de küssend: „Hier ist meine Hoffnung, hier ist die lebendige Quellemeines Glückes; hier ist das Herz meiner Seele, hier die Seele meinesHerzens. Nichts soll mich von seiner Liebe wegreißen; ich halte ihn undlasse ihn nicht mehr (Hld 3,4), bevor er mich in Sicherheit gebrachthat.“

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Sagen Sie oft zu ihm: „Was mag ich auf Erden haben und was erwarteich im Himmel außer Dich, mein Jesus? Du bist der Gott meines Her-zens und das Erbe, das ich ewig begehre“ (Ps 73,23 f). Was fürchten Sie,meine Tochter? Hören Sie doch, wie unser Herr Abraham und auchIhnen zuruft: „Fürchte dich nicht, ich bin dein Beschützer“ (Gen 15,1).

Was suchen Sie auf Erden außer Gott? Sie haben ihn doch. Seien Siefest in Ihren Entschlüssen: bleiben Sie in der Barke, in die ich Sie ge-setzt habe, und mögen, auch Gewitter und Stürme kommen: es lebeJesus, Sie werden nicht zugrundegehen. Er wird schlafen, aber zur rech-ten Zeit und am rechten Ort wird er erwachen, um Ihnen die Ruhewiederzugeben (s. Mt 8,24-26).

Der hl. Petrus, sagt die Schrift (Mt 14,29-31), geriet in Furcht, als erdas stürmische Wetter sah; und sobald er Angst hatte, begann er zu sin-ken und unterzugehen; deshalb schrie er: „Herr, rette mich!“ Und unserHerr nahm ihn an der Hand und sagte zu ihm: „Du kleingläubigerMensch, warum hast du gezweifelt?“ Sehen Sie diesen heiligen Apostel:er schreitet trockenen Fußes über die Wellen; Wogen und Wind vermö-gen ihn nicht zum Sinken zu bringen. Aber die Angst vor dem Wind undden Wellen ließe ihn untergehen, wenn sein Meister ihn nicht an derHand faßte. Die Angst vor etwas Schlimmem ist ein viel größeres Übelals das Übel selbst. O kleingläubige Tochter, was fürchten Sie denn?Nein, fürchten Sie sich nicht; Sie schreiten wohl über das Meer inmittenvon Winden und Wellen, aber mit Jesus. Was braucht man da noch zufürchten? Wenn Sie aber die Angst packt, dann rufen Sie laut: „Herr,rette mich!“ Er wird Ihnen die Hand hinstrecken; ergreifen Sie diesefest und gehen Sie freudig weiter.

Kurz, philosophieren Sie nicht über Ihr Übel, geben Sie ihm keineAntwort, gehen Sie tapfer voran! Nein, Gott wird Sie nicht verlorenge-hen lassen, solange Sie in unseren Entschlüssen leben, um ihn nicht zuverlieren. Möge die Welt einstürzen, alles in Finsternis, Rauch, undGetöse gehüllt sein: Gott ist doch mit uns. Wenn aber Gott in Finsternisund auf dem rauchumwölkten, von Blitzen, Donnern und Grollen um-tosten Berg Sinai haust (Ex 19,16-18), wird es nicht auch da für uns gutsein, bei ihm zu weilen?

Leben Sie, meine liebe Tochter, leben Sie denn ganz in Gott und fürch-ten Sie den Tod nicht! Der gute Jesus ist ganz unser, seien wir auch ganzsein. Unsere verehrte Herrin, unsere Äbtissin hat ihn uns gegeben; be-wahren wir ihn gut. Und Mut, meine Tochter! Ich bin in unendlicherWeise der Ihre, und mehr noch als der Ihre ...

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August-September 1606.37

... Meine Tochter, wir müssen unsere Herzen wie der kleine Johannesvom wilden Honig (Mt 3,4), wie vom gewöhnlichen nähren; das heißt,alles in der Stadt wie auf dem Land für die hochheilige Liebe Gottesnutzbar machen ...

Ich werde Ihnen recht bald die Lebensgeschichte einer heiligen Dorf-bewohnerin meiner Diözese schicken, die verheiratet, in 48 Jahren ih-res Lebens alle Anzeichen der Vollkommenheit nach innen und nachaußen aufwies; denn sie war eine Monika in ihrem Hauswesen und eineMagdalena im Gebet. O meine Tochter, woran liegt es, daß wir nichtHeilige sind inmitten so vieler Beispiele daheim und auswärts, in derStadt und auf dem Land? Alles ruft uns zur Heiligkeit auf, und wir gehendiesen Weg dennoch so langsam. Im Gedanken daran fühle ich michselbst ganz vernichtet. Ach, meine liebe Tochter, sagen wir mit dem hl.Augustinus: Was tun denn wir? Unwissende und Ungebildete erhebensich, und da sie sich vor uns erheben, reißen sie die Himmel an sich; undwir – wir vermodern in unserer Nachlässigkeit. Seien wir zumindestdemütig in diesem Elend, und Gott wird uns segnen und unsere Niedrig-keit durch sein heiliges Erbarmen wieder erhöhen ...

Bonneville, 2. Oktober 1606.Ich habe Ihren Brief erhalten, meine sehr teure Tochter, gerade als ich

zu Pferd stieg, um hierher zu kommen ... 38

Ich befinde mich wohl, meine liebe Tochter, in einer so großen Mengevon Arbeiten und Beschäftigungen, daß man mehr nicht sagen kann.Gott wirkt da ein kleines Wunder, denn alle Abende, wenn ich michzurückziehe, kann ich weder meinen Leib noch meine Seele mehr re-gen, so müde bin ich; und am Morgen bin ich dann fröhlicher denn je.Ordnung, Maß, Vernunft wahre ich jetzt nicht im geringsten (denn ichvermöchte es Ihnen ja doch nicht zu verheimlichen); und doch bin ich,Gott sei Dank, ganz wohl.

O meine liebe Tochter, welch gutes Volk habe ich doch inmitten derhohen Berge gefunden! Welche Ehrung, welcher Empfang, welche Ver-ehrung für ihren Bischof! Vorgestern kam ich in diese kleine Stadt mit-ten in der Nacht, aber die Einwohner haben so viele Lichter und festli-che Beleuchtungen besorgt, daß es hell wie am Tag war. Ach, wie ver-dienten sie doch einen anderen Bischof!

Leben Sie fröhlich, empfangen Sie die Kommunion an den hohen

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Festtagen und Sonntagen, auch wenn sie aufeinander folgen. ErhebenSie Ihre Augen oft zum Himmel, um sie abzulenken von den irdischenSchauspielen.

Gott befohlen, meine Tochter, aber wir wollen immerdar Gott gehö-ren, wie er ewiglich der Unsrige ist. Es lebe Jesus!

Annecy, Ende Oktober 1606.39

... Als ich jetzt bei meiner Rückkehr meine Seele etwas überschauenwollte, erweckte sie großes Mitleid in mir, denn ich fand sie so magerund hergenommen, daß sie wie der Tod aussah. Ich glaube, daß ich wäh-rend der letzten vier bis fünf Monate kaum einen Augenblick zum Luft-holen hatte. Ich werde aber jetzt diesen ganzen Winter bei ihr sein undversuchen, sie gut zu behandeln. Ich werde nur in kleinen Zusammen-künften predigen, auf einem Stuhl sitzend. Ich werde einem tugendhaf-ten und eifrigen Kapuziner zuhören, werde den Kindern Katechismus-unterricht erteilen und Beichte hören; so werde ich nur kleine Übungenverrichten, die mein Herz nicht betäuben, sondern nur aufwecken. Ichwünsche sehr, es zu bessern, damit es noch vielen anderen dienen möge,deren Dienst es geweiht ist, und besonders dem Ihren ...

Ich weiß wohl, daß Sie keine andere Kenntnis brauchen, um getröstetzu werden, als die von Gott, den Sie zweifellos hier finden werden, wo erdie Sünder zur Buße und die Büßer zur Heiligkeit erwartet, wie er esauch an allen Orten der Welt tut. Ich bin ihm in seiner ganzen Güte undMilde selbst inmitten unserer höchsten und rauhesten Berge begegnet,wo viele einfache Seelen ihn in aller Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeitlieben und anbeten, wo die Ziegen und Gemsen inmitten schrecklicherGletscher herumspringen und sein Lob künden. Wegen Mangels anFrömmigkeit habe ich leider nur hie und da ein Wort ihrer Spracheverstanden, aber mir schien, sie sagten viel Schönes. Ihr hl. Augustinushätte sie sicherlich verstanden, wenn er sie gesehen hätte.

Aber, meine liebe Tochter, soll ich Ihnen etwas erzählen, was michjetzt noch bis ins Innerste erbeben läßt vor Schrecken? Eine wahre Ge-schichte. Etwa acht Tage, bevor wir in die Gletscherregion kamen, liefein armer Hirte auf den Gletschern herum, um eine verirrte Kuh zusuchen, und fiel, da er nicht auf den Weg achtete, in eine Gletscherspaltevon 12 Spießen Tiefe. Man wüßte nicht, was aus ihm geworden ist, wennnicht sein Hut, der ihm beim Sturz vom Kopf gefallen war, am Rand derGletscherspalte liegengeblieben wäre und den Ort gekennzeichnet hät-

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te, an dem er verunglückte. O Gott! Einer seiner Nachbarn ließ sichabseilen, um ihn zu suchen, und fand ihn nicht nur tot, sondern fast ganzzu Eis erstarrt; und in diesem Zustand umarmte er ihn und schrie, manmöge ihn schnell hinaufziehen, sonst würde auch er zu Eis erstarren undsterben. Man zog ihn also mit seinem Toten in den Armen hinauf undbeerdigte den Toten.

Welche Stacheln für mich, meine liebe Tochter! Dieser Hirte, der sicheiner einzigen Kuh wegen auf ein so gefahrvolles Gelände begibt; dieserschreckliche Absturz im Eifer der Verfolgung, so daß er auf der Sucheeher schaute, wo die Kuh ihre Spuren hinterließ, als darauf achtete, woer sich befand und wo er selbst ging; diese Nächstenliebe des Nachbarn,der sich selbst hinabläßt, um seinen Freund dem Abgrund zu entreißen;sollte dieses Eis mich nicht entweder vor Furcht erstarren lassen oderaus Liebe zum Brennen bringen? ...

Es lebe Jesus und alles in ihm. Er hat mich unwiderruflich und unver-letzlich zu dem Ihren gemacht ...

Annecy, um den 25. November 1606.... Ich muß Ihnen etwas über mich sagen, denn Sie haben mich lieb,

wie sich selbst. Wir hatten in diesen vierzehn Tagen große Jubiläums-festlichkeiten wie überall in der ganzen Welt zum Pontifikatsantritt desPapstes (Paul V.) und für den Krieg in Ungarn.40 Das hat mich sehrbeschäftigt, aber auch erfreut, da ich eine Anzahl Generalbeichten undGewissenserneuerungen über das Meer meiner gewöhnlichen Aufgabenhinaus vornehmen konnte. Inmitten von all dem (das sage ich Ihnen)lebe ich aber in völliger Herzensruhe, entschlossen, mich weiterhin inaller Treue und mit aller Sorgfalt zur Ehre Gottes zu verwenden, zuerstbei mir selbst und dann in allem, was meine Pflicht ist. Mein Volk be-ginnt mich herzlich zu lieben, und das ist mir ein rechter Trost.

Alle die Ihren hier befinden sich wohl und ehren Sie in besondererWeise.

Annecy, 30. Dezember 1606.41

Es kommt mir vor, meine liebe Tochter, wenn ich Ihnen so wenigschreibe, als schriebe ich Ihnen überhaupt nicht, aber ich muß mich derNotwendigkeit beugen.

Da stehen wir nun am Ende des Jahres 1606 und ich finde, daß es sichwie Wasser am Strand verlaufen hat, ohne in meiner Seele etwas zurück-gelassen zu haben als Schmutz und einige kleine leere Muscheln von

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manchen eitlen Scheinfortschritten und wieder gewissen Wünschen ohneAuswirkung. Dennoch, meine sehr teure Tochter, verliere ich darübernicht den Mut und werde, solange mir Gott Jahre, Monate, Wochen,Tage und Stunden gibt, um in dieser Welt zu leben, immer auf die heiligeund glorreiche Ewigkeit der anderen Welt hoffen.

Und sind nicht Sie, meine liebe Tochter, ganz von Hoffnung erfüllt,einer lebendigen Hoffnung aber, die das Herz weitet und gegen dieSchwierigkeiten des Weges stärkt? Gewiß, meine Tochter, man mußschon ein großes, weites und weit aufgeschlossenes Herz haben, um denhimmlischen Tau empfangen zu können, den das kleine Unschuldslammbei dieser Beschneidung über unsere Seelen ausschüttet und von demseine weiße Wolle, sein Vlies und seine Menschheit ganz durchtränktsind. Denn wenn auch die Tropfen noch ganz klein sind, so werden siedoch nur von den Herzen aufgefangen, die gegen den Himmel sehr weitoffen sind. Sie haben gewiß sagen gehört, daß so die Perlmuttermu-scheln sich öffnen, um vom Tau zu leben, und den Wassern von obenebenso offenstehen, wie sie den Wassern der Tiefe gegenüber verschlos-sen sind ...

Ich bekenne meine Schuld, Ihnen diesen ganzen Monat Dezemberüber nicht geschrieben zu haben, weil ich einige Zeit in Sales bei meinerguten Mutter gewesen bin, die ein schweres Kreuz zu tragen hat, da sieschwerstens unter der Gicht an den Beinen leidet. Zurückgekehrt, über-fiel mich ein so heftiges Erbrechen und setzte mir so arg an der Brust zu,daß ich gezwungen war, einige Tage hindurch weder zu lesen noch zuschreiben, wodurch ich die Gelegenheit der nach Lyon reisenden Brief-übermittler ungenützt verstreichen lassen mußte. Dies alles aber hatnichts zu bedeuten, meine liebe Tochter; ich befinde mich nun wiederganz wohl und zwar so sehr, daß ich alle Gottesdienste der Weihnachts-nacht und des Weihnachtstages hielt und mein Befinden sich seither,Gott sei Dank, noch viel mehr gebessert hat.

Leben Sie frohgemut, meine liebe Tochter, und bewahren Sie Ihr Herzeinzig für Ihren Heiland. Ich flehe ihn an, unser Alles zu sein, daß wir ihmganz gehören mögen. Seine Majestät weiß wohl, wie alles umfassend meinWunsch in dieser Hinsicht ist, auch, daß Ihre Seele an allen Regungenmeiner Seele immer großen, wenn nicht vollständigen Anteil hat.

Ich bin immerdar und vorbehaltlos in ganz einzigartiger Weise derIhre in Ihm, dem wir immerdar ohne Ende und über alles Maß gehörenmöchten. Er sei ewiglich gepriesen. Amen ...

Am vorletzten Tag des Jahres 1606.

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Ich habe das Lied erhalten, das wohl schön, aber für den Katechismus-unterricht zu hoch ist. Gott befohlen, meine Tochter, alles, was mirgehört, gehört auch Ihnen, meine Mutter besonders. Es lebe Jesus!

Annecy, 20. Januar 1607.Mein Gott, der mein Herz sieht, weiß, wie sehr es erfüllt ist von vielen

heißen Wünschen für Ihren geistlichen Fortschritt, meine liebe Tochter.Ich bin wahrlich wie die Väter, die sich niemals zufriedengeben undnicht aufhören können, zu ihren Kindern darüber zu reden, wie sie grö-ßer werden können. Aber was soll ich Ihnen dazu sagen, meine liebeTochter? Seien Sie immer recht klein und werden Sie alle Tage in IhrenAugen noch kleiner. O Gott, was ist das doch für eine ganz große Größe,diese Kleinheit! Das ist wahre Größe der Witwen, aber auch der Bischö-fe. Ich beschwöre Sie, bitten Sie Gott ständig für mich, der dessen sosehr bedarf.

Mögen wir immerdar ans Kreuz geschlagen sein und mögen hundert-tausend Pfeile unser Fleisch durchdringen, wenn nur der Brandpfeil derGottesliebe unser Herz als erster durchbohrt. Möge dieser Pfeil unsseinen heiligen Tod sterben lassen, der mehr gilt als tausend Leben. Ichwill gleich dem Bogenschützen, der den Köcher trägt, darum bitten,durch Vermittlung des hl. Sebastian, dessen Fest wir heute feiern.

Halten Sie Ihr Herz in der Weite, meine liebe Tochter, und, sofern nurdie Liebe zu Gott Ihr Wunsch und sein Ruhm Ihr Streben ist, leben Sieimmer fröhlich und tapfer. O Gott, wie sehr wünsche ich doch, daß dasHerz des Erlösers König all unserer Herzen werde.

Ich kann nicht mehr schreiben; ich verbleibe der, von dem Gott ge-wollt, daß er der Ihre sei auf die Weise, die er allein weiß. Ihm sei ewig-lich Ehre und Ruhm (Röm 16,27). Amen ...

Annecy, 11. Februar 1607.42

... Mein Gott, wie tun Sie doch recht daran, Ihren Wunsch, aus derWelt fortzugehen, ganz in die Hände der göttlichen Vorsehung zu verle-gen, damit dieser Wunsch nicht unnötigerweise Ihre Seele beschäftige,wie er es zweifellos täte, ließe man ihn frei walten und nach Beliebenherumrumoren. Ich will fest daran denken und mehrere Heilige Messenaufopfern, um die Klarheit des Heiligen Geistes für meine Entschei-dung zu erlangen; denn sehen Sie, meine liebe Tochter, ein solcher Ent-schluß ist ein Meisterschlag, der mit dem Gewicht des Heiligtums ge-

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wogen werden muß. Beten wir zu Gott, flehen wir ihn an, uns seinenWillen kundzutun, bereiten wir unseren Willen und bleiben wir in Ruhe,ohne Ungestüm und ohne Erregung im Herzen. Bei unserem ersten Wie-dersehen wird uns Gott, wenn es ihm gefällt, barmherzig sein ...

Glauben Sie mir bitte, meine liebe Tochter, ich habe vor mehr als dreiMonaten daran gedacht, Ihnen zu schreiben, daß wir in dieser Fastenzeitgut daran täten, auf den modischen gebauschten Rock zu verzichten. Tunwir es also, da Gott es auch Ihnen eingibt; Sie werden auch ohne diesennicht aufhören, in den Augen Ihres Bräutigams und Ihrer Äbtissin gutdazustehen. Nach dem Beispiel unseres hl. Bernhard soll man recht nettund sauber sein, aber nicht auffallend und herausgeputzt. Die wahre Ein-fachheit ist Gott immer recht und angenehm.

Ich sehe, daß alle Jahreszeiten in Ihrer Seele aufeinanderstoßen; daßSie zuweilen den Winter mancher Trockenheit, Zerstreuung, manchesWiderwillens und Ärgers verspüren, dann wieder den Maientau mit demDuft der heiligen Blüten, oder die Sommerhitze des Wunsches, unseremlieben Gott zu gefallen. Bleibt nur mehr der Herbst, von dem Sie, wie Siesagen, nicht viel Früchte sehen. Aber es geschieht doch oft genug, daßman beim Dreschen des Getreides und beim Pressen der Weintraubenmehr Ertrag findet, als Ernte und Weinlese versprachen. Sie möchtenwohl, daß alles Frühling und Sommer sei; aber nein, meine liebe Toch-ter, Abwechslung tut not im Innern wie im Äußern. Erst im Himmelwird alles seiner Schönheit nach im Frühling sein, dem Ertrag nach imHerbst und der Liebe nach im Sommer. Dort wird es keinen Wintergeben. Aber hier ist der Winter erforderlich zur Übung der Selbstver-leugnung und tausend kleiner schöner Tugenden, die zur Zeit der Un-fruchtbarkeit geübt werden können. Machen wir immer unseren kleinenSchritt weiter, wenn wir nur die gute und fest entschlossene Liebe haben,können wir nicht anders als gut gehen.

Nein, meine sehr liebe Tochter, es ist nicht notwendig, daß man – umdie Tugenden zu üben – ständig aufmerksam auf alles achten müsse; dieswürde wahrlich zu sehr Ihre Gedanken und Affekte verwirren und ver-wickeln. Demut und Nächstenliebe sind die Hauptsaiten; alle anderensind ihnen hinzugefügt. Man muß sich nur an diese beiden halten; dieeine ist die tiefste, die andere die höchste. Die Erhaltung des ganzenBaues hängt vom Fundament und vom Dach ab. Wenn man sein Herz zurÜbung dieser beiden Tugenden anhält, wird man ohne große Schwierig-keit auch auf die anderen stoßen. Denn diese beiden sind die Mütter der

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Tugenden; die anderen folgen ihnen, wie die kleinen Kücken ihrer Mut-terhenne.

O wirklich, ich bin sehr dafür, daß Sie Schullehrerin seien! Gott wirdIhnen Dank wissen dafür, denn er liebt die kleinen Kinder (Mt 19,13-15). Wie ich neulich im Katechismusunterricht sagte, um unsere Da-men aufzumuntern, für ihre Töchter Sorge zu tragen, lieben die Schutz-engel der kleinen Kinder mit ganz besonderer Liebe jene, die ihre Kin-der in der Furcht Gottes erziehen und ihren zarten Seelen die heiligeFrömmigkeit einflößen; wie im Gegenteil unser Herr jenen, die denKindern Ärgernis geben (Mt 18,6.10), die Rache der Engel androht.Das ist also gut ...

Ich preise Gott dafür, daß Sie Ihre Prozesse ausgleichen wollen. Seitich von der Visitation zurück bin, war ich immer wieder so sehr be-drängt, Verhandlungen durchzuführen, daß meine Wohnung voll warvon streitenden Parteien, die sich, Gott sei Dank, zum Großteil wiederin Frieden und Ruhe zurückzogen. Jedoch bekenne ich, daß dadurchmeine Zeit verflattert; aber dagegen läßt sich nichts machen. Man mußsich den Nöten des Nächsten beugen.

Wie froh bin ich doch über die Heilung dieser guten Person, die voneiner unrechten Liebe ergriffen war und eine gefährliche Freundschaftpflegte. Das sind Krankheiten, vergleichbar einem leichten Fieber: siehinterlassen eine gute Gesundheit.

Ich will zu unserem Herrn an seinem Altar über unsere Angelegen-heiten sprechen; danach werde ich den Brief fertig schreiben.

Nein, Sie handeln nicht gegen den Gehorsam, wenn Sie Ihr Herz nichtso oft zu Gott erheben und meine Ihnen erteilten Ratschläge nicht sobefolgen, wie Sie es wünschen. Das sind zwar gute und für Sie geeigneteRatschläge, aber keineswegs Befehle. Wenn man befiehlt, verwendet manunmißverständliche Ausdrücke. Die Ratschläge erfordern nur, daß mansie nicht geringschätzt und daß man sie liebt, das ist schon genug; abersie verpflichten in keiner Weise. Mut, meine Schwester, meine Tochter,bringen Sie Ihr Herz in dieser heiligen Fastenzeit recht in Glut! ...

Das Leben unserer guten Dorfbewohnerin konnte ich noch nicht fürdie Reinschrift durchsehen; damit Sie aber über alles, was ich tue, Be-scheid wissen, schreibe ich in jeder freien Viertelstunde das wunderbareLeben einer Heiligen,43 von der Sie noch nichts gehört haben, und ichbitte Sie auch, kein Wort darüber zu verlieren. Das ist aber eine langwie-rige Arbeit, die ich nicht auf mich zu nehmen gewagt hätte, wenn nichteinige der mir am meisten Vertrauten mich dazu gedrängt hätten. Wenn

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Sie kommen, werden Sie schon ein gutes Stück davon sehen. Ich könntedem Leben unserer guten Dorfbewohnerin darin ein kleines Plätzchenzuweisen; denn dieses Leben wird mindestens zweimal so groß werdenwie das große Leben der Mutter Theresia;44 aber – wie bereits gesagt –wünsche ich, daß darüber nichts bekannt wird, bevor die Arbeit ganzfertig ist, und ich habe doch erst damit angefangen. Ich tue das, um michzu erholen und, wie Sie es tun, auf meinem Spinnrocken zu spinnen ...

Was soll ich Ihnen nun sagen? Ich komme gerade vom Katechismus-unterricht, wo wir heute mit unseren Kindern ein wenig übermütig wa-ren und damit die Anwesenden zum Lachen brachten, indem wir unsüber Masken und Bälle lustig machten. Denn ich war recht gut aufgelegtund eine große Zuhörerschaft ermutigte mich durch ihren Beifall, auchweiterhin Kind mit den Kindern zu sein. Man sagt, das stünde mir gutan, und das glaube ich auch. O Gott, mache mich wahrhaft zum Kind anUnschuld und Einfachheit! Aber bin ich nicht auch wirklich einfältig,Ihnen das zu schreiben? Es läßt sich nicht ändern, Sie sollen mein Herzsehen, so wie es ist, und in der Vielfalt seiner Regungen, damit Sie, wieder Apostel sagt (2 Kor 12,6), „nicht mehr in mir sehen, als in mir ist.“

Leben Sie froh und tapfer, meine liebe Tochter! Es gibt doch keinenZweifel, daß Jesus Christus unser ist. „Ja“, hat mir vor kurzem ein klei-nes Mädchen geantwortet, „er gehört mir mehr, als ich ihm gehöre, undsogar mehr, als ich mir selbst gehöre.“ So will ich jetzt ihn, den gütigenJesus, ein wenig in meine Hände nehmen, um ihn bei der Prozession derFranziskanerbruderschaft zu tragen, und ich werde ihm mit Simeon dasNunc dimittis (Lk 2,29-32) sagen: Wie ich wahrhaft, sofern es nur anmir liegt, mich nicht sorge, in welche Welt ich gehe. Ich werde ihm vonIhrem Herzen erzählen und, glauben Sie mir, ihn von ganzem Herzenanflehen, er möge Sie zu seiner lieben, geliebten Magd machen. Ach,mein Gott, wie sehr bin ich doch dem Heiland zu Dank verpflichtet, daßer uns so sehr liebt, und wie sehr möchte ich ihn umfassen und an meinHerz drücken! Damit meine ich auch Ihr Herz, da er gewollt hat, daßwir so unzertrennlich in ihm eins seien.

Gott befohlen, meine sehr liebe, gewiß ganz liebe Schwester und Toch-ter. Jesus sei immerdar in unseren Herzen, auf daß er darin ewiglichlebe und herrsche; sein heiliger Name und auch der seiner hochheiligenMutter sei immerdar gepriesen. Es lebe Jesus und die Welt möge ster-ben, wenn sie nicht für Jesus leben will. Amen ...

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Annecy, 5. April 1607.Ungewißheit45 wäre mir ärgerlich, wenn Gott nicht wollte, daß ich

mich darin befände. Ich werde Ihnen die Entscheidung so bald als mög-lich schreiben.

Ich denke auch, daß Sie sich nun freihalten sollen, damit Sie, wennGott es will, zu der von uns festgesetzten Zeit kommen können; zumin-dest zu einer Zeit, die wir noch festsetzen werden. Ich schreibe Ihnengleich jetzt einen zweiten Brief nach Dijon, damit – wenn der eine Siespät erreicht – der andere wenigstens einen Ersatz für das Warten bietenkönnte.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, der ich so viel Gutes wünscheund der Gott mich so einzigartig gegeben hat. Der gütige Jesus sei im-merdar das Herz unserer Herzen und sein heiliger Name sei auf immergepriesen. Ich bin Ihr Diener ...

Es lebe Jesus!

Annecy, 5. April 1607.... Sehen Sie, meine liebe Tochter, Sie wissen wohl, daß Fastenzeit

Erntezeit der Seelen ist. Seit ich Bischof bin, habe ich noch nie, außer indiesem Jahr, die Fastenzeit in dieser lieben Stadt gefeiert, ausgenom-men im ersten Jahr, als man beobachtete, was ich tun würde. Ich hattedamals Mühe genug, Haltung einzunehmen und die Aufgaben der Di-özese im allgemeinen zu bewältigen, die mir ganz frisch zugefallen wa-ren. Jetzt aber müssen Sie wissen, daß ich ein wenig Ernte halte mitTränen, teils der Freude, teils der Liebe. O mein Gott, wem soll ich dieseDinge berichten, wenn nicht meiner lieben Tochter?

In unseren heiligen Netzen habe ich nun endlich einen Fisch gefun-den, den ich seit vier Jahren ersehnt hatte.46 Ich muß in Wahrheit geste-hen, daß es mich gefreut hat, ja überaus gefreut hat. Ich empfehle sieIhren Gebeten, damit unser Herr in ihrem Herzen die Vorsätze festige,die er hineingelegt hat. Es ist eine ganz goldene Seele, die sich überauseignet, ihrem Heiland zu dienen. Wenn sie so weitermacht, wird sie reifeFrucht bringen.

Seit sieben bis acht Tagen habe ich nicht an mich gedacht und habemich nur oberflächlich gesehen, weil so viele Seelen sich an mich ge-wandt haben, damit ich sie sehe und ihnen diene, so daß ich gar keineZeit hatte, an meine eigene Seele zu denken. Um Sie zu trösten, muß ichIhnen die Wahrheit sagen, daß ich sie dennoch ganz tief in meinemHerzen spüre, wofür ich Gott preise; wahrhaftig, diese Art von Arbeit

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ist mir unendlich von Nutzen. Möge sie auch jenen von Nutzen sein, fürdie ich sie auf mich nehme.

Leben Sie, meine liebe Tochter, in dieser heiligen Leidenszeit mitunserem gütigen Heiland in Ihren Armen; möge er immerdar an IhremHerzen ausruhen, wie ein heiliger Myrthenstrauß (Hld 1,12); das wirdIhnen das wirksamste Heilmittel für alle Erregungen Ihres Herzens sein.O, heute morgen (denn das muß ich Ihnen noch sagen), als ich demVater seinen Sohn zeigte, sagte ich ihm in meiner Seele: „O ewiger Va-ter, ich bringe Dir Dein Herz dar; nimm ihm zuliebe auch unsere Her-zen an.“ Ich nannte da Ihr Herz und das jener jungen Dienerin Gottes,von der ich sprach, und noch mehrere andere. Ich wußte nicht, welchender Namen ich an die Spitze stellen sollte, den neuen auf Grund seinerBedürftigkeit oder den Ihren auf Grund meiner Zuneigung. Denken Sie,welch ein Zwiespalt!

Nun aber bleiben Sie immer in Frieden in den Händen des Heilands, derSie überaus liebt und dessen Liebe allein uns als allgemeiner Treffpunktdienen soll für all unsere Freuden – diese heilige Liebe, meine Tochter, inder unsere Liebe gegründet ist, Wurzel faßt, wächst und von der sie genährtwird, und so ewiglich vollkommen und von Dauer sein wird.

Ich verbleibe der, den Gott Ihnen unwiderruflich gegeben hat, ...

Annecy, 14. April 1607.O meine ganz teure Tochter, da stehen wir nun am Ende der heiligen

Fastenzeit und feiern die glorreiche Auferstehung. Ach, wie sehr wün-sche ich doch, daß wir mit unserem Heiland auferstanden seien! Ich willihn darum anflehen, wie ich es täglich tue; denn niemals wandte ich dieKommunion kräftiger Ihrer Seele zu als in dieser Fastenzeit und miteinem besonderen Gefühl des Vertrauens auf diese unermeßliche Güte,auf daß sie uns gewogen sei. Ja, meine liebe Tochter, wir müssen wohlguten Mut haben.

Es ist nur gut, wenn Ihr geduldiges Ertragen der häuslichen Wider-wärtigkeit als Verstellung47 ausgelegt wird. Glauben Sie denn, daß ichvon derartigen Angriffen verschont bleibe? Aber in aller Wahrheit, ichlache nur darüber, wenn ich mich daran erinnere, was recht selten ge-schieht. O Gott, warum bin ich nicht auch anderen Geschehnissen undbösen Eingebungen gegenüber so unempfindlich, wie ich es gegen Be-leidigungen und eine schlechte Meinung über mich bin! Sie sind freilichnicht so peinigend und auch nicht so häufig; aber ich meine doch, daß

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ich, selbst wenn ihrer mehr wären, durch den Beistand des HeiligenGeistes darob nicht erstaunt wäre. Nur Mut, meine ganz liebe und viel-geliebte Tochter, gerade das tut uns not: daß unser bißchen Salböl vonder Nase der Welt als stinkend empfunden werde.

Gott befohlen, meine sehr liebe Tochter, Gott gehören wir in Zeit undEwigkeit; mögen wir doch immerdar unsere kleinen Kreuze mit seinemschweren vereinigen.

Gestern (denn das muß ich Ihnen noch erzählen), hielt ich nach derStadtpredigt, der ich beiwohnte, vor unseren Schwestern der hl. Klara,die mich so sehr darum gebeten hatten, eine Passionspredigt. Als ich inder Betrachtung zu der Stelle kam, wo man das Kreuz auf die Schulternunseres Herrn legte und er es auf sich nahm, sagte ich, daß er in und mitseinem Kreuz all unsere kleinen Kreuze anerkannte und auf sich nahmund daß er sie alle küßte, um sie zu heiligen. Als ich näher ausführte, daßer unsere Trockenheiten, unsere Widerwärtigkeiten und Bitterkeitenküßte, wahrlich, meine Tochter, da wurde ich stark getröstet und hatteMühe, den Tränen zu wehren. Warum ich Ihnen dies sage? Ich weiß esnicht, außer daß ich mich nicht zurückhalten konnte, es Ihnen zu sagen.Ich fand viel Trost an dieser kleinen Predigt, der außer den Insassen desKlosters 25 oder 30 fromme Seelen der Stadt beiwohnten. So hatte ichalle Freiheit, meinen armen und geringen Empfindungen über einen sowürdigen Gegenstand freien Lauf zu lassen. Der gute und gütige Jesussei immerdar der König unserer Herzen. Amen.

Ich liebe unseren Celse-Benigne und die kleine Françon. Gott mögeimmerdar ihr Gott sein (Ex 6,7; 29,45 f) und der Engel, der ihre Muttergeführt hat, möge sie immerdar segnen (Gen 48,16). Ja, meine Tochter,denn das war ein großer Engel, der Ihnen Ihre guten Wünsche eingege-ben hat; möge er Ihnen auch die Ausführung und Beharrlichkeit dazuschenken (Phil 2,13)!

Es lebe Jesus, der mich ganz zu dem Ihren gemacht hat und als sol-chen auf immer bewahrt ...

Am Karsamstag 1607.

Annecy, 20. April 1607.Gott will also, meine sehr liebe Tochter, daß ich Sie zu Pfingsten

sehen werde und hier in Annecy, wo ich mich trotz des Jubiläums vonThonon zu dieser Zeit befinden und mindestens 15 ganze Tage bleibenwerde, um nachher zum Abschluß des erwähnten Jubiläums zurückzu-kehren, wo sich, wie man sagt, auch Ihre Hoheit befinden wird. Aber Sie

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müssen wissen, meine liebe Tochter, daß dieser Entschluß erst gesterngefaßt wurde, und gegen alle Hoffnung, aber so sehr nach meinemWunsch, daß ich nichts sehnsüchtiger wünschen könnte; darum sageich, daß Gott es will.

Der Überbringer dieses Briefes hat mir versprochen, Ihnen diesenBrief noch in diesem Monat zukommen zu lassen, so daß Sie Zeit genugfür Ihre Reisevorbereitungen haben. Ich bitte Sie, mir über Lyon zuschreiben, sobald Sie diese Nachricht erhalten haben, damit ich Sicher-heit darüber habe, was Sie tun werden, und über den Tag, an dem ich Siein Saint Claude treffen soll, oder zumindest ungefähr. Und doch werdeich Ihnen am 1. Mai noch Claude schicken, um noch mehr Gewißheitdarüber zu haben; denn es liegt mir überaus am Herzen.

Ich meine, daß ich Sie bereits in unserem kleinen Städtchen und inmeiner kleinen Herberge sehe. Indessen will ich unseren großen Gottbitten, er möge mir seine heilige Erleuchtung schenken, damit ich Ihnenin dieser Angelegenheit gut dienen kann, derentwillen Sie so viel Müheund Schwierigkeiten haben werden. Die Dame, über die ich Ihnenschrieb,48 macht sehr schöne Fortschritte. Sie hat mich so sehr gebetenwie nichts sonst, sie zu Ihrem Empfang vom Land hereinkommen zulassen.

Gott befohlen, meine sehr liebe Tochter, ich bin arg im Gedränge. Eslebe Jesus immerdar! Amen.

Der, den Gott Ihnen so einzigartig gegeben hat ...Am Freitag in der Osterwoche 1607.Ich vermag nicht zu sagen, mit welcher Liebe meine Mutter Sie er-

wartet.

Annecy, Ende April oder 1. Mai 1607.Meine sehr liebe Tochter!... Glauben Sie mir, Gott wird in Ihrer Reise und in Ihrem Kommen

verherrlicht, umso mehr, als er allein es zustandegebracht und mir alleHindernisse weggeräumt hat, die ich gegen eine so baldige Reise vormeinen Augen hatte. Bevor Sie aber abreisen, erbitten Sie den Segen desHerrn Bischofs von Autun, wenn möglich mit der Erlaubnis, die Abläs-se zu gewinnen, die Ihnen von den Bischöfen unterwegs gewährt werden.Obwohl das nicht unbedingt notwendig ist, ist es doch gut.

Kommen Sie, kommen Sie also, meine ganz liebe Tochter; Ihr Schutz-engel bleibe immerdar an Ihrer Seite, um Sie glücklich zu geleiten! Eswird Sie freuen, meinen bescheidenen Haushalt und meine einfache

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Lebensweise in allem zu sehen und auch unser schönes Chorgebet zuerleben, in dem mein Domkapitel hervorragt.

Gott befohlen also bis dahin, meine sehr liebe Tochter. In dieser Zeitund in Ewigkeit wollen wir Gott angehören und nur ihm, denn außer-halb und ohne ihn wollen wir nichts, nicht einmal uns selbst, die ja auchaußerhalb und ohne ihn nur ein wahres Nichts sind.

Annecy, 2. Juli 1607.Ich denke, daß Sie jetzt schon nach Hause zurückgekehrt sind, meine

sehr liebe Tochter, denn jetzt sind es gerade acht Tage seit Ihrer Abreise.Ich will nun durch diesen Brief und im Geiste Sie wiedersehen und Sieum Nachricht über den Verlauf Ihrer Reise bitten. Ist es Ihnen gut ge-gangen, meine liebe Tochter? Sind Sie nicht unterwegs unserem Hei-land begegnet? Denn er erwartet Sie überall. Sie haben ihn gewiß getrof-fen, daran zweifle ich keineswegs. Ich habe ihn sehr oft darum gebeten,wenn auch recht gefühlskalt, entsprechend meinem üblichen Elend,besonders aber bei der Heiligen Messe und bei unserer Abendandacht,bei den Litaneien zu Unserer lieben Frau und Herrin; ich habe Sie ihmans Herz gelegt und Sie allen unseren Priestern empfohlen, damit siemein eigenes Ungenügen ersetzen.

Gestern, meine liebe Tochter, war ich beim Hochamt so erfreut, dieseWorte singen zu hören: „Wer von diesem Brot ißt, wird leben in Ewig-keit“ (Joh 6,59); und das wurde oft wiederholt. O Gott, kam mir in denSinn, vielleicht ißt diese Tochter gerade jetzt von diesem Brot. Darübererfüllte eine gewisse wachsende Hoffnung für Sie meinen ganzen Geistmit recht großer Freudigkeit. Ja, meine gute Tochter, das müssen wirganz sicherlich erhoffen, daß wir ewig leben werden. Und was täte unserHerr mit seinem ewigen Leben, wenn er nicht davon den armen, kleinenund schwachen Seelen gäbe?

Unser guter Pater Bonivard reiste gestern ab. Er hat in rein gefühls-mäßiger Übereinstimmung die Wahl, die ich für Sie getroffen habe,49

überaus gebilligt. Was mich betrifft, so fühle ich, daß sie sich in meinerSeele immer mehr festigt. Da wir nach soviel Überlegungen, Gebetenund Opfern unsere Entschlüsse getroffen haben, erlauben Sie IhremHerzen nicht, anderen Wünschen nachzuhängen. Preisen Sie Gott fürdie Vortrefflichkeit anderer Berufungen, halten Sie sich aber demütigan diese, die viel niedriger und weniger ehrenvoll, aber viel mehr IhrerFähigkeit entsprechend und Ihrer Kleinheit würdiger ist. Verharren

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Sie also einfach in diesem Entschluß, ohne nach links und rechts zuschauen.

Nun, meine liebe Tochter, bin ich sehr in Eile und muß diesen Briefschließen. Ich befinde mich wohl. Ich werde trachten, auf meine Ge-sundheit zu achten und den Dienst an unserem gemeinsamen Meistermehr zu lieben. Alles hier, was Sie lieben, befindet sich wohl.

Mein Gott, meine liebe Tochter, geben Sie Ihrem Herzen Weite, las-sen Sie es oft in den Armen der göttlichen Vorsehung ausruhen! Mut,Mut, Jesus gehört uns! Mögen immerdar unsere Herzen ihm gehören.Er hat mich, meine liebe Tochter, einzigartig und unverbrüchlich zudem Ihren gemacht und macht mich, scheint es mir, alle Tage noch mehrdazu, zumindest fühlbarer und freudiger, ganz und gar, in allem undvorbehaltlos, in ganz einziger und unverletzlicher Weise, aber in ihmund durch ihn, dem Ehre und Ruhm sei von Ewigkeit zu Ewigkeit (Röm16,27), ebenso seiner heiligen Mutter. Amen ...

Empfehlen Sie mich Ihrem Schutzengel und unserer hl. Marta.50

Thonon, 7. Juli 1607.O mein Gott, wie sehr wünsche ich Ihnen doch Trost, meine liebe

Tochter! Das heißt, wenn es seiner göttlichen Majestät gefällt; denn wenner Sie auf dem Kreuz will, so stimme ich dem bei. Und Sie auch, meinesehr liebe Tochter, nicht wahr? Ja, zweifellos. Sind aber die KreuzeGottes nicht süß und trostvoll? Ja, wenn man daran stirbt, wie es derHeiland tat. Sterben wir also dort, meine liebe Tochter, wenn es so seinsoll.

Ärgern wir uns nicht bei den Stürmen und Wettern, die manchmalunser Herz aufstören und es seiner angenehmen Ruhe berauben. Demü-tigen wir uns bis ins Tiefste unseres Geistes hinein; lassen wir ruhig alleDinge umstürzen, wenn nur unser so teurer Glaubensgeist in Treue ver-harrt, und leben wir im Vertrauen. Wenn auch alles in uns stürbe, waskümmert es uns, vorausgesetzt, daß Gott in uns lebt! Vorwärts denn,vorwärts meine Tochter, wir sind auf dem rechten Weg! Schauen Sieweder nach rechts noch nach links; nein, dieser Weg ist der beste für uns.Halten wir uns nicht damit auf, die Schönheit anderer Wege zu betrach-ten, grüßen wir bloß jene, die darauf wandern, und sagen wir ihnen ein-fach: Gott führe uns alle, damit wir uns in der ewigen Heimat wiederse-hen!

Sie können gar nicht glauben, wie sehr mein Herz in unseren Ent-

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schlüssen bestärkt wird und wie alles zu dieser Bestärkung beiträgt. Ichempfinde darüber eine außerordentliche Freude, wie auch über die Lie-be, die ich zu Ihnen hege; denn ich liebe unvergleichlicherweise dieseLiebe. Sie ist stark, ohne Wanken, ohne Maß und ohne Vorbehalt, aberköstlich, leicht, ganz rein, ganz ruhig; kurz, wenn ich mich nicht täu-sche, ganz in Gott. Warum also sollte ich sie nicht lieben? Aber wohinkomme ich? Ja, ich werde diese Worte nicht auslöschen; sie sind ganzwahrhaftig und ungefährlich. Gott, der in die innersten Falten meinesHerzens sieht, weiß, daß nichts darin ist, was nicht für ihn und seinemWillen entsprechend ist. Ich will mit Hilfe seiner Gnade ohne ihn nie-mand etwas sein und niemand soll auch mir etwas sein. In ihm aber willich diese einzigartige Zuneigung nicht nur bewahren, sondern auch rechtliebevoll nähren. – Ich muß aber bekennen, daß mein Geist mir da durch-gegangen ist, ich hatte ihm nicht erlaubt, sich so zu verströmen. Manmuß ihm diesmal verzeihen, unter der Bedingung, daß er nichts mehrdarüber sagt.

Sie fragten mich, ob Sie nicht zu oft von Ihrem verstorbenen Gattensprachen. Was soll ich Ihnen sagen, meine liebe Tochter? Ich erinneremich nicht daran. Jetzt aber, nachdem ich darüber nachgedacht habe,sage ich Ihnen, daß keine Gefahr darin besteht, bei einer sich bietendenGelegenheit darüber zu sprechen, denn das bezeugt nur das Gedenken,das Sie ihm schulden. Ich glaube aber, wenn die Rede auf ihn kommt,wäre es besser, hierüber ohne solche Worte und Seufzer zu sprechen, dieeine an der körperlichen Gegenwart hängende und an sie gebundeneLiebe bezeugten. Statt zu sagen: „Mein armer verstorbener Mann“, wür-de ich daher sagen: „Mein Mann, dem Gott barmherzig sei.“ Und sagenSie diese Worte mit einem Empfinden von Liebe, die zwar durch dieZeit nicht abgeschwächt, wohl aber durch die höhere Liebe befreit undgeläutert wurde. Ich denke, daß Sie mich gut verstehen, denn Sie verste-hen mich immer gut ...

Halten Sie Ihr Herz fest und durch völliges Vertrauen auf seine heili-ge Vorsehung zu Gott hoch erhoben. Sie hat Ihnen zweifellos nicht denWunsch, ihr zu dienen, verliehen, ohne Ihnen zugleich alle Mittel an dieHand zu geben, es auch zu tun. Demütigen Sie sich recht kräftig, meineliebe Tochter, aber mit einer sanften und nicht ungestümen Demut; dennauch hierin kann es ein ungestümes Hasten geben.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, ich schreibe Ihnen nicht in allerRuhe, sondern ich habe meine Feder bis hierher in Eile geführt, teils vorder Heiligen Messe, teils nachher. Mögen wir Gott immerdar, ohne Ende,

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ohne Maß und ohne Vorbehalt angehören! Beten Sie oft für jenen, dernicht beten kann, ohne Sie an seinen Gebeten teilhaben zu lassen, undder sein Heil nicht mehr anstrebt als das Ihre. Bewahren Sie Ihre Gelüb-de und Entschlüsse, halten Sie sie im Grunde Ihrer Seele geborgen. Wirsind reich genug, wenn dieser Schatz uns bleibt, wie es unfehlbar seinwird mit Hilfe Gottes, der mich immer machtvoller und unverbrüchli-cher zu dem Ihren gemacht hat. Amen. Es lebe Jesus! ...

Thonon, 10. Juli 1607.Gestern fuhr ich in einem kleinen Boot über den See, um den Herrn

Erzbischof von Vienne zu besuchen, und es freute mich sehr, keinenanderen Halt zu haben als ein drei Finger starkes Brett, auf das ich michohne die heilige Vorsehung nicht verlassen konnte; und es hat michauch sehr gefreut, unter dem Gehorsam des Fährmanns zu stehen, deruns sitzen und stillhalten hieß, ohne uns zu rühren, wie es ihm gutdünk-te; und ich habe mich wirklich nicht gerührt. Geben Sie aber, meineTochter, diesen Worten keine große Bedeutung. Nein, es sind nur kleinePhantasien über Tugenden, die mein Herz zu seiner Erholung übt; dennich weiß wohl, daß ich nicht so tapfer bin. Ich muß Ihnen dies doch inaller Einfachheit und Schlichtheit schreiben.

Gott befohlen, meine sehr liebe Tochter, Gott, den ich anbete, dermich so einzigartig und innig zu dem Ihren gemacht hat; immerdar seisein Name gepriesen und der seiner heiligen Mutter.

Ich dachte gestern auch an die hl. Marta, wie sie mit Magdalena ineinem kleinen Boot ausgesetzt war; Gott war ihr Lotse, um sie in unse-rem Frankreich landen zu lassen.

Nochmals Gott befohlen, meine liebe Tochter, leben Sie ganz fröh-lich, ganz beständig unserem lieben Jesus. Amen.

Viuz-en-Sallaz, 20. Juli 1607.Heute ist das Fest der hl. Margareta, meine sehr liebe Tochter, und ich

habe soeben die Heilige Messe für Sie gefeiert. Ich kann immer „für Sie“sagen, meine Tochter, denn Sie nehmen darin einen so einzigartigen undbesonderen Rang ein, daß es mir beinahe scheint, es geschehe nur fürSie. Nun, ich habe mir in meinen Wünschen ein Bild von Ihnen ge-macht, wie man die Heilige des Tages darstellt. O mein Erlöser, sagteich, diese Tochter, die Du mir so einzigartig anvertraut hast, möge im-merdar den Höllendrachen tot und vernichtet zu ihren Füßen liegen

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sehen, Dein Kreuz fest an die Brust gedrückt und ihre Augen zum Him-mel erhoben, wo Du bist. – Wünsche ich Ihnen, meine liebe Tochter,nicht alles, was man wünschen kann?

Nein, wundern Sie sich über nichts; machen Sie sich über die Angriffedes bösen Feindes lustig; ich meine, diese Angriffe, die Sie mir währendIhres Hierseins beschrieben haben. Nehmen Sie immer Zuflucht zu un-seren großen und unverletzlichen Entschlüssen, unseren Gelöbnissenund Weihen. Erschrecken wir nicht über seine Sturmsignale; er kannuns nichts Böses antun. Darum will er uns zumindest Angst machen,durch diese Angst uns beunruhigen, durch die Beunruhigung müde ma-chen und durch die Müdigkeit uns dazu bringen, daß wir alles fallenlassen. Aber seien wir es zufrieden, wie kleine Kücken unter die Flügelunserer lieben Mutter geflüchtet zu sein. Fürchten wir nichts, außerGott, und ihn mit einer Furcht voll Liebe; halten wir unsere Türen festverschlossen; achten wir darauf, daß die Mauern unserer Entschlüssenicht gerammt werden, und leben wir dann in Frieden. Lassen wir denbösen Feind uns umschleichen und um uns seine Kreise ziehen; mag ermit aller Kraft des Bösen toben, er vermag doch nichts. Glauben Siemir, meine liebe Tochter, quälen Sie sich nicht ab wegen all der Vorstel-lungen, die der Feind Ihnen eingibt. Man muß nur ein wenig Geduldhaben, um sein Lärmen und Poltern an den Ohren unseres Herzens zuerdulden; darüber hinaus kann er uns nichts schaden.

Wissen Sie, meine liebe Tochter, was mir da einfällt? Ich meine gera-de jetzt, denn ich bin eben fröhlich aufgelegt. Ich bin hier in Viuz aufeinem Besitztum unseres Bistums. Von altersher waren die Untergebe-nen durch eine ausdrückliche Verordnung verpflichtet, während derNachtruhe des Bischofs die Frösche der umliegenden Gräben und Sümp-fe zum Schweigen zu bringen. Dies scheint mir ein hartes Gesetz und ichwill es für mich nicht in Anspruch nehmen. Mögen die Frösche quaken,soviel sie wollen; wenn nur die Kröten mich nicht beißen, dann will ichihretwegen nicht aufhören zu schlafen, wenn ich Schlaf habe. Nein, mei-ne liebe Tochter, auch wenn Sie hier wären, würde ich nichts unterneh-men, um die Frösche zum Schweigen zu bringen; ich würde Ihnen abersagen, sie nicht zu fürchten, nicht darüber unruhig zu werden und nichtan ihr Quaken zu denken. Mußte ich Ihnen das nicht sagen, damit Siesehen, daß ich zum Scherzen aufgelegt bin?

Drücken Sie nur das Kreuz unseres Herrn an Ihre Brust! Erneuern Sieruhig und durch positive Akte unsere Entschlüsse! Strengen Sie sichnicht an, den Hochmut zu zerstören, versuchen Sie vielmehr, die Demut

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durch positive Übung zu sichern; und zweifeln Sie nicht, denn solangeSie das Kreuz in Ihren Armen halten, wird der Feind immer unter IhrenFüßen sein.

Richten Sie Ihre Augen zum Himmel. Ja, meine liebe Tochter, haltenSie sich stark an die göttliche Vorsehung; sie möge aus Ihnen machen,was sie will, und ebenso aus allem, was Ihnen gehört. Mein Gott, meineTochter, welchen Trost finde ich doch in der Gewißheit, uns ewiglichverbunden zu sehen in dem Willen, Gott zu lieben und zu preisen! Mögeseine göttliche Vorsehung uns führen, wie es ihr am besten erscheint;doch ich hoffe, ja ich bin sicher, daß wir in diesem Zeichen zum Zielkommen und diesen Hafen erreichen werden. Es lebe Gott! Meine liebeTochter, ich habe dieses Vertrauen. Seien wir fröhlich in diesem Dienst,ich bitte Sie: fröhlich ohne Ausgelassenheit und unerschrocken ohneÜberheblichkeit; fürchten wir, ohne in Unruhe zu geraten, seien wirsorgfältig, ohne hastig zu werden.

Ich mache Schluß, meine Tochter, und beende das Gespräch, zu demmich mein Herz mächtig mitreißt. Ich bin der Ihre in unserem Herrnund zwar in ganz unvergleichlicher Weise. Es lebe Jesus! Amen ...

Viuz-en-Sallaz, 24. Juli 1607.Erst am vergangenen Sonntag, dem Tag der hl. Magdalena, erhielt ich

plötzlich Ihre Briefe vom 4. und 12. dieses Monats. Welch eine großeFreude mir das war, meine liebe Tochter, können Sie gar nicht glauben.Ich weiß nicht, wieso, aber am Morgen fühlte sich mein Geist im Gebetsehr hingezogen, Sie unserem Heiland zu empfehlen, den ich – so schienes mir – frohen Sinnes bei Simon dem Aussätzigen weilen sah (Lk 7,36-38). Aus Hochachtung vor unserer lieben Magdalena wagten wir nicht,uns zu seinen Füßen niederzulassen, sondern zu den Füßen seiner heili-gen Mutter, die sich – wenn ich mich nicht täusche – auch da befand.Und ich war recht betrübt, daß wir weder so viel Tränen, noch solcheduftende Salben hatten wie diese heilige Büßerin. Unsere liebe Fraubegnügte sich aber mit den wenigen Tränentropfen, die auf den Saumihres Gewandes fielen, denn wir wagten nicht, ihre heiligen Füße zuberühren. Etwas tröstete mich sehr: Nach dem Mahl übergab unser Herrseine teure Bekehrte Unserer lieben Frau. Sie sehen auch, seither bliebMaria Magdalena fast immer bei ihr, und die heilige Jungfrau war dieserSünderin überaus zärtlich zugetan. Das gab mir doch viel Mut und ichempfand unendliche Freude darüber.

Nun habe ich zwar nicht Zeit, Ihre Briefe eingehend zu beantworten,

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ich will nur etwas zu diesem und jenem sagen. Nein, meine Tochter,zeichnen Sie nicht auf diese Weise jeden geringsten Ihrer Fehler auf,sondern beachten Sie diese nur im großen und ganzen; denn das genügtüberaus, um sich dem zu erkennen zu geben, dem Sie es zu tun wün-schen, und zu Ihrer Seelenführung.

Es ist nicht nötig, jene zu nennen, für die Sie die Heiligen Messenlesen lassen wollen; es genügt, daß den Betreffenden durch Ihre Absichtdieses göttliche Gut zugewendet wird.

Große und weite Reisen sind Ihrem Geschlecht weder nützlich, nochdienen sie dem Nächsten zur Erbauung, im Gegenteil, man spricht da-von, man legt es als Leichtfertigkeit aus, man murrt gegen die geistlichenVäter. Es ist nicht mehr die Zeit unserer hl. Paula und Melania; bleibenwir dabei! Wir werden genug zu tun haben, unsere Entschlüsse zur Aus-führung zu bringen, die mich immer mehr erfreuen, und ich sehe, wiedies immer mehr zur Ehre Gottes gereicht, von dessen Vorsehung alleinich deren Erfüllung erhoffe.

Ich weiß nicht, ob Sie mich gut kennen; ich denke es wohl für vieleBereiche meines Herzens. Ich bin kaum klug, und das ist eine Tugend,die ich nicht allzusehr liebe. Nur notgedrungen liebe ich sie, weil sienotwendig, ja ich sage, sehr notwendig ist, und daraufhin gehe ich inaller Ruhe voran im Schutz der Vorsehung Gottes. Nein, wahrhaftig, ichbin keineswegs einfach, aber ich liebe überaus die Einfachheit. Um dieWahrheit zu sagen, gefallen mir die armen, kleinen und weißen Täub-chen viel besser als die Schlangen: und wenn man die Eigenschaften dereinen zu denen der anderen gesellen soll, so möchte ich keineswegs dieEinfachheit der Taube der Schlange geben, denn die Schlange würdenicht aufhören, Schlange zu sein; aber ich würde die Klugheit der Schlan-ge der Taube schenken, denn diese würde dadurch nicht aufhören, schönzu sein.

Also vorwärts denn zu dieser heiligen Einfachheit, die eine Schwesterder Unschuld, eine Tochter der Liebe ist. Indessen finde ich in dem Akt,den Sie mir aufzeigen, nicht viel Doppelzüngigkeit; zumindest ist esnicht in schlechtem Sinn doppelzüngig, denn was erhofften Sie für sichdadurch, wenn Sie erzählten, daß der gute Herr Graf fastete? Ärgerlichist die Doppelzüngigkeit, wenn einer guten Tat eine schlechte oder nich-tige Absicht unterlegt wird. Schreiben Sie mir also von diesen Doppel-züngigkeiten, was Sie am meisten ärgert. Ich will versuchen, Sie darüberaufzuklären, denn ich verstehe mich ein wenig darauf.

Meine liebe Tochter, lesen Sie das 28. Kapitel des „Geistlichen Kamp-

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fes“, dieses mir teuren Buches, das ich seit etwa 18 Jahren in meinerTasche bei mir trage und niemals ohne Gewinn wieder lese. Halten Siean dem fest, was ich Ihnen gesagt habe. Was Ihre alten Versuchungenbetrifft, so seien Sie nicht so darauf aus, davon befreit zu werden; tun Sieso, als fühlten Sie sie nicht, seien Sie über diese Angriffe nicht so verär-gert. Sie werden recht bald davon befreit werden mit Gottes Hilfe, denich darum bitte; aber ich versichere Sie, daß ich dies mit großer Erge-benheit in sein göttliches Wohlgefallen tue, mit einer frohen und ruhi-gen Ergebenheit. Sie wünschen so sehnlich, daß Gott Sie in dieser Hin-sicht, sagen Sie, in Frieden sein lasse; und ich wünsche, daß Gott Sie injeder Hinsicht in Frieden sein lasse und nicht ein einziger unserer Wün-sche den seinen entgegengesetzt ist. – Nun, ich will nicht, daß Sie sichfreiwillig nach diesem nutzlosen, vielleicht sogar schädlichen Friedensehnen. Aber quälen Sie sich jetzt nicht ab, diesen Befehl auszuführen.Das will ich ja gerade, daß Sie sich nicht abquälen, weder mit diesen,noch mit irgendwelchen anderen Wünschen. Mein Gott, meine Tochter,diese Wünsche stehen in Ihrem Herzen allzusehr im Vordergrund. Wennnur der Geist des Glaubens in uns lebt, sind wir schon mehr als glück-lich. Sehen Sie, unser Herr wird Ihnen seinen Frieden verleihen, wennwir uns dahingehend demütigen, im Krieg milden Geistes zu leben.

Mut, meine Tochter, halten Sie Ihr Herz fest: unser Herr wird unshelfen, und wir werden die Seinen sein und ihn recht lieben. Sie tun gutdaran, keinerlei Sorge um Ihre Seele zu haben und sich darin ganz aufmich zu verlassen; Sie werden sehr glücklich sein, wenn Sie weiter sohandeln. Gott wird mir bei Ihrer Führung zur Seite stehen, und mitHilfe seiner Gnade werden wir nicht irregehen. Glauben Sie mir, meineSeele ist mir, so scheint es mir, nicht teurer als die Ihre. Ich hege nur diegleiche Sehnsucht, ich verrichte nur die gleichen Gebete für beide, ohneTeilung und Trennung.

Ich bin der Ihre: Jesus will es und ich bin es ...

Annecy, 9. August 1607.Diesmal schreibe ich Ihnen durch Vermittlung unseres guten Pater

Guardian der Kapuziner, meine gute, meine ganz teure Tochter, dennich stellte mir vor, daß sich leicht einige der Patres in Autun zu ihremProvinzkapitel einfinden, die Ihnen diese Briefe übermitteln könnten.

Aber was soll ich Ihnen schreiben? Weiten Sie Ihr Herz, meine ganzliebe Tochter, bedrängen Sie es nicht zu sehr mit Wünschen nach Voll-

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kommenheit. Hegen Sie nur einen davon, einen guten, recht entschlos-senen, richtig beständigen, das heißt eben den alten Wunsch, der Sieunsere Gelübde mit so viel Mut ablegen ließ; denn diesen, meine Toch-ter, diesen Wunsch müssen Sie oft mit dem Wasser des heiligen Gebetesbegießen. Sie müssen alle Sorge tragen, ihn in unserem Garten zu erhal-ten, denn es ist der Baum des Lebens.

Es gibt aber gewisse Wünsche, die das Herz tyrannisieren. Sie möch-ten, daß nichts sich unserem Vorhaben entgegensetzt, daß wir keine Fin-sternisse haben sollen, sondern daß alles im hellsten Tageslicht sei. Siemöchten nur süße Gefühle bei unseren Übungen, ohne Widerstand, ohneZerstreuungen; und sobald uns irgendeine innere Versuchung überfällt,begnügen sich diese Wünsche nicht damit, daß wir ihr nicht nachgeben,sondern sie möchten, daß wir sie nicht einmal fühlen. Sie sind so heikel,daß sie nicht damit zufrieden sind, wenn man uns eine recht saftige undnahrhafte Speise gibt, sondern sie soll auch ganz gesüßt und wohlduf-tend sein. Sie möchten, daß wir nicht einmal die Augustmücken vorunseren Augen tanzen sehen. Das sind Wünsche einer allzu weichlichenVollkommenheit, deren man nicht viele hegen darf. Glauben Sie mir,meine Tochter, auf die süßen Speisen bekommen die kleinen KinderWürmer; und auch ich, der ich doch kein kleines Kind mehr bin; darummischt unser Heiland Bitteres darunter.

Ich wünsche Ihnen großen Mut und zwar einen, der nicht zimperlichist; einen Mut, der ganz entschieden sagt: Es lebe Jesus, und das ganzvorbehaltlos, der sich dabei weder um Süßes, noch um Bitteres, weder umLicht noch um Finsternis kümmert. Gehen wir, meine Tochter, kühn un-seren Weg in dieser wesentlichen, starken und unbeugsamen Liebe zuunserem Gott und lassen wir diese Hirngespinste von Versuchungen hin-und herhuschen; mögen sie auch, sooft sie wollen, unseren Weg kreuzen.Der hl. Antonius sagte: „Ja, ich sehe euch, aber ich schaue nicht auf euch.“

Nein, meine Tochter, schauen wir auf unseren Heiland, der uns jen-seits all dieses Geschreies des bösen Feindes erwartet. Erflehen wir sei-ne Hilfe, denn zu eben diesem Zweck erlaubt er ja, daß diese Vorspiege-lungen uns Angst einjagen.

Gestern Abend hatten wir hier gewaltige Donnerschläge und schreck-liche Blitze und ich freute mich zu sehen, daß unsere jungen Leute,besonders aber mein Bruder, unser Groisy,51 sich wiederholt bekreuzig-ten und den Namen Jesu anriefen. Ach, sagte ich ihnen, ohne diesesschreckliche Wetter hätten wir unseren Herrn nicht so oft angerufen.Aufrichtig gesagt, empfing ich daraus besonderen Trost, obgleich die

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Heftigkeit der Einschläge mich aufzucken ließ, und ich konnte michnicht enthalten, zu lachen.

Mut, meine Tochter, haben wir nicht Grund zu glauben, daß unserHeiland uns liebt? Gewiß haben wir allen Grund dazu; warum sich alsowegen der Versuchungen kränken? Ich empfehle Ihnen unsere Einfach-heit, die so anmutig und dem göttlichen Bräutigam so angenehm ist, undauch unsere arme Demut, die so viel über ihn vermag; und tun Sie mireine gleiche Liebe an, indem Sie mir dasselbe anempfehlen. Was Gottmir durch den Nächsten sagt, bewegt mich sehr.

Da Sie es wünschen, will ich Ihnen noch einiges von mir berichten.Vor drei Wochen verließ ich Thonon. Ich blieb zwölf Tage in Viuz, umdie Angelegenheiten dieses Gebietes zu regeln, und tat es auch ziemlichgünstig. Von da reiste ich nach Sales für einen einzigen Abend und kamam letzten Tag des Juli hierher, um unser großes Fest des hl. Petrus inKetten zu feiern, des Schutzpatrons unserer Kirche. Der Pater Rektorvon Chambéry befand sich auch da, mit dem ich meine arme Seele über-prüfte von der Zeit an, da ich dieses Amt übernahm; aber mir scheint,daß ich mich nicht genug verdemütigte, wie ich es hätte nach der Sachla-ge tun sollen. Zweifellos bedarf ich sehr der heiligen Demut. Mein Gott,wer bin ich denn? Nicht viel, meine Tochter, weniger als nichts. Alsoheißt es, von nun an mehr Sorgfalt darauf verwenden.

Ich werde erst wieder nach dem Fest der Kreuzerhöhung im Septem-ber auf Visitation gehen; ich mußte das in Kauf nehmen ...

Ich werde Ihnen bald schreiben; dies ist der sechste Brief, den ichIhnen seit Ihrer Abreise geschrieben habe, denn ich will Ihnen nichtwortbrüchig werden. Ich lasse überall für Sie beten und will mit GottesHilfe selbst noch viel mehr und besser beten, als ich es bisher getanhabe. Ich habe, scheint es mir, mehr den Willen und Wunsch, unserenHeiland zu lieben, als ich ihn jemals hatte. Also voran, meine liebeTochter! Es lebe Jesus! Amen.

Ich verbleibe jener, den er immer mehr zu dem Ihren macht ...Sein heiliger Name sei immerdar gelobt und gepriesen. Amen. Ich

werde sogleich die Heilige Messe für Sie feiern, wie ich es zweifellosimmer für Sie tue. Empfehlen Sie mich der hochheiligen Mutter unseresHerrn und unserer hl. Marta. Sind wir nicht überglücklich, zu wissen,daß man Gott lieben muß und unser ganzes Wohl darin liegt, ihm zudienen, und unser Ruhm darin, ihn zu ehren? O wie groß ist seine Gütegegen uns! So trete ich also jetzt an seinen heiligen Altar ...

Am Vorabend des Festes des hl. Laurentius 1607.

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Annecy, 16. August 1607.Das ist das siebente Mal, daß ich Ihnen seit Ihrer Rückkehr schreibe;

ich lasse keine Gelegenheit dazu ungenützt verstreichen. Dennoch istmeine Liebe nicht zufriedengestellt, denn sie ist unersättlich in demWunsch, unserem Gott die Pflicht zu erfüllen, die ich Ihnen gegenüberhabe. Ich sage, unserem Gott, meine Tochter, weil ich jeden Tag mehr indem Glauben bestärkt werde, daß Gott es ist, der mir diese Pflicht auf-erlegt; darum liebe ich diese Pflicht so über alle Maßen.

Vorgestern und gestern empfand ich eine außerordentliche Freude imHaus der hl. Marta, die ich so kindlich geschäftig sah, unseren Herrn zuumsorgen, und meiner Meinung nach ein wenig eifersüchtig auf die Se-ligkeit, die ihre Schwester zu Füßen des Heilands empfand (Lk 10,38-42). Wahrlich, meine liebe Tochter, sie hatte recht, zu wünschen, manmöge ihr helfen, ihren lieben Gast zu bedienen, aber sie hatte nichtrecht, zu wollen, daß ihre Schwester zu diesem Zweck ihr Verhaltenaufgeben und den gütigen Jesus allein lassen sollte; denn dessen über-große Liebe hätte keine Gelegenheit gehabt, sich zu verströmen, und siehätte ihm Schmerzen bereitet, wie einer Mutter (Hld 8,1) die Brust,strotzend voll köstlicher Milch, Schmerzen verursacht, wenn nicht min-destens ein Kind da ist, davon zu trinken und diese himmlische Flüssig-keit aufzunehmen.

Wissen Sie, wie ich den Ausgleich bewirken wollte? Ich wollte, daßdie hl. Marta, unsere liebe Herrin, sich an Stelle ihrer Schwester zu denFüßen unseres Herrn niederließe und ihre Schwester die restlichen Vor-bereitungen für das Essen treffe; so hätten sie Arbeit und Ruhe geteiltals gute Schwestern. Ich denke, daß unser Herr das gut befunden hätte.Unseren Herrn aber ganz allein lassen zu wollen, darin hatte sie meinerMeinung nach unrecht; denn er ist nicht in diese Welt gekommen, um inder Einsamkeit zu leben, sondern um mit den Menschenkindern zu sein(Spr 8,31; Bar 3,38).

Sind das nicht sonderbare Gedanken, unsere gute hl. Marta zurecht-weisen zu wollen? O, nur aus Liebe, die ich zu ihr hege; ja, ich glaube,daß sie froh wäre, das, was sie damals nicht tat, jetzt in Gestalt ihrerTöchter zu tun, derart, daß sie ihre Stunden teilen, von denen ein guterTeil aufgewandt werden soll auf äußere Werke der Nächstenliebe, derbessere Teil aber auf das innerliche Werk der Beschauung.52 DiesenSchluß ziehe ich jetzt während des Schreibens, denn neulich dachte ichnicht daran, da meine Aufmerksamkeit nur auf das gerichtet war, wassich in diesem Geheimnis ereignete.

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Und da mein Herz mich drängt, Ihnen alles zu sagen, was es erfreuthat (was ich so ziemlich keinem anderen geschöpflichen Wesen gegen-über mitzuteilen pflege), will ich Ihnen sagen, daß ich in den vergange-nen drei Tagen unvergleichliche Freude empfand im Gedanken an diegroße Ehre, die jedem Herzen dadurch zuteil wird, daß es ganz alleinmit seinem Gott, diesem höchsten, unermeßlichen und unendlichenWesen sprechen darf. Ja, denn was das Herz zu Gott sagt, weiß niemandals Gott zu allererst und nachher nur jene, die es Gott wissen läßt. Ist dasnicht ein wunderbares Geheimnis? Ich denke, das meinen die Gottesge-lehrten, wenn sie sagen, daß es beim Gebet gut sei, zu denken, es gäbenur Gott auf der Welt; denn das sammelt zweifellos die Kräfte der Seeleund bewirkt ihre viel stärkere Hinwendung (zu Gott).

Das mußte ich Ihnen sagen. Sehen Sie, meine Tochter, ich muß oftzu Ihnen sprechen; darum bin ich gezwungen, Ihnen diese Dinge zusagen, wie sie sich mir ergeben, zur Unzeit oder zu gelegener Zeit.Daher sind das nicht Antworten, denn ich habe erst zwei Briefe vonIhnen erhalten, auf die ich Ihnen schon vor langer Zeit geantwortethabe.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, ich bin sehr mit Arbeit bedrängt.Herr von Nemours hat mich derart beschworen, ihm die Leichenredefür seine Frau Mutter zu schicken, daß ich gezwungen bin, fast eine neuezu schreiben; denn ich erinnere mich an die Rede, die ich hielt, nur ingroßen Zügen. Es fällt mir zweifellos schwer, solche Dinge zu tun, in dieweltlichen Belange miteinbezogen zu werden, zu denen ich Gott seiDank keine Neigung habe.

Ich fange jetzt energisch an, mir die Morgenstunden vorzubehaltenund zu bestimmten Stunden zu essen. – All die Ihren hier befinden sichwohl. Mein Gott, welche Angst hatte doch meine arme Mutter an demTag, an dem sich ein so schweres Gewitter entlud, wovon ich Ihnenfrüher geschrieben habe. Denn der Blitz schlug mehrmals ganz in derNähe von Sales ein. Wenn auch niemand dabei zu Schaden kam, gab esdoch einen derartigen Wolkenbruch und ein Krachen, wie man es nochnie erlebt hatte. Alles war in der kleinen Kapelle zusammengedrängtund aufeinandergepreßt. So möge auch, meine Tochter, manchmal un-sere Seele sein, wenn Sturm und Blitz sie umtosen: dann heißt es Muthaben und sich in unserem kleinen Tabernakel aufhalten; solange des-sen Säulen stehen, wird es nur Angst, aber kein Übel geben.

Frau von Lalée besuchte mich gestern und erkundigte sich nach Ih-nen; sie schätzt Sie überaus. Ich weiß nicht, wo Frau von Charmoisy ist;

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es heißt jedoch, daß sie in acht Tagen hier sein wird, und ich wünsche essehr; denn sehen Sie, ich bin immer ein wenig in Sorge während desNoviziatsjahres. Ich sage in Sorge, aber auch ohne Sorge, denn ich binvoll guter Hoffnung wegen unseres Herrn, der so gut, gütig und liebevollzu den Seelen ist, die ihn lieben wollen (s. Klgl 3,25).

Gott befohlen, meine Tochter. Ich werde gleich die Heilige Messefeiern, nachher will ich, wenn ich kann, ein paar Worte meinem HerrnGrafen schreiben. Gott befohlen also, meine Tochter, in unbegrenztemMaße, vorbehaltlos und über alle Maßen; alles andere sei seinem Wohl-gefallen überlassen. Halten wir uns so recht an Gott, meine Tochter, undan seine heilige Mutter. Amen.

Ich bin durch seinen Willen einzigartig und unwiderruflich ganz derIhre ...

Annecy, 6. September 1607.Wie viel hätte ich Ihnen zu sagen, meine Tochter, wenn ich Zeit dazu

hätte, denn ich habe Ihren Brief vom Tag der hl. Anna erhalten, der eineeigene Sprache, eine Herzenssprache spricht und eine ausführliche Ant-wort erfordert.

Da sind Sie nun auf dem rechten Weg, meine Tochter, machen Sie nurso weiter. Haben Sie Geduld mit Ihrem innerlichen Kreuz! Ach, unserHeiland läßt es für Sie zu, damit Sie eines Tages besser erkennen, was Sieaus sich heraus sind. Sehen Sie nicht, meine Tochter, daß die Unruhe desTages erhellt wird durch die Ruhe der Nacht? Ein klares Zeichen, daßunsere Seele nichts anderes braucht, als ganz ergeben in ihrem Gott zuwerden und einen solchen Gleichmut zu erringen, daß man Gott glei-cherweise inmitten von Dornen wie von Rosen dient.

Würden Sie wirklich glauben, meine gute Tochter, daß ich heute Abendgerade erst einer Angelegenheit wegen in eine kleine Unruhe geriet, diegewiß nicht verdiente, daß ich daran einen Gedanken verschwendete?Immerhin kostete mich dies zwei Stunden Schlaf, was mir selten vor-kommt. Aber noch mehr: daß ich mich selbst über diese Schwäche lu-stig machte und ich sonnenklar erkannte, daß all dies nur Kleinstkinder-Unruhe war, und doch keine Möglichkeit sah, da herauszufinden. Gottwollte mich verstehen lassen, daß nicht ich es bewirke, wenn Anfechtun-gen und schwere Angriffe mich nicht in Verwirrung bringen, wie sie esin Wirklichkeit auch nicht tun, sondern die Gnade meines Erlösers (1Kor 15,10), und, ohne zu lügen, fühle ich mich nun nachher erfreut über

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dieses Erfahrungswissen, das Gott mir über mich selbst zuteil werdenläßt.

Ich versichere Sie, daß ich recht fest bin in unseren Entschlüssen undviel Gefallen daran finde. Ich kann Ihnen heute nicht viel sagen, dennder gute Pater reist in einer Stunde ab und ich muß die Heilige Messefeiern; ich muß also alles andere unbeantwortet lassen.

Ihre Frage in einem Ihrer Briefe, ob ich das betrachtende Gebet pfle-ge, machte mir viel Freude. O meine Tochter, tun Sie das nur weiter!Fragen Sie mich immer nach dem Zustand meiner Seele, denn ich weißwohl, daß diese Ihre Wißbegierde der herzlichen Liebe entspringt, dieSie zu mir hegen. Ja, meine Tochter, dank der Gnade Gottes kann ichjetzt besser als früher sagen, daß ich das betrachtende Gebet pflege, weilich es nicht einen einzigen Tag auslasse, außer manchmal am Sonntag,um Beichte zu hören. Gott gibt mir auch die Kraft, manchmal dafürvorzeitig aufzustehen, wenn ich eine Menge von Hindernissen tagsübervoraussehe, und all dies tue ich ganz fröhlich; es scheint mir, daß ich essehr liebe und es zweimal am Tag tun möchte; aber das ist mir nichtmöglich.

Es lebe Jesus! Es lebe Maria! Gott befohlen, meine liebe Tochter! Erhat mich ja für immer, vorbehaltlos und über jeden Vergleich zu demIhren gemacht ...

Am ersten Donnerstag des September 1607.

Sales, 2. November 1607.Meine liebe Tochter, ist es denn nicht recht und billig, daß der hochhei-

lige Wille Gottes geschehe, sowohl in Dingen, die wir lieben, als auch inden anderen? Ich muß mich dennoch beeilen, Ihnen mitzuteilen, daßmeine gute Mutter diesen Kelch mit einer ganz christlichen Standhaftig-keit getrunken hat;53 und daß ihre Tugend, von der ich immer schon tiefbeeindruckt war, noch weit höher steht, als ich sie je geschätzt hatte.

Am Sonntag-Morgen54 ließ sie meinen Bruder, den Kanonikus55 ho-len; und da sie am Vorabend gesehen hatte, wie sehr traurig er und all dieanderen Geschwister waren, sagte sie zu ihm: „Ich habe die ganze Nachtgeträumt, daß meine Tochter Jeanne tot sei; sag mir bitte, ist das wahr?“Mein Bruder, der auf mein Kommen gewartet hatte, um es ihr zu sagen– denn ich befand mich auf Visitation,56 – sah, daß dies der rechte Zeit-punkt wäre, ihr den bitteren Kelch zu reichen, und da sie zu Bette lag,sagte er: „Es ist wahr, meine Mutter“, sonst nichts, denn er hatte keineKraft mehr, etwas hinzuzufügen. „Der Wille Gottes geschehe“, sagte

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meine gute Mutter und weinte einige Zeit bitterlich; dann rief sie ihreNicole57 zu sich und sagte: „Ich will aufstehen und in die Kapelle gehen,um für meine arme Tochter zu beten.“ Und sie tat sogleich, was siegesagt hatte. Nicht ein Wort der Ungeduld, nicht ein Augenblick derUnruhe; tausendfacher Lobpreis Gottes und tausendfache Ergebung inseinen Willen. Niemals sah ich einen stilleren Schmerz: ein großer Trä-nenstrom, aber all dies aus dem einfachen Leid des Herzens heraus,ohne eine Spur von Auflehnung. Und doch war es ihr liebes Kind! Wiesollte ich solch eine Mutter nicht recht innig lieben?

Gestern, am Allerheiligentag, hörte ich die Beichte der ganzen Fami-lie und mit dem hochheiligen Sakrament versiegelte ich das Herz dieserguten Mutter gegen jede Traurigkeit. Indessen dankt sie Ihnen überausfür die Sorge und mütterliche Liebe, die Sie dieser kleinen Verstorbe-nen zuteil werden ließen, und sie fühlt sich ebensosehr in Ihrer Schuld,als wenn Gott sie durch Ihre Sorge erhalten hätte. Das gleiche sagenIhnen alle Geschwister, die im Schmerz über diesen Tod eine äußerstgute Haltung gezeigt haben, vor allem unser guter Boisy,58 den ich des-halb noch mehr liebe.

Ich weiß wohl, daß Sie mich nun gerne fragen möchten: „Und Sie, wiehaben Sie es getragen?“ Ja, denn Sie wünschen zu wissen, was ich tue.Ach, meine Tochter, ich bin nichts so sehr als ein Mensch. Mein Herzwar mehr davon ergriffen, als ich je gedacht hätte, in Wahrheit aberhaben das Leid meiner Mutter und das Ihre viel dazu beigetragen, dennich bangte um Ihr Herz und um das meiner Mutter. Sonst aber: Es lebeJesus! Ich werde immer die Partei der göttlichen Vorsehung ergreifen,sie macht alles richtig und ordnet alle Dinge zum Besten (Weish 12,15).Welches Glück für dieses Mädchen, von der Welt hinweggenommen zusein, auf daß die Bosheit nicht ihren Sinn verkehre (Weish 12,15), unddiesen schmutzigen Ort verlassen zu können, bevor sie noch von ihmbesudelt wurde (Ps 69,13)! Man pflückt die Erdbeeren und Kirschenvor den Bergamottebirnen und den Äpfeln, weil eben die Zeit dazu daist. Lassen wir also auch Gott pflücken, was er in seinen Garten ge-pflanzt hat; er pflückt alles zur rechten Zeit.

Sie können sich denken, meine liebe Tochter, wie herzlich ich dieseskleine Mädchen liebte. Ich hatte sie ihrem Erlöser geboren, denn ichhatte sie eigenhändig vor etwa 14 Jahren getauft; sie war das erste Ge-schöpf, an dem ich mein Priesteramt ausübte. Ich war ihr geistlicherVater und versprach mir so recht, aus ihr eines Tages etwas Gutes zumachen; und was sie mir besonders teuer machte (ja, wirklich), war, daß

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sie Ihnen gehörte. Dennoch, meine liebe Tochter, empfinde ich inmittenmeines Herzens aus Fleisch, das über diesen Tod so viel Trauer hatte,fühlbar eine gewisse Süße, Stille, und ein gewisses mildes Ruhen meinesGeistes in der göttlichen Vorsehung, die in meiner Seele trotz all desLeides doch eine tiefe Zufriedenheit verbreiten. Derart sind also meineGefühle, die ich Ihnen, so gut ich konnte, geschildert habe.

Was wollen Sie aber sagen, meine liebe Tochter, wenn Sie mir schrei-ben, daß Sie sich bei diesem Anlaß ganz so gefunden haben, wie Siesind? Sagen Sie mir, bitte: war unsere Kompaßnadel nicht immer aufihren schönen Stern, auf ihr heiliges Gestirn, auf ihren Gott gerichtet?Was hat Ihr Herz getan? Haben Sie jenen Ärgernis gegeben, die Siehierbei und bei diesem Ereignis gesehen haben? O, meine Tochter, sa-gen Sie es mir offen; denn sehen Sie, ich habe es nicht für gut befunden,daß Sie Ihr Leben oder das irgendeines Ihrer Kinder anstelle des Lebensder Verstorbenen angeboten haben. Nein, meine liebe Tochter, man mußnicht nur damit einverstanden sein, daß Gott uns schlägt, sondern auchihm beistimmen, daß er dort schlägt, wo es ihm gefällt; man muß Gottdie Wahl lassen, denn ihm steht sie zu.

David bot sein Leben für das seines Abschalom an (2 Sam 18,32);aber deshalb, weil er als Verlorener starb; und in einem solchen Fallmuß man Gott beschwören. Bei zeitlichem Verlust aber, o meine Toch-ter, soll Gott unsere Laute streichen und zupfen, wo immer und aufwelcher Saite er auch mag, er wird stets nur eine gute Harmonie hervor-rufen: Herr Jesus, Dein Wille geschehe, vorbehaltlos, ohne Wenn, ohneAber, ausnahmslos und schrankenlos an Vater, Mutter, Tochter, in al-lem und überall. Ach, ich sage nicht, daß wir nicht wünschen und darumbeten sollen, sie mögen uns erhalten bleiben; aber zu Gott sagen: „Laßdies und nimm dies“, meine liebe Tochter, das darf man nicht. Unddarum werden wir es auch nimmer tun, nicht wahr? Nein, meine Toch-ter, mit Hilfe der Gnade seiner göttlichen Güte wollen wir das nimmertun.

Meine liebe Tochter, mir ist, als sehe ich Sie mit Ihrem starken Her-zen, das gewaltig lieben und wollen kann. Ich weiß ihm viel Dank dafür;denn diese halbtoten Herzen, wozu sind sie gut? Wir wollen aber jedeWoche einmal eine besondere Übung machen, den Willen Gottes nochkraftvoller, ja ich gehe noch weiter, zärtlicher und liebevoller wie nichtssonst in der Welt zu wollen und zu lieben; und das nicht nur bei erträg-lichen Anlässen, sondern bei den unerträglichsten. Sie finden irgendet-was darüber in dem Buch vom Geistlichen Kampf, das ich Ihnen so oftempfohlen habe.

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Ach, meine Tochter, offen gesagt: diese Lektion ist hoch; aber Gott,für den wir sie lernen, ist doch auch der Allerhöchste. Meine Tochter,Sie haben vier Kinder; Sie haben einen Vater, einen Schwiegervater,einen so teuren Bruder und auch noch einen geistlichen Vater: alle diesesind Ihnen teuer, und mit Recht, denn Gott will es so. Sollte nun GottSie all dieser berauben, hätten Sie nicht noch genug, wenn Sie Gotthaben? Ist das nach Ihrer Meinung nicht alles? Hätten wir nur Gott,wäre das nicht viel? Ach, der Sohn Gottes, mein lieber Jesus, hatte fastnicht einmal das am Kreuz. Da er alles aus Liebe zu seinem Vater undaus Gehorsam ihm gegenüber verlassen hatte, war er von diesem wieverlassen und aufgegeben (Mt 27,46). Und der Strom der Leidenschaf-ten riß sein Schifflein in die Verzagtheit; kaum wurde er noch der Kom-paßnadel gewahr, die nicht nur auf seinen Vater hinwies, sondern auchunzertrennlich eins mit seinem Vater war. Ja, er war eins mit seinemVater (Joh 10,30), aber der untere Seelenteil wußte und merkte gar nichtsdavon; eine Prüfung, der die göttliche Güte keine andere Seele je unter-zog, noch unterziehen wird, denn sie vermöchte sie nicht zu ertragen.

Also, meine Tochter, wenn Gott uns alles nähme, er würde sich unsdoch nie entziehen, solange wir es nicht wollen. Aber mehr noch: alleunsere Verluste und Trennungen sind nur für diesen kurzen Augenblick(2 Kor 4,17). O wahrlich, für so wenig muß man Geduld haben. – Mirscheint, ich verbreite mich etwas zu sehr darüber; aber sehen Sie, ichfolge meinem Herzen, das sich niemals zu viel mit dieser so lieben Toch-ter aussprechen kann.

Ich schicke Ihnen ein Wappen, um Ihren Wunsch zu erfüllen; und daSie wünschen, daß das feierliche Requiem dort gehalten wird, wo diesesMädchen seinem Leib nach ruht, so finde ich es gut, aber es soll ohnegroße Aufmachung geschehen, gerade so, wie es der christliche Braucherfordert; denn wozu alles andere? Nachher werden Sie eine Liste alldieser Kosten und jener ihrer Krankheit aufstellen und mir schicken,ich will es so. Indessen wird hier für diese Seele gebetet werden und wirwollen ihr liebevoll die ihr zustehenden kleinen Ehren erweisen. Wirwerden niemand zu ihrem Quartal59 schicken; nein, meine Tochter, wirdürfen nicht soviel Aufsehen erregen für ein Mädchen, das in dieserWelt keinerlei Rang eingenommen hat; das hieße sich lächerlich ma-chen. Sie kennen mich: ich liebe die Einfachheit, im Tod und im Leben.Ich würde gern den Namen und die Bezeichnung der Kirche wissen, wosie begraben liegt. Das ist alles in dieser Angelegenheit ... 60

Ihr sehr ergebener Diener ...

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Sales, 1606-1607.... Meine Tochter, ich kann Ihnen nicht verheimlichen, daß ich gegen-

wärtig in Ihrem Sales bin, überhäuft von liebevollem und unvergleichli-chem Trost bei meiner guten Mutter. Wahrlich, Sie würden mit Freudeeine so enge Übereinstimmung zwischen Personen sehen, die gewöhn-lich in Zwietracht leben: Schwiegermutter, Schwiegertochter, Schwäge-rin, Brüder und Schwäger. Ich kann Sie versichern, meine wahre Toch-ter, daß sie alle zum Ruhm Gottes nur ein Herz und eine Seele (Apg4,32) sind in der Einheit seiner hochheiligen Liebe; und ich hoffe, daßder Segen und die Gnade des Herrn in Fülle herabkommen möge, dennes ist jetzt schon Vieles und Gutes, Schönes und Wohltuendes in derEintracht dieser Familie zu sehen (Ps 133,1.3).

Ihr Bote wird Ihnen sagen können, daß gestern unsere ganze liebeFamilie geschlossen in unserer kleinen Kapelle zu mir zur Beichte ging,aber mit so viel Frömmigkeit, daß man hätte meinen können, es wäreder Jubiläums-Ablaß eines heiligen Jahres zu gewinnen. O meine Toch-ter, wir können alle unsere Jahre, Monate, Tage und Stunden durch gu-ten und besseren Gebrauch heiligen. Das mußte mein Herz Ihnen sa-gen; denn was könnte es Ihnen tatsächlich verbergen? ...

Annecy, 1606-1607.... Mein lieber La Thuille61 grüßt Sie ergebenst; er weilt hier bei mir

und ich bin sicher, daß meine gute Mutter niemals zufriedener war,noch die Frömmigkeit in der Familie je mehr in Blüte stand. Lob seidafür einzig und allein Gott, und uns die vollkommene Freude darüber.Ich gestehe Ihnen, daß ein guter Teil des Lobes La Thuille gebührt; denndieses Einverständnis läßt sich nicht erzielen ohne sehr große Klugheitund Frömmigkeit bei dem, der die hauptsächliche Führung in all demhat ...

Annecy, 1. Januar 1608.Meine Tochter,ich bin derart in Eile, daß ich nicht Zeit habe, Ihnen mehr zu schrei-

ben als das große Wort unseres Heiles: Jesus. Ja, meine Tochter, könn-ten wir doch wenigstens einmal diesen heiligen Namen von ganzemHerzen aussprechen. O, welchen Duft würde er in allen Fähigkeitenunseres Geistes verbreiten! Wie glücklich wären wir, meine Tochter,nur Jesus in der Einbildungskraft zu haben! Jesus wäre immer in uns

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und wir wären überall in ihm. Versuchen wir es, meine ganz liebe Toch-ter: sprechen wir ihn aus, sooft wir können. Wenn wir ihn auch vorerstnur zu stammeln vermögen, werden wir ihn schließlich doch gut aus-sprechen können.

Aber was heißt das, diesen heiligen Namen gut auszusprechen? DennSie wollen, daß ich mich klar ausdrücke. Ach, meine Tochter, ich weißes nicht; ich weiß nur, daß man, um ihn gut auszusprechen, eine ganzfeurige Zunge haben muß, d. h. daß er durch die göttliche Liebe alleinausgesprochen werden kann, die ohne weiteres Jesus in unserem Lebenausprägt, indem sie ihn in den Grund unseres Herzens einprägt. AberMut, meine Tochter, zweifellos werden wir Gott lieben, denn er liebtuns. Bleiben Sie aus diesem Grund fröhlich und erlauben Sie Ihrer See-le nicht, über irgendetwas in Unruhe zu geraten.

Ich bin, meine liebe Tochter, in eben diesem Jesus völlig der Ihre ...

Annecy, um den 20. Januar 1608.Muß ich Ihnen denn immer in aller Eile schreiben, meine gute und

liebe Tochter? Es ist, scheint es mir, schon lange her, daß ich Ihneneinmal nicht in Eile schrieb; und doch hätte ich Ihnen etwas ausführli-cher über den Gehorsam und die Liebe zum Willen Gottes zu schrei-ben. Aber was soll ich tun? Es ist immer noch besser, ich schreibe wenig,als gar nichts. Erst heute Abend, als wir zu Tisch gingen, sagte mir derBote, daß er morgen zeitlich früh abreisen werde. Ich schreibe Ihnenalso um 10 Uhr abends.

O meine Tochter, wie sehr bitte ich doch Gott jetzt für Sie! Sicherlichmit außerordentlicher Freude, ich fühle mich mit einem ganz neuenEifer dazu angetrieben. Was erbitte ich also für Sie? Nichts, außer derreinen und heiligen Liebe zu unserem Erlöser. O wie sehr sollen wir unsdoch nach dieser Liebe sehnen und wie sehr diese Sehnsucht lieben,denn die Vernunft will, daß wir immerdar zu lieben begehren, was nie-mals genug geliebt werden kann, und daß wir zu begehren lieben, wasniemals genug begehrt werden kann.

Ich bin recht froh, meine Tochter, daß Sie armen Kranken das Bettmachen; und ich bin auch recht froh, daß Sie dabei Widerwillen empfin-den, denn dieser Widerwille ist mehr Anlaß zur Erniedrigung als Ge-stank und Unsauberkeit, die ihn hervorrufen.

Sie müssen wissen, meine liebe Schwester, meine Tochter, daß ichmich jetzt in meiner traurigen Zeit befinde, denn von Dreikönig bis

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Aschermittwoch hege ich sonderbare Gefühle in meinem Herzen: dennso armselig, ja verachtenswert ich bin, erfüllt mich doch Schmerz, zusehen, wieviel Frömmigkeit verlorengeht, ich will sagen, wie viele See-len nachlassen. An den letzten zwei Sonntagen habe ich die Zahl unsererKommunionen um die Hälfte vermindert gefunden; das hat mich rechtbetrübt; denn wenn auch jene, die so handelten, nicht gleich schlechtwerden, warum hören sie denn auf? Wegen nichts und wieder nichts,wegen Nichtigkeiten. Das geht mir sehr zu Herzen. Darum, meine liebeTochter, flehen Sie recht zu Gott für uns und danken Sie ihm, daß wiruns entschlossen haben, niemals so etwas zu tun. Nein, ich denke nicht,daß wir den Mut hätten, derart mit Vorbedacht nur einen einzigen Schrittauf unserem Weg einzuhalten, was immer auch die Welt uns bieten könn-te, nicht wahr, meine Schwester, meine Tochter? Zweifellos nein, mitHilfe der Gnade Gottes.

Gott befohlen, meine liebe Tochter; unsere Liebe sei ganz in Gottund Gott sei in allem unsere Liebe. Amen. Es lebe Jesus! Denn in ihm,durch ihn und für ihn bin ich ohne Ende, vorbehaltlos und einzigartigder Ihre ...

Annecy, 24. Januar 1608.62

Meine Tochter!Ich ergreife die Feder mit dem Wunsch, Ihnen viel zu schreiben zur

Entschädigung für die lange Zeit, da ich Ihnen, scheint es mir, nur inEile geschrieben habe. Ich bin im Besitz Ihrer Briefe vom 18., 19. und25. November, vom 5., 14. und 22. Dezember vergangenen Jahres, dieich noch nicht zur Gänze beantwortet habe; zumindest nehme ich es an.

Im ersten Brief sagen Sie mir, daß Sie mehr als sonst ausgehungertsind nach der hochheiligen Kommunion. Es gibt zweierlei Arten vonHunger: der eine, verursacht durch die gute Verdauung, der andere durchBeschwerden des Magens. Demütigen Sie sich recht, meine Tochter,und erwärmen Sie Ihren Magen durch die heilige Liebe zu unseremgekreuzigten Jesus Christus, damit Sie geistig diese himmlische Speiserecht gut verdauen mögen. Und da sehr nach Brot verlangt, wer überHunger klagt, sage ich Ihnen, meine Tochter: Ja, kommunizieren Sie indieser Fastenzeit außer an den Sonntagen auch am Mittwoch, Freitagund Samstag, dem Tag Unserer lieben Frau.

Aber was verstehen Sie darunter, daß man Jesus Christus geistigverdauen soll? Jene, die eine gute körperliche Verdauung haben, ver-

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spüren Kräftigung im ganzen Körper dadurch, daß die Speise in alleTeile des Körpers verteilt wird. So, meine Tochter, verspüren jene, dieeine gute geistige Verdauung haben, daß Jesus Christus, der ihre Spei-se ist, sich in alle Teile der Seele und des Körpers verströmt und sichallem mitteilt. Sie haben Jesus Christus im Kopf, im Herzen, in derBrust, in den Augen, in den Händen, auf der Zunge, in den Ohren undin den Füßen. Was tut aber unser Erlöser da? Er richtet alles auf, erreinigt alles, er tötet alles ab, er belebt alles. Er liebt im Herzen, erdenkt im Kopf, er belebt in der Brust, er schaut mit den Augen, sprichtmit der Zunge usw.: er tut alles in allem, und dann leben wir, nichtmehr wir selbst, sondern Jesus Christus lebt in uns (Gal 2,20). Undwann wird das sein, meine liebe Tochter? Mein Gott, wann wird dassein?

Indessen aber will ich Ihnen zeigen, was man anstreben soll, wennman sich auch damit zufriedengeben muß, nur ganz allmählich dahinzu gelangen. Halten wir uns demütig und kommunizieren wir nurgetrost; nach und nach wird unser innerlicher Magen mit dieser Spei-se vertraut werden und sie gut zu verdauen lernen. Es ist wesentlich,meine Tochter, nur von einer Speise zu essen, wenn sie gut ist; derMagen erfüllt dann umso besser seine Aufgabe. Sehnen wir uns nurnach dem Erlöser, und ich hoffe, daß wir eine gute Verdauung habenwerden.

Ich dachte, Ihnen über diesen ersten Punkt nicht so viel zu sagen, aberich lasse mich gern von Ihnen mitreißen. Und dann gehe ich bald mitIhnen zu diesem heiligen Mahl; denn es ist Donnerstag, und an solchenTagen halten wir uns recht vereinigt, und unsere Herzen, scheint mir,berühren einander durch dieses heilige Sakrament.

Im zweiten Brief sagen Sie gar nichts, worauf ich antworten müßte. Ja,meine Tochter, der „Geistliche Kampf“ ist ein großartiges Buch. Seit 15Jahren trage ich es ständig in meiner Tasche mit mir herum und ich leseniemals darin, ohne daß ich Nutzen daraus ziehe.

Im dritten Brief sprechen Sie mir von dem jungen Burschen, den Siebei mir unterbringen möchten. Ich dachte, es wäre irgendein Junge ausangesehenem Haus; darum schrieb ich Ihnen neulich, daß ich ihn neh-men würde, sobald ich einen anderen entlassen habe. Da Sie mir aberin einem anderen Brief sagen, daß Jacques ihn kennt, erkundigte ichmich, und er sagte mir, das wäre ein Junge, gut zu allem zu gebrau-chen; darum sage ich Ihnen jetzt, daß ich ihn, wenn Sie ihn mir schik-ken, gern aufnehmen will. Mit dem Wort „gut zu allem“ will ich gewiß

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nicht sagen, daß ich ihn taktlos behandeln will; sondern nur, daß ichihn nicht nur zum Schreiben, sondern auch als Kammerdiener zu vie-len kleinen Diensten verwenden und ihn hübsch bescheiden haltenkönnte. Sie werden mich besser verstehen, wenn ich Ihnen sage, daßich Sekretären zu begegnen fürchte, die auf die Bitte: „Geben Sie mirmeine Stiefel, satteln Sie mein Pferd, machen Sie das Bett“ antworten:„Dazu bin ich nicht da“, denn ich wende mich an den ersten, den ichfinde, Geistliche ausgenommen. Schicken Sie ihn also, und ich werdemich besonders um ihn kümmern. Ich meine, wann Sie wollen, dennich sehe, daß das Wetter rauh ist und ich mir Vorwürfe machen würde,einen Mann drei Meilen weit zu schicken. Schreiben Sie mir bitte,welchen Lohn ich ihm geben soll ...

Sie machen mir große, ja sehr große Freude, wenn Sie mich zur De-mut ermahnen; nicht etwa, weil mir nur diese Tugend fehlte, sondernweil sie die erste Tugend und Grundlage der anderen Tugenden ist. Le-gen Sie mir immer, wenn Ihr Herz es Ihnen eingibt, die Tugenden ansHerz ...

Ich hätte große Lust, Ihnen ein Wort über die Liebe zum Willen Got-tes zu sagen, denn ich sehe, daß Sie diese Übung im betrachtenden Ge-bet machen. Das meinte ich aber nicht damit; denn Sie brauchen sichdarin, d. h. im innerlichen Gebet, nicht an irgendeine ständige Übungbinden. Aber wenn Sie allein spazieren gehen oder sonstwo sind, werfenSie einen Blick auf den allgemeinen Willen Gottes, durch den er alleWerke der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit im Himmel, auf Erdenund unter der Erde will; und stimmen Sie in tiefer Demut diesem höch-sten, ganz heiligen, ganz gerechten und ganz schönen Willen zu, preisenSie ihn und lieben Sie ihn.

Werfen Sie einen Blick auf den besonderen Willen Gottes, mit dem erdie Seinen liebt und in ihnen verschiedene Werke, freude- und leidvolleWerke wirkt. Denken Sie das ein wenig durch. Erwägen Sie die verschie-denen Freuden, aber auch Leiden, die die Guten zu ertragen haben.Stimmen Sie dann in großer Demut diesem ganzen Willen zu, preisenSie ihn und lieben Sie ihn.

Betrachten Sie diesen Willen an Ihrer eigenen Person in allem, wasIhnen Gutes und Böses widerfährt und was Ihnen zustoßen kann, dieSünde ausgenommen. Stimmen Sie dann all dem zu; preisen und liebenSie es und beteuern Sie, diesen höchsten Willen immerdar ehren, liebenund anbeten zu wollen, indem Sie sich auf Gnade und Ungnade ihmausliefern und ihm Ihre Person und alle die Ihren schenken, zu denen

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auch ich gehöre. Und schließlich schließen Sie mit einem großen Aktdes Vertrauens auf diesen Willen, daß er alles für uns und unser Glückrecht tun werde.

Ich habe fast alles Nötige gesagt, ich füge nur noch hinzu, daß Sie dieseÜbung abkürzen, abändern und Ihrem Gutdünken anpassen können,wenn Sie es zwei- oder dreimal so gemacht haben. Man muß sie nämlichals Stoßgebete oft ins Herz hineinsenken ...

Mir scheint, daß die Frömmigkeit etwas zunimmt und daß unser Herrden Platz bereitet für die Arbeit einer kleinen Schar schwacher Frauen,die sich mit Gottes Hilfe eines Tages in diese Heimstätte zurückziehenwerden. Sie wissen, was ich meine.

Gott befohlen denn, meine Tochter, meine sehr liebe und vielgeliebteTochter; mögen wir immerdar Gott gehören! Ich bin in ihm einzigartigder Ihre ...

Es lebe Jesus! Amen.

Rumilly, 5. März 1608.Erst gestern, meine liebe Tochter, schrieb ich Ihnen über Lyon; und

jetzt kommt der Mann des Herrn de Sainte Claire und bringt mir IhrenBrief vom 24. Februar, auf den ich kurz antworten will; und wenn ichkann, werde ich auch noch auf einen der anderen Briefe antworten.

Ich beginne mit Ihrem Schlafengehen und Aufstehen am Morgen. Wa-rum tun Sie das, meine liebe Tochter? Nein, man darf den Geist nichtüberlasten durch Überanstrengung des Leibes; das sagte schon der hl.Franziskus zu seinen Jüngern. Freilich mache ich es auch, aber nur ge-zwungenerweise; andernfalls schlafe ich sehr gut die nötige Ruhezeitund ich will, daß Sie das gleiche tun. Der beiliegende Brief wurde Ihnenum Mitternacht geschrieben, aber es ist schon lange her, daß ich so langeaufgeblieben bin. Man darf sich nicht aus so geringen Gründen schädi-gen, besonders die Frauen nicht; nachher ist man den ganzen Tag nichtswert.

Meine liebe Tochter, Ihr Geist war aber an diesen zwei bis drei erstenTagen der Fastenzeit ganz verwickelt. Das wundert mich keineswegs,denn Sie haben einen so empfindsamen und eifersüchtig über Ihre Ent-schlüsse wachenden Geist, daß Sie alles, was ihm gegen den Strich geht,deutlicher empfinden wie nichts sonst; und ich habe Ihnen schon tau-sendmal gesagt, meine liebe Tochter, daß wir in unseren Aufgaben nichtso übergenau sein dürfen.

Ach, meine Tochter, soll ich Ihnen sagen, was mir in den vergangenen

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Tagen zugestoßen ist? Niemals in meinem ganzen Leben hatte ich diegeringste Empfindung einer gegen meinen Beruf gerichteten Versuchungverspürt. Neulich kam mir, ohne daß ich daran dachte, plötzlich eine inden Sinn. Nicht, daß ich etwa wünschte, ich gehörte nicht dem geistli-chen Stand an, denn das wäre wohl zu plump gewesen. Ich hatte viel-mehr mit einem Vertrauten gesprochen (ich glaube wirklich, daß esunser Groisy war51) und gesagt, daß ich, vor die Wahl gestellt, den geist-lichen Stand oder das Erbe eines Herzogtums zu wählen, den geistli-chen Stand wählen wollte, so sehr liebte ich ihn. Darauf erhob sich inmeiner Seele ein Streit, ob ja oder nein, der einige Zeit lang anhielt. Ichsah ihn, scheint mir, unten, ganz unten auf dem tiefsten Grund des unte-ren Bereiches meiner Seele, wo er sich wie eine Kröte aufblähte. Ichmachte mich darüber lustig und wollte nicht einmal denken, ob ichdaran dächte; der Streit löste sich auch bald in Rauch auf und ich wurdeseiner nicht mehr gewahr. In Wirklichkeit wäre ich dadurch fast ärger-lich geworden und hätte damit alles verdorben; aber schließlich dachteich in mir selbst, daß ich gar nicht verdiente, einen so hohen Frieden zubesitzen, daß der böse Feind nicht wagte, von ferne meine Mauern insAuge zu fassen.

Mein Gott, meine Tochter, ich möchte, daß Ihr Herz eine etwas dicke-re Haut hätte, damit Flöhe Sie nicht hinderten, zu schlafen. Wenn dieVersuchungen Ihnen von links kommen, würde ich mich deshalb nichtsorgen, denn sie sind gar zu niedrig. Diese Ärgerlichkeiten dauern jaauch nicht immer, sondern nur im gegenwärtigen Stand Ihrer Angele-genheiten; darum sagte ich Ihnen ja, daß Sie Geduld haben müssen. O,da haben wir schon Mittel, uns tapfer zu verteidigen und in geordneterSchlachtreihe. Wenn Ihnen die Versuchungen aber von rechts kommen,vermag ich Ihnen nichts zu sagen als: Glauben Sie mir, meine Tochter,in dieser Hinsicht verlassen Sie sich auf meine Seele; ich habe meinerMeinung nach dafür tadellose Gründe. Dieser Dinge wegen darf mansich nicht in einen Streit einlassen; das muß sich mit stillen Überlegun-gen und in Ruhe lösen; ganz gemächlich und von Herz zu Herz.

Doch ich spreche schon zu viel davon. Da Sie doch in unseren Ent-schlüssen festbleiben, sollte ich Ihnen nichts sagen, als: Bleiben Sie inFrieden, meine Tochter, all dies ist nichts. Glaube, Hoffnung und Liebe,unverrückbare Bestandteile unseres Herzens, sind wohl Stürmen ausge-setzt, aber nicht von Erschütterung bedroht. Wie wollen wir da, daßunsere Entschlüsse davon ausgenommen seien? Sie sind großartig, mei-ne Tochter, daß Sie sich nicht damit zufriedengeben, wenn unser Baum

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richtig und tief verwurzelt bleibt, sondern auch noch wollen, daß sich anihm nicht ein Blatt bewegt.

Lenken Sie sich bei solchen Anlässen ab durch positive Akte der Lie-be zu Gott und des Vertrauens auf seine Gnade. Nach all dem fürchtenSie nicht, wegen dieser Kleinigkeiten gegen unsere Entschlüsse zu ver-stoßen, auch nicht gegen das Vertrauen und die Geborgenheit, die Sie indiesen Entschlüssen und in mir haben sollen. Das sind grundlose Ängs-te. Der Engel des Bösen, der auf den hl. Paulus (2 Kor 12,7) „mit derFaust einhieb“, indem er Stürme unreiner Gedanken erregte, vermochtedennoch seine Reinheit nicht zu verletzen; warum sollten wir unsereEntschlüsse durch solche Geistesregungen für verletzt halten?

Im übrigen haben Sie doch einen guten, klugen und gelehrten Beicht-vater gewählt; teilen Sie ihm furchtlos unsere Entschlüsse mit, so wie siesind, damit Ihr Geist durch seine Ratschläge Erleichterung finde; dennich zweifle in keiner Weise, daß er nichts daran ändern, sondern Sie nurdarin bestärken wird. Ich sprach über diese Entschlüsse zum Pater Rek-tor von Chambéry,63 ohne einen Namen zu nennen, und er bestärktemich darin; ich sprach auch zu einem anderen hohen Geistlichen darü-ber, und auch er bestärkte mich darin; ich habe tausendmal zu Gottdarüber gesprochen, wohl nicht so ehrerbietig, wie ich es hätte tun sol-len, und doch hat er mich immer darin bestärkt. Erklären Sie also IhreAngelegenheit eingehend Ihrem Beichtvater, dem Pater Gentil. SagenSie ihm, aus welchen Überlegungen heraus Sie Ihren Eintritt ins Klosterverschoben haben, und welche Überlegungen ich für die Lebensweisenach diesem Eintritt angestellt habe (aber, von all dem abgesehen, wirddas zweifellos zur größeren Ehre Gottes gereichen aus Gründen, die ichnicht sagen kann), und Sie werden sehen, daß er sagen wird, unsere Ent-schlüsse seien aus Gottes Hand selbst hervorgegangen (Ps 77,11). Ichzweifle keineswegs daran.

Während ich Ihnen so zwanglos über diesen Gegenstand schreibe,kommen mir Bedenken, daß ich zu viel davon spreche. Nein, meineTochter, grübeln Sie nicht über all dies, denn ich schrieb ja nicht zudiesem Zweck, auch nicht aus der Angst heraus, daß Ihr Mut Sie imStich lasse. Nein, keineswegs. – Nachdem Sie Ihr Vorhaben Pater Gentilgeschildert haben, sollten meine Worte Sie zwar in Ihren Entschlüssennicht bestärken – denn ich halte sie für unumstößlich, – wohl aber sollenSie darin Trost finden, wie auch ich. – Mein Gott, jetzt ist es wirklichgenug.

Aus dem Brief, den Thibaut mir brachte, habe ich gesehen, daß Sie

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frei und offen zu Ihrem Beichtvater gesprochen haben, wofür ich Gottpreise, und daß er mit unseren Absichten übereinstimmt.

Unser Herr sei immerdar mit Ihnen, meine Tochter. Ich bin in unver-gleichlicher Zuneigung ganz der Ihre in ihm und durch ihn. Amen.

Rumilly, 7. März 1608.Nun schreibe ich Ihnen schließlich auch noch durch Herrn von Favre,

meine liebe Tochter, und doch immer ohne genügend Zeit, denn ichmußte viele Briefe beantworten und immer sind Sie die Letzte, der ichschreibe, aber ich fürchte nicht, darauf zu vergessen. Es reut mich, Ihnenneulich so viel geschrieben zu haben über diese kleine Unruhe des Geis-tes, die Ihnen zugestoßen ist; denn da sie in Wahrheit nichts war und Siees dem Pater Gentil mitgeteilt haben, war das alles ja wieder fortge-wischt und ich hatte nichts zu sagen, als: Deo gratias. Aber sehen Sie,mein Geist ist so geneigt, sich mit Ihnen zu verströmen und mit allen,die ich lieb habe.

Mein Gott, meine Tochter, wie gut wirken sich Ihre Übel auf michaus, denn ich bete dafür mit noch mehr Aufmerksamkeit, ich stellemich mit noch reinerer Absicht vor unseren Herrn und versetze michnoch mehr in Gleichmut. Aber glauben Sie mir: entweder bin ich deram meisten getäuschte Mensch der Welt, oder unsere Entschlüsse sindvon Gott und dienen seiner größeren Ehre. Nein, meine Tochter, schau-en Sie nicht mehr nach rechts und links. Ach, ich will nicht sagen, daßSie gar nicht schauen sollen, nein! Ich will sagen: schauen Sie nichtherum, um sich dabei aufzuhalten, um etwas sorgsam zu untersuchen.Lassen Sie sich nicht verwirren, verwickeln Sie Ihren Geist nicht inÜberlegungen, aus denen Sie sich nicht mehr lösen können. Denn,wenn man nach so langer Zeit, nach so viel innigen Gebeten zu Gottnicht ohne Schwierigkeiten Entschlüsse faßt, wie sollen wir denken,das Richtige zu treffen auf grundlose Überlegungen hin (bei denen,die von links kommen), oder auf einfaches Riechen und Schmeckenhin (bei denen, die von rechts kommen)? Aber lassen wir das, spre-chen wir nicht mehr davon.

Sprechen wir von einer allgemeinen Regel, die ich Ihnen geben will.Alles, was ich Ihnen mit diesen Worten sage: „Denken Sie nicht dies undjenes“, „Schauen Sie nicht an“ oder mit ähnlichen Worten, all das ver-steht sich im Großen und Ganzen. Denn ich will keineswegs, daß SieIhren Geist zu etwas zwingen, außer dazu, Gott recht zu dienen, ihn

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recht zu lieben, Ihre Entschlüsse nicht aufzugeben, sondern sie zu lie-ben. Ich meinerseits liebe meine Entschlüsse so sehr, daß nichts, was ichsehe, mir genügend erscheint, auch nur eine Unze an hoher Achtung, dieich davor empfinde, wegzunehmen, auch wenn ich andere, noch ausge-zeichnetere und höhere Entschlüsse sehe und betrachte ...

Ach, meine Tochter, was Sie mir durch Herrn von Sauzea schreiben,ist auch etwas Verwickeltes.

Mein Gott, meine Tochter, könnten Sie nicht, wenn Ihnen dies zu-stößt, sich vor Gott niederwerfen und ihm ganz einfach sagen: „Ja, meinHerr, wenn Du es willst, will ich es auch, und wenn Du es nicht willst,will ich es auch nicht“, und dann zu einer Übung und Beschäftigungübergehen, die Ihnen als Ablenkung dient? Sie aber, meine Tochter,sehen Sie, was Sie machen: wenn eine solche Kleinigkeit vor IhremGeist auftaucht, dann ärgert er sich darüber und möchte das nicht sehen;er fürchtet, daß ihn das aufhält. Diese Angst wieder entzieht Ihrem Geistdie Kraft und läßt diesen armen Geist ganz bleich, traurig und zitterndzurück; diese Angst mißfällt ihm und erzeugt eine andere Angst, daßdiese Angst und der durch sie verursachte Schrecken Ursache des Übelssei; und so geraten Sie in Verwirrung. Sie haben Angst vor der Angst,dann fürchten Sie die Angst vor Angst, Sie ärgern sich über ihren Ärgerund dann ärgern Sie sich, über Ihren Ärger verärgert zu sein.

So habe ich viele gesehen, die in Zorn gerieten und nachher zornigdarüber waren, daß sie in Zorn gerieten; das scheint so wie bei denKreisen, die ein ins Wasser geworfener Stein verursacht, denn da bildetsich zuerst ein kleiner Kreis und der macht einen größeren und dieserwieder einen noch größeren usw.

Was man dagegen tun kann, meine Tochter? Mit der Gnade Gottesnicht so empfindlich sein! Sehen Sie (hier noch weitere Erwägungen,aber es geht nicht anders): Jene, die das Jucken, verursacht von einerMilbe, nicht ertragen können und sich kratzen in der Meinung, es gehedadurch vorüber, kratzen sich nur die Hände wund. Machen Sie sichüber die meisten dieser Nebelschwaden lustig. Schlagen Sie nicht umsich in der Meinung, sie dadurch abschütteln zu können; lachen Siedarüber, lenken Sie sich durch andere Beschäftigungen ab, trachten Sie,gut zu schlafen! Stellen Sie sich vor (ich will sagen, denken Sie), Sieseien ein kleiner heiliger Johannes, der an der Brust unseres Herrn (Joh13,23), in den Armen seiner Vorsehung schlafen und sich ausruhen darf.Und Mut, meine Tochter! Wir haben doch keine anderen Absichten alsdie Verherrlichung Gottes, nicht wahr? Nein gewiß, jedenfalls keine

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klar festgelegten Absichten; denn wenn wir solche entdeckten, so wür-den wir sie doch sogleich aus unserem Herzen reißen. Also, warumquälen wir uns? Es lebe Jesus, meine Tochter! Ich meine manchmal, daßwir doch alle ganz erfüllt von Jesus sind, zumindest haben wir keinenüberlegten entgegengesetzten Willen. Das sage ich nicht im Geist derÜberheblichkeit, meine Tochter, sondern im Geist des Vertrauens undum Sie zu ermutigen. Genug davon.64

Wahrlich, ich liebe Ihren Thibaut sehr, obwohl ich mit ihm nochnicht gesprochen habe; aber seine Miene gefällt mir und ich meine, daßich ihn ganz für mich gewinnen werde; Glauben Sie mir zumindest, daßes mir viel Freude macht, ihn von Ihnen ganz kurz sprechen zu hören:„Die gnädige Frau“; das bewegt mich und mir scheint, daß er mir ohneWorte sagen will, daß ich ihn gernhaben soll. Ich muß nun auch vongeringeren Gedanken reden nach den vorhergegangenen großen: er istein wenig erstaunt, hier nicht Monthelon zu finden, ich meine, hier inRumilly.

Ich schicke Ihnen die Übung, die ich Frau von Charmoisy in der Vor-fastenzeit verrichten ließ, denn sie war nur am Montag und Dienstag aufUnterhaltungen. Sie sollen sie lesen wie anderes auch; nur der letzte Teilkönnte Ihnen meiner Meinung nach dienen. Jene Dame ist in Chambéryaus geschäftlichen Gründen. Sie hat sich nun ein wenig enger an dasKruzifix gebunden und an die Abhängigkeit von ihrem geistlichen Va-ter; nicht etwa, daß dies nicht immer ihre Absicht gewesen wäre, abernicht so offen und klar.

Groisy hat sich am Finger verletzt, befindet sich aber sonst wohl. Ichwill ihn aber nicht entschuldigen, sondern anklagen, daß er Ihnen nichtschreibt. Als er in Paris war, hat er mich auch so behandelt und dannschrieb er mir ein für allemal, das Schreiben sei ein zu schwacher Be-weis der Liebe. O, ich habe ihn wirklich fest ausgeschimpft. Ich mußteIhnen das sagen; aber hören Sie nicht auf, ihn liebzuhaben; er ist sicherein gutes Kind. Unser Kanonikus ist sehr im Gedränge, der Arme; denner steckt inmitten einer Schar von Leuten, die ihn nach allen Seitenziehen, um sich seiner für ihre Seelen zu bedienen. Wenn Gott uns hilft,wird er Erfolg haben ...

Ich versichere Ihnen, meine Tochter, daß es neun Uhr abends ist; ichmuß nun etwas essen und das Brevier beten, damit ich morgen um achtUhr predigen kann; aber ich kann mich von diesem Papier nicht losrei-ßen. Und so muß ich noch schnell diese kleine Verrücktheit sagen: ichpredige an diesem Ort so hübsch nach meinem Wunsch, ich sage, ich

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weiß nicht was, das diese guten Leute so gut verstehen, daß sie mir fastgern antworten möchten.

Gott befohlen, meine Tochter, meine sehr liebe Tochter. Ich bin aberin unvergleichlicher Weise ...

Rumilly, 7. März 1608.65

Meine liebe Tochter!Ich muß Ihnen diese Übung schicken, an der ich wohl sehe, daß viele

Dinge besonders für diese eine Seele bestimmt sind, für die sie geschrie-ben ist, sodaß sie anderswo nicht angewandt werden können; Sie aber,die diese Seele kennen, werden sich trotzdem daran erfreuen. In dieserAbsicht allein schicke ich sie Ihnen und bitte Sie, sie nicht zur Gänzeanderen mitzuteilen; wohl aber, je nachdem Sie sehen werden, einzelneStücke davon und mündlich. Die Entschlüsse darin sind allgemeinerNatur, Gott zu dienen; darum sehe ich keine Schwierigkeit, warum sienicht für immer Geltung haben sollen. Und ich füge noch hinzu, daßauch die persönlichen Entschlüsse für immer gültig sein sollen, wennGott und seine Verherrlichung der Gegenstand unseres Willens sind.Bei der Gewissenserforschung finden sich Einzelheiten, die nur der Ei-genart dieser Seele entsprechen; das werden Sie wohl zu unterscheidenwissen.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, und Jesus lebe und herrsche im-merdar in uns!

Ich habe Ihnen vor kurzem einen Brief meiner Mutter geschickt. Jawirklich, diese arme Mutter liebt Sie gar sehr. – Es gibt nirgends mehrPestfälle. Wenn Sie zwei Brieflein schreiben würden, eines an Frau vonEquimier, Ihre Gastgeberin von Cruselles, und das andere an Frau deLalée, würden Sie ihnen viel Freude machen.

Wenn Sie der Dame schreiben, für die diese Übung aufgestellt wur-de, sprechen Sie etwas weniger von mir; ich sage wohl „etwas weni-ger“. Das nicht ihretwegen, denn sie ist ganz offen, sondern weil siesich manchmal eine Ehre daraus macht, Ihre Briefe anderen zu zeigen.Sorgen Sie sich aber nun nicht, ob sie Ihre Worte als Mahnung auffaßtoder nicht, denn da ist nichts zu befürchten; nein, sie ist ganz offen undunbefangen. –

Wenn Sie wüßten, wie ich Ihnen schreibe, würden Sie es wie eineFastenpredigt verkosten. Ich bin ganz fröhlich, meine liebe Tochter. Eslebe Jesus. Amen.

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Annecy, 6. Mai 1608.Man spricht ernsthaft davon, daß mir eine Rangerhöhung zugedacht

sei und zwar drüben. Das hat mir Sorge bereitet, denn man sagt, es seizur größeren Ehre Gottes und zum Wohl der Kirche. Bleiben Sie aber inFrieden, meine sehr teure Tochter; denn es wird alles nur nach demWohlgefallen der göttlichen Majestät und nach seiner Vorsehung ge-schehen.

Ich weiß nicht, woher es kommen mag, daß dieser hohe Fürst michweiterhin so sehr mit seiner Gunst auszeichnet, ohne daß ich jemalsirgendetwas dazu getan hätte. Meine Antwort lautete (denn wie ich Ih-nen bereits sagte, ist allen Ernstes daran gedacht), daß ich ganz Gottgehöre und zu ihm sage: „Herr, was willst Du, daß ich tue?“ (Apg 9,6).Binnen zwei Monaten werde ich dieser Sorge durch einen endgültigenEntscheid enthoben sein. Beten Sie also sehr für mich, meine liebe Toch-ter, daß mein Herz sich rein halte von jeder Eitelkeit und von weltli-chem Ehrgeiz. Was mich betrifft, so erkläre ich, daß ich nur Gott will„als mein Erbe“ (Ps 73,26), was auch immer kommen mag. Die Aus-führbarkeit unserer Entschlüsse kann dadurch nicht in Frage gestellt,sondern mit Gottes Hilfe sogar erleichtert werden.

O meine Tochter, wann wird uns vollkommene Vereinigung mit Gottverbinden? Wann werden unsere Herzen von seiner Liebe entflammtsein? Mut, meine liebe Tochter, wir sind für dieses selige Ziel bestimmt.Lassen wir uns durch unfruchtbare Zeiten nicht stören, diese werdenletzten Endes doch Frucht bringen; auch nicht durch Trockenheiten,denn „das dürre Land wird sich in Quellen lebendigen Wassers verwan-deln“ (Ps 36,7).

Als ich neulich im Gebet die geöffnete Seite unseres Herrn betrachte-te und sein Herz sah, schien mir, als stünden unsere Herzen rings um ihnund huldigten ihm als dem höchsten König aller Herzen. Möge er im-merdar unser Herz sein! Amen ...

Die kleine Aimèe wird eine der meistgeliebten Schwestern auf derWelt sein, da ich ihr Bruder sein werde. All dies betrifft nur unsereäußere Verbundenheit, denn Er, vor dessen Auge die Tiefen meinesHerzens offen stehen, weiß, daß das innere Band, durch welches er mei-ne Seele mit der Ihren verbindet, von all diesen Umständen ganz unab-hängig ist, die jene tiefe und ganz reine Zuneigung und Einheit, welcheGott in uns geschaffen hat, weder stärken, noch vermindern können ...

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Annecy, um den 11. Mai 1608.In der vergangenen Woche erhielt ich vier Briefe von Ihnen: den einen

vom Ostersonntag, die anderen drei vom 27. April. So will ich Ihnendenn lieber in aller Eile schreiben, als noch länger zu warten.

Ich sehe, was Sie mir von diesen guten Seelen schreiben, die die glei-chen Wünsche wie Sie haben, Wünsche, die sich in Ihrem Herzen kräf-tigen und die zur Tat drängen. Ach, meine liebe Tochter, ich sehe wohl,daß diese Wünsche an Ihrem Geist oft rütteln; aber glauben Sie mir, daßauch mein Wunsch, dies alles zur Ehre Gottes durchzuführen, recht oft(ja, wenn ich dies schon als ein Wort des Selbstlobes sagen darf), michöfter noch als Sie bewegt. Aber soll man nicht alles wohl mit sorgsa-mem, zugleich aber behutsamem, ruhigem und ergebenem Eifer tun?Nun denn, ich hoffe, daß Gott uns dabei Führer sein wird.

Meine Tochter, beunruhigen Sie sich bitte nicht darüber, was ich Ih-nen neulich über den Plan schrieb, den man hat, mich aus meinem Landund von den Meinen fortzuholen (Gen 12); denn nichts wird geschehenaußer durch Gott, und wohin ich auch unter seiner Führung gehen mag,so wird doch alles sehr gut gehen für Sie und für mich. Nein, glauben Siemir nur, meine liebe Tochter (aber bitte, sprechen Sie mit niemand da-rüber, denn Ihnen sage ich alles), ich würde nicht ohne Widerstrebenmeinen Wohnsitz wechseln, wenn es sein müßte, obgleich ich, Gott seiDank, hier an nichts hänge, außer an einigen Seelen und mit diesengottlob verbunden nur durch ein rein geistliches Band. Aber Gott wirdalles in seiner Hand halten; denn sehen Sie, meine liebe Tochter, meineSeele hat keinen anderen Treffpunkt als in dieser Vorsehung Gottes:„Mein Gott, Du hast es mich seit meiner Jugend gelehrt und bis zurStunde will ich Deine Wunder künden“ (Ps 71,17).

Gott befohlen, meine liebe Tochter! Seien Sie ganz versichert, daß ichinnig Sorge trage für Ihre Seele, die mir wie meine eigene teuer, wertvollund liebenswert ist, ja ich betrachte beide als eins. Gott liebt uns, meineTochter; er wird immer mit uns sein, er allein ist unsere Liebe und unserVertrauen. O Gott, wieviel Gutes wünsche ich doch Ihrem Geist, meineliebe Tochter! Die heilige Jungfrau sei unsere liebe Frau und Herrin!

Ich bin der Ihre, wie Gott es will und bewirkt ...

Annecy, 25. Juni 1608.66

Ich schreibe Ihnen noch schnell in dieser Stunde, meine liebe Toch-ter, die ich innig und unvergleichlich in unserem Herrn liebe. Ich habeIhre beiden Briefe vom 24. Mai und 8. Juni erhalten und aus beiden

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erkenne ich dieses starke Verlangen nach Ihrer Zurückgezogenheit undStille. Auch ich, meine ich, wünsche dies ebenso stark, aber wir müssenwarten, bis Gott es will. Ich will sagen, daß wir dies in aller Ruhe und inLiebe abwarten sollen; das heißt, wir müssen auch dieses Warten lieben,da Gott es so will ...

Um nun zu Ihnen zu kommen: ich weiß wohl, daß Sie Johanna hei-ßen und daher diese ganze Oktav hindurch denken, daß ich Sie demglorreichen Vorläufer des Herrn empfehle. Tatsächlich betrachtete ichneulich (am Samstag) die Größe der Liebe Unserer lieben Frau zuuns. Unter anderem fiel mir dabei ein, was von Bilha, der DienerinRahels, gesagt wird, die ihre Kinder auf den Knien und in den Schoßihrer Herrin zur Welt brachte. Diese Kinder waren dann nicht mehrihre, sondern die Kinder ihrer Herrin (Gen 30). Es schien mir nun, alsob unsere Herzen und Neigungen, wenn wir sie durch ein rechtes Ver-trauen auf die Knie und in den Schoß Unserer lieben Frau legen, nichtmehr uns gehörten, sondern ihr; das war mir ein großer Trost. ZumSchluß übergab ich ihr nicht nur die Kinder meines Herzens, sondernauch das Herz meiner Kinder und meine Herzenskinder. ÜberlegenSie, meine liebe Tochter, ob Sie dazugehören und an welche Stelle ichSie setze. O Gott, ich empfand eine gewisse warme Seligkeit, Sie indiesem geweihten Schoß geborgen zu wissen und Unserer lieben Frauzu sagen: „Sieh da Deine Tochter, deren Herz Dir ganz geweiht ist.“Ich könnte nicht genau das sagen, was mein Herz sprach, denn – wieSie wissen – haben die Herzen eine geheime Sprache, die niemandanderer versteht als sie. Es kam mir in den Sinn, Ihnen das zu erzählen,und so habe ich es jetzt auch getan ...

In den letzten Tagen begab ich mich nach Thonon, um gelehrte geist-liche Herren wieder aufzunehmen,67 die durch sittliche Verfehlungenabtrünnig geworden waren und sich mit den Hugenotten eingelassenhatten. Ach, wie tief waren sie doch gefallen! Es war mir ein großerTrost, zu sehen, daß sie wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren,wozu es einer gewaltigen Kraftanstrengung ihrerseits bedurfte. Ach, eswaren Ordensleute ... Gegen ihr eigenes Gewissen hatten Jugend, eitlerRuhm und Sinnlichkeit sie in diesen Abgrund gerissen. Einer vor allemerweckte in mir, als er mir von seinem Fall erzählte, großes Mitleid undumso mehr Freude über seine Entschlossenheit, zurückzufinden. O Gott,welche Gnade war mir doch zuteil geworden, daß ich so lange Zeit undso jung und schwach noch unter den Häretikern lebte und so oft dengleichen Verlockungen ausgesetzt war, ohne daß jemals mein Herz die-

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se unseligen und unglücklichen Gegenstände auch nur anschauen woll-te! Gepriesen sei die gütige Hand Gottes, der mich in solcher Umge-bung festgehalten hat! ...

Gott befohlen, meine sehr liebe Tochter; mögen wir ganz und ewigGott gehören. Ich habe in den letzten Tagen mehrere Messen für Sieaufgeopfert. O Gott, meine Tochter, wie sehr gehört Ihnen doch meinHerz, da Gott es so gewollt hat und will. Möge sein Name immerdargepriesen werden! Amen ...

Annecy, 4. Juli 1608.68

... Ich muß Ihnen doch sagen, daß die von uns gewählte Lebensweisemir täglich erstrebenswerter erscheint und daß dadurch unserem Herrnein reicher Dienst geboten wird. Ich sehe zwar mehrere Schwierigkei-ten, aber da ich glaube, daß Gott es will, mache ich mir darüber keineSorgen; wir müssen nur ein wenig Geduld haben. Ich empfehle Sie auch,scheint es mir, Gott so recht von Herzen, meine liebe Tochter; glaubenSie mir, daß ich dies mit ganz unvergleichlicher Liebe tue. Leben Sieindessen ruhig bei unserem Herrn und Unserer lieben Frau und demheiligen Josef. Mein Gott, meine Tochter, welch gute und innige Gefüh-le habe ich doch manchmal in meiner Seele dem Heiland gegenüber!Aber ach, ich habe kaum greifbare Wirkungen davon in Händen. Den-noch verliere ich nicht den Mut ...

Gott befohlen, meine liebe Tochter, ich gehe jetzt, die Abendandachtzu verrichten, die für die Nöte dieses Landes vor dem Allerheiligstenabgehalten wird. Sie werden dabei nicht vergessen werden, denn derPlatz, den Sie in meinem Herzen einnehmen, läßt ein Vergessenwerdennicht zu. Ja, ich glaube in tiefster Seele, Gott will, daß ich so unabänder-lich und so unvergleichlich ganz der Ihre sei ...

Sales, 19. September 1608.69

Übrigens, meine Tochter, muß ich Ihnen erzählen, was mich am ver-gangenen Sonntag sehr gefreut hat. Ein Bauernmädchen von Geburt,sehr edlen Herzens und Strebens, bat mich nach der Beichte, daß ich siezur Bedienung der Schwestern zulasse, die ich zu stiften gedenke. Icherkundigte mich, woher sie von dieser noch ganz in Gott verborgenenAbsicht wisse. „Von niemand“, antwortete sie, „ich sage Ihnen nur, wasich denke.“ O Gott, dachte ich mir, hast Du also Dein Geheimnis dieserarmen Magd geoffenbart? (Mt 1,25). Dieses Gespräch brachte mir viel

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Trost und ich will dieses Mädchen darin ermutigen und bestärken, so-viel ich kann, denn ich halte sie für so fromm und fleißig, wie es zumDienst an unserem kleinen Beginnen erforderlich ist ...

Annecy, 29. September 1608.70

Jesus, in dessen Herzen meine Seele die Ihre in einzigartiger Weiseliebt, sei immerdar unser Trost, meine Tochter. Ich habe mehrere Dingeauf dem Herzen, die ich Ihnen sagen muß, ich weiß nur nicht, ob ich siewerde zu Papier bringen können; denn ich habe auf der ganzen Rückrei-se71 viel, ja überaus viel über Sie nachgedacht.

Ihre drei Wünsche für das sterbliche Leben mißfallen mir nicht, dennsie sind recht, vorausgesetzt, daß sie nicht heftiger sind, als ihr Gegen-stand es verdient. Es ist zweifellos recht, jenem Leben zu wünschen, denGott Ihnen zum Führer Ihres Lebens gegeben hat; Gott aber, meineTochter, meine sehr teure, Gott hat hunderterlei Mittel, ja unendlichviele Mittel, Sie auch ohne diesen zu führen; er selber führt Sie wie einSchäflein (Ps 80,2). Ach, ich bitte Sie, halten Sie Ihr Herz hoch erhoben,verknüpfen Sie es unaufhörlich mit dem allerhöchsten Willen dieses soguten Vaterherzens unseres Gottes; ihm sollen immerdar unsere Seelengehorchen, und zwar in aller Liebe.

Dennoch schaue ich schon auf mich, wie ich es Ihnen ja versprochenhabe, und zweifellos mehr deshalb, als aus persönlicher Neigung zu die-ser Art von Aufmerksamkeit; denn ich glaube schon, daß es Gottes Willeist, wenn ich etwas aus Liebe zu Ihnen tun will. Nun, Gott verfahre mitmir nach seinem Wohlgefallen (Tob 3,6).

Meine Tochter, so lange Gott will, daß Sie in der Welt bleiben ausLiebe zu ihm, verbleiben Sie darin gern und froh. Viele verlassen dieWelt, verlassen aber deshalb nicht sich selbst, sondern erstreben durchdie Weltflucht Erfüllung ihrer Wünsche, ihre Ruhe, ihre Befriedigung.Solche Menschen drängen übermächtig dazu, die Welt zu verlassen,denn die sie treibende Eigenliebe ist eine stürmische, heftige und un-geordnete. Meine, ja meine wahre Tochter, wir wollen doch nicht zudiesen gehören. Verlassen wir die Welt, um Gott zu dienen, um Gottnachzufolgen und um Gott zu lieben. Das soll so sein, daß wir auchgerne in der Welt bleiben, solange wir nach Gottes Willen ihm in derWelt dienen, ihm nachfolgen und ihn lieben sollten, da wir doch nurdanach streben, Gott zu dienen. Daher wollen wir uns damit zufrie-dengeben, wo auch immer wir dies tun. Bleiben Sie in Frieden, meine

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Tochter! Tun Sie das gut, was Ursache Ihres Verbleibens in der Weltist, tun Sie es gern und seien Sie versichert, daß Gott mehr Freudedaran haben wird, als an hundert Verzichten aus Eigenwillen und Ei-genliebe.

Muß ich Ihnen schließlich nicht noch dies sagen, da es mich sehrgefreut hat? In Châlons traf ich Herrn André Valladier (den großenKanzelredner, der nach mir gepredigt hat, als er noch Jesuit war); ererwies mir tausenderlei Ehrenbezeugungen und Freundlichkeiten underzählte mir vielerlei, unter anderem, daß die erst vor kurzem heiligge-sprochene Franziska von Rom eine der größten Heiligen gewesen sei,die man sich vorstellen kann, daß er selbst über Auftrag des Papstes ihrLeben auf lateinisch beschrieben habe und nun nach Paris gehe, umdiese Schrift drucken zu lassen. Als ich mich nach den Besonderheitendieses Heiligenlebens erkundigte, sagte er mir, daß sie 40 Jahre langverheiratet war und in ihrer Witwenzeit eine Kongregation für Witwengegründet hat, die in einem Haus zusammenleben, darin ein klösterli-ches Leben führen und daß niemand ohne gewichtige Gründe darin Ein-laß findet. Die Witwen selbst gehen jedoch hinaus, um den Armen undKranken zu dienen, worin die ureigenste Übung der Kongregation be-steht. Dieses Haus sei für Rom ein großer Gewinn und beispielgebend.

Sie hörten, was Herr Blondeau von Paris erzählte. Es lebe Gott, mei-ne Tochter, und herrsche immerdar in unseren Herzen! Ich hatte nichtsvon alldem gewußt, als ich Sie und unsere guten Witwen in Dijon sprach;zweifellos ruft der Heilige Geist ähnliche Bewegungen an verschiede-nen Orten seiner Kirche hervor. Beten wir zu Gott, demütigen wir uns,warten wir in Geduld, und wir werden Trost finden.

Dieser gute Mann sagte mir noch viele andere weniger erfreulicheDinge, denn er sprach mit großer Leidenschaft von seinem Austritt ausdem Orden, und ich habe doch, wie Sie wissen, eine große Abneigunggegen unruhige Geister. Er sagte mir, die ungehörigen Machenschaftendes Ordensmannes, von dem wir in der Kutsche gesprochen haben undworüber Sie zu Herrn de la Curne gesprochen haben, seien dem Kardi-nal von Givry und der Inquisition in Rom zu Ohren gekommen. Ichbedauerte es, daß er mit mir darüber sprach, wie über etwas, worüber ichBescheid wüßte, obgleich ich mir nichts davon anmerken ließ. Einer-seits fürchtete ich, daß dies bekannt wird, denn es wäre ein großer Skan-dal und würde den Weltmenschen viel zu reden geben; andererseits möch-te ich aber schon, daß diesem Übel Einhalt geboten werde, in der Sorge,es könnte sich auch bei anderen einschleichen. Er sagte mir, der Pater,

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dessen Brief Sie mir in Beaume zeigten, handle fast ebenso schlecht. Dasmißfällt mir überaus; wenn ich in seine Nähe komme, will ich versu-chen, mit ihm darüber zu sprechen.

All das, meine liebe Tochter, läßt mich wünschen, daß meine Schwes-tern, meine Töchter, niemand außerhalb der Beichte zu großes Vertrau-en entgegenbringen; denn, mein Gott, liegen darin nicht große Gefah-ren? Ach, ich will glauben, daß es nicht so arg ist; aber es ist noch weni-ger arg, taktvoll zu sein. Ich möchte, wie der hl. Bernhard zu seinenNovizen, jenen, die sich um die Seelen kümmern, sagen: „Dafür will ichnur Seelen, das Körperliche soll damit nichts zu tun haben.“ Nun, ichhabe das alles gesagt, weil es mir jetzt so in den Sinn gekommen ist, undauch nur zu einer Seele, die ich kenne und auf die ich mit Recht einabsolutes Vertrauen setzen kann. Bedienen Sie sich im Bedarfsfall derRatschläge aller, aber setzen Sie auf Menschen, auch wenn sie Engel zusein scheinen, wenig Vertrauen; ich meine, großes und völliges Vertrau-en. Aber das bleibt nur zwischen uns Beiden gesagt.

Kommen wir auf Ihren dritten Wunsch zurück: auch er ist gut; abermein Gott, meine Tochter, er verdient nicht, daß man sich an ihn hängt.Empfehlen wir ihn Gott und tun Sie Ihrerseits eifrig alles zu seinemGelingen, was auch ich meinerseits tun werde. Darüber hinaus aber darfes Sie, meine Tochter, nicht den Schlaf einer einzigen Stunde kosten,wenn seine göttliche Majestät es anders verfügt, weil das die Zukunftschauende Auge Gottes erkennt, daß dies vielleicht weder seiner Ver-herrlichung, noch seinen Absichten entspricht. Die Leute werden reden.Aber was können sie schon sagen? Das alles bedeutet jenen nichts, diedie Welt nur voll Verachtung betrachten und die auf die Zeit nur unterdem Gesichtspunkt der Ewigkeit schauen. Ich werde mich bemühen, dieAngelegenheit so fest zusammenzuhalten, daß wir ihren Abschluß sehenkönnen; denn Sie wünschen es nicht mehr als ich; wenn es aber Gottnicht gefällt, so gefällt es auch mir nicht und auch Ihnen nicht, denn ichspreche von Ihnen wie von mir.

Ich habe meine gute arme Mutter so schwer krank gefunden, daß ichganz bestürzt darüber war; nicht, daß sie bettlägerig ist, aber es scheinteine Erschöpfung und fortschreitende Altersschwäche zu sein. Nun, wirwerden unser Möglichstes tun. Gott möge mit uns und allem, was unsgehört, nach seinem Gutdünken handeln.

Unser Buch über die Frömmigkeit72 ist noch nicht gedruckt; sobalddies der Fall sein wird, werde ich es all jenen schicken, denen ich esversprochen habe.

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Unser guter Vater73 ist frohgemut gekommen und seine Seele ist derFrömmigkeit aufgeschlossen, aber die Menge der Geschäfte verhindertzweifellos irgendwie eine vollständige Vorbereitung, die ihm an seinemLebensabend nötig wäre; sie muß aber ganz sorgsam gemacht werden.Ich habe ihm die Lektüre gewisser dazu geeigneter Bücher vorgeschla-gen und er hat das recht gut aufgenommen. Ich bin ihm, nicht nur ausäußeren Verpflichtungen heraus, sondern aus innerer Zuneigung ganzergeben.

Ich habe an Ihren lieben Sohn gedacht, und da ich seine Gemütsartkenne, meine ich, daß man auf seinen Geist große Sorgfalt verwendensoll, damit er sich jetzt zur Tugend ausbilde oder zumindest nicht zumLaster neige. Darum muß man ihn recht dem guten Herrn Robert emp-fehlen und ihn oft den Wert wahrer Weisheit dadurch verkosten lassen,daß tugendhafte Menschen ihn dazu mahnen und aufmuntern. Ich binimmer recht froh, alle Kinder meiner lieben Tochter gesehen zu haben,denn ich liebe sie wahrhaft wie meine eigenen in unserem Herrn.

Bleiben Sie in Frieden, mit einer besonderen Liebe zum Willen Got-tes und seiner Vorsehung; bleiben Sie mit unserem gekreuzigten Hei-land, der inmitten Ihres Herzens aufgepflanzt sei. Ich sah vor einigerZeit ein Mädchen, das einen Kübel Wasser auf dem Kopf trug und indem Wasser ein Stück Holz schwimmen ließ; ich wollte wissen, warum,und sie sagte, man tue das, um die Bewegungen des Wassers aufzuhalten,damit nichts verschüttet werde. So, meine ich, sollen auch wir das Kreuzin unsere Herzen legen, um in diesem Holz und durch dieses Holz dieErregungen unserer Affekte aufzuhalten, damit sie nicht anderswohinzu Unruhe und zur Aufregung des Geistes überströmen. – Ich muß Ih-nen doch immer meine kleinen Überlegungen mitteilen.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, der ich ganz hingegeben bin inihm, der sich uns ganz hingegeben hat, damit wir nur für ihn leben, derfür uns gestorben ist (2 Kor 14,15) ...

Es lebe Jesus und Maria! Amen. Der gleiche Jesus hat mich zu demIhren gemacht.

Annecy, 8. Oktober 1608.Wir feiern heute unser Kirchweihfest, meine liebe Tochter. Zwischen

den Gottesdiensten aber will ich Ihnen diesen Brief schreiben, um danngleich wieder zum Altar zurückzukehren, wo ich mit besonderer Liebeunserem gütigen Heiland Dank sagen will für die Weihe unserer Herzenund Körper, die wir durch seine Barmherzigkeit mit unseren Gelübden

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vollzogen haben. O wie glücklich werden wir sein, meine gute, teureTochter, wenn unsere Tempel (1 Kor 3,16) nicht entweiht werden! Mögeder Heilige Geist immerdar in ihnen wohnen (Röm 8,11) und nichtzulassen, daß irgendetwas Ehrfurchtsloses darin geschehe; mögen sie„Häuser der Betrachtung“ und des Gebetes sein (Jes 56; Mt 21,13), wodie Opfer der Lobpreisung, der Selbstverleugnung und der Liebe darge-bracht werden (Ps 50,14.23; 116,17).

O meine Tochter, wie sehr ist doch mein Herz von guten Wünschenfür das Ihre erfüllt! Darf ich Ihnen auch noch diese Empfindung schil-dern? Am Sonntag hielt ich eine Predigt über den Rosenkranz, weil ichdieser Bruderschaft seit langem ebenso angehöre74 wie fast das ganzeStädtchen; und in dem Maße, als ich mich meinem lieben Volk ver-ständlich machen wollte, warum man den Rosenkranz „corona“ („Kro-ne“) nennt, sah ich mich gezwungen, die Stelle beim hl. Paulus (Phil4,1) anzuführen, in der er seine Jünger seine „Krone“ nennt? „Verbleibtso auch, meine Vielgeliebten!“

O meine ganz teure Tochter, ich verließ Sie im Hospital von Beaumevoll Verlangen, den Willen Gottes zu lieben, zu ehren, ihm zu dienen,ihn anzubeten und in allen großen und kleinen Dingen Ihren eigenenWillen der Barmherzigkeit seines Willens zu überlassen. Ich verließ Siemit unserem Herrn im Herzen, der in Ihnen wirklich Aufnahme fand,und das inmitten der Armen unseres Herrn. Mein Gott, meine liebe undeinzigartig teure Tochter, so sind Sie auch meine „Freude und meineKrone“. Und bleiben Sie es auch, meine sehr Teure; bleiben Sie, Herzund Geist, mit unserem Heiland, bleiben Sie seinem Willen hingege-ben, bleiben Sie aus Liebe inmitten seiner Armen. Und da es sein Willeist, daß Sie noch für den Dienst und die Führung Ihrer Familie bleiben,so bleiben Sie in Frieden darin, mit all der Treue, die Sie diesem heili-gen Willen schulden.

Ich verbleibe der, den unser Herr ganz zu dem Ihren gemacht hat undin besonderer Weise all den Ihren haben will.

Annecy, 28. Oktober 1608.Auf Ihren Brief vom 7. ds., meine liebe Tochter, kann ich jetzt

nicht antworten, da ich ihn erst gestern spät abends erhielt. Ich mußjetzt die Heilige Messe feiern und dann eine Kirche inspizieren, dieeine Meile von hier entfernt ist. Ich will nur so viel schreiben, als ichjetzt vermag.

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Meine Tochter, ich bin nur Eitelkeit, und doch habe ich keine so hoheMeinung von mir, wie Sie. Ich möchte, daß Sie mich gut kennten. Siewürden zwar weiterhin vollkommenes Vertrauen zu mir haben, aberkaum eine hohe Achtung. Sie würden sagen: das ist ein Rohr, auf das ichmich nach dem Willen Gottes stützen soll; ich fühle mich zwar dabeisicher, da Gott es will, das Rohr aber taugt trotzdem nichts.

Als ich gestern Ihren Brief gelesen hatte, ging ich einige Male auf undab und hatte nasse Augen, da ich sah, was ich bin und wofür man michhält. Ich sehe, was Sie von mir denken, und ich meine, daß diese Ach-tung Ihnen viel Befriedigung gibt; aber das, meine Tochter, ist ein Idol!Nun, seien Sie nicht ungehalten darüber; denn Gott wird nicht beleidigtdurch die Fehler der Denkkraft, obgleich man sich davor hüten soll,soweit es geht. Ihre starken Affekte werden sich durch häufige Übungendes Gleichmuts immer mehr beruhigen. Lesen Sie in dem Brief nach,den ich Ihnen zu Beginn über die Freiheit des Geistes schrieb.

Gott befohlen, meine recht teure Tochter! Ich verbleibe der, den Gottimmer mehr zu dem Ihren macht ...

Am Tag der Heiligen Simon und Judas 1608.

16. November 1608.... Niemals hat mich unser La Thuille61 so sehr befriedigt, wie bei der

Güterteilung, die wir diese Woche unter uns Geschwistern in aller Lie-be getroffen haben. So wird also nun unsere geliebte Marie Baronin vonThorens sein. All dies aber hat sich so friedlich und in christlicher Liebeabgespielt, daß ich darüber aufrichtig erbaut und froh bin.

Annecy, 7. Dezember 1608.Meine sehr teure Tochter!

... Ich bemühe mich um eine recht gründliche Erneuerung meinerSeele, denn morgen sind es sechs Jahre, daß Gott mich der Welt und mirselbst wegnahm, um mich seiner Kirche und seinen Schäflein zu geben.Sie wissen, daß dies der Tag meiner Bischofsweihe ist. Ach, meine Toch-ter, welche Gnaden erwies mir doch damals der große Gott und welchschlechten Gebrauch habe ich davon gemacht! Aber es lebe seine Güteund seine Liebe! Mit Hilfe seiner Gnade will ich noch in dieser Stundeanfangen, ihm recht zu dienen ...

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Annecy, 18. oder 19. Dezember 1608.Sagen Sie mir doch ehrlich, meine sehr teure Tochter, ist das nicht

seltsam, daß mein Bruder jetzt zu Ihnen abreist und ich nur Zeit habe zueinem halben Brief?

Da kommt er nun zu Ihnen mit einem Herzen, das ganz Ihnen gehörtund Ihnen in allem zu gehorchen wünscht; denn er wird, wie ich es ihmempfohlen habe, die Angelegenheiten mit Ihnen besprechen in dem völ-ligen Vertrauen und Gehorsam, den ein demütiges und gutes Kind sei-ner guten und lieben Mutter entgegenbringen soll, und er wird in allemIhrem Rat folgen. Gott sei immerdar dafür gepriesen! Ich kann nichtbezweifeln, daß ihm diese Heirat zum Gewinn wird, denn da ihm derenZustandekommen so rein überlassen und empfohlen wurde, hat er esnun zu diesem Abschluß gebracht. Gott möge immerdar das innere Bandbestehen lassen und auch das äußere lange Zeit.

Ach, meine Tochter, es fällt meinem Geist sehr schwer, von dieserHeirat überzugehen zu der armen Frau von Bareul, die sich von ihremGott getrennt hat. Die arme Person will sich denn mit ihrem Mann insVerderben stürzen. Die Bekenntnisse des hl. Augustinus und das Kapi-tel, das ich ihr gezeigt habe, als ich bei ihr war, sollten genügen, um siezurückzuhalten, wenn nur die Erwägungen, auf die sie sich beruft, sie inden Abgrund geschleudert haben. Am Tag des Jüngsten Gerichtes wirdGott sich ihr gegenüber rechtfertigen und ihr klar zeigen, warum er sieverlassen hat. Ach, ein Abgrund zieht den anderen mit sich (Ps 42,8).Ich will Gott für sie bitten und besonders am Tag des hl. Thomas, denich bei seiner glückseligen Ungläubigkeit beschwören werde, für dieseunglücklich untreue, arme Seele Fürsprache zu leisten.

Wieviel Dank schulden wir doch diesem großen Gott, meine liebeTochter! Ich aber, den in zartem und leicht beeinflußbarem Alter sovieles verleiten wollte, mich der Irrlehre zu ergeben, und der sie dochnicht einmal ansehen wollte, als um sie anzuspucken; ich, dessen ju-gendlich schwacher Geist alle von der Irrlehre verpesteten Bücher durch-las und doch niemals in die geringste Verwirrung wegen dieses unheil-vollen Übels geriet: O Gott, wenn ich an diesen Gnadenbeweis denke,zittere ich erschreckt über meine Undankbarkeit! Meine Tochter, beru-higen wir uns über den Abfall dieser Seelen, denn Jesus Christus, demsie doch viel teurer waren, ließe sie nicht ihren Sinnen nachgehen, wennes seine größere Ehre nicht erforderte (Röm 1,28). Freilich müssen wirsie bedauern und um sie klagen, wie David um seinen toten und verlore-nen Abschalom (2 Sam 18,9-33; 19,4).

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Nein, es ist nicht sehr schlimm, daß Sie sie im Gespräch Mißachtungspüren ließen. Ach, meine Tochter, man kann sich manchmal bei solchabscheulichen Ereignissen nicht beherrschen. Die Briefe des hl. Hiero-nymus werden für sie auch noch gut sein, denn sehen Sie, über die Zeug-nisse hinaus, welche die Kirchenväter hie und da in ihren Schriften zu-gunsten der Kirche ablegten (denn schließlich sprechen sie alle wie wir),ist es der Geist selbst dieser großen Persönlichkeiten, der in allem Ab-scheu vor der Irrlehre atmet.

Neulich besuchte mich am frühen Morgen ein sehr gelehrter Mann,der lange Zeit Minister gewesen war, und erzählte mir, wie Gott ihn ausder Irrlehre zurückgeführt hat. „Ich habe“, sagte er, „den gelehrtestenBischof der Welt als Katechisten gehabt.“ Ich erwartete nun, einen dergroßen berühmten Namen der Gegenwart nennen zu hören, er aber nann-te mir den hl. Augustinus. Er selbst heißt Corneille und läßt jetzt einschönes und würdiges Buch über den Glauben drucken. Noch ist ernicht in die Kirche aufgenommen, und das ließ mich hoffen, daß ich ihnaufnehmen könnte. Unter denen, die außerhalb der Kirche stehen, habeich nie einen so gelehrten Mann gesehen. Der Gute ging befriedigt vonmir und sagte, ich hätte ihn liebevoll behandelt und besäße den wahrenchristlichen Geist. Ich kann mir denken, daß er hinzufügte, daß ichnicht gerade zu den Gelehrtesten gehörte, aber das sagt man mir natür-lich nicht. Mein Gott, meine Tochter, was rede ich da? Meine Federfliegt dahin und ich rede so zu Ihnen, als wären wir ganz unter uns.Eigentlich wollte ich sagen, daß der Geist der alten Kirchenväter Geg-nerschaft gegen die Irrlehre atmet, selbst dort, wo sie keine Streitredengegen sie führen.

Als ich in Paris war und in der Kapelle der Königin über den JüngstenTag predigte (es war keine Streitpredigt), befand sich da eine Dame,Frau von Perdreauville, die aus Neugier gekommen war; sie blieb in denNetzen hängen und faßte auf die Predigt hin den Entschluß, sich unter-richten zu lassen; drei Wochen später brachte sie ihre ganze Familie zumir zur Beichte und ich war ihnen allen Pate bei der Firmung.75 SehenSie, diese Predigt, die doch gar nicht gegen die Irrlehre gerichtet war,atmete doch gegen sie, denn Gott gab mir eben diesen Geist zugunstendieser Seelen. Seither habe ich immer wieder gesagt: wer mit Liebe pre-digt, predigt schon genug gegen die Irrlehrer, auch wenn er nicht eineinziges Streitwort gegen sie sagt. Darum sind auch im allgemeinen alleSchriften der Kirchenväter geeignet, Irrgläubige zu bekehren.

O mein Gott, meine liebe Tochter, wie sehr wünsche ich Ihnen doch

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Vollkommenheit! Besonders die eine, die alle enthält: diese Einheit,diese Einfachheit. Leben Sie friedvoll und freudig oder zumindest zu-frieden mit allem, was Gott will und mit Ihrem Herzen tun wird.

Ich bin in ihm und durch ihn ganz der Ihre ...

Annecy, Ende Dezember 1608.... Mut, meine Tochter, Gott will unserem Vorhaben helfen; er berei-

tet erlesene Seelen für uns vor. Fräulein von Blonay, von der ich Ihnenschon neulich erzählte, hat mir ihren Wunsch geoffenbart, Ordensfrauzu werden; Gott hat sie für unsere Kongregation bestimmt. Ich habe ihrgesagt, sie möge mich ihr Geheimnis verwalten lassen, und ich will rechtdarauf achten, dieser Seele in ihrer Eingebung zu dienen, denn Gott hatmich darüber mit einer besonderen Regung bedacht. Ich betrachte die-ses Mädchen bereits als Ihre und meine Tochter ...

Annecy, Ende 1608 oder 1609.... Ich versichere Ihnen, meine Mutter ist derart ungeduldig, Mutter

einer Tochter zu werden, die Sie ihr gegeben haben, daß ihr ständigesDrängen auch in mir und mit ihr die Unruhe wachsen ließ, wenn ichmich nicht an den Bau erinnerte, an dem ich arbeite, nämlich, meineSeele ganz fest in ständigem Frieden zu begründen. Gott ist mein Zeuge,wie sehr ich diese Schwägerin ersehne und wie teuer sie mir sein wird,sie wird mir mehr sein als Schwester und mehr als Tochter; aber brauchtes dazu dieses Drängen? ...

Annecy, Mitte Februar 1609.Mein Gott, wie willkommen werden Sie sein, meine liebe Tochter,

und wie innig scheint mir doch meine Seele die Ihre zu umarmen! Rei-sen Sie doch am ersten schönen Tag ab, der sich ergibt, sobald Ihr Pferdausgerastet sein wird; man wird es Ihnen aber zweifellos kaum vor dreiTagen zurückschicken, wegen der letzten schweren Regengüsse, die indieser Gegend gefallen sind. Ich wünsche Ihnen eine gute und glückli-che Reise, und daß meiner kleinen Tochter die Anstrengung der Reisenicht schlecht bekommt; wenn Sie aber noch früh am Abend ankom-men und sie ordentlich ausschlafen lassen, hoffe ich schon, daß sie durch-halten wird.

Herr von Ballon wünscht so sehr, Sie mögen bei ihm absteigen, daß

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ich schon der guten Freundschaft wegen, die er uns entgegenbringt, michgezwungen sehe, es auch zu wünschen.

Frau von Puits d‘Orbe hatte mir geschrieben, daß sie mit Ihnen kom-men möchte; doch ist weder die Jahreszeit günstig für sie, noch wün-sche ich sie in einer so unbequemen Zeit wie die Fastenzeit hier zuhaben. Ich habe ihr also geschrieben, sie möge lieber bis zum richtigenFrühjahr warten und dann per Sänfte kommen; wenn eine ihrer Schwes-tern sie begleiten will, muß diese nicht fürchten, aufs Pferd zu steigen.Ich schicke ihr das beiliegende Buch und das andere dem Fräulein vonTraves auf Ihren Wunsch hin. Der Pater de Monchi bat mich um einanderes Exemplar; wenn Sie ihm jenes geben, das Sie haben, werde ichIhnen hier ein besseres dafür geben; denn schließlich muß man ihntrösten. Ich möchte noch mehreren anderen Leuten Exemplare schik-ken, aber ich versichere Ihnen, daß mir nur 30 Stück hierher zugekom-men sind, und ich kann kaum den zehnten Teil der Leute damit versor-gen, denen ich Exemplare geben sollte. Allerdings bin ich darübernicht sehr beunruhigt, da ich weiß, daß drüben mehr Exemplare vor-handen sind als hier. Dennoch habe ich geglaubt, eines Herrn von Chan-tal senden zu müssen; es müßte ihn kränken, wenn ich es nicht täte;darum lege ich es bei.

Was soll ich Ihnen sonst noch sagen, meine liebe Tochter? Tausender-lei Dinge, aber ich habe nicht genügend Zeit, sie niederzuschreiben,denn ich will, daß Claude ohne Verzögerung abreist. Sie sollen nur wis-sen, meine wahre Tochter, daß ich voll Freude und Genugtuung darüberbin, daß Ihr Groisy nicht bloß respektvoll, sondern mit einer ganz zärt-lichen Liebe von Ihnen, Ihren Vätern und – was mir am meisten gefällt– von meiner lieben kleinen Aimée spricht. Ich sage die Wahrheit, erkönnte mir keine größere Freude machen, als damit; und ich hoffe wirk-lich, daß alles gut gehen und daß er niemand Anlaß zur Unzufriedenheitgeben wird. Bedauern Sie doch nicht, mir von den 1200 Pfund geschrie-ben zu haben, denn es soll Ihnen nie etwas leidtun, was sich zwischenuns begibt.

Nun, ich werde also viel Elend zu sehen bekommen und wir werdenmeiner Ansicht nach ausführlich genug darüber reden.

Meine Mutter wünscht, daß Sie sich ein wenig in Sales ausruhen, wosie auf Sie warten wird, um Sie hierher zu begleiten; aber glauben Sienicht, daß ich Sie dort allein lasse ohne mich. Nein, gewiß nicht, dennentweder werde ich Sie dort erwarten oder ich werde auch dort erschei-nen, sobald ich weiß, daß Sie dort sind.

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Der Taufpatin Ihrer Tochter76 schrieb ich nicht, weil ich Zeit genughaben werde, mit ihr ausführlich zu sprechen. Ja, ich bekenne, daß Siemir eine rechte Freude dadurch gemacht haben, daß Sie sie auf die Reisemitnahmen, wenngleich ich mich vielleicht ihretwegen in Unkosten werdestürzen müssen, damit sie bei ihrer Rückkehr Gutes von meiner Groß-zügigkeit zu berichten weiß. Sehen Sie, ich bin schon jetzt in der Erwar-tung Ihrer Ankunft fröhlichen Herzens.

Bringen Sie mir alle Briefe und Abhandlungen mit, die ich Ihnenjeweils geschickt habe, sofern Sie sie noch haben (das sage ich wegen des„Schiffbruchs“ zur Zeit der Weinlese).77 Wenn die Anleitung neu aufge-legt wird, würde mich das stark entlasten, weil ich in ihnen vieles dafürfinden werde. Man hat nämlich am Inhalt des Buches bisher nur ausge-setzt, daß es zu wenig ausführlich ist.

Die gute Frau von Charmoisy macht sich gut; Sie werden sie im Stre-ben nach wahrer Frömmigkeit und deren Verwirklichung ziemlich fort-geschritten finden. Aber, mein Gott, nun hat sie einen Fuß auf die Schwel-le des Hofes gesetzt. Ich hoffe, daß Gott sie allerorts in der Hand haltenwird; zumindest ließ er sie gute Entschlüsse fassen ...

Ich bitte Sie, der guten Frau von Puits d’Orbe das beiliegende Paketzukommen zu lassen, denn wir müssen der Armen schon Freude ma-chen. Ich bin ihrem Herzen sehr zugetan, weil es so aufrichtig mir ge-genüber ist. Sie schrieb mir, daß sie sich nicht entschließen könne, vonall den Ratschlägen, die ich ihr für die gute Ordnung in ihrem Klostergegeben habe, irgendetwas ohne die Zustimmung ihres Bruders durch-zuführen, der – wie sie sagt – große Macht über ihren Willen ausübt. Ichbin ihr überaus dankbar, daß sie derart klar gesprochen hat.

Ich habe den Brief, den mein Bruder Ihnen schrieb, geöffnet aus Neu-gierde nach dem darin befindlichen „Hühnchen“. Ich schreibe der lie-ben Kleinen zwar nicht, aber ich weiß wohl, daß ich ihr den liebevoll-sten Gruß aufspare, den ich seit 16 Jahren einem weltlichen Fräuleinentboten habe.

Mein Gott, meine Tochter, wie heiß wünsche ich doch, daß der guteund gütige Jesus in unseren Herzen lebe und herrsche! In ihm bin ichganz einzigartig Ihr ...

Annecy, 27. Mai 1609.Das ist nun mein dritter Brief seit Ihrer Abreise, meine liebe Schwe-

ster, meine Tochter. N. hat mir viele Nachrichten über Sie und M. ge-bracht, die er mir als recht bekümmert hinstellt; und ich glaube es gern,

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da doch ihre Tochter gestorben ist. Ach, man muß Mitleid haben mitunseren armseligen Seelen. Solange sie in der Schwachheit des Leibeseingeschlossen sind, bleiben sie Nichtigkeiten unterworfen (Röm 8,20).Wie ist es möglich, sagt der hl. Gregor zu seinem Bischof, daß die Gewit-ter auf Erden so stark jene erschüttern, die im Himmel sind? Wenn sieaber im Himmel sind, wieso können sie bewegt werden durch das, was aufErden geschieht? O Gott, diese Lektion der heiligen Beständigkeit ist alljenen erforderlich, die ernstlich an ihrem Heil arbeiten wollen.

Ich muß zugeben, daß mir diese eingebildete Empfindungslosigkeitderer, die es nicht leiden wollen, daß man Mensch sei, immer als richti-ges Hirngespinst erschien.

Hat man aber diesem niedrigen Seelenbereich seinen Zoll gezahlt,muß man auch dem höheren Bereich gegenüber seine Pflicht tun, indem der Glaubensgeist wie auf seinem Thron ruht. Dieser muß uns inunseren Leiden, ja durch unsere Leiden trösten. Wie glücklich sind dochjene, die sich darüber freuen, wenn sie zu leiden haben (Mt 5,5; 2 Kor12,10) und Absinth so zu Honig machen!

Ich brauche Ihnen, meine liebe Tochter, nicht zu sagen, wie innig ichSie unserem Herrn empfehle, denn das geschieht mit einem ganz neuenHerzen, das sich auf dieses Ziel hin immer noch weitet. Ich pflege dasinnerliche Gebet ein wenig mehr als sonst; denn muß ich Ihnen nichtein wenig von meiner Seele erzählen, die so sehr Ihnen gehört? Gott seigedankt, ich wünsche überaus, ganz ihm zu gehören und seinem Volk sorecht zu dienen.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, die meine Seele liebt und unver-gleichlich, unbedingt und einzigartig in Ihm lieb hat, der den Tod aufsich genommen hat, um uns zu lieben und unsere Liebe zu werden (Gal2,20; Eph 5,25). Es lebe Jesus! Es lebe Maria! Amen ...

Annecy, 18. Juni 1609.78

Mein Gott, wie voll ist doch mein Herz von Dingen, die ich Ihnensagen will, meine so einzig liebe Tochter, denn heute ist das Hochfestder Kirche. Da ich bei der Fronleichnamsprozession den Heiland trug,hat er mir in seiner Gnade tausend liebevolle Gedanken geschenkt, beidenen ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte. O Gott, ichverglich den Hohepriester des Alten Bundes mit mir und überlegte, wiedieser Hohepriester einen reichen Brustschild trug, geschmückt mit zwölfkostbaren Steinen, auf denen die Namen der zwölf Stämme der Kinder

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Israels zu lesen waren (Ex 28,15.21.29). Ich aber fand meinen Brust-schild reicher, wenngleich nur aus einem einzigen Stein bestehend, näm-lich der orientalischen Perle, welche die jungfräuliche Perlmutter inihrem Schoß empfing aus dem gebenedeiten Himmelstau (Jes 45,8).Denn sehen Sie, ich hielt dieses göttliche Sakrament fest an meine Brustgepreßt und mir schien, als ob die Namen aller Kinder Israels darineingezeichnet wären. Ja, und besonders die Namen der Töchter undnoch mehr der Name einer von ihnen.

Es kamen mir aber auch der Sperber und der Sperling des hl. Josef inden Sinn; und mir schien, als wäre ich ein Ritter vom Orden Gottes, daich so auf meiner Brust den Sohn selber trug, der ewiglich in der seinenlebt. Ach, wie sehr hätte ich gewünscht, daß mein Herz sich geöffnethätte, diesen teuren Heiland aufzunehmen, wie es das Herz jenes Edel-mannes getan, von dem ich Ihnen erzählt habe. Aber ach, ich hatte nichtdas Messer, das ich gebraucht hätte, es zu öffnen, denn es tut sich nur derLiebe auf. Doch hatte ich ein großes Verlangen nach dieser Liebe undzwar für unser unteilbares Herz ...

Guten Abend, meine sehr teure Tochter, leben Sie ganz in Gott undfür Gott! Ich bin in ihm ganz der Ihre.

Um den 10. Oktober 1609.79

Meine liebe Schwester!Wir gehen nun zur Messe, essen dann und reisen nachher ab. Wie sehr

drängt es mich, bald bei Ihnen zu sein! Dennoch werde ich erst ziemlichspät zu Ihnen kommen, denn unsere Pferde sind von den hinter unsliegenden großen Tagereisen ermüdet. Wenn Herr von Chantal auchbereits schlafen gegangen ist, werden wir ihm doch nur Gute Nacht wün-schen. Ich muß aber meine gute Nichte, wenn sie bei Ihnen ist, bitten, siemöge so lieb sein, mir ein kleines Salbei-Bad für meinen Fuß zu berei-ten, den ich Ihnen noch ein wenig hinkend hinbringe.

Guten Abend, meine liebe Schwester, meine Tochter; Ihr Sohn, IhrNeffe und La Thuille küssen Ihnen die Hände. Wir haben daran ge-dacht, Herrn von Charmoisy mitzubringen, aber die Ankunft des Herrnvon Nemours hat uns um diesen guten Begleiter gebracht. Unser Herrsei immer mit Ihnen!

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Baume-les-Dames, 16. November 1609.Meine liebe Tochter!

Es ist mir eine besondere Freude, mit Ihnen in dieser stummen Spra-che der Schrift zu reden, nachdem ich den ganzen Tag über so viel undmit so vielen Menschen mündlich gesprochen habe. Ja, ich muß Ihnensagen, was ich tue, denn ich weiß fast nichts anderes, ja ich weiß kaumrichtig, was ich tue.

Ich komme soeben von der Betrachtung. Da ich über den Grund nach-dachte, warum wir auf der Welt sind, habe ich gelernt, daß wir nur hiersind, um den gütigen Jesus zu empfangen und zu tragen: auf der Zunge,indem wir ihn verkünden; auf den Händen, indem wir gute Werke tun;auf den Schultern, indem wir sein Joch, seine Trockenheiten, seine un-fruchtbaren Zeiten tragen und zwar in unseren inneren wie in den äuße-ren Sinnen. O wie glücklich sind doch jene, die ihn liebevoll und beharr-lich tragen! Ich habe ihn wahrhaft in all diesen Tagen auf meiner Zungegetragen und ich habe ihn, scheint mir, nach Ägypten getragen, denn imSakrament der Buße habe ich eine große Anzahl Bußfertiger Beichtegehört, die mit überaus großem Vertrauen zu mir kamen, um Ihn inihren sündigen Seelen aufzunehmen. Möge Gott Ihn in ihren Seelenbewahren!

Ich habe aber auch noch eine Übung der Vergegenwärtigung Gottesgelernt, die ich nun vorerst in einem Winkel meines Gedächtnisses auf-bewahrt habe, um sie Ihnen mitzuteilen, sobald ich die Abhandlung desPater Arias gelesen habe.

Haben Sie ein weites Herz, meine liebe Tochter, und tun Sie es unterdem Willen unseres Gottes noch viel weiter auf. Wissen Sie, was ichsagte, als ich Ihr Korporale für die heilige Wandlung ausbreitete? Mögeso, sagte ich, das Herz jener, die es mir geschickt hat, ausgebreitet dalie-gen für die heiligen Einflüsse des Willens Gottes. Mut, meine Tochter,halten Sie sich eng an Ihre heilige Äbtissin und flehen Sie sie unablässigan, damit wir in der Liebe zu ihrem lieben Kind leben, sterben undneues Leben finden mögen.

Es lebe Jesus, der mich ganz und mehr, als ich sagen kann, zu demIhren gemacht hat. Der Friede des gütigen Jesus herrsche in unseremHerzen ...

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Annecy, (Ende November) 1609.Sie werden wohl eher glauben, daß wir wieder sicher in unserem Ha-

fen eingelaufen sind, meine liebe Tochter, wenn Sie dieses kleine Be-weisstück aus meiner Hand sehen. Sie sind also nun ganz in die Händeunseres Heilands ergeben durch die Hingabe Ihres ganzen Wesens ansein göttliches Wohlgefallen und seine heilige Vorsehung. O Gott, wel-ches Glück, so in den Armen und an der Brust dessen geborgen zu sein,von dem die Braut des Hoheliedes sagt: „Unvergleichlich köstlicher istdie Milch deiner Brüste als der Wein“ (Hld 1,1). Bleiben Sie so, liebeTochter, und während die anderen am Tisch des Herrn verschiedeneGerichte speisen, legen und lehnen Sie mit ganz einfachem VertrauenIhr Haupt, Ihre Seele, Ihren Geist an die liebevolle Brust dieses teurenHeilands. Denn es ist besser, an dieser heiligen Brust zu schlafen, als injeder anderen Haltung wachzubleiben ...

Annecy, 11. Dezember 1609.80

Endlich komme ich zu Ihnen, meine liebe Schwester und Tochter,zwar schon ganz müde vom vielen Schreiben, jedoch entschlossen, Ih-nen, soviel ich vermag, zu schreiben, ganz ungezwungen und wie es mirin den Sinn kommt.

Ja, meine Seele (ich streiche dieses Wort nur vom Papier, nicht aberaus meinem Herzen), meine Tochter, ich habe die liebe M. David gese-hen. Sie gefällt mir recht gut. Ich habe in Dole noch eine andere Dameaus sehr gutem Haus gesehen, die einen äußerst guten Eindruck machteund mit mir ein wenig verwandt ist (denn sie stammt hier aus der Ge-gend). Sie hat Sie in Dijon gesehen, als sie eine Karmelitin hinbrachte.Schließlich werden wir nur zu viele Leute haben, d. h. mehr, als wiraufnehmen können.

Noch aber hält Sie, meine liebe Tochter, die Vorsehung unseres liebenHerrn ein wenig dort zurück, denn bei meiner Rückkehr fand ich Nach-richten vor, man hätte mich bei Hof arg verleumdet, was geeignet wäre,mich beim Fürsten in Ungnade zu bringen, der mir erst vor kurzem sosehr seine Zuneigung bezeugte. Und ich, der ich manchmal Mut auf-bringe, habe mich in einem Brief bitter beklagt, dessen Auswirkungverschieden sein kann, aber im allgemeinen zur Ehre Gottes und mirzum Trost gereichen wird. Nun warte ich also die Angelegenheit ab undmöchte nicht, daß Sie hier seien, bevor sich dieser Sturm gelegt hat, wasmit Gottes Hilfe bald der Fall sein wird. Wenn ich aber Sturm sage, ach,

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so denken Sie nicht, daß mich dies aufregt, gewiß nicht mehr als diegeringste Sache der Welt; denn es liegt gegen mich im Grunde nichtsanderes vor als dieser gesegnete Ritt durch Genf, den sich die Verleum-der nicht anders auslegen können, als sei er in einem geheimen Einver-ständnis mit den Bewohnern Genfs geschehen. Ach, wer mich kennt,weiß, daß ich niemals an ein solches Einverständnis dachte und daß ichin wahrhafter Einfalt tausenderlei Mut erfordernde Dinge unternehme;sicher nicht in der Einfalt des Geistes (denn ich will nicht doppeldeutigmit Ihnen reden), sondern in der Einfalt des Vertrauens. Doch all diesbedeutet nichts und ich sage es nur Ihnen, der ich nicht verbergen kann,was mich bewegt.

Aber ist das, was ich jetzt sagen werde, nicht eigenartig? Bei meinerRückkehr habe ich die halben Hoffnungen auf die Errichtung eines Klo-sters, für das ich unsere guten Karmelitinnen zu gewinnen hoffte, zer-schlagen gefunden. Eines der Mädchen nämlich, von dem wir hofften, essollte dazu beitragen, hat sich nicht entschließen können, die Welt zuverlassen. Daraufhin schlug mir der Mann, der die ganze Sache führteund von dem die andere Gründerin abhängt – ohne daß ich jemals davonzu ihm gesprochen und ohne daß er jemals etwas davon bemerkt hätte –vor, das für etwa ein Dutzend Töchter gekaufte und fast fertig vorberei-tete Haus für eine Kongregation frommer Damen zu verwenden, wovoner schon neulich einen alten italienischen Kapuzinerpater hatte redengehört. Ich sagte nichts darauf; nun ist er wiedergekommen, und nach-dem ich mit ihm darüber gesprochen habe, ist er nicht mehr davon abzu-bringen. Ich warte nun zu, und wenn ich es für geeignet finde, werde ichdiese Möglichkeit nicht zurückweisen; doch Gott wird für all das mituns sein, wenn es ihm so wohlgefällt. Ich werde Sie über alles auf demLaufenden halten, damit wir dann dementsprechend verhandeln kön-nen, ob Sie nach Salins81 kommen sollen oder nicht.

Ich schreibe unserem Herrn de Vaucroissant, der gewiß unrecht hatzu glauben, ich liebte ihn nicht aufrichtig, denn das tue ich wahrlichvon Herzen; aber sehen Sie, manchmal steigt aus warmer Freundschaftder Dunst der Eifersucht auf. Ich schicke Ihnen die Briefe, die ichIhnen von Frau Vignod, einer recht guten Dame, mitzubringen vergaß.Schreiben Sie der guten Frau Präsident ein paar Zeilen, denn sie hatden gleichen Kummer wie Herr von Vaucroissant und sagt, daß sie dasnicht verdiene.

Wir haben eine recht glückliche Reise in die Grafschaft unternom-men und bei der Betrachtung des heiligen Schweißtuches,82 das man

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öffentlich zeigte, habe ich zu Gott von ganzem Herzen für Sie gebetet;ebenso bei der heiligen Hostie83 und unserem lieben Saint Claude, woich in Ihrem Quartier Unterkunft fand und mich freute, den Ort wieder-zusehen, wo ich Ihre Beichte entgegennahm, und es wurde mir der Trostzuteil, dieses Herz wieder aufzuopfern, das ich in meiner Eigenschaftals Vater zum erstenmal am Altar von Saint Claude aufgeopfert habe.Ich habe fast überall und zufrieden, d. h. mit Nutzen gepredigt.

Die gute Frau von Beaume84 war recht getröstet, obwohl ich von sovielen Leuten überlaufen war, die bei mir beichten wollten, daß ichnicht die nötige Zeit fand, mit ihr zu sprechen, wie ich gewünscht hätte;denn darüber hinaus hatte ich ja noch eine schwerwiegende Angelegen-heit zu erledigen.

O meine sehr liebe, ganz unvergleichlich liebe Tochter, ich werdeIhnen ein schönes Exemplar des Buches schicken und Ihnen etwas hin-einschreiben; aber ich will erst die dritte Auflage abwarten, die ich mitganz besonderer Sorgfalt bearbeiten werde. Indessen werde ich nichtvergessen, Ihnen bei nächster Gelegenheit ein Exemplar der zweitenAuflage zukommen zu lassen.

Ich habe keine Nachrichten von Herrn von Berulle.Das ist nun nicht gerade der lange Brief, den ich Ihnen schicken will,

denn Sie sehen wohl, daß ich Ihnen in aller Eile schreibe.Sie können mir gar nicht glauben, wie heiß mein Herz danach ver-

langt, unserem Herrn zu dienen. Und bestimmt, meine Tochter, ist meinVerlangen danach so groß, scheint es mir, daß ich hoffe, es eines Tagestun zu können, nachdem ich mich so recht vor Gott werde gedemütigthaben.

Es lebe Gott! Meine liebe Tochter, ich meine, daß alles mir nichtsmehr ist als in Gott, in dem ich jedoch und für den ich das zärtlicherdenn je liebe, was ich liebe, vor allem unsere Seele. O, es ist wahr, meineTochter, ich habe dieses Empfinden.

Ich will Ihnen noch sagen, daß Ihr Sohn85 während der ganzen Reisein so freundlicher und angenehmer Verfassung war, daß ich ihn mehrals brüderlich liebe und vor allem dann, wenn er voll Liebe von seinerkleinen Frau spricht. Gott ist gut, meine Tochter, seien wir es alsoauch.

Guten Abend, meine Tochter, Gott sei immer unser Alles. Ich bin inihm mehr der Ihre, als ich jemals in dieser Welt ausdrücken könnte,denn für eine solche Liebe gibt es hier keine Worte.

Die arme kleine Schwester86 ist guter Hoffnung, wie mir ihr Mann

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sagte, der sich darüber beklagte, daß sie ein wenig melancholisch sei; ichdenke, daß sie in vier Tagen kommen wird.

Es lebe Jesus und Maria! Amen.Sprechen Sie zu niemand über meine Schwierigkeiten bei Hof.

Annecy, (gegen Mitte Dezember) 1609.... Ihre Anne-Jacqueline macht mir täglich mehr Freude. Als sie das

letztemal bei mir beichtete, bat sie mich um die Erlaubnis, im Adventbei Wasser und Brot zu fasten und den ganzen Winter barfuß zu gehen,um sich – wie sie sagte – vorzubereiten und daran zu gewöhnen, Or-densschwester zu sein. O meine Tochter, ich muß Ihnen sagen, was ichantwortete, denn das erachte ich für die Herrin genau so wichtig, wiefür die Dienerin: daß ich nämlich wünschte, die Töchter unserer Kon-gregation hätten nicht die Füße, sondern das Herz entblößt und baraller irdischen Anhänglichkeiten; nicht ihr Kopf sei unbedeckt, wohlaber ihr Geist durch vollkommene Einfachheit und das Aufgeben deseigenen Willens ...

Annecy, 29. Dezember 1609.Meine sehr teure Tochter!Nun sinkt auch dieses Jahr in den Abgrund, der bisher alle anderen

verschlungen hat. O wie wünschenswert ist doch die Ewigkeit um denPreis dieser armseligen und vergänglichen Unbeständigkeiten! Lassenwir nur die Zeit dahinströmen, mit der auch wir uns nach und nachverströmen, um umgewandelt zu werden zur Herrlichkeit der KinderGottes (2 Kor 3,18).

Dies ist mein letzter Brief in diesem Jahr, meine liebe Tochter. Ach,wieviel Segen wünsche ich Ihnen und mit welcher Innigkeit! O weh, wennich daran denke, wie ich die Zeit Gottes angewandt habe, bin ich in tief-ster Unruhe, ob er mir dann noch seine Ewigkeit geben will, da er sie nurjenen schenken will, die rechten Gebrauch von ihrer Zeit machen.

Seit drei Monaten bin ich ohne Briefe von Ihnen, aber ich glaube, daßGott mit Ihnen ist, und das genügt mir. Ihn allein wünsche ich Ihnen. Ichschreibe Ihnen ohne Muße, denn mein Zimmer ist voll von Menschen,die etwas von mir wollen; mein Herz jedoch ist einsam und von demheißen Wunsch erfüllt, immer ganz für diese heilige Liebe zu leben, diedas einzige Streben dieses Herzens ist. In diesen heiligen Tagen hat michmindestens tausendfach der Wunsch beseelt, Ihnen die wahre Befriedi-

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gung zu schenken, die Sie so sehr von meiner Seele wie von der Ihrenselbst wünschen. Dies wird ja dadurch geschehen, daß ich sorgfältig zudieser heiligen Vollkommenheit vorwärtsstrebe, nach der Sie trachtenund nach der Sie sich zugunsten dieses Herzens sehnen, das Ihnen wie-derum unablässig all die höchste Einheit mit Gott wünscht, die hier aufErden erreicht werden kann.

Dies ist der einzige Wunsch dessen, den Gott Ihnen gegeben hat ...

Annecy, Anfang 1610.... Diese Gute, die vorhat, Eure Dienerin zu werden, fragt mich oft,

wann die gnädige Frau kommt. Sehen Sie, meine Tochter, Ihr Kommenliegt ihr sehr am Heizen. Sie hofft ja, Gott recht dienen zu können inIhrer Person und in den Mädchen und Frauen, die so glücklich seinwerden, Ihnen in diese kleine, aber heilige und liebenswerte Abgeschie-denheit zu folgen, die wir im Sinn haben ...

Annecy, 16. Januar 1610.87

Noch weiß ich nicht, meine sehr teure Schwester, meine Tochter, obich Ihnen ausführlicher werde schreiben können, denn Ihr Herr Neffe88

hat mir heute morgen gesagt, daß er erst übermorgen abreisen wird, undnun packt schon sein Diener den Koffer und sagt, daß er sich nunmehrentschlossen habe, morgen früh abzureisen; das zwingt mich, den ge-planten Besuch beim guten Herrn Nouvelet,89 der eine schwere Krank-heit überstanden hat, aufzugeben, um Ihnen in Eile soviel zu schreiben,als nur möglich ist.

Wir haben einige Male über Besonnenheit gesprochen, der Baron undich; das Übel aber, meine liebe Tochter, das Sie recht wohl in ihm er-kannt haben, kann nur durch Erfahrung geheilt werden, denn diese fal-sche Selbsteinschätzung wird von der Eigenliebe derart gefördert, daßdie Vernunft nichts gegen sie vermag. Ach, das vierte der für Salomoschwierigen Dinge, das nach seinen Worten (Spr 30,18.19) ihm uner-kenntlich blieb, ist der Weg des Menschen in seiner Jugend. Gott gibtdiesem jungen Mann viel Gnade, einen solchen Großvater zu haben, derüber ihn wacht; er möge sich lange dieses Glückes freuen!

Was Ihr Kommen hierher betrifft, so beeilen Sie sich nicht wegen desPariser Planes. Ich habe darüber keinerlei Nachrichten als die, die ichIhnen gezeigt habe; so hat es den Anschein, als würde er nicht weiterverfolgt.90

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Es scheint mir recht hart, diese Kleine in der Fastenzeit reisen zulassen. Außerdem hat mir der liebe Neffe gesagt, daß der gute Vater undIhr Herr Bruder die Zeit unmittelbar nach Ostern vorgeschlagen haben.Ihr Herz wird vielleicht sagen: Schau, wie dieser Mann doch immer dieAngelegenheit hinausschiebt! O meine Tochter, glauben Sie mir, daßmein Herz Ihren Freudentag mit gleich brennender Begierde ersehnt,wie das Ihre; aber ich muß so handeln aus Gründen, die ich nicht ratsamfinde, Ihnen zu schreiben. Warten Sie also, sehr teure Schwester, wartenSie – sage ich – in der Erwartung, um die Worte der Schrift zu verwen-den (Ps 40,1). Warten in der Erwartung heißt aber: während des War-tens nicht unruhig werden; denn es gibt viele, die in der Erwartung nichtwarten, sondern aufgeregt und ungeduldig werden.

Mit Gottes Hilfe, liebe Tochter, werden wir es schon recht machen.Und die Menge kleiner Widrigkeiten und heimlicher Widerstände, diein meine Ruhe eingebrochen sind, verleihen mir eine so milde und köst-liche Ruhe wie nichts sonst, und scheinen mir die baldige Niederlassungmeiner Seele in ihrem Gott anzuzeigen, was gewiß nicht nur das große,sondern meiner Meinung nach das einzige Streben und leidenschaftli-che Begehren meines Herzens ist. Und wenn ich sage: meine Seele, someine ich: meine ganze Seele, einschließlich der, die Gott mit ihr un-zertrennlich verbunden hat.

Da ich nun einmal auf meine Seele zu sprechen komme, will ich Ih-nen über sie diese gute Nachricht geben: zweifeln Sie nicht daran, daßich das tue und tun werde, was Sie von mir für sie verlangt haben; ichdanke Ihnen für den Eifer, den Sie für ihr Wohl hegen, das untrennbarvon dem Ihrer Seele ist, sofern man in dieser Hinsicht noch von Meinund Dein reden kann. Ich sage Ihnen noch mehr: ich bin ein klein wenigmehr zufrieden mit ihr als sonst, da ich nichts mehr an ihr sehe, das siean diese Welt fesselt, und ich finde sie empfänglicher für die ewigenGüter. Wenn ich so lebendig und stark mit Gott verbunden wäre, wie ichabsolut losgelöst bin von der Welt und ihr entfremdet, o mein teurerErlöser, wie glücklich wäre ich! Und wie zufrieden wären Sie, meineTochter! Ich spreche aber für das Innere und mein Gefühl; denn meinÄußeres und – was das Schlimmste ist – mein Verhalten strotzen voneiner Menge entgegengesetzter Unvollkommenheiten, denn ich tue janicht das Gute, das ich will (Röm 7,15); ich weiß aber wohl, daß ich esin Wahrheit und ohne Heuchelei und mit einem fest entschlossenenWillen will. Wie kann es aber geschehen, meine Tochter, daß bei einemsolch festen Wollen soviel Unvollkommenheiten in mir zutage treten

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und entstehen? Nein gewiß, das geschieht nicht aus meinem Willen her-aus noch durch ihn, wenn auch in ihm und über ihn. Das scheint mir wiebei der Mistel zu sein, die auf einem Baum wächst und sich ausbreitet,wenn auch nicht aus dem Baum heraus oder durch ihn. O Gott, warumsage ich all dies? Doch nur deshalb, weil mein Herz immer, wenn es beidem Ihren ist, sich weitet und schrankenlos verströmt.

Ihre Gebetsweise ist gut; bleiben Sie nur recht treu bei Gott in diesemliebevollen und ruhigen Warten des Herzens, in diesem sanften Schla-fen in den Armen seiner Vorsehung und in dieser schlichten Einwilli-gung in seinen heiligen Willen, denn all dies ist ihm angenehm.

Wenn Sie drüben blieben, würde ich gern dem Pater Rémond denDienst erweisen, den er von mir für die Frau von Saint Jean91 wünscht;da dies aber nicht der Fall ist, scheint mir, daß ein anderer, den sie öfterzu sehen die Möglichkeit hat, sich nützlicher erweisen wird; vor allemder Bischof von Autun; denn wer könnte besser Hand an dieses guteWerk legen? Ich werde indessen unseren Herrn für sie bitten, denn aufGrund Ihrer guten Nachrichten über sie beginne ich, die arme Fraurecht lieb zu haben. Ach, welche Freude, diese arme Seele nach einemso harten, langen und bitteren Winter wieder aufblühen zu sehen!

Ich schrieb Ihnen das letztemal ziemlich ausführlich und berichteteIhnen über den Stand der Angelegenheit unseres neuen Klosters, daßnämlich unsere Hoffnung, die entsprechenden Mittel zu seiner Errich-tung zu finden, nur zur Hälfte erfüllt ist, daß wir aber trotzdem an demEntschluß festhalten, daß diejenigen, die dazu beitragen, sich dahin zu-rückziehen oder zumindest, wenn sie nicht nach ihrem ursprünglichenPlan handeln können, sich untereinander dem Dienst Gottes und derKranken widmen. Aber das stammt aus ihrem Geist und sie sagen dasalles in der Erwartung, daß Gott anders verfügt. Demnach werden Sienicht allein sein.

Es wäre wohl wünschenswert, wenn unsere guten Töchter von Sainte-Catherine sich dieser Gelegenheit bedienten, um in die Stadt zu kom-men und sich einer vollständigen Erneuerung zu unterziehen. Es gibtunter ihnen wirklich eine Anzahl, die überaus geeignet wären, nach ab-soluter Vollkommenheit zu streben. Aber dies muß von ihnen selbstund ihrer Äbtissin ausgehen. Nun, das liegt in Gottes Hand und ichwürde weder direkt noch indirekt etwas zu sagen wagen, denn damitwürde ich die Älteren aufregen und für den Augenblick alles verderben.Alle jungen Schwestern sind ausgezeichnet, unter anderem auch IhreTochter.

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Es ist schon lange her, daß ich mit dieser lieben Schwester92 gespro-chen habe, aber ich weiß doch, daß sie sich immer besser macht ...

Ich schicke Ihnen ein Buch,93 aber es ist noch nicht das schöne; dennich behalte mir vor, es Ihnen nach der dritten Auflage zu schenken, dieich vervollständigt und verbessert herauszugeben hoffe. Bei diesemAbdruck war ich so in Eile, daß einige Kapitel ganz darin fehlen, wie das„Über die Kleidung“ und „Daß man gerecht und vernünftig sein soll“,was ich erst vorgestern bemerkt habe. Dann will ich in das Exemplar,das ich Ihnen geben werde, vieles mit der Hand hineinschreiben; fürheute schreibe ich nur vier oder fünf Worte, damit Sie dieses Buch nichtaus der Hand geben, bis Sie das andere haben.

An das Buch über die „Gottesliebe“ habe ich noch nicht Hand legenkönnen, da ich seit meiner Rückkehr ständig beschäftigt war und wegender Abwesenheit unseres Predigers an allen Fest- und Sonntagen selbstpredigen mußte.

Ich halte an dem Entschluß fest, nach Salins zu gehen, obwohl sichmir unerwarteterweise mehrere Schwierigkeiten entgegengestellt haben;mit Gottes Hilfe aber müssen sie überwunden werden, falls sie sichnicht noch vergrößern.94

Ich muß Ihnen sagen, daß ich Ihren Sohn alle Tage mehr liebe, dennmeiner Meinung nach wird er alle Tage mehr lieb und liebenswürdig.Mein Bruder de la Thuille hat sich so sehr in das Fräulein Favre verliebt,daß man ihn nicht davon abbringen kann, und der gute Vater wünscht sosehr, sie ihm zu geben, daß ich sehr befürchte, ihr Vorhaben, Ordensfrauzu werden, würde dadurch erstickt, obwohl es erst drei Wochen her ist,seit ich sie gesehen habe.95 So muß ich Ihnen die verschiedenartigstenMitteilungen machen.

Ich komme auf Ihr Gebetsleben zurück, denn ich habe erst gesternspät abends Ihren Brief nochmals gelesen. Handeln Sie immer nur so,wie Sie mir schreiben; hüten Sie sich davor, Ihren Verstand zu sehranzustrengen, denn das schadet Ihnen, nicht nur im allgemeinen, son-dern sogar beim Gebet. Bemühen Sie sich um das, was Sie betrachten,ganz einfach und so ruhig Sie können, mit liebevollen Empfindungen.Es mag sein, daß der Verstand zuweilen Anstrengungen unternimmt,um sich zum Gegenstand seiner Betrachtung aufzuschwingen. Man sollnicht seine Zeit damit verlieren, sich davor zu hüten. Damit würde mansich nur zerstreuen. Wenn man es bemerkt, genügt es, einfach auf Wil-lensakte zurückzugreifen.

Sich in der Gegenwart Gottes halten und sich in die Gegenwart Got-

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tes versetzen, sind meiner Meinung nach zweierlei Dinge; denn um sichin sie zu versetzen, muß man seine Seele von jedem anderen Gegenstandzurückrufen und sie auf diese ständige Gegenwart aufmerksam machen,wie ich in dem Buch sage (Anl. 2,11). Nachdem man sich aber in dieseGegenwart versetzt hat, hält man sich immer darin durch Akte des Ver-standes oder des Willens, indem man auf ihn oder auf etwas anderes ausLiebe zu ihm schaut; oder indem man auf nichts schaut, sondern mitihm spricht; oder aber weder auf ihn schaut, noch mit ihm spricht, son-dern einfach dort bleibt, wohin er uns gestellt hat, wie eine Statue inihrer Nische. Und wenn sich zu diesem einfachen Da-Sein irgendeinGefühl gesellt, daß wir Gott gehören und daß er unser Alles ist, müssenwir dafür seiner Güte wohl Dank sagen.

Wenn eine Statue, die man in der Mitte eines Saales in eine Nischegestellt hat, sprechen könnte und man sie fragte: „Warum stehst du da?“,würde sie antworten: „Weil der Bildhauer, mein Herr, mich hierhergestellt hat.“ „Warum bewegst du dich nicht?“ „Weil er will, daß ichunbeweglich bleibe.“ „Wozu dienst du da, welchen Nutzen hast du da-von, so zu sein?“ „Ich bin ja nicht hier, weil es mir zu etwas dient, son-dern um dem Willen meines Herrn zu dienen und zu gehorchen.“ „Aberdu siehst ihn ja nicht!“ „Nein“, würde sie sagen, „aber er sieht mich undes freut ihn, daß ich da bin, wohin er mich gestellt hat.“ „Aber möchtestdu dich nicht bewegen können, um näher zu ihm hingehen zu können?“„Nein, außer er befiehlt es mir.“ „Wünschest du also nichts?“ „Nein,denn ich bin da, wohin mein Herr mich gestellt hat, und sein Wohlgefal-len ist das einzige, was mich erfreut.“

Mein Gott, meine liebe Tochter, welch gutes Gebet und welch guteArt und Weise, sich in der Gegenwart Gottes zu halten, ist es doch, sichin seinem Willen und seinem Wohlgefallen zu halten! Ich meine, daßMagdalena eine Statue in ihrer Nische war, wenn sie, ohne ein Wort zusagen, ohne sich zu bewegen, und vielleicht sogar ohne ihn zu betrach-ten, zu den Füßen des Herrn sitzend, seinen Worten lauschte (Lk 10,39).Wenn er sprach, lauschte sie; wenn er abließ zu sprechen, ließ auch sieab, ihm zuzuhören, und all die Zeit über war sie da. Ein kleines Kind,das auf dem Schoß seiner schlafenden Mutter liegt, ist wahrlich an sei-nem guten und begehrenswerten Platz, auch wenn die Mutter nicht zuihm spricht, noch es zu ihr.

Mein Gott, meine Tochter, wie gerne spreche ich doch mit Ihnen einwenig über diese Dinge! Wie glücklich sind wir, wenn wir unseren Herrnlieben wollen! Lieben wir ihn also recht, meine Tochter; fangen wir erst

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gar nicht damit an, zu sehr das Einzelne zu erwägen, was wir um seinerLiebe willen tun, sofern wir nur wissen, daß wir nichts tun wollen, außeraus Liebe zu ihm. Ich denke für meinen Teil, daß wir uns selbst im Schlafin der Gegenwart Gottes halten, denn wir schlafen unter seinem Blick,nach seinem Willen und durch seinen Willen ein und er legt uns da aufdas Bett, wie er eine Statue in eine Nische stellt; und wenn wir erwachen,dann finden wir, daß er bei uns ist; er hat sich nicht von uns fortbewegtund auch wir nicht; wir haben uns also in seiner Gegenwart gehalten,aber mit geschlossenen Augen ...

Glauben Sie mir, daß das erste Wort, das ich Ihnen schrieb, wahrhaf-tig war; daß mich nämlich Gott Ihnen gegeben hat; dieses Empfindenwächst alle Tage mehr in meiner Seele. Der große Gott sei ewiglichunser Alles ...

Bleiben Sie fest, meine Tochter, zweifeln Sie nicht; Gott hält uns mitseiner Hand und wird uns niemals verlassen. Er sei gepriesen von Ewig-keit zu Ewigkeit. Amen.

Es lebe Jesus und seine hochheilige Mutter! Amen. Und gepriesen seider gute Vater, der hl. Josef! Gott segne Sie mit tausend Segnungen!

An die Frau Baronin von Chantal, meine Tochter.

Annecy, 5. Februar 1610.Dieser Brief wird kurz sein, sehr liebe Tochter, denn ich habe gar

keine Zeit für mich. Er soll Ihnen nur sagen, daß ich erst vorgesternerfahren habe, ich solle heuer zur Fastenzeit nicht nach Salins gehen.Der Erzbischof von Besançon hat sich den Bürgern dieser Stadt gegen-über geäußert, er wünsche mein Kommen nicht; und er ist ihr Bischof.Den Grund dafür kenne ich nicht; aber unter uns gesagt, es wird beiallen nicht gut aufgenommen werden. Was mich betrifft, so bin ich eszufrieden, auch wenn ich entschlossen war, gerne hinzugehen.

Mein Bruder wird Ihnen in wenigen Tagen einstweilen seinen Bedien-steten schicken, bis er selbst kommt, nachdem er einige geschäftlicheDinge hier erledigt hat. Fräulein Favre hat sich endlich mit Zustimmungihres Vaters entschlossen, ganz unserem Herrn anzugehören und mehrdenn je meine Tochter zu bleiben, und ich glaube, daß wir etwas Gutesaus ihr werden machen können.

Ich horche überall hin, was Gott von mir verlangt; bitten Sie ihn,meine liebe Tochter, er möge dieses gute Wort sagen, daß ich ihm ange-höre (Ps 119,94). Ja gewiß, ich bin es von ganzem Herzen, wenn ich

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auch armselig und schwach bin. Mein Versprechen, zu betrachten, halteich getreu; von Zeit zu Zeit muß ich Ihnen doch Rechenschaft darübergeben. Die arme liebe Schwester ist hochschwanger und wirklich rechtgut, wie ich aus dem Jahresüberblick ersehen habe, den sie mir in denletzten Tagen mit großer Andacht vorgelegt hat. Ich werde nun Hand andas Buch „Über die Gottesliebe“ legen und versuchen, darüber ebenso-viel in mein Herz wie auf das Papier zu schreiben.

Seien Sie gegrüßt, meine einzige, ganz teure, unvergleichlich teureTochter. Mögen Sie ganz Gott gehören. Ich hoffe alle Tage mehr undmehr auf ihn, daß wir im Vorhaben, das unser Leben betrifft, Gutesleisten werden. Mein Gott, ich schreibe richtig atemlos.

Annecy, um den 23. Februar 1610.Nein, meine liebe Tochter, seit drei vollen Monaten habe ich keinerlei

Nachrichten von Ihnen; und ich kann nicht glauben, daß Sie mir keinegesandt haben. Je länger sie ausbleiben, desto mehr hoffe ich, daß es guteNachrichten sind. Ich gestehe, daß mein Herz mir darüber ein wenigzusetzt, aber ich verzeihe ihm diese kleinen Erregtheiten, denn es ist jaein väterliches und mehr als ein väterliches Herz.

Werden Sie mir das auch glauben, was ich Ihnen jetzt sage? Seit eini-ger Zeit besitze ich das kleine Büchlein „Über die Gegenwart Gottes“;es ist ein kleines Werk, aber ich habe es bisher noch nicht ganz lesenkönnen, um Ihnen zu sagen, was ich davon halte, ob es Ihnen dienenkann. Es ist wirklich unglaublich, wie sehr ich hier und drüben vonGeschäften gehetzt werde. Sie würden aber darüber in Unruhe geraten,meine liebe Tochter, wenn ich nicht hinzufügte, daß trotzdem, Gott seigedankt, mein armes und schwaches Herz niemals mehr Ruhe hatte undmehr gewillt war, seine göttliche Majestät zu lieben, deren besonderenBeistand ich in dieser Hinsicht spüre.

O meine liebe Tochter, welch große Freude bereiteten Sie mir einmal,als Sie mir die heilige Demut ans Herz legten; denn wissen Sie, wennsich in unseren Tälern der Wind inmitten unserer Berge verfängt, dannermatten die kleinen Blumen und die Bäume werden entwurzelt; undmir, der ich in meinem Amt als Bischof ein wenig hochgestellt bin,erwachsen aus diesem noch mehr Schwierigkeiten. O Herr, rette uns!Befiehl diesen Winden der Eitelkeit, und eine große Stille wird sichausbreiten (Mt 8,25 f)!

Bleiben Sie ganz fest und drücken Sie das heilige Kreuz unseres Herrn

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innig an sich; der dort von allen Seiten herabströmende Regen schlägtjeden Wind nieder, so groß er auch sein mag. Wenn ich manchmal vordem Kreuz stehe, mein Gott, wie sehr ist dann meine Seele geborgenund welches Labsal gibt ihr dieser purpurrote Tau! Kaum aber bin icheinen Schritt vom Kreuz entfernt, erhebt sich der Sturm von neuem.

Ich weiß nicht, wo Sie dem Leib nach in dieser Fastenzeit sein werden;dem Geist nach hoffe ich, daß Sie in der Höhle der Turteltaube (Hld2,14) und in der durchbohrten Seite unseres teuren Heilands sein wer-den. Ich werde wohl trachten, dort oft mit Ihnen zu verweilen; Gott inseiner höchsten Güte möge uns die Gnade dazu erweisen. Gestern sahich, so schien es mir, daß Sie angesichts der geöffneten Seite unseresHerrn sein Herz herausnehmen wollten, um es in das Ihre aufzunehmenwie einen König in sein kleines Königreich; und mag auch das seine vielgrößer sein als das Ihre, so würde er eben sein Herz kleiner machen, umsich dem anzupassen. Wie gut ist doch der Herr, meine liebe Tochter!Wie liebenswert sein Herz! Bleiben wir dort in dieser heiligen Wohn-statt; möge dieses Herz immerdar in unseren Herzen leben, möge diesesBlut ständig in den Adern unserer Seelen aufwallen.

Wie sehr bin ich es zufrieden, daß wir dem in dieser Stadt herrschen-den Karnevalstreiben die Flügel beschnitten haben, so daß man es kaummehr erkennt. Wie sehr beglückwünschte ich doch am Sonntag meinVolk, das in außerordentlicher Zahl gekommen war, um die Abendpre-digt zu hören, und das alle Unterhaltungen abgebrochen hatte, um zumir zu kommen! Das freute mich sehr, auch, daß alle unsere Damen amMorgen kommuniziert haben und keine Bälle zu veranstalten wagten,ohne die Erlaubnis einzuholen. Ich war ihnen gegenüber nicht hart, denndessen bedurfte es nicht, da sie so gut und von großer Frömmigkeiterfüllt sind ...

Mein Gott, meine ganz teure Tochter, wie innig und warm empfindeich den hohen Wert und das geheiligte Band unserer heiligen Einheit.Heute morgen hielt ich eine Predigt, die ganz in Flammen war, denn ichhatte es gut erkannt; ich muß es Ihnen sagen. Mein Gott, welchen Segenerflehe ich doch für Sie! Aber Sie können doch gar nicht glauben, wiesehr es mich am Altar drängt, Sie mehr denn je unserem Herrn zu emp-fehlen.

Was soll ich Ihnen sagen, als daß wir ein Leben führen sollen, das ganzabgestorben sei, und eines Todes sterben, der ganz lebendig und leben-spendend sei im Leben und Sterben unseres Königs, unseres Herrn undHeilands, in dem ich bin Ihr ganz hingegebener Diener ...

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Annecy, 11. März 1610.Meine sehr teure Tochter, muß man nicht in allem und überall diese

höchste Vorsehung anbeten, deren Ratschläge heilig, gut und liebens-wert sind? So hat es ihm jetzt gefallen, unsere so gute und liebe Muttervon dieser armseligen Welt fortzunehmen, um sie – wie ich ziemlichsicher hoffe – an seiner Seite und an seiner Rechten zu haben. Bekennenwir, meine sehr teure Tochter, bekennen wir doch, daß Gott gut ist unddaß sein Erbarmen ewig währt (Ps 136). Sein Wille ist stets gerecht undall seine Anordnungen richtig (Ps 119,37), sein Wohlgefallen immerheilig und seine Anordnungen ganz liebenswert (Ps 119,39).

Was mich angeht, meine Tochter, so muß ich bekennen, daß dieseTrennung ein großer Schmerz für mich war (denn nachdem ich die GüteGottes bekannt habe, muß ich auch meine eigene Schwachheit beken-nen); dennoch, meine Tochter, war es ein ruhiger, wenn auch starkerSchmerz, denn ich habe wie David gesagt (Ps 39,10): „Ich schweige, oHerr, und öffne nicht den Mund, denn Du hast es getan.“ Wenn es nichtso gewesen wäre, hätte ich unter diesem Schlag zweifellos laut aufge-schrien; ich meine aber, daß ich nicht gewagt hätte, aufzuschreien odermich gegen die Schläge dieser Vaterhand aufzulehnen, die ich dank sei-ner Güte seit meiner Jugend zärtlich zu lieben gelernt habe.

Aber Sie möchten vielleicht wissen, wie das Leben dieser guten Frauzu Ende ging. Hier also ein kurzer Bericht, denn ich spreche ja zu Ihnen,zu Ihnen, der ich im Memento der Messe den Platz meiner Mutter ein-geräumt habe, ohne Ihnen den von Ihnen bereits eingenommenen Platzzu entziehen. Dies habe ich nicht tun können, so sehr halten Sie an demPlatz fest, den Sie in meinem Herzen hatten – und so sind Sie darin dieErste und die Letzte.

Meine Mutter kam also heuer im Winter zu mir, und während deseinen Monats, den sie hier verbrachte, legte sie die Generalbeichte abund erneuerte mit gewiß großem Eifer ihren Vorsatz, das Rechte zu tun.Sie ging fort als der mit mir zufriedenste Mensch der Welt, der ich ihr,wie sie sagte, mehr Trost mitgeben konnte, als sie je hatte. Diese großeFreude hielt in ihr an bis Aschermittwoch, wo sie in die Pfarrkirche vonThorens mit sehr großer Frömmigkeit beichten und kommunizierenging, drei Messen und der Vesper beiwohnte. Am Abend, da sie zu Bettelag und nicht schlafen konnte, ließ sie sich von ihrer Kammerzofe dreiKapitel der „Anleitung“ vorlesen, um sich in guten Gedanken zu erge-hen. Sie ließ sich dann die „Feierliche Erklärung“ anmerken, um sie am

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folgenden Morgen abzulegen. Aber Gott begnügte sich mit ihrem gutenWillen und bestimmte es anders; denn als der Morgen kam, erhob sichdiese gute Frau und während des Kämmens fiel sie plötzlich vom Schla-ge gerührt wie tot um. Mein armer Bruder, Ihr Sohn, der noch schlief,wurde benachrichtigt und lief im Nachthemd herbei, ließ sie aufheben,bewegen und ihr mit Essenzen, Kaiserwasser und anderen Mitteln bei-stehen, die man bei solchen Gelegenheiten für gut hält. Sie kam daraufwieder zu sich und begann zu sprechen, aber kaum verständlich, zumalSchlund und Hals in Mitleidenschaft gezogen waren.

Man kam mich holen und ich eilte sogleich mit Arzt und Apothekerherbei, die sie lethargisch und halbseitig gelähmt fanden; lethargischaber auf eine Weise, daß sie wieder leicht daraus aufwachte und in die-sen wachen Augenblicken sowohl durch Worte, die sie sich zu sagenbemühte, als auch durch die Bewegung ihrer heilgebliebenen Hand, d.h. der Hand, deren Gebrauch ihr geblieben war, ungetrübte Urteilskraftbewies. Denn sie sprach sehr schön von Gott und ihrer Seele und ergrifftastend (da sie plötzlich blind war) das Kreuz und küßte es. Niemalsnahm sie etwas zur Hand, ohne das Kreuzzeichen darüber gemacht zuhaben, und empfing so die heilige Ölung. Obgleich sie bei meiner An-kunft erblindet und fast schlafend war, liebkoste sie mich doch zärtlichund sagte: „Dieser da ist mein Sohn und Vater zugleich.“ Sie küßte mich,indem sie ihren Arm um mich schlang und küßte mir vor allem dieHand. In diesem Zustand verblieb sie etwa zweieinhalb Tage. Späterkonnte man sie kaum richtig wachbekommen und am 1. März gab sieihre Seele unserem Herrn zurück, ruhig, friedlich und in einer größerenHaltung und Schönheit, als sie je zuvor gewesen; sie war eine der schön-sten Toten, die ich je gesehen habe.

Ich muß Ihnen sagen, daß ich noch die Kraft hatte, ihr den letztenSegen zu erteilen, ihr Augen und Mund zu schließen und ihr den letztenFriedenskuß im Augenblick ihres Hinscheidens zu geben. Nachher aberkrampfte sich mein Herz zusammen und ich weinte um diese gute Mut-ter mehr, als ich je geweint habe, seit ich Priester bin; es geschah aberGott sei Dank ohne Bitterkeit des Geistes. – Das ist alles, was sich zuge-tragen hat.

Übrigens vermag ich nicht das so gute Naturell Ihres Sohnes zu ver-schweigen, dem ich übrigens zu Dank verpflichtet bin für die Sorge umdiese gute Mutter und all seine Mühe, die er mit soviel Liebe auf sichnahm, daß ich – wäre er irgendein Fremder gewesen – gezwungen wäre,ihn für meinen Bruder zu halten und zu erklären. Ich weiß nicht, ob ich

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mich täusche, aber ich finde ihn außerordentlich zu seinem Vorteil ver-ändert, sowohl im Weltlichen, als auch vor allem im Seelischen.

Nun, meine liebe Tochter, man muß sich eben fügen und immer Gottpreisen, auch wenn es ihm gefallen sollte, uns noch härter heimzusu-chen. Wenn Sie es für richtig erachten, könnten Sie kommen und amPalmsonntag hier sein. Ich sage hier, denn es besteht keine Veranlas-sung, daß Sie diese heiligen Tage auf dem Land zubringen. Ihr kleinesZimmer wird auf Sie warten, unsere schlichte Tafel und einfache undbescheidene Bewirtung wird Ihnen gern und von Herzen zuteil, ich meine,von meinem Herzen, das so überaus das Ihre ist ... 96

Nun will ich aber noch rasch auf die Hauptpunkte Ihres Schreibens zusprechen kommen. Unsere arme kleine Charlotte ist wohl glückselig,die Erde verlassen zu haben, bevor sie sie noch richtig berührt hat (Weish4,11.14). Ach, und doch mußten wir wohl ein wenig weinen. Haben wirnicht ein menschliches Herz und eine empfindsame Natur? Warum sol-len wir nicht ein wenig unsere Heimgegangenen beweinen, da doch derGeist Gottes es nicht nur erlaubt, sondern uns sogar dazu auffordert (Sir22,10 f; 38,16)? Ich trauere wohl über den Verlust des armen kleinenMädchens, aber ich empfand die Trauer nicht so stark, da doch das großeLeid über die Trennung von meiner Mutter das Empfinden dieser zwei-ten schmerzlichen Nachricht stark abstumpfte, zumal uns die Nachrichtzu einem Zeitpunkt erreichte, da wir noch den Leichnam meiner Mutterim Haus hatten. Gott sei auch dafür gelobt. Gott gibt uns, Gott nimmtuns, sein heiliger Name sei gepriesen (Ijob 1,21).

Ach, unsere gute Frau von Puits d’Orbe bräuchte mehr persönlichenBeistand, ist sie doch überaus gut und herzlich, aber auch so überausschwermütig, so überempfindlich und so schwachen Mutes. Sie sehen:ich habe ihr so sehr klargelegt, wie notwendig es für sie wäre, und dochdenkt sie gegen den Wunsch der Ihren alle Tage nur daran, wie sie fürdies oder jenes ausgehen könnte. Wenn sie mit Ihnen nach Bourbillyging, so war dies kein Herausgehen; nein, meine Tochter, denn das istkein Herausgehen, wenn man es tut, um Halt zu machen und wiederzurückzukehren. Aber diese anderen Ausgänge sind sinnlos; auch plantund beschließt man die Ausgänge, ohne mich zu fragen. Gott weiß, mei-ne Tochter, wie zärtlich ich diese Seele liebe und wie sehr ich auf ihrWohl bedacht bin, auch, daß ich sie niemals aufgeben will, noch es kann,was sie auch tun mag. Aber ich wage nicht, sie aus der Ferne zu drängen,denn sie ist eine Seele, die nur mit Liebe und Vertrauen geführt werdenkann, mit einem Vertrauen, das immer wieder genährt werden muß von

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erneuten und ständigen Beteuerungen der Zuneigung, was sich aus derFerne nicht machen läßt. Wenn Sie aber hier sein werden, wollen wir dasüberlegen.

Ich bedaure das Mißgeschick der Frau von St. Jean,97 das früher oderspäter eintreten mußte, oder auch nie. Wenn sie ihre Hoffnung so rechtauf unseren Herrn gesetzt hat, wird er sie aus dieser bösen Lage heraus-ziehen, um sie nur umso näher an sich heranzuholen.

Ich werde dem Pater de Monchi schreiben, er möge nur viel leiden,denn wir gereichen der Kirche nicht zur Schande, wenn wir unseremHerrn nachfolgen, der so viel Schmach unseres Heiles wegen erlittenhat.98 Wenn es um geistlichen Gewinn geht, braucht man die Leidennicht zu fürchten.

Ja, meine Tochter, der liebe Gott wird uns helfen und der guten geist-lichen Verwandten99 auch, obgleich wir versuchen müssen, alles zu er-reichen, was möglich ist. Wenn Sie hier sind, werden wir die entspre-chenden Beschlüsse fassen, um unser Vorhaben zu beginnen; wir wer-den ja sehen, was unsere hiesigen Töchter dazu sagen. Unsere Favreentwickelt sich prächtig und gehört jetzt ganz Gott an ... 100

Was die Vorschriften über das innerliche Gebet betrifft, die Sie vonder guten Mutter Priorin erhalten haben, will ich Ihnen vorderhandnichts dazu sagen; ich bitte Sie nur, soweit Sie können, von ihr zu erfah-ren, womit sie dies begründet. Denn, um offen mit Ihnen zu sprechen,obgleich ich mich im vergangenen Sommer zwei- oder dreimal ohneVorbereitung und ohne Plan in die Gegenwart Gottes versetzt habe undmich so äußerst wohl bei seiner Majestät fand mit einer einzigen ganzeinfachen und beharrlichen Empfindung einer fast unmerklichen, abersehr köstlichen Liebe, so habe ich doch niemals gewagt, vom großenWeg abzugehen und diese Art zur gewöhnlichen zu erklären. Ich weißnicht, ich liebe nun einmal den Weg der heiligen Vorfahren und dereinfachen Seelen. Ich sage damit nicht, daß – wenn man seine Vorberei-tung gemacht hat und während des Gebetes zu dieser Art innerlichenGebetes angezogen wird – man dem nicht nachgeben soll; aber als Me-thode zu erklären, daß man sich nicht vorbereiten soll, das fällt mir einwenig schwer, ebenso mich von Gott zurückzuziehen, gänzlich, ohneDanksagung, ohne Aufopferung, ohne besonderes Gebet. All das magzuweilen mit Nutzen geschehen, doch es zur Regel zu erklären, das mußich gestehen, widerstrebt mir etwas. Trotzdem – ich sage das ganz ein-fach vor unserem Herrn und nur zu Ihnen, mit der ich ganz aufrichtigund ganz offenherzig sprechen kann – denke ich nicht, so viel zu wissen,

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daß ich nicht gerne, ja äußerst gerne meine Ansicht aufgeben und derAnsicht jener folgen würde, die davon aus vielen Gründen mehr wissenmüssen als ich. Ich meine damit nicht nur jene gute Mutter, sondernauch eine viel geringere Persönlichkeit. Suchen Sie also zu erfahren, wassie davon denkt, und alles, womit sie ihre Ansicht begründet. Tun Sie dasaber in aller Ruhe und ohne Hast und so, daß sie nicht den Eindruckhabe, Sie wollten sie ausfragen. Ich schätze diese Seele und ihr ganzesKloster von Herzen.

Gott befohlen, meine liebe Tochter, bis zum baldigen Wiedersehen,durch Jesus, der ewig in unserem Geist leben und herrschen möge. Amen.

Annecy, um den 25. März 1610.... Ich sehe, daß Ihre Ankunft bevorsteht; möge sie glücklich sein!

Darum sage ich nichts weiter.Wenn diese guten Witwen mit Ihnen reden, sagen Sie ihnen, daß Sie

ihnen alles im besonderen erklären werden, nachdem Sie hier gewesensind; denn man darf sie erst dann zu bewegen suchen, wenn es ganzangebracht erscheint und unser Vorhaben schon ein wenig vorangeschrit-ten ist, worum ich Unsere liebe Frau und den hl. Josef so recht bitte.

Für das nächste Buch, das ich herausbringen werde, bin ich so sehrRigaud gegenüber verpflichtet, daß ich nicht weiß, ob ich es werde nachDijon geben können; denn ich habe meine Freiheit durch mein Verspre-chen stark gebunden.

Also denn, meine Tochter, kommen Sie, kommen Sie in die Berge(Hld 2,10.13; Lk 1,39); Gott möge Ihnen dort den heiligen Bräutigamzeigen, der über die Berge eilt, über die Hügel schreitet, durch die Fen-ster und durch das Gitter (Hld 2,8 f) nach den Seelen ausschaut, die erliebt. Ach, wie schön wurden doch diese Worte gestern in unserer Kir-che gesungen und klangen in meinem Herzen nach!

Gott sei immerdar unser Alles. Ich bin in ihm einzigartig ...

Annecy, 24. April 1610.Sie müssen tapfer bleiben, meine liebe Tochter, und auf Ihre Gesund-

heit achten, denn nun stehen wir im Begriff, uns nach dem Hafen derGnade und der Freude einzuschiffen.

Ich hatte heute morgen einige gute Gedanken über das Evangeliumdes Tages bei den Worten: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der

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bringt reiche Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5-11). Ich denke wohl, daß wir nicht mehr in uns selbst bleiben wollen unddaß wir von Herzen, bewußt und vertrauensvoll für immer unsere Wohn-stätte in der durchbohrten Seite des Erlösers aufschlagen sollen; dennohne ihn können wir nicht nur nichts tun, sondern, wenn wir auch könn-ten, wollten wir nichts ohne ihn tun.

Alles „in Ihm“, alles „durch Ihn“, alles „mit Ihm“ (Canon Missae),alles für Ihn, alles Er ...

Annecy, 5. Mai 1610.Meine liebe Tochter!Ich muß schon sagen, daß mir unsere Kongregation sehr am Herzen

liegt, denn ganz gegen meine Gewohnheit träume ich davon und findebeim Erwachen ihre Idee vor mir. Gott möge seine gute und allmächtigeHand darüber halten.

O meine Tochter, welchen Trost fand ich doch gestern in der Betrach-tung des Todes und Begräbnisses des Erlösers! Wie ekstatisch warendoch die Worte des Jesaja (62,11; 63,1-7), die man bei der Messe amFest des heiligen Schweißtuches in der Epistel liest. O Gott, wenn dieserErlöser so viel für uns getan hat, was sollten wir da nicht für ihn tun?Wenn er sein Leben für uns ausgehaucht hat, warum sollen wir nichtunser ganzes Leben seinem Dienst und der reinsten Liebe anheimge-ben? Schließlich stelle ich mir vor, daß unser Herr diese Pflanze setzen,sie mit seinem Segen begießen und sie Früchte der Heiligung bringenlassen wird.

Als ich neulich diesen Plan seiner göttlichen Majestät empfahl, warich gewiß beschämt darüber, daß er sich hierfür meines und Ihres, alsounseres Herzens bedient; denn wenn es auch die Vernunft nicht einge-stehen will, so vermag ich doch dieses Herz weder in der Freude, noch inder Beschämung in zwei aufzuspalten. Wir sind doch nur allzu glück-lich, seiner himmlischen Güte diesen Dienst erweisen zu dürfen.

Gott sei Ihr Gott, meine liebe Tochter, Gott sei Ihr Gott; und IhrHerz, das Sie ihm bereitet haben, sei sein Haus (Gen 28,21 f) und seinAltar, auf dem er Tag und Nacht nur das Feuer seiner heiligen Liebebrennen und leuchten lasse (Lev 6,12 f). O Gott, wer wird uns die Gnadeschenken, uns mit Liebe zu überhäufen! Empfehlen Sie mich Ihrer Äb-tissin! ...

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Annecy, 28. Mai 1610.Morgen also werden Sie sich Gedanken und Sorgen machen; denn auch

ich beginne mir wegen der zeitlichen Angelegenheiten des künftigen Hau-ses ganz besonders Sorgen zu machen.101 Was die geistlichen betrifft, soscheint mir, wird sich unser Herr darum kümmern, ohne daß wir unsabsorgen, und er wird seinen tausendfachen Segen dazu spenden.

Meine Tochter, ich muß Ihnen sagen, daß ich niemals so klar sah, wiesehr Sie meine Tochter sind, wie ich es jetzt sehe, aber ich sage, daß iches im Herzen unseres Herrn sehe; darum legen Sie auch die paar Worte,die ich Ihnen neulich schrieb, nicht als Mißtrauen aus; aber wir wollenein andermal darüber reden.

O meine Tochter, wie sehr wünsche ich doch, daß wir eines Tages inuns selbst vernichtet seien, um ganz für Gott zu leben, und daß unserLeben mit Jesus Christus in Gott verborgen sei (Kol 3,3). O, wann wer-den wir leben, ohne selbst zu leben, und wann wird Jesus Christus ganzin uns leben (Gal 2,20)? Ich will jetzt ein wenig darüber betrachten unddabei das königliche Herz des Erlösers für unser Herz anflehen. Ich binin Jesus Christus mehr der Ihre und staune, wie sehr dies noch zunimmt.Ja, ich sage es ganz aufrichtig, ich dachte nicht, das zu vermögen, was ichdarin vermag, und ich finde eine Quelle, die mich immer reichlichermit Wasser versorgt. Ach, es ist Gott, ohne Zweifel.

Wir müssen nun ganz großen Mut fassen; um Gott so entschieden undtapfer zu dienen, wie wir nur vermögen; denn denken wir doch, warumhat er aus zwei Herzen nur ein einziges machen wollen, wenn nichtdeswegen, daß dieses Herz über alle Maßen kühn, tapfer, mutig, bestän-dig und voll Liebe zu seinem Schöpfer und Erlöser sei, durch den und indem ich ganz der Ihre bin ...

Annecy, 10. Juni 1610.Es ist wahr, liebe Schwester, meine Tochter, ich war ein wenig körper-

lich müde; aber wie könnte ich es im Geist und im Herzen sein, da ichdoch eine so göttliche Arznei vor meine Brust gehalten und ganz anmein Herz gedrückt habe, wie ich es heute morgen während der ganzenProzession tat? Ach, wenn ich mein Herz aus Demut ganz hohl unddurch Selbsterniedrigung ganz klein gemacht hätte, so hätte ich zweifel-los dieses göttliche Pfand in mich hineingezogen; es hätte sich in mirverborgen; denn er liebt diese Tugenden so sehr, daß er sich leiden-schaftlich auf sie stürzt, wo er sie findet.

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Der Sperling findet eine Stätte und die Turteltaube ein Nest, wohin sieihre Jungen legt, sagt David (Ps 84,4). Mein Gott, wie sehr hat mich dasergriffen, als man diesen Psalm sang! Denn ich sagte: O teure Königindes Himmels, keusche Turteltaube, ist es denn möglich, daß dein Kind-lein jetzt meine Brust zum Nest hat? Auch jenes Wort der Braut hatmich sehr gerührt: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“ (Hld2,16); „er bleibt an meiner Brust“ (Hld 1,12); denn an meiner Brusthielt ich ihn ja. Und die Worte des Bräutigams: „Lege mich wie einSiegel auf dein Herz!“ (Hld 8,6). Ach ja, meine Tochter; aber da ich nundas Siegel weggenommen habe, sehe ich auch nicht mehr den Abdruckseiner Züge in meinem Herzen. Gibt es eine Wonne, die dieser ver-gleichbar wäre?

Was die bewußte Angelegenheit102 betrifft, so kann ich nichts sagen,als daß man sich in einer Stunde zum geringeren Übel entschließenkann. Hat man aber den Entschluß einmal gefaßt, soll man sich damitzufrieden geben. Denn – nach welcher Seite man immer die Angelegen-heiten dieser Welt drehen und wenden mag – so wird es immer vieleDinge zu wünschen und zu nörgeln geben. Ist man einmal zu etwas ent-schlossen, soll man nicht mehr seine Zeit damit verlieren, in seinerPhantasie nach etwas Besserem auszuschauen, sondern trachten, diegegenwärtigen Schwierigkeiten gut zu überstehen. Wir können ihnennicht entgehen, ohne wieder auf andere, ebenso große Schwierigkeitenzu stoßen, denn überall gibt es solche.

Guten Abend, meine sehr liebe Tochter; der göttliche Heiland, dieeinzige Liebe unseres Herzens, sei unsere Ruhe ewiglich. Amen.

Franz, Bischof von Genf.

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II. BRIEFE AN DIEII. BRIEFE AN DIEII. BRIEFE AN DIEII. BRIEFE AN DIEII. BRIEFE AN DIEMUTTER VMUTTER VMUTTER VMUTTER VMUTTER VON CHANTON CHANTON CHANTON CHANTON CHANTALALALALAL

Annecy, 23. oder 24. Juni 1610.Muß ich nicht, meine liebe Schwester, da ich Sie schon nicht sehen

kann, Ihnen zumindest im Geiste ein gutes Fest wünschen?O Gott, welch großer Heiliger offenbart sich da den Augen unserer

Seele! Wenn ich ihn so in der Wüste betrachte, weiß ich nicht, ob es einEngel ist, der sich den Anschein gibt, ein Mensch zu sein, oder einMensch, der danach strebt, ein Engel zu werden. Welchen Beschauun-gen, welchen Geisteserhebungen gibt er sich dort hin!

Bewunderungswürdig schon seine Nahrung (Mt 3,4); denn der Honigstellt die Köstlichkeit des beschaulichen Lebens dar, gesammelt aus denBlüten der heiligen Geheimnisse. Die Heuschrecken sind ein Bild destätigen Lebens, denn die Heuschrecke bewegt sich nicht auf der Erdefort, noch fliegt sie in der Luft, sondern man sieht sie in einer eigenarti-gen Mischung von Sprüngen in der Luft, von Berührungen der Erde undwieder Sprüngen in die Luft. Denn auch jene, die ein tätiges Leben füh-ren, erheben sich zuweilen in die Luft und berühren dann wieder dieErde. Die Heuschrecke lebt vom Tau und tut nichts als zirpen. Meineliebe Tochter, wenn wir auch gemäß unserer sterblichen Natur die Erdeberühren müssen, um den Notwendigkeiten dieses Lebens zu entspre-chen, so soll doch unser Herz nur den Tau des Wohlgefallens Gottes inall dem genießen und alles zum Lobpreis Gottes werden lassen.

Was aber bedeutet es, daß dieser Engel in Menschengestalt mit Ka-melhaar bekleidet war? Das Kamel, mit seinen Höckern besonders ge-schaffen, um Lasten zu tragen, stellt den Sünder dar. Ach, wie recht-schaffen die Christen auch sein mögen, sie dürfen doch nicht vergessen,daß sie von der Sünde umgeben sind; und wenn die Sünde sie auch nicht

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berührt, so gibt es doch zumindest immer die Haare der Gedanken,Versuchungen und Gefahren. Ach, welch geeignetes Gewand, um dieHeiligkeit zu wahren, ist doch das Kleid der Demut!

Sehen Sie bitte diesen heiligen jungen Mann zurückgezogen in derEinsamkeit: dort ist er aus Gehorsam und wartet, daß man ihn ruft, umzum Volk zu gehen. Obwohl er den Erlöser schon im Mutterschoßeerkannt und zärtlich gegrüßt hatte (Lk 1,41.44), hält er sich von ihmfern, um sich nicht dem Gehorsam zu entziehen, da er wohl wußte, daßer den Erlöser gänzlich verlieren würde, wenn er ihn außerhalb desGehorsams finden wollte.

Außerdem war er von einer alten, unfruchtbaren Frau geboren worden,um uns zu lehren, daß Trockenheit und unfruchtbare Zeiten trotzdem inuns die heilige Gnade hervorbringen; denn Johannes bedeutet Gnade.

Vor allem aber, meine liebe Tochter, betrachten Sie, wie sein VaterZacharias, sobald er den Namen dieses glorreichen Kindes auf seinWachstäfelchen geschrieben hatte, sogleich zu weissagen beginnt undden heiligen Gesang des Benedictus anstimmt. Sicherlich wird dieserName – ich meine die Verehrung und Nachahmung dieses Heiligen –wenn er in unseren Herzen eingegraben ist (Lk 1,63 f; 67-69), uns weis-sagen und Gott überströmend preisen lassen.

Ich liebe diese schöne Wald-Nachtigall, die, ganz Stimme und Ge-sang, auf die Straßen von Judäa hinauszog und als erste das Aufsteigender Sonne verkündete (Mt 3,1 f; Lk 3,15 f). Ich bitte ihn, er möge Ihnenvon seinem Honig, seinen Heuschrecken geben und seinen Kamelhaar-mantel übertragen. Franz, Bischof von Genf.

Annecy, 30. Juni 1610.Wie froh bin ich, meine liebe Tochter, daß diese beiden Töchter unse-

res Herzens1 morgen nicht fasten können und statt dessen kleine unfrei-willige Abtötungen haben; denn ich liebe besonders die Leiden, die unsder himmlische Vater allein auswählt und zuteilt, mehr als die selbstge-wählten. Sie aber, da Sie kräftig sind, werden also bei Wasser und Brotfasten. Das versteht sich, meine liebe Tochter (denn wenn ich es Ihnennicht sage, werden Sie es nicht verstehen wollen), das versteht sich fürdas kommende Jahr, wenn der Fasttag dann eintrifft; denn für diesesJahr müssen wir wirklich Jude sein unter Juden und Heide unter Hei-den (1 Kor 9,20 f), müssen mit den Essenden essen und mit den Lachen-den lachen, wie der große Apostel sagt (Röm 12,15). Führen Sie alsoIhre kleinen Schäflein auf die Weide, meine liebe Tochter.

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Morgen aber werden Sie die arme, kleine, junge Frau vor Augen ha-ben, die, den Gottessohn in ihrem Schoß, sich behutsam an ihren liebenund heiligen Gemahl wendet, um ihre alte Base Elisabet besuchen zudürfen; Sie werden sehen, wie sie ihren lieben Nachbarinnen auf dreiMonate Lebewohl sagt, weil sie so lange auf dem Land und im Gebirgezu bleiben gedenkt (Lk 1,56.39); ich denke, daß alle sich von ihr zärtlichverabschiedeten, weil sie ja so liebenswürdig und freundlich war, daßman mit ihr nicht sein konnte, ohne sie zu lieben, noch sie verlassen,ohne darunter zu leiden.

Sie unternahm ihre Reise mit einiger Eile; denn der Evangelist sagt(Lk 1,39), daß sie „ins Gebirge eilte“. Ach, sie spürte die ersten Regun-gen des Kindes unter ihrem Herzen und das erfüllte sie mit heiligemEifer. O heilige Eile, die nicht beunruhigt, die uns antreibt, ohne uns zuhetzen! Die Engel machen sich auf, sie zu begleiten, der hl. Josef, um siemit Liebe zu führen. Ich möchte gern etwas von den Gesprächen zwi-schen diesen beiden großen Seelen wissen, denn es würde Sie freuen,wenn ich es Ihnen sagte. Überlegen Sie, daß das ganze Empfinden derheiligen Jungfrau nur zu dem hindrängt, was sie unter ihrem Herzenträgt, daß sie förmlich nur den Heiland atmet, während der hl. Josefwieder nur sich nach dem Erlöser sehnt, der durch geheime Strahlensein Herz mit Tausenden außerordentlicher Empfindungen berührte.Und so wie die in den Kellern gelagerten Weine den Duft der Rebenblü-te ausatmen (Hld 2,13), ohne ihn selbst zu riechen, so empfand das Herzdieses heiligen Patriarchen, ohne es wahrzunehmen, auch den Duft, dieKraft und Macht des kleinen Kindes, das in seinem schönen Weinbergerblühte. O Gott, welch schöne Pilgerschaft! Der Erlöser ist ihnen gleich-sam Pilgerstab, Mantel und Reisezehrung mit einem Wein, der die En-gel und Menschen froh (Ps 104,15) und Gott Vater mit maßloser Liebetrunken macht.

Guten Abend, liebe Schwester, meine Tochter; guten Abend auch mei-nen lieben Töchtern; empfehlen Sie mich der teuren Herrin unseresLebens.

Annecy, (Juli-August) 1610.2

Ich danke Ihnen, meine liebe Schwester, meine Tochter, für Ihre bei-den Brieflein. Das ist recht, daß man sich bemüht, das Leiden der gutenNichte3 zu heilen; sie hat mir zwar davon gesprochen, aber so gering-schätzig, daß ich es für eine Kleinigkeit hielt. Gott sei gelobt!

Gestern ließ mich Herr von Lux wissen, daß sich Ihr Vater wohlbefin-

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det. Schlafen Sie nur bis sechs, ja sogar bis sieben Uhr, wenn Sie esbrauchen.

Heute habe ich nur eine kurze Betrachtung gehalten, aber mit GottesHilfe werde ich mich noch mehr dem Gebet widmen; denn ich willIhnen schon Rechenschaft darüber ablegen, was Sie mit Recht und ausLiebe für unsere Seele wünschen. Der Schwester geht es besser und mirsehr sehr gut.

Ich grüße diese lieben Töchter um Sie herum; ihnen gehört meinezärtliche Liebe in Jesus Christus, und Sie, meine liebe Tochter, Sie sindmein eigenes Herz in ihm, der, um unser Herz zu haben, uns sein Herzganz bloß daliegend zeigt. Ich grüße sehr meine liebe Kleine4 und meineSchwester Françoise,5 doch ist mein Blick jetzt so sehr auf unsere Kon-gregation gerichtet, daß ich Tag und Nacht bei ihr bin ...

Annecy, 7. September 1610.Ich finde die von Ihnen erwähnte Methode bestimmt noch besser,

Pater de Monchi ganz offen Ihren Gedanken zu schreiben, meine sehrteure Tochter, denn nachher gibt es darüber nichts zu reden. Der guteBruder, der hier ist, wird erst am Donnerstag abreisen, denn heute warich den ganzen Tag so überbeschäftigt, daß es ärger nicht mehr seinkann.

Fasten Sie nicht, meine sehr teure Tochter, auch nicht unsere Tochtervon Bréchard; wenn Sie wieder völlig hergestellt sind, werde ich nichtvergessen, Sie dafür an einem Samstag fasten zu lassen.

Schicken Sie mir unsere Françon6 heute abend zur Beichte. Reden Siefreundlich, aber ernst mit dem guten Kind de Grenier, von dem ichhoffe, daß es sich gut machen wird.

Unser lieber Neffe7 möchte nicht zu seinem Vater8 zurückkehren, dochsehe ich nicht, wie das gehen soll ...

Übrigens fand ich mich heute Morgen in Gelassenheit und Ruhe desGeistes, ohne irgendein Empfinden des Staunens darüber, daß ich durchein Vorgefühl ihres milden Lichtes klar erkannte, die Ankunft Unsererlieben Frau sei nahe. Ich möchte gern ein wenig eingehend mit Ihnendarüber reden.

Einstweilen guten Abend, meine sehr teure Tochter, meine Schwe-ster; erweisen Sie diesem himmlischen Kindlein, das nun kommt, alleEhre und erbitten Sie ihre Gunst, um jene ihres Sohnes zu erlangen.Niemals empfand ich solch heilige Zuneigung, wie ich sie jetzt zu unse-rer Seele und unserem ganz einzigen Herzen fühle.

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Annecy, 28. November 1610.Meine sehr teure Tochter, Sie wollen einige gute Gedanken, die unse-

ren Schwestern helfen sollen, die Adventszeit so fromm zu verbringen,wie sie es ersehnen. Was soll ich Ihnen sagen, meine Tochter, als daß dieheilige römische Kirche, unsere Mutter, heute ihre Kinder nach SantaMaria Maggiore führt, um dort Station9 zu halten und den Advent zubeginnen. Tun wir das gleiche, meine sehr teure Tochter; gehen wir imGeist auf die Absicht der heiligen Kirche ein und ziehen wir uns indieser Gemeinschaft mit ihr zurück zu der heiligen Jungfrau, unsererguten Mutter und Herrin.

Wir wollen in diesem Monat drei Vorbilder sehen, die nicht nur im-stande sind, unsere Seelen zu beschäftigen, sondern die unsere Herzenin die heilige Liebe entrücken sollen: 1. Maria, die unbefleckt Empfan-gene; 2. den hl. Johannes, das Kind der Gnade, den Rufer in der Wüste,damit die Wege geebnet werden für den Bräutigam, der kommen soll(Jes 40,3.4; Mt 3,1-3); 3. eben diesen Bräutigam und Erlöser, der inseiner heiligen Geburt zu uns kommt, so daß wir zu Weihnachten frohsingen können: „Immanuel oder Gott mit uns“ (Jes 7,14; Mt 1,23).

Das ist genug Stoff zur Betrachtung, meine Tochter, bis ich Sie wieder-sehe mit der lieben kleinen Schar, die Gott segnen möge.

Annecy, (28. November 1610).Gott befohlen, meine Tochter. Es war mir ein Trost, vor meinem lie-

ben Volk über die Gottesfurcht zu predigen, und es wird mir auch eineFreude sein, über seine Liebe zu meiner reinen Taubenschar zu predi-gen, unter der ich Sie als ganz die meine betrachte in Ihm, dem wir unserHerz geschenkt haben.

Annecy, 3. Dezember 1610.10

Bei dem neuen Mut, den wir fassen, sehe ich das Fest der Unbefleck-ten Empfängnis Unserer lieben Frau herannahen, ein Fest, das die mitganz besonderer Andacht feiern, die ihrem Dienst geweiht und hingege-ben sind. Damit sie denn unsere Seele und unsere ganze Kongregationunter ihren besonderen Schutz nehme, wollen wir an diesem Tag begin-nen, täglich die heilige Kommunion zu empfangen. Ich mache Sie schonim voraus darauf aufmerksam, damit Sie die Tage bis zum Fest zur Vor-bereitung auf den Empfang eines so herrlichen Geschenkes verwenden.Die großen Heiligen, deren Feste wir in diesen Tagen feiern, kommen

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uns gerade recht zu Hilfe: der hl. Nikolaus, der hl. Ambrosius und mor-gen die hl. Barbara. Sonntag ist der Tag, an dem der Heiland unsererSeelen so herrliche Lobesworte für den hl. Johannes den Täufer findet(Mt 11,2-10).

Ich grüße Sie, meine sehr teure Tochter, ohne damit sagen zu wollen,daß ich Sie nicht aufsuchen werde, wenn ich kann.

Annecy, 5. Dezember 1610.Mein Gott, meine liebe Tochter, gewiß verlangt es mich sehr, Sie zu

sehen. Im übrigen befinde ich mich recht wohl und auch Ihr Herz, so-weit ich dies erkennen kann. Ich habe heute Morgen mit ganz besonde-rer Innigkeit für unseren Fortschritt in der heiligen Liebe zu Gott gebe-tet und verspüre eine Sehnsucht, größer denn je zuvor, nach dem Wohlunserer Seele. Ach, sagte ich, Heiland unseres Herzens, da wir nun alleTage an Deinen Tisch treten werden, um nicht nur Dein Brot zu essen,sondern Dich selbst, der Du unser lebendiges (Joh 6,51) und übernatür-liches (Mt 6,11) Brot bist, bewirke, daß wir jeden Tag diese ganz voll-kommene Speise in der richtigen und vollkommenen Weise in uns auf-nehmen und so ewiglich leben, erfüllt von Deiner heiligen Gnade, Güteund Liebe.

Ich gehe zur Predigt des Paters Franziskus; heute Abend halte ichselbst die Predigt in St. Klara; an einem der nächsten Abende, vielleichtmorgen, muß ich nach Dijon schreiben, denn am Dienstag geht ein Botedahin ab; aber wenn ich kann, werde ich Sie schon aufsuchen. GutenAbend, einzige und sehr liebe Schwester, meine Tochter. Ich will nicht,daß Sie heuer fasten.

Annecy, (8. Dezember) 1610.So geht schließlich dieser schöne, so sehr für einen Besuch bei Ihnen

geeignete Tag vorbei, meine sehr liebe Tochter, ohne daß mir diese Freu-de zuteil wurde; zumindest aber will ich dafür diese paar Zeilen schrei-ben, die ich mir inmitten von Angelegenheiten, die gewisse Ordensleutezu mir bringen, für Sie abspare.

Guten Abend also, meine sehr teure Tochter. Bemühen Sie sich, Ih-rem armen Herzen behutsam Erleichterung zu verschaffen; hüten Siesich davor, ihm böse zu sein ob der ärgerlichen Gedanken, die es umga-ben. Nein, meine Tochter, denn das arme Ding kann doch nichts dafürund Gott selbst ist ihm darob nicht gram; im Gegenteil, seiner göttli-chen Majestät gefällt es, zuzusehen, wie dieses arme, kleine Herz vor

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dem Schatten des Bösen erzittert, wie ein Vogeljunges vor dem Schattendes Falken, der über ihm kreist; denn das ist ein Zeichen dafür, daß esgut ist, dieses Herz, und die schlechten Vorstellungen verabscheut.

Wir aber, meine sehr teure Tochter, haben unsere gute Mutter, unterderen Fittichen wir uns bergen wollen. Flüchten wir zum Kreuz undumarmen wir es von Herzen; bleiben wir im Schatten dieses heiligenBaumes in Frieden. Mein Gott, unmöglich kann uns etwas verletzen,solange wir fest entschlossen sind, ganz Gott anzugehören; und wir wis-sen doch, daß wir dies wollen.

Nochmals guten Abend, meine sehr teure Tochter; beunruhigen Siesich nicht, machen Sie sich über den bösen Feind lustig, denn Sie sind inden Händen des Allmächtigen. – Gott sei immerdar unsere Kraft undunsere Liebe! Morgen werden wir Sie, meine ganz liebe, einzige Tochtermeines Herzens, mit Hilfe seiner Gnade aufsuchen.

Annecy, 25. Dezember (1610).O mein Jesus! Wie schön ist doch diese Nacht, meine sehr teure Toch-

ter! „Die Himmel“, singt die Kirche, „lassen von allüberall her Honigträufeln ... “

Aber ich bitte Sie, meine liebe Tochter, bin ich nicht anmaßend, zudenken, daß unsere beiden Schutzengel sich unter der lieben Schar derhimmlischen Musizierenden befinden, die in dieser Nacht ihr Lobliedsangen? O Gott, wenn sie diesen himmlischen Gesang neuerlich für dieOhren unseres Herzens anstimmen möchten, welche Freude, welcherJubel! Ich flehe sie darum an, damit Ehre sei im Himmel und auf ErdenFriede den Menschen guten Willens (Lk 1,12.14).

Da ich nun von der Feier der heiligen Geheimnisse zurückkomme, willich meine liebe Tochter begrüßen. Denn ich glaube, daß selbst die Hirtensich ein wenig nach der Anbetung des himmlischen Kindes ausruhten, dasder Himmel selbst ihnen angekündigt hatte (Lk 2,8-11). Ach, o Gott, ichkann mir denken, wie süß ihr Schlummer gewesen sein muß. Sie meintenwohl immer noch die heilige Melodie der Engel zu hören, deren Gruß sieso ausgezeichnet hatte, und sie meinten wohl immer noch das liebe Kindund die Mutter zu sehen, die sie besucht hatten.

Was möchten wir denn unserem kleinen König geben, was wir nichtvon ihm (1 Kor 4,7) und seiner göttlichen Freigebigkeit erhalten haben?So will ich ihm denn beim heiligen Hochamt die einzigartig geliebteTochter schenken, die er mir gegeben hat. Ach, Heiland unserer Seelen,lasse sie in der Liebe ganz Gold werden, in der Abtötung ganz Myrrhe

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und im Gebet ganz Weihrauch. Dann empfange sie in den Armen Dei-ner heiligen Hut und Dein Herz möge zu ihrem Herzen sagen: „Ich bindein Heil“ (Ps 35,3) von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Ihr Vater und Diener, der Sie sehr lieb hat ...

Annecy, (Ende 1610-1611).11

Ich wünsche Ihnen einen überaus guten Abend, meine, ja ganz meinesehr teure Tochter, da ich vor allem fürchte, daß die ärztliche Behand-lung12 Ihnen manche Unannehmlichkeit bereitet an Ermüdung, Erre-gung und Hitzen. Ich weiß aber, daß Sie all dies ganz sanftmütig ertragenwerden, denn Sie sind recht vernünftig, meine liebe Tochter, und werdenniemals etwas zu hart finden, was unser Herr Ihnen schickt.

O, ich flehe diesen Heiland an, er möge unser Herz auch in Wirklich-keit zu dem seinen machen, so wie es ihm durch Liebe schon seit langerZeit gehört. Ja, gewiß, meine, ganz meine sehr teure Tochter, wir hegenkeine andere Liebe in unserem Herzen als die zu seiner göttlichen Güte,und wir möchten auch keine andere dulden, so klein sie auch sein mag.

Guten Abend, meine ganz liebe Tochter. Bleiben Sie in Frieden! Eslebe Jesus! Die liebe Nichte13 wird mir sagen, wie Sie es gemacht haben.

Annecy, um den 6. Januar 1611.14

Meine sehr teure Tochter, meine Schwester!Mein Herz muß wohl das Ihre im Namen unseres Herrn begrüßen. So

bitte ich denn diese höchste Reinheit und Klarheit, sie möge unser Herzmit ihrem Licht und in ihrer Liebe erleuchten, damit es in diesem Lichtwandle und in dieser Liebe lebe, so daß alles nur in diesem Licht gese-hen, alles nur in dieser Liebe geliebt werde.

Ich habe wohl das Büchlein gefunden, von dem ich Ihnen erzählte; ichbin aber darin auf so harte Stellen gestoßen, daß ich es Ihnen nichtüberlassen will, ohne ein Vorwort geschrieben zu haben, das es Ihnenverständlicher und weniger holprig machen soll. Bleiben Sie indessenganz in Gott und bitten Sie ihn, er möge sich unser Herz ganz einzigartigeinfach und vorbehaltlos zu eigen machen.

Ich muß Ihnen noch von einem kleinen Vorhaben berichten, das dieEhre Gottes und die Rückführung einer großen Seele zum Ziele hat.Wenn ich kann, will ich dies heute tun; wenn nicht, dann morgen.

Leben Sie denn wohl, meine ganz einzig liebe Schwester, meine Toch-ter; Jesus behüte immerdar Ihr Herz!

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Annecy, um den 12. oder 20. Januar 1611.Sie sollen wissen, meine sehr teure Tochter, daß die höhere Ehre Got-

tes, die die höchste Herrin unserer Bestrebungen ist, mich bei dieserguten Frau von Saint-Cergues15 zurückgehalten hat, um deren Rückfüh-rung Sie gebetet haben. Denn da ich sie geneigt sah, den letzten Ent-schluß zu ihrem Heil zu fassen, wollte ich sie nicht verlassen, bevor siesich dazu entschlossen hatte, wofür ich unseren Herrn von ganzem Her-zen preise. Und auch Sie sollen ihn von ganzem Herzen preisen undunser beider Herzen werden ihm lobsingen. Ich meine wohl, daß seinegöttliche Majestät durch diese Bekehrung verherrlicht wird.

Ich freue mich, daß sie ein wenig Erholung bei Ihnen gefunden hat, dennsehen Sie, der Schritt, den sie vollziehen will, wird sie immer noch kleineGeburtswehen kosten. Wir haben beschlossen, uns morgen zu sehen undauf meinen Rat hin mit ihrer Beichte und der Vorbereitung auf die heiligeKommunion zu beginnen, die wir am Sonntag ebenfalls in Ihrem Oratori-um feiern werden. Ich hoffe, meine sehr teure Tochter, daß die Engel auf dasSchauspiel des Schlußaktes zur Rückführung dieser Seele herabschauenwerden. Daher möchte ich ihn gerne bei Ihrer lieben kleinen Schar vollzo-gen sehen, damit sie auf uns alle mit außerordentlicher Freude herabschau-en und wir mit den himmlischen Geistern das Freudenmahl für diesesheimgekehrte Kind feiern können (Lk 15,10.23 f; 32).

Ich bitte unseren gütigen Heiland, er möge seine liebevolle und wohl-tuende Güte über Sie verströmen, damit Sie in ihm heilig, heil und fried-lich ruhen; und er möge väterlich über Sie wachen, da er die höchsteLiebe unseres untrennbaren Herzens ist. O Gott, meine liebe Tochter,ich empfehle Ihnen unser armes Herz. Erleichtern, trösten Sie es undgönnen Sie ihm Erholung, so gut und so oft es Ihnen möglich ist, damites Gott dienen könne; denn dafür müssen wir es pflegen. Es ist dasOpferlamm, das wir Gott darbringen sollen, wir müssen es also in gu-tem Zustand und gut genährt halten, wenn es möglich ist. Es ist dasBrautbett, das wir mit Blumen bestreuen sollen (Hld 1,15). Trösten Siealso dieses arme Herz, meine liebe Tochter, und geben Sie ihm mög-lichst viel Freude und Frieden. Ach, was können wir denn anderes wün-schen als dies?

Es lebe Gott, meine Tochter! Entweder Gott oder nichts; denn alles,was nicht Gott ist, ist nichts oder schlimmer als nichts. Bleiben Sie nurganz in ihm, meine liebe Tochter, und bitten Sie ihn, daß auch ich ganzin ihm bleibe; und in ihm wollen wir uns auch machtvoll lieben, meineTochter, denn wir werden niemals zu viel, noch genug lieben. Welche

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Freude, lieben zu können, ohne ein Übermaß fürchten zu müssen! Einsolches gibt es aber nicht, wo man in Gott liebt.

Ich sende Ihnen diesen „Spiegel der Liebe“16 und werde ihn nach Ih-nen durchsehen, wonach es mich verlangt, da ich diese von den Kartäu-sern gemachte Übersetzung für vollkommen halte ...

Annecy, (Februar 1611).17

O Gott, meine liebe Tochter, ich beteure, und zwar aus meinem gan-zen Herzen, das mehr Ihnen gehört als mir, wie sehr es mir leid tut, Sieheute nicht besuchen zu können. Unsere Herrin, die Ehre Gottes, hat esso eingerichtet, und Sie wissen, meine sehr liebe Tochter, welche Treueihr unser Herz gelobt hat, das ganz einzigartig eines ist. Darum lasse ichsie ohne Vorbehalt über meine Neigung herrschen in allen Fällen, da icherkenne, was sie von mir verlangt. Morgen aber werde ich Sie mit GottesHilfe eine gute Stunde vor der Predigt aufsuchen und wir wollen überunseren Vorsatz sprechen, den Sie, meine liebe Tochter, sehr anspre-chend und unseres untrennbaren Herzens würdig finden werden.

Dann also guten Abend Ihnen, ganz meine Tochter. Ich möchte Ihnendas Gefühl schildern können, das ich heute beim Empfang der heiligenKommunion über unsere teure Einheit empfand, denn es war groß, voll-kommen, milde, machtvoll und gleichsam eine Art Gelöbnis und Weihe.

Guten Abend, Tochter meines Herzens, oder vielmehr meine Tochterund mein Herz. Bleiben Sie ganz in Frieden, ganz in Ruhe und vorallem, ganz in Gott. Lassen Sie mir ein paar Worte schreiben, denn ichtraue diesen Boten nicht ganz.

Annecy, (März 1611).18

Meine sehr liebe Tochter, ich bin es recht zufrieden, daß Sie sich ruhigdem heiligen Gebet zuwenden, um unserem armen Herzen ein wenigErholung bei seinem Heiland zu gönnen, der wie ein Balsamstrauchstets einige Tropfen seines heiligen Balsams auf uns herabträufelt, diefriedlich in der Erwartung verharren. Bleiben Sie also morgens einehalbe und abends eine Viertelstunde dabei und versteifen Sie sich nichtdarauf, zu knien; es genügt auch, wenn Sie dabei sitzen.

Sie können Herrn de la Tour schon empfangen; Gott erweise ihm dieGnade, aus Ihrer Unterhaltung mit ihm Nutzen zu ziehen, und auchdem Baron von Effrans, mit dem Sie ein wenig über seine Übungensprechen müssen ...

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Annecy, 9. März 1611.Ja, meine liebe Tochter, wir werden also, ohne uns halsstarrig zu zeigen,

den Namen Schwestern „Oblatinnen“19 ändern, da diese Bezeichnung die-sen Herren so sehr mißfällt; wir werden aber niemals unser Vorhaben unddas ewige Gelöbnis ändern, immerdar die ganz demütigen Dienerinnender Mutter Gottes zu sein. Erneuern Sie das Versprechen dafür bei IhrerKommunion, ich werde desgleichen beim Meßopfer tun.

Ach, heute sind es zwölf Jahre her, daß ich die Gnade hatte, im Klo-ster dieser heiligen römischen Witwe das Meßopfer zu feiern mit tau-sendfachen Wünschen, sie mein ganzes Leben lang zu verehren. Da sieunsere heilige Patronin ist, muß sie unser Vorbild sein. Sie liebte wohlihren kleinen Baptist ebensosehr, wie Sie Ihren Celse-Benigne lieben,überließ es aber Gott zur Gänze, über ihn nach seinem Willen zu verfü-gen, und er machte aus ihm ein Kind des Heiles. Das gleiche erhoffe ichauch für das teure Kind meiner sehr lieben Mutter.

Annecy, (März) 1611.20

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, meine sehr liebe Tochter. Es ko-stete mich Überwindung, Sie heute nicht besuchen zu können, da ichzwei Meilen von hier zu tun habe, um einen größeren Streit unter unse-ren Franzosen beizulegen. Vor der Abreise aber will ich die Messe fei-ern, wie immer für unser Herz, das unser Herr mit tausend und abertau-send Segnungen, vor allem mit dem Segen seiner ganz vollkommenenLiebe erfüllen möge.

Einen guten Tag also, meine liebe Tochter, und sagen Sie mir, wie esIhnen geht. Leben Sie zumindest froh im Heiland, dessen Dienst ganzvorbehaltlos geweiht zu sein, wir überglücklich sind.

Annecy, 17. März 1611.Ich bitte Sie inständig, meine liebe Tochter, halten wir uns ganz zu

Füßen des Kreuzes, überfroh, wenn nur irgendein Balsamtropfen, derdiesem Kreuz überall entquillt, auf unser Herz fällt und wir eines dieserniedrigen Gräser pflücken können, die im Umkreis des Kreuzes wachsen.

O meine sehr teure Tochter, ich möchte gern mit Ihnen ein wenig überdie Größe dieses gottgesegneten Heiligen sprechen, den unser Herz liebt,weil er die Liebe unseres Herzens und das Herz unserer Liebe genährthat. Bei diesen Worten: „Herr, verfahre gnädig mit denen, die gut undgeraden Herzens sind“ (Ps 13,4), meine ich, o wahrer Gott, wie gut undgeraden Herzens mußte doch dieser Heilige sein, da Gott so gut zu ihm

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war, ihm die Mutter und den Sohn anzuvertrauen. Denn mit diesen bei-den als Unterpfand beschenkt, mochte er wohl den Engeln Neid einflö-ßen und den gesamten Himmel herausfordern, ob dieser mehr besäßeals er: denn was wäre unter den Engeln vergleichbar mit der Königin derEngel und was wäre in Gott mehr als Gott?

Guten Abend, meine ganz liebe Tochter. Ich bitte diesen großen Hei-ligen, der unseren Heiland so oft liebkoste und wiegte, er möge Ihnendie inneren Liebkosungen schenken, derer Sie zum Wachsen Ihrer Lie-be zu diesem Erlöser bedürfen; möge er Ihnen den inneren Frieden inüberreichem Maß erbitten, indem er Sie tausendfach segne. Es lebe Je-sus, es lebe Maria und auch der große hl. Josef, der Nährvater unseresLebens!

Gott befohlen, meine Tochter; die Witwe von Naim ruft mich zumBegräbnis ihres lieben Sohnes (Lk 7,11-16). Dabei denke ich an das, wasSie mir von Ihrem Sohn schreiben. Wir wollen Gott angehören, ohneEnde, ohne Einschränkungen, maßlos. Jesus sei unsere Krone, Mariaunsere Wonne!

Ich bin im Namen des Sohnes und der Mutter Ihr stets getreuer Diener ...

Annecy, 29. April (1611).Ich gehe nun zum Altar, meine liebe Tochter, wo mein Herz tausend

Wünsche für Ihr Herz ausströmen wird; oder vielmehr, wo unser Herztausend Segnungen über sich selbst ausströmen wird; denn so sprecheich mehr der Wahrheit gemäß.

O Gott, meine liebe Schwester, meine sehr teure Tochter, da ich gera-de von unserem Herzen rede, warum geschieht es uns nicht wie diesergesegneten Heiligen, der hl. Katharina von Siena, deren Fest wir heuteabends beginnen: daß der Heiland unser Herz wegnehme und statt des-sen sein Herz in die Brust lege? Aber wird es ihm nicht schneller gelin-gen, unser Herz ganz, unumschränkt, rein und unwiderruflich ihm zueigen zu machen? O möge er es tun, der gütige Jesus! Ich flehe ihndarum an bei meinem eigenen Herzen und bei der diesem Herzen inne-wohnenden Liebe, welche die Liebe aller Liebe ist. Und wenn er es nichttut (o, er wird es aber zweifellos tun, da wir ihn darum anflehen), wird eres zumindest nicht daran hindern, daß wir sein Herz nehmen, da er dochseine Brust dazu aufgetan hat. Und wenn wir unsere Brust auftun soll-ten, um unser Herz herauszunehmen und das seine hineinzulegen, wer-den wir es nicht tun?

Sein heiliger Name sei immerdar gesegnet!

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Gex, um den 10. Mai 1611.... Gott, der mir beisteht, möge nach unserem Wunsch meine Person

und meine Handlungen zu seiner Ehre und seinem Ruhm werden las-sen. Wir müssen uns bemühen, Heilige zu werden, um Gott und denNächsten richtig zu dienen.

Gottes Güte läßt mich gewiß große und wohltuende Freuden genießen,die ihren Ursprung erkennen lassen. O, wie gut ist doch unser Heilandund mit welcher Zartheit behandelt er meinen armen schwächlichen Mut!Ich bin aber fest entschlossen, ihm ganz treu zu sein, besonders im Dien-ste unseres Herzens, das ich – fühlbarer denn je – als ein einziges sehe undspüre. O Gott, meine liebe Tochter, wer könnte wohl zwei Wesen so voll-kommen vereinen, um nur ein einziger und untrennbarer Geist zu wer-den, wenn nicht ER, der die Einheit seinem Wesen nach ist?

Die sich alle Tage mehr häufenden kirchlichen Angelegenheiten wer-den mich hier länger zurückhalten, meine sehr teure Tochter, als ichdachte; aber es ist mir dies gewiß sehr angenehm, da es zur Ehre Gottesund zum Dienst an den von ihm erlösten Seelen geschieht. An verschie-denen Orten dieses Gaues verlangen diese, man möge ihnen den katho-lischen Kult wieder einsetzen. Mein Gott, meine ganz teure Tochter,welch ehrenvolle und schöne Mühe ist doch dies für mich, die michhoffen läßt, daß dieses ganze Land – wenn schon nicht jetzt – so dochzumindest später einmal gereinigt werden könnte von der großen Seu-che, die diese unselige Irrlehre dort verbreitet hat.

Gestern richteten wir den katholischen Kult in Divonne wieder ein,einem großen, schönen Dorf. Für die folgenden Tage hat es den An-schein, daß wir dasselbe noch in zwei anderen Orten tun können. Au-ßerdem werden wir hier predigen und zu einigen irregegangenen Seelensprechen. Vielleicht werden wir sie nicht zurückführen können, denngewöhnlich verhindern menschliche Erwägungen die ihres Heiles; aberwir glauben doch nicht wenig zu tun, wenn wir sie dazu bringen, daß siebekennen, wir hätten recht, was bis jetzt mehrere getan haben. BittenSie, meine ganz einzige Tochter, den Heiland besonders um die Bekeh-rung derer, um die ich mich schon zu bemühen begonnen habe, damitsie die heilige Wahrheit sehen, ohne die sie nur verlorengehen würden.

Tausend- und abertausendmal am Tag findet sich mein Herz bei Ihnenmit tausend und abertausend Wünschen ein, die es vor Gott zu IhrerFreude vorbringt. Ach, Herr Jesus, lebe und herrsche ewiglich in die-sem Herzen, das Du uns gegeben hast.

Ihr sehr ergebener Diener ...

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Gex, 19. Mai 1611.Ich kann zwar nicht bei meinem Wort bleiben, meine sehr teure Toch-

ter, aber ich bleibe bei meinem Wunsch, heute Abend in Annecy zu sein.Mit Gottes Hilfe wird dies morgen der Fall sein, denn die beruflichenAngelegenheiten machen dies erforderlich. Inzwischen also guten Abend,meine ganz einzige Tochter; unser Herr überhäufe Sie mit seiner Liebe.

Ich bin etwas besorgt wegen der Krankheit der kleinen lieben Schwe-ster, obgleich ich einen guten Ausgang erhoffe. Ich grüße alle unsereTöchter, Sie aber, meine sehr teure Tochter, sind wahrlich, ja ganz einzigund wahrhaftig ich selbst. Es lebe Jesus! Amen.

Annecy, (22. Mai 1611).... Erhebe dich Nordwind, komm Südwind, wehe in meinem Garten

und siehe, die Düfte werden ihm überreich entströmen (Hld 4,16). Omeine sehr teure Tochter, wie sehr ersehne ich doch diesen liebenswer-ten Wind, der vom Süden, von der Wärme der göttlichen Liebe kommt;diesen Heiligen Geist, der uns die Gnade schenkt, nach ihm uns zusehnen und für ihn zu leben.

Ach, wie gerne möchte ich Ihnen irgendein Geschenk machen, meineliebe Tochter! Ach, abgesehen davon, daß ich so arm bin, schickt es sichnicht, daß wir am Tag, an dem der Heilige Geist seine Gaben austeilt,uns damit abgeben, unsere Gaben verschenken zu wollen; wir müssenam Fest dieser großen Freigebigkeit nur zu empfangen wissen. MeinGott, wie sehr brauche ich doch in Wahrheit den Geist der Stärke! Dennich bin gewiß schwach und kraftlos; ich rühme mich aber dessen, damitdie Kraft meines Herrn in mir wohne (2 Kor 12,9 f). Ich will lieberschwach sein vor Gott als stark, denn er nimmt die Schwachen in seineArme, die Starken aber führt er an der Hand. Die ewige Weisheit seiimmerdar in unserem Herzen, damit wir die Reichtümer der unendli-chen Güte des gekreuzigten Heilands verkosten können.

Sagen Sie der großen Schwester, daß sie sich wie ich ihrer Schwächerühmen soll, welche so ganz geeignet ist, Kraft zu empfangen; denn wemsoll Gott Kraft verleihen, wenn nicht den Schwachen?

Guten Abend, meine sehr liebe Tochter. Dieses heilige Feuer, dasalles in sich verwandelt, möge auch unser Herz umgestalten, damit esnur mehr Liebe sei und wir nicht mehr Liebende, sondern Liebe seien;nicht mehr zwei, sondern ein einziges Wir-selbst, da die Liebe alle Din-ge in der allerhöchsten Einheit vereint.

Gott befohlen, meine liebe Tochter; beharren wir im Streben nach

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dieser Einheit, deren Gott uns schon hier erfreuen läßt in dem Maß, alsunsere Schwachheit sie ertragen kann, und die er uns im Himmel nochviel vollkommener genießen lassen wird ...

Annecy, 10. Juni 1611.Guten Tag, meine sehr liebe Tochter. Ein Vergleich, den ich heute mor-

gen zwischen zweien unserer Pfarrherren von Gex treffen mußte, nimmtmir den Trost, meine liebsten Schäflein aufzusuchen und sie selbst mitdem Lebensbrot zu speisen. Herr Roland wird mich vertreten. Dennochist er kein geeigneter Bote, um Ihnen den Gedanken zu übermitteln, denGott mir heute Nacht eingegeben hat: daß nämlich unser Haus der Heim-suchung durch seine Gnade adelig und ansehnlich genug ist, um sein Wap-pen, seinen Wappenschild, seinen Wahlspruch und seinen Schlachtruf zuhaben. Ich habe also gedacht, wenn Sie damit einverstanden sind, meineliebe Mutter, wollen wir als Wappen ein einziges, von zwei Pfeilen durch-bohrtes, von einer Dornenkrone umschlossenes Herz nehmen; dieses armeHerz, in das die heiligen Namen Jesus und Maria eingegraben sind, sollals Einfassung für ein aus ihm emporragendes Kreuz dienen.

Meine Tochter, bei unserem ersten Zusammentreffen werde ich Ihnentausend kleine Einfälle vorbringen, die mir diesbezüglich gekommensind; denn wahrlich, unsere kleine Kongregation ist ein Werk der Her-zen Jesu21 und Mariä. Der Heiland hat uns sterbend durch das Öffnenseines heiligen Herzens das Leben geschenkt; es ist also nur gerecht,wenn unser Herz durch sorgsame Abtötung immer von der Dornenkro-ne umschlossen bleibt, die auf dem Haupt unseres Meisters verblieb,während die Liebe ihn an den Thron seiner Todesleiden fesselte.

Guten Tag nochmals, meine Tochter! Ich sehe unsere klageführenden Her-ren eintreten, die den Frieden meiner Gedanken unterbrechen kommen.

Annecy, 24. Juni (1611).Ach, meine sehr teure Tochter, hätte ich doch ein Gefühl der Freude,

würdig dieses engelhaften Menschen oder menschlichen Engels, dessenGeburt wir heute feiern! Mein Gott, welche Freude hatte ich, mich da-rüber mit mir selbst zu unterhalten! Aber ich muß Sie versichern, daßdie Größe meiner inneren Vorstellung mich daran hindert, mir selbstdiese Befriedigung zu gewähren.

Ich halte ihn für mehr als jungfräulich, weil er selbst mit den Augenkeusch ist, die er auf die gefühllosen Dinge der Wüste geheftet hat undnicht von den Sinnen her weiß, daß es zwei Geschlechter gibt; für mehr als

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einen Bekenner, denn er hat den Heiland bekannt (Joh 1,15-27), bevorder Heiland sich selbst zu erkennen gegeben hat; für mehr als einen Pre-diger, denn er predigt nicht allein mit der Zunge, sondern mit der Handund mit dem Finger (Joh 1,29.36), was das Höchste an Vollkommenheitdarstellt; für mehr als einen Kirchenlehrer, denn er predigt, ohne dieQuelle der Lehre gehört zu haben; für mehr als einen Märtyrer, denn dieanderen Märtyrer sterben für den, der für sie gestorben ist, er aber stirbtfür den, der noch am Leben ist, und tauscht bei all seiner Kleinheit seinenTod mit dem seines Heilands ein, bevor ihn dieser ihm gegeben hat; fürmehr als einen Evangelisten, denn er predigt das Evangelium, bevor esgeschrieben wurde; für mehr als einen Apostel, denn er geht dem voraus,dem die Apostel nachfolgen (Lk 1,17.76); für mehr als einen Propheten,denn er weist auf den hin, den die Propheten vorhersagten; für mehr alseinen Patriarchen, denn er sieht den, an den diese geglaubt haben, und fürmehr als einen Engel und für mehr als einen Menschen, denn die Engelsind nur Geister ohne Leib und die Menschen haben zuviel Leib und zuwenig Geist; dieser hier hat einen Leib und ist nur Geist.

Ich finde sehr großes Gefallen daran, ihn in dieser düsteren, aber seli-gen Wüste (Lk 1,80) zu betrachten, die er überall mit dem Duft seinerFrömmigkeit erfüllt und in der er Tag und Nacht Selbstgespräche undekstatische Reden über das große Ziel seines Herzens führt; seines Her-zens, das sich allein mit Gott weiß, sich so der Gegenwart seiner Liebeerfreut und in der Einsamkeit die Vielfalt der ewigen Wonnen findet, woes den himmlischen Honig in sich aufnimmt, den es bald darauf in dieSeelen der Israeliten am Jordan austeilen wird (Lk 3,3).

Mein Gott, meine liebe Tochter, welch bewundernswerter Heiliger!Geboren von einer Unfruchtbaren (Lk 1,7.36), lebt er in der Wüste,predigt den vertrockneten und versteinerten Herzen (Lk 3,4 f.8), stirbtals Märtyrer, und inmitten all dieser Härten ist sein Herz ganz von Gna-de und Segen erfüllt. Aber noch bewundernswerter ist dies, daß unserHerr den Worten „unter den von einer Frau Geborenen gibt es keinenGrößeren als Johannes“ noch hinzufügt: „Dennoch ist der Geringste imReiche Gottes, d. h. in der Kirche, größer als er“ (Lk 7,28). O meineliebe Tochter, das ist wahr, denn der geringste Christ, der die heiligeKommunion empfängt, ist größer an Würde als der hl. Johannes. Wasaber will das sagen, daß wir so klein an Heiligkeit sind?

Guten Abend, meine liebe Tochter, auch der ganzen lieben Schar un-serer Töchter. Der gute hl. Johannes möge sie mit ihrer lieben Muttersegnen ...

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Annecy, 1. oder 2. Juli (1611).... Ich gebe Ihnen zu überdenken, meine Tochter, welch feinen Duft

doch diese schöne Lilie während der drei Monate verbreitete, die sie imHaus des Zacharias weilte; wie jeder um sie besorgt war, und wie sie mitwenigen, aber ganz wunderbaren Worten ihren heiligen Lippen denHonig (Hld 4,11) und kostbaren Balsam entströmen ließ; denn wovonsonst konnte sie überströmen als von dem, wovon sie ganz erfüllt war?Nun war sie aber ganz von Jesus erfüllt.

Mein Gott, meine Tochter, ich wundere mich, daß ich noch immer sovoll von mir selbst bin, da ich doch so oft schon die heilige Kommunionempfangen habe! Ach, teurer Jesus, sei auch das Kind unseres Herzens,damit wir überall nur Dich atmen und empfinden. Ach, Du bist so oft inmir; warum bin ich so selten in Dir? Du gehst in mich ein; warum binich so sehr außerhalb von Dir? Du bist in meinem Inneren; warum binich nicht in dem Deinen, um darin diese große Liebe, die die Herzenberauscht, zu suchen und zu sammeln?

Meine Tochter, ich bin ganz inmitten dieser lieben Heimsuchung, inder unser Heiland im Schoß seiner heiligen Mutter gleich einem jungenWein diese herzliche Liebe allseits aufwallen läßt ...

Annecy, 11. August 1611.Meine sehr teure Tochter!Nach dem, was Sie mir sagen, sehe ich, daß es besser ist, die Angele-

genheit auf Montag zu verschieben. Bei Euch allen wäre es zu übereiltund bei jenen auch, denke ich. Es wäre mir auch recht, wenn ich dieEinladung zu den guten Schwestern der hl. Klara, die morgen ihr großesFest haben, nicht ausschlagen müßte, sowie auch zum Katechismusun-terricht in Notre Dame. Dort soll ich die Katechese am Vorabend desFestes Unserer lieben Frau halten. Ich wurde dazu vor zehn bis zwölfTagen eingeladen und es war so recht.

Annecy, (um den 29. August 1611).Ich danke Ihnen für Ihr schönes, großes Geschenk, meine sehr teure

Mutter, meine Tochter, und mehr noch für Ihr Schreiben. Seien Sie ver-sichert, daß ich gut auf mich schauen und halten werde, was ich Ihnenversprochen habe.

Die Tochter von Saint-Claude wird erst kommen, wenn sie in N. gewe-sen ist. Man wird sie getröstet zurückschicken können, ohne sich jedoch

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durch ein Wort binden zu lassen, außer in dem Maße, als man es fürgeeignet erachten wird. Wenn Fräulein von Chabot oder die anderen sieaufsuchen, so ermutigen Sie sie stark, sich an unseren Herrn zu binden;sie braucht Mut und ist im übrigen ein gutes Mädchen.

Guten Abend, meine sehr teure Mutter. Die hochheilige Jungfrau, un-sere Herrin, möge so recht in unseren Herzen Fuß fassen und herrschen.Unsere Töchter, die die Gelübde ablegen wollen, könnten als Vorberei-tungsbetrachtung ein wenig nachdenken über die Gelübde Unserer lie-ben Frau und so vieler Mädchen und Frauen in Gemeinschaften, welchediese Gelübde unserem Herrn ablegten und mit so viel Treue hielten, daßsie lieber für den göttlichen Meister litten, als von ihnen abzulassen.

Ach, wie sehr wünsche ich doch dieser lieben Schar von Töchtern,daß sie heilig werden, und vor allem dieser ganz einzigen, vielgeliebtenund hochgeschätzten Mutter, meiner, in Wahrheit meiner Tochter. Gottsegne sie und präge ihrem Herzen das Siegel seiner reinen Liebe ein.Amen.

Thonon, 10. September 1611.Da bin ich nun seit drei Tagen in Thonon, meine sehr teure Tochter,

wo ich recht gut ankam, ohne Müdigkeit zu verspüren. O Gott, meinesehr teure Tochter, ich weiß nicht, wohin ich gereist bin, ob nach Tho-non oder nach Burgund; ich weiß aber wohl, daß ich mehr in Burgundbin als hier. Ja, meine Tochter, da es der göttlichen Güte so gefällt, binich eben unzertrennlich von Ihrer Seele und, um mit dem Heiligen Geistzu sprechen, haben wir schon nur mehr ein Herz und eine Seele (Apg4,32), denn was von allen Christen der Urkirche gesagt wird, gilt, Gottsei Dank, nun für uns. Bleiben wir also „so recht in unserem Herrn“,meine sehr Geliebte (Phil 4,1).

Ich erwarte ständig Nachrichten über den Erfolg Ihrer Reise, von demich hoffe, daß er ein guter gewesen ist, wobei ich jedoch nicht ohne Sorgebin wegen Ihrer schwachen Gesundheit und der übergroßen Hitze, diein den letzten Tagen während einiger Stunden geherrscht hat; ich willaber glauben, daß Sie zu diesen Stunden gerastet und zum Reisen dieMorgen- und Abendstunden genützt haben, in denen es immer etwasWind gab. Ich bitte Gott, er möge Sie in seiner Liebe und Heiligkeiterhalten wie meine eigene Seele.

Ach, ich bitte Sie inständig, meine sehr teure Tochter, halten Sie sichso recht an Jesus Christus, an die Mutter Gottes und an Ihren gutenSchutzengel in all Ihren Angelegenheiten, damit deren Vielfalt Sie nicht

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beunruhige und deren Schwierigkeit Sie nicht ermüde. Erledigen Sieeine nach der anderen, so gut Sie können, und gebrauchen Sie nur or-dentlich Ihren Geist dazu, aber sachte und milde. Wenn Gott Ihneneinen guten Ausgang schenkt, werden wir ihn dafür preisen; wenn esihm nicht gefällt, werden wir ihn auch loben. Und es soll Ihnen danngenügen, daß Sie sich ehrlich um den Erfolg bemüht haben, denn unserHerr und die Vernunft verlangen von uns nicht Leistungen und Erfolge,sondern treue und ehrliche Anstrengung, Arbeit und Sorgfalt; denn dashängt von uns ab, nicht der Erfolg. Gott wird Ihre gute Absicht für dieseReise und Ihr Bemühen segnen, die Angelegenheiten dieses Hauses fürIhren Sohn in Ordnung zu bringen. Er wird Sie entweder durch einenguten Erfolg oder durch heilige Demut und Ergebung belohnen. MeinHerz hegt indessen tausend und abertausend gute Wünsche für Ihr Herzwie für sich selbst und ich werde nicht aufhören, an diesem Ort, der ganzder Ehre der hochheiligen Jungfrau geweiht ist, ihre Fürsprache zu er-bitten.

Ich schicke heute unseren Herrn Michel zu unseren Töchtern zurück,damit sie nicht gänzlich all derer beraubt seien, zu denen sie Vertrauenhaben. Ich schreibe unserer Schwester von Bréchard einen Brief für alle,um ihnen Mut zu geben. Meine kleine Schwester befindet sich wohl;dies hat mir Ihre kleine Schwester, meine Cousine, durch eine Kammer-zofe geschrieben, die sie hierher gesandt hat. Das sind all unsere Neuig-keiten, meine liebe Tochter. Ich werde Sie von einem Tag zum anderenüber das, was ich tun werde, unterrichten.

Herr von Blonay wird seine Tochter schicken, wenn Sie zurückkom-men. Ich sah sie am Fest Unserer lieben Frau; sie hat immer ihr gutesAussehen und alle Anzeichen eines tugendhaften Mädchens. An diesemTag predigte ich vor einer großen Volksmenge und vielen Fremden; unddie glorreiche Himmelskönigin stand mir bei, einige gute Worte zu ih-rer Verherrlichung zu finden. Ich werde mich um unserer Töchter wil-len möglichst beeilen.

Gott befohlen, meine sehr teure Tochter, immerdar sollen wir Gottangehören. Seine Liebe sei ewiglich die Einheit unseres Herzens!

Ich grüße mit besonderer Liebe meine sehr teure große Tochter, derich immer die Gesundheit unserer guten Mutter empfehle und sie wohlbeneide, ohne ihr zu wünschen, dessen beraubt zu werden, was sie be-sitzt. Sie wird sich indessen bemühen, ihr Herz ein wenig stark undgroßherzig zu machen gegen die Verzärtelung und Empfindlichkeit, die

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ihr bei jeder Gelegenheit Anlaß zum Ärger wurden. Sie wissen ja, meineTochter, daß unser Herz dem dieser großen Tochter mit Liebe zugetanist ... 22

Es lebe Jesus und Maria! Gott segne Sie, meine sehr teure Tochter. Ichbin in ihm, was er allein weiß.

Thonon, 14. September 1611.O Gott, meine sehr teure Tochter, ich bemühe mich gewiß, Ihnen bei

allen Gelegenheiten zu schreiben. Gott sei gelobt, der Sie dort ankom-men ließ, wohin die Angelegenheiten Sie riefen, die Sie noch zu ordnenhatten. Meine sehr teure Tochter, opfern Sie die Arbeit und Mühe, dieIhnen dort zu schaffen machen, zur Verherrlichung der göttlichen Maje-stät auf, der zuliebe Sie diese auf sich nehmen. Behandeln Sie die irdi-schen Angelegenheiten mit Augen, die auf den Himmel geheftet sind. Ichwerde Ihrer teuren Seele immer gegenwärtig sein wie Sie selbst und IhrenMühen sorgfältig die Segnungen der göttlichen Opfer zuwenden, damitebendiese Mühen Ihnen erträglich und der heiligen Liebe nützlich seien.Um diese Liebe besser üben zu können, sind Sie ja fortgereist; sie wolltendas erledigen, was Ihnen Ursache mancher Ablenkungen war.

Meine liebe Tochter, alles, was für die Liebe getan wird, ist Liebe; dasLeid, ja selbst der Tod sind nur Liebe, wenn wir sie aus Liebe auf unsnehmen.

Sprechen wir aber nun von unseren Angelegenheiten. Ich habe diesekleine Visitationsreise ziemlich glücklich beendet mit der Hoffnungauf einige Früchte für die Seelen. Ich befinde mich meiner Meinungnach äußerst wohl und beobachte sorgsam Ihre Vorschriften für meineGesundheit. Aber für meine Heiligkeit, die Ihnen am meisten am Her-zen liegt, tue ich kaum etwas, außer tausend ständigen Wünschen undeinigen besonderen Gebeten, es möge unserem Herrn gefallen, sie nütz-lich und fruchtbringend für unser ganzes Herz zu machen. Fast ständigfinde ich mich von einem stillen Vertrauen erfüllt, daß seine göttlicheGüte uns erhören wird. Da wir uns danach in Wahrheit sehnen, werdenwir auch in Wahrheit dahin gelangen; denn dieser große Freund unseresHerzens erfüllt es, so scheint mir, nur mit Wünschen, um es dann mitLiebe zu überhäufen, so wie er die Bäume nur mit Blüten schmückt, umsie später wieder mit Früchten zu beladen. O Heiland unserer Seele,wann werden wir so glühen, Dich zu lieben, wie wir uns glühend danachsehnen?

Wann wird doch, meine sehr teure Tochter, dieses Herz, das Gott uns

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gegeben hat, einzig und untrennbar seinem Gott hingegeben und an ihngefesselt sein durch diese heilige einigende Liebe, die stärker ist als derTod (Hld 8,6) und alles. Mein Gott, meine sehr teure Tochter, erfüllenwir unser Herz mit Mut und vollbringen wir Großes für den Fortschrittunseres Herzens in dieser himmlischen Liebe. Und merken wir dochdarauf, daß unser Herr Ihnen niemals heftige Antriebe zur Reinheit undVollkommenheit Ihres Herzens gibt, ohne daß er mir den gleichen Wil-len einflößt. Wir sollen dadurch erkennen, daß ein und dasselbe Herznur einer Eingebung für ein und dieselbe Sache bedarf; und daß wirdurch die Einheit der Eingebung den Willen der höchsten Vorsehungerkennen, wir sollten ein und dieselbe Seele sein zur Vollendung einund desselben Werkes und zur Reinheit unserer Vollkommenheit.

Ich muß nun schließen, meine sehr teure Tochter, meine Mutter. Heu-te ist der Tag des heiligen Kreuzes. O Gott, wie schön ist es doch und wieliebenswert! Schlachten werden geliefert, um sein Holz zu erlangen,und man verherrlicht es auf dem Kalvarienberg. Ach, meine sehr teureTochter, wie glücklich sind doch jene, die es lieben und tragen! Es wirdim Himmel aufgerichtet werden, wenn unser Herr kommt, zu richtendie Lebendigen und die Toten (Mt 24,30), um uns zu lehren, daß derHimmel der Altar der Gekreuzigten ist. Lieben wir also recht dieseKreuze, denen wir auf unserem Weg begegnen. Gott segne Sie in derLiebe zum heiligen Kreuz!

Bons, 1. Oktober 1611.23

Diese wenigen Zeilen schreibe ich gleichsam mit dem Fuß im Steig-bügel, meine sehr teure Tochter, damit Sie über unsere Gesundheit be-ruhigt bleiben. Gott schenkte mir gute Nachrichten, die ich auch Ihnenwünsche, denn bis jetzt müssen wir in dieser Hinsicht noch fasten. Nun,ich hoffe auf die höchste Vorsehung, daß sie Sie in heiliger und liebevol-ler Weise behüte zu unserem gegenseitigen Trost und beiderseitigen Fort-schritt in der himmlischen Liebe, wofür ich unaufhörlich schöne undwünschenswerte Pläne mache. Ich bitte den Heiligen Geist, daß er sieuns liebevoll ausführen lasse.

Gott befohlen, meine sehr teure Mutter, meine Tochter. Mögen wirimmerdar Gott gehören und es lebe Jesus immerdar! Amen.

Von meinem ganzen Herzen, das Sie kennen, grüße ich unsere großeTochter und lege ihr unsere liebe und gute Mutter ans Herz, wie auchHerrn von Thorens, den ich liebe als meinen Bruder und Ihren Sohn,und das will heißen: über alle Maßen. Ich befinde mich in Bons und auf

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dem Land; sobald es mir diese Aufgabe erlaubt, d. h. in drei Wochen,werde ich in Annecy sein.

Ich grüße ergeben Herrn von Chantal und Herrn von Vaucroissant.Wüßte ich, daß Sie entweder in Dijon oder bei dem Herrn Erzbischofsind, so würde ich Sie bitten, meine Empfehlungen zu übermitteln, wieSie sich wohl denken können.

Der gütige Jesus, in dem und durch den ich ebenso der Ihre bin, wieSie selbst, möge Sie segnen und immerdar beschirmen, meine sehr teureTochter

Annecy, 15. November 1611.Meine sehr teure Tochter!

Ich möchte Ihnen offen sagen, was Ihre Gewissenspflicht betrifft, än-dere ich meine Ansicht keineswegs. Ich halte daran fest, was ich Ihnendarüber vor langer Zeit gesagt habe mit einem Wort: daß Sie bleibensollen, wenn die Not dieses guten Herrn so groß ist, daß Ihre persönlicheGegenwart notwendig ist, um ihm beizustehen. Wenn Ihre Gegenwartaber nur für den besseren Stand der Güter notwendig ist, so sind Sienicht wirklich dazu verpflichtet. Ist jedoch diese Notwendigkeit äußerstwichtig und so groß, daß sie nur durch Sie Abhilfe finden kann, d. h.wenn Sie niemand anderen mit dieser Angelegenheit betrauen können,dann können Sie in aller Freiheit die dazu erforderliche Zeit bestim-men; ich überlasse dies Ihrem Gutdünken und Ihrer Klugheit. Ich kannIhnen aber nicht verhehlen, daß ich in dieser Angelegenheit eine gewis-se Versuchung sehe. Denn wenn Sie sich mit irgendeinem Adeligen ausder tiefsten Gascogne oder Bretagne wiedervermählt hätten, dann hät-ten Sie zweifellos alles aufgegeben und man hätte nichts dazu gesagt.Nun aber haben Sie bei weitem nicht so absolut alles aufgegeben, son-dern sich genügend Freiheit zurückbehalten, um maßvoll für Haus undKinder Sorge zu tragen. Weil aber diese doch geringe Absonderung vonder Welt Gottes wegen geschehen ist, finden sich Leute, die versuchen,die Meinung zu verbreiten, daß Sie schlecht und gegen Ihre Pflichtengehandelt hätten.

Das will ich nicht von dem guten Herrn24 gesagt haben, der Sie bei sichwünscht, denn er hat wahrhaft Grund, die Wohltat Ihrer Gesellschaft zuwünschen, die ihm nur sehr angenehm sein kann; wohl aber von jenen,die dabei von Gewissen und Skrupeln reden, wozu sie meiner Meinungnach keinen Grund haben, obgleich ich aus dem Brief des Herrn N.

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ersehe, daß sie sehr gelehrt und geistvoll sind.25 Ich wiederhole jedoch,daß Ihr Taktgefühl Sie dabei leiten soll nach dem, was ich Ihnen darüberschon früher gesagt habe und nun wiederhole.

Unsere guten Töchter tun inzwischen während Ihrer Abwesenheit ihrBestes, damit Sie bei Ihrer Rückkehr kein Nachlassen in diesem glück-seligen Leben vorfinden, in das Gott sie unter Ihrer Führung hineinge-stellt hat.

Ich wünsche Ihnen tausend und abertausend himmlische Segnungenfür den Fortschritt Ihres Herzens in der hochheiligen Liebe zum Ge-kreuzigten, dem es ewig zugeeignet und geweiht ist. Ich bin, wie Siewissen, von ganzer Seele völlig der Ihre, meine sehr teure Tochter, inIhm, der sich ganz uns zu eigen gegeben hat, um uns zu den Seinen zumachen, in Jesus Christus, der lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewig-keit. Amen ...

Gex, 7. Dezember 1611.Sehr teure Tochter!

Sie müssen die Kürze meines Schreibens verzeihen, denn ich befindemich noch in Gex inmitten so vieler Geschäfte, daß ich nicht weiß,wohin ich mich wenden soll, vor allem jetzt bei der Abreise. Wozu aberdarüber so zu einer Seele sprechen, die mich kennt wie sich selbst?

Ich befinde mich, dem Heiland sei Dank, recht wohl; er gibt mir jaeinen gewissen neuen Mut, ihn zu lieben, ihm zu dienen und ihn zuehren, mehr denn je zuvor, von ganzem Herzen, von ganzer Seele undmit meinem ganzen Wesen, ja, mit meinem ganzen Wesen, meine sehrteure Tochter; denn ich meine, bis jetzt nicht den glühenden Eifer undauch nicht die geziemende Sorgfalt für die Pflicht gehabt zu haben, dieich dieser unermeßlichen Güte schulde.

Ach, ich sehe hier diese armen irrenden Schäflein, ich habe mit ihnenzu tun und betrachte ihre greifbare und offenkundige Blindheit. O Gott,die Schönheit unseres heiligen Glaubens erscheint dagegen so herrlich,daß ich aus Liebe danach vergehe, und ich meine, daß ich dieses kostba-re Geschenk, das Gott mir damit gemacht hat, in ein ganz von Hingabeerfülltes Herz versenken sollte. Meine sehr teure Tochter, danken Siedieser höchsten Klarheit, die so barmherzig ihre Strahlen in dieses Herzleuchten läßt, daß ich – gerade da ich inmitten von solchen weile, die sienicht besitzen – ihre Größe und ersehnenswerte Anmut viel klarer underleuchteter erkenne. Verrichten Sie also Dankesakte für dieses Herzwie für sich selbst.

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Gott segne Sie mit seinem reichen Segen; das ist der ständige und un-veränderliche Wunsch dieses Herzens, das in Jesus Christus das Ihre ist.

Gex, am ... Vorabend meines Weihetages.

Annecy, (Juni-August 1610-1612).Sie sind also recht erkältet, meine sehr teure Tochter, und ich bin sehr

betrübt, daß Sie es sind. Schützen Sie sich bitte vor Wärme und auch vorSonne.

Schreiben Sie mir nicht, wenn Sie bei Tisch sind, denn das ist nichtgesund für Sie; wenn Sie nicht bei Tisch sind, schreiben Sie mir nurwenig und wenn, dann über Ihre teure Gesundheit.

Guten Abend, meine sehr teure Tochter; Unser Herr möge uns inWahrheit immer mehr ganz zu den Seinen machen, wie wir es dem Her-zen nach schon sind. Dieser gütige Heiland segne Sie, meine sehr teureTochter, die ich aufsuchen werde, sobald ich nur irgendwie kann.

Es lebe Jesus! Amen.

Annecy, um den 23. Dezember 1611.26

Nein, meine sehr teure Tochter, ich bin nicht mehr in Sorge wegen desUnfalls von vorgestern, denn ich hoffe, daß Sie sich bereits von diesemSchlag erholt haben mit Hilfe der Gnade unseres Herrn, dessen heiligerVorsehung ich meine so einzige Tochter wie mich selbst anvertraue. OGott, Herr Jesus, für den allein ich uns das Leben wünsche und dem ichmich für unseren Tod ergebe, Dein Wille geschehe! (Mt 6,10; 16,42).

Ich möchte schon, daß Sie morgen kommen, wenn Sie sich stark ge-nug fühlen; und glauben Sie mir, wenn Sie wünschen, mich zu sehen, sofreue ich mich nicht minder darauf, Sie wiederzusehen. Essen Sie aberdann zeitig, eher um neun als um zehn Uhr, damit Sie sich vier Stundenausrasten, bevor Sie zu Pferd steigen.

Ich bitte die Jungfrau Maria, sie möge Sie mit ihrer erbarmendenMütterlichkeit schirmen und Ihr Schutzengel, wie der meine, mögenIhre Begleiter sein, damit Sie wohlbehalten den Empfang über sich er-gehen lassen, den Ihnen dieser arme einzige Vater und Ihre lieben Töch-ter bereiten, die Sie alle mit tausend Wünschen erwarten und besondersich, der ich Ihnen gehöre in unserem Herrn, nicht mehr und nicht weni-ger als Sie selbst. Es lebe Jesus! Amen ...

An die Frau Baronin von Chantal (meine Tochter).

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Annecy, 1. Januar 1612.O Jesus, erfülle unser Herz mit dem heiligen Balsam Deines göttli-

chen Namens (Hld 1,2), damit sein süßer Duft sich in all unseren Sinnenverbreite und sich über alle unsere Handlungen ergieße. Um aber diesesHerz für diesen köstlichen Balsam aufnahmefähig zu machen, beschneidees und nimm alles von ihm fort, was Deinen heiligen Augen mißfallenkönnte. O glorreicher Name, den der Mund des himmlischen Vatersewiglich genannt hat, sei immerdar über unserer Seele geschrieben, da-mit sie so für alle Ewigkeit gerettet werde, da Du doch der Retter bist. Oheilige Jungfrau, die du als Erste der ganzen Menschheit diesen Namendes Heils ausgesprochen hast, lehre uns, ihn so auszusprechen, wie essich gebührt, damit alles in uns das Heil atme, das dein Leib für unsgetragen hat.

Meine sehr teure Tochter, der erste Brief dieses Jahres mußte an unse-ren Herrn und an Unsere liebe Frau geschrieben werden; hier ist nunder zweite, meine Tochter, mit dem ich Ihnen ein gutes Neues Jahr wün-sche und unser Herz der göttlichen Güte weihe. Mögen wir dieses Jahrso leben können, daß es uns als Fundament für das ewige Jahr diene!Zumindest habe ich heute Morgen beim Erwachen uns zugerufen: „Eslebe Jesus!“ und ich hätte diesen heiligen Balsam über die ganze Erdeergießen mögen.

Wenn Balsam in einem Fläschchen fest verschlossen ist, kann keinerunterscheiden, welche Flüssigkeit das ist, bis auf den, der sie hineingetanhat; wenn man aber das Fläschchen geöffnet und einige Tropfen versprühthat, sagt jeder: das ist Balsam. Meine liebe Tochter, unser lieber kleinerJesus war ganz erfüllt vom Balsam des Heils, aber man erkannte es nicht,bis man behutsam mit diesem grausamen Messer seine göttliche Hautgeritzt hatte (Lk 2,21); und da erkannte man, daß er ganz Balsam undausgegossenes Öl sei (Hld 1,2) und zwar der Balsam des Heils. Darumhaben der hl. Josef und Unsere liebe Frau und dann die ganze Umgebungzu rufen begonnen: „Jesus“, das will heißen „Erlöser“ (Mt 1,21).

Möge es dem göttlichen Kind gefallen, unsere Herzen in sein Blut zutauchen und ihnen den Wohlgeruch seines heiligen Namens zu verlei-hen, damit die Rosen der guten Wünsche, die wir hegen, ganz purpurnseien von dieser Farbe, und ganz duftend von seinem Wohlgeruch. MeinGott, meine Tochter, wie sehr ist diese Beschneidung am Platz bei unse-ren kleinen, aber doch großen Verzichten; denn das ist wahrhaftig einegeistige Beschneidung.

Ihr Sie sehr liebender Vater und Diener ...

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Annecy, 17. Januar 1612.Da ist Herr Michel, der etwas früher als gewöhnlich geht, damit Sie

Ihre Tabletten mindestens eine Stunde vor dem Essen nehmen können.Beide Dinge aber, meine sehr teure Tochter, die Sie einnehmen wer-

den, sind herzstärkende Mittel; vor allem das erste, zusammengesetztaus dem herrlichsten Erdenstaub. Ja, meine liebe Tochter, denn unserHeiland hat wahrhaftig unser Fleisch angenommen, das eigentlich Staubist (Gen 3,19); in ihm aber ist er so herrlich, so rein und so heilig, daßHimmel und Sonne nichts sind im Vergleich zu diesem heiligen Staub.Und die heilige Kommunion wurde in eben diese Tablettenform ge-bracht, damit wir sie besser einnehmen können; obwohl sie das ganzgöttliche und große Mahl ist, das die Kerubim und Serafim anbeten unddas sie durch wirkliche Beschauung zu sich nehmen, wie wir es durchdie wirkliche heilige Kommunion tun. O Gott, welches Glück, daß un-sere Liebe in Erwartung dieser offenbaren Einheit, die wir im Himmelmit unserem Herrn haben werden, durch dieses Geheimnis so wunder-bar mit ihm eins werden darf!

Meine sehr teure Tochter, halten Sie Ihren Geist in Frieden, schauenSie nicht, woher ihm seine kleine Krankheit kommt, noch quälen Siesich irgendwie ab, ihn zu heilen, sondern lenken Sie ihn, so gut es geht,davon ab, auf sich selbst zurückzukommen. Der große hl. Antonius,dessen Fürsprache an diesem Tag eine besonders große Macht hat, wirdSie durch die Güte Gottes morgen ganz kräftig aufstehen lassen. Es istfür Sie heute eine große Herzensfreude, sich diesen großen Heiligeninmitten seiner Einsiedler vorzustellen, wie er aus der Tiefe seines Geis-tes ernste und heilige Worte hervorholt und sie mit unvergleichlicherAndacht wie Himmelsorakel ausspricht. Unter anderem aber scheint esmir, er rufe unserer Seele die Stelle aus dem Evangelium zu, die er imKreise seiner Jünger aussprach: „Seid nicht ängstlich besorgt um eureSeele oder für eure Seele“ (Lk 12,22). Nein, meine liebe Tochter, blei-ben Sie in Frieden, denn Gott, dem Ihre Seele gehört, wird ihr Linde-rung verschaffen.

Unterdessen, meine geliebte Tochter, höre ich nicht auf, im Grundmeines Geistes heilige Hoffnung zu hegen, daß Gott, nachdem er unsdurch diese kleinen Verlassenheiten geprüft und in der inneren Abtö-tung geübt hat, uns durch seine heiligen Tröstungen wieder beleben wird.Dieser gütige Geliebte unseres Herzens erniedrigt uns nur, um uns zuerheben (Mt 23,12; Lk 1,52); er versteckt und verbirgt sich und schaut„durch die Gitter“, welche Haltung wir einnehmen (Hld 2,9). Ach, Herr

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und Heiland, ich erahne, so scheint mir, die Klarheit Deines gütigenAuges, die uns die Rückkehr Deiner Wärme verheißt, um wieder einenneuen Frühling auf unserer Erde werden zu lassen (Hld 2,12). Ach,meine Tochter, wir haben wohl viel härtere Schwierigkeiten hinter uns;warum sollen wir nicht den Mut haben, auch diese zu überwinden?

Glauben Sie mir, meine Tochter, daß ich zu unserem Herrn für Sieaus unserem ganzen Herzen bete; denn meine Seele haftet an der Ihrenund ich habe sie lieb wie meine Seele, wie es von Jonatan und David (1Sam 18,1) gesagt wird. Gott sei immerdar diesem Herzen gewogen, dasder himmlischen Liebe ganz hingegeben, ganz gewidmet und ganz ge-weiht ist.

Annecy, 24. Januar 1612.Meine sehr teure Tochter, ich werde Sie so mild wie nur möglich bei

Ihrer gerechten Absicht unterstützen, obwohl es zwischen uns beidenkeinen Zweiten oder Ersten gibt, sondern nur eine einfache Einheit.

Heute morgen, als ich etwas zeitig aufwachte, dachte ich, es wäre viel-leicht gut, wenn Sie morgen, bevor Sie zur Heiligen Messe gehen, alleunsere Töchter, und dann die zwei, die aufgenommen werden sollen, zusich rufen und zu ihnen in Anwesenheit der anderen einige Worte sagen,etwa in dieser Weise:

„Ihr habt uns gebeten, bei uns aufgenommen zu werden, um hier Gottzu dienen in der Einheit des gleichen Geistes und des gleichen Wollens.In der Hoffnung auf die göttliche Güte, daß ihr euch in diesem Bestre-ben viel Mühe geben werdet, wollen wir euch also heute Morgen in dieZahl unserer Novizen aufnehmen, um euch – entsprechend dem Fort-schritt, den ihr im Tugendleben machen werdet – später, zu einer Zeit,die wir euch noch bekanntgeben werden, zur heiligen Profeß zuzulas-sen. Vorerst aber sollt ihr in euch selbst die Wichtigkeit eures Beginnensgut überlegen; denn es wäre viel besser, nicht bei uns einzutreten, alsnach eurem Eintritt Anlaß zu geben, daß ihr zur heiligen Profeß nichtzugelassen werden könnt. Wenn ihr aber guten Willen habt, dürft ihrhoffen, daß Gott euch seine Gnade erweisen wird.

Wenn ihr nun hier eintretet, so sollt ihr wissen, daß wir euch nuraufnehmen, um euch – so sehr wir können – durch Beispiel und Ermah-nung zu lehren, euren Leib durch Abtötung eurer Sinne und des Begeh-rens eurer Leidenschaften, Launen, Neigungen und eures Eigenwillensin einer Weise zu kreuzigen, daß all dies von nun ab dem Geist Gottesund den Regeln dieser Kongregation unterworfen sei. Und zu diesem

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Zweck haben wir die Mühe und besondere Sorge, euch auszubilden undzu belehren, der hier anwesenden Schwester Bréchard anvertraut. Ihrsollt ihr von nun ab gehorchen und sie mit solcher Ehrfurcht und Ehrer-bietung anhören, daß man erkenne, wie ihr euch nicht um des Geschöp-fes willen dem Geschöpf unterstellt, sondern aus Liebe zum Schöpfer,den ihr im Geschöpf erkennt. Und wenn wir euch jemand anderen zurMeisterin gäben, ganz gleich, wen immer, müßtet ihr dieser mit allerDemut aus dem gleichen Grund gehorchen, ohne auf das Antlitz derje-nigen zu schauen, die euch leiten wird, sondern auf das Angesicht Got-tes, der es so angeordnet hat.

Ihr tretet also in diese Schule unserer Kongregation ein, um das Kreuzunseres Herrn richtig tragen zu lernen durch Selbstverleugnung, Ver-zicht auf euch selbst (Mt 16,24), Entsagung eures Willens und Abtötungeurer Sinne. Und ich werde euch herzlich lieben als eure Schwester,Mutter und Dienerin; alle unsere Schwestern werden euch als ihre sehrgeliebten Schwestern ansehen. Einstweilen werdet ihr Schwester vonBréchard zur Meisterin haben. Ihr sollt ihr gehorchen und ihre Ermah-nungen mit Demut, Offenheit und Einfachheit befolgen. Dies verlangtunser Herr von all jenen, die sich in diese Kongregation eingliedern. Ihrwürdet euch sehr täuschen, wenn ihr dächtet, hierher zu kommen, ummehr Ruhe als in der Welt zu haben, denn wir sind im Gegenteil hier nurbeisammen, um fleißig daran zu arbeiten, unsere schlechten Neigungenzu entwurzeln, unsere Fehler zu entfernen und Tugenden zu erwerben;glückselig aber ist die Mühe, die uns die ewige Ruhe schenken wird.“

Nun meine ich aber nicht, meine liebe Tochter, daß Sie diese Worteoder all dies sagen sollen, sondern das, was Sie für geeignet erachten,mehr zur Erbauung und Weckung der anderen, als für diese hier. Ichwürde es auch für gut finden, wenn Sie – nach Abnahme des Verspre-chens, sich gut aufzuführen – noch hinzufügen: „Gesegnet sind die, wel-che gutes Beispiel geben und euch in eurem Beginnen aufmuntern wer-den.“

Das habe ich mir so gedacht, wenn Sie es für passend erachten. GutenAbend, meine sehr teure Mutter, wahrhaft meine Tochter. Es lebe Jesusund Maria! Amen. Ich befinde mich recht wohl.

Annecy, 25. Januar 1612.Der große und bewunderungswürdige hl. Paulus hat uns heute sehr

zeitlich geweckt, meine sehr teure Tochter, so laut rief er meinem Her-zen und dem Ihren zu: „Herr, was willst Du, daß ich tue?“ (Apg 9,6).

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Meine sehr teure Mutter und ganz liebe Tochter, wann wird es sein, daßwir – ganz abgestorben vor Gott – zu diesem neuen Leben auflebenwerden (Kol 3,3), in dem wir nichts selbst tun wollen, sondern Gottalles wollen lassen, was wir tun sollen, um seinen lebendigen Willenüber unseren gänzlich abgestorbenen schalten und walten zu lassen?

Meine liebe Tochter, halten Sie sich also fest an Gott; weihen Sie ihmIhre Mühen, erwarten Sie in Geduld die Wiederkehr Ihrer schönen Son-ne. Ach, Gott hat uns nicht vom Verkosten seiner Güte ausgeschlossen, erhat sie uns nur für einige Zeit entzogen, damit wir ihm und für ihn undnicht für seine Wonne leben; damit unsere heimgesuchten Schwestern beiuns eine mitfühlende Hilfe und eine gütige und liebevolle Stütze finden;damit er aus einem ganz wunden, abgestorbenen und gebändigten Herzenden wohlgefälligen Duft eines heiligen Brandopfers empfange.

O Herr Jesus, bei Deiner unvergleichlichen Traurigkeit, bei der über-großen Verlassenheit, die Dein göttliches Herz am Ölberg (Mt 26,37 f; Lk22,43) und am Kreuz (Mt 27,46) befiel, und bei der tiefsten BetrübnisDeiner lieben Mutter, die sie empfand, da ihr Deine Gegenwart entzogenwurde, sei Du die Freude oder zumindest die Kraft dieser Tochter, wennDein Kreuz und Leiden ganz einzigartig ihrer Seele auferlegt ist.

Ich sende Ihnen, meine sehr teure Tochter, diese meine Herzenswün-sche, die der große hl. Paulus segnen möge. Ich meine, daß Sie zu derSchwester unserer Schwester N. recht lieb sein sollen, denn schließlichist die gütige Liebe jene Tugend, die den Duft der Erbauung ausströmt.Weniger gebildete Personen empfangen sie mit noch mehr Nutzen.

Annecy, 9. Februar 1612.Meine ganz teure Tochter!27

Hier gebe ich Ihr heiliges Heilmittel zurück, das mir bestens geholfenhat, da Gott nach Ihrem Glauben, Ihrer Hoffnung und Ihrer Liebe mitmir verfahren ist. Ich muß zur Verherrlichung Jesu Christi und seinerheiligen Braut bekennen, daß ich nicht glaubte, heute die Heilige Messefeiern zu können, so sehr waren meine Wange und mein Mund innengeschwollen. Ich habe mich auf meinen Betstuhl gestützt, die Reliquiean meine Wange gehalten und gesagt: „Mein Gott, mir geschehe, wiemeine Töchter es wünschen, wenn dies Dein heiliger Wille ist“; undsogleich hat mein Übel aufgehört. Unser Herr hat mir während dieserZeit viele gute Gedanken geschenkt über das erneute Verkosten, das dieheilige Braut nach ihren Worten fühlte (Hld 7,9). Beim Fortgehen sagte

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mir jeder, daß meine Wange nicht mehr geschwollen sei, und ich spürees selbst sehr wohl.

O, es lebe Gott, meine Tochter! Er ist bewunderungswürdig in seinenheiligen Bräuten und in all seinen Heiligen (Ps 68,36). Er hat gewollt,daß dieses Übel mich heute befalle, um uns seine Braut Apollonia ver-ehren zu lassen und um uns einen fühlbaren Beweis der Gemeinschaftder Heiligen zu geben.

Chambéry, 28. März 1612.Meine sehr teure, ganz einzige Tochter, es ist wohl Zeit, daß ich Ihnen,

soweit ich kann, auf Ihren langen Brief antworte. Ach ja, meine sehrteure, ganz wahrhaft sehr teure Tochter; das muß aber rasch geschehen,denn ich habe recht wenig Zeit, und wäre meine Predigt, die ich binnenkurzem halten soll, nicht bereits in meinem Kopf fertig entworfen, ichkönnte Ihnen nur das beiliegende Billet schreiben.

Kommen wir aber zu der innerlichen Prüfung, über die Sie mir schrei-ben. Das ist nichts anderes als eine wirkliche Gefühllosigkeit, die Siedes frohen Empfindens, nicht nur der Tröstungen und Eingebungen,sondern auch des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe beraubt. Siebesitzen diese trotzdem und in recht gutem Zustand, aber Sie erfreuensich ihrer nicht; Sie gleichen einem Kind, dem ein Vormund die Hand-habung all seiner Güter nimmt, so daß das Kind – obwohl ihm in Wahr-heit alles gehört – trotzdem nichts in der Hand hat und nichts zu besit-zen und zu haben scheint, als sein Leben. Wie der hl. Paulus sagt (Gal4,1), unterscheidet es sich, obwohl Herr von allem, darin in nichts voneinem Sklaven. Ebenso, meine sehr teure Tochter, will Gott nicht, daßSie Ihren Glauben, Ihre Hoffnung und Ihre Liebe handhaben, noch auchsich deren erfreuen, sondern daß Sie diese nur besitzen, um zu leben,und sich ihrer nur bei Gelegenheiten reiner Notwendigkeit zu bedienen.

Ach, meine sehr teure Tochter, wie glücklich sind wir doch, von die-sem göttlichen Vormund so eingeengt und kurz gehalten zu werden!Was wir tun sollen, ist zweifellos nichts anderes als das, was wir tun,nämlich die liebenswerte Vorsehung Gottes anbeten und uns dann inseine Arme und seinen Schoß flüchten. Nein, Herr, ich will mich wedermeines Glaubens noch meiner Hoffnung, noch meiner Liebe mehr er-freuen. Ich will nur in Wahrheit sagen können – wenn auch ohne Lustund Gefühl, – daß ich eher sterben wollte, als meinen Glauben, meineHoffnung und meine Liebe aufgeben. Ach, Herr, wenn Dir dies gefällt,daß ich keine Freude mehr an der Übung der mir durch Deine Gnade

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verliehenen Tugenden empfinde, füge ich mich mit meinem ganzen Wil-len darein, wenn es auch gegen die Empfindungen meines Willens ist.

Das ist der Höhepunkt der heiligen Ergebung, mich mit bloßen, trok-kenen und gefühllosen Akten zu begnügen, die vom höheren Willenallein geübt werden; ebenso wie es der höchste Grad der Enthaltsamkeitwäre, sich darauf zu beschränken, stets nur mit Widerwillen zu essenund nicht nur ohne Lust oder Geschmack daran.

Sie haben mir Ihr Leiden recht gut geschildert und Sie können nichtsanderes dagegen tun, als was Sie tun, daß Sie nämlich unserem Herrn –in lauten Worten sogar und manchmal singend – beteuern, Sie wolltenselbst vom Tod leben und essen, als wenn Sie tot wären, ohne Lust, ohneGefühl und Erkenntnis. Schließlich will der Heiland, wir sollen so voll-kommen die Seinen sein, daß nichts uns bleibt, um uns ganz und vorbe-haltlos dem Gutdünken seiner Vorsehung zu überlassen.

Bleiben wir also so, meine sehr teure Tochter, inmitten dieser Finster-nis der Passion. Ja, in dieser Finsternis, denn ich gebe Ihnen folgendeszu bedenken: als Unsere liebe Frau und der hl. Johannes inmitten dieserunerhörten und schrecklichen Finsternis zu Füßen des Kreuzes stan-den, hörten sie unseren Herrn nicht mehr, sie sahen ihn nicht mehr undhatten kein Gefühl, als Leid und Trostlosigkeit, und obgleich sie denGlauben besaßen, war auch dieser in Finsternis getaucht, denn sie muß-ten an der Verlassenheit des Heilands teilnehmen. Wie glücklich sindwir doch, Sklaven dieses großen Gottes zu sein, der sich für uns zumSklaven gemacht hat (Phil 2,7).

Nun ist es aber Zeit für die Predigt. Gott befohlen, meine sehr teureMutter, meine Tochter in eben diesem Heiland. Es lebe seine göttlicheGüte! Mit unvergleichlich brennendem Eifer will ich nach dem Fort-schritt unseres Herzens streben, wofür ich alle meine anderen Befriedi-gungen seiner höchsten und väterlichen Vorsehung in die Hände lege.Gute Nacht nochmals, meine sehr teure Tochter. Jesus, der gütige Jesus,das einzige Herz unseres Herzens, segne uns mit seiner heiligen Liebe.Amen ...

Annecy, Ende Mai 1612.... Es schien mir, als hätten Sie mir den Tag von Saint-Claude vorge-

merkt. Meiner Meinung nach soll man diese Tochter nicht beunruhigen,wenn sie versucht wird, sondern man soll sie nur auf ihren Wunsch, derKongregation anzugehören, prüfen und – wenn man sie schwach findet– ihr Zeit geben, darüber nachzudenken, damit sie sich ohne Überstür-

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zung entscheide; denn ich bin der Ansicht, daß sie ein gutes Mädchenist, aber einen Widerwillen gegen jede Erniedrigung hat, und – da sie einenergisches Wesen ist, – kann sie sich jetzt nicht so ohne weiteres beu-gen.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter, leben Sie in heiliger Weise.Ich bitte Gott für unsere Tochter, von der ich seit gestern weiß, daß siekrank ist. Gott sei unser Herz und unser Leben.

Annecy, (31. Mai 1612).Ich freue mich mit Ihnen über die Auffahrt des Heilands in den Him-

mel, wo er lebt und herrscht und wo wir nach seinem Willen eines Tagesmit ihm leben und herrschen sollen. O, welcher Triumph im Himmelund welche Freude auf Erden! Mögen unsere Herzen dort sein, wo ihrSchatz ist (Mt 6,21), und mögen wir im Himmel leben, da unser Leben(Kol 3,4) im Himmel ist.

Mein Gott, meine Tochter, wie schön ist der Himmel nun, da derHeiland ihm als Sonne dient (Jes 9,19; Offb 21,23) und seine durch-bohrte Seite als Quelle der Liebe, aus der die Seligen nach Wunschtrinken können. Jeder wird sich darin betrachten und jeder sieht dortseinen Namen mit Liebeslettern geschrieben, die die Liebe allein lesenkann und den die Liebe allein geschrieben hat (Jes 62,2; Offb 2,17). AchGott, meine liebe Tochter, werden unsere Namen auch darin stehen? Siewerden es zweifellos; denn wenn auch unser Herz nicht die Liebe hat,hat es doch Sehnsucht nach Liebe und den Beginn der Liebe. Und istnicht der heilige Name Jesus in unsere Herzen geschrieben? Ich meine,daß nichts ihn auslöschen könnte. Wir dürfen also hoffen, daß unserName in gleicher Weise in Gottes Herz geschrieben sein wird. WelcheFreude, wenn wir diese göttlichen Schriftzeichen sehen werden, Aus-druck unserer ewigen Seligkeit!

Was mich betrifft, so habe ich heute morgen an nichts anderes denkenkönnen als an die Ewigkeit der Güter, die uns erwartet, in der mir aberalles wenig oder nichts zu sein scheint, außer die unveränderliche undimmer gegenwärtige Liebe dieses großen Gottes, der dort ewig regiert.Mein Gott, meine liebe Mutter, wie wundere ich mich über diese Ge-gensätze in mir, daß ich so reine Gefühle und so unlautere Handlungenhabe. Wirklich, ich meine, daß das Paradies auch inmitten aller Höllen-qualen wäre, wenn die Liebe Gottes dort sein könnte. Wenn das Feuerder Hölle ein Feuer der Liebe wäre, schienen mir diese Qualen sogar

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wünschenswert. Ich erkannte heute morgen alle himmlischen Freudenals wahres Nichts angesichts dieser über alles regierenden Liebe. Woheraber kommt dies, daß ich nicht gut liebe, obwohl ich doch jetzt schon gutzu lieben vermag? O meine Tochter, beten wir, arbeiten wir, demütigenwir uns und rufen wir diese Liebe auf uns herab!

Noch nie sah die Erde den Tag der Ewigkeit auf ihrem Erdenrund biszu diesem heiligen Festtag, da unser Herr durch Verklärung seines Lei-bes in den Engeln den Wunsch, glaube ich, wach werden ließ, ähnlicheLeiber zu haben, mit deren Schönheit die Himmel und die Sonne nichtvergleichbar sind. Ach, wie glücklich sind doch unsere Herzen, einesTages der Teilnahme an so großer Verklärung harren zu dürfen, voraus-gesetzt, daß sie in diesem sterblichen Leben dem Geist gut dienen! ...

Annecy, (24. Juni 1612).Haben Sie eine Rose vor Augen, meine sehr teure Tochter? Sie ver-

körpert den glorreichen hl. Johannes, dessen purpurne Liebe leuchten-der ist als die Rose, der er aber doch ähnlich ist, da er – wie sie – inmit-ten der Dornen vieler Abtötungen gelebt hat.

Bedenken Sie aber, wie dieser große Mann die heilige Jungfrau undihr Kind im Innersten seines Herzens eingeprägt hatte seit dem Tag derHeimsuchung, an dem er als erster der Sterblichen fühlte, wie liebens-wert die Mutter des Kindes und das Kind dieser Mutter waren. Außerdieser Mutter und diesem Kind soll nichts das Herz meiner Tochter undihres Vaters beschäftigen. Möge dieser glorreiche und göttliche Jesusauf den Armen seiner heiligen Mutter in unserem Geist wie auf einemblühenden Thron leben und herrschen.

Hier ist also, meine sehr teure Tochter, ein geistlicher Blumenstrauß,in dem Sie in einer Rose zwei Lilien sehen, von denen die eine aus deranderen geboren wurde und alle beide mit ihrem süßen Duft und ihrervollkommenen Schönheit die Rose jener Herzen segnen, welche durcheine vollständige, kraftvolle Abtötung nackt, bloß und um ihretwillenvon allen anderen Dingen losgeschält leben. Ach, wer wird uns die Gna-de erweisen, daß wir so recht den Honig zu verkosten vermögen, dendiese Mutter einer Biene gleich im Herzen dieser liebenswerten Blumeerzeugt?

Gute Nacht, meine sehr teure Mutter; gute Nacht all unseren Schwes-tern! ...

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Annecy, 1. August 1612.Unser großer hl. Petrus, vom Engel aus seinem Schlaf geweckt, grüßt

Sie, meine sehr teure Mutter. – Wie anmutig ist doch die Geschichte vondieser Befreiung! (Apg 12,3-11). Seine Seele ist derart davon ergriffen,daß er nicht weiß, ob er träumt oder wacht. – Möge unser Engel heuteunsere Seite berühren, uns zum liebevollen Harren Gottes erwecken,uns von allen Banden der Eigenliebe befreien und uns für immer dieserhimmlischen Liebe weihen, damit wir sagen können: „Jetzt weiß ichgewiß, daß Gott seinen Engel gesandt und mich befreit hat.“

Ach, wie glücklich war unser lieber hl. Petrus, denn aus inniger Liebeheraus fragte ihn unser Herr so oft: „Petrus, liebst du mich?“ (Joh 21,15-17). Nicht etwa, daß er daran zweifelte, sondern wegen der großenFreude, die er daran hat, uns immer wieder sagen und beteuern zu hö-ren, daß wir ihn lieben. Meine liebe Mutter, lieben wir nicht den gütigenHeiland? Ach, er weiß wohl, daß – wenn wir ihn nicht lieben – wirzumindest wünschen, ihn zu lieben. Wenn wir ihn aber lieben, dannweiden wir seine Lämmlein und Schafe; das ist das Zeichen der treuenLiebe. Womit aber sollen wir diese lieben Schäflein immer wieder näh-ren? Mit der Liebe selbst, denn entweder leben sie nicht, oder sie lebenvon der Liebe; zwischen ihrem Tod und der Liebe gibt es kein Zwischen-ding. Wir müssen sterben oder lieben, denn wer nicht liebt, sagt der hl.Johannes (1 Joh 3,14), der verharrt im Tod.

Wollen Sie aber einen hübschen Gedanken wissen? Unser Herr wirdseinem lieben hl. Petrus sagen: „Als du jung warst, gürtetest du dichselbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt sein wirst, wirst dudeine Hand ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich füh-ren, wohin du nicht willst“ (Joh 21,18). Die jungen Lehrlinge in derLiebe zu Gott gürten sich selbst; sie nehmen Abtötungen auf sich, wie esihnen gut scheint, sie wählen ihre Buße, Ergebung und Hingabe und tunihren eigenen Willen innerhalb des Willens Gottes. Die alten Lehreraber in dieser Kunst lassen sich von anderen binden und gürten, unter-werfen sich dem ihnen auferlegten Joch und gehen die Wege, die sieihrer Neigung nach nicht gehen würden. Es ist wahr, daß sie die Handausstrecken; denn trotz des Widerstrebens ihrer Neigungen lassen siesich freiwillig gegen ihren Willen leiten und sagen, daß es besser sei, zugehorchen, als Opfergaben darzubringen (1 Sam 15,22; Sir 4,31); undso verherrlichen sie Gott, indem sie nicht allein ihr Fleisch kreuzigen(Gal 5,24), sondern ihren Geist.

Wahrlich, gestern, als man das Invitatorium sang und rief: „Es lebe

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der König der Apostel! Kommt und betet ihn an!“ hatte ich ein so süßesund liebevolles Gefühl wie nie sonst und wünschte plötzlich, daß es sichüber unser ganzes Herz ergieße.

O Gott, unser Heiland sei uns immerdar alles! Halten Sie das Herzempor in den liebevollen Schoß der göttlichen Güte und Vorsehung,denn dort ist sein Ruhelager (Ps 132,14). Er ist es, der mich ganz Ihnenzu eigen und Sie ganz mir zu eigen gemacht, damit wir reiner, vollkom-mener und einzig die Seinen werden. Amen.

Annecy, 15. August 1612.Ach, wie schön ist doch dieses Morgenrot des ewigen Tages, das – so

scheint es – gegen Himmel aufsteigend mehr und mehr in die Segnun-gen ihrer unvergleichlichen Herrlichkeit hinaufwächst! Mögen die Düf-te ewiger Süße, die über die Herzen ihrer Verehrer ausgegossen sind, dasHerz meiner sehr teuren Mutter wie mein eigenes erfüllen und mögeunsere liebe kleine Kongregation, die ganz dem Lobpreis ihres Sohnesund der heiligen Brüste, die ihn genährt haben, geweiht ist, sich derSegnungen erfreuen, die jenen Seelen zugedacht sind, die sie ehren.

Gestern Abend hatte ich ein besonders inniges Gefühl der Wohltat, wennauch unwürdig, so doch Kind dieser glorreichen Mutter sein zu dürfen, desMeeressterns, schön wie der Mond und auserwählt wie die Sonne (Hld 6,9).O mein Gott! Meine sehr teure Mutter, ich habe besondere Freude darangefunden, zu sehen, wie sie ein schönes Gewand von unvergleichlicher Weißeihrem Diener, dem hl. Ildefons, Bischof von Toledo, verlieh; denn warumsollte sie nicht auch ein solches unserem lieben Herzen verleihen? SehenSie, ich komme wieder auf meine Schäflein zurück.

Unternehmen wir große Dinge, getragen von der Gunst dieser Mutter,denn wenn wir in der Liebe zu ihr ein wenig zärtlich sind, so wird siesich wohl hüten, uns nicht das zu gewähren, was wir anstreben. O Gott,wenn ich mich daran erinnere, daß sie im Hohelied (12,5) sagt: „Um-gebt mich mit Äpfeln“, so möchte ich ihr gerne unser Herz schenken;denn welch anderen Apfel kann diese schöne Gärtnerin von mir wün-schen? – Ich komme von der Predigt, in der ich gern noch viel heiligerund liebevoller über unsere glorreiche und heilige Herrin gesprochenhätte; ich bitte sie, es mir zu verzeihen. Gott erweise uns die Gnade, unseines Tages von seiner göttlichen Liebe verzehrt zu sehen. Leben Sieindessen wohl, meine sehr teure Mutter.

Am 15. August, dem Tag der Verherrlichung unserer hochverehrtenHerrin, die immerdar unsere Liebe sei ...

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Annecy, 20. November 1612.Sagen Sie mir doch, aber auf Ehre und Gewissen, meine sehr Teure,

wie Sie sich in dem Durcheinander befinden, das Sie gestern in diesemneuen Haus hatten. Beinahe hätte ich daran Anstoß genommen oderhätte mich zumindest geärgert. Denn welches Unterfangen, nach so vie-len Schwächezuständen noch bei diesem Umzug so zu arbeiten und sichaufzureiben! Ich erwarte jedoch Nachricht, wie Ihnen der Versuch ge-lungen ist, denn je nachdem werde ich mich entweder in meiner Eigen-schaft als Vater erzürnen oder den Fehler in meiner Eigenschaft alsSohn verheimlichen. Indessen wissen Sie wohl, daß Sie heute nicht fa-sten dürfen; denn unsere glorreiche Königin und Herrin bedarf der ge-ringen Kräfte, welche Ihnen für die anderen Dienste verbleiben, die siekünftighin von Ihnen fordern will.

Leben Sie also wohl, meine sehr teure Mutter, bleiben Sie nicht nur inFrieden, sondern auch in Ruhe. Gott sei immerdar das einzige Strebenunseres Herzens. Amen.

Annecy, 30. November 1612.Ich versichere Ihnen, meine sehr teure Mutter, meine Tochter, daß ich

gern alle Mühen an Leib und Seele, die Sie mit Ihrem Heilmittel haben,auf mich nähme. Da ich Ihnen aber dies nicht abnehmen kann, nehmenSie eben diese kleinen Abtötungen heilig auf sich, empfangen Sie dieseErniedrigung im Geist der Ergebung – und wenn möglich – des Gleich-muts. Passen Sie Ihre Vorstellungskraft der Vernunft, Ihr Naturell demVerstand an und lieben Sie diesen Willen Gottes in solchen, an sichunangenehmen Dingen, als ob es sich um die angenehmsten handelte.Sie nehmen Ihre Heilmittel nicht aus eigener Wahl oder aus Sinnlich-keit, sondern aus Gehorsam und aus Vernunftgründen; gibt es etwas, dasdem Heiland wohlgefälliger ist?

Es liegt aber eine Erniedrigung darin! Der hl. Andreas und so vieleHeilige haben die Nacktheit am Kreuz erlitten. O kleines Kreuz, du bistliebenswert, da weder die Sinne, noch die Natur dich lieben, sonderneinzig die höhere Vernunft.

Meine sehr teure Mutter, mein Herz grüßt das Ihre in seiner Eigen-schaft als Sohn und über jeden Vergleich hinaus mehr noch als ein Sohn.Seien Sie ein kleines Lamm, eine kleine Taube, ganz einfältig (Mt 10,16),sanft und liebenswert, ohne Widerrede oder Rückschau. Gott segne Sie,meine sehr teure Mutter! Möge unser Herz immer in ihm sein und ihmangehören. Beschäftigen Sie Ihren Geist nicht mit Geschäften und neh-

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men Sie demütig und liebevoll die kleinen Behandlungen auf sich, dieIhre Krankheit erfordert.

Es lebe Jesus und Maria! Ich bin der, den Jesus selbst zu dem Ihrengemacht hat ...

Annecy, 9. Dezember 1612.Bei der Predigt habe ich wohl unsere geliebte Tochter Françoise gese-

hen, aber ich habe sie nicht zu fragen gewagt, wie es meiner sehr teurenMutter ginge. Es waren so viele Leute da, die mich gehört hätten undneugierig gewesen wären, wer denn diese sehr teure Mutter sei. AußerGott, seinen Engeln und seinen Heiligen und unserem Herzen weiß janiemand, wie sehr die Zuneigung, die mich zum Vater, Sohn und zu ein-und derselben Seele mit Ihnen macht, genügt und mehr als genügt, dieszu bewirken.

Dieses Brieflein hat daher die Aufgabe, nach Ihrer Gesundheit zufragen und unsere liebe kleine Tochter zu bitten, Ihnen etwas über diePredigt zu erzählen, welche ich kühn und leidenschaftlich gehalten habe.Nachdem ich es erst gestern hinausgeschoben hatte, über meine Weihezu sprechen, weil heute mehr Leute da sein würden, sagte ich unter ande-rem, daß es nun zehn Jahre seien seit meiner Weihe, d. h. seit Gott michmir selbst genommen, um mich zu sich zu nehmen und mich dann demVolk zu geben, d. h. daß er mich verwandelt hatte von dem, der ich fürmich war, zu dem, der ich für sie wurde. Was aber uns betrifft, so wissenSie, daß Gott mich mir selbst genommen hat, nicht um mich Ihnen zugeben, sondern um mich zu Ihnen selbst zu machen. So möge es gesche-hen, daß wir – uns selbst fortgenommen – verwandelt werden in ihnselbst durch die höchste Vollkommenheit seiner heiligen Liebe. Amen.

Guten Abend, meine sehr teure Mutter und mehr als Mutter; gutenAbend auch unseren Töchtern.

Nicht P. Archange von Tillet, sondern P. Constantin von Chambérywird unser Prediger für die restliche Adventzeit sein und ich werde oftder Adventprediger unserer lieben Schwestern sein, denn ich bin derIhre nicht nur oft, sondern immer.

Annecy (1611-1612).Guten Abend, meine sehr teure, einzige Tochter. Halten Sie den ge-

kreuzigten Jesus Christus fest in Ihren Armen, denn die Braut umfingihn wie einen Myrrhenstrauß (Hld 1,12), d. h. einen Strauß voll Bitter-keit. Aber, meine sehr teure Tochter, nicht er ist uns bitter, sondern er

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läßt es nur zu, daß wir, wir selbst uns bitter sind. Dennoch ist, sagt His-kija, „inmitten meiner Mühen meine so bittere Bitterkeit in Frieden“(Jes 38,17). O, der Gott der Milde möge Ihr Herz beruhigen oder zu-mindest bewirken, daß Ihre Bitterkeit in Frieden sei.

Diese gute Nonne wünscht, Ihnen ausführlich ihr Herz auszuschüt-ten, aber sie sagt, daß sie nicht wisse, wie sie es tun soll; Sie müssen ihralso helfen und können ihr sagen, daß ich es Ihnen gesagt habe. Gott seigelobt! Amen.

Annecy, (1611-1612).... Ich vergaß gestern, Sie zu tadeln, daß Sie das Wort Gottes nicht in

aller Einfachheit aufgenommen, sondern Abneigungen gehegt haben,daß das Wort Gottes von dem einen Ihnen weniger angenehm war, alsvon dem andern. O, Demut und Milde der Liebe des Bräutigams läßt dieBräute demütig und gelassen aufmerksam bleiben, um sein heiliges Wortaufzunehmen.

Es lebe Jesus, meine sehr teure Mutter, in allem, was wir sind, gemäßder Einheit, die er aus uns gemacht hat.

Annecy, (1612-1613).Meine liebe Tochter!

Preisen Sie Gott dafür, daß er mir diese zwei Tage etwas Zeit gibt, umein wenig außerordentliches Gebet zu pflegen; denn wahrlich, seine Gütehat in meinem Geist so viel Licht und in mein armes Herz so viel Liebeverströmt, um es in unser teures Buch von der heiligen Liebe zu schrei-ben, daß ich nicht weiß, woher ich die Worte nehmen soll, um das auszu-drücken, was ich empfangen habe, wenn der gleiche Gott, der es michempfangen ließ, mir nicht hilft, es auch zur Welt zu bringen.

Annecy, um den 10. Januar 1613.Meine sehr teure Mutter, meine Tochter!

Ich will Ihnen doch schnell guten Tag wünschen, um mein Herz injeder Hinsicht zu befriedigen; denn man muß dieses arme Herz lieben,da es – so schwach es auch sein mag – doch seinen Gott lieben will mitaller Inbrunst, in Aufrichtigkeit und Reinheit.

Ich wünsche schon, Sie heute noch aufzusuchen, aber ich wage nicht,es zu versprechen. Unter anderem zweifle ich deshalb daran, weil so-eben der „Almosenier“ von Belleville kommt, der mir wegen Frau vonGouffiers geschrieben hat, und es scheint nur vernünftig, wenn ich ihm,

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der eigens kommt, mich aufzusuchen, hierzu möglichst viel Gelegen-heit biete. Ich glaube, daß er auch Sie aufsuchen wird, und ich wünsche,daß dies zu seinem Trost und seiner Erbauung geschehe, zumal er einegewisse Neigung hat, unserer künftigen Kongregation anzugehören, wennuns Gott die Gnade schenkt, sie zu errichten.28 Er wird vielleicht auchunsere Tochter Bellod29 sehen wollen, denn er ist der Schwager des „er-wählten“ Bellod.

Ich habe bereits zwei Stunden an der „Gottesliebe“ gearbeitet.Muß ich Ihnen nicht sagen, welches Leid mir die gestrige Nachricht

vom Tod unseres Barons von Lux30 bereitet hat? Wie man sagt, wurde ervom Ritter von Guise durch einen Pistolenschuß getötet. Die Nachrichtist nicht ganz verläßlich, da sie von Genf kommt; dennoch neige ich derMeinung zu, daß sie wahr sei, da man sie bestätigt. Ach, wie beklage ichihn, wenn er so gestorben ist; sonst freilich ist der Tod zu allgemein und zuunvermeidlich, um sich darüber übermäßig zu verwundern.

Meine sehr teure Tochter, meine so gute Mutter, Gott überhäufe Siemit seinen heiligsten Segnungen in Ihrem ganzen Herzen, in Ihrem gan-zen Leben. Antworten Sie mir erst heute Abend, aber sagen Sie HerrnMichel, wie Sie sich befinden. Es lebe Jesus!

Annecy, (um den 7. April 1613).Ja, der Vespermantel, den die teuerste Mutter, die da lebt, ihrem sehr

teuren Vater schickte, ist wirklich über alle Maßen schön; denn er stehtganz unter den Namen Jesus und Maria und stellt in vollkommener Weiseden Himmel der Seligen dar, in dem Jesus die Sonne (Offb 22,5) undMaria der Mond (Hld 5,9) ist, Leuchten, die allen Sternen dieser heiligenWohnstätte (Dan 12,3) gegenwärtig sind. Denn Jesus ist hier allen alles (1Kor 15,28; Kol 3,11) und es gibt keinen Stern auf diesem Himmelsrund,der nicht wie ein Spiegel sein Bild zurückstrahlt. Und die Doppel-Phibedeuten als Anfangsbuchstaben die Philothea und die Philanthropie, dieLiebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten. Und die geschlossenen S mitihren auf der einen Seite an- und auf der anderen Seite absteigenden Stri-chen zeigen die Übung dieser heiligen Arten der Liebe an, deren eine zuGott emporsteigt und die Philotheen macht, die andere aber zum Näch-sten herabsteigt und die Philanthropen bewirkt. Das ist das einzige Gutder Liebe, das uns zu wahren Dienern und Dienerinnen der göttlichenMajestät gestaltet. Der Heilige Geist vor allem wirkt und bringt eine gro-ße Vielfalt von Blumen und jeder Art von Tugend hervor.

Gesegnet sei immerdar die liebe Hand meiner Mutter, die diese schöne

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Arbeit so gut zu machen verstand! Möge diese Hand geeignet sein, Starkeszu vollbringen und in gleicher Weise die Spindel zu drehen (Spr 31,90).Sie möge mit dem Ring der Treue und ihr Arm mit dem Armreif derLiebe geschmückt sein: die rechte Hand des Heilands liege immerdar aufihr und sie möge am Tag des Gerichtes nicht als zu leicht befunden wer-den. Möge das Herz, das sie beseelt, stets bekleidet sein mit Jesus, Maria,der Philothea und der Philanthropia, mit Heiligkeit, mit Sternen, mitfliegenden Pfeilen der himmlischen Liebe und mit jeder Art blühenderTugend. Möge der Heilige Geist sie zu jeder Zeit erleuchten.

Guten Abend, meine sehr teure Tochter, meine Mutter.Ich muß aber noch dies sagen: es steht von der starken Frau (Spr 5,21)

geschrieben, daß alle ihre Leute doppeltes Gewand haben; eines, denkeich für die Festtage und das andere für den Alltag. Und ich bin nun miteinem wunderbaren Vespermantel für die Festtage geschmückt, einemschönen Vespermantel, in der Farbe der Auferstehung, aber auch miteinem Gewand für alle Tage in der Farbe des Kleides, das unser Herr aufdem Kalvarienberg trug. Gott, unser Herr, bekleide Sie sowohl mit sei-ner Passion wie mit seiner Glorie.

Annecy, 8. April 1613.31

Sie können wohl heute und morgen im Haus arbeiten, vorausgesetzt,daß kein Fremder es betritt außer Herr Grandis,32 Frau Roget33 oder diekleine Schwester;34 und sollte es auch ein anderer betreten, so könnenSie trotzdem an diesen Arbeiten weitermachen, die für die Kirche be-stimmt sind.

Ich dachte keineswegs daran, nach Paris zu schreiben; da Sie es abergewünscht haben, schreibe ich dem Msgr. von Bourges.

Wenn ich irgendwie kann, werde ich Sie morgen besuchen; schlimm-stenfalls werde ich zumindest Ihre Heilige Messe am Sonntag feiern. Anall diesen drei Tagen habe ich nach dem Essen schon Besprechungenvorgemerkt.

Mein Gott, meine liebe Tochter, wieviel Vollkommenheit wünscheich Ihnen! Und wie viel Mut und Hoffnung setze ich jetzt auf diesehöchste Güte und seine heilige Mutter, daß – um mit unserem hl. Pauluszu sprechen – unser Leben mit Jesus Christus ganz in Gott eingeschlos-sen sein wird (Kol 3,3).

Leben Sie wohl, meine liebe Mutter. Ich grüße alle unsere Töchter,die kranken besonders, inbegriffen die große liebe Tochter, blaß im Ge-

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sicht, aber – wie ich hoffe – glühend im Herzen ob der himmlischenLiebe. Leben Sie denn wohl, meine sehr teure Mutter, wahrhaft meineTochter!

Saint-Jean de Maurienne, 21. April 1613.35

Meine sehr teure und sehr geehrte Mutter!Hier bin ich nun am vierten Tag im Aufbruch von Saint-Jean de Mau-

rienne, wo uns der Bischof freundlichst untergebracht hat. Leben Siefroh in unserem Herrn, meine wahrhaft ganz gute Mutter. Ich bitte ihnunaufhörlich, es möge ihm gefallen, unser einziges Herz immer mehrmit seiner hochheiligen und reinen Liebe zu erfüllen.

Ich bitte Sie, Herrn Michel zu sagen, daß er den KapuzinerpatresAlmosen geben soll ganz so, als wenn wir dort wären, und daß er, wenndie Damen von St. Klara Wein brauchen, auch für die Kranken ihnensolchen geben soll.

O meine sehr teure und wahre Mutter, Gott segne Sie mit seinen reich-sten Segnungen und die ganze liebe Schar, besonders die Kranke. IhrSohn, Ihr Neffe und alle grüßen Sie. Mögen wir immerdar Gott angehö-ren, Sie wie ich selbst und ich wie Sie selbst, da es so seiner göttlichenGüte gefallen hat, die gepriesen sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

(April-Mai 1613).Meine sehr teure Tochter, man muß den Ausgang dieser Krankheit36

möglichst ruhig abwarten, vollkommen entschlossen, sich in den göttli-chen Willen zu fügen, bei diesem Verlust, sofern man die Abwesenheitauf einige Zeit, die mit Gottes Hilfe durch eine ewige Gegenwart ausge-glichen wird, Verlust nennen kann. Ach, wie glücklich ist das Herz des-sen, der den göttlichen Willen in allem, was geschieht, liebt und umfängt.

O, wenn wir einmal unser Herz fest auf diese heilige und glückseligeEwigkeit ausgerichtet haben, werden wir all unseren Freunden sagen:Geht, geht nur ein, liebe Freunde, in dieses ewige Sein zu der Stunde, dieder König der Ewigkeit euch bezeichnet hat; wir werden nach euch auchdahin gehen. Und da uns diese Zeit nur dafür gegeben ist und da die Weltsich nur bevölkert, um einmal den Himmel zu bevölkern, so tun wiralles, was wir zu tun haben, wenn wir dorthin gehen. Darum, meineMutter, haben unsere Vorfahren so sehr das Opfer Abrahams bewun-dert (Gen 22,1-12). Welches Vaterherz! Ebenso Ihre heilige Landsmän-

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nin, die Mutter des hl. Symphorianus, von der ich ja etwas am Schlußmeines Buches erzählte.

O Gott, meine Mutter, überlassen wir unsere Kinder der VerfügungGottes, der sein Kind uns zur Verfügung gestellt hat; bieten wir ihm dasLeben unserer Kinder dar, da er das Leben seines Kindes für uns gege-ben hat (Joh 3,16; 1 Joh 4,9). Kurz, wir müssen die Augen auf die himm-lische Vorsehung heften, deren Führung wir uns aus ganzer Demut unse-res Herzens anvertrauen müssen.

Gott segne Sie und bezeichne Ihr Herz mit dem ewigen Siegel seinerreinen Liebe. Wir müssen ganz demütig Heilige werden und überallden guten und süßen Duft unserer Liebe verbreiten. Gott möge uns mitseiner heiligen Liebe in Flammen setzen und uns alles ihretwegen ver-achten lassen; unser Herr sei die Ruhestätte unseres Herzens und un-serer Körper! Ich lerne alle Tage, nicht meinen Willen, sondern das zutun, was ich nicht will. Bleiben Sie in Frieden in den liebevollen Ar-men der göttlichen Vorsehung und im schirmenden Schoß Unsererlieben Frau ...

Turin, 6. Mai 1613.Gestern ganz spät erhielt ich Ihren Brief, meine sehr teure Tochter,

und ich kündige Ihnen in aller Eile unsere Rückkehr von Mailand an,wo wir auf die Dauer unserer ganzen Reise liebevollst behandelt wur-den. Vorgestern war ich einer derer, die das heilige Leichentuch feier-lich zur Schau stellten, wobei Ihre Hoheit mir die Ehre erwies, mir beiverschiedenen Anlässen viel Wohlwollen zu bezeugen. Ich warte nunnur noch auf eine gute Audienz bei ihr, wie sie es mir in Trino versprach,und auf eine andere bei Msgr. von Nemours; dann aber steige ich gleichwieder zu Pferd, um in mein armes kleines Schneckenhaus zurückzu-kehren, das mir teurer ist als alle Paläste der großen Fürsten, derenFreundlichkeit mir zwar den größten Dank abnötigen, ohne mich aberirgendwie zu verpflichten.

Ich werde Ihnen in zwei bis drei Tagen durch Herrn von Vallon schrei-ben, ebenso allen meinen Freunden, außer ich bin so glücklich, fertig zuwerden und selbst kommen zu können; diese Kriegszeit aber kommtmir dabei nicht zu Hilfe. Ich hoffe jedoch, daß es bald sein wird, wennauch nicht so bald, wie ich es wünsche.

Wir lassen also diesmal das Kreuz da. Ich grüße unsere ganze liebeSchar, Frau von Gouffiers, wenn sie dort ist, und alle. Gott segne immer-

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dar unser einziges Herz, meine sehr teure Mutter. Soeben kommt je-mand zu mir. Gott sei immer mit Ihnen; ich bin in ihm für Sie das, waser weiß, und wahrlich Sie selbst.

Turin, 15. Mai 1613.Und ich, meine sehr teure Tochter, antworte Ihnen noch kürzer auf

Ihren Brief vom 5. ds. sowohl wegen tausenderlei Geschäften und Besu-chen, wie auch wegen der festen Hoffnung, Sie recht bald zu sehen. Ichbin ja mit Gottes Hilfe entschlossen, nächsten Samstag oder Sonntagvon hier aufzubrechen, um zum heiligen Pfingstfest in Annecy zu sein,zumal ich mich nur mehr in Angelegenheiten dieser armen Verbann-ten37 hier aufhalte; denn für die Depeschen lasse ich den guten Herrnvon Blonay zurück, der gerne bleiben wird, um sich darum zu küm-mern. Diese Verhandlungen aber, durch die Msgr. von Nemours beru-higt werden soll, lassen sich nur in meiner Anwesenheit führen; nun, ichsetze mein ganzes Vertrauen auf Gott, daß ich dabei Erfolg habe.

Ich habe Sie bereits wissen lassen, daß wir die Frau Herzogin vonMantua, welche die Tugend selbst ist, zur Beschützerin haben werden;darüber darf man aber noch nichts verlauten lassen, aus einem Grund,den ich Ihnen sagen werde. Herr de La Bretonnière ist noch willens, unsin manchen Dingen bei der Errichtung unseres Oratoriums zu helfen.

Kommen Sie den Herren, die zurückreisen, besonders Herrn Floc-card, herzlich entgegen. Ich bin in Sorge wegen der Verspätung der Frauvon Gouffiers, überlasse dies jedoch der heiligen Vorsehung unseresHerrn, wie auch unsere arme kleine Kranke. Wir werden Ihren Sohnwieder mitbringen, der wirklich sehr wünscht, sich im Krieg zu verwen-den, wenn es zu einem kommt.

Ich grüße sehr meine liebe Tochter, Frau von Thorens, und Fräuleinvon Rabutin,38 die auch meine Tochter ist; wie auch alle, die um Sie sindund mir – wie Sie wissen – teurer, als ich sagen kann.

Gott sei immerdar in unserem Herzen, um darin ewig zu leben und zuherrschen. Er weiß, wie wir nach seinem Wohlgefallen sein sollen in derganz vollkommenen Einheit, die er in sich selbst und durch sich selbstgeschaffen hat. Amen.

Es wäre besser, wenn man den Prozeß39 in meiner Abwesenheit bei-legte angesichts meiner zu großen Nachgiebigkeit. Ich werde für denarmen Herrn Pierre beten und preise Gott, daß er – gut vorbereitet –verschieden ist ...

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Annecy, 25. Mai 1613.40

Da bin ich also wieder bei meiner sehr teuren Mutter, ich selbst undkein anderer, und alle, die mich sehen, bezeugen, daß ich recht gut bei-sammen bin. Morgen wird mir mit Gottes Hilfe meine sehr teure Mutterdasselbe sagen und mich willkommen heißen; inzwischen grüße ich siesehr demütig von ganzem Herzen und auch alle unsere lieben Schwestern.

Gott schenke Ihnen eine gute Nacht, meine sehr teure Mutter, der ichvon ganzem Herzen in unserem Herrn gehöre.

Annecy, 27. Mai 1613.41

Es ist besser, meine sehr teure Tochter, daß Sie ihm schreiben, da dierestlichen Besprechungen sich mit Ihnen abgespielt haben. Ich möchtegerne, daß Herr von Beaumont dabei sei, da er energischer jeden Partei-geist zum Schweigen bringen würde. Jedenfalls besteht, wenn die Ver-sammlung entsprechend zusammengesetzt ist, keine große Gefahr, zu-mal es doch nur geschieht, um ein Kompromiß zu schließen.

Sie wissen wohl, daß ich der Ihre bin. Gute Nacht, meine sehr teureTochter. Ich war sehr froh, heute Morgen diese guten Damen und beson-ders Frau von Gouffiers42 zu sehen, die ich ganz so finde, wie Sie sie mirgeschildert haben.

Gott vermehre immer mehr seine heilige Liebe in unserem Herzen.

Annecy, (6. Juni) 1613.Wie froh bin ich doch, meine sehr teure Mutter, über die gute Nach-

richt von Ihrem Gesundheitszustand! Der große Gott, dem meine armeSeele und die Ihre immerdar dienen wollen, sei gelobt und gepriesenund möge diese teure Gesundheit immer mehr festigen, die wir seinerunendlichen Heiligkeit geweiht haben.

Wie befindet sich aber nun unser teures Herz in Ihnen? Ach, meinesehr teure Mutter, wieviel Segen wünsche ich ihm doch! Wann endlichwird uns die Liebe durch den Triumph über alle unsere Neigungen undGedanken ganz mit dem höchsten Herzen unseres Heilands vereinen,nach dem sich das unsere unaufhörlich sehnt? Ja, meine sehr teure Mut-ter, es sehnt sich wenn auch die meiste Zeit hindurch unfühlbar – dochunaufhörlich danach.

Heute früh war ich recht betrübt, daß ich meine Arbeit gerade in demAugenblick unterbrechen mußte, als mich irgendwie das Gefühl über-wältigte, das wir beim Schauen Gottes im Paradies haben werden, denn

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das sollte ich in unserem Buch43 beschreiben; jetzt aber habe ich es nichtmehr. Da ich aber nur deshalb fortgegangen bin, um eben das Angelddieser Schau44 in der Heiligen Messe zu empfangen, hoffe ich, daß siemich zur rechten Zeit wieder überkommen wird.

O Gott, meine sehr teure und einzige Mutter, lieben wir doch voll-kommen diesen göttlichen Gegenstand unserer Liebe, der uns sovielBeglückendes im Himmel vorbereitet; wir wollen ihm so recht ganzangehören und Tag und Nacht zwischen Rosen und Dornen weiterwan-deln, um zu diesem himmlischen Jerusalem zu gelangen.

Die große Tochter45 geht einen ganz sicheren Weg, dessen Rauheit siehoffentlich nicht entmutigt. Die leichtesten Wege führen uns nicht im-mer gerade und sicherer ans Ziel. Man hält sich manchmal so sehr durchdas Vergnügen daran auf, nach der oder jener Seite nach schönen Aus-blicken auszuschauen, daß man ganz darauf vergißt, die Reise raschfortzusetzen.

Ich muß mich kurz fassen. Beiliegendes Schreiben hat man mir heutegeschickt; und da ich dieses arme Geschöpf nie gesehen habe und Sie esvielleicht vor mir sehen werden, hielt ich es für gut, den Brief Ihnen zuschicken. Ach, meine sehr teure Mutter, wieviel macht doch die Eitel-keit diesen schwachen kleinen Geistern zu schaffen, die sich nicht ken-nen und sich in Gefahren begeben! Wenn man sie mahnt, muß man aberdoch, wie Sie wissen, Liebe und Sanftmut walten lassen; denn so erteilteMahnungen wirken nachhaltiger; andernfalls könnte man diesen einwenig schwachen Herzen schwer schaden. Ich weiß nur nicht, wie Sie esihr sagen sollen, daß Sie diese Mißhelligkeit wissen. Nun, Gott wirdunserem Herzen schon eingeben, was es da sagen soll, darum bitte ichihn und auch darum, mir einzugeben, was ich heute abend predigen soll.

Ich schreibe unter vielen Ablenkungen. Guten Abend, meine sehrteure Mutter, ich bin Ihr Ihnen ganz hingegebener Diener in unseremHerrn ...

Annecy, (um den 14. Juni) 1613.46

... Der Morgen war für mich wie frischer Tau und heute Nachmittagwerde ich wohl einen Sturm erleben. Glückselig, wenn ich am AbendIhren Nelken gleichen kann, deren Duft zur Tagesneige zarter wird undan Süße zunimmt. Ach, Gott möge uns die Gnade erweisen, daß wir –immer mehr gegen den Lebensabend hinneigend – vor Gott an süßemDuft zunehmen. Amen.

Guten Abend auch der Frau von Gouffiers.

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Annecy, 23. oder 24. Juni 1613-1614.... Ich bitte unseren Herrn, – das Lamm, welches uns der große hl.

Johannes zeigte (Joh 1,29-36) – daß er Sie ganz mit der hochheiligenWolle seiner Verdienste bekleide, meine sehr teure Mutter, meine Toch-ter. O Gott, welch bewunderungswürdige Herzensreinheit, welchenGleichmut allen Dingen gegenüber finden wir doch in diesem wunder-bar menschlichen Engel oder engelhaften Menschen, der seinen Meisterfast nicht zu lieben scheint, um ihn nur noch inniger und reiner zu lie-ben. Ich weiß nicht, wie er den Mut hatte, in seiner Wüste zu bleiben,nachdem er seinen Heiland gesehen und auch gesehen, wie er sich vonihm entfernte. Dennoch setzt er sein Predigen fort und in seiner heiligenHärte läßt er sich nicht hinreißen zur Zärtlichkeit und süßen Liebe zuseinem persönlich gegenwärtigen höchsten Gut, sondern dient ihm miteiner entsagenden, beständigen und starken Liebe, fern von ihm, ausLiebe zu ihm.

Gott und der große hl. Johannes mögen Sie mit all unseren Töchternmit der Milde ihrer Tröstungen heimsuchen.

Annecy, Ende Juni oder Anfang Juli 1613.Wenn möglich, will ich der erste sein, meine sehr teure Tochter, der

Ihnen die Ankunft des geliebten Celse-Benigne anzeigt. Er kam gesternganz spät abends und wir hatten Mühe, ihn davon abzuhalten, Sie imBett, wo Sie alle sich zweifellos schon befanden, aufzusuchen.

Wie betrübt bin ich, nicht Zeuge sein zu können der Zärtlichkeiten,die ihm von seiner Mutter zuteil werden, die aller natürlichen Liebegegenüber fühllos ist, denn ich glaube, daß es ganz schrecklich abgetöte-te Zärtlichkeiten sein werden. Ach nein, meine liebe Tochter, seien Sienicht so grausam. Zeigen Sie ihm Freude über sein Kommen, diesemarmen jungen Celse-Benigne. Man darf nicht derart plötzlich so großeZeichen dieses Absterbens unserer natürlichen Leidenschaft erbringen.

Also, wenn ich kann, werde ich Sie besuchen, aber nur kurz; dennangesichts eines so liebenswürdigen Gegenstandes können wir uns nichtgut sehen lassen.

Gott sei unser Alles, denn die Freundschaft steigt mehr herab als em-por. Ich begnüge mich damit, nicht aufzuhören, Sie als meine Tochterebenso lieb zu haben, wie Sie ihn als Ihren Sohn lieben, wobei ich be-zweifle, ob Sie dieses Geschäft besser verstehen als ich.

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Annecy, 12. August 1613.... Erheben wir unser Herz, meine sehr teure Mutter, sehen wir, wie

das Herz Gottes ganz gut und liebevoll zu uns ist; beten wir all seinenWillen an und segnen wir ihn; möge er uns auch überall, wo es ihmgefällt, meißeln und abschleifen, sind wir doch ewig sein. Sie werdenschon sehen, daß wir inmitten so vieler Abwege dennoch das Rechtetun. Unser Herr wird uns durch die Wüsten in sein heiliges Land derVersprechungen führen und uns von Zeit zu Zeit die Wüsten höher schät-zen lehren als die fruchtbaren Landschaften, in denen wohl die Ähren zuihren Zeiten reifen, das Manna jedoch nicht herabfällt.

Mein Gott, meine sehr teure Mutter, als Sie mir schrieben, Sie seieneine arme Biene, wünschte ich, so scheint es mir, es Ihnen nicht, solangeIhre Trockenheit und inneren Bedrängnisse anhalten; denn dieses Tier-chen, das gesund so emsig und fleißig ist, verliert sogleich, wenn es krankist, den Mut und tut nichts mehr. Später aber änderte ich meinen Wunschund sagte: Ach ja, ich will schon, daß meine Mutter eine Biene ist, selbstwenn sie sich in geistiger Not befindet; denn dieses Tierchen kennt aussich selbst heraus kein anderes Heilmittel gegen Krankheiten, als sichder Sonne auszusetzen und so Wärme wie Heilung durch deren Licht zuerwarten. O Gott, meine Tochter, setzen wir uns doch ebenso unserergekreuzigten Sonne (Mal 3,20) aus und sagen wir dann zu ihr: O schöneSonne der Herzen, Du belebst alles durch die Strahlen Deiner Güte;sieh uns hier halb tot vor Dir, von wo wir uns nicht wegrühren werden,bis Deine Wärme uns belebt (Ps 19,7), Herr Jesus!

Meine liebe Tochter, der Tod ist Leben, wenn er sich im AngesichtGottes vollzieht. Stützen Sie Ihren Geist auf den Stein, der durch jenendargestellt wurde, den Jakob seinerzeit unter dem Haupt fühlte, als erseine schöne Leiter sah (Gen 28,11-13); denn auf dem gleichen Steinruhte sich der Evangelist Johannes aus am Tag des Übermaßes der Liebeseines Meisters (Joh 13,1.23.25). Unser Herz und das Herz unseresHerzens wird liebevoll über Sie wachen.

Bleiben Sie in Frieden, Gott sei immerdar inmitten unseres Herzens;möge er es immerdar mehr einzig zu dem seinen machen. Es lebe Jesus!Amen ...

Annecy, (um den 15. September) 1613.47

Wenn es mein krankes Bein erlaubt, werde ich mir die gute Gesund-heit und das gute Herz unserer lieben Jüngsten48 anschauen. Ob dieseArmen, die zu ihr gesprochen haben, von der Erde oder vom Himmel

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sind, weiß ich nicht, Gott weiß es (2 Kor 12,2-3); ich weiß aber wohl,daß sie die Sprache Jesu Christi und des hl. Johannes gesprochen haben,als er den Bischöfen von Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes,Philadelphia und Laodizea schrieb (Offb 1,2; Kap. 1-3).

Sagen Sie dieser lieben Tochter, sie soll ihren Traum49 nicht voll Neu-gierde untersuchen, sondern sorgsam und demütig aus ihrer Gesundheitdes Herzens und Leibes Nutzen ziehen für den Dienst und die EhreGottes. Demut und innere Treue, verbunden mit echter Liebe und Be-harrlichkeit im Guten, sind die wahren Kennzeichen echter übernatür-licher Gnaden ...

Annecy, 7. Dezember 1613.Ich werde für Ihre Schwester von St. Catherine alles tun, was in mei-

ner Macht liegt, und glauben Sie mir, ich werde es noch liebevoller tun,weil Sie es wünschen, denn es bereitet mir eine große Freude, IhrenWillen zu tun! Ach, mit welcher Liebe sollten wir doch den Willen desvielgeliebten Schöpfers erfüllen, da wir doch soviel Zuneigung zu demlieben und in Gott mit uns vereinten Geschöpfe haben.

Ja, meine sehr teure Mutter, legen Sie nur so recht Ihr Herz in dieHände unserer teuren Herrin, deren Empfängnis wir heute abend inErinnerung feiern; ich werde sie darum bitten, denn, meine liebe Mut-ter, ich bin fest entschlossen, kein anderes Herz mehr haben zu wollen,als sie mir geben will, diese gütige Mutter der Herzen, diese Mutter derheiligen Liebe, diese Mutter des Herzens der Herzen. Ach Gott, wiesehr sehne ich mich doch danach, auf unserer Lebensfahrt die Augen aufdiesen schönen Stern zu richten!

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter; seien Sie ganz froh ange-sichts dieses kommenden Festes. Jesus sei unser Herz! Amen ...

Annecy, 8. Dezember 1613.Ach, meine sehr teure Mutter, wie beschämt bin ich, wenn ich des

heiligen Eifers gedenke, mit dem ich vor elf Jahren an diesem heiligenTag im Geist mein ganzes Leben der Verherrlichung Unseres Herrn unddem Heil dieses Volkes weihte, und wenn ich erwäge, wie wenig ichdiesen Entschlüssen entsprochen habe! Ich überlege dies aber, ohne denMut zu verlieren; im Gegenteil, ich habe Mut genug und um so mehrMut, als Unser Herr mir eine Hilfe gegeben hat, die nicht nur meines-gleichen (Gen 2,18.20), sondern ganz eins mit mir ist, derart, daß sie

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und ich in einem einzigen Geist ganz eins sind. Und dann richtet diehochheilige Jungfrau, die Schutzfrau unseres Opfers, immer wieder meinHerz dadurch auf, daß sie mir die Hoffnung auf ihre Gunst schenkt. Sienahm sich ja die Mühe, den hl. Gregor von Neocäsarea zu belehren, waser im Hinblick auf den damals bekämpften Glauben predigen sollte; sowill ich mir von ihrer Barmherzigkeit versprechen, daß sie mich nochlehren wird, recht zu hoffen und gut zu handeln, wenn ich noch mehr aufihre Liebe bedacht bin.

Guten Abend, meine sehr teure und einzige Mutter, die ich völlig wiemich selbst und mehr als mich selbst liebe. Ich empfehle mich den Ge-beten unserer lieben Schwestern, die mein Herz grüßt.

Annecy, 25. Dezember 1613.Das große Kindlein von Betlehem sei immerdar das Entzücken und

die Liebe unseres Herzens, meine sehr teure Mutter, meine Tochter.Ach, wie schön ist doch dieses arme kleine Kindlein! Es scheint mir, ichsehe Salomo auf seinem vergoldeten und verzierten Elfenbeinthron, dernicht seinesgleichen hatte in den Königreichen, wie die Schrift sagt (1Kön 10,18-20), und dieser König hatte nichts seinesgleichen an Prachtund Herrlichkeit (1 Kön 10,23); hundertmal lieber aber schaue ich die-ses teure kleine Kindlein in der Krippe an als alle Könige auf ihrenThronen.

Wenn ich es aber auf den Knien seiner heiligen Mutter oder in ihrenArmen sehe, sein kleines Mündchen wie eine Rosenknospe an die Li-lien der heiligen Mutterbrust gepreßt, dann, o Gott, finde ich es herrli-cher auf diesem Thron als Salomo auf seinem Elfenbeinthron ...

Der große hl. Josef möge uns an seiner Freude teilhaben lassen; dieerhabene Mutter an ihrer Liebe; und das Kind möge immerdar seineVerdienste in unsere Herzen ergießen.

Ich bitte Sie, ruhen Sie, so innig Sie können, bei dem kleinen himmli-schen Kind aus; es wird nicht davon ablassen, unser geliebtes Herz zulieben und zwar so, wie es ist, ohne Zärtlichkeit und Gefühl. Sehen Sienicht, wie es den Atem dieses dicken Ochsen und dieses Esels aufnimmt,die weder Gefühl, noch irgendwelche Regungen haben? Wie sollte es danicht die Sehnsuchtsrufe unseres armen Herzens aufnehmen, das sichzu seinen Füßen hinopfert, wenn auch jetzt nicht gefühlsüberströmt, sodoch kraftvoll und fest, um immerdar und unbeirrbar Diener seinesHerzens und des Herzens seiner heiligen Mutter und des großen Pflege-vaters des kleinen Königs zu sein!

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Meine sehr teure Mutter, das ist die Wahrheit; mir wurde eine ganzbesondere Erleuchtung zuteil, die mich sehen läßt, daß die Einheit un-seres Herzens das Werk dieses großen Einigers ist, und folglich will ichvon nun ab diese Einheit nicht nur lieben, sondern als geheiligt liebenund verehren. Die Freude und der Trost des Sohnes und seiner Mutterseien immerdar der Jubel unseres Herzens!

Ich komme soeben von der Predigt, ganz von der Hand meiner soliebenswerten und liebenswürdigen Mutter bekleidet,50 und war darü-ber sehr erfreut. Ach, meine sehr teure Mutter hat mich ganz eingehülltin die Namen Jesus und Maria. Möge dieser gütige Jesus und die hl.Maria sie mir lange bewahren und das Hochzeitskleid ihres Herzenssein. Amen.

Ihr Ihnen wohlgeneigter Vater und Diener ...

Annecy, 31. Dezember 1613.Ja, meine sehr teure Tochter, meine Mutter, man muß den hochheili-

gen Willen Gottes in kleinen und großen Geschehnissen lieben. DerAnlaß, der mich heute daran hindert, Ihnen die Messe zu lesen, ist kleinund groß zugleich; ich werde es Ihnen bei unserem nächsten Zusam-mentreffen erklären.

Führen Sie inzwischen die kleinen und großen Auswechslungen51 mitmöglichst großer Vollkommenheit durch. Nachdem ich vor Gott sorgfäl-tig darüber nachgedacht habe, entschloß ich mich, unsere Kongregationdarin zu bestärken, daß sie diese Auswechslungen an dem Tag durchführt,an dem Gott seinen eigenen Wechsel vollzieht, indem er uns nämlich voneinem Jahr in das andere gehen läßt und uns so jährlich eine Lehre erteiltüber unsere Unbeständigkeit, unseren Wankelmut, über dies Umstürzenund Vernichten der Jahre, die uns in die Ewigkeit führen ...

Annecy, (1613).Meine sehr teure Mutter!

Was soll ich Ihnen sagen? Die Gnade und der Friede des Heiligen Geis-tes seien immerdar im Innersten Ihres Herzens. Legen Sie dieses teureHerz in die durchbohrte Seite des Heilands und vereinigen Sie es mit demKönig der Herzen, der darin wie auf seinem königlichen Thron sitzt, umdie Huldigung und den Gehorsam aller anderen Herzen entgegenzuneh-men, und der seine Tür offenhält, damit jeder zu ihm gehen und Gehörfinden kann. Und wenn Ihr Herz zu ihm spricht, so vergessen Sie nicht,

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meine liebe Mutter, zu ihm auch für mein Herz zu sprechen, damit seinegöttliche und liebevolle Majestät es gut, gehorsam und treu mache.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter; ich bin, ohne aufzuhören,Ihr Ihnen sehr geneigter Diener ...

Annecy, (1610-1613).Hier ist der Brief, meine sehr teure Tochter; lassen Sie ihn verschlie-

ßen und seien Sie nur recht fest im Vertrauen, das wir in die VorsehungGottes setzen sollen, die – wenn sie Ihnen Kreuze bereithält – Ihnenauch Schultern geben wird, sie zu tragen. Sie wissen, weshalb ich in sogroßer Eile bin, und mit Gottes Hilfe werden Sie sich darüber freuen.

Annecy, (1612-1614).52

... Ich arbeite an Ihrem neunten Buch der Gottesliebe. Heute, als ichvor meinem Kruzifix betete, ließ Gott mich Ihre Seele und Ihren Zu-stand im Bild eines hervorragenden Musikers sehen. Dieser war vonGeburt aus Untertan eines Fürsten, der ihn vollkommen liebte und ihnwissen ließ, daß er die sanfte Melodie seiner Laute und seiner Stimmeleidenschaftlich gern habe. Der arme Sänger wurde wie Sie taub undhörte seine Melodie nicht mehr; sein Herr entfernte sich oft, er aber ließnicht ab, zu singen, weil er wußte, daß sein Herr ihn aufgenommen hatte,damit er singe ...

Annecy, 11. Januar 1614.Unser Inneres hat keine Widerstandskraft mehr; Furcht und Trägheit

des äußeren Menschen müssen dem siegreichen Willen unseres Herrnweichen, der will, daß ich – so kalt und zu Eis erstarrt ich auch bin – dochüber seine heilige Liebe schreibe. Betrachten Sie diesen Tag als jenen, andem ich beginne, alle Augenblicke darauf zu verwenden, die ich demAndrang meiner anderen Pflichten werde entreißen können, und rufenSie unablässig die Liebe des göttlichen Liebenden auf mich herab.

Annecy, (Mitte Januar 1614).Meine sehr gute Mutter!

Hier sind die Korrekturen Ihrer Briefe.53 Sie müssen diese Briefe heu-te ausfertigen lassen und außerdem der Gräfin von Tournon schreibenund sie in einem Absatz bitten, sie möge Msgr. von Nemours im Namender Durchlauchtigsten Infantin, der Herzogin von Mantua, ersuchen,den Ratsherren54 dieser Stadt zu schreiben, daß sie sich Ihre Kongregati-

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on unter allen Umständen besonders empfohlen sein lassen. Gesternabend sprach ich noch mit einem der Stadtväter, der mir versprach, dieAngelegenheit möglichst rasch zu betreiben.

Wenn Sie kein schönes Papier zum Schreiben haben, schicken Sie umsolches zu Herrn Rolland, aber in Ihrem Namen, denn wenn es in mei-nem Namen geschieht, würde er böse, da ich in der letzten Woche zuvieldavon verbraucht habe.55

Meine sehr teure Mutter, die Gott ganz heilig machen möge, ich sageIhnen tausendmal Lebewohl. Ich werde nun, soviel ich kann, an demBuch arbeiten.

Sie müssen mit dem Falten der Briefe zuwarten, denn Franz wird dieseAufgabe erledigen, wie es sein soll;56 ich selbst kann ja nicht hinkommen.

Annecy, 19. März 1614.Meine sehr teure Tochter!

Hier ist die Litanei zum hochseligen Vater unseres Lebens57 und unse-rer Liebe. Ich glaubte, sie Ihnen von meiner Hand geschrieben sendenzu können; aber wie Sie wissen, gehöre ich nicht mir. Nichtsdestoweni-ger habe ich mir die Zeit genommen, sie durchzusehen, zu verbessernund Akzente einzusetzen, damit unsere Tochter de Chastel sie leichtersingen kann, ohne dabei Fehler zu machen.

Sie aber, meine Tochter, die Sie das Loblied dieses Heiligen unseresHerzens nicht singen können, werden es wie die Braut innerlich über-denken; d. h. da Ihr Mund geschlossen ist, wird Ihr Herz aufgetan seinfür die Betrachtung der Größe dieses Bräutigams der Königin der gan-zen Welt, den man den Vater Jesu genannt hat und der sein erster Anbe-ter nach seiner göttlichen Braut war.

Annecy, (um den 14. April) 1614.Die Kirche wäre außen schöner, wenn Chor und Altar am Ufer wären;

wollte man sie innerhalb erbauen, dann muß anderswo Platz für einen Kel-ler gesucht werden zur Aufbewahrung des Holzes und für all die Nebenräu-me, die das untere Stockwerk des Turmes bieten könnte. Ihr Chor wirdumso weniger für die Gesundheit zuträglich sein, je tiefer er liegt, und manwird tief hinabsteigen müssen, um vom Schlafraum dahin zu gelangen. IhrSchlafraum wird nicht zur ebenen Erde sein und im großen scheint es mir,daß man Mühe haben wird, die Annehmlichkeit und Bequemlichkeit deseinen Planes jener des anderen gleichzustellen. Es stimmt, daß letztererVorschlag zunächst weniger kostspielig und rascher ausführbar ist. Ich sage:

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zunächst, weil er schließlich doch weitere Auslagen verursachen wird, umdie Bedarfsräume des Hauses außerhalb des Turmes sicherzustellen, dieman darin unterzubringen geplant hatte.

Ich meinerseits würde eine kleine, außerhalb hübsch angelegte Kir-che dieser großen und unnötig ausgedehnten Räumlichkeit innerhalbvorziehen. Immerhin ist es nicht vernünftig, meiner Meinung zu folgen,denn ich verstehe davon nichts; wohl aber verstehe ich meine sehr teureund sehr gute Mutter wie mich selbst hochzuschätzen und zu lieben.Gott sei immerdar in ihrem Herzen und in dem meinen. Amen.

Ich schreibe dies, um zu gehorchen.

Annecy, 4. Mai 1614.In der Erwartung, einander zu sehen, meine sehr teure Mutter, grüßt

mein Herz das Ihre mit tausend und abertausend Wünschen. Möge Gott esganz mit dem Leben und Sterben seines Sohnes, unseres Herrn, erfüllen!

Vor einem Jahr zu ungefähr dieser Stunde war ich in Turin, und als ichdas heilige Leichentuch inmitten einer großen Volksmenge zur Schaustellte, fielen mehrere Schweißtropfen von meinem Gesicht auf das hei-lige Leichentuch. Unser Herz sprach daraufhin folgenden Wunsch aus:Ach, Heiland meines Lebens, möge es Dir gefallen, meine unwürdigenSchweißtropfen mit den Deinen zu vermischen und mein Blut, meinLeben, meine Neigungen in die Verdienste Deines heiligen Schweißeseinzutauchen.

Meine sehr teure Mutter, der Kardinal nahm Anstoß daran, daß meinSchweiß auf das heilige Leichentuch meines Heilands tropfte; mein Herzaber gab mir ein, ihm zu sagen, daß unser Herr nicht so empfindlichwäre und daß er seinen Schweiß und sein Blut ja nur vergossen hätte, umsie mit den unseren zu vermengen und ihnen so den Preis des ewigenLebens zu verleihen. Mögen sich so unsere Seufzer mit den seinen verei-nen, damit sie als Wohlgeruch vor dem ewigen Vater aufsteigen.

Woran aber erinnere ich mich da? Ich habe gesehen, wenn meineBrüder in ihrer Kindheit krank waren, daß meine Mutter sie in demHemd meines Vaters zu Bett legte, weil sie sagte, daß der Schweiß derVäter den Kindern heilsam sei. O, möge sich unser Herz an diesemheiligen Tag in das Leichentuch unseres göttlichen Vaters legen, einge-hüllt von seinem Schweiß und Blut. Möge es darin wie beim Tod diesesgöttlichen Heilands begraben sein im Grab eines unabänderlichen Ent-schlusses, in sich selbst immer tot zu bleiben, bis es zur ewigen Herr-lichkeit wieder aufersteht. Wir sind, sagt der Apostel (Röm 6,14), mit

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Jesus Christus in seinem Tod begraben, damit wir nicht mehr das alte,sondern das neue Leben haben. Amen ...

Annecy, um den 6. Oktober 1614.Meine Mutter!

Der Pater Superior und Pater Chrysostomus kommen, die Lage IhresHauses zu besichtigen und dessen Maße zu nehmen, um den Pater Gene-ral zu unterrichten, wie notwendig Sie den Garten der Väter des hl. Domi-nikus brauchen. Sie werden also hineinkommen, und ich bin der Mei-nung, Sie sollten sie zu Ihnen hinauflassen, um mit ihnen zu sprechen undihnen dann eine Begleitung mitzugeben. Schließlich ist es Ihr Haus.

Annecy, (7.) Oktober 1614.Was meinen Sie, meine sehr teure Mutter, wird Ihnen die Heilige

Messe des Pater Don Simplicien genügen? Wenn dies nicht der Fall ist,werde ich hinkommen.

Nun arbeite ich wieder an dem Buch, das ich in den letzten Tagen sovernachlässigt habe, und nach dem Essen haben wir eine Konkursprü-fung, nach der ich trachten werde, den Austausch der Gärten in dieWege zu leiten. Gestern erreichten wir nichts, da die Zusammenkunftauf Donnerstag verschoben wurde.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter, der ich tausend Segnungenwünsche.

Annecy, Anfang November 1614.Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich mit diesen Leuten anfangen

soll, meine sehr teure und hochgeschätzte Mutter, denn sie tyrannisie-ren mich und halten mich – wie wenn sie sich dagegen verschworenhätten – mit Gewalt von der Annehmlichkeit ab, die ich mehr als allesschätze, nämlich Sie zumindest auf kurze Zeit persönlich aufzusuchen.Es ist mir unmöglich, etwas dagegen zu machen, und das Wichtigste ist,daß ich Ihnen nicht ein Wort zu sagen wüßte von all dem, was ich heutegetan habe, außer daß ich doch ein wenig an dem Buch geschriebenhabe, das ich jetzt zu Ende bringe ...

Annecy, um den 6. November 1614.Meine sehr teure Mutter!

Die gute Klosterschwester von Monthoux sagte mir gestern, daß ihreCousine, die Frau Senatorin, heute morgen bei mir zu beichten wünsch-

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te, was ich gerne tun will. Vielleicht ist es ihr auch angenehmer, wenndies in der Heimsuchung geschieht; mir jedenfalls, weil ich sonst schwereinen Morgen retten kann und ohnehin unser Herr Michel, halb krankwie er ist, nicht niederschreiben könnte, was ich ihm für das Buch ansa-gen würde; und weil es vor allem uns sehr wohl tun wird, einander zusehen, und das wäre damit getan.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter; mit Gottes Hilfe werde ichin einer knappen Stunde kommen. Wenn in der Zwischenzeit ein Pries-ter kommt, versäumen Sie nicht, zu kommunizieren, denn ich höre, daßSie gestern ganz geschwächt waren.

Ich bin, wie Sie selbst wissen, ganz der Ihre.

Polinge, 2. Dezember 1614.Hiermit beginne ich, meine sehr teure Mutter, Ihnen von meiner Rei-

se58 zu berichten, deren erster Tag uns ein gutes Vorzeichen gibt. Ich bin,Gott sei Dank, ganz genesen und wohlauf. Dieser gute Schweizer sagtemir sofort, daß sein Bruder, der Bischof, meine Anwesenheit nicht nurfür die Mitwirkung bei der Weihe gewünscht hätte, sondern auch, ummit mir mehrere wichtige Dinge zu besprechen für die vollständige Wie-deraufrichtung der heiligen Religion in diesem Land.59 Darum gehe ichnoch freudiger hin in der Erwartung, daß Gott sich meiner irgendwie zuseiner Verherrlichung bedienen wird. Wissen Sie, meine sehr teureMutter, ich habe unterwegs und mehr noch heute starke Regungen derGnade gehabt, die Gott jenen zuteil werden läßt, die er zu seinem Diensteinsetzt und denen er einen echten Antrieb zum Tugendstreben gibt.Dieser Gedanke überkam mich bei den Worten, die uns die Kirche ein-schärft und die der letzte Anstoß zur Bekehrung des hl. Augustinus wur-den: „Nicht in Schwelgereien und Trinkgelagen, nicht in Wollust undAusschweifung, sondern zieht an unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm13,13-14). Dieser Herr sei immerdar unser königliches Kleid, das unsbedecke, vor der Kälte der Sünde schütze und uns in dieser göttlichenLiebe wärme, die unser einziges Herz sucht.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter, bewahren Sie Ihre Seele unddie meine in der heiligen Freude. Amen.

Ich bin Sie selbst, meine sehr teure Mutter, Sie wissen es wohl, gänz-lich der Ihre. Es lebe Jesus! Ich grüße herzlich unsere Schwestern. Derteure Sohn küßt Ihnen demütig die Hände; er kam gestern an, als wir zuTisch gingen, d. h. um fünf Uhr.

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Annecy, (2. Hälfte Dezember) 1614.Ich werde ihr antworten, daß die Berufung dieses Mädchens60 nicht

mein Werk ist, sondern Gottes Werk, wie ich denke; daß ich es nichtwagen würde, ein einziges Wort beizutragen, um diese Berufung zu un-tergraben. Sie möge sich also an unseren Herrn wenden, der die Herzender Seinen in Händen hält, um sie dorthin zu lenken, wohin er es für guthält.

Sie aber, meine sehr teure Mutter, schreiben Sie ihr recht lieb, daß Sienichts zu der Berufung dazugetan haben und daß Sie durch ein Abredendavon zu sehr Gott zu beleidigen fürchten; daß sie ihre Freiheit hat,über die sie nach ihrem Gutdünken verfügen kann, und daß die Verwei-gerung ihrer Aufnahme für Sie eine große Gewissensbelastung in derStunde Ihres Todes wäre, wenn Gott sie in unserer Kongregation will;daß Sie sie bitten, sich darein zu fügen, wie Gott es haben will. Undschreiben Sie ihr einiges über Ihren Geist und den meinen.

Leben Sie wohl, sehr teure Mutter, ganz mein, ganz ich selbst.

Annecy, (1614).Meine liebe Mutter!

Fürchten Sie sich nicht: der Glaube herrscht immer am obersten Gip-fel, an der Spitze Ihres Geistes, und das möge Ihnen die Gewißheit ge-ben, daß diese Unruhen aufhören werden und Sie sich der ersehntenRuhe im Schoß Gottes erfreuen werden. Die Stärke des Lärmes aberund des Geschreis, das der böse Feind im Übrigen der Seele und imunteren Bereich des Verstandes verursacht, verhindert, daß die Ratschlägeund Vorstellungen des Glaubens gehört werden. All dies jedoch, meineliebe Mutter, macht mich keineswegs besorgt; im Gegenteil, ich preiseGott in der Nacht Ihres Leidens und danke Ihm, der Ihnen zeigt, wievielman für Seinen Namen leiden muß (Apg 9,16) ...

Annecy, (1613-1614).Meine sehr teure Mutter!

Ein angenehmer Anlaß gibt mir die Freude, Ihnen guten Abend zuwünschen.

Ein sehr ehrenwerter Mann erbat sich soeben von mir einen Brief anHerrn Le Grand als Empfehlung für eine Angelegenheit; ich habe ge-dacht, daß es Sie vielleicht freuen würde, Ihrem lieben Kind61 zu schrei-ben. Und wüßte ich nicht, daß Sie Angst haben, die natürliche Liebe seizu sehr abgekühlt und fast ganz erloschen, so wagte ich nicht diesen

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Versuch, sie wieder zu erwecken. Wenn Sie also schreiben wollen, mußich diesen Brief noch heute haben.

Gott segne Sie, meine wahrhaftige, sehr teure und sehr liebenswerteMutter. Ich grüße unsere Töchter, besonders die kranke, und bin, wieSie selbst wissen, ganz der Ihre durch unseren Herrn. Amen.

Annecy, 26. Januar 1615.62

1.Dies ist der Wunsch Ihres Vaters, meine sehr teure Tochter: Gott sei

mit Ihnen auf dem Weg, den Sie gehen; Gott gebe, daß Sie immer beklei-det seien mit dem Gewand seiner Liebe; Gott nähre Sie mit dem himm-lischen Brot seiner Tröstungen; Gott führe Sie heil und gesund in dasHaus Ihres Vaters zurück; Gott sei immerdar Ihr Gott, meine liebeMutter. Diese Segnungen wünschte sich Jakob, als er von Bet-El auf-brach (Gen 28,20.21), und solche wünsche ich mir selbst, meine sehrteure und einzige Tochter, bei Ihrer Abreise von dem Ort, an dem Sieverbleiben, auch wenn Sie fortgehen, und von dem Sie fortgehen, auchwenn Sie bleiben.

Gehen Sie in Frieden, meine sehr teure Tochter, gehen Sie im Frie-den, wohin Gott ruft; bleiben Sie in Frieden, aber in dem heiligen Frie-den Gottes, worin er Sie hält und festhält. Die Herzen, die Gott zueinem einzigen vereint hat, sind unzertrennlich, denn wer kann trennen,was Gott verbunden hat? Nein, weder der Tod, noch sonst etwas wirduns jemals trennen von der Einheit, die in Jesus Christus ist (Röm8,38.39), der immerdar in unserem Herzen lebe. Amen.

2.Nun, meine liebe Tochter, da Gott die Einheit unserer Herzen ist, wer

vermag uns da jemals zu trennen? Nein, weder Tod noch Leben, wederGegenwärtiges noch Zukünftiges wird uns jemals trennen oder unsereEinheit scheiden (Röm 8,35-39). Gehen wir also, meine sehr teure Toch-ter, eines Herzens (Apg 4,32), wohin Gott uns ruft; denn die Verschie-denheit der Wege läßt keine Verschiedenheit zwischen uns aufkommen,da wir doch nur auf ein Ziel hin und nur um dieses einen Zieles wegenunseren Weg gehen.

O Gott meines Herzens (Ps 73,26), halte meine sehr teure Tochter inDeiner Hand; ihr Engel sei ihr immer zur Rechten, um sie zu beschüt-zen, und die heilige Jungfrau, Unsere liebe Frau, erfreue sie stets durchden Anblick ihrer gütigen Augen.

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3.Meine sehr teure Tochter, die göttliche Vorsehung wird Ihnen beiste-

hen; rufen Sie sie bei allen Schwierigkeiten, von denen Sie sich umge-ben finden, voll Vertrauen an. In dem Maße, als Sie vorwärts schreiten,meine sehr teure Mutter, meine Tochter, müssen Sie Mut fassen und sichdarüber freuen, daß Sie unseren Herrn zufriedenstellen, dessen Befrie-digung allein das ganze Paradies zufriedenstellt.

Was nun mich betrifft, so bin ich, wo Sie selbst sind, denn so hat es diegöttliche Majestät von Ewigkeit her gewollt. Gehen Sie also, meine liebeTochter, liebevoll und freudig daran, das Werk zu tun, das unser Herruns bestimmt hat.

4.Ach, meine sehr teure Mutter, meine Tochter, es fällt mir ein, daß der

große hl. Ignatius, der Jesus Christus in seinem Herzen trug, froh hinging,um sich den Löwen zum Fraß hinzugeben und das Martyrium durch ihreZähne zu erleiden; und Sie gehen nun, d. h. wir gehen, wenn es dem gro-ßen Heiland gefällt, nach Lyon, um dort unserem Herrn viele Dienste zuleisten und ihm viele Seelen zu bereiten, deren Bräutigam er werden will.Wie sollten wir da nicht freudig hingehen im Namen unseres Heilands, dadoch dieser Heilige so froh dem Martertod entgegenging?

Selig die Seelen, die nach dem Willen dieses göttlichen Geistes ihrenWeg gehen und ihn von ganzem Herzen suchen (Ps 119,1.2), alles zu-rücklassend, selbst den Vater,63 den er ihnen gegeben hat, um seinergöttlichen Majestät zu folgen.

5.Gehen Sie also, meine sehr teure Mutter, meine Tochter. Unsere En-

gel von hier mögen die Augen auf Sie und Ihre kleine Schar heften. DieEngel können Sie nicht verlassen, da Sie ja den Ort, den sie schützen,und die Personen ihrer Obhut nur aufgeben, um nicht den Willen des-sen aufzugeben, um dessentwillen die Engel sich glücklich schätzen,zuweilen den Himmel zu verlassen. Die Engel von dort, die Sie erwar-ten, werden Ihnen ihre Segnungen entgegenschicken. Sie sehen ja, wieSie voll Liebe zu den Ortschaften reisen, deren Engel sie sind, um dortan ihrem heiligen Amt mitzuwirken.

Bewahren Sie Mut in Ihrem Herzen, denn – da Ihr Herz Gott gehört –wird Gott Ihr Mut sein. Gehen Sie also, meine Tochter, gehen Sie mittausend und abertausend Segnungen, die Ihr Vater Ihnen erteilt. Sie sol-len wissen, daß er niemals aufhören wird, bei allen Erhebungen seiner

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Seele zu Gott ungezählte Wünsche über Ihre Seele zu verströmen. Dieswird seine erste Übung beim Erwachen am Morgen sein, seine letztebeim Schlafengehen am Abend und sein Hauptanliegen bei der Heili-gen Messe. Es lebe Jesus und Maria! Amen.

6.Gehen Sie nur, meine Tochter, gehen Sie; mein Geist folgt Ihnen und

verströmt tausend Segnungen über Sie. Im Namen Gottes gehen undbleiben wir mit der ganz reinen Absicht, von ganzem Herzen der ewigenHerrlichkeit seiner göttlichen Majestät zu dienen, hier, wo wir verwei-len, und dort, wohin wir gehen. O Gott, wie beglückend ist es doch, dieheilige Einheit der Herzen zu besitzen, die uns durch ein der Welt unbe-kanntes Wunder an mehreren Orten zugleich ohne Trennung und ir-gendwelche Scheidung sein läßt.

Bleiben und gehen wir in Frieden, meine sehr teure Tochter. Und wieeine Frau sich freut, wenn sie an einer Hand ihren Sohn und an deranderen ihren Vater hält, so freuen wir uns in vollkommener Einheit desGeistes und mit unserem ganzen Wesen, hier, wo wir bleiben, und dort,wohin wir gehen; darüber, daß wir uns an diesen Heiland halten, denunser Herz voll Vertrauen wie seinen Vater und zärtlich wie ein Sohnliebt.

Ich will nun gehen und in der Heiligen Messe dieses Herz unseremteuren Heiland darbringen.

7.O Herr Jesus, rette, segne, stärke und bewahre dieses Herz, das zu

einem einzigen zu machen, Dir in Deiner göttlichen Liebe gefallen hat.Da Du ihm die Eingebung geschenkt hast, sich Deinem heiligen Namenzu weihen und aufzuopfern, so möge es Dein heiliger Name erfüllen, alswäre er Balsam der göttlichen Liebe, der in vollkommener Einheit dieverschiedenen, zur Erbauung des Nächsten erforderlichen Düfte undköstlichen Wohlgerüche (Hld 1,2.3) verbreitet. Ja, Herr Jesus, erfülle,überhäufe und beschenke überreich an Gnade, Frieden, Freude und Seg-nung diese Seele, die in Deinem heiligen Namen geht und bleibt, woDeine Herrlichkeit sie haben will und hinruft. Amen.

Tausend Segnungen unseren lieben Töchtern, Gott, der sie zusam-mengeführt hat, möge sie segnen; ihre heiligen Engel seien immerdarum sie; sie mögen mit vollen Händen die göttlichen Gnaden und Freu-den in ihre geliebten Herzen fließen lassen und die heilige Jungfrau

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breite ihren mütterlichen Mantel über sie aus und bewahre sie kraftihrer liebevollen Mütterlichkeit! Amen. Es lebe Jesus!

Châteaufort, 4. Februar 1615.Es lebe Jesus!

Dies ist die zweite Gelegenheit, Ihnen nun zu schreiben, meine sehrteure Mutter, und hier auch mein zweiter Brief, der Ihnen tausendfacheNachricht bringen sollte von dem Herzen, das Sie hier haben, wenn ichnur die Zeit hätte, die es dafür bräuchte; aber ich werde Ihnen davongenügend sagen, meine sehr teure Mutter.

Die ersten zwei Tage, an denen dieses Herz nicht mehr sich selbst sah,verblieb es in einer stillen Ergriffenheit und einigen Tränen; als ich esaber zum erstenmal dahin trug, wo es gewohnt war, seine Seele zu fin-den, und sie nicht mehr dort fand, wurde es von einer Bewegung ohne-gleichen ergriffen, die drei bis vier Tage anhielt und die es oft neuerlichergreift, wenn es nämlich daran denkt, des Gutes beraubt zu sein, das esmehr als alles andere auf der Welt liebt. All dies berührt nicht die ober-ste Spitze des Geistes, der – mehr und mehr der unlöslichen und unver-änderlichen Einheit gewiß, die Gott aus dem geschaffen hat, was wirsind – auch jeder Art von Furcht unzugänglich bleibt ... 64 Aber reden wirnicht mehr davon; denn genügt es nicht, daß wir – da Gott uns zu ein unddemselben Wesen gemacht hat – überall wir selbst ganz die Seinen sind?

Am Sonntag suchte ich Schwester von Bréchard auf und fand sie vielfröhlicher. Ich sah nur sie, da ich mich nur sehr kurz dort aufhielt; beimeiner Rückkehr aber will ich alle sehen und mit den Novizen begin-nen. Sie sagte mir, daß unsere Tochter von Rabutin65 betrübt sei undweine, weil sie nichts hat, um sich hübsch zu machen; ich sagte ihr, daßman ihr einen schönen Kragen für die Festtage machen lassen soll, daswird im Dorf genügen, bis Sie bei Ihrer Rückkehr es noch besser ma-chen können. Dieses Mädchen glaubt meiner Meinung nach, es sei einegroße Freude, solche Spitzen und aufstehende Kragen (Sie sehen, daßich etwas davon verstehe) zu haben; so muß man es halt damit beladen.Wenn sie sehen wird, daß gar nicht so viel daran ist, wird sie wieder zusich zurückfinden. Unsere Tochter von Thorens66 aber hat gebeichtetund ist froh fortgegangen; sie hat mich gebeten, ihr ein Gebet zu verfas-sen, das sie an allen Tagen ihrer Schwangerschaft verrichten will. Ichwerde es auch tun und Ihnen dann eine Abschrift davon schicken,67 da-mit Sie alles wissen.

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Wie begierig bin ich, meine sehr teure Mutter, etwas über Ihre Ankunftzu erfahren, und wie Gott den Beginn der Arbeit gestaltet hat, zu der er Sieberufen. Alles wird gut gehen, dessen bin ich gewiß, und die hochheiligeJungfrau, Unsere liebe Frau, wird Ihre Kerzen brennend halten, damit Siediese guten Seelen erleuchten, die sie in ihrer Güte als ihre Dienerinnengekennzeichnet hat. Ich bitte sie ständig darum, der ich unablässig inLyon bin, nicht nur in Ihnen wie Sie selbst, sondern auch in Ihrem kleinenHaus, wo ich, scheint es mir, im Geist an dem ganzen kleinen geistlichenHaushalt teilhabe, den Gott dort entstehen läßt.

Ich grüße Sie tausend- und abertausendmal, die am stärksten geliebteund liebende Mutter der Welt, und ich höre nicht auf, heilige Wünschefür Ihre Person und Ihre Schar auszusprechen. Ach Herr, segne mitDeiner heiligen Hand das Herz meiner so liebenswerten Mutter, damites in der Überfülle Deiner Güte gesegnet und wie eine fruchtbare Quel-le sei, die Dir viele Herzen hervorbringe, welche Deiner Familie undDeinem heiligen Geschlecht angehören. Segne meine erste liebe Toch-ter Marie-Jacqueline,68 daß sie ein bleibender Beginn sei für die Freudedes Vaters und der Mutter, die Du ihr gegeben hast. Die liebe TochterPéronne-Marie69 möge ein ständiges Wachstum des Trostes in der Kon-gregation bedeuten, in die Du sie verpflanzt hast, damit sie hier blüheund lange Zeit Frucht trage. Die liebe Tochter Marie-Aimée70 möge vonEngeln und Menschen geliebt71 werden, um viele Seelen zur Liebe Dei-ner göttlichen Majestät zu wecken; und segne auch, Herr, das Herz mei-ner lieben Tochter Marie-Elisabeth,72 damit es ein Herz unvergängli-cher Segnung sei.

Meine sehr teure Mutter, möge Segnung auf Segnung bis zum Höchst-maß Ihrem Herzen zuteil werden. Mögen Sie sehen, wie Ihre ältesteTochter mit immer neuer Glut wieder frisch von vorne anfängt, wie diezweite stets an Tugend zunimmt, die dritte immer voll Liebe und dieLetzte immer gesegnet ist, auf daß der Segen der heiligen Liebe in Ihrerkleinen Gemeinschaft wachse und sich immer wieder erneuere. Mögevor allem aber das Herz meiner sehr teuren Mutter, wie mein eigenes,immerdar von der hochheiligen Liebe zu Jesus ganz durchtränkt sein,der da lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Gott sei gelobt!

Ich grüße von ganzem Herzen unsere Schwestern von drüben undwünsche ihnen ein sanftmütiges, lenkbares und freundliches Herz, dasheißt, daß sie das Herz eines Kindes haben möchten, damit sie ins Him-melreich eingehen (Mt 18,3; 19,14). Ich finde große Freude in der Hoff-nung, die Segnungen spüren zu können, die Gott ihnen schenken wird.

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Annecy, 1. oder 2. März 1615.

... Glauben Sie mir, meine sehr teure Mutter, wie sich selbst: Gott willetwas – ich weiß nicht was – Großes von uns.

Ich sah die Tränen der armen Schwester (Marie-Madeleine)73 und esscheint mir, daß alle unsere Kindereien nur von einem Fehler herrüh-ren. Wir vergessen den Grundsatz, den die Heiligen immer wieder ein-schärfen: wir müssen daran denken, daß wir jeden Tag mit unserem Fort-schritt oder unserer Vervollkommnung wieder zu beginnen haben. Wennwir wirklich daran dächten, würden wir uns nicht wundern, bei uns aufArmseligkeiten zu stoßen oder auf etwas, das auszumerzen ist. Man wirdniemals fertig damit; man muß immer wieder beginnen und zwar gernewieder beginnen. Wenn der Mensch fertig ist, sagt die Schrift (Sir 18),dann steht er immer noch am Anfang. Was wir bisher getan haben, istgut, was wir aber nun beginnen, wird besser sein; und wenn wir es vollen-det haben, werden wir wieder etwas anderes beginnen, das noch bessersein wird, und dann wieder etwas anderes, bis wir diese Welt verlassen,um ein anderes Leben zu beginnen, das kein Ende haben wird, da unsnichts Besseres zuteil werden kann. Sehen Sie also, meine liebe Mutter,ob man weinen darf, wenn man findet, daß man an seiner Seele etwas zuarbeiten hat, und ob man den Mut haben soll, immer weiter voranzuge-hen, da man niemals stehenbleiben darf; und ob man entschlossen seinsoll, manches auszumerzen, da man doch das Messer ansetzen muß zurScheidung von Seele und Geist, Gelenk und Mark (Hebr 4,12).

Sie sehen, meine sehr teure Mutter, daß mein Herz wie Ihr eigenesvoll von diesem Empfinden ist, da es diese Worte heraussprudelt trotzMangels an Zeit und obwohl es gar nicht daran gedacht hatte.

Beachten Sie aber, meine sehr teure Mutter, sorgfältig die Vorschriftder Heiligen, die alle jene, welche Heilige werden wollen, ermahnen,wenig oder gar nicht von sich selbst und den eigenen Dingen zu spre-chen. Denken Sie ja nicht, Sie seien, weil Sie nun in Lyon sind, von demVertrag zwischen uns entbunden, nur wenig von mir wie von sich selbstzu sprechen. Wenn es die Ehre unseres Meisters nicht unter gewissenUmständen erfordert, so reden Sie nichts davon; wenn sie es aber erfor-dert, dann seien Sie kurz und genau in der Beobachtung der Einfachheit.Unsere Eigenliebe verblendet uns oft; man muß schon die Augen rechtfest geschlossen halten, um nicht durch das Schauen auf uns selbst ent-täuscht zu werden. Darum ruft der große Apostel aus: „Nicht der ist be-

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währt, der sich selbst empfiehlt, sondern der, den der Herr empfiehlt“ (2Kor 10,18).

Der gute Pater Granger hat gut gesprochen, der Heilige Geist wird esihm vergelten. Ich bin recht froh, daß Sie in Ihrem Bienenstock undinmitten dieses neuen Schwarmes Ihren König, Ihren Honig und IhrAlles bei sich haben.74 Die Gegenwart dieser heiligen Menschheit wirdIhr ganzes Haus mit Wonne erfüllen; es ist eine große Freude für dieSeelen, die im Glauben leben, daß sie diesen Schatz ihres Lebens sonahe haben ...

Annecy, 5. März 1615.Ich schrieb Ihnen auf dem Weg nach Sales, meine sehr teure Mutter;

und nun schreibe ich Ihnen auf dem Rückweg. Es wurden mir dort dreiFreuden zuteil und Sie werden diese sicher gerne wissen wollen, dennwas mich erfreut, erfreut auch Sie wie mich selbst.

Erstens: meine liebe kleine Schwester,75 die ich immer liebenswerterund inniger bestrebt finde, gut und fromm zu werden.

Zweitens, daß ich gestern den Aschermittwoch-Morgen ganz allein inder Galerie und in der Kapelle verbrachte und mich dort der angeneh-men Erinnerung an unsere liebens- und wünschenswerten Gesprächeanläßlich Ihrer Generalbeichte hingab; ich vermag gar nicht zu sagen,welch gute Gedanken und Affekte mir Gott dabei geschenkt hat.

Drittens hatte es stark geschneit und der Hof war von einer dichtenSchneeschicht bedeckt. Jean ging hinunter, kehrte in der Mitte einenkleinen Platz vom Schnee frei und warf den Tauben Körnerfutter hin;diese kamen auch alle auf diesem Speisesaal zusammen und picktenihre Mahlzeit friedvoll und in bewundernswerter Rücksicht aufeinan-der auf; ich schaute ihnen gerne zu. Sie würden nicht glauben, welchgroße Erbauung ich von diesen kleinen Tieren empfing. Sie bliebenganz still dabei, und die zuerst gegessen hatten, flogen nicht weit weg,um auf die anderen zu warten. Als sie den halben Platz leergepickt hat-ten, flog eine Schar Vögelchen, die sie beobachtet hatte, zu ihnen herabund alle Tauben, die mit ihrem Körnerpicken noch nicht fertig waren,zogen sich in einen Winkel zurück, um den größten Teil des Platzes denkleinen Vögeln zu überlassen, die sich nun auch zu Tisch setzten undaßen, ohne daß die Tauben sie jemals dabei störten.

Ich bewunderte diese Liebe; denn die armen Tauben waren so besorgt,diese kleinen Vögel, denen sie Almosen gaben, nicht zu stören, daß siesich alle an einem Ende der Tafel zusammendrängten. Andererseits be-

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wunderte ich den Takt dieser kleinen Bettler, die erst um Almosen ba-ten, als sie sahen, daß die Tauben am Ende ihrer Mahlzeit angelangtwaren und noch genug übriggeblieben war. Kurz, ich konnte die Tränennicht zurückhalten, als ich die liebevolle Einfachheit der Tauben unddas Vertrauen der kleinen Vögel auf ihre Barmherzigkeit sah. Ich weißnicht, ob ein Prediger mich so tief gerührt hätte. Dieses Tugendbild tatmir den ganzen Tag sehr wohl.

Nun drängt man mich aber, meine sehr teure Mutter. Mein Herz sprichtzu Ihnen über seine Gedanken, und seine Gedanken kreisen meistensum Ihr Herz, das gewiß eins ist mit dem meinen.

Gott begnadet mich mit vielen Freuden und heiligen Affekten durchErleuchtungen und Gefühle, die er im höheren Bereich meiner Seeleverbreitet; der niedere Bereich hat daran nicht teil. Gott sei ewig dafürgepriesen! Gott, der die Seele unseres Herzens ist, meine sehr teureMutter, möge uns immerdar mit seiner heiligen Liebe erfüllen. Amen.

Ich tue mein Möglichstes für das Buch.76 Glauben Sie mir, daß es einesehr große Pein für mich ist, nicht die dafür erforderliche Zeit gewinnenzu können, dennoch komme ich rasch vorwärts und glaube, daß ichmeiner sehr teuren Mutter gegenüber Wort halten kann.

Sie sind, meine teure Mutter, ganz wertvoll meinem Herzen. Gott ma-che uns immerdar zu den Seinen. Ich grüße unsere lieben Schwestern ...

Am zweiten Tag der Fastenzeit 1615.

Annecy, 19. März 1615.Schwester Anne-Jaqueline,77 die hier ist und mir soeben in Ihrem

Namen die Hand küßt, will, daß ich diesen Brief mit einem Gruß vonihr beginne. Das will ich gerne, meine sehr teure Mutter, denn die Liebebefolgt nicht immer die Rangordnung; andernfalls hätte unser Herr sichin seinem Leiden zuerst um seine Mutter und um seinen geliebten Jo-hannes kümmern müssen. In St. Klara habe ich darüber gesprochen; derGegenstand meiner Predigt war der große hl. Josef. Ich habe da wohlgute Dinge gesagt, aber nicht mit der gewohnten Wärme, mit der ichsonst von diesem bewundernswerten Nährvater unseres Meisters spre-che. Herr Michel hat mir beim Fortgehen gesagt, daß ich meinen Geistfast nie so dabei hatte, wie in der Heimsuchung. Ach, nicht etwa, daß ichnicht sehr wünschte, dieser guten Gemeinde von Dienerinnen Gottesgut zu dienen; aber die göttliche Vorsehung, die mich unserer liebenKongregation geweiht hat, muß mir wohl manche besondere Regungenschenken, wenn ich ihr diene. O, wie bewunderungswürdig ist doch Gott,

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meine sehr teure Mutter, und wie glücklich sind wir, eine große Sehn-sucht nach seinem Dienst zu haben.

Als ich heute morgen von der Predigt zurückkam, habe ich die Schwe-ster Marie-Madeleine gesehen, die ich noch nicht von Ihnen gegrüßthatte. Sie hat mich freudig begrüßt und mich mit ein paar Worten rechterfreut, da sie sagte, sie wolle eine starke und tapfere Frau werden alldiesen Rührseligkeiten zum Trotz, die sie so oft befallen. Ich habe auchdie kleine Schwester Paule-Hieronyme78 gesehen, der Ihr Gruß unglaub-liche Freude bereitete und die sagte, sie wäre unser Eustochium.79 Unse-re Assistentin80 macht auch ihre Sache gut. Kurz, ich bin mit unsererganzen lieben Schar sehr zufrieden, zu der ich an einem Tag der kom-menden Woche sprechen werde, da meine Mutter es mir aufgetragenhat, nach dem Bericht der Schwester Jeanne-Charlotte ...

Annecy, Ende März oder Anfang April 1615.Es lebe Jesus!

Obwohl ich Ihnen durch unseren Herrn von Medio schreibe, tue iches doch ohne Zeit und in Eile. Denn Sie müssen wissen, daß ich nichtdachte, er würde so bald abreisen; außerdem bin ich mit dem Buch sobeschäftigt, daß ich alle Zeit, die ich mir ersparen kann, darauf verwen-de. Da ich bis jetzt mit dem Schreiben zugewartet habe, bin ich in großerNot; denn ich wollte Ihnen einen langen Brief schreiben und weiß nicht,ob es mir möglich sein wird. Ich schreibe Ihnen also durcheinander, wasmir als Antwort auf Ihre drei Briefe einfällt; auf den Brief, den ich überChambéry, auf den zweiten, den ich durch Herrn Medio, und auf dendritten, den ich durch Herrn Pierre erhalten habe.

Erstens: Herr Grandis stimmt zu, daß Sie Ihre Kopfverätzungen schlie-ßen lassen, vorausgesetzt, daß Sie eine Woche vorher eine gewöhnlicheDosis Ihres Syrups einnehmen.

Zweitens ist es erforderlich, daß Sie Eier essen, und ich glaube, daß esniemand gibt, der daran Anstoß nehmen könnte.

Drittens: Schauen Sie, meine sehr teure Mutter, wenn ich unsere Töch-ter aufsuche, möchten sie so gerne durch mich Nachrichten über Siebekommen, und wenn ich ihnen Ihre Briefe zeigen könnte, würde siedies sehr erfreuen. Darum bitte ich Sie also um Briefblätter, die ichihnen, Herrn von Thorens und Ihrem geistlichen Neffen zeigen kann.Meine Nichte von Bréchard weiß schon, daß ich Sie selbst bin, denn siehat Briefe gesehen, die diese Wahrheit enthalten; dennoch wollte ich ihraber Ihre drei letzten Briefe weder ganz noch teilweise zeigen. Handeln

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Sie aber in dieser Sache ganz nach Ihrem Belieben, denn ich werdenichts tun, was Ihnen nicht recht ist.

Viertens: In den brieflichen Grüßen, wenn Sie mir solche schicken,dürfen Sie mich nicht „mein Vater, mein Freund“ nennen, denn ich willsie zur Freude derer herzeigen können, die Sie darin grüßen.

Fünftens: Ich preise Gott, daß Sie beruhigt sind und nicht daran zwei-feln, daß das Gebet der einfachen Hingabe an Gott äußerst heilig undheilsam ist. O, meine liebe Mutter, meine Tochter, daran dürfen Sieniemals zweifeln; wir haben dies schon so lange Zeit überprüft und im-mer gefunden, daß Gott Sie in dieser Gebetsweise haben will. Sie habenalso nichts anderes zu tun, als ruhig damit fortzufahren.

Sechstens: Gewiß möchte ich in diesen großen Städten die Tür fürBesuche von kranken Verwandten nicht öffnen und zulassen, daß esalltägliche Ausgänge werden. Wenn es außergewöhnliche Ausgänge sind,so muß zumindest der geistliche Vater sehen, ob sie notwendig sind,ebenso Besuche von Frauenklöstern, wenn man darum ersucht wird. Ichmöchte aber, daß die Verpflichtung, es den geistlichen Vater wissen zulassen, nur den Zweck habe, daß er für die Umstände der Ausgänge undfür die Schicklichkeit Sorge trage. Außer im Fall eines unerwartetenund überraschenden Ereignisses sollen, so denke ich, Besuche bei Ver-wandten nur auf Grund einer im Kapitel gefaßten Entscheidung erfol-gen. Das heißt, wenn ein Vater oder Bruder einen Besuch wünscht, möchteich, daß man je nach der Größe der Erkrankung, der Entfernung und derArt der Familie beraten soll, ob man mehrere Besuche erlauben darf, obmit Dienst und Begleitung, ob in der Kutsche oder zu einer Zeit, wo mankeinen Leuten begegnet, ob es ein Haus mit großer Gesellschaft oder einfrommes Haus ist, und so weiter. Aber darüber werden wir noch mehrnachdenken.

Siebtens: Beichtväter, bei denen man sich ausspricht oder bei Gele-genheit oder anläßlich eines Zusammentreffens beichtet, sind weder ge-wöhnliche noch außergewöhnliche Beichtväter, sondern solche, bei de-nen man Andachtsbeichten ablegt. Wenn es sich dabei um geeignetePersonen handelt, bedarf es keiner besonderen Erlaubnis. Außergewöhn-liche Beichtväter nennt man jene, die nur zu bestimmten Zeiten kom-men – etwa vier- bis fünfmal im Jahr; Beichtväter für Andachtsbeichtenkommen nur bei Gelegenheit.

Achtens: Ich verstehe nicht den Sinn Ihrer Bitte, ich möge Ihnen eineAbschrift von der „Errichtung“ schicken, in der die Ausgänge genaufestgelegt werden müssen.

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Neuntens: der Pater Rektor wäre ausgezeichnet als außergewöhnli-cher Beichtvater ...

Annecy, 18. April 1615.Denken Sie so, wie ich Ihnen schreibe, meine sehr teure Mutter. Ge-

stern, am Tag des Todes unseres Lebens,81 fand ich bei der Rückkehr vonMatutin und Laudes Ihre Briefe vor; heute morgen, am Tag der Grabes-ruhe, werde ich sieben bis acht Männern von Rang in unserer Kapelleder Heimsuchung die Weihen erteilen.

Was die sehr teure Schwester Marie-Elisabeth82 betrifft, so will ichihre Reise weder mißbilligen, noch gutheißen; es wäre aber nützlich,wenn ich jemand beauftragte, die Zeugen zu vernehmen und ihre Aussa-gen rechtskräftig aufzunehmen, und nicht nur die Zeugen, sondern auchdie Frau von Paraclet und ihre Nonnen. Ich muß dies aber mit Überle-gung und viel Sorgfalt tun. Einstweilen wollen wir nachdenken, ob eszuträglich ist, daß sie selbst hingeht; man muß aber die Überlegungengeheimhalten.

Wenn es der Herr Erzbischof83 will, könnte man ja diesen Mädchenbei ihrer Aufnahme Altersdispens geben, in Anbetracht der Mütter, dieteilweise den Entschluß, den das Alter den Mädchen nicht erlaubt, anderen Stelle auf sich nehmen könnten. Kurz, man sollte schon den Wün-schen des Herrn Erzbischofs entgegenkommen, soweit man Mittel undWege findet, die Folgen davon zu vermeiden; denn es ist schon eine sehrheilsame Regel, niemand vor dem zulässigen Alter aufzunehmen, umder Reue jede Entschuldigung zu nehmen, wenn es so weit kommensollte.

Alle diese Seelen werden gut sein, wenn sie mutig sind, Frau Colinund alle. Was aber das Besorgen geschäftlicher Angelegenheiten betrifft,so wissen Sie, ach, wie ich selbst, wie ich mich dazu eigne, d. h. daß ichnicht der geeignete Mann dafür bin. Sie können immer ohne Skrupel fürmich antworten, denn es wird immer so sein, daß ich damit geantwortethabe. Sie sind ja dem Geist, dem Willen und allem nach mit mir eins;Sie wissen, was ich kann, was ich will und was ich wünsche. Schicken Siemir also nichts hierher, sondern antworten Sie mutig selbst.

Man kann ja die Mädchen, die die Kapuziner empfehlen,84 zur Probekommen lassen; wenn sie geeignet befunden werden, braucht man sienicht zurückschicken; denn es ist keine große Gefahr dabei, sie in ihrenKleidern zu behalten.

Wenn der Herr Erzbischof kommt, demütigen Sie sich von Herzen

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für mich wie ich selbst und versichern Sie ihn der Achtung, Liebe undEhrerbietung, die ich seiner Person entgegenbringe.

Achten Sie darauf, die Freiheit für außergewöhnliche Ausgänge85 inbescheidenen Grenzen zu halten; so dürfen meiner Meinung nach dar-unter Jubiläen fallen, ferner der Besuch von nahestehenden krankenPersonen, ja auch von einigen erklärten Wohltätern oder großen Freun-den des Hauses, auch von Predigten, wie etwa einer Passionspredigt.Ebenso Ausgänge für andere Anlässe, bei denen es die Gemeinschaftder Schwestern nach der Meinung des geistlichen Vaters für ratsam hält.Denn man soll die Ausgänge nur auf die beschränken, die Höflichkeitund Bescheidenheit erfordern, verbunden mit Rücksichtnahme auf denStand der Personen. So handelt man auch in den italienischen Kongre-gationen.

Ach, meine liebe Mutter, ich muß schließen. Unsere Schwestern wis-sen nicht, daß ich schreibe, denn es geschieht über Chambéry. Sie habenFrau von Châteaufort, Frau Baronin von Chastelard und die Witwe de laFléchère bei sich; drei gute und liebe Gäste, von denen die erste sehrdavon spricht, eines Tages für ganz wiederzukommen; die zweite, zwarverheiratet, ist eine Perle. Ihr Gatte ist der Sohn der Baronin de la Ser-raz; sie ist die Tochter der Frau Mont-Saint-Jean.

Gestern hielt ich die Predigt über die Leidensgeschichte zweieinhalbStunden lang; unsere Leute sagten, das sei etwas Außergewöhnliches.

Meine teure Mutter, ich habe zu Gott so sehr gebetet und werde esweiterhin tun; alles verkündet mir den Wert unserer untrennbaren Ein-heit. O Herr Jesus, herrsche und sei immerdar gesegnet in unseremeinzigen Herzen. Amen ...

Annecy, 10. Mai 1615.Ach, meine Mutter! Ich schreibe Ihnen, ohne auch nur ein wenig Zeit

zu haben; stellen Sie sich vor, daß diese Zeilen für eine Dame sind,welche die Absicht hat, einzutreten. Ich grüße Sie tausendmal. MeineSeele drängt zu Ihrem Geist, sofern man überhaupt noch bei uns Beidenvon Mein und Dein sprechen kann, die wir doch durch nichts getrenntsind, sondern ein und dasselbe sind.

Ich werde bei erster Möglichkeit schreiben; augenblicklich habe ichnur eine geringe Möglichkeit, die ich benütze, um ein mütterliches Herzmit meiner ganzen kindlichen Zuneigung tausendmal zu grüßen. Gott,der unsere Einheit ist, sei immerdar gepriesen.

Ich grüße unsere lieben Schwestern, meine Töchter. Leben Sie froh in

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dem göttlichen Jesus, der der König der Engel und Menschen ist. Ichbin, meine sehr teure Mutter, in ihm gänzlich das, was niemand weiß alser, der dies gemacht hat. Dafür sei auch ihm Ehre, Verherrlichung undPreis. Amen. Ihr ...

Annecy, 13. Mai 1615.... Wir müssen den hochheiligen Gleichmut pflegen, zu dem unser

Herr uns ruft. Ob Sie nun dort oder hier sind, wer kann uns scheiden vonder Einheit, die in unserem Herrn Jesus Christus ist (Röm 8,35)? Schließ-lich kann es meiner Meinung nach unserem Geist hinfort nichts mehrausmachen, ob wir nun an einem oder an zwei Orten sind, da unsere soliebenswerte Einheit dank Ihm, der sie geschaffen hat, überall besteht.Wie oft habe ich Ihnen gesagt, meine sehr teure Mutter, daß Himmelund Erde nicht weit genug voneinander entfernt sind, um die Herzen,die unser Herr verbunden hat, zu scheiden! Bleiben wir mit dieser Ge-wißheit in Frieden.

Ich habe es viel lieber, wenn man sich hinsichtlich des Hauses ganzauf Sie verläßt, denn es wird dann alles in Ruhe und liebevoll geschehen,vorausgesetzt, daß man Ihnen Ihre Freiheit läßt und Vertrauen schenkt.Ich fürchte aber, daß man Sie dort behalten will, was eine ungerechteIdee wäre, die ich nicht anhören könnte. Ich sage Idee, denn von ihrerDurchführung kann keine Rede sein. In dieser Sache heißt es also ruhigund klar sagen und dabei bleiben, daß Sie wohl genügend Sorge umdieses Haus tragen werden.

Man muß die heilige Freiheit, die der Orden für die geistlichen Aus-sprachen und Ansprachen gewährt, wie seinen Augapfel hüten. Die Er-fahrung läßt mich erkennen, daß nichts den Dienerinnen Gottes so nütz-lich ist, als wenn diese Freiheit unseren Regeln gemäß gehandhabt wird.

Ich antworte, daß die Leidenschaftlichkeit dieser von ihrem eigenenUrteil erfüllten Geister mich nicht beunruhigen würde, vorausgesetzt,daß man sie die allgemeinen Grundlehren, die für die Kongregationmaßgebend sind, gelehrt hat: Sanftmut, Nächstenliebe, Einfachheit, so-wie die Überwindung von Launen und natürlichen Zu- und Abneigun-gen. Wenn man nur jene aufnähme, mit denen es keine Mühe gibt, dannwürden die Orden kaum dem Nächsten dienen, da solche Menschenüberall ziemlich gut tun würden.

O, meine sehr teure Mutter, leben Sie froh, ganz tapfer, ganz sanft,ganz mit dem Heiland verbunden, und möge es seiner Güte gefallen, diehochheilige Einheit zu segnen, die er aus uns geschaffen hat, und sie

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auch immer mehr zu heiligen. Ich grüße unsere lieben Schwestern; ach,wie sehr wünsche ich, daß sie vollkommen werden!

Am 13. Mai, an dem ich das 23. Jahr meines Lebens im geistlichenStand beginne, beschämt darüber, daß ich so wenig willens war, in derVollkommenheit dieses Standes zu leben ...

Annecy, 14. Mai 1615.... O wie erfüllt ist doch seit mehreren Tagen meine Seele von einer

neuen und mächtigen Sehnsucht, der hochheiligen Liebe Gottes mitallem mir möglichen Eifer zu dienen! Ihre Seele, meine sehr teure Mut-ter, die ein und dieselbe ist, wird das gleiche tun; denn wie könnte sieandere Neigungen hegen, da sie doch ein und dasselbe Leben besitzt?

Unsere Schwestern sind ausgezeichnet und erwecken in meinem Her-zen eine große Dankbarkeit gegen die Güte Gottes, deren Auswirkun-gen in ihren Seelen ich so klar sehe. Ich hoffe, daß die Schwestern dort inIhnen gleiche Empfindungen wecken und daß die göttliche Güte so ih-ren Geist über diese ganz kleine Gemeinschaft von Geschöpfen aus-gießt, die sich zu ihrer Verherrlichung zusammengeschlossen haben.

Ach, meine sehr teure Mutter, wieviel sind wir doch unserem Herrnverpflichtet und welches Vertrauen sollten wir doch daran setzen, daßseine Barmherzigkeit das vollenden wird, was sie in uns begonnen hat(Phil 1,6), und daß sie das wenige Öl unseres guten Willens so vermehrt,daß alle unsere Gefäße damit erfüllt werden und viele andere unsererNächsten auch (2 Kön 4,3-6). Wir müssen nur das Zimmer hinter unsgut schließen (2 Kön 4,4), das heißt, immer mehr unser Herz ganz indieser göttlichen Güte bergen.

Ich sage Ihnen tausendmal guten Abend und bitte Gott, er möge immerinmitten Ihres ganzen Herzens sein und es mit seinen hochheiligen undwünschenswerten Gnaden segnen. Ich grüße alle unsere Schwestern ...

Annecy, 14. Mai 1615.Es lebe Jesus!

Wir hatten nun acht Tage lang keine Gelegenheit zu schreiben, undnun bieten sich solche Schlag auf Schlag. Sicherlich warten wir mit from-mer Ungeduld auf Herrn du Crest, der noch nicht angekommen ist, umeinige Nachrichten von Ihnen zu erhalten, denn ich bilde mir ein, daß eruns welche bringen wird, ebenso Herr Pierre, durch den ich Ihnen Brie-fe für Herrn des Hayes offen geschickt habe, damit Sie diese lesen kön-nen. Nun heißt es also weiter warten.

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Was soll ich Ihnen nun von unserem Herzen hier erzählen, als daßGott ihm täglich neue Liebe zu seinem Dienst gibt. Heute morgen, als esein wenig allein war, vollbrachte es einen unvergleichlichen Akt derErgebung, über den ich nicht schreiben kann, mir aber vorbehalte, esIhnen mündlich zu sagen, wenn Gott mir die Gnade erweisen wird, Siewiederzusehen! O wie glücklich sind die Seelen, die allein vom WillenGottes leben! Ach, wenn man schon ein klein wenig davon infolge flüch-tiger Erwägungen verkostet und dann so viel geistliche Freude im Grun-de des Herzens empfindet, das diesen heiligen Willen mit all seinenKreuzen hinnimmt, was wird dann erst aus den Seelen, die ganz einge-taucht sind in die Vereinigung mit diesem göttlichen Willen!

Doch genug für diesmal, denn ich habe heute morgen schon durchHerrn Grandis geschrieben, durch den wir viele und lange Briefe erwar-ten; denn Sie haben genug Zeit zu schreiben, da er Sie gleich bei seinerAnkunft aufsuchen wird und seine Angelegenheiten ihn dort ein wenigzurückhalten werden.

Indessen sei Gott ewiglich unser Alles. Ich bin in ihm ganz der Ihrenach seinem Wohlgefallen und wie Sie es selbst wissen ...

Annecy, 16.-18. Mai 1615.Meine sehr teure Mutter!

Diese Zeilen gehen unvorhergesehen ab, um Ihre liebe Seele, die ichwie meine eigene liebe, zu grüßen; sie ist ja in Ihm, der die Grundlagealler Einigkeit und Einheit ist. Ich will nicht leugnen, daß ich über IhrFieber beunruhigt war; machen Sie sich aber keineswegs Sorgen wegenmeiner Sorge, denn Sie kennen mich: ich bin ein Mensch, der bereit ist,zu leiden ohne zu leiden, alles, was immer Gott gefallen wird, aus Ihnenwie aus mir zu machen. Ach, es darf keine Erwiderung geben und keinNachgeben. Ich bekenne vor dem Himmel und den Engeln, daß Sie mirso wertvoll sind, wie ich selbst; das enthebt mich aber nicht des ganzfesten Entschlusses, mich völlig in den göttlichen Willen zu fügen. Wirwollen Gott in dieser Welt hier wie dort dienen mit allem, was wir sind;mag er es nun für besser halten, daß wir in dieser oder jener Welt oder inallen beiden seien, sein hochheiliger Wille geschehe! (Mt 6,10; 26,42).86

Ich will Ihnen nicht mehr sagen, als daß ich mich besser befinde undes meinem Herzen besser geht als seit langem schon; ich weiß abernicht, ob sein Wohlsein natürlichen Ursachen oder der Gnade zuzu-schreiben ist.

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Gott sei immerdar inmitten Ihres Herzens, um es mit seiner heiligenLiebe zu erfüllen. Amen. Es lebe Jesus! Meine sehr teure Mutter, ich bin– wie Sie selbst wissen – immer mehr ganz der Ihre ...

Annecy, (den 14. Juni 1615 oder 1616).Zur gleichen Zeit, da die übergroße Güte der heiligen Dreifaltigkeit

den Geist ihrer Anbetung in die heilige Kirche sendet, erneuert sie – wiemir scheint – auch den Geist der heiligen Berufung meiner sehr teuren,sehr guten und verehrten Mutter, die ihre Heimat verließ, ohne zu wis-sen, wohin sie ging, aber an Gott glaubte, der ihr gesagt hatte: „Verlaßdein Land und deine Verwandtschaft“ (Gen 12), und so zu dem Bergkam, dessen Name lautete: „Gott wird schauen“; und Gott hat sie gese-hen und er vermehrte ihr geistliches Geschlecht wie die Sterne des Him-mels (Gen 22,14.17).

O, Gott sei ewiglich gepriesen, meine sehr teure Mutter, mit der ichmich freue und in deren Namen mein Herz sich freut wie in sich selbst.Möge dieses Herz meiner Mutter immerdar am Himmel stehen wie einschöner Stern, den eine Vielzahl anderer umgibt. Können wir da demVater, dem Sohn und dem Heiligen Geist nicht auf ewig den Lobgesanganstimmen? Ja, die Seele meiner Mutter wird ihn in alle Ewigkeit sin-gen. Amen. Und Gott sei dafür gepriesen in alle Ewigkeit. Amen. Eslebe Jesus!

Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, daß er allediese Herzen zu seiner Ehre zusammengefügt hat; aber ach, welche Schamfür mein Herz, das so wenig treu an einer so heiligen Aufgabe mitge-wirkt hat! Möge uns eben diese hochheilige Dreifaltigkeit in ihrer über-großen Güte gnädig sein und mögen wir hinfort ihren Willen erfüllen.Amen ...

Lyon, den 2. Juli 1615.Das gestern unterbrochene Brieflein zeigte mir gut, wie es um meine

Seele steht. Es lebe Jesus und meine Seele wird leben!Herr von Alincourt87 speiste gestern hier und blieb bis fast elf Uhr. Er

will heute morgen zur Predigt kommen, die ich nur als besondere Pre-digt für die Klostergemeinde vor hatte. Heute abend werde ich bei Ihnenund unseren Schwestern sein – ich kann gar nicht sagen, wie sehr ichbetrübt bin, weil meine Zeit derart dahingeht.

Gottes wegen, meine sehr teure Mutter, wollen wir unser Herz instiller Freude immer untrennbar sich selbst gegenwärtig halten, da die

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außergewöhnliche Einheit, mit der Gott es begabt hat, dies wohl bewir-ken kann. Die Notwendigkeit des Dienstes zu seiner Ehre erfordert auch,daß wir diese Gnade dazu benutzen. O Herr, dem alles gegenwärtig ist(Hebr 4,13), gib unserem Geist das gleiche Gegenwärtigsein seiner selbst,wie Du ihm die Einsicht gegeben hast, damit er so freudig lebe, wie eserforderlich ist in Deiner Gegenwart, o Herr, und in seiner eigenen gutzu dienen. Es lebe Jesus! Amen.

Ich will nun eine liebeserfüllte Predigt halten, so glühend ich es ver-mag.

Lyon, 1.-9. Juli 1615.88

Es hilft doch nichts; man sagte mir, ich müsse das Memorandum vor-legen, und man fügte hinzu, ich dürfe nicht weiter zuwarten. Also werdeich heute diesen Herrn aufsuchen; möge Gott die Hand anlegen. DieSchrift selbst gab ich Herrn Sedite zur Durchsicht und Verbesserung.

(Lyon, 1.-9. Juli 1615).Meine sehr teure Mutter!

Mit tausend Guten-Abend-Grüßen mache ich Sie darauf aufmerk-sam, daß der Minoritenpater morgen eine Stunde vor Tag abreisen wird;wenn Sie geschrieben haben, werde ich das Memorandum abfassen. In-dessen aber achten Sie auf sich, meine sehr teure und sehr gute Mutter,die ich mit Gottes Hilfe morgen sehen werde.

Guten Abend, meine sehr teure Mutter, unser Herr sei auf ewig inmit-ten unseres einzigen Herzens. Amen.

Annecy, 14. Juli 1615.Mit dieser ersten Gelegenheit will ich Ihnen, meine sehr teure Mutter,

Bericht über unsere Reise erstatten. Als der Herr Erzbischof mich ver-ließ, erwies er mir viel Freundschaft, und ich werde die Gunst, die mirdieser große Kirchenfürst bezeugte, höchst sorgsam pflegen.

An diesem Tag kamen wir also nach Saint-Priest, und zwar immer inBegleitung der guten Frau Präsidentin Le Blanc, die mir, soweit die Gele-genheit es ihr erlaubte, ganz offen ihr Herz aufschloß. Sie hat wahrlich eingutes Herz, dem ich ein schönes Gedeihen wünsche. Sie bedarf rechtliebevoller Unterstützung und Beratung bei der Vielzahl der Schwierig-keiten, die ihr lebhafter Geist ihr aufbürdet. Dieser bietet ihr fast ständigAnlaß, ihr Übel noch zu vergrößern. Sie bat den Herrn Erzbischof um dieErlaubnis, zu Ihnen ins Kloster hineinkommen zu dürfen, was er ihr be-

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willigte. Er machte ihr sogar Hoffnung auf die Erlaubnis, dort über Nachtbleiben zu dürfen. Wenn dies geschieht, meine sehr teure Mutter, dannhelfen Sie ihr ja recht, denn sie verdient und braucht es. Wenn sie imnächsten Jahr hierherkommt, was sie geplant hat, dann werden wir mehrMöglichkeiten haben, sie gut zu trösten. Ich werde Ihnen ein kleinesBrieflein extra schreiben, damit sie es sieht. Ich möchte, daß sie weiß, wielieb ich sie habe und schätze zur größeren Ehre Gottes.

Am Samstag kam ich in Sessel an, wo ich am Sonntagmorgen predigte.Ich übernachtete in dieser Stadt, wo ich bei meiner Ankunft die Nach-richt vorfand, daß Frau von Travernay im Sterben liege. Ich brach ge-stern am frühen Morgen auf, um ihr meinen letzten Dienst zu erweisen,da sie doch zu meinen Töchtern gehörte. Bei meiner Ankunft begrüßtesie, die nie eine herzliche Regung mir gegenüber merken ließ, mich miteiner bei ihrer melancholischen Gemütsart ganz außergewöhnlichenFreude. Kurz, sie erholte sich derart, daß sie meiner Meinung nach nochmehrere Tage leben wird, wenn ich auch nicht glaube, daß sie es nochlange machen wird.89

Sie beichtete von neuem bei mir, zu ihrem Trost und nicht aus Notwen-digkeit, denn sie hatte am vorhergehenden Tag die Sakramente und selbstdie letzte Ölung empfangen und zeigte den vollkommensten Gleichmut,den ich jemals gesehen. Wenn ihr Gesinde und die Nachbarn sie bedräng-ten, für ihre Heilung Gelübde zu machen, wollte sie dies nie tun, sondernsagte, was Gott mit ihr vorhabe, sei ihr am angenehmsten. Sie möchteGott weder um das Leben, noch um den Tod bitten – nicht mit dem be-scheidensten Wunsch von der Welt – sondern sie lege vorbehaltlos ihrLeben in seine Hände, damit er nach seinem Gutdünken damit verfahrenmöge. Was ihm gefalle, das wolle auch sie. Sie sagte dies aber so fest, daßich klar sehen konnte, wie ihr wirklich alles gleichgültig war. Obgleich siesagte, daß ihr wegen Franziska, meines Patenkindes, das ja noch so kleinist, das Herz ein wenig schwer sei, fügte sie nicht nur mit Festigkeit, son-dern auch voll Zärtlichkeit hinzu, daß Gott, wenn er sie abberufe, wohlwisse, was er mit diesem Mädchen vorhabe, und daß sie ihretwegen kei-neswegs am Leben zu bleiben wünsche, sondern nur das wolle, was Gottbeabsichtige. Kurz, ich sagte ihr, was ich wußte, und das entsprach ganzihrem Wunsch. Ich ließ sie in Frieden zurück, ohne den Anschein einesLeides, ohne Klage, ja selbst ohne den, ihren Gatten wiederzusehen, daszweite, was sie noch vor ihrem Hinscheiden gewünscht hatte. Solche klei-ne Geschichten von Landbewohnern gefallen mir und erbauen mich, dar-um erzähle ich sie Ihnen.

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Ich schreibe dem Herrn Erzbischof, um ihm meine Achtung zu bezeugen.Ich bin, meine sehr teure Mutter, wie Sie es ja selber wissen, ganz der

Ihre, vorbehaltlos und unterschiedslos. Leben Sie voll hochherziger undedler Freude in ihm, der unsere einzige Freude ist. Ich grüße von Her-zensgrund meine sehr teure Tochter, meine Mutter und meine liebenTöchter mit unseren lieben Novizinnen, von denen ich meine SchwesterFrançoise-Hieronyme, meine Base, besonders lieb habe, weil sie in Lyondie Jüngste ist.

Gott befohlen, meine sehr teure Mutter; der gütige Heiland sei unserLeben auf ewig. Amen ...

Annecy, 16. oder 17. August 1615.Welche Hetze, meine sehr teure Mutter! Gestern spät abends erhielt

ich Ihre Briefe; und heute, am Tag meiner Abreise, versuche ich inmit-ten tausenderlei Störungen zu antworten, wie es mir möglich sein wird.

Zuerst will ich sagen, daß die guten Damen90 nach Allerheiligen, wennSie wieder hier sein werden, willkommen sind, falls Sie es für gut befin-den, sie für die erbetene Zeit in die Heimsuchung aufzunehmen, undwenn Sie meinen, daß sie durch den Verkehr mit unseren lieben Schwes-tern und im Verkehr mit mir erbaut werden sollen. Sie, meine liebeMutter, die diese Damen gesehen haben, können es besser beurteilen alsich. Ich mache mir nur über den guten Herrn Präsidenten Rességuier91

Sorgen, da er es als Mann von Rang zweifellos schwer haben wird, unse-re Armseligkeiten und Unvollkommenheiten zu ertragen, wenn er solang bei uns bleibt. Halten Sie sich dies ein wenig vor Augen, meineliebe Mutter, und denken Sie darüber nach; und wenn es Ihnen zur EhreGottes zu gereichen scheint, dann sagen Sie ihnen „Ja“ in meinem wie inIhrem eigenen Namen. Sie müssen mir, meine liebe Mutter, in solchenFällen immer Ihre Meinung sagen; denn wie kann ich, der ich nur durchIhre Augen wie durch meine sehe, hierin ohne Sie richtig urteilen?

Was den anderen Plan betrifft, so sehe ich gewiß keinen Sinn darin,unsere Schwestern für die Klöster des Dritten Ordens einzusetzen; wirhaben auch keine Schwestern übrig, die als Leiterinnen dienen könnten.Und dann: wie könnten sie einem Institut helfen, das sie nicht kennen?– Ich wundere mich über diese gute Dame,92 wie sie dem Plan einerUmwandlung in Karmelitinnen Widerstand entgegensetzt; denn, um zuIhrem Herzen wie zu dem meinen zu sprechen,93 ...

Was unsere Kongregation betrifft, so finde ich nicht, daß sie jetzt gleich

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so viel tun kann, nicht einmal hinsichtlich des Vorschlages unserer gu-ten großen Schwester für Billon.94 Meiner Meinung nach wäre es einguter Ausweg, wenn die Mutter Elisabeth95 zwei ihrer fähigsten Töchtervon Toulouse und zwei von Billon zu uns herbrächte, die in vier bis fünfMonaten genügend ausgebildet werden könnten, um zu den anderenzurückzukehren. Sie könnten dann, unterstützt durch Briefe und Besu-che des Herrn Spirituals oder eines anderen, mit dem wir uns bespre-chen würden, die anderen in Gang bringen. Denn eigentlich sehe ich indieser Stadt gegenwärtig nur die Schwester de la Roche, die vielleichtauch noch nicht geeignet dafür wäre, wenn sie allein hingeschickt wür-de. Die Schwester von Gouffiers könnte es, wenn ihre Angelegenheitgeordnet wäre. Aber wer sonst? Das sind höchstens zwei oder drei.

Wenn man also nicht den Ausweg ergreifen will, die Töchter hierherin die Lehre zu schicken, und wenn man nicht zumindest eineinhalbJahre zuwarten will, dann ist es besser, etwas demütig abzulehnen, wasman nicht gut durchführen kann, als es unüberlegt zu unternehmen.Und dann muß auf alle Fälle abgewartet werden, daß unsere Regel be-stätigt wird und das Haus von Lyon durch die Autorität des Herrn Erzbi-schofs ordnungsgemäß errichtet ist. Man soll sich wohl hüten, sich inirgendeiner Diözese niederzulassen, bevor der zuständige Bischof be-schlossen hat, nichts dagegen einzuwenden.

Annecy, den 8. Oktober 1615.Sie sind vernünftig, meine sehr teure Mutter, und erwarten keine lan-

gen Briefe von mir in dieser Zeit, in der so viele Angelegenheiten aufmir lasten, daß ich keine weiteren mehr auf mich nehmen kann. Ichmöchte Ihnen bloß sagen, daß meiner Meinung nach unsere SchwesterJeanne-Charlotte nunmehr außer Gefahr ist, obgleich sie noch immeran ihrer Entzückung leidet; aber das Fieber ist fast ganz gesunken undsie beginnt schon ordentlich zu essen.

Wir hatten den Pater General der Feuillanten hier, einen Mann vongroßer Tugend und Heiligkeit. Als bei irgendeiner Gelegenheit von derMutter Isabeau, über die Sie mir vor drei Monaten schrieben, die Redewar, erzählte er mir, man habe ihm aus Paris nach Rom, von wo er kam,Merkwürdiges von ihr berichtet; ich meine, von außerordentlichen Vor-fällen wie Entrückungen oder Illusionen. Das macht mich sehr besorgt,denn wenn sie mit dieser Art unbekannter Dinge hierherkommt, wird sie– anstatt von uns Tröstungen zu erlangen – uns sehr zu schaffen machenund uns zwingen, zu untersuchen, ob dies Heiligkeit oder Täuschung ist.

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Dies würde die arme kleine Schar unschuldiger Seelen, die keine derarti-gen Entrückungen für sich erstreben, äußerst verwirren. Wenn Sie wissen,daß dem wirklich so ist, so suchen Sie sie davon abzubringen. SchreibenSie ihr, daß ich Sie gebeten habe, ihr mitzuteilen, daß ich nicht wisse, obich in diesem Winter hier sein werde, und wünsche, daß weder sie, nochder Herr Präsident Rességuier sich irgendwelchen Ungelegenheiten aus-setzen. Sollte sie aber drei Schwestern schicken, so würden Sie diese auf-nehmen und gern bis nach Ostern behalten. Wenn jedoch keine derartigeGefahr besteht, dann lassen Sie sie kommen.

Gute Nacht, meine sehr teure Mutter, von ganzem Herzen. Es lebeJesus! Amen.

Annecy, 1. Januar 1616.Sie sind die erste, meine sehr teure und gute Mutter, die in diesem

neuen Jahr einen Brief von mir erhält. Dies verlangt sicherlich schon dieVernunft. Nachdem ich dem himmlischen Vater und der himmlischenMutter meine Huldigung dargebracht, mußte ich doch der einzigen Mut-ter Ehre erweisen, die ihre Majestäten mir für dieses Leben gegebenhaben.

Ein gutes und recht heiliges Jahr meiner sehr teuren Mutter von ih-rem Sohn. Dieser wünscht ihr überreich die Gnade des ewigen Vaters,den Frieden des Sohnes in seiner heutigen Beschneidung, und die Trö-stung des Heiligen Geistes (1 Tim 1,2; Apg 9,31). Mit eben diesemHerzen meiner sehr teuren Mutter weihe ich das meine wie das ihre derVerherrlichung der göttlichen Güte und opfere ihr alle Augenblickedieses neuen Jahres auf. So soll eine völlige Beschneidung eben diesesHerzens erreicht und dadurch bewirkt werden, daß es rein und vollkom-men die heilige Liebe aufnehme, die der himmlische und göttliche NameJesus über die heilige Menschheit des Heilands, in Blut geschrieben,uns verkündet (Lk 2,21).

Ich kann nicht versprechen, Sie vor Mittwoch zu sehen, außer mitdieser beständigen Schau, mit der meine Seele die Ihre im Grunde unse-res Herzens liebevoll betrachtet und hütet.

O mein Gott, liebe Mutter, wieviel göttliche Liebe ersehne ich dochdiesem Herzen, wieviel Segnungen wünsche ich ihm! Küssen wir dochtausendmal die Füße des Heilands und sagen wir ihm: „Mein Herz, omein Gott, beteuert Dir Treue, mein Antlitz ersehnt Dich; o mein Herr,mein Antlitz sucht das Deine“ (Ps 27,8). Das heißt, meine liebe Mutter,heften wir doch unsere Augen auf Jesus Christus, um ihn zu betrachten,

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öffnen wir unseren Mund, ihn zu preisen, und schließlich möge unserAntlitz nur den Wunsch atmen, dem unseres geliebten Jesus zu gefallen;Jesus, für den wir uns demütigen, uns bemühen, arbeiten und leidensollen, wie der hl. Paulus sagt (Röm 8,36; Ps 44,22): „Schäflein“ wer-den, „die man zur Schlachtbank führt“, wenn es seiner göttlichen Maje-stät gefällt, uns um seiner Ehre und seiner Verherrlichung willen dieEhre nehmen zu lassen.

Ein gutes und sehr heiliges Jahr meiner sehr teuren Mutter, ganz durch-duftet vom Namen Jesus, ganz durchtränkt von seinem heiligen Blut.Kein Tag dieses Jahres, kein Jahr und kein Tag vieler Jahre, die Gottmeiner sehr teuren Mutter geben möge, soll vergehen, der nicht die Kraftdieses Blutes verspüre und nicht den milden Hauch dieses Namens emp-fange, der die höchste Süßigkeit verbreitet. Amen.

So möge dieser heilige Name die ganze Kongregation unserer Schwes-tern mit seinem Wohllaut erfüllen und die Blutstropfen des göttlichenKindes sich in einen Strom von Heiligkeit verwandeln, der alle Herzendieser teuren Schar und vor allem das Herz meiner sehr teuren Mutter,das mein Herz wie sich selbst liebt, beglückt (Ps 15,5) und fruchtbarmacht.

Es lebe Jesus, es lebe sein Blut! Es lebe Maria und ihr Schoß, von demJesus sein Blut empfing! ...

Annecy, (7. April 1616).... Verbleiben Sie, meine sehr teure Mutter, inzwischen mit dem Frie-

den und der Freude unseres Herrn. Mit seiner Gnade werde ich in spä-testens acht Tagen hier sein.96 Ich werde niemals daran denken, von hierfortzugehen, während Gott mich da in mir selbst festhält. Sie, meinesehr teure Mutter, wissen wohl selbst, daß die von Gott geschaffeneEinheit stärker ist als alle Trennung, und daß die örtliche Entfernung ihrnichts anzuhaben vermag. So möge Gott Sie auf ewig mit seiner heiligenLiebe segnen. Er hat uns ein im Geist und Leben einziges Herz geschaf-fen.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter; ich bitte Sie, bewahren Siemich, wie ich Sie mit Gottes Hilfe wohl bewahren werde.

Annecy, (12. oder 13.) Mai 1616.Guten Abend, meine sehr teure Mutter; hier sind Briefe, die aus Lyon

gekommen sind; wenn sie etwas Wichtiges enthalten, werden Sie es mirschon mitteilen.

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Ich befinde mich recht wohl, empfinde weder Schmerz noch etwasähnliches; nur fühle ich mich derart appetitlos, daß ich am liebstenheute nichts mehr essen möchte, nachdem ich nur eine kleine Bouillonzu mir genommen habe. Ich behalte mir aber vor, alles zu tun, was mei-ne liebe Mutter haben will. Ich bitte diese aber im Namen Gottes, derwohl weiß, daß ich nicht lüge, sich meinetwegen keinerlei Sorgen zumachen, denn ich fühle mich äußerst wohl, bis auf diese Erkältung, wo-durch ich manchmal husten muß.

Gute Nacht also, meine sehr teure Mutter, der ich gewiß – wie sie weiß– ganz sie selbst bin. Es lebe Jesus! Amen.

Annecy, 14.-16. Mai 1616.Meine sehr teure Mutter!

Sie wären recht tapfer, wenn Sie über diese kleine Unpäßlichkeit et-was gelassen und ruhig sein wollten. Sie besteht nur darin, daß meinGaumen stark geschwollen ist und mich beim Spucken und Schluckenschmerzt. So war ich gestern abend fiebrig und unruhig; aber heutemorgen befinde ich mich bis auf den Mund recht wohl und fühle imgroßen und ganzen merklich, daß weiter nichts daran ist und ich beietwas Ruhe wieder in Ordnung kommen werde. Die Bouillon ist schonrecht; ich werde sie so bitter nehmen, wie verlangt wird.

Bleiben Sie recht im Frieden mit unserem Herrn, der allein unsereseinzigen Herzens Alles sein soll. Amen.

Annecy, (15.-17. Mai) 1616.97

... Wann wird doch endlich diese natürliche Liebe zum eigenen Blut,zum Herkömmlichen, Schicklichen, zu Verbindlichkeiten, Sympathienund Gnaden geläutert und zum vollkommenen Gehorsam gegenüberder ganz reinen Liebe zum Wohlgefallen Gottes umgewandelt werden?Wann wird diese Eigenliebe keine Anwesenheit, keine äußerlichen Be-kräftigungen und Zeichen mehr wünschen, sondern völlig gestillt seinvon der unveränderlichen und unwandelbaren Gewißheit, die Gott ihrvon seiner Beständigkeit gibt? Was kann schon Anwesenheit einer Lie-be hinzufügen, die Gott geschaffen hat, stützt und erhält? Welche Anzei-chen von Beharrlichkeit kann man von einer Einheit verlangen, die Gottbegründet hat? Entfernung oder Anwesenheit werden niemals etwas zurFestigkeit einer Liebe beitragen, die Gott selbst gebildet hat.

Wann werden wir alle unserem Nächsten gegenüber durchtränkt seinvon Güte und Milde? Wann werden wir die Seelen unserer Mitmen-

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schen in der heiligen Brust des Heilands sehen? Ach, wer den Nächstennicht darin betrachtet, läuft Gefahr, ihn weder rein, noch beständig,noch gleichmäßig zu lieben. Wer aber würde ihn dort, wer wird ihn andiesem Platz nicht lieben? Wer ihn nicht ertragen? Wer nicht seine Un-vollkommenheiten erdulden? Wer fände ihn lästig, wer langweilig? Dennda, meine sehr teure Tochter, ist er dieser Nächste, im Schoß und in derBrust des göttlichen Heilands; er ist darin so sehr geliebt und so liebens-wert, daß aus Liebe zu ihm der Liebende stirbt, dessen Liebe in seinemTod und dessen Tod in seiner Liebe liegt ...

Annecy, 18. Mai 1616.Meine sehr teure Mutter!

Ich weiß wohl, daß ich noch den heutigen und vielleicht auch denmorgigen Tag in Einsamkeit und Schweigen werde verbringen müssen.Wenn dem so ist, werde ich – wie ich Ihnen sagte – meine Seele wie dieIhre vorbereiten.

Es ist mir recht, daß Sie die Übung der Selbstentäußerung fortsetzen,indem Sie sich unserem Herrn und mir überlassen. Werfen Sie jedoch,meine sehr teure Mutter, zwischenhinein einige Akte von Ihrer Seite –als Stoßgebete – oder als Akte der Zustimmung zu dieser Entäußerung,wie z. B.: „Ich will es gewiß, o Herr; reiße kühn alles weg, was mein Herznoch umkleidet. O Herr, nein, ich will nichts davon ausnehmen, entrei-ße mich mir selbst. O mein Ich, ich verlasse dich auf immer, bis meinHerr mir befiehlt, dich wieder aufzunehmen.“ – Das soll kraftvoll, aberganz ruhig, zwischendurch ausgerufen werden.

Auch sollen Sie bitte, meine sehr teure Mutter, keine Amme nehmen,sondern, wie Sie sehen, müssen Sie auch diese aufgeben, die Sie haben,und als armes, kleines, schwaches Geschöpf vor dem Thron der Barm-herzigkeit Gottes verbleiben. Sie sollen ganz entblößt bleiben, ohne jeirgendeine Tat oder einen Liebeserweis für das Geschöpf zu erbitten,und doch sich allen jenen gegenüber gleichmütig verhalten, die Ihnenzuzuweisen ihm gefallen wird. Geben Sie sich auch nicht mit dem Ge-danken ab, daß ich Ihnen als Amme dienen soll. Denn sehen Sie, wennSie Ihre Amme nach Wunsch nähmen, würden Sie nicht aus sich heraus-gehen, sondern kämen immer auf Ihre Rechnung, und das ist es gerade,was man vor allem fliehen muß.

Wunderbar sind diese Verzichte auf die Hochschätzung seiner selbst,auch dessen, was man nach Ansicht der Welt war (was ja in Wirklichkeitnichts war, außer im Vergleich zum Los der ganz Elenden) – auf seinen

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Eigenwillen, auf sein Gefallen an allen Geschöpfen und an der natürli-chen Liebe – und schließlich auf sein ganzes Ich, was man in einemewigen Aufgeben begraben soll, um es nicht mehr zu sehen und zu ken-nen, wie wir es gesehen und gekannt haben, sondern nur, wenn Gott esuns anordnet und so, wie er uns anordnen wird. Schreiben Sie mir, obSie diese Unterweisung gut finden.

Möge Gott mich für immer in Besitz nehmen. Denn ich bin sein, hierwie dort, wo ich ganz vollkommen in Ihnen bin, wie Sie wissen, denn Siesind untrennbar von mir, außer in der Übung und Beobachtung desEntsagens auf unser ganzes Wir selbst um Gottes willen ... *

Annecy, 19. Mai 1616.O Jesus, welch ein Segen! Welche Freude für meine Seele, meine Mut-

ter so ganz von sich entblößt vor Gott zu wissen! Seit langem schon emp-finde ich eine unvergleichliche Beglückung, wenn ich das Responsorium

*Antwort der Mutter von Chantal:98

(Annecy, 1616).Mein einziger Vater, ach, wie gut tut mir Ihr lieber Brief! Gepriesen sei der Herr,

der ihn Ihnen eingegeben hat! Gesegnet sei auch das Herz meines Vaters von Ewig-keit zu Ewigkeit!

Ja, ich habe den glühenden Wunsch und, wie es mir scheint, die feste Absicht, inmeiner Selbstentblößung zu bleiben durch die Gnade meines Gottes und ich hoffe,daß er mir helfen wird. Ich fühle meine Seele ganz frei, voll unnennbaren, unendlichtiefen Trostes, weil sie sich so völlig in Gottes Händen weiß. Mein übriges Ich bleibtzwar sehr in Verwunderung; aber wenn ich das getreu ausführe, was Sie mir befehlen,mein teuerster Vater, – und ich werde es ohne Zweifel tun – so wird mit Gottes Hilfealles immer besser werden.

Ich muß Ihnen folgendes sagen: wenn ich mein Herz gewähren ließe, so würde esversuchen, sich wieder mit den Neigungen und Ansprüchen zu bekleiden, wovon esihm scheint, daß unser Herr sie ihm eingibt; aber ich lasse das in keiner Weise zu, sodaß diese Ansprüche nur von ferne aufscheinen; denn, es dünkt mich, ich dürftenichts mehr denken, wünschen oder beanspruchen als das, was Gott mich denken,lieben und wollen läßt, wie es mir der höhere Teil meiner Seele eingibt; ich binsorgsam darauf bedacht, den niederen nicht zu beachten. Gott stärke uns in seinermilden Güte und lasse uns in vollkommener Weise vollbringen, was er von unserwartet, teurer Vater.

Jesus mache Sie zu einem großen Heiligen. Davon bin ich auch überzeugt. SeineGüte sei gelobt ob Ihrer Genesung und Erholung!

Leben Sie wohl, mein Vater. Heute Abend gebe ich Ihnen Nachricht von mir ...

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singen höre: „Nackt bin ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorgegangenund nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat es mir gegeben, der Herr hates mir genommen: der Name des Herrn sei gebenedeit“ (Ijob 1,21).

Wie glücklich waren doch der hl. Josef und die seligste Jungfrau aufder Flucht nach Ägypten, als sie auf dem Weg meistens nichts anderessahen als den liebsten Jesus! Das ist auch das Ende der Verklärung,meine sehr teure Mutter, weder Mose noch Elija mehr, sondern aus-schließlich Jesus zu sehen (Mt 17,8). Das war das Ruhen der heiligenSulamitin, mit ihrem einzigen König ganz allein sein zu können, umihm zu sagen: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“ (Hld 11,16).Wir sollen also, was unser Herz betrifft, auf immer ganz entblößt blei-ben, meine sehr teure Mutter, obgleich wir uns in der Tat wieder beklei-den; unser Herz soll nämlich so einfach und unumschränkt mit Gottvereint sein, daß nichts anderes in uns haftet. O wie glücklich war dochder Josef des Alten Bundes, dessen Gewand weder Knöpfe noch Hakenhatte, sodaß er, als man ihn am Gewand festhalten wollte, in einemAugenblick daraus entschlüpfen konnte (Gen 39,12).

Mit Ergriffenheit bewundere ich den Heiland unserer Seelen, der nacktaus dem Schoß seiner Mutter hervorgegangen, nackt am Kreuz gestor-ben und wieder nackt in den Schoß seiner Mutter gelegt wurde, umbegraben zu werden. Ich bewundere die glorreiche Mutter, die entblößtvon Mutterschaft in ihrer Geburt war99 und am Fuß des Kreuzes dieserMutterschaft wieder entblößt wurde und wohl sagen konnte: „Entblößtwar ich meines größten Glücks, als mein Sohn Gestalt annahm in mir,und entblößt bin ich nun wieder, da ich ihn tot in meinem Schoß emp-fange. Der Herr hat ihn mir gegeben, der Herr hat ihn mir genommen:der Name des Herrn sei gebenedeit“ (Ijob 1,21).

Ich sage Ihnen also, liebe Mutter: gebenedeit sei der Herr, der Sieentblößt hat! Wie froh ist doch mein Herz, Sie in diesem so wünschens-werten Zustand zu wissen! Und ich sage Ihnen, wie es Jesaja gesagt wur-de (Jes 20,2.3): „Gehen Sie und prophezeien Sie ganz entblößt diesedrei Tage.“ Verweilen Sie beharrlich in dieser Entblößung bei unseremHerrn: Sie brauchen keine Akte mehr erwecken, wenn Ihr Herz sichnicht dazu gedrängt fühlt. Singen Sie vielmehr, wenn Sie können, ganzsanft das Lied Ihrer Entblößtheit: „Nackt bin ich aus dem Schoß meinerMutter hervorgegangen“ und was folgt. Machen Sie keine Anstrengungmehr, gehen Sie, meine sehr teure Tochter, gestützt auf den gestrigenEntschluß, hören Sie und neigen Sie Ihr Ohr; vergessen Sie das ganzeVolk anderer Affekte und das Haus Ihres Vaters, denn der König hat

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nach Ihrer Entblößtheit und Einfachheit verlangt (Ps 45,11.12). Blei-ben Sie so im Frieden, im Geist eines ganz einfachen Vertrauens, ohnesich nur nach Ihren Gewändern umzusehen; ich meine, ohne sich mitirgendwelcher Aufmerksamkeit oder Sorge umzusehen.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter. Es lebe Jesus, entblößt vonVater und Mutter am Kreuz; es lebe seine hochheilige Entblößtheit! Eslebe Maria, am Fuß des Kreuzes entblößt des Sohnes!

Willigen Sie sachte, wenn auch nicht fühlbar, in Ihre Entblößtheitein; machen Sie keine Anstrengungen mehr; verschaffen Sie Ihrem Kör-per liebevoll einige Erleichterung. Es lebe Jesus! Amen ...

Antwort der Mutter von Chantal:

(Annecy, 1616).Mein lieber Vater!

Herr Grandis hat mir heute gesagt, daß wir Sie noch gut pflegen müßten, daß Sienicht mehr so strenge Diät halten sollen, daß Sie sich noch sehr halten und genau inacht nehmen müßten wegen der Entzündung, die zu befürchten ist. Ich freue michüber all diese Anordnungen, auch daß Sie noch in Ihrer Einsamkeit bleiben, denn siewird auch Ihrer lieben Seele zugute kommen. Ich konnte nicht sagen „unserer“, dennes scheint mir, daß ich daran nicht mehr teilhabe, so sehr finde ich mich entblößt undall dessen beraubt, was mir das Kostbarste war.

Mein Gott, teurer Vater, wie weit ist das Messer vorgedrungen! Ob ich dieseGemütsverfassung lange aushalten kann? Wenigstens wird mich Gottes Güte beidiesem Entschluß erhalten, wenn es ihm gefällt, wie ich es so sehr wünsche. IhreWorte haben meine Seele sehr gestärkt. Es hat mich tief berührt und getröstet, wieSie sagen, welchen Segen und welchen Trost es für Ihre Seele bedeute, mich ganzentblößt vor Gott zu wissen! Jesus gewähre Ihnen weiter diesen Trost und mir diesesGlück!

Ich bin voll Zuversicht und Mut, Frieden und Ruhe. Gott sei Dank, drängt esmich nicht, das zu betrachten, was ich ausgezogen habe. In aller Einfachheit sehe iches als etwas weit Entferntes an; wenn es mich aber doch ergreift, wende ich michsogleich davon ab. Gelobt sei Jener, der mich entäußert hat! Seine Güte bestärkeund kräftige mich in der Ausführung, wenn es sein Wille ist. Als unser Herr mirdiesen guten Gedanken eingab, von dem ich Sie am Dienstag in Kenntnis setzte,nämlich, mich ihm zu überlassen, dachte ich keineswegs daran, daß Er mich auf dieseWeise Hand ans Werk legen ließ. Er sei gepriesen für alles und möge mich bestärken!

Ich sagte Ihnen nicht, daß ich wenig Licht und inneren Trost habe. Ich binnur ganz in Frieden und es scheint sogar, als habe der Herr in diesen vergange-nen Tagen ein wenig die Freude entzogen, die das Gefühl seiner lieben Gegen-wart verleiht. Auch heute bleibt mir mehr oder minder nur sehr wenig, wasmeiner Seele Hilfe und Ruhe schenken könnte; vielleicht will unser guter

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Annecy, 21. Mai 1616.All dies geht sehr gut, meine sehr teure Mutter. Sie müssen wahrhaftig

in dieser heiligen Entblößtheit verbleiben, bis Gott Sie bekleidet. „Bleibtda“, sagte unser Herr zu seinen Aposteln, „bis ihr von oben mit Kraftbekleidet werdet“ (Lk 24,49). Ihre Einsamkeit darf bis morgen nach derMesse nicht unterbrochen werden.

Meine sehr teure Mutter, Ihre Einbildungskraft spiegelt Ihnen zu Un-recht vor, Sie hätten die Sorge um sich selbst und die Liebe zu geistli-chen Dingen nicht aufgegeben und verlassen; denn, haben Sie nicht allesverlassen und alles vergessen? Bekennen Sie doch an diesem Abend,daß Sie auf alle Tugenden verzichten und sie nur in dem Maße habenwollen, als Gott sie Ihnen verleihen wird, und daß Sie auch nur in demMaße sie zu erwerben trachten werden, als seine Güte Sie dafür verwen-det um seines Wohlgefallens willen.

Unser Herr liebt Sie, meine Mutter; er will, daß Sie ihm ganz gehören.Keine anderen Arme sollen Sie tragen als die seinen, keine andere BrustSie ausruhen lassen als die seine und seine Vorsehung. Richten Sie IhreBlicke nicht anderswohin und wenden Sie Ihren Geist nur ihm allein zu.Halten Sie Ihren Willen so einfach mit dem seinen verbunden in allem,was ihm aus Ihnen, in Ihnen, durch Sie und für Sie zu tun beliebt. Auch

Herr überall in meinem Herzen Hand anlegen, um alles wegzunehmen und es vonallem zu entblößen; Sein heiligster Wille geschehe!

Mein einziger Vater, heute kam mir in den Sinn, daß Sie mir eines Tages befahlen,mich (aller Dinge) zu entäußern; ich antwortete: „Ich weiß nichts mehr, wovon ichmich noch entäußern könnte“, und Sie sagten: „Habe ich Ihnen nicht gesagt, meineTochter, daß ich Sie aller Dinge entäußern werde?“ O Gott, wie leicht ist es doch,alles zu verlassen, was um uns ist! Aber seine Haut, sein Fleisch, sein Gebein zuverlassen und in das innerste Mark einzudringen, wie wir es anscheinend getan haben,das ist etwas Großes, Schweres und Unmögliches, wenn Gottes Gnade nicht hilft.Ihm allein gebührt also Ehre und sie sei Ihm auf ewig erwiesen.

Mein Vater, ohne Ihre Erlaubnis möchte ich mir nicht mehr den Trost verschaf-fen, den mir die Unterredung mit Ihnen gewährt. Es scheint mir, daß ich mir wedereine Tätigkeit, noch einen Gedanken, noch eine Neigung, noch ein Wollen gestattendarf, außer auf einen Befehl hin.

Lassen Sie mich schließen, indem ich Ihnen tausendmal einen guten Abend wün-sche und Ihnen sage, was ich gesehen habe. Es scheint mir, daß ich Ihre und meineSeele nur als eine einzige sehe, die ganz an Gott hingegeben ist. So sei es, viellieberVater. Jesus sei gelobt und herrsche auf ewig! Amen. Stehen Sie nicht wieder zu frühauf; ich fürchte, daß dieses heilige Fest Sie zum Übermaß verleiten könnte. Gottführe Sie in allem.

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in allen Dingen, die außerhalb von Ihnen liegen, soll nichts zwischenbeiden sein. Denken Sie nicht mehr an die Freundschaft, noch an dieEinheit, die Gott aus uns geschaffen hat, auch nicht an Ihre Kinder, anIhren Leib, an Ihre Seele und schließlich an irgendetwas. Sie haben jaGott alles überlassen. „Zieht an unseren gekreuzigten Herrn“ (Röm13,14). Lieben Sie ihn in seinen Leiden. Verrichten Sie dazu Stoßgebete.Was Sie machen müssen, tun Sie das nicht mehr, weil Sie dazu geneigtsind, sondern nur deshalb, weil es der Wille Gottes ist.

Ich befinde mich, Gott sei Dank, wohl. Heute morgen habe ich mitmeiner alljährlichen Gewissenserforschung begonnen und werde sie mor-gen abschließen. Unmerklich spüre ich im Grunde meines Herzens einneues Vertrauen, Gott „in Heiligkeit und Gerechtigkeit alle Tage“ (Lk1,74.75) meines Lebens besser zu dienen; und – ja, ich fühle mich gleich-falls entblößt dank ihm, der entblößt gestorben ist, damit wir entblößtzu leben versuchen. O meine Mutter, wie glücklich waren doch Adamund Eva, solange sie noch keine Kleidung hatten!

Leben Sie ganz glücklich in Frieden, meine sehr teure Mutter, undseien Sie bekleidet mit Jesus Christus, unserem Herrn. Amen ...

Annecy, 21. Mai 1616.Nein, ich schreibe nicht, denn nach einer Mahlzeit darf man dies nicht

tun, meine sehr teure Mutter; aber ich sende Ihnen recht liebevoll einenGutenachtgruß und bitte Gott, er möge Sie, die er zu der liebenswertenund hochheiligen Reinheit und Nacktheit der Kinder zurückgeführt hat,nun in seine Arme nehmen wie den hl. Martial, um Sie nach seinemWillen zur äußersten Vollkommenheit seiner Liebe zu tragen. Und fas-sen Sie Mut, denn wenn er die Tröstungen und Gefühle seiner Gegen-wart von Ihnen genommen hat, so deshalb, damit selbst seine Gegen-wart nicht mehr Ihr Herz festhält, sondern nur er und sein Wohlgefallen,wie er es mit jener tat, die ihn umarmen und sich an seinen Füßen fest-halten wollte, aber von ihm anderswohin geschickt wurde. „Berühremich nicht“, sagte er zu ihr, „sondern melde es Simon und seinen Brü-dern“ (Joh 20,17). Wir werden noch darüber sprechen. Glückselig dieEntblößten, denn unser Herr wird sie bekleiden.

Möge diese Güte nicht mehr zulassen, daß ich so wenig Heiligkeit ineinem Beruf und einem Alter habe, wo ich deren so viel haben sollte.Leben Sie ganz fröhlich vor Gott, meine Mutter, und preisen Sie ihn mitmir von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen ...

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Annecy, 15. August 1616.Meine sehr teure Mutter!

Abends betrachtete ich, soweit es meine schwachen Augen erlaubten,die Königin, wie sie dahinstirbt am letzten Anfall eines Fiebers, köstli-cher als jede Gesundheit, eines Liebesfiebers, das ihr Herz austrocknet,um es zu entzünden, zu entflammen und zu verzehren, so daß sie ihrenheiligen Geist aushaucht, der geradewegs in die Hände ihres Sohnesemporsteigt. Ach, möge die heilige Jungfrau uns durch ihre Gebete indieser heiligen Liebe leben lassen, die auf immer das einzige Ziel unse-res Herzens sei. Möge unsere Einheit ewiglich die göttliche Liebe ver-herrlichen, die den heiligen Namen „einigend“ trägt (s. Dionys. Areo-pag, De Div. Nom C IV).

Ich bin nicht so glücklich, am selben Tag auf Erden erschienen zusein, an dem die hochheilige Jungfrau, unsere Königin, im Himmel er-schien, in ihrem köstlichen Gewand aus golddurchwirktem Tuch mitfeinster Nadelarbeit vielfach übersät (Ps 45), wie wir am Sonntag betenwerden, an dem ich geboren wurde. Man kann diesen wohl als einenbesonders glanzvollen Sonntag bezeichnen, da er in die Oktav dieserhehren Aufnahme in den Himmel fällt. Ach Gott, meine sehr teureMutter, wie tief will ich doch unser Herz beugen vor dieser hocherhabe-nen Frau, auf daß es ihr gefalle, dieses Herz mit jenem überreichen,duftenden Tau vom Hermon (Ps 133,3) zu beschenken, den ihre heiligeGnadenfülle allseits verbreitet.

O, welch höchste Vollkommenheit ist doch dieser Taube zu eigen(Hld 6,8), im Vergleich zu der wir nur Raben sind! Ach, in der Sintflutunseres Elends habe ich gewünscht, sie möge den Ölzweig (Gen 7,10.11)der heiligen Liebe, der Reinheit, Milde, des Gebetes finden, um ihn alsFriedenszeichen ihrem lieben Tauber, ihrem Noach zu überbringen.

Es lebe Jesus, es lebe Maria, der Halt meines Lebens. Amen ...

Annecy, 7. September 1616.... Meine sehr teure Tochter, ich lebe in der Hoffnung, – wenn meine

Undankbarkeit mir nicht das Paradies verschließt – eines Tages in denfrohen Besitz der ewigen Herrlichkeit durch heiliges Wohlgefallen zugelangen. Auch Sie werden an dieser ewigen Herrlichkeit Wohlgefallenim frohen Besitz empfinden, nachdem Sie in diesem Leben in heiligerWeise das Kreuz getragen haben, das der Heiland Ihnen auferlegt hat.Dieses Kreuz besteht ja in der Sorgfalt, ihm treu zu dienen in Ihrer

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Person und in der Person so vieler lieber Schwestern, die er als IhreTöchter an seinem Herzen haben will.

Ich grüße sie, diese mir so teuren Töchter, in der Liebe der hochheili-gen Jungfrau und lade sie ein, während dieser heiligen Oktav jeden Mor-gen auf ihre Wiege Blumen zu streuen; viel heiliges Bemühen, sie rechtnachzuahmen, Gedanken, ihr auf ewig zu dienen, und vor allem Lilienund Rosen der Reinheit und glühenden Liebe mit den Veilchen derhochheiligen und sehr ersehnenswerten Demut und Einfachheit ...

Grenoble, den 3. Dezember 1616.Da hat nun dieser Vater wieder nur drei Worte für Sie, denn, meine

sehr teure Mutter, er hat wahrhaftig keine Zeit für mehr. Er beginnt ebennur, mit diesem Volk hier vertraut zu werden. Demnächst wird er Ihnenschreiben, wenn er Ihnen etwas Trostreiches mitteilen kann, denn ichversichere Ihnen, meine sehr teure Mutter, daß der arme Vater Sie imHerzen trägt wie seinen eigenen Geist ...

Grenoble, 8. Dezember 1616.Immer, wenn ich kann, schreibe ich Ihnen, meine sehr teure Mutter,

und dies ist der vierte Brief, ebenso kurz wie die anderen, wie er ebenzwischen zwei Predigten geschrieben werden kann. Eine davon habe ichsoeben in der Kathedralkirche gehalten, deren Patronin Unsere liebeFrau ist. Die andere werde ich in drei Stunden in einer Kirche außerhalbder Stadt über den vollkommenen Ablaß halten. Mit den Predigten gehtes gut. Gestern begannen wir, von 15 bis 20 meist sehr frommen DamenBeichte zu hören, und ich sehe bereits, scheint es mir, einige Frucht fürdie Fastenzeit voraus. Das sind unsere Neuigkeiten und ich segne Gottfür die Ihren ...

Ich grüße die Gäste, die Sie hatten, als Sie Ihren Brief schrieben, wennSie sie wiedersehen, Frau von Monthouz und die anderen, ebenso vorallem meine liebe Marie-Aimée, meine gewiß besonders teure Schwe-ster; ich bitte Gott, sie und ihren Kleinen zu beschützen.

Gott sei auf ewig unsere Liebe, meine sehr teure Mutter, und überhäu-fe Sie mit seiner hochheiligen Freude. Amen. In ihm bin ich ganz unduneingeschränkt der Ihre und, da es ihm so gefallen hat, wie Ihre eigeneSeele, wie Sie selbst ...

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Annecy, (1616).Was kann man einer Seele, die Gott schon vor so langer Zeit dazu

angezogen hat und sie ständig weiter dazu anzieht, sich im Schoß seinerVorsehung auszuruhen, anderes sagen als: Verweilen Sie hier, meineTochter, halten Sie sich im geheimsten Winkel dieses heiligen Zeltes(Ps 27,5) auf und lassen Sie sich unumschränkt lenken nach dem Willendessen, der geruht, für Sie Sorge zu tragen. Haben Sie nur die Sorge, ihmzu gefallen durch diese völlige Abhängigkeit von seiner Liebe und durchdas völlige Vertrauen auf diese und die liebevolle Wachsamkeit darauf,daß seine lieben Bräute in der Reinheit seines göttlichen Dienstes durchgenaue Observanz vorwärtsschreiten. Seien Sie äußerst aufmerksam aufSanftmut und Geduld, ohne Angst, in diesen heiligen Tugenden zu weitzu gehen. Seien Sie hochherzig, froh und liebevoll in dieser Übung undSie werden darin überreichlich die Gnaden unseres guten Gottes fin-den. Ich bitte Ihn darum von meiner ganzen Seele, die die Ihre rechtvollkommen liebt.

Beten Sie für den, der vorbehaltlos ganz der Ihre ist. Gott sei gebene-deit! Amen.

Seien Sie immer freudig in jener friedvollen und frommen Freude,deren Grundlage die Liebe zur Selbsterniedrigung ist, und hegen Sieeine liebe- und friedvolle Herzensdemut, die Sie dazu führt, alle Artenvon Leiden und Erniedrigungen willig anzunehmen, als ob Sie nichtsanderes verdienten.

Annecy, Anfang Januar 1614-1617.Gott sei gedankt, meine sehr teure Mutter; außer jetzt, da ich Ihnen

diesen Brief zu schreiben beginne, habe ich diesen ganzen Tag nichtsgetan, was meiner Neigung entsprochen hätte. Seine göttliche Majestätmöge mir wohl beistehen, damit diese kleinen, aber häufigen Unan-nehmlichkeiten mich recht ordentlich abtöten.

Ich bin getröstet, Ihre heilige Witwe Paula als Patronin100 zu haben;Gott erweise uns die Gnade, in unserer Einheit so recht diese heiligeWitwe und ihren lieben Vater nachzuahmen. Bleiben Sie in Frieden,meine sehr teure Mutter, und ruhen Sie Ihr Herz an der Brust des Hei-lands aus.

O Gott, auf wieviel müssen wir doch verzichten zur Verherrlichungdieser großen göttlichen Liebe! Das ist aber nichts im Vergleich zu die-sen apostolischen Männern und Frauen der alten Kirche.

Ich bin ganz einzig der Ihre, meine sehr teure Mutter. Es lebe Jesus! ...

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Annecy, 23. Januar 1617.Meine sehr teure Tochter!

Es hat mich gefreut, von Ihnen zu erfahren, daß heute Ihr Geburtstagist, denn ich dachte nicht daran. Ijob (3,3) wünschte, der Tag seinerGeburt möge gestrichen werden; ich aber wünsche, daß der Tag, der dieGeburt meiner sehr teuren Mutter gesehen hat, unter die glücklichenund in alle Ewigkeit gesegneten Tage gezählt werde. Doch sollen dieseunsere Geburtstage uns demütigen, indem sie uns das Nichts sehen las-sen, aus dem wir kommen, und sie sollen uns zugleich Mut geben, indemsie unser Augenmerk auf das Ziel richten, für das uns Gott einst in dieWelt treten ließ.

Grenoble, 9. Februar 1617.Dieses Brieflein soll meiner sehr teuren Mutter sagen, daß ich ihr

Herz wie mein eigenes und ihre Seele wie meine eigene lieb habe. Manbeginnt hier immer mehr von einem Kloster der Heimsuchung zu spre-chen und der vorübergehende Aufenthalt unseres guten Predigers hatgroßes Verlangen danach geweckt; wir werden ja sehen, was daraus wird.Ich habe heute, so verheißungsvoll wie noch nie, mit den Predigten be-gonnen; nur schien es mir, daß ich mittendrin etwas heiser war.

Mein Herz hat tausend gute Wünsche, der göttlichen Liebe gut zudienen. Was kann ich Ihnen mehr sagen, meine sehr teure Mutter, alsdaß Sie ganz freudig bei dieser himmlischen Aufgabe bleiben sollen, zuder uns Gott so oft und eindringlich eingeladen hat.

Sie werden die gute Frau von Chatelard bei sich haben, die ich sehrlieb habe, weshalb sie mir auch eine herzliche Zuneigung bewahrt hat;sie wird zweifellos Hilfe und Unterstützung brauchen. Ich werde, meinesehr teure Mutter, unseren Schwestern von Moulins schreiben, zweifelnSie nicht daran.

O, möge der Name unseres Herrn ewiglich in unserem einzigen Her-zen geheiligt werden (Mt 6,6). Amen.

Ich grüße unsere Schwestern herzlich, und wenn die Frau Gräfin daist, grüße ich sie ganz besonders, und meine lieben Töchter, welche dieIhren sind. Sie wissen auch, wie herzlich ich meine Tochter de la Fléchèregrüße. Ach, meine arme liebe Schwester Marie-Aimée, diese meine ganzteure Tochter, darüber brauche ich wohl nichts zu sagen; und Fräuleinvon Chantal ist auch meine liebe Tochter.

Ich bin, wie Sie gewiß selbst wissen, ganz der Ihre.

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Grenoble, 12. März 1617.Das ist nur ein kurzes Brieflein, meine sehr teure Mutter, das Sie

heute von mir erhalten; Gott gibt mir tausend Dinge zu tun und bewahrtmich doch in der heiligen Einheit, die seine Hand in uns geschaffen hat.

Ich habe nie ein gelehrigeres und mehr zur Frömmigkeit neigendesVolk gesehen als dieses hier; vor allem die Damen sind hier sehrfromm,101 denn hier wie überall überlassen die Männer den Frauen dieSorge um den Haushalt und um die Frömmigkeit. Zwölf aus den erstenFrauen der Stadt sind meine Töchter geworden und arbeiten daran, hierein Haus unserer kleinen Heimsuchung zu erreichen. Der Bischof unddie Herren vom Parlament zeigen keinerlei Widerstand, noch ich ir-gendwelche Eile, obgleich ich – offen gesagt – dieses Haus wünsche,weil ich hoffe, daß Gott darin verherrlicht wird.102 In seiner Vorsehungsehe ich die eigentlichen Mittel zur Ausführung dieses Planes, und dochhabe ich noch nicht den inneren Antrieb, den Anfang zu machen. Wirmüssen warten, beten und hoffen, und vor allem uns so recht vor dergöttlichen Majestät demütigen ...

La Roche, 24. Juni 1617.Wahrlich, meine sehr teure Mutter, ich bin zutiefst betrübt über die

Erkrankung dieser armen lieben Tochter,103 die es gewiß verdient, rechtgeliebt zu werden. Wir müssen nun abwarten, was Gott tun wird, unddas nicht bloß auf uns nehmen, sondern es auch, so sehr wir können,willig und gerne annehmen. Ich hoffe, daß er sie uns lassen wird; es gibtso viele andere, die, von dieser Krankheit befallen, dem Tod entronnensind und weniger Beistand hatten als sie. Dennoch sage ich: der WilleGottes geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden (Mt 6,10).

Wenn sie dem Tod nahe wäre, könnte man sie die Gelübde ablegenlassen einfach dadurch, daß man ihr die Hingabe an Gott und die Ge-lübde vorliest, die sie dann bejahen würde, wenn sie diese nicht selbstaussprechen könnte. Man könnte sie in der Kirche begraben, denn durchdie Einsegnung der Fundamente anläßlich der Grundsteinlegung ist siegeweiht genug. Man müßte den Vikar von St. Moritz und drei bis vierPriester mit ihm kommen lassen, um ihr das Totenamt zu lesen undeinfach vier weiße Kerzen an die vier Ecken des Leichnams stellen. Siekönnten dem Vikar einen Dukaten und jedem der anderen Priester achtSolz spenden, damit sie Messen für die Verstorbene lesen. Hinsichtlichalles übrigen werden Sie sich beraten müssen. Ob sie aber nun lebenoder sterben soll, ich werde ihr jedenfalls in der Heiligen Messe, die ich

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jetzt feiern werde, den heiligen Segen Gottes und seiner Kirche erteilen.O meine sehr teure Mutter, Herz, Geist und Seele sind in uns tief

bewegt, da ich dies schreibe, denn ich liebe alle unsere Töchter sehrherzlich und diese mit besonderer Zärtlichkeit. Sie aber vor allem sol-len sich erleichtern, indem Sie Ihren Tränen freien Lauf lassen; ruhenSie sich genügend aus und lenken Sie sich so ruhig als möglich ab; neh-men Sie öfters in Wein und heißem Wasser aufgeweichte Trauben zusich. Kurz, tragen Sie Sorge, sich dort bei Gesundheit zu halten, denn fürhier brauchen Sie keinen Zweifel hegen; ich bin ein Mensch, bei demnichts zu befürchten ist, außer wenn ich es selbst sagen würde.

Meine sehr teure Mutter, grüßen und segnen Sie tausendmal diese mirso liebe Tochter und die Schwester Marie-Michèle. Gott sei immerdarunser Alles und sein Wille unsere Liebe. Amen.

Wenn das Wetter sich nicht beruhigt, kann man wegen der Sturzbächenicht abreisen; sobald sich aber das Wetter gebessert hat, werde ich dasSchreiben befördern lassen.

Viuz-en Sallaz, 29. Juni 1617.Ich bin immer gut beisammen und befinde mich hier und überall

wohl; da ist nichts zu befürchten, meine sehr teure Mutter. Wie aber sollich es verhindern, wegen Ihrer Gesundheit in Sorge zu sein, während ichhier bin? Sprechen Sie um Gottes willen nicht viel, machen Sie es sichleichter und halten Sie Geist und Herz ein wenig in Ruhe; denn Siehatten Ihren ersten Anfall nach dem Vertrag mit Herrn de la Roche,104

bei dem Sie nicht ohne Aufregung gesprochen haben, und dann kamüber Sie die Plage mit den Kranken und führte den zweiten Anfall her-bei. Sie sollen gewiß arbeiten, meine sehr teure Mutter, aber ganz gelas-sen, ohne Aufregung und ruhig.

Ich bin froh, daß es unseren armen Töchtern ein wenig besser geht,denn ich liebe alle mit einem mehr als väterlichen Herzen, und Siewissen, daß ich besonders diese arme Marie-Gasparde jederzeit und jetzt,da sie krank ist, mit noch zärtlicherer Liebe liebe. Wir werden weiterhinfür alle beten lassen.

Ich habe über dieses arme Mädchen105 nachgedacht, von dem ich Ih-nen geschrieben hatte. Wenn sie sich bei Ihnen zurückziehen will, umsich zu entscheiden, muß man sie nicht bloß aufnehmen, sondern ihrauch – wenn möglich – entgegenkommen. Wer kann wissen, ob Gottsich nicht ihrer erbarmt und ihr verzeihen wird? Ihr schlechtes Naturell

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schreckt mich nicht zurück, denn unser Herr macht manchmal KinderAbrahams aus Steinen (Mt 3,1). Die Bekehrung hängt nicht von derNatur, sondern von der Gnade ab. Ich sehe wohl ein, daß ihr Kommenmanche Unannehmlichkeit mit sich bringen wird, vielleicht aber eineglückselige Unannehmlichkeit, die man in Kauf nimmt, um den Frem-den durch geistige Gastfreundschaft aufzunehmen. Vor meinen Augensteht da der hl. Petrus, der Fürst der Büßer, der sich dann den Sünderngegenüber so milde zeigte, als er selbst keiner mehr war.

Ich sorge mich sehr um die andere liebe Tochter,106 die wir schon ausLiebe zu ihrer Mutter so lieb haben. Ich weiß nicht recht, wie ich mitihrer Mutter darüber reden soll, der es sehr leid sein wird, da sie vondieser Art so weit entfernt ist. Ich werde mich bemühen, sie zur Beichtezu bringen und ihr zu helfen, daß sie eine gute Beichte ablegt; denn dasallein vermag sie zu befreien. Wahrlich, meine sehr teure Mutter, es gibtwenig Reinheit in dieser Welt, außer der, welche die Buße und das from-me Leben bewirkt.

Ich schreibe Ihnen also, meine sehr teure Mutter, bei allen Gelegen-heiten, da mein Herz und mein Leben in der Freude nur bleiben könnendurch die Einheit, die es Gott aus uns zu machen gefallen hat, damit wirewig die Seinen wären.

Frau de la Fléchère aus dieser Gegend, die gestern ihre Beichte able-gen kam, küßt Ihnen tausendmal die Hände. Sie ist eine Heilige; siewünscht sehr, Sie aufzusuchen und Ihnen ihre Tochter zuzuführen, dieso brav ist, wie ich es mir wünsche. Sie ist 19 Jahre alt und nach demHörensagen neigt sie ein wenig dazu, der Heimsuchung anzugehören.Diese gute Mutter, die darauf brennt, meint, daß es ihren Entschlußreifen lassen wird, wenn sie alles sieht.107

Gott bewahre Sie, meine sehr teure Mutter, und erfülle immerdarunsere einzige Seele mit seiner hochheiligen Liebe. Amen.

In Viuz, am Tage der beiden heiligen Liebenden, der Heiligen Peterund Paul.

Thonon, um den 8. Juli 1617.Meine sehr teure Mutter!

Der Herr Präsident und Herr de la Valbonne schrieben mir mit soaußergewöhnlicher Liebe von Fräulein von Beauvillars, daß ich glaub-te, sie weder abweisen zu können noch zu dürfen in Anbetracht dessen,daß dieser gute Herr unser Haus in Annecy in allen Fällen fördernkann und will, in denen die Kongregation es brauchen könnte. Lesen

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Sie bitte den Brief, den ich geschrieben, und jene, die ich erhaltenhabe, aus denen Sie – wie ich glaube – ersehen werden, daß wir nichtzögern können.

Ich sehe wohl ein, daß ich mich in St. Katharina, wo man ihr einenPlatz sicherte, werde entschuldigen müssen, da selbst die liebe Tochtersich von jeder anderen Aufgabe freigemacht hat, um sich diesem Mäd-chen zu widmen; aber das werde ich viel eher in Ordnung gebrachthaben als meinen Geist, wenn ich möglicherweise irgendwie dem HerrnPräsidenten mißfallen hätte. Gott wird, das glaube ich, alles zum Gutenwenden, und wenn das Mädchen lesen und schreiben kann und so gutbeschaffen ist, wie man sagt, dann wird die Unannehmlichkeit nicht sogroß sein. Der Pfarrer von Bons, der Herrn von Beauvillars kennt, sagtviel Gutes über sie.

Aber da ist noch etwas anderes. Die Frau von Puits d’Orbe kommt,und ich kann keineswegs die hier auf mir lastenden öffentlichen und zumeinem Amt gehörigen Aufgaben im Stich lassen. Dabei würde ich,wenn ein Tag genügte, diese Tochter zu sehen, mich bemühen, rasch zuihr zu gehen und wieder zurückzukommen; da aber, wie Sie wissen,diese Frau sich schwer aufschließt, so braucht dies Tage und wiederTage. Meine arme, sehr teure Mutter, mein Leben (eigentlich wollte ich„meine Freundin“ schreiben, aber auch das klingt nicht übel); also schrei-ben Sie mir, meine sehr teure Mutter, was ich Ihrer Meinung nach tunkönnte und sollte.

Mein Gott, diese arme Tochter aber, die ich so liebe, hatte so unrecht,scheint es mir, Herrn von Sauzéa108 in Lyon aufzusuchen; denn selbstwenn er ein Heiliger wäre, sollte man nicht von einem solchen BesuchAbstand nehmen, da der Herr Präsident und der Baron d’Origni ihn soverabscheuen? Nun aber kann man nichts dagegen machen; darum schen-ke uns Gott solch väterlich-mütterliche Gefühle, damit es uns nichtanwidert, diesen Kindern bei all ihren Kindereien beizustehen.

Benützen Sie im übrigen zur Gänze unser Haus, um sie zu empfangen,und alles, was in ihm ist, wenn Sie für richtig halten, sie hier unterzu-bringen. Im großen und ganzen weiß ich nicht, was ich Ihnen sagen soll;Sie kennen mein Herz wie Ihr eigenes; tun Sie, was Sie als richtig erken-nen. Ach, wenn das kleine Haus des Herrn Fiskalprokurators109 geräumtwäre, ginge es bequem; zumindest gäbe es weniger Unannehmlichkei-ten.

Da ist auch noch jenes andere Mädchen von Bons, das vielleichtkommt; also viel Wirbel. Aber alles wird sich zum Guten wenden und

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nach den Schmerzen der Geburt freut man sich des Guten, das darauserwächst. Die vielen Gelegenheiten, Gutes zu tun, stehen manchmalanstelle des Kreuzes; das ist aber das angenehmste Kreuz. Die Krämpfe,Wehen und Schmerzen bei der Geburt sind gewiß beschwerlich; dieUnfruchtbaren aber würden sie der Traurigkeit ihrer Unfruchtbarkeitvorziehen.

Unsere Kranken haben mich durch ihre Genesung sehr erfreut unddiese geistig Kranken würden uns noch mehr erfreuen, wenn sie gesundwürden. Man kann nicht lieben, ohne zu leiden, aber das Leiden istliebenswert, wenn man liebt (Augustinus).

Was mir hinsichtlich der Tochter der kleinen Schwester Sorgen macht,ist, daß ich ihre und auch ihres Kammermädchens Beichte gehört habe,und obgleich ich von dieser Seite nichts von dem weiß, was man spricht,so muß doch vermieden werden, daß man solches nur denken könnte.Gott möge mich recht leiten, denn mir liegt dies sehr am Herzen.

Annecy, 30. Juli 1617.Ich bin also, meine sehr teure Mutter, Gott sei Dank, bei sehr guter

Gesundheit angekommen. Wenn es ihm gefällt, werde ich heute Nachtgut schlafen und Ihnen getreulich gehorchen. Ich glaube aber, daß ichmorgen trotzdem zeitig aufstehen werde; zu groß ist das Vergnügen,diese köstliche Tageszeit zu genießen; und muß ich dann nicht Ihre Messelesen, da der Rest des Tages dem Offizium unseres großen Festes ge-hört? Auch habe ich den sehnlichsten Wunsch, Sie wiederzusehen undmeine sehr liebe kleine Schwester mit unseren Töchtern.

Gott sei immerdar inmitten unseres einzigen Herzens. Amen.

Annecy, 5. September 1617.Ach, meine sehr teure Mutter, wenn ich es wagte, würde ich kom-

men;110 lassen Sie es mich wissen, wann es angezeigt ist. Wahrlich, mei-ne Seele ist tief betrübt. Möge Gott uns durch seine Güte die Seeledieses Kindes und das Leben seiner Mutter geben, die ich in meinemHerzen als meine arme, ganz liebe, kleine Tochter hege.

Annecy, 5. September 1617.Meine sehr teure Mutter!

Ich war im Begriff, Sie aufzusuchen und in Ihrer Kirche die Messe zulesen; was man mir aber vom schlechten Wetter gesagt hat, hielt michzurück; außerdem scheint es mir, daß ich jetzt noch nicht hingehen sollte.

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Annecy, (15.-31. Oktober) 1617.Meine sehr teure Mutter!

Ich kann nicht umhin, ein wenig in Sorge zu sein wegen Ihrer so unge-legen gekommenen verdrießlichen Angelegenheit; aber man muß be-harrlich und fest unter dem Kreuz sein, und selbst am Kreuz, wenn esGott gefällt, uns dahin zu bringen. Selig die Gekreuzigten, denn siewerden verherrlicht werden.

Ich glaube zu wissen, daß Herr Colom111 in doppelter Absicht kommt.Gestern fragte er mich, wie meine Schwester im Testament verfügt hätte,und ich sagte es ihm offen.

Er sprach in äußerst merkwürdigen Ausdrücken über die geplante Hei-rat des Herrn von Foras112 und behauptete, er sei beauftragt, zu Ihnen undmeiner Tochter darüber zu sprechen. Aber diese Worte gehen von derfalschen Voraussetzung aus, daß man an Sie und Fräulein von Chantal denAntrag gestellt habe und so die Zustimmung des Bruders und Onkelsübergehen wolle. Ich sagte, daß keinerlei Antrag gestellt worden sei, son-dern nur hie und da einige Andeutungen gemacht wurden, die keine Ant-wort erforderten, welche auch nicht gegeben worden war.

Erleichtern Sie sich, meine sehr teure Mutter, so gut Sie es können.Ich werde Sie bestimmt aufsuchen. Gott sei immerdar inmitten unseresHerzens. Amen.

Grenoble, 4. Dezember 1617.Gott behüte Sie in seiner Güte, meine sehr teure Mutter. Mein Herz

grüßt Sie über alle Maßen und stellt die Liebe zu Ihrem Herzen stetsüber alle anderen Gefühle der Zuneigung. Möge meine sehr teure Mut-ter immerdar gesegnet sein! Es lebe Jesus!

4. Dezember 1617 in Grenoble, ohne viel Zeit.Meiner sehr teuren Mutter ...

Grenoble, 8. Dezember 1617.Drei Worte an meine sehr teure Mutter im Namen der hochheiligen

Dreifaltigkeit. Ich habe fröhlich wie ein kleiner Vogel meine Kanzelbestiegen, wo ich mein Lied freudiger als sonst zur Ehre des großenGottes gesungen habe, der doch mein Leben vom Tod erlöst hat undmich krönen wird in seiner Barmherzigkeit und seinem Erbarmen (Ps103,4). Ja, meine liebe Tochter, der hl. Paulus sagt doch zu seinen Kin-dern: „Meine Freude und meine Krone“ (Phil 4,1), gefügt aus Werkengöttlicher Barmherzigkeit. Gehören wir immerdar ganz Gott an, segnen

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wir seinen heiligen Namen und richten wir in unserer Seele den Thronseiner heiligen Liebe auf; diese wird leben von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gott sei also auf ewig gepriesen, der uns in all unserer Drangsal tröstet(2 Kor 1,3.4). Gott sei immerdar gebenedeit und möge immer mehr dieHoffnung festigen, die er uns auf die Genesung meiner sehr teuren Mut-ter und Tochter schenkt. Gott sei gepriesen und gebe mir die Gnade,ihm einigen Dienst zu leisten, hier und überall, wohin mich zu rufenihm gefallen wird, vor allem in meiner Diözese, da er mich in seinerGüte damit betraut hat, und auf die mein Herz allezeit gerichtet ist,wohin ich auch immer gehe. Die hochselige Jungfrau sei auf ewig ver-ehrt, sie, die Unsere liebe Frau und Königin der Liebe ist (Sir 24,24).Heute ist ihr erstes Fest, das für mich ein Gedenktag ist;113 ich kommeaus der Kirche der Patres Rekollekten, die dem heute gefeierten Ge-heimnis geweiht ist.

O Gott, Heiland unserer Seele. Du Tag der ewigen Klarheit, gib die-sen Tag und weitere zehntausend gute und wertvolle, heilige und ange-nehme der geliebten Tochter, die nach Deinem Willen mein ist undmeinem Herzen teurer als ich selbst ...

Grenoble, 9. Dezember 1617.... Ich konnte dem göttlichen Arzt, der Sie geheilt hat, nicht besser

meinen Dank entgegenbringen als durch die Hände Unserer lieben Frau,seiner Mutter Maria, die makellos empfangen, unsere teure und obersteHerrin ist. Darum habe ich mich auch gleich nach meiner bescheidenenkleinen Predigt zu meiner Erholung in ihre Kirche der Rekollektenzurückbegeben, um die Messe zu feiern, während der Unsere heiligeliebe Frau mich in ihrer Gnade so wohlwollend anzublicken geruht hat,daß ich hoffe, manchmal hierher zurückkehren zu können, um sie anzu-flehen, sie möge die sehr teure Mutter, deren Heilung sie mir zweifelloserwirkt hat, lange Zeit am Leben erhalten ...

Annecy, 24. Januar 1618.Meine sehr teure Mutter!Als man mich von Ihnen wegholte, geschah es wegen des Herrn von

St. Katharina.114 Ich dachte schon, es wäre ein Anfall wie damals; esgeschah aber, um ihn zehn- oder zwölfmal in heiligmäßiger Gesinnung„Es lebe Jesus“ sagen und beteuern zu lassen, daß er all seine Hoffnungauf den Tod unseres Herrn setze; das hat er auch mit viel Kraft und Glutgetan und ist dann im Schutz des großen hl. Paulus dahingegangen, wo-

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hin zu gehen wir alle streben. Gott, der ihn uns zu seinem Dienst gege-ben hat, hat ihn uns zu seiner Verherrlichung genommen; sein heiligerName sei gebenedeit (Joh 1,21).

Bleiben Sie indessen in Frieden mit meinem Herzen, zu Füßen derVorsehung des Heilands, für den wir leben und dem wir mit seiner Gna-de sterben werden. Gott wird diesen Verlust wieder ausgleichen und unsArbeiter schicken anstelle dieser beiden,115 die aus seinem Weinbergabzuberufen ihm gefallen hat, um sie an seine Tafel zu setzen (Lk 22,30).Halten Sie also Ihr Herz in Frieden, denn das soll so sein; und weinenSie, wie die Schrift sagt (Sir 22,11), ein wenig um die Dahingegangenen,loben Sie aber Gott doch wiederum mit Freude, da doch unsere Hoff-nung lebendig ist. Amen ...

Grenoble, 11. März 1618.Endlich haben wir, meine liebe Tochter, mit unseren guten Damen

soeben die Errichtung unseres Klosters festgelegt. Alle stimmten freu-dig diesem Plan zu; unsere gute Präsidentin Le Blanc hegt heiligen Eiferdafür und ich die frohe Hoffnung, daß Gott ihr Vorhaben segnen wird,wenn wir so glücklich sind, uns gebührend vor ihm demütigen zu kön-nen, der sich in unserer Kleinheit gerne verherrlichen will.

Ich bitte Sie, meine sehr teure Mutter, behutsam unsere kleinen „Bien-chen“ vorzubereiten, damit sie beim ersten schönen Wetter ausfliegenkönnen und in den neuen Bienenstock arbeiten kommen, für den derHimmel schon Tau vorbereitet ...

Grenoble, 15.-Ende März 1618.... Die Schwester Anne-Françoise muß ihrem Wunsch entsagen, in

Annecy bleiben zu dürfen, weil sie eine gute Stütze sein wird für dieBeobachtung der Ordensregel und eines Tages selbst eine gute Oberindes Hauses zu Grenoble ...

Annecy, 30. April 1618.An die Mutter von Chantal zu Grenoble.

Es verlangte mich sehr, meine sehr teure Mutter und mehr als teureMutter, Ihnen von hier zu schreiben, wo ich, Gott sei Dank, bei guterGesundheit angekommen bin. Wie aber, ich bitte Sie, vermag ich diesbei all diesem Kommen und Gehen von Besuchen und bei dieser Ange-legenheit, die Piemont und Italien betrifft und die ich hier vorgefundenhabe? Ich konnte erst zweimal unsere lieben Schwestern, die sich sehr

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gut machen, aufsuchen. Schwester Anne-Marie116 ist sehr fromm undbrav, woran Sie nicht zweifeln werden; Schwester Paul-Hieronyme wirktausgezeichnet, und Ihre Wirtschaftsschwester verwaltet ausgezeichnetbis auf das, daß Schwester Anne-Jaqueline117 immer savoyardisch undvon savoyardischem Geld mit ihr spricht, was sie nicht versteht; dabraucht es Dolmetscher.

Gestern erlaubte ich der Schwester Luise-Marie, in Gesellschaft derSchwester Anne-Marie ihre Mutter aufzusuchen, weil man diese nichtzur Beichte bewegen konnte, obwohl sie in so großer Gefahr schwebte,daß die Ärzte glaubten, sie würde noch in dieser Nacht sterben; bisherist dies noch nicht eingetreten, obwohl man meinte, sie würde es nichtmehr lange machen. Man hat ihr gegenüber auch die 800 Gulden er-wähnt, die sie dem Haus versprochen hatte, aber sie hat dies aufgescho-ben, bis sie es ohne Wissen ihres Mannes tun könne; man läuft alsoGefahr, dieses Geld einzubüßen.118

Die Patres des hl. Dominikus scheinen mir mit ihrem Garten eineGefälligkeit erweisen zu wollen, ohne uns zu zwingen, den Garten derBarnabiten zu beanspruchen; aber ich sehe noch nichts gesichert.

Das „uns“ und „unser“ mißfällt mir nicht, doch muß man es schoninsoweit einschränken, daß man nicht, allzusehr an eine solche Sprech-weise gewöhnt, es auch auf die Fehler, Sünden und Unvollkommenhei-ten ausdehnt und so die Beichten für fremde Beichtväter unverständlichmacht. Es scheint mir, daß es genügen wird, „uns“ und „unser“ bei allenDingen zu sagen, die wirklich gemeinsam sind, wie: unser Zimmer, un-ser Rosenkranz, unsere Arbeit, unser Herr, unsere Mutter, unsere Übung;denn man kann wohl sagen: Ich habe nicht unsere Morgenübung ver-richtet, ich habe nicht an unserem Essen teilgenommen, ich habe inunserem Bett nachgedacht und ähnliches.

Wenn Msgr. von Chalcedon119 die Schwester von Collesieu von derersten Probezeit dispensieren will, um nicht ihre Einkleidung bis nachIhrer Abreise aufzuschieben, soll man für diesmal die Dispens anneh-men, ihn aber nachher bitten, eine solche Dispens nur aus gewichtigenGründen zu erteilen, da die Regel, die diese Probezeit vorschreibt, fürdie Kongregation sehr nützlich und heilsam ist.

Ich habe zu Schwester Anne-Marie geschickt, um das Duplikat desVertrages mit dem Ersten Präsidenten120 zu haben.

Übrigens, da wir gerade vom Ersten Präsidenten sprechen: Seine Frauhat mir anläßlich der Durchreise durch Chambéry zu verstehen gege-ben, er wünschte sehr, seine Tochter möchte in Turin eingesetzt werden,

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wenn man sie leicht von Lyon versetzen kann, was ich nicht glaube. Herrde la Roche sprach zu mir in gleicher Weise wegen seiner Tochter. Siesehen also, meine liebe Tochter, daß ein wenig menschliche Überlegun-gen bei diesen guten Eltern mitspielen; nichtsdestoweniger sage ich Ih-nen alles, damit Sie es für Ihre Rückkehr in Erwägung ziehen und über-legen. Vielleicht wird man Schwestern von hier nur leihweise auf kurzeZeit verlangen. Aber lassen wir das.

Ich sprach mit Herrn Carra, der in keiner Weise auf die Aufnahmeseiner Tochter drängt und dem es gleichgültig ist, ob dies an diesem oderjenem Tag geschieht. Schwester Françoise-Marguerite wird, scheint esmir, ihr Probejahr erst am Vorabend des hl. Claudius, zugleich mit derSchwester Michel und der Schwester Claude-Jaqueline beendet haben.

Ich würde es sehr bedauern, wenn die Heirat des Herrn von Chantalnicht nach Wunsch der Beteiligten ausginge,121 wundere mich jedochnicht, wenn die gute Frau Liotard etwas weniger offen vorgeht, als wir esunsererseits getan haben, denn sie hat vielleicht noch nicht ganz dieweltlichen Kleider abgelegt,122 noch die Gewohnheit aufgegeben, nachder Klugheit dieser Welt zu sprechen. Ich wäre daher recht froh, imgroßen und ganzen zu wissen, wie alles vor sich ging, wobei ich michdieser Neugierde nicht erwehren kann schon im Hinblick darauf, daßich unseren Celse-Benigne und gewiß auch jenes Mädchen zufriedenge-stellt wünsche, die ich um der Liebe meiner sehr teuren Mutter willenliebe, als ob sie meine eigenen Geschwister wären.

Ich bin sehr gerne damit einverstanden, daß Schwester Péronne-Ma-rie drei-, ja viermal und öfter in der Woche bis zur Herausgabe derRegeln kommunizieren darf und daß immer eine Schwester mit ihr kom-muniziert. Wenn sie es nicht tut, soll eine Schwester die heilige Kom-munion empfangen, sodaß alle Tage immer eine heilige Kommuniongespendet wird. Ich werde immer mehr in dem Wunsch bestärkt, den ichIhnen mitgeteilt habe, daß in dieser Kongregation die Kommunion täg-lich von einigen Schwestern der Reihe nach empfangen werde, im Hin-blick auf das Verlangen des heiligen Konzils von Trient, daß bei jederMesse jemand kommuniziere (Sess. XXII de sacrif. Missae, C. VI), wasich in den Regeln noch ausführlicher darlegen werde (siehe Satzg. XX).

Ich glaube fest, daß Schwester Barbe-Marie123 mich sehr lieb hat undnicht zu Unrecht, auch nicht Frau von Granieu, die mir wirklich wert-voll ist.

Ich habe zu Schwester Françoise-Marguerite geschickt, damit die 1000Dukaten in Dole festgehalten werden.124 Man quält mich hier sehr we-

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gen Ihrer Fahrt durch Lyon, weil sie Ihnen schaden könnte, sagt man.Deshalb bitte ich Sie, sorgsamst auf sich achtzugeben, denn glauben Siemir, daß nach der Heiligkeit unserer Seele mir nichts so teuer ist wie dieGesundheit meiner Mutter. – Ich denke, daß ich über die geschäftlichenAngelegenheiten alles gesagt habe.

Lassen Sie sich nur die Briefe mitteilen, die ich Schwester Barbe-Marie geschrieben habe, denn meiner Meinung nach sind recht gutedarunter. Da Sie alles haben wollen: ich habe einmal einen guten Briefan Frau von Vissilieu geschrieben und werde, wenn ich Zeit habe, nocheinen anderen an Frau de la Baume schreiben und ihn mit offenemSiegel Ihnen schicken. Er soll versiegelt werden, ich weiß nicht warum,aber es ist wahr, daß die geheimen Ratschläge mehr ans Herz rühren, bisman einmal im Verzicht auf die Eigenliebe weiter fortgeschritten ist.

Ich grüße unvergleichlich väterlichen Herzens alle unsere lieben Töch-ter, die ich alle Tage mehr liebe; ich meine, daß ich dies ihrem Eifer,Gott gut zu dienen, schulde. Kurz, ich vertraue Ihnen wie mir selbst, daßSie diesen gesegneten Seelen, die mich um der Liebe zu unserem Hei-land willen lieben, gebührend Ehre und Liebe erweisen.

Die Briefe, die ich an Frau de la Baume, Frau von Pisancon und anFrau Odoyer schreiben werde, müssen Herrn d’Urme übergeben wer-den, damit er sie weiterleite, denn er wünscht dies. Frau Rat Le Maistrebat mich, sie Ihnen zu empfehlen. Sie hat zweifellos das Bedürfnis, daßman ihrer Seele Sicherheit gibt, da sie voll guten Willens ist, aber leichtAnwandlungen von Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit unterliegt;darum muß man sie ermutigen und ein wenig bei der Hand nehmen.

Leben Sie ganz im Leben und im Tod dessen, der lebte, um zu bewir-ken, daß wir uns selber absterben, und der gestorben ist, um uns für ihnselbst leben zu lassen (2 Kor 5,15). So sei es, meine sehr teure undeinzige Mutter. Amen.

Ich sage Ihnen nichts über Frau von Bouqueron und ihre Töchter,denn Sie wissen genug, wie sehr ich ihnen und den Damen von Saint-André zugetan bin. Es lebe Jesus! Amen.

Siegeln Sie mir ja diese Briefe, nachdem Sie sie gelesen haben, undübergeben Sie sie dem guten Herrn d’Urme, dem ich schreibe, daß er sieweitergebe.

Ich habe reichlich von Liebe gesprochen und Ausdrücke der Zunei-gung gebraucht; Sie wissen, daß dies ganz der Echtheit und Verschie-denheit wahrer Liebe entspricht, die ich zu den Seelen habe. Helfen Sie

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mir, in der Gunst jener zu bleiben, die Gott meiner Sorge mehr anver-trauen will.

Heute ist der 30. (April) 1618.Ich sende Ihnen nicht den Vertrag, zumal ich ihn nicht abschreiben

lassen konnte und weil mir auch scheint, daß er nicht allzugut abgefaßtist; aber ich werde Ihnen noch ausführlicher darüber schreiben. Gott seiauf ewig gesegnet in dem Herzen meiner sehr teuren Mutter wie in mei-nem eigenen.

Haben Sie Frau von Granieu lieb, denn hinsichtlich der Frau Barbe-Marie ist dies schon so lang der Fall, daß man nicht mehr darüber redenmuß. Ich habe Ihren Brief vom 22. dieses Monats erhalten, als ich derFrau Fiskalprokurator den letzten Segen erteilen ging, die bereits dieBesinnung verloren hatte.

Lassen Sie die offenen Siegel gut trocknen, damit man nicht bemerkt,daß in die Briefe Einblick genommen wurde.

Annecy (Anfang Mai 1618).... Der menschliche Geist kann nicht verstehen, wieso unsere armen,

bescheidenen und kleinen Veilchen der Heimsuchung für mehrere Gär-ten gesucht werden.125 Machen Sie sich also, meine sehr teure Mutter,wieder an die Arbeit, ziehen Sie diese kleinen Pflanzen des Segens hierheraus und verpflanzen Sie sie anderswohin zur Ehre unseres gütigenJesus, den ich anflehe, Sie zu segnen.

Annecy, Ende Mai oder Anfang Juni 1618.Gewiß, weder das Schönwetter gestern abends, noch der Wind haben

mir etwas gemacht, meine sehr teure Mutter, wohl aber die heutige Über-lastung, die mich trotz des Drängens meines Herzens gehindert hat, Ihrteures Herz persönlich zu begrüßen, das heißt, Sie selber aufzusuchen,wie ich so sehr gewünscht habe. Es hilft aber nichts, denn es handeltesich um die Vermählung des Fräuleins von Chavannes, die, wie ich den-ke, endlich zustandekommen wird.

Bewahren Sie sich wohl inmitten dieses heilsamen Fiebers. Ach, Gottbehüte Sie, meine sehr teure Mutter, und überhäufe Sie mit seinen Seg-nungen überall, wo immer Sie seien, und ich auch. Es lebe Jesus! Amen.

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(Mai oder Juni 1614-1618).... O gewiß, Gott gibt unserem einzigen Herzen nicht so viel Sehn-

sucht ein, wenn er sie nicht in seiner Güte irgendwie stillen will. Hoffenwir also, meine einzige Mutter, daß der Heilige Geist uns eines Tagesmit seiner heiligen Liebe überhäufen wird; indessen aber wollen wirbeständig hoffen und diesem heiligen Feuer Raum schaffen, indem wirunser Herz leer machen von uns selbst, soweit uns dies möglich ist. Wiewerden wir doch glücklich sein, meine sehr teure Mutter, wenn wir einesTages uns selbst gegen diese Liebe eintauschen können, die – uns nochmehr einend – uns völlig von jeder Vielfältigkeit befreien wird, damitwir im Herzen nur die allerhöchste Einheit der hochheiligen Dreifaltig-keit haben, die immerdar gepriesen werde von Ewigkeit zu Ewigkeit.Amen.

Annecy, 31. Juli 1618.Meine sehr teure Mutter, ich schrieb gerade dem König, als Schwester

Anne-Jaqueline ankam.Ich sehe nicht, daß es hinsichtlich unserer lieben Schwestern noch

etwas anderes zu sagen gäbe, als daß man dieses arme Mädchen so baldals möglich entlassen soll. Frau Brochenu, ihre Tante, sagte mir inGrenoble, sie wünsche, man möge sie in das Haus von Grenoble zu-rückschicken, weil ihr das dortige Klima zuträglicher sei. So wird esauch keine großen Schwierigkeiten geben, sie zurückzuschicken; mansoll aber sagen, daß ihr nicht das Klima, sondern ihr Wille zu schaffenmacht. Man muß sie aber rechtzeitig und liebevoll wissen lassen, daßman sie entlassen wird.

Es ist kein schlechtes, sondern ein gutes Zeichen, wenn dadurch einekleine Reinigung vor sich geht. Wie es grausam wäre, Mädchen aus Lau-ne, Abneigung oder Zuneigung zu entlassen, so wäre es auch grausam,sie gegen ihre Neigungen zurückzubehalten, wenn sie nicht geheilt wer-den können.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter; nach dem Essen werde ichwohl die Freude haben, Sie zu sehen, denn ich habe es unserer Schwesterd’Aigurbelette versprochen.

Annecy, Anfang Oktober 1618.Meine sehr teure Mutter!

Ich muß Ihnen sagen, daß ich diese arme Schwester Estiennette rechtlieb habe und daß mir, als ich an sie dachte, der Gedanke gekommen ist,

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sie hätte vielleicht über ihre Beichten irgendwelche Skrupeln, da sie mirgestern sagte, sie wünsche sehr, eine Generalbeichte abzulegen. Ichmöchte also, daß Sie das von ihr herausbekommen, aber Sie müssen dasgeschickt anfangen, damit sie nicht unnötigerweise darüber in Verwir-rung gerate. Sie soll es Ihnen aber sagen, wenn sie es nötig hat, und Siewerden es mich dann wissen lassen. Sie wissen, meine sehr teure Mutter,daß ich jenen, die ich lieb habe, und vor allem unseren Töchtern gehöre;aber Sie werden vielleicht niemals erfahren, wie ich Ihnen gehöre, sosehr hat Gott mich zu dem Ihren gemacht ...

Paris, 24. Dezember 1618.... Ja, meine Tochter, ich habe heute vor der Königin und ihrem gan-

zen erlesenen Hof gepredigt; in Wahrheit aber habe ich nicht mit mehrSorgfalt, Liebe oder gar Freude gepredigt als in meiner armen kleinenHeimsuchung. Ach, meine Tochter, wie sehr verdunkelt doch die leben-dige Gegenwart des Königs und der Königin des Himmels alle anderenGrößen der Erde vor den Augen unseres Herzens! ...

Paris, 29. Dezember 1618.... Glauben Sie nicht, meine sehr teure Mutter, daß irgendeine Gunst

des Hofes mich binden könnte. O Gott, wieviel mehr ist es doch wün-schenswert, arm zu sein im Haus Gottes, als in den großen Palästender Könige zu wohnen! (Ps 84,11). Ich mache hier das Noviziat beiHof; aber mit Gottes Hilfe werde ich nie die Profeß ablegen. Am Weih-nachtsabend predigte ich vor der Königin bei den Kapuzinerinnen, wosie die Kommunion empfing; aber ich versichere Ihnen, daß ich nichtbesser, noch mit besserem Eifer vor all diesen Prinzen und Prinzessin-nen predige, als ich es in unserer armen kleinen Heimsuchung vonAnnecy tue ...

O Gott, meine sehr teure Mutter, man muß wohl sein Herz in Gotthineinlegen und es niemals daraus fortnehmen. Er allein ist unser Frie-de (Eph 2,14), unser Trost und unsere Herrlichkeit. Was bleibt wohlübrig, als uns immer mehr mit diesem Heiland zu vereinigen, damit wirgute Früchte tragen (Joh 15,5). Sind wir nicht sehr glücklich, meineliebe Mutter, unsere Herzen auf das Herz des Heilands aufpfropfen zukönnen, das seinerseits wieder auf die Gottheit aufgepfropft ist? Dennso ist diese unendlich höchste Wesenheit die Wurzel des Baumes, des-sen Äste wir sind und deren Früchte unsere Liebesakte sind. Das war dasThema von heute morgen.

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Mut, meine liebe einzige Mutter, hören wir nie auf, unser Herz inGott hineinzuwerfen; das sind die wohlriechenden Äpfel, deren sich zubedienen ihm gefällt. Lassen wir ihn also nach seinem Wohlgefallen mitihnen verfahren. Ja, Herr Jesus, verfahre ganz nach Deinem Wohlgefal-len mit unseren Herzen; denn wir wollen kein Stück, keinen Teil davon,sondern wir geben, weihen und opfern es Dir auf für ewig ...

Ich grüße herzlich unsere Schwestern. Ich bin betrübt, daß SchwesterJeanne-Marie sich einbildet, das Haus wechseln zu müssen. Wann wirdes endlich so weit sein, daß wir nichts mehr wollen, sondern die Sorgeum uns ganz jenen überlassen, denen es zusteht, für uns das Notwendigezu wollen? Aber es ist nichts zu machen: der Eigenwille wird wohl vomGehorsam gezügelt, und doch kann man ihn nicht daran hindern, sichaufzubäumen und sich etwas in den Kopf zu setzen. Man muß dieseSchwäche ertragen. Es braucht viel Zeit, bis wir ganz entäußert sind vonuns selbst und von dem angeblichen Recht, zu beurteilen, was für unsdas Bessere ist, und dies zu wünschen. Ich bewundere das kleine Kindvon Betlehem, das so viel wußte, so viel vermochte, und doch, ohne einWort zu sagen, mit sich umgehen, sich wickeln, binden und einhüllenließ, wie man nur wollte.

Gott sei immerdar inmitten Ihres Herzens und des meinen, meinesehr teure Mutter ...

vielleicht 1615-1618.O Gott, welcher Segen ist es doch, alle unsere Affekte demütig und

gewissenhaft den Affekten der reinsten göttlichen Liebe zu unterwerfen!So haben wir gesagt, so ist es beschlossen worden und unser Herz hat alshöchstes Gesetz die größere Verherrlichung der Liebe Gottes. Die Ver-herrlichung dieser heiligen Liebe besteht darin, alles, was nicht sie ist,zu verbrennen und zu verzehren, um alles auf sie zurückzuführen und insie zu verwandeln. Sie erhebt sich über unsere Selbstvernichtung undherrscht auf dem Thron unserer Knechtschaft. Mein Gott, meine sehrteure Mutter, welche Freude ward doch meinem Willen in diesem Emp-finden zuteil! Möge es seiner göttlichen Güte gefallen, mir weiterhinreiche Tapferkeit zu verleihen zu ihrer Ehre und Verherrlichung undzur Vollendung und Auszeichnung der ganz unvergleichlichen Herzens-einheit, die uns zu schenken ihr gefallen hat. Amen. Es lebe Jesus!

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Paris, 5. Januar 1619.An die Mutter von Chantal zu Bourges.

Sie werden, dessen bin ich sicher, zwei meiner Briefe erhalten haben,meine sehr teure Mutter, wenn dieser hier ankommt, und Sie müssenmir glauben, daß ich von nun ab keine Gelegenheit mehr versäumenwerde.

Ich bin sehr besorgt wegen Ihres Leides, obwohl ich die genauen Ur-sachen dafür nicht kenne; aber ich sehe wohl aus den wenigen Worten,die Sie mir schrieben, daß Sie es sehr tief empfinden. Meine sehr teureMutter, dieses sterbliche Leben ist voll von solchen Vorkommnissenund die Schmerzen bei der Geburt dauern oft länger, als die Hebammenmeinen. Bei welchen Gelegenheiten aber könnten wir die großen Akteder unabänderlichen Einheit unseres Herzens mit dem Willen Gottes,der Abtötung unserer Eigenliebe und der Liebe zu unserer eigenen Er-niedrigung, kurz also unsere Kreuzigung zustandebringen, wenn nichtbei diesen so bitteren Anfechtungen? Meine sehr teure Mutter, habe ichIhnen nicht oft ans Herz gelegt, von allen Geschöpfen entblößt zu wer-den, um unseren gekreuzigten Herrn anzuziehen (Röm 13,14; Eph 4,24)?Mut! Gott wird inmitten Ihres Herzens sein und Sie stärken, und ichhoffe, daß er diesen Sohn126 in den richtigen Hafen führen wird und Sienoch den inneren Trost haben werden, dies zu wissen.

Ich befinde mich recht wohl und ich denke, daß man heute über unse-re Sache, die sehr lebhaft diskutiert wurde, Beschluß fassen wird. Jemehr ich in der Kenntnis der Welt fortschreite, desto glücklicher schät-ze ich jene, die Jesus Christus angehören, was auch immer sie für ihn zuleiden haben ...

Ich habe nicht einmal so viel Zeit, Ihren Brief noch einmal durchle-sen zu können, um zu sehen, ob ich nichts vergessen habe. In Annecygeht alles gut, Gott sei Dank! Der gute Herr von Foras ist ein wenigkrank und sehr in Unruhe hinsichtlich seiner Werbung. Meiner Mei-nung nach ist er der einer Freundschaft würdigste Mann, den man findenkann. Mein Bruder ist auch noch ein wenig fußleidend. Ich habe vor-übergehend unter einer gewissen Empfindungslosigkeit der Beine gelit-ten, was mich aber keineswegs daran gehindert hat, zu gehen und alles zutun, was ich wollte. Ich wünschte sehr, unseren Herrn Erzbischof127 zusehen; da er aber nicht kommt, freue ich mich an dem Trost, der Ihnendurch seine Gegenwart zuteil wird, und küsse ihm sehr demütig dieHände. Ich grüße auch unsere lieben Schwestern von ganzem Herzen,wie Sie selber wissen, meine sehr teure Mutter, unvergleichlich der Ihre.

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Paris, 11. Januar 1619.Meine sehr teure Mutter!

Wenn Sie weder Gold, noch Weihrauch besitzen, um sie unseremHerrn darzubringen, so werden Sie zumindest Myrrhe haben (Mt 2,11),und ich sehe, daß er diese sehr liebevoll entgegennimmt, als ob dieseLebensfrucht in der Geburt wie im Tod in bittere Myrrhe eingelegt seinwollte (Joh 19,39). Der verklärte Jesus ist gewiß schön; aber wenn erauch immer sehr gut ist, so scheint er es als der Gekreuzigte noch vielmehr zu sein. Er ist für diese Zeit Ihr göttlicher Bräutigam, meine sehrteure Mutter; in der Zukunft wird er es in der Verklärung sein ...

Gott ist es ja, der derart unser Herz in Trockenheit versetzen will; dasist aber nicht Härte, sondern Güte.

Das muß ich Ihnen sagen, meine sehr teure Mutter; und dies auchwegen der unangenehmen Nachrichten über Herrn von Chantal. Schließ-lich wird vielleicht unser Herr uns dadurch nunmehr unter die Dornenführen. Was mich selbst betrifft, so bekenne ich, daß es dafür recht ander Zeit ist. Bei Ihnen aber, so flehe ich ihn an aus allen meinen Kräften,möge er seinen Kelch immer mildern. Aber nicht unser, sondern seinganz heiliger Wille geschehe (Lk 22,40). Haben Sie guten Mut, dennvorausgesetzt, daß unser Herz ihm treu ist, wird er uns schon nichtsauflasten was über unser Vermögen geht, und er wird unsere Bürde mituns tragen, wenn er sieht, daß wir recht willig und gerne unsere Schul-tern beugen ...

Paris, 19. Januar 1619.Meine sehr teure Mutter!

Ich komme ziemlich spät von den Benediktinern zurück, wo ich dankder Gnade Gottes einen hochachtbaren Adeligen von vortrefflichemGeist und großer Bildung in den Schoß der Kirche aufgenommen habeund wo ich morgen auch predigen soll; darum werde ich Ihnen nur kurzauf Ihre vorhergehenden Briefe antworten ...

Es wird immer meine Meinung sein, man solle niemals zögern, kränk-liche Mädchen in die Kongregation aufzunehmen, wenn es sich nichtum die in der Regel angeführten Krankheiten handelt. Das betrifft nichtdieses Mädchen, das von seinen Beinen keinen Gebrauch mehr machenkann; denn es kann auch ohne Beine alle wesentlichen Übungen derRegel erfüllen: gehorchen, beten, singen, das Stillschweigen halten, nä-hen, essen und vor allem Geduld haben mit den Schwestern, die sietragen, wenn diese nicht bereit sind, ihr einen solchen Liebesdienst zu

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erweisen. Denn sie wird oft die ertragen müssen, die sie tragen, wenndiese nicht vom Geist der Liebe getragen werden. Wenn sie also die,welche sie tragen, ernähren kann, so sehe ich nichts, was ihre Aufnahmeverhindern könnte, wenn sie nicht im Herzen verkrüppelt ist; im Ge-genteil, ich liebe sie, die arme Tochter, aus ganzem Gemüt.

Unsere Frau von Gouffiers wird nicht fortgehen, und ich suche einegute Gelegenheit ausfindig zu machen, um wieder ein wenig ihren See-lenzustand zu überprüfen.

Sie zweifeln wohl nicht mehr am Zustandekommen der Heirat.128 Siewerden schon erfahren haben, daß der Vertrag vor neun Tagen feierlichbesiegelt wurde und alles in unvergleichlicher Glückseligkeit vor sichgegangen ist. Die Botschafter haben unsere liebe kleine Madame be-sucht, sie mit „Ihre Hoheit“ betitelt und sich über ihre Heirat gefreut;sie ist die feinste Prinzessin, die zu sehen möglich ist ...

Der Baron von Chantal brachte mich fast zum Lügen, als ich Ihnenschrieb, denn er kam herein, als ich den Brief abgeschickt hatte, undbegann gleich, sich mit mir zu unterhalten; aber er sprach nicht zu mirüber seine Angelegenheiten. Ich werde mich sehr bemühen, ihn im Dienstdes Prinzen unterzubringen, und ich glaube, daß er nichts Besseres tunkönnte. Ich fürchte aber, daß man ihn anfangs nicht gleich befördernwird, sondern daß er dies erst durch Ergebenheit und Tugend verdienenmuß, obwohl es den Anschein hat, daß er es seiner Lage entsprechendtun wird. Ich werde bei erster Gelegenheit mit ihm darüber reden. Werihn überzeugen könnte, daß Güte und Höflichkeit unvergleichlich eh-renhafter sind als Gewalt und Stolz, würde ihn auf den Weg eines wun-dervollen Lebens bringen. Sie wissen, meine sehr teure Mutter, daß dasHaus des Prinzen wie ein Kloster ist und daß er um keinen Preis in derWelt Ungeordnetes leiden mag; und wenn er sich auch beim Kommenhierher an die Freiheit des Landes anpassen will, so will er diese tugend-haft wissen. Kurz, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, für denSohn meiner sehr teuren Mutter, den Bruder meiner ganz lieben Schwe-ster und den Neffen eines solchen Onkels, der mir über ihn schreibt.

Herr von Foras begegnete ihm und sie tauschten Freundlichkeitenaus; da es aber auf der Straße geschah, sprachen sie über nichts. WasHerrn von Foras Mühe bereitet, ist in erster Linie, daß er nicht weiß, vonwo er sich den endgültigen Entscheid über seine Heirat oder seine Be-werbung holen kann, da Fräulein von Chantal nicht bei Ihnen ist undweder diese ohne ihre Mutter, noch Sie ohne Ihre Tochter etwas unter-nehmen werden. Zweitens weiß er noch nicht, ob Herr von Chantal es

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will, aber darüber kann er sich ja Klarheit verschaffen. Drittens weiß ernicht, wieviel Mitgift man ihm gibt, noch ob diese flüssig ist oder ob ersie aus den Händen des Herrn von Chantal entgegennehmen muß. Wasmich betrifft, so erkläre ich diese Dinge auf meine Art, da ich von Termi-nen und Zeremonien nichts verstehe, mit denen man in einer Sachevorgehen muß, die mir Gott sei Dank niemals zu schaffen machte. Ichversichere Ihnen, daß der arme Junge kaum erfahrener ist als ich, wohlaber in jeder Art von Tugend, Frömmigkeit und Höflichkeit; und ermeint, daß er auch, wenn er Fräulein von Chantal nicht heiraten soll, wieer es aber so gerne möchte, nicht aufhören würde, Ihr Sohn zu sein.

Die Gefühllosigkeit meiner Beine ist keineswegs schmerzhaft, nochhindert es mich am Gehen, sobald ich einmal zehn bis zwölf Schrittegemacht habe. Ich denke, das kommt daher, daß ich alt bin; es ist eigent-lich nichts, ich versichere es Ihnen. Mein Bruder liegt zu Bett, aber esgeht ihm gut. Herr Flocard ist hier immer unser Gefährte und stets vollTugend und voll Achtung gegen Sie.

Gott segne Sie und alle unsere Schwestern; Gott segne Sie, meine sehrteure Mutter, die ich mehr oder wie mich selbst liebe.

Ich werde unserem Erzbischof129 antworten, auch der Frau von Puitsd’Orbe, die mir eigens einen Boten geschickt hat. Meine sehr teure Mut-ter, ich bin ganz der Ihre.

Paris, 21. Januar 1619.Meine sehr teure Mutter!

Ich schrieb Ihnen vorgestern nicht ohne große Behinderung, denn ichwar schwer überlastet und glaubte, daß der Bote gestern zeitig früh abge-hen sollte. Inzwischen habe ich beiliegenden Brief der armen kleinenSchwester erhalten und einen anderen, in dem sie mich bittet, ihre Toch-ter bei unserer Prinzessin unterzubringen, was ich mit Gottes Hilfe ver-suchen werde. Da ist auch ein Brief der Schwester Claude-Agnès, denSie sehen werden. Da sie mir sagt, sie habe keine Nachricht von Ihnen,werde ich ihr schreiben, daß Sie durch Gottes Hilfe recht wohl sind.

Ich habe bereits mit unserem guten Kardinal gesprochen, er möge denEintritt des Barons von Chantal in den Dienst seines Herrn Brudersbegünstigen; er hat mir versprochen, sich dafür zu verwenden. Ich werdedarüber reden, wo es notwendig ist, und alles tun, was an mir liegt. Herrvon Foras hat mich heute morgen besucht und traf gestern Herrn vonChantal, von dem er, wie er mir sagte, erneut Freundschaftsbeweise emp-

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fing und wie ein Bruder behandelt wurde. Ich sage das ohne Absicht,aber ich sage meiner lieben Mutter, wenn ich eine des Herrn von Foraswürdige Schwester hätte und ihr 50.000 Taler mitgeben könnte, täte iches von ganzem Herzen. Je näher ich ihn kenne, desto mehr liebe ich ihn.

Heute morgen haben wir mit drei Damen eine kleine Sitzung darüberabgehalten, wie wir den Plan der Errichtung unserer Heimsuchungdurchführen können. Wir haben 13.000 Goldtaler und 1.500 FrankenEinkommen für den Beginn, sodaß wir mit gutem Vorbedacht an dieArbeit gehen können. Die gute Frau von Gouffiers wird alle Damenaufsuchen, die teilnehmen sollen, um in der Angelegenheit sicher zugehen.

Was den anderen Plan betrifft, so besteht er weiter und ich lasse ihneinstweilen stehen. Jeder hat nicht die Güte unseres Erzbischofs, dennman will unsere Regeln einer Überprüfung unterziehen und jeder setztetwas daran aus, der eine auf die, der andere auf jene Weise. Wir habenden Vorschlag annehmen müssen, daß unsere Schwestern bei den Haudri-etten130 aufgenommen würden unter der Bedingung, daß sie dort Mäd-chen von 14 und 15 Jahren zulassen, die sich zurückziehen sollen, umsich über ihren Beruf klar zu werden. Diese Mädchen werden in einemeigenen Heim untergebracht, wo zwei oder drei Schwestern sie leiten;und während der Zeit ihres Aufenthaltes gehen sie niemals aus und le-ben unter dem Gehorsam, bis Gott ihnen die Eingebung oder eine Par-tie schickt.

Meine Meinung geht nun dahin: ich lasse sie ihren Plan machen, undwenn in den Einzelheiten dieses Planes etwas enthalten ist, was unswiderstrebt, dann werden wir einfach nein sagen. Das wird früh genugder Fall sein, wenn sie offen zu mir reden, was sie bisher nicht getanhaben. Vorderhand zeigen sie durch den vorgeschlagenen Plan zur Ge-nüge, daß sie unser Institut billigen und seine Aufnahme in Erwägungziehen. Mein Gott, wie sehr erschwert doch diese große Pariser Um-ständlichkeit alle Angelegenheiten!

Entschuldigen Sie mich, bitte, bei unserem Erzbischof, da ich ihmschon recht lange nicht geschrieben habe. Vielleicht werden wir dieGunst des Herrn Le Grand brauchen, damit er die Fähigkeiten des Ba-rons von Chantal bezeugt, sodaß er nicht nur in den Dienst des Prinzeneintritt, sondern auch in Ausübung einer Tätigkeit, die ihn und seineVerwandten zufriedenstellen kann; aber ich glaube, daß Herr Le Grandes gerne tun wird.

Sie würden es nicht glauben, meine sehr teure Mutter, wie gekünstelt

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alles in dieser Zeit ist; ich glaube, daß die Welt ihrem Ende zugeht, dennalle haben Angst, sie könnte ihnen entgehen.

Sie aber, meine sehr teure Mutter, sollen wissen, daß unser Anteil andieser Welt das Kreuz ist; in der anderen Welt wird es die Verklärungsein. Amen. Es lebe Jesus! ...

Paris, um den 20. Februar 1619.... Ach, meine liebe Mutter, wie bewunderungswürdig ist doch die

menschliche Klugheit! Würden Sie glauben, daß große Diener und Die-nerinnen Gottes mir heute noch gesagt haben, die Milde und Frömmig-keit unseres Institutes sei so sehr nach dem Geschmack des französi-schen Geistes, daß sie den anderen Ordenshäusern all ihren Zulauf fort-nehmen würden; wenn man diese Mutter von Chantal gesehen hat, habeman nur mehr für sie etwas übrig. Nun, das hat nichts zu sagen. Gottwird uns helfen, er weiß, daß wir nicht nach Paris kommen, um unssehen zu lassen, sondern um seiner Güte viele Seelen sehen zu lassen,die in reiner Absicht zu seinem heiligen Dienst hinstreben. Ich stehe fürdie Aufrichtigkeit Ihrer Absichten ein, wie meiner eigenen, soferne zwi-schen uns, die Gott vereint hat, um ihm einen gleichen Dienst zu erwei-sen, noch von Mein und Dein die Rede sein kann ...

Paris, 21. oder 22. März 1619.An die Mutter von Chantal zu Bourges.

Meine sehr teure Mutter!Ich schreibe Ihnen nur wenig, verglichen mit meinen Wünschen; viel

aber, gemessen an der Zeit, die mir niemals knapper war, während ich –so scheint es mir – niemals mehr Kraft und Gesundheit hatte.

Sie werden also am Karsamstag eine Kutsche nach Orléans haben, diedort am Ostertag bleiben wird, nach welchem Tag Sie dann aufbrechenund kommen können. Ich sehe wohl ein, daß es hart ist, während dieserschönen Tage auf der Reise zu sein, und ich wollte Ihnen diese Mühe umalles ersparen. Aber wir sind wegen meiner Rückkehr gedrängt ange-sichts des dafür noch unbestimmten Zeitpunktes, und alle schreien, daßSie vor meiner Abreise kommen sollen ...

Diese Angelegenheit wird allein unter der Vorsehung Gottes unter-nommen ... Es ist ein Wagnis, und mehr als das; aber Gott verlangt, daßman es auf sich nimmt, und es ist wertvoller, nur auf die hochheiligeVorsehung gestützt zu sein, als sich von der menschlichen Weisheit undVorsicht leiten zu lassen...

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Fassen wir, meine liebe Mutter, neuen Mut, oder vielmehr erneuernwir unseren alten Mut, Wunderbares zu vollbringen im Dienst Gottesund unserer vielgeliebten kleinen Kongregation, die ganz ihm gehört ...

Paris, 29. oder 30. April 1619.Meine sehr teure Mutter!

Ich werde sogleich zu Ihnen kommen, aber Herr Berger131 wird viel-leicht noch früher als ich bei Ihnen sein. Bezeugen Sie ihm Ihren Dank,und wenn er zufällig von der Betreuung der „Büßerinnen“132 spricht,weisen Sie ihn nicht zurück, sondern sagen Sie bloß, daß Sie im Au-genblick keine geeigneten Personen dafür haben; wenn Gott in Hin-kunft solche schickt, wird es Sache der Oberen sein, zu verfügen, wieGott es ihnen eingibt; denn in diesem Land muß man sehr auf seinenRuf schauen.

Paris (Januar-Mai) 1619.Welch große Freude bereitete mir doch meine Seele, daß sie diese

Würden nicht einmal anschauen, noch weniger ihnen Aufmerksamkeitschenken wollte, gleich als wenn ich mich im Sterben befunden hätte,wo die ganze Welt uns wie Rauch erscheint!

Paris, 24. Juni 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Meine sehr teure Mutter!Ich möchte wahrlich gerne irgendeinen schönen Blumenstrauß aus

der Wüste unseres seligen hl. Johannes haben, um ihn Ihrer teuren Seeledarbringen zu können. Aber, unfruchtbarer als die Wüste, hat meineSeele heute keinen Strauß aufzufinden vermocht, obwohl sie heute mor-gen ein gewisses, schwaches, unmerkliches Gefühl hatte und auch jetztnoch empfindet, nicht mehr nach der Natur leben zu wollen, sondern –sosehr als möglich – nach dem Glauben, der Hoffnung und der christli-chen Liebe in der Nachfolge jenes engelhaften Mannes, den wir in diesertiefen Wüste nur Gott und sich selbst schauen sehen. O wie glücklich istdoch der Geist dessen, der nur diese beiden vor Augen hat, deren einerihn zur höchsten Liebe entzückt, während der andere ihn zur tiefstenErniedrigung herabdrückt. Denn was konnte dieser große Einsiedler aneinem Ort, wo er nur Gott und sich selbst hatte, anderes sagen als: „Werbist Du Herr; und wer bin ich?“

Was Ihr Gitter betrifft, so denke ich, daß man es für den Augenblick

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aus Holz machen soll, solange Sie in Miete stehen, und daß man eineTür daranmachen soll, damit nicht gleich das ganze Gitter aufgetanwerden muß. Denn für die Profeß sieht das auf Anordnung des Papstesüberprüfte und gedruckte Pontificale vor, daß die Schwestern heraustre-ten, um das Gelübde abzulegen. Für die Ausschmückung der Altärewird man ja sehen, was man weiterhin tun kann ...

Ich sehe darin nichts Unpassendes, aber man muß die Ansichten deranderen ertragen.

Wahrlich, wenn man will, daß die liebe Schwester Anastase am Tagder Heimsuchung die Gelübde ablegt, werde ich sie gerne abnehmenund man wird einen dieser Herren für einen anderen Tag oder für denSonntag bitten können ...

Paris, um den 22. Juli 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Meine sehr teure Mutter!Es stimmt, daß ich, so scheint es mir, ganz fröhlich zurückgekommen

bin. In den ersten fünf Tagen meines Aufenthaltes wurde ich von Schwä-che und Unruhe gequält; die Frau von Port-Royal,133 die eine ausge-zeichnete Ärztin ist, behandelte mich vortrefflich mit Rhabarberwas-ser.134 Mit Wein gemischt, führte es mich zuerst ab und erleichterte michnach und nach. Seither fühle ich mich wohl, zwar noch nicht genug, umgroße Anstrengungen auf mich zu nehmen, aber um von Tag zu Tagwieder meine Kräfte zurückzugewinnen.

Wenn ich kann, werde ich Sie heute nach dem Essen aufsuchen, je-doch nicht, um mich mit Ihnen zu unterhalten, sondern um die DamenBeichte zu hören, die nur darauf warten, um dann aufs Land zu fahren.Ich sehe nicht, ob ich danach noch so sehr beschäftigt bin, daß ich Ihnenin aller Ruhe Lebewohl sagen kann.

Leben Sie wohl, meine liebe Mutter; unser Herr sei inmitten unseresHerzens. Amen ...

Paris, 31. Juli 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Die Briefe sind von Herrn Neufchèzes, Ihrem geliebten Neffen. Ermachte mir die Freude, eine Bittschrift mitzunehmen, die ich für HerrnBoucard135 an den Klerus gerichtet hatte, und er hat 100 Taler Jahres-pension erreicht. Mir obliegt es jetzt, jene zu gewinnen, die sie auszahlensollen.

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Heute morgen um vier Uhr hat mein Durchfall wieder begonnen undmich bis zum Essen acht- bis neunmal geplagt. Es scheint, daß er sichjetzt ein wenig beruhigt hat; darum habe ich diesen guten Damen sagenlassen, daß sie mich in etwa zwei Stunden mit ihrem Besuch beehrenkönnten; und wenn Herr von Meneville um vier Uhr kommt, wird ermir sehr angenehm sein.

Einstweilen muß ich Geduld haben, heute daheimbleiben zu müssen,ohne Sie aufzusuchen oder irgendetwas tun zu können; denn ich habeüberall, wo ich zu predigen versprochen hatte, abgesagt, und auch, wasmich recht bekümmert hat, dem Pater des Jesuitennoviziats, das dasvierzigstündige Gebet und die Oktav des seligen Ignatius feiert, überden ich sprechen wollte. Aber wir müssen in unserem ganzen Herzen inFrieden bleiben mit dem hochheiligen Willen unseres Herrn.

Guten Abend, meine sehr teure Mutter. Ich habe große Sehnsucht,mit Ihnen zu sprechen und Ihre Ansichten über Ihren guten Herrn vonLyon136 zu hören. Die gute Mutter von Port-Royal bittet mich, sie neuer-lich Ihren Gebeten zu empfehlen; das tue ich von ganzem Herzen.

Gott sei immerdar Ihr Leben, meine sehr teure Mutter, Amen; unddas Ihrer ganzen kleinen Schar. Amen ...

Paris, 20. August 1619.Gott sei gelobt, meine sehr teure Mutter. Nein, beten Sie das Offizi-

um noch nicht, aber wenn Sie zur Messe leicht hinuntergehen können,bin ich damit einverstanden; und bleiben Sie möglichst viel sitzen undan einem Platz, wo der große Luftzug, der im Chor herrscht, Sie nichttrifft.

Ich bereite mich mit großem Verlangen auf die Predigt vor, bin jedochnicht frei von Zweifel, ob ich diesem großen Heiligen auch Genüge tunkann, wenn es auch mein Wunsch ist, daß er selbst die Predigt halte undich daher alle Gedanken darin von ihm selbst genommen habe.

Gestern brachte mir die Frau Präsidentin Amelot das Fräulein duPlessis, die Nichte des Herrn von Marillac, und bat mich, mich für sie zuverwenden, damit morgen ein Beschluß gefaßt werden könne. Sie versi-cherte mir, daß die Karmelitinnen sie sehr liebten und schätzten und sienur ihrer Körperbehinderung wegen zurückgewiesen haben. Sie scheintmir ein gutes Mädchen zu sein; ich ziehe auch in Erwägung, daß sie vonguter Herkunft ist und einige Verwandtschaft aufzuweisen hat. Sie ver-fügt über 200 Pfund jährlich auf immer, d. h. daß sie dem Haus bleiben;sie hat auch, was sie sonst zu ihrem Eintritt benötigt. Die Damen werden

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morgen wiederkommen, um Bescheid zu erhalten und um – falls mansie aufnimmt – zu erfahren, wann sie die erste Probezeit beginnen wird.Frau Amelot ist so tugendhaft, daß sie – wie ich glaube – aufrichtig überdie Vorzüge des Mädchens spricht.

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter, ich bin unablässig der Ihre.

Tours, 18. September 1619.Meine sehr teure Mutter!

... Ich werde Ihnen nur wenig schreiben, denn bei der großen Hetz-jagd, die wir hinter uns haben,137 kann ich wirklich nicht mehr tun. Ichbitte Sie nur, die beiliegenden Briefe bestellen zu lassen und dem anFrau Godeau eine Kopie der Übung138 beizuschließen; denn ich habeunterwegs keine verfassen können, weil ich genug damit zu tun hatte,alle diese Briefe zu schreiben, die ich aus guten Gründen schreibenwollte.

Wir brechen Samstag auf und reisen direkt nach Bourges, dann nachMoulins, sodaß wir alle unsere Schwestern sehen werden.

Die Königin-Mutter hat mir Aufmerksamkeiten erwiesen; und wirk-lich bin ich darüber nicht stolzer geworden. Der Anblick dieser Größender Welt läßt mir die Größe der christlichen Tugenden umso höher er-scheinen und mich die weltlichen Größen umso geringer schätzen. Wel-cher Unterschied, meine sehr teure Mutter, zwischen dieser bunten Scharvon Strebern (denn dies ist der Hof, und nur das) und der Gemeinschaftder religiösen Seelen, die nach nichts anderem streben, als nach dem Him-mel. Ach, wenn wir doch wüßten, worin die wirklichen Werte bestehen!

Ich werde Ihnen also von Bourges, von Moulins und Rouen, von Lyonschreiben; mit Gottes Hilfe immer, daß ich mich wohlbefinde. Gott seiimmerdar inmitten Ihres Herzens, meine sehr teure und ganz einzigeMutter. Ich grüße unsere Schwestern und bin so, wie es Gott weiß, ganzder Ihre ...

Bourges, 28. oder 29. September 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Meine sehr teure Mutter!Hier in Bourges, inmitten der Aufmerksamkeiten ohnegleichen sei-

tens unseres Erzbischofs in seinem Haus, habe ich Ihren Brief vom 23.dieses Monats, den einzigen bisher, erhalten. Mehr aber noch wundereich mich, daß Sie noch kein einziges Wort von mir erhalten haben, derich Ihnen von Chartres, Orleans, Tours und Amboyse geschrieben habe.

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Zumindest bin ich sicher, daß Herr Flocard Sie zur Stunde, da ich die-sen Brief schreibe, aufgesucht und Ihnen getreulich meinen Brief in dieHände gelegt hat, falls ihm nicht irgendein Mißgeschick zugestoßen ist.

Herr und Frau von Foras müssen diese Bitterkeiten ertragen,139 daGott sie zuläßt, der, wie ich hoffe, ihnen späterhin gute und starke Trö-stungen schenken wird. Sie hat recht gehabt, zu sagen, daß sie es war, diedie Heirat durchgeführt hat, denn ich meinerseits habe nur das dazubeigetragen, was ich den wirklichen Vorzügen des Herrn von Foras nichtverweigern konnte und was ich seiner Freundschaft nicht abschlagendurfte.

Unsere Schwestern waren mehr getröstet, als sich sagen läßt, obwohlich sie bei diesem unglaublichen Wirbel kaum im besonderen gesehenhabe, sondern nur bei der Messe und Predigt. Nachrichten über sie wer-de ich Ihnen auf dem Weg von hier nach Moulins und über die Schwes-tern von Moulins auf dem Weg zwischen Moulins und Lyon zukommenlassen; denn in den Städten, wo man Madame140 Huldigungen darbringt,gibt es keinerlei Möglichkeiten zu schreiben, außer zu den Stunden, indenen Sie nicht wollen, daß ich schreibe.

Darum gute Nacht, meine sehr teure Mutter, Gott sei immerdar in-mitten unseres einzigen Herzens. Amen.

Ich grüße unsere lieben Schwestern aus ganzem Herzen. Amen.Meine sehr teure Mutter, ich muß jetzt aufbrechen, ohne Zeit zu ha-

ben, mehr zu schreiben; aber grüßen Sie mir bitte unsere guten Damen.Unser Herr sei unser ganz einziges Verlangen. Amen.

Roanne-Voreppe, 5.-19. Oktober 1619.Es ist schon hoch an der Zeit, meine sehr teure Mutter, daß ich Ihnen

über meine Reise von Tours hierher Bericht erstatte.Wir brachen also am Samstag von Tours auf und waren recht beküm-

mert, daß wir die liebe Frau von Villesavin nicht ungefährlich erkranktzurücklassen mußten. Ich sah sie nur zweimal, nicht bloß deshalb, weildiese große Hofhaltung und meine vielen gesellschaftlichen Verpflich-tungen mich daran hinderten, sondern auch – und mehr noch –, weilHerr von Villesavin mit so großer Besorgnis befürchtete, man könne siezum Reden bewegen, so daß er trotz all meiner Bedachtnahme darauf inäußerster Unruhe war. Und ich bin es natürlich auch ein wenig, bis ichweiß, daß sie außer Gefahr ist, denn ich habe sie sehr lieb, ihrer Güteund echten Tugend wegen.

Ich sah dort die Königin-Mutter und machte ihr bei meiner Ankunft

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und Abreise meine Aufwartung; sie erwies mir große Gunst, indem siebezeugte, daß sie den Wunsch gehabt habe, mich zu sehen, und jetztnoch wünsche, mich länger zu hören und zu sehen. Ich lernte eine ganzeMenge von Prälaten kennen, besonders den Bischof von Lucon,141 dermir seine Freundschaft gelobte und mir sagte, daß er sich zu guter Letztmeinem Standpunkt anschließen werde, nur an Gott und an das Heil derSeelen zu denken. Ich sah den Kardinal de la Rochefoucauld, der michäußerst zu Dank verpflichtete und mir sagte, er wünsche die Vereini-gung mit den Haudrietten zu vollziehen und er werde dem Haus Mariae,d. h. wie er sagt, Ihren Töchtern, ganz besondere Sorge angedeihen las-sen. Ich sage Ihnen dies alles, damit Sie, wenn die Königin-Mutter inParis weilen wird, gegebenenfalls die Gunst des Bischofs von Lucon inAnspruch nehmen können, denn er liebt mich und Sie können auch aufdas Wohlwollen des Herrn Kardinals hoffen.

Ich sah schließlich den Kardinal von Retz, der mich gleich einlud, inFrankreich zu bleiben, uzw. durch einen Vorschlag, der, gut durchge-führt, mir von allen Vorschlägen am ehesten zusagen würde.142 Ich sprachmit Herrn von Bérulle und meinem aufrichtigen Freund, Herrn desHayes darüber, von dem Sie, wenn er nach Paris kommt, ausführlicherüber die Angelegenheit erfahren können; denn ich werde ihm schrei-ben, daß er mit Ihnen darüber sprechen möge, obwohl wir übereinge-kommen sind, daß es niemand erfahren soll. Ich dachte, es Ihnen aus-führlicher schreiben zu können, sehe aber, daß dies jetzt nicht möglichund auch nicht sicher ist. Die Sache ist noch nicht reif, noch wird sie esso bald sein; inzwischen wollen wir hören, was Gott davon bestimmenwird, zu dessen größter Ehre ich alles tun und ohne die ich mit seinerGnade nichts tun will. Ich erklärte dies auch dem Kardinal zuerst underneut, als wir in Amboyse waren, wo er noch herzlicher davon sprach.Kardinal de la Rochefoucauld sagte mir darüber ein Wort vor dem Für-sten, aber so, daß es nicht beachtet wurde. Man sagte mir seither, daß derErzbischof von Sens mit dem König lange darüber gesprochen und daßdieser daran Gefallen gefunden habe. Wenn aber schließlich Gott esnicht will und es nicht gutheißt, so will auch ich es nie und nimmer undwerde von mir aus nichts dazu tun, als meine Zustimmung zur göttli-chen Vorsehung geben, wenn ich erkenne, daß es zu ihrem Dienst ge-schieht.

Der König gab mir sehr liebenswürdig seine Weisungen und er wie dieKönigin-Mutter bezeugten Seiner Hoheit die Freude darüber, daß ichMadame begleite. In Amboyse erhielten wir die Weisung, nach Nizza

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und Chateaumorand zu gehen; vorgestern wurde uns mitgeteilt, daß wirdirekt nach Grenoble und von dort nach Savoyen, nach Chambéry, ge-hen sollten. Von dort werde ich mich nach Annecy zurückziehen. Ichmuß meiner Mutter all diese weltlichen Dinge schreiben, damit sie allesweiß; nun aber sprechen wir von den Dingen Gottes.

In Tours sah ich die Karmelitinnen, hielt hier eine Ansprache und warsehr erbaut, die Oberin zu sehen, die eine Tochter der verstorbenen FrauAcarie, eine Seele von großer Tugend und wundervoll liebenswerten,offenen, frohen und fröhlichen Geistes ist. Ich sah Pater Suffren mittausendfacher gegenseitiger Freude und wir schlossen einander offen-herzig auf; er ist eine große Persönlichkeit und wahrhaft demütig undlauter.143

Es ist unglaublich, wieviele Gunstbezeugungen uns in Bourges sei-tens unseres Herrn Erzbischofs zuteil wurden, der aufrichtig herzlichist; wir hatten aber zum Sprechen ganz wenig Zeit. Herr von Neufchè-zes,144 der es besonders beteuert, Sie zu lieben, sagte mir, er habe Ihnengeschrieben, um sich über das Mißtrauen zu beklagen, das sein Vettergegen ihn hege; und daß er bei seinem Besuch in Bourges gar nicht inden erzbischöflichen Palast ging und den Herrn Erzbischof nicht sah,der mit dem Herrn Marschall recht gut ist. Man muß den Gemüternetwas Zeit lassen, ihre kleine Verärgerung zu verdauen, dann wird alleswieder in Ordnung kommen.

Herr von Saint-Aignan ist noch nicht gekommen; aber ich muß Ihnensagen, daß wir in seinem Haus so viele Beweise für die Frömmigkeit derFrau von Saint-Aignan gesehen haben, daß ich sie gleich liebgewannund der Meinung bin, daß sie eines Tages eine Heilige sein wird, wennsie demütig so fortfährt.

Glauben Sie mir, meine sehr teure Mutter, daß ich von Roanne bishierher nach Voreppe, zwei Meilen vor Grenoble, Zeit gehabt hätte,diesen Brief fortzusetzen? Am Hof zu sein bedeutet einen großen Ver-lust an Zeit, und viele verlieren hier auch noch die Ewigkeit. Natürlichnicht dieses Hofes wegen, denn hier geht fast alles nach dem WillenGottes; und es ist ein großer Trost, unsere kleine Madame so munterund wahrhaft gut, Frau von Vendôme in ihrer vollkommenen Güte undihr ganzes Gefolge so wohlgeordnet und tugendhaft zu sehen.

In Bourges fand ich die arme Oberin145 inmitten ständiger Demüti-gungen, die man ihr deshalb bereitet, weil sie in den weltlichen Dingenungeschickt ist und zu nachgiebig bei der Aufnahme von Töchtern undbei der Führung der Schwestern. Trotz alldem ist die Arme ganz lieb

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und liebenswert. Ich sprach mit ihr und der Assistentin gemeinsam undsagte, sie solle sich keinesfalls verpflichten, immer die Assistentin mitsich ins Sprechzimmer kommen zu lassen; in Angelegenheiten von Be-deutung aber soll sie sich nach Anhören des Vorschlages Zeit nehmen,darüber mit ihr und den Ratsschwestern zu sprechen. So wird sie dieWürde als Oberin und die gute gemeinsame Führung der Angelegenhei-ten wahren. Sie solle auch nicht so furchtsam sein, nicht zu wagen, ohnedie Assistentin ins Sprechzimmer zu kommen aus Angst, man könntemit ihr von zeitlichen Angelegenheiten sprechen. Dabei hielte sie sichallzu gebunden und beraube die Schwestern zweier Vorgesetzter, dereneine zunächst erforderlich ist, damit die Novizinnen ihre Pflicht erfül-len. Ich sagte auch der Assistentin, sie solle der Oberin alle Achtungerweisen, ungeachtet der geringen Erfahrung, die diese in zeitlichenAngelegenheiten habe.

Was aber deren gute Gönnerin betrifft, so wird diese nicht zufriedensein, wenn man nicht eine andere Oberin einsetzt; denn sie sagt, dieseSchwester habe wohl die Anlagen zu einer ganz ausgezeichneten Leite-rin und es sei bedauerlich, sie durch die Sorge um das Zeitliche abzulen-ken, wovon sie nichts verstünde. Man wird aber in einiger Zeit sehen,was man wird tun müssen.

Der Herr Erzbischof und Herr von Neufchèzes können es nicht lei-den, daß man von einem Haus in Orléans spreche. Wie ich Ihnen schonwährend meines Aufenthaltes in Orléans geschrieben habe, – wo ichdem Pater Lallement meinen Brief hinterließ – soll man bei der Errich-tung oder Annahme eines Hauses klug handeln und sich versichern, daßdas Versprochene auch gehalten wird. Man sagte mir, daß das Volk dortein wenig hart sei und die Menschen schwierig zu leiten wären. AberPater Lallement wird mit seiner Liebe und Klugheit gewiß in allen Din-gen gute Ratschläge geben. Man wird aber immer die äußerste Abnei-gung berücksichtigen müssen, die der Herr Erzbischof dagegen hegt.

Ich fand die arme Schwester Jeanne-Françoise ganz betrübt darüber,daß Sie ihrer Meinung nach keine Zuneigung zu ihr haben können; sie hatsich stark geändert und macht gute Fortschritte in der Sanftmut und De-mut, wie ich gehört habe. Ich habe unterwegs der Oberin geschrieben, umes ihr ein wenig leichter zu machen, denn ich konnte nur flüchtig von ihrAbschied nehmen, wie auch von unseren Schwestern von Moulins undLyon, wegen meiner überraschenden Abreise. Ich bin gezwungen, dieseimmer ganz plötzlich zu vollziehen, sobald Madame die Kutsche besteigt,da ich in der ihr unmittelbar vorausfahrenden Kutsche sitze.

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In Moulins fand ich alles wohl, außer daß unsere Schwester einerLeiterin bedarf, da sie wegen der großen Anzahl von Novizinnen, die siehat, nicht alles selbst erledigen kann. Die Schwester mit den Offenba-rungen hat ihren Irrtum eingesehen und ich glaube, daß es nun mit ihrgut gehen wird. Frau von Tertre kann hier ihrer Eitelkeit ehrenhafter-weise Luft machen, indem ihr Zimmer tapeziert ist und sie ein seidenesBett hat; aber man muß sie wohl ein wenig ertragen; es besteht Hoffnungauf Besserung. Ach, wie töricht sind doch die Kinder der Welt, daß siewegen solcher Weichlichkeiten des Geistes hochgeschätzt und achtungs-würdig sein wollen! ...

Chambéry, 30. Oktober 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

... Madame, ihre Hoheit und der Fürst haben gewollt, daß ich derGroßalmosenier dieser Dame werde; und Sie können mir, denke ich,leicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich dieses Amt weder direktnoch indirekt angestrebt habe. Nein, wahrhaftig, meine sehr teure Mut-ter, denn ich fühle keinen anderen Ehrgeiz in mir, als den Rest meinerTage nützlich und zur Ehre unseres Herrn verwenden zu können. Neingewiß, der Hof ist mir äußerst verachtenswert, denn ich verabscheueimmer mehr gerade das, was die Welt so entzückt, die Welt selbst, ihrenGeist, ihre Grundsätze und alle ihre Nichtigkeiten ...

Annecy, (November) 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Meine sehr teure Mutter!... Unaussprechlicher Trost wurde mir durch den Anblick der lieben

kleinen Schar unserer Töchter in Bourges zuteil, die so sehr nach derreinen Vollkommenheit der göttlichen Liebe streben und so liebevollauf die genaue Beobachtung ihrer Regeln achten, daß zu hoffen ist, die-ses Haus werde von Gott gesegnet sein und der Kongregation zum Segengereichen.

Um Ihnen aber die Wahrheit zu sagen: ich habe die arme kleine Mut-ter Rosset körperlich so sehr geschwächt und verfallen gefunden, daßich glaube, man müßte ihr diese Bürde abnehmen. Diese reine Taube istviel geeigneter, mit ihrem Geliebten „im Hüttenloch“ (Hld 2,14) einerZelle zu hausen, als mit den Menschen zu verkehren. Jeder bewundertihre Tugenden, aber recht wenige nur billigen ihre Führung. O meineliebe Mutter, darüber darf man sich nicht wundern: nicht alle Seelen

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haben die Gnade, das Aktivsein mit dem Passivsein zu verbinden undohne inneres Vorurteil von dem einen in das andere überzugehen ...

... die Wahrheit zu sagen, habe ich in Grenoble eine Oberin ganz nachmeinem Herzen gefunden.

Annecy, 30. November 1619.An die Mutter von Chantal zu Paris.Meine sehr teure Mutter, aus Ihrem letzten Brief vom 12. vergange-

nen Monats sehe ich, daß Herr (von Foras) noch immer zu leiden hat146

und daß man wegen seiner Heirat verschiedentlich über mich urteilt.Über ihn kann ich nichts sagen als „Selig, die hungern und dürsten nachder Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden“ (Mt 5,6). Gewißversteht sich die Sättigung für den Tag des Gerichtes, wo allen Gerech-tigkeit widerfahren wird, denen man sie versagt hat und die folglich indieser Welt danach gehungert und gedürstet haben. Aber ich hoffe doch,daß schließlich das Parlament diesem Mann, da er nach Gerechtigkeitgehungert und gedürstet hat, auch Gerechtigkeit widerfahren läßt; undmöge Gott allen vergeben, die ihn verfolgen.

Was mich betrifft, so muß ich wohl die Lehre des hl. Paulus befolgen:„Schafft euch nicht Recht, Geliebte, sondern überlaßt das dem Strafge-richt“ (Röm 12,9). Aber ich werde doch, da Sie es für ratsam finden,recht bald Herrn Berger schreiben, daß er die Verleumdung entkräfti-gen möge. Ich bin davon überzeugt, daß er mich sehr lieb hat, und ichschätze ihn überaus hoch, mehr als man es sagen kann.

Bleiben Sie trotz all dem in Frieden, meine sehr teure Mutter. Diehöchste Vorsehung weiß das Maß an gutem Ruf, das mir nötig ist, umden Dienst gut verrichten zu können, zu dem sie mich einsetzen will.Und ich will nicht mehr und nicht weniger, als ich nach ihrem Wohlge-fallen haben soll. – Genug für diesmal ...

Seien Sie auf ewig gesegnet, meine sehr teure Mutter. Ihr Herz und dasmeine mögen immerdar erfüllt sein von der göttlichen und ganz reinenLiebe, die wir dank der Gnade der göttlichen Güte vollkommen liebenwollen.

Annecy, 13. Dezember 1619.Es lebe Jesus, in dem, für den und durch den ich völlig der Ihre bin,

meine sehr teure Mutter.Ich habe soeben drei lange Briefe geschrieben, die ich Ihnen offen

schicke, damit Sie sie lesen können. Sie werden in ihnen viele Dinge

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finden, die ich Ihnen sonst schreiben müßte; dazu aber habe ich keineZeit mehr, da es bereits spät ist.

Ich schreibe also Herrn von Monthelon; bevor Sie ihm aber den Briefschicken, zeigen Sie ihn bitte Herrn des Hayes und überlegen Sie, ob esratsam sei, ihm diesen Brief zukommen zu lassen; denn, was mich be-trifft, meine sehr teure Mutter, so habe ich alle diese bösen Stürme dergöttlichen Vorsehung anheimgestellt; mögen sie, wie sie es will, dahin-brausen oder sich beruhigen; Sturm und Stille lassen mich gleichgültig.„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen lügnerischalles Böse nachreden“ (Mt 5,11). Wenn die Welt an uns nichts zu tadelnfände, wären wir keine richtigen Diener Gottes (Gal 1,10).

Neulich, als ich den hl. Josef bei der Messe nannte, erinnerte ich michder übergroßen Beherrschung, die er zeigte, als er seine unvergleichli-che Braut, die er ganz jungfräulich geglaubt hatte, schwanger sah (Mt1,18.19); und ich empfahl ihm den Geist und die Zunge jener gutenHerren, damit er ihnen ein wenig von dieser Sanftmut und Frömmigkeiterbitte. Gleich darauf kam mir Unsere liebe Frau in den Sinn, die indieser ausweglosen Lage kein Wort sagte, sich nicht entschuldigte, sichnicht beunruhigte. Und die Vorsehung Gottes befreite sie. Ich empfahlihr diese Angelegenheit und entschloß mich, ihr die Sorge darüber zuüberlassen und mich still zu verhalten. Was erreicht man auch, wennman sich gegen Wind und Wellen stellt, außer Schaum?

O meine Mutter, Sie dürfen nicht so wehleidig meinetwegen sein,sondern müssen schon leiden, daß man mich tadelt; wenn ich es nichtauf diese Weise verdiene, so auf eine andere. Die Mutter dessen, derewige Anbetung verdient, sagte nie ein Wort, als man ihn mit Schmachund Schande überhäufte. Die Geduldigen und Sanftmütigen werden dasLand und den Himmel besitzen (Mt 5,4.10). Meine Mutter, Sie sind fürmeine Person zu empfindlich; soll ich denn als Einziger auf der Weltvon Schmach frei sein? Ich versichere Ihnen, daß mich aus diesem An-laß nichts so sehr berührt hat, als Sie davon berührt zu sehen. BleibenSie in Frieden und der Gott des Friedens wird mit Ihnen sein (2 Kor13,11), er wird die Nattern und Basilisken niedertreten (Ps 91,13); undnichts wird unseren Frieden trüben, wenn wir seine Diener sind. Meineliebe Mutter, es liegt sehr viel Eigenliebe in dem Wunsch, daß alle Weltuns lieben und alles uns zum Ruhm gereichen soll.

Ich predige hier in diesem Advent über die Gebote Gottes, was manvon mir gewünscht hat, und ich finde eine ganz aufmerksame Zuhörer-schaft, aber ich predige auch aus ganzem Herzen. Von diesem Herzen

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muß ich Ihnen berichten, meine sehr teure Mutter, daß Gott ihm inseiner unendlichen Güte reiche Gunst schenkt. Er flößt mir große Liebezu den Grundsätzen des Christentums ein; und zwar durch Erleuchtun-gen, die er mir von ihrer Schönheit und von der Liebe schenkt, die alleHeiligen im Himmel diesen Lehren entgegenbringen. Ich meine, daßman dort oben mit einer Freude ohnegleichen singt: „Selig die Armenim Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“ (Mt 5,3) ...

Unsere Schwestern hier machen sich sehr gut; es gibt nichts auszuset-zen, außer daß sie es zu gut machen wollen, damit unsere Mutter alles inOrdnung findet, wenn sie zurückkommt. Das bedrängt sie ein wenig.Gestern hielten wir ein Gespräch, in dessen Verlauf ich mich bemühte,ihnen ein wenig Großzügigkeit beizubringen.

Ich grüße unsere sehr teuren Schwestern Anne-Catherine und Jeanne-Marie; ich werde auch ihnen recht bald ein paar Worte schreiben, wennes Gott gefällt. Der Schwester Marie-Anastase tausend Grüße; sie isteine kleine Jakobiterin, denn unser Herr hat sie am Bein berührt (Gen32,25), und so geht sie hinkend besser den Weg der Vollkommenheit,hoffe ich, als sie ihn sonst gegangen wäre. Ich grüße unsere große Novi-zin und alle meine sehr teuren Schwestern und Töchter in unserem Herrn.

Ich werde diesmal jenen Damen nicht schreiben, die ich so sehr ehreund die ich nach Gottes Willen immer mehr ehren soll; grüßen Sie beiGelegenheit alle herzlichst. Gott möge sie mit seinen Gnaden überhäu-fen.

1619.Man will diese sündige Seele nicht in diesem reformierten Orden

aufnehmen, obwohl sie tief bereut. Ich sehe wohl, wie es ist: alle Weltweist die Sünder ab, nur Unser Herr nicht; ich aber will, daß wir inseiner Nachfolge sie in eines unserer Klöster aufnehmen.

Annecy, 8. Januar 1620.An die Mutter von Chantal zu Paris.

O meine sehr teure Mutter, Gott in seiner Güte sei immerdar inmit-ten unseres Herzens, um darin nach seinem Wohlgefallen zu leben undzu herrschen.

Was soll ich zu diesem Jahresbeginn sagen? Ich bin also König inEurem Haus und unsere Schwestern sind darüber sehr erfreut; sie habenmir schriftlich eine feierliche Beteuerung ihrer Unterwerfung und ihres

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Gehorsams geschickt und mich um einige neue Gesetze gebeten, nachdenen sie leben sollen. Ich werde darüber nachdenken und sie ihnenbringen, wenn ich ihnen eine Ansprache halten werde. Ich will michbemühen, es in dieser Oktav so lieb als möglich zu tun. Ich habe bereitseinen netten Gedanken dafür.

Zu Beginn der kommenden Woche werde ich meine Einkehr abhal-ten für eine außergewöhnliche Erneuerung, zu der mich unser Herr ein-lädt, damit ich mich in dem Maße, als diese vergänglichen Jahre verge-hen, auf die ewigen vorbereite.

Die Schwester N. hat uns Schwierigkeiten bereitet und will noch nichtaufhören damit. Sie hat eigenartige Zustände, in denen sie Todsündenbegeht, und ist dabei so halsstarrig, daß sie deshalb nicht kommunizie-ren kann. Ich erteilte ihr einen ordentlichen Verweis, halb Essig, halbÖl, den ich mit stets anderen Worten so oft wiederholen werde, bis erdank der Gnade Gottes wirken wird. Alles übrige ist in Ordnung; vorallem die jungen Schwestern sind lieb.

Herr (von Boisy)147 ist immer bei Hof, wo er die Überwindung deseigenen Willens ausgezeichnet lernt und mehr noch die der Ungeduld,der Geschäftigkeit und der „Plötzlichkeit“, denn er muß drei und vierStunden lang auf die Zeit warten, wann er Dienst hat; gewiß viel länger,als wenn ihn jemand am Altar der Heimsuchung warten ließ. Im großenund ganzen aber stimmt es, daß er ausgezeichnet wirkt und nicht nurunsere liebe Madame, sondern auch Seine Hoheit und alle Prinzen undPrinzessinnen, Herren und Damen, lieben und schätzen ihn sehr; undschon jetzt will man ihn, ohne daß ich irgendwie darüber gesprochenhätte, zum Koadjutor machen, wenn ich Madame glauben kann, damitihr erster Almosenier Bischof sei.

O meine Mutter, ob mich jetzt die Vorsehung Gottes den Aufenthaltwechseln heißt oder hier beläßt (denn dies ist mir alles eins), wäre esnicht besser, nicht so viele Verpflichtungen zu haben, damit ich einwenig im Kreuz unseres Herrn Atem holen und etwas zu seiner Ehreschreiben könnte?

Mein Heiliger ist der hl. Franz mit der Liebe zur Armut; aber ich weißnicht, wie ich diese liebenswerte Armut lieben soll, da ich sie niemalsganz von der Nähe gesehen habe; doch ist sie mir unendlich lieb undverehrungswürdig, da ich unseren Herrn so viel Gutes über sie sagenhörte, mit dem sie geboren wurde, lebte, gekreuzigt wurde und wiederauferstand.

Es lebe Jesus! ...

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Annecy, 26. Februar 1620.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Es lebe Jesus!Sie sollen wissen, meine sehr teure Mutter, daß Seine Hoheit auf be-

wundernswerte Weise meinen Bruder zu meinem Koadjutor und Nach-folger in diesem Bistum berufen hat. Sie tat es auf Wunsch von Madameund des Fürsten und sandte ein Schreiben mit höchsten Empfehlungennach Rom. Es war begleitet von überaus lobenden Worten von SeinerHoheit und von Madame für unser ganzes Haus, für meinen Bruder undmich. Diese Gunst ist zwar nicht mit großen Mitteln verbunden, abergewiß sehr ehrenvoll, sowohl an sich, wie durch die Art der Verleihung;und das Schönste daran ist, daß ich sie weder direkt noch indirekt erbe-ten oder verschafft habe. So, meine sehr teure Mutter, haben wir in dreiMonaten einen neugeweihten Bischof; denn die Prinzen und besondersMadame wollen, daß es rasch getan sei. Nun weiß ich nicht, ob sie damitdie Pension von 600 Talern, d. h. 300 Pistolen erhöhen, die sie unszugestanden haben und in deren Genuß wir in dem vergangenen Vier-teljahr, Oktober, November, Dezember, gekommen sind. Kurz, wir ste-hen uns in Anbetracht des Ortes, wo wir sind, ziemlich gut, denn meinBruder wird seine Pfründe behalten, die mit der Pension genügt, daß erdort bei Hof fünf Leute und einige Pferde haben wird, die durch Zutei-lung der Verköstigung in seinem Quartier unterhalten werden.

Ich sage Ihnen dies: 1. damit Sie es wissen; 2. um mich zu entschuldi-gen, wenn ich weder Ihnen, noch Herrn des Hayes so ausführlich schrei-be, wie ich möchte, noch jemand anderem als Ihnen beiden. Denn ichmuß jetzt viele Briefe schreiben, an den Hof, allen Prinzen und Prinzes-sinnen Dankesbriefe und nach Rom Bittbriefe, sodaß ich ganz außerAtem bin; 3. damit Sie in Frieden bleiben mit der Gewißheit, daß ich inmeinem Leben nur dann eine Änderung werde eintreten lassen, wennich eine deutliche Gelegenheit sehe, Gott zu dienen, die es wert ist, daßman ihr folgt, unter Hintansetzung aller anderen Dinge. Ich bekenne,und es ist wahr, daß ich nicht gerade reichlich mit Mitteln versehen bin;aber ich bin bedürfnislos und habe weder Gelegenheit, noch Neigung,etwas zu tun, was meines Standes und Berufes unwürdig wäre, um solcheMittel zu erlangen. Ich taste überall mein Herz ab, um zu sehen, ob nichtdas Alter mich zu einem Geizhals macht; ich finde aber im Gegenteil,daß es mich von Sorgen frei macht und mich von ganzem Herzen undganzer Seele jede Knauserei, jedes Bangen um die Zukunft ausschaltenläßt. Bleiben Sie also in Frieden.

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Natürlich bin ich dem großen Kardinal sehr zu Dank verpflichtet fürdie Achtung, die er mir entgegenbringt, der ich niemals den geringstenseiner mir gegenüber gehegten Gedanken verdiene. Ich gab ihm aberin Tours deutlich genug zu verstehen, daß ich keine Ehescheidung ein-gehen will, außer um niemals mehr zu heiraten und jedenfalls nicht aufdie Art, wie Sie mir schreiben. Mich zu verpflichten, die Ehefrau einesanderen zu heiraten – das wäre mir, denke ich – wirklich unmöglich.Herr des Hayes, der soviel Wohlwollen für mich hegt und soviel Ge-schick für Verhandlungen aller Art besitzt, soll jedenfalls behutsamdie Absichten zu erkunden suchen, um die Angelegenheit in klugerWeise zu lösen, wenn sie schon gelöst werden muß. Genug davon. Nunzum übrigen:

Wenn Sie mir mitteilen, daß meine liebe Tochter, Fräulein von Chan-tal, weder verheiratet ist, noch im Begriff steht, sich drüben zu vermäh-len, werde ich eben versuchen, wieder eine Heirat anzubahnen, entwe-der mit dem Neffen des Herrn Andelot, wenn er bald genug von Italienzurückkehrt, wo er (d. h. der Onkel) ist, oder mit Herrn von Ballon,wenn er nicht Fräulein von Charmoisy heiratet, die er zugleich mit si-cher bedeutenden Mitbewerbern zu gewinnen sucht.

Die arme Schwester N. macht uns sehr zu schaffen, denn wenn ichmich nicht täusche, hat es den Anschein, als ob sie den Verstand verliert.Wir werden tun, was wir können, und wenn Gott dieses Unheil zuläßt,werden wir sie in einem der Häuser meiner Brüder unterbringen. Gottsei gebenedeit!

Ich sage Ihnen nur kurz: Ja! Diese Hingabe an Gott inmitten innerli-cher und äußerlicher Schmerzen ist sehr gut und gut ist es auch, dieWorte, die Sie mir anführen, von Zeit zu Zeit laut herzusagen, um dasHerz wissen zu lassen, daß es in Gott ist, wofür diese Worte Zeugnisablegen. Der große hl. Stephanus hatte gesagt: „O Herr Jesus, nimmmeinen Geist auf“, und nach diesen Worten entschlief er in unseremHerrn (Apg 7,58 f). Man muß also etwas ähnliches sagen, in unseremHerrn ruhen und dann von Zeit zu Zeit die gleichen oder ähnliche Wor-te wiederholen und sich wieder zur Ruhe begeben.

Betrüben Sie sich nicht über das, was ich Ihnen über die SchwesterJeanne-Françoise gesagt habe, denn ich bin mehr bekümmert darüberals verärgert, d. h. ich bin eher darüber verlegen, wie ich vorgehen soll,als bekümmert über das, was da geschehen muß. Wahrhaftig, ich spürekaum Ärger darüber, nicht mehr jedenfalls, als wenn es der Ärger einesanderen wäre.

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Ich grüße herzlich alle unsere lieben Schwestern. Die große Schwe-ster148 ist meinem Herzen besonders lieb ...

Wenn die Angelegenheit von Valence so gut steht, wie Sie schreiben, –denn das ist die erste Nachricht hierüber – dann halte ich ein Haus dortnicht für ungünstig ...

Herr Vinzenz149 berät Sie sehr gut ...Die Schwester Jeanne-Françoise verspricht mir soeben Großartiges:

Sie müssen wissen, daß ich diese paar Worte noch hinzugefügt habe, dader Briefüberbringer, der mich gestern so drängte, nicht abgereist ist.

Tausend Grüße bitte an alle unsere lieben Damen. Wie tut es mir leid,meiner sehr teuren Tochter, der Frau von Port-Royal und den FräuleinArnauld und de Meistre nicht schreiben zu können. Momentan bestehtkeine Möglichkeit, wohl aber bald. Diese Töchter sind wahrlich inmit-ten meiner Seele und ich bin, wie Sie selbst wissen, ganz der Ihre.

Annecy, März 1620.... Sie werden es mir wohl glauben, meine sehr teure Mutter, wenn ich

Ihnen ganz einfach sage, daß die Ernennung meines Bruders zum Koad-jutor klar ein Werk Gottes ist. Ich habe niemals ein Wort dafür gespro-chen oder geschrieben, noch irgendeine Empfehlung erbeten oder ver-schafft. Es ist ganz allein ein Gunstbeweis seitens unseres allerhöchstenFürsten und ein entschiedener Wunsch von Madame; das tröstet mich,da ich darin nichts von mir, noch sonst ein Menschenwerk sehe ...

Annecy, Ende April oder Anfang Mai 1620.Was soll ich Ihnen sagen? Nichts anderes, meine sehr teure Mutter, als

daß es mir scheint, meine Seele stehe etwas fester in der Hoffnung, einesTages von den Früchten des Todes und der Auferstehung unseres Herrnverkosten zu dürfen. Der Herr hat mich, wie mir scheint, in den Tagender Karwoche bis heute die geheiligten Grundsätze und Lehren des Evan-geliums nicht nur klarer, sondern auch mit Gewißheit und geistlicherFreude ganz in der Spitze des Geistes deutlicher und gnadenreicherdenn je erkennen lassen. Ich kann mich nicht genug verwundern, daß ichmir so wenig Mühe gegeben habe, diese Grundsätze und die Lehre vomKreuz in die Tat umzusetzen, obwohl ich sie immer so hochschätzte. Omeine sehr teure Mutter, wenn ich mit meinen gegenwärtigen Empfin-dungen noch einmal auf die Welt käme, so glaube ich nicht, daß alle

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Klugheit des Fleisches und der Kinder dieser Zeit mich in meiner Ge-wißheit erschüttern könnte, daß diese Klugheit in Wirklichkeit nur einHirngespinst und eine ganz nichtige Albernheit ist. Nun, ich habe diesepaar Worte gesagt, um Ihrem Herzen zu gehorchen, das ich so unver-gleichlich und wie mein eigenes lieb habe. Ein anderes Mal werde ichIhnen von anderen Dingen schreiben.

Die Einsetzung des Koadjutors steht vor dem Abschluß und ist vonmehr Gunstbezeugungen begleitet als sonst etwas. Es ist auch kaumglaublich, wieviel Geist und Tugend mein Bruder vor Madame und die-sen großen Fürsten offenbart, sodaß ich schon deshalb bekannt und ge-liebt zu werden beginne, weil ich sein Bruder bin.

Die kleine Schwester hat ihre Tochter nach Vanchy gebracht. Frau dela Fléchère ist ganz zuverlässig, aber dauernd von vielen Angelegenhei-ten geplagt und schlechter Gesundheit. Der gute Pater wird Ihnen dasübrige erzählen.

Meine sehr teure Mutter, Gott sei immerdar inmitten unseres Her-zens. Amen.

Annecy, (Januar-Mai) 1620.Gott, dem ich gehöre, verfahre mit mir nach seinem Wohlgefallen; es

liegt mir wenig daran, wo ich den armseligen Rest meiner irdischenTage beende, wenn es nur in seiner Gnade geschieht. Meinem Empfin-den nach würde ich die Ruhe hier vorziehen, die mir unendlich friedvollsein wird nach Beendigung der Angelegenheit, über die man dort ver-handelt; aber ich leiste auf Sinne, Fleisch und Blut Verzicht und will imGeist und in der Wahrheit (Joh 4,23.24) Gott und seiner Kirche in jederLage dienen.

Annecy, 14. Mai 1620.An die Mutter von Chantal zu Paris. Nun bin ich in Ihrem Sprechzim-

mer, meine Mutter, wohin ich gehen mußte, um diese vier bis fünf Briefeschreiben zu können, die ich Ihnen schicke. Ich muß Ihnen doch sagen,daß ich nicht der Ansicht sein kann, es sollte etwas von der Ihnen be-kannten Seite aus geschehen, wenn Gott es nicht ausdrücklich will; dennerstens sagte ich gleich dem Herrn Kardinal, wenn ich meine Ehefrauaufgäbe, geschähe es nur, um keine mehr zu haben. Ich will trotz großerArbeit die Bürde der mir Angetrauten, mit der ich alt geworden bin,

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liebevoll tragen; aber was sollte ich mit einer mir ganz neuen anfangen?Die Ehre Gottes allein könnte mich durch die Worte meines oberstenHerrn, des Papstes, dieser Aufgabe entheben.

Zweitens: Mein Bruder ist nun Bischof. Das bereichert mich freilichnicht, aber es erleichtert mich und gibt mir einige Hoffnung, mich vondem Drang der Geschäfte zurückziehen zu können; das ist mehr wert alsein Kardinalshut.

Drittens: Aber „Ihre Neffen werden arm sein.“ Meine Mutter, icherwäge, daß sie es bereits nicht mehr in dem Ausmaß sind, als wie sie aufdie Welt kamen, denn sie wurden nackt geboren. Und dann würden mirweder zwei- oder dreitausend Taler, nicht einmal viertausend, die Mög-lichkeit geben, sie zu unterstützen, ohne meinen Ruf als Bischof herab-zusetzen, da dieses Amt doch soviel Almosen, fromme Werke und be-rechtigte und erforderliche Ausgaben nötig macht.

Viertens: Seine Hoheit läßt mich aufmerksam machen, er wünschenachdrücklichst, daß ich den Kardinal, seinen Sohn, nach Rom beglei-te; es wäre tatsächlich für den Dienst an der Kirche selbst günstig, wennich diese Reise machte, obwohl – ehrlich gesagt, meine Mutter – eskeineswegs meiner Neigung entspricht. Schließlich heißt das immer un-terwegs sein, und ich liebe es zu bleiben; es heißt auch, immer bei Hofzu sein, und ich liebe die Einfachheit. Aber es hilft nichts; da es sein soll,werde ich es gerne tun und währenddessen werden die Gedanken desgroßen Prälaten drüben Zeit haben, abgelenkt zu werden. Kurz, ich wer-de dafür nichts unternehmen, sofern ich nicht die feste Überzeugunghabe, daß Gott es will. Sprechen wir also nur gegebenenfalls davon,meine Mutter.

Ich bin immer vorbehaltlos und ohne Vergleich, d. h. über jeden Ver-gleich hinaus der Ihre und gewiß, wie Sie selbst recht wohl wissen, gänz-lich der Ihre ...

Annecy, um den 15. Juni 1620.An die Mutter von Chantal zu Paris. Könnte ich doch, meine sehr

teure Mutter, die heilige Gabe des Verstandes richtig empfangen undgebrauchen, um besser in die heiligen Geheimnisse unseres Glaubenseinzudringen! Denn diese Einsicht ordnet den Willen in wunderbarerWeise dem Dienst jenes unter, den der Verstand so wunderbar als ganzgut erkennt, in den er eingepflanzt und auf den er verpflichtet ist. Soversteht er nicht mehr, wie etwas anderes gut sein könnte im Vergleichmit dieser Güte, und auch der Wille will keine andere Güte mehr im

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Vergleich mit dieser Güte; so wie ein Auge, das geradewegs auf dieSonne hingerichtet ist, in keine andere Helligkeit hineinschauen kann.

Solange wir auf Erden sind, können wir nur lieben, wenn wir gut han-deln, weil unsere Liebe darin tätig sein muß, wie ich mit Gottes Hilfemorgen in der Predigt ausführen werde. Dafür brauchen wir aber Rat,um unterscheiden zu können, was wir dieser uns drängenden Liebe we-gen üben und tun sollen. Denn nichts drängt so sehr zum guten Handelnwie die himmlische Liebe. Damit wir nun wissen, wie wir das Gute tunsollen, welches Gute wir bevorzugen sollen und worauf wir die Tätig-keit der Liebe einsetzen sollen, schenkt uns der Heilige Geist seineGabe des Rates.

So ist unsere Seele wohl ausgestattet mit einem guten Anteil an dengeheiligten Gaben des Himmels. Der Heilige Geist, der uns seine Gna-de schenkt, sei immerdar Ihre Freude. Meine Seele und mein Geistbeten ihn ewiglich an! Ich flehe zu ihm, daß er immerdar unsere Weis-heit und unser Verstand, unser Rat, unsere Stärke, unsere Wissenschaftund unsere Frömmigkeit sei und daß er uns mit dem Geist der Furchtvor dem ewigen Vater erfülle.

Wir haben dieses heilige Pfingstfest nicht ohne Sie gefeiert; denn icherinnere mich wohl der heiligen Liebe, die Sie für dieses Fest hegen ...

Annecy, 5. oder 6. Juli 1620.Dies hier wird Ihnen als großartige Gelegenheit zu schreiben erschei-

nen, meine wahrhaft und einzig sehr teure Mutter, und doch ist sie esnicht; denn ich habe so viele Briefe abfertigen und so vielen Prälatenwegen Lyon, Nevers, Orléans und Clermont schreiben müssen, daß ichmich sehr bemühen muß, um meiner Pflicht Ihnen, meiner sehr teurenMutter gegenüber nachzukommen; ich meine in dem Maße, als ich diestun kann.

Da gehen also nun unsere Schwestern von hier weg, und wenn ichmich nicht täusche, sind sie alle sehr gut und beobachten die Regelgenau. Schwester Claude-Agnes hat sich hier so gut gemacht, daß ichglaube, sie wird dort noch besser sein. Wir dachten, Ihnen SchwesterMarie-Gasparde d’Avise zu schicken, damit sie bei Ihrer Rückreise Siebegleite, die zu einem Zeitpunkt statthaben wird, wann Sie es für günstigerachten, außer Turin drängt zur Eile.

Schwester Françoise-Marguerite ist Assistentin geblieben durch Wahl,bei Zwei-Drittel Mehrheit. Schwester Marie-Madeleine erhielt mehrere

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Stimmen und meiner Meinung nach ohne Überlegung, sie gehört ja nochnicht dem Orden, sondern nur der Kongregation an, da sie noch eineFrist erbeten hatte, um ihre Angelegenheiten ordnen zu können. Schwe-ster Marie-Adrienne erhielt auch einige Stimmen. Schließlich aber wollteGott, daß Schwester Françoise-Marguerite Assistentin sein soll, und erwill immer das Beste; denn sie ist eine gute Frau, klug, beständig undeine wahrhaftige Dienerin unseres Herrn; wohl ein wenig trocken undkalt nach außen, aber herzensgut, kurz angebunden, aber kernig. Sie undich, wir machen beide nicht viel Worte, weder als Vorrede, noch alsNachrede.

Ich muß Ihnen aber sagen, daß Schwester Péronne-Marie eine ganzbewundernswerte Tochter ist, in Wort, Haltung und Tat, denn das allesatmet Tugend und Frömmigkeit.

Hinsichtlich der Schwester Marie-Radegonde bin ich ganz Ihrer Mei-nung und der unseres guten Pater Binet. Mag eine Tochter ein noch soschlechtes Naturell haben, wenn sie aber in ihrem wesentlichen Verhal-ten der Gnade und nicht der Natur entsprechend handelt, so ist sie wür-dig, mit Liebe und Achtung als Tempel des Heiligen Geistes aufgenom-men zu werden; Wolf der Natur nach, aber Lamm durch die Gnade. Omeine Mutter, ich fürchte überaus die natürliche Klugheit bei Urteilenin Sachen der Gnade, und wenn die Klugheit der Schlange nicht von derEinfalt der Taube (Mt 10,16) des Heiligen Geistes durchtränkt ist, ist sieganz giftig.

O mein Gott, wie wunderlich ist doch unsere große Tochter!150 Sie hatmeinem Brief einen Sinn unterlegt, den ich ihm nicht geben wollte. Dahilft nichts; mein Brief und der ihre stehen schwarz auf weiß; wenn wiruns jemals wiedersehen, können Sie beide einander gegenüberhaltenund Sie werden dann sehen, wer Unrecht hat. Ich habe aber diese Toch-ter trotzdem immer lieb, ihre leidenschaftlichen Depressionen schrek-ken mich nicht; schließlich hat es Gott gewollt, daß ich ihr das sei, wasich ihr bin; so wird er selber bewirken, daß sie niemals daran zweifelt,oder wenn sie schon zweifelt, es nur in jähen Anwandlungen und gleich-sam als Versuchung geschieht.

Sie werden die Formulare für die Zulassung der Novizinnen zur Pro-feß und der Kandidatinnen zum Schleier erhalten; ich glaube, daß esvernünftigerweise hierüber nichts zu sagen gibt. Ich wundere mich überdiese guten Patres, die glauben, man müsse noch hinzufügen, daß mandas Gelübde den Oberen gegenüber ablegt. Wenn sie sich einmal dieProfeß der Benediktinerinnen anschauen würden, die Profeß der älte-

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sten und am meisten bevölkerten Klöster, da hätten sie genug zu bere-den, denn da wird keinerlei Erwähnung, weder der Vorgesetzten, nochder Gelübde der Keuschheit, Armut und des Gehorsams getan, sondernes wird nur das ständige Verbleiben im Kloster und die Umwandlungdes sittlichen Lebens nach der Regel des hl. Benedikt gelobt. Wer denGehorsam nach den Satzungen der hl. Maria gelobt, verspricht zugleichder Kirche und den Oberen der Kongregation oder des Klosters Gehor-sam und Beobachtung der Gelübde. Kurz, man soll in Frieden bleiben;denn wer auf alles hinhorchen wollte, was man sagt, der hätte viel zu tun.

Die Frau Präsidentin de Herce ist wirklich meine sehr teure Tochterund Gevatterin; sie ist ganz liebenswert vor Gott und den Menschen; ichschrieb ihr, und die Vernunft selbst forderte, daß ich schon längst diesePflicht ihr gegenüber erfüllt hätte. Ich bitte Sie, sie sehr zu lieben, auchaus Liebe zu mir, der ich möchte, daß alle guten Menschen ihr liebevollzugetan seien.

Die Frau Gräfin von Fiesques ist eine der Damen, die ich auf dieserWelt am meisten ehre; und ich spüre noch mit Wohlgefallen den Duftihrer Frömmigkeit und Tugend, den ich bei den zwei einzigen Malenwahrnahm, da ich sie bei dem guten Herrn von Monthelon und bei Frauvon Guise traf, und ich würde mich für sehr begünstigt halten, wenn ichihr irgendeinen guten Dienst erweisen könnte. Ihre Seele ist wahrlichvon Gott berufen und ich glaube, daß sie diesem Ruf in glücklicherWeise entsprechen wird.

Ist es notwendig, daß ich Ihnen von der Achtung erzähle, die ich unse-rer lieben Frau von Villesavon entgegenbringe, oder von der Zuneigung,die ich für ihre Frömmigkeit empfinde? Sie wissen es wohl; und wennich einen freien Augenblick gewinnen kann, werde ich ihr schreibenund ihrem Gatten, der mir die Ehre erwiesen hat, mir zu schreiben.Wenn ich aber nicht dazu komme, so bezeugen Sie ihr meine Ehrerbie-tung und fürchten Sie nicht, dabei zu viel zu sagen, denn die Worte, vonwem auch immer, können doch niemals dem gleichkommen, was ichempfinde.

Und sagen Sie auch bitte meine frohe und heilige Freude Frau Ame-lot wegen ihrer glücklichen Niederkunft; ihre Freuden werden immerdie meinen sein, weil meine Seele ihr in Wahrheit außergewöhnlichzugetan ist. Fräulein von Frouville weiß wohl, daß sie ganz meine liebeTochter ist; ich bin sicher, daß sie ihre Antwort hat. Ich bitte Sie, Fräu-lein von Puipeyroux herzlich zu grüßen und sie zu bitten, daß sie Fräu-lein von Crevant und Frau von Verton und die gute Frau Amori meiner

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steten Erinnerung an die Verpflichtungen versichere, die mein Herzihren von mir vollkommen geliebten Seelen gegenüber hat.

Meine Mutter, acht ganze Tage hindurch haben wir unseren so liebenMsgr. de Belley hier gehabt, der uns wundervoll fromme Ansprachengehalten hat, auch am Fest der Heimsuchung; es war mir eine überausgroße Freude, ihn sehen und die wahrhafte Güte seines Geistes genie-ßen zu können.

Ich habe schon seit drei Wochen keine Nachricht von meinem Brudervon Boisy;151 er erwartet die Ankunft des P. Don Juste, der vielleichtheute kommt; ich weiß aber nicht, ob er die gute Frau Donna Genevramitbringt, die – wie mein Bruder schrieb – vor einiger Zeit von demFürsten Urlaub erbeten hat, um zu kommen, und die ungeduldig ist, daßman die Errichtung des Klosters von Turin so sehr hinauszögert. Sie ist,wie mein Bruder schreibt, eine ganz hochherzige und heilige Frau.

Es ist wahr, daß ich unsere Schwestern gebeten habe, die große Péron-ne152 zu behalten. Falls die Reform in einigen Klöstern dieses Landesgelingt, hoffe ich, eine Zufluchtsstätte für sie zu finden und sie vor derdrohenden Gefahr des Untergangs zu bewahren. In diese geriete sie si-cher, wenn man sie ihrem Vater zurückschickte, der mit nichts Geringe-rem droht, als sie unter die Hugenotten zu schicken. Er ist ein so schreck-licher Mensch, daß man ihm nicht unrecht tut, dies zu vermuten und zubefürchten, wenn man es sagt. Man tut viel, um eine Seele zu retten, undich befürchte nicht, daß diese soviel Böses tut, daß man ihr gegenübernicht Nächstenliebe üben kann. Glauben Sie mir, meine sehr teure Mut-ter, wenn ich aufdringlich werde, so muß ich zuerst mir selber gegen-über aufdringlich gewesen sein. Ich werde mit Gottes Hilfe und etwasZeit irgendeine Zufluchtsstätte für dieses Mädchen finden; einstweilenkann man, da sie nicht eingekleidet ist, nicht viel Entscheidendes unter-nehmen ...

Ich schicke Ihnen unsere liebe Schwester Marie-Gasparde d’Avisemit unseren Schwestern von der Gründung in Orléans, damit sie Ihnenbei Ihrer Rückreise als Gefährtin diene; denn sie ist wahrhaft eine tu-gendreiche, aufrichtige, bescheidene Schwester, die Ihnen eine gute Stützesein wird ...

Annecy, 26. Juli 1620.Dieser Herr reist so eilig ab, daß ich Ihnen kaum schreiben kann, da

ich gezwungen war, nach Moulins lange Briefe zu schreiben wegen derSchwierigkeiten, die man dort der Gründung von Nevers bereitet hat.

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Ich sagte, man solle doch diese gesegneten Gelder teilen, denn mit 15.000Franken kann man diese Gründung beginnen (so viel hatte man hiernicht, auch nicht in Lyon und in Grenoble), und Schwester Jeanne-Char-lotte soll Schwester Paule-Hieronyme dorthin führen und ihr einen Monatlang assistieren, da man nichts Besseres tun kann.

Ich bitte Herrn des Hayes, die Angelegenheit bei Kardinal Retz zuregeln. – Mein Bruder nennt sich Bischof von Chalzedonien.

Wenn ich mehr Gewißheit habe, nach Paris zurückzukehren, werdeich es Sie wieder wissen lassen. Inzwischen tausend und abertausendSegenswünsche dem Herzen meiner sehr teuren Mutter wie dem mei-nen, und dem Herzen des sehr teuren Fräuleins von Frouville,153 meinerTochter, und allen Herzen unserer Schwestern. Wir haben das Herz derSchwester Anne-Catherine nicht vergessen, denn heute ist ja das Fest derhl. Anna, der 26. Juli 1620.

Annecy, 4. August 1620.Meine sehr gute und sehr teure Mutter!

Ich tue und lasse viele Dinge, um Ihrem Wunsch zu folgen. Vor achtoder neun Tagen litt ich ein wenig unter dem Unwohlsein, das mir ge-wöhnlich der Sommer bringt; unser Herr Grandis findet, es sei nichtsvon Bedeutung, und ich glaube das nicht nur fest, sondern fühle es offen-sichtlich. Trotzdem bin ich dadurch gezwungen, so wenig als möglich zuschreiben; im nächsten Monat werde ich diese Zurückhaltung wiederaufgeben können.

Ich schreibe also nur Ihnen und auch da nur wenig. Ich möchte abernicht, daß Sie daraus den Schluß ziehen, ich wollte Ihnen die LängeIhrer Briefe beschneiden. Denn diese bereiten mir stets eine große Freu-de, vorausgesetzt, daß sie Ihnen nicht schaden. Wenn ich früher von derAbreise des Herrn Pierre gewußt hätte, so hätte ich der geliebten Toch-ter geschrieben, die Sie bei sich haben, der Tochter vom Tag und vomOratorium der Heimsuchung, die an dem Tag, an dem man das Fest derhimmlischen Besuche feierte, so wirksam heimgesucht wurde.154 MeinGott, wie liebe ich doch ihr Herz und das meiner lieben Tochter, ihrerSchwester!155 Sie sollen nur beide so recht die Gabe Gottes (Joh 4,10)pflegen. Ich habe nach Rom geschickt, um zu erreichen, daß sie in dasKloster hineinkommen darf. Sie weiß wohl, was ich ihr bin und daß ichum ihr heiliges und vollkommenes Einssein mit ihrer lieben Schwesterweiß, die es wohl verdient, daß sie sie manchmal näher sehen darf ...

O meine Mutter, ich werde Ihnen und all unseren Töchtern schrei-

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ben, sobald unser guter P. Don Juste abgereist ist, der der bewunderungs-würdigste Verehrer und Bewunderer der Heimsuchung, von uns undallen uns Zugehörigen ist, den man sich nur denken kann. Er will in vierbis fünf Tagen aufbrechen, sowohl um die Signora Donna Genevra zuholen, als um der Weihe meines Bruders beizuwohnen und auch einesanderen Zweckes wegen, den Gott ihm eingegeben hat.

Ach, ich kann weder meiner sehr teuren Tochter, der Frau von Port-Royal, noch Fräulein Le Meistre schreiben; aber ich werde Gott bitten,daß er sie mit dem übergroßen Reichtum seiner heiligen Liebe erfreue.

Ich lebe in Ungeduld, bis ich unserer lieben Tochter einen kurzenGlückwunsch zu ihrer Verehelichung geschickt habe,156 die Gott im-merdar segnen möge. Amen.

Meine Mutter, ich grüße alle unsere Schwestern von hier, die altenund die neuen und alle von dort, und Frau von Gouffiers, meine Tochter,was sie auch zu sagen oder zu antworten weiß, und Frau von Villesavonmit ihrer Anne und Angelique,157 kurz alle. Ich werde unserem gutenHerrn von Saint-Jaques schreiben und antworten.

Wir haben Ihr Mädchen von Dijon empfangen, über das ich eine guteMeinung habe; es trägt einen bestimmten Zug meiner sehr teuren Mut-ter in seinem Antlitz.

Gott in seiner Güte sei ewiglich gepriesen in unserem einzigen Her-zen. Es lebe Jesus!

Annecy, 9. August 1620.Erwarten Sie keinen langen Brief von mir, meine sehr teure Mutter,

denn ich habe so viel geschrieben, daß ich nicht mehr kann; ich warnämlich gezwungen, neuerlich viel längere Briefe als gewöhnlich nachMoulins und Nevers abzufassen, um Aufklärung über die von mir erteil-ten Antworten zu geben; denn man hatte nicht alles gesagt und ich nichtalles beantwortet.

Die Schenkung des Fräuleins von Tertre zugunsten von Nevers, dienicht nur angenommen, sondern zum guten Teil auch bis zum Verbrauchvon 10.000 Franken über Anordnung und Veranlassung des Fräuleinsdu Tertre ausgeführt wurde, besteht zu Recht und es hat nicht den An-schein, als ob sie dies widerrufen könnte, zumindest nicht für den be-reits verbrauchten Teil. Ich glaube, daß alles gut gehen wird, ebenso dieAngelegenheit von Orléans. Das Gute, das ohne Widerspruch geschieht,scheint nicht von der Art dessen zu sein, das im Urchristentum geschah.

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Die arme Schwester Jeanne-Charlotte ist recht geprüft worden, wieman mir schreibt; am beklagenswertesten ist, daß man wieder die altenGerüchte aufgegriffen hat, die als ungerechtfertigt begraben waren, wiemir meine liebe Tochter des Gouffiers schreibt. Ich kann dieser nichtschreiben, sondern begnüge mich damit, sie diesmal nur von ganzemHerzen zu grüßen. Wie ungerecht ist doch die Welt und wie hassenswertihre Klugheit, denn sie ist gleich der Schlange und keineswegs verbun-den mit der Einfalt einer Taube! O, es besteht keine Gefahr, wenn Siealle diese Töchter mütterlich behandeln; sie werden es wie gute Töchteraufnehmen, dessen bin ich gewiß.

Hetzen Sie sich keineswegs wegen Ihrer Rückreise ab; diese Grün-dungen sind von so großer Bedeutung, daß man dabei nicht Zeit sparendarf. Da ich berufen wurde, den Fürstkardinal zu begleiten, sei es nachRom, sei es nach Frankreich, so gehöre ich nicht mehr diesem Land,sondern der Welt, und ich will keine andere Heimstätte als im Schoß derKirche haben. Ich beginne, meine Gedanken nur auf die Vereinigung imanderen Leben zu richten, in dem wir unzertrennlich sein werden, wiewir es jetzt im Geiste sind, dann auch von Angesicht zu Angesicht. Icherwarte jede Stunde, daß man mir schreibt, ich müsse nach Frankreichaufbrechen.

Ich übergab unseren Schwestern ein sehr gut geschriebenes Formularfür die Zulassung der Mädchen zum Schleier und zu den Gelübden. DieErfahrung hat bewiesen, daß man die Mädchen – wenn sie beim Gitteretwas erhöht bleiben – im ganzen Oratorium besser sieht und hört.

Meine Mutter, ich bin unseren hiesigen Schwestern gegenüber grau-sam, denn ich sehe sie kaum; aber die Welt ist mir gegenüber auch grau-sam, da sie mich mit soviel Betrügereien hintergeht. Ach, die arme Schwe-ster Marie-Madeleine ist eine gute Schwester, aber ich weiß nicht, wannes uns gelingen wird, sie über sich selbst hinauszubringen. Die armekranke Schwester Jeanne-Françoise aber wird nach und nach völlig gei-stesverwirrt, wenn Gottes mächtige Hand dies nicht verhindert. O, eswürde nicht viel ausmachen, wenn ihr das zustieße, wäre sie dann in derGnade Gottes. Im obersten Seelenbereich bin ich darob betrübt undwundere mich, daß ich sonst nichts darüber empfinde.

Wenn ich, meine Mutter, nach Rom gehe, müßten keineswegs dieSatzungen behandelt werden, denn diese werden immer wieder neu zumachen sein; man würde jemand zur Überprüfung beordern, der sievielleicht alle umstieße. Es wäre nur notwendig, das zu erreichen, daß

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das kleine Offizium für immer behalten werden kann. Es hat noch nieeinen Orden gegeben, von dem alle Satzungen vom Heiligen Stuhl inRom gebilligt worden wären; es genügt, wenn die Regeln gutgeheißenwerden. Alles, was die Klugheit dabei tun kann, wird bei der Überprü-fung geschehen; danach heißt es, in Frieden bleiben und es der Vorse-hung Gottes überlassen, sie festzulegen, was sie auch tun wird ...

Annecy, 22. September 1620.Gestern spät abends erhielt ich Ihre Briefe, meine sehr teure Mutter,

vom Vorabend des Festes Unserer lieben Frau, und heute morgen schrei-be ich Ihnen rasch durch Herrn Pierre, der im Begriff steht, abzureisen;es ist heute der 22. September, der Tag des hl. Mauritius.

Da ich mich gerade daran erinnere, muß ich Ihnen sagen, daß unserePatres Barnabiten mich beiliegenden Brief an den Herrn Erzbischofvon Bourges schreiben ließen; es liegt ihnen sehr daran, daß ich Antwortbekomme. Sie werden ihn ja lesen, meine sehr teure Mutter, und wennSie etwas darüber erfahren, bevor Msgr. von Bourges mir schreibt, wer-den Sie es mir wohl mitteilen.

Weiter muß ich Ihnen sagen, meine sehr teure Mutter, daß die Reisedes Herrn Fürstkardinals nach Frankreich wieder in Angriff genommenwird. Mein Bruder schreibt mir, daß man sie für sicher ansieht und daßich sie mitmachen werde, wenn sie zustandekommt. Der Fürst will, daßich ihn überallhin begleite, so daß ich Sie bald wiedersehen werde, wennder König seine Winterresidenz in Paris aufschlagen wird.

Ich hoffe mit Ihnen, meine sehr teure Mutter, daß unsere SchwesterClaude-Agnès158 es gut machen wird, zumal sie bei diesem Anfang Ih-nen so nahe ist, denn mir kommt Orléans wie ein Vorort von Paris vor.Und da diese würdige und gute Fürstin159 sie so begünstigt und beschirmt,meine ich, daß dank der Gnade Gottes ein schöner Fortschritt für diesesHaus erwartet werden kann, da Gott selbst ja doch wichtiger und einzi-ger Gegenstand all unseres Vertrauens ist.

Es wird mich sehr freuen; wenn ich weiß, daß Sie untergebracht sindund zwar in der Stadt,160 denn dies ist auch die Ansicht unseres guten PaterBinet,161 der so lieb zu Ihnen und ein so guter Ordenspriester ist. Ichverschiebe es immer wieder, ihm zu schreiben, und vielleicht werde ichihn noch früher sehen. Allerdings glaube ich, daß die Reise erst gegenEnde des nächsten Monats oder zu Beginn des November stattfinden wird.Da fällt mir übrigens ein: Bitte sagen Sie Herrn von Saint-Jaques,162 daß

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ich nur darauf warte, ihm durch die Verwirklichung dessen antworten zukönnen, worum er mich gebeten hat, da mein Bruder mir schrieb, er wer-de nichts vergessen, um seinen Wunsch zu befriedigen.

Ich erwarte besorgt Ihre ersten Nachrichten über die Krankheit derSchwester Marie-Marguerite de Saint-Bonet,163 denn ich wünschte sehr,daß sie wieder gesund wird, wenn Gott es will, ohne dessen Willen ichnichts wünschen will. Morgen will ich ihren Bruder, Herrn von Belley,aufsuchen, den ich immer liebenswerter finde. Aber ich sehe nicht, wieman ihn überreden könnte, das unbeherrschte Gestikulieren beim Pre-digen aufzugeben, noch wie man dem Lauf seiner Feder Einhalt gebie-ten könnte, was – wie Sie mir schrieben – der Wunsch vieler wohlmei-nender Leute sei. Nun, er schreibt jetzt an einem Werk, das nach derBeurteilung der hiesigen Jesuitenpatres und einiger Theologen, die esgelesen haben, sehr zum Nutzen für Weltleute sein soll: eine Arbeitgleicher Art wie „die Erinnerungen“ unserer armen „Darie“.164 Ich wer-de Ihnen durch ihn, der Anfang des nächsten Monats abreist, neuerlicheinen Brief zukommen lassen.

O, mit welch tiefer Freude ist doch mein Herz erfüllt, meine sehrteure Tochter, daß die Frau von Port-Royal mit Ihnen beisammen war.Ich sagte ihr, da ich nun auf immer ihr angehören müsse, würde ichauch Sie ihr hingeben in gleicher Weise und einzigartig mit mir – undich hätte sagen sollen „in mir“. Nun bin ich unendlich froh, daß Sie sieso liebenswert fanden. Sie ist es wirklich ganz, so wie ich es wünsche,trotz all dem, was sie gegen sich selbst sagt, was ja alles wahr ist. Aberdas wird ausgeglichen durch einen so guten und aufrichtigen Willen,daß es nichts ausmacht. Und vor allem, sie hängt nicht daran und dasalles wird sich eines Tages durch die Gnade Gottes verlieren. DenkenSie, meine sehr teure Mutter, ob ich Ihrem Wunsch entsprechen undihr geliebtes Herz befriedigen möchte. Ich denke wie Sie, daß sie vielgewinnen könnte, wenn sie die Möglichkeit hätte, sich ein wenig beiIhnen zurückzuziehen. Aber wie? Je mehr ich darüber nachdenke,desto weniger Möglichkeiten sehe ich dafür. Dieses Institut steht ineinem höheren Rang als das unsere und es ist ein hochangesehenerOrden. Aber Gott weiß um Dinge, die wir nicht wissen; wenn es seinerVerherrlichung dient, wird er möglich machen, was uns nicht möglichzu sein scheint. Wenn er diese Tochter dort läßt, wird er dort alles fürsie tun, was wir ihr nur wünschen könnten. Ich habe leider keine Mög-lichkeit mehr, ihr zu schreiben, denn Herr Pierre drängt mich schon.Meine sehr teure Mutter, grüßen Sie ihre Seele recht herzlich von mei-

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nem Herzen, das Ihnen und ihr gehört. Gott möge alles an sich ziehen,zu sich und für sich. Amen.

Ich kann der Marquise von Meneley nicht mehr schreiben, die mir soherzlich geschrieben hat, noch der Generalin der Galeeren, die ich soüberaus verehre; überbringen Sie ihr, wenn es möglich ist, meine Ehrer-bietung. Ich bin der ganz ergebene Diener der Frau Gräfin von Saint-Paul.165

Hier befindet sich alles wohl. Ich grüße die Frau Präsidentin von Her-ce, der ich in wenigen Tagen schreiben werde, und alle unsere liebenSchwestern. Herrn de Frouville und Villeneuve und unserer großen Toch-ter tausend Grüße.

Annecy (Juli-Oktober) 1620.Meine sehr teure Mutter!

Ich sehe, daß Leute von Rang und Namen sehr zum Urteil hinneigen,die Frauenklöster sollten unter der Autorität der Ordinariate stehennach dem alten, fast überall in Italien wiedereingeführten Brauch, oderunter der Autorität von Ordensleuten, wie es vor 400 bis 500 Jahreneingeführt wurde und fast überall in Frankreich beobachtet wird.

Was mich betrifft, meine sehr teure Mutter, so bekenne ich offen, daßich mich gegenwärtig nicht der Ansicht jener anschließen kann, die wün-schen, daß die Frauenklöster den Ordensleuten und vor allem des glei-chen Ordens unterstellt werden, wobei ich der Ansicht des HeiligenStuhles folge, der – wo er es im Guten tun kann – eine solche Unterstel-lung verhindert. Das soll nicht heißen, daß dies nicht geschehen ist undauch nicht noch vielerorts in lobenswerter Weise geschieht; wohl aber,daß es noch lobenswerter wäre, wenn es auf andere Art und Weise ge-schähe; worüber es Verschiedenes zu sagen gäbe.

Weiter scheint mir nicht mehr unpassend zu sein, wenn der Papst dieTöchter eines Institutes von der Jurisdiktion der Ordensmänner desgleichen Institutes ausnimmt, als wenn er die Frauenklöster aus derJurisdiktion der Ordinariate ausnimmt, die doch so ausgezeichnetenUrsprungs und so lange in Kraft war.

Und schließlich scheint mir, daß der Papst mit Recht diese gutenOrdensschwestern166 von Frankreich tatsächlich der Führung durch die-se Herren unterstellt hat; und ich meine, daß diese guten Töchter nichtwissen, was sie wollen, wenn sie die Obergewalt der Ordensmänner fürsich herbeiwünschen. Diese sind zwar wirklich ausgezeichnete DienerGottes, aber es ist immer hart für die Schwestern, von Männern be-

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herrscht zu werden, die die Gewohnheit haben, ihnen die heilige Gei-stesfreiheit zu nehmen.

O meine sehr teure Mutter, ich grüße Ihr Herz, das mir wertvoller istwie mein eigenes. Es lebe Jesus! ...

Annecy, 11. Oktober 1620.Wie sehr wünsche ich doch, meine sehr teure Mutter, Ihnen ordent-

lich und ausführlich über den Gegenstand schreiben zu können, auf denIhre beiden letzten Briefe mich verwiesen. Aber das läßt sich sichernicht machen, denn, wenn es Gott gefällt, muß ich noch nach Moulinsschreiben.

Nun ist es zwar gewiß, daß ich die Reise nach Frankreich machenwerde, aber nicht so bald; was mir recht angenehm ist, denn inzwischenkönnte sich der König vielleicht nach Paris begeben – das einzige Mit-tel, uns auch hinzuführen. Ich werde, wenn es geht, heute noch demBischof von Lucon schreiben, der mir in Tours soviele Freundlichkeitenund Gunstbezeugungen erwies, daß er meiner Meinung nach auch nochdiese meine Bitte in Erwägung ziehen wird. An die Königin-Mutter aberwerde ich gewiß nicht so bald schreiben, denn es bedarf wohl gewichti-ger Dinge, um solchen Majestäten zu schreiben. Ich glaube wohl, daßFrau von Soyssons Sie weder gefördert hat, noch ungnädig war, vor al-lem, wenn Sie sie um nichts gebeten haben. Aber in einer Hinsicht hatdas Unglück sein Gutes: die Königin wird, glaube ich, viel eifriger undzugänglicher sein, wenn sie nach Paris zurückkommt, was man als si-cher annimmt.

Ich erwarte Herrn Michel und durch ihn viele Nachrichten von unse-ren Schwestern. Welchen Trost bedeutet doch die Genesung der kleinenSchwester von Saint-Bonet und der anderen, die ich – scheint es mir –nicht kenne.

Da kommt gerade unser Herr Michel mit einer Menge von Briefen.Ach mein Gott, wieviel Antworten bin ich doch schuldig und werde esweiter sein! Aber ich werde alles abzahlen, wenn ich etwas Zeit habe,und besonders werde ich unserem guten Pater Binet für seine Ratschlä-ge danken, wenn ich sie gelesen haben werde, und ich werde alles tun,was ich kann und wie ich es verstehe, um die Satzungen gut abzufassen.

O meine Mutter, welche Freude bereitet mir doch die Vorstellung,meine sehr teure Tochter bei meiner Mutter zu sehen auf dem Weg vonund nach Port-Royal! Wir werden ausführlich darüber reden, wenn ichkomme, wie ich hoffe. In der Eile aber grüße ich sie durch Ihre Vermitt-

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lung und alle unsere lieben Schwestern. Ich habe leider erst einen ganzkleinen Teil der Briefe gelesen, die Herr Michel mir gebracht hat; ichwerde überall hinschreiben, wohin Sie nur wollen.

Leben Sie indessen ganz in Gott und für Gott, meine sehr teure Mut-ter; ich empfehle unser einziges Herz seiner heiligen Barmherzigkeit.

Annecy, um den 9. oder 10. November 1620.... Unsere gute Schwester Marie-Aimée von Morville167 schrieb mir

einen ganz goldigen Brief: daß sie ihr Papier zerrissen hat, daß sie die10.000 Franken Nevers überläßt und sich gänzlich Gott und seiner hei-ligen Mutter hingibt. Ist das nicht eine von Gott recht geliebte Seele? ...

Annecy, 22. November 1620.... Ich bin sehr betrübt, meine sehr teure Mutter, über den geistlichen

Untergang dieses Freundes, der soviel mit mir beisammen war.168 OEitelkeit des menschlichen Geistes, wenn er auf sich selber vertraut!Wie eitel sind doch die Menschen, wenn sie an sich selbst glauben! Esmüssen zwar Ärgernisse kommen, aber wehe dem Menschen, durch densie kommen (Mt 18,7). Dieser junge Mann hat sich nie leiten lassen, wieich es wünschte, immer hat er das milde Joch unseres Herrn zurückge-stoßen. Ich verzage aber nicht daran, ihn doch eines Tages wieder dasMeer zurück überqueren und in den Hafen einlaufen zu sehen, aber ichweine aus ganzem Herzen um ihn.

Er schrieb meinem Bruder über seinen Austritt mit so viel Ehrerbie-tung, Untertänigkeit und Höflichkeit, wie es nicht besser sein könnte,mit folgenden Worten: „Ich löse mich aus der Gemeinschaft der Kirche,um mich nach England zurückzuziehen, wohin Gott mich ruft.“ Werwürde nicht über dieses Wort „Ich löse mich aus der Gemeinschaft derKirche“ traurig sein, denn sich von der Kirche trennen, heißt sich vonGott trennen. Die Kirche verlassen – o Gott, welche Verirrung! AberFleisch und Blut haben ihn dazu gebracht.

Ach, die Schönheit des Geistes zerstört oft sein Gutsein, währenddiese Schmetterlinge sich im Glanz ihrer törichten und eitlen Flügelspiegeln und sie im Feuer sehen wollen, das sie dann verzehrt. O, wiegefährlich ist die Wissenschaft, so groß sie auch sein mag, wenn sie ohneLiebe und Demut schafft! Und wie viel gefährlicher ist sie noch, wennsie gering und doch anmaßend ist! Dieser arme junge Mann war immer

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– wie Sie wissen – vermessenen Geistes, weil er immer schon so wenigausgerüstet war. Neugier, Unbeständigkeit, Freiheitsdrang, Eigendün-kel seines Geistes, begründet auf einer natürlichen Begabung zu guterund rascher Rede, haben ihn schließlich zusammen mit der Sinnlich-keit verdorben. Kurz, ein gutes Urteil, verbunden mit Reife und Demut,ist eine seltene Gabe. Vielleicht aber wissen Sie noch gar nichts darü-ber; wenn es so ist, dann sollen Sie nichts davon wissen, meine sehr teureMutter. Und bleiben Sie in Frieden!

Welche Freude dagegen, zu wissen, daß unsere Kongregation sich inguten Seelen ausbreitet; daß meine immer noch mehr teure Tochter vonPort-Royal ihr Herz hoch zu Gott emporhält; daß die liebe Frau vonMontigny169 geduldig ihr Leiden erträgt. Grüßen Sie sie, meine Mutter,herzlichst von mir und lassen Sie sie wissen, daß ich sie und das Kreuz,das auf ihr lastet, herzlich liebe. Ich grüße auch Frau N. sehr. Da mir dieZeit fehlt, sage ich ihr durch Ihre Vermittlung, daß ihre Zurückgezogen-heit wie eine Dattel ist, die schließlich zu einer schönen Siegespalmewird, aber vielleicht erst in einhundert Stunden, in einhundert Tagen,einhundert Wochen oder einhundert Monaten. Die Widrigkeiten, diesie ertragen mußte, werden ihr dazu verhelfen.

Möge Gott uns immer mehr überreich machen an Reinheit und Ein-fachheit der Liebe zu ihm und an Festigkeit und Aufrichtigkeit in derLiebe zum Nächsten.

Ja, Gott zieht seine Verherrlichung auch aus der Schande derer, dieihn verlassen. Zum Schluß will ich Ihnen, meine sehr teure Mutter, ver-sichern, daß Gott mich durch den Fall dieses jungen Mannes mit neuenBeweisen seiner Güte, Liebesempfindungen und geistlichen Erleuch-tungen beschenkt hat, um mich umso mehr die Herrlichkeit des katho-lischen Glaubens bewundern zu lassen ...

Leben Sie wohl, meine sehr teure Mutter. Jesus Christus sei immerdarunser Tageslicht in der Ewigkeit und unsere brennende Kerze im gegen-wärtigen Leben. Amen ...

Annecy, 6. Januar (1621 oder 1622).Ach, wann werden wir ganz Myrrhe sein durch Selbstabtötung, Weih-

rauch durch Gebet und Gold durch Nächstenliebe? Wann werden wirdie zeitlichen Angelegenheiten mit himmelwärts gerichteten Augen be-handeln? Wann wird jeder von uns den ihm nach dem Wunsch des Herrnzustehenden Rang lieben? Wann werden wir nichts mehr für den Trostunserer Herzen suchen? Wann werden wir nur mehr Ihn suchen, der uns

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überall suchen geht, um unsere Herzen zu besitzen und sie mit Segnun-gen zu erfüllen? O, wie erstrebenswert ist es doch, Gott fest und bestän-dig zu lieben!

Annecy, Anfang Mai 1621.An die Mutter von Chantal zu Paris.

Meine sehr teure Mutter!Meiner sehr teuren Tochter170 schreibe ich meinem wahren Empfin-

den gemäß. Es ist wohl wahr, daß man ständig davon spricht, ein Kinddes Evangeliums zu sein, und doch achtet fast keiner dessen Grundleh-ren so gänzlich, wie er es tun sollte. Wir haben zu viele Vorhaben undPläne, wir wollen zu viele Dinge: wir wollen die Verdienste von Kalva-ria und die Freuden vom Tabor zugleich haben, die Gnaden Gottes undauch die Gnaden der Welt.

Prozessieren! Nein, wirklich, das will ich auf keinen Fall. Wenn je-mand dir den Rock nehmen will, so laß ihm auch den Mantel (Mt 5,40;Lk 6,29). Was denkt sie? Nicht vier ihrer Leben würden genügen, ihreAngelegenheit auf gerichtlichem Weg zu bereinigen. Sie soll an Hungerund Durst nach Gerechtigkeit sterben, dann wird sie selig sein (Mt 5,6).

Ist es denn möglich, daß ihre Schwestern ihr nichts geben wollen?Wenn dem aber so ist, kann es dann sein, daß die Kinder Gottes alleshaben wollen, was ihnen gehört, da doch Jesus Christus, ihr Vater, nichtsvon dieser Welt haben wollte, die doch sein ist? O mein Gott, wie sehrwünsche ich ihr alle Güter, vor allem aber die Güte und den Frieden desHeiligen Geistes und die Ruhe, die sie in meinen Gefühlen für sie fin-den soll; denn ich kann sagen, ich weiß, daß meine Gefühle für sie Gottgemäß und nicht nur das, sondern auch von Gott sind. Bedarf es denn sovieler Geschichten für ein so flüchtiges Leben? Braucht es einen Gold-rahmen für ein Bild von Papier? Ich sage ihr väterlich mein Empfinden,denn ich liebe sie gewiß überaus; aber ich sage das vor unserem Herrn,der weiß, daß ich nicht lüge (2 Kor 11,31; Gal 1,20) ...

Was soll ich Ihnen mehr sagen? Nichts anderes, meine sehr teure Mut-ter, als daß ich Ihr Herz unvergleichlich und wie mein eigenes liebe,sofern noch von Mein und Dein zwischen uns gesprochen werden kann,in denen Gott eine so unveränderliche und unlösbare Einheit errichtethat, wofür er ewiglich gepriesen sei. Amen.

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Annecy (gegen Ende Mai) 1621.Meine sehr teure Mutter!

Aus dem Brief dieses guten Paters werden Sie dessen Ärger ersehen,der mich gewiß ein wenig getroffen hat. Da mich aber diese Nachrichtgerade in einer Stimmung völliger Hingabe an die Führung der hochhei-ligen Vorsehung erreicht hat, habe ich in meinem Herzen nichts gesagtals: „Ja, himmlischer Vater, denn so war es nach Deinem Wohlgefallen“(Mt 11,26). Und heute morgen überkam mich gleich beim Erwachenein so starkes Empfinden, ganz nach dem Geist des Glaubens und derobersten Seelenspitze zu leben, daß ich trotz meiner Seele und meinesHerzens das will, was Gott will, was ihm am allermeisten dienen wird,vorbehaltlos, ohne fühlbare und geistliche Freude; und ich bitte Gott, ermöge mich niemals meinen Entschluß ändern lassen.

Seit Ostern hatte ich ständig unter Unpäßlichkeiten zu leiden; aberich sehe kein Heilmittel dagegen, noch eine Gefahr darin. Sie sind auch,Gott sei Dank, vergangen. Und ich bitte Gott, sie mir wieder zu schik-ken, wann immer es ihm gefallen wird.

Ich habe die Direktorien durchgesehen; ich lasse sie abschreiben, umsie Ihnen zu schicken. Ich werde auch die Satzungen durchsehen, damitSie sie vor Ihrer Abreise neu drucken lassen. Ich will sie immer kurzfassen und vieles den „Unterweisungen“ vorbehalten, da in solchen Din-gen Kürze erforderlich ist. Auch wenn man 30 Jahre lang schriebe, könnteman es nicht verhindern, daß heikle und nörglerische Geister immeretwas daran auszusetzen hätten. Es muß Sorge der Vorgesetzten, es mußihre Frömmigkeit und ihr Geist sein, die alles ergänzen.

Tausend liebe Grüße Ihrer Seele, meine sehr teure Mutter, der Gottmich in unvergleichlicher Weise gegeben hat ...

Annecy, gegen Ende Juli 1621.Meine sehr teure Mutter!

Gott, der in seiner Liebe unsere beiden Seelen zu einer einzigen ge-fügt hat, sei ewig gepriesen! Ich grüße Ihr Herz, das mir mehr wert ist alsmein eigenes. Ach, wie sehr wünsche ich doch, daß unser Leben nicht inuns, sondern im Leben unseres Herrn Jesus Christus leben möge (Gal2,20)! Was kann ich unserem Herzen Besseres wünschen?

Sobald ich kann, werde ich der großen Tochter170 schreiben, denn ichsehe wohl, daß wir in einer Zeit leben, in der die Väter beginnen müssen,Frieden zu schließen. Ach, es ist doch wahr, daß mein Herz nicht un-recht hat; denn ich schrieb ohne Hintergedanken und ganz ohne Bitter-

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keit, wenn auch mit einer gewissen Freiheit und entgegen dem Empfin-den dieser Tochter. Der unversöhnliche Haß, den ich gegen Prozesse,Streitigkeiten und Gezänke hege, ließ mich so schreiben.

Da der hochwürdige Pater und Sie es für gut befinden, die mir genann-te Summe zu geben, billige ich es sehr, da dies mehr der Sanftmut ent-spricht, die unser Herr seine Kinder lehrt. Ich sähe jedoch gerne, wenndiese teure Tochter ihrerseits die gleiche Lehre befolgte, und ich hoffe,daß sie es eines Tages tun wird. O, wie ist doch der Friede eine heiligeWare, die es wohl verdient, teuer erworben zu werden!

Ja, ich sage schon, daß man sich fest im Rahmen unserer Regeln undunseres Institutes halten muß, denn Gott hat dieses Institut nicht fürnichts geschaffen und es nicht an so vielen Orten herbeiwünschen las-sen, damit es geändert werde. Die Erbauung, die unsere Häuser alle Tagegeben, bestätigt die Absicht des Heiligen Geistes; denn es ist wunder-bar, wie sehr das Ansehen der Frömmigkeit durch unsere Schwesternzunimmt, und ich sehe auch, wie diesen unseren Schwestern daraus rei-cher Lohn erwächst und sie immer mehr zur Reinheit und Heiligkeitdes Lebens hingezogen werden. Ich war eineinhalb Stunden im Sprech-zimmer: ich sah drei unserer Schwestern und ich war sehr erfreut zusehen, wie das wahre Licht sie die Wahrheit der großen und tiefen Grund-lehren der Vollkommenheit erkennen läßt, so daß die einen mehr, dieanderen weniger – aber meiner Meinung nach alle – weit voran sind.Viele fremde Damen, die sie gesehen haben, sind mit Tränen in denAugen und tiefen Empfindungen fortgegangen.

Meine sehr teure Mutter, ich grüße Ihr Herz von meinem ganzen Her-zen, das ganz vollkommen und unwiderruflich Ihnen gehört in unseremHerrn, unserer einzigen Liebe. Ich grüße alle unsere Schwestern undbitte Sie, demütigst unseren Herrn Erzbischof zu grüßen, den ich garnicht gebührend ehren kann, wie ich möchte, seit er wie die ersten Bi-schöfe der Kirche171 verfolgt wird. Ich möchte ihm gerne das Gefühl derEhrerbietung und Hochachtung bezeugen können, das ich für ihn hege.

Ich bin, meine sehr teure Mutter, immer mehr und auf ganz einzigar-tige Weise in unserem Herrn der Ihre. Gott sei gepriesen! ...

Annecy, 7. August 1621.Wenn der Überbringer dieser Briefe morgen zeitig früh abreist, wie er

sagt, dann gibt es, meine arme sehr teure Mutter, keine Möglichkeit,Ihnen die Satzungen bis zur nächsten Woche zu senden; denn ich muß

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sie erst durchsehen, da ich schon gleich am Anfang Schreibfehler gefun-den habe. Ich werde sie Ihnen daher entweder diesmal senden, wenn derÜberbringer noch einen Tag hierbleibt, oder bei erster sich bietenderGelegenheit, die sich recht bald ergeben wird. Dann wird es Ihre Sachesein, zu sehen, ob man sie in Paris oder Lyon drucken läßt.

Aus Rom habe ich noch keine Nachrichten seit der Abreise des HerrnMichel. Wenn ich mir selbst glauben wollte, würde ich das tun, was dieLeute, die sich dort befinden und in den Angelegenheiten bewandertsind, von uns und besonders von mir sagen: Wir werden lästig mit unse-ren Bitten um Dinge, die wir tun könnten, ohne um sie zu bitten. Weilwir aber um sie bitten, müssen wir eben dulden, daß wir sie nur unterden gewöhnlichen Bedingungen von jenen erlangen, die sie erledigen.Wir haben uns aber nun einmal darauf eingelassen; daher dürfen wirnichts versäumen, um es zu erlangen, und mit Gottes Hilfe werden wirauch nichts versäumen.

Ich bin sehr betrübt, daß unsere Tochter172 ihren Sohn verloren hat,doch gebe ich deshalb die Hoffnung nicht auf, daß sie die Kinder gutaustragen wird, die Gott ihr in Zukunft schenkt.

Sie werden es mich wissen lassen, wann es Zeit ist, Ihnen einen Geist-lichen zu schicken, damit er Sie auf Ihrer Rückreise begleite; ich werdeIhnen dann entweder Herrn Michel senden oder Herrn Rolland, derdort etwas zu erledigen hat, was sich in dieser Zeit vielleicht gut machenließe. Er wird Ihnen auf der Reise, solange Sie es wünschen, gute Dien-ste leisten, da er nicht mehr Domherr von Notre-Dame ist, sondern die-se Stelle aufgegeben hat, um besser das tun zu können, was ich von ihmwünsche. Darüber soll aber noch nicht viel gesprochen werden.

Wir erwarten P. Don Juste für St. Laurentius und werden von ihmerfahren, was man vom Turiner Kloster erwarten soll. Falls man nicht,zumindest nicht so bald dorthin aufbricht, könnte man unsere großeTochter länger in Montferrand belassen oder anderswo einsetzen, wennman es so für gut findet.

Die zwei großen Töchter von Montferrand und Orléans173 sind einwenig nach der Art ihres Vaters, sie neigen ein wenig zur Nachsicht undNachgiebigkeit im Sprechzimmer. Es wird aber leicht sein, sie teilweisezu mäßigen; denn es ganz zu beheben, wird wohl nicht gehen. Der Bi-schof von Calcedon174 hat mich in dieser Hinsicht getadelt und wir lebennun geordneter, aber immer wieder unterläuft mir doch ein Fehler; undobgleich das sehr wenig ist, so wirft man mir doch meine alten Ange-wohnheiten vor und rechnet mir einen Fehler dreifach an.

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Meine sehr teure Mutter, wenn Sie es für dienlicher erachten, dortnoch einige Zeit zu bleiben, so tun Sie es ruhig, wenn es auch meinemEmpfinden widerstrebt; denn gerne zügle ich den äußeren Menschen, d.h. meinen Geist, wenn er seinen natürlichen Neigungen folgt. Ich sagedies deswegen, was Sie mir in Ihrem letzten Brief schrieben.

Sobald wir Nachrichten aus Dijon haben, werde ich sie Ihnen mittei-len; ich vermute, daß es wegen eines Hauses ist, denn der JesuitenpaterArviset sagte mir in Lyon, daß darüber noch verhandelt werde.

Ich habe Ihren Brief nochmals durchgelesen und finde, daß unser Erz-bischof recht gut entschädigt wurde. Gott gebe, daß auch die Einwohnervon Bourges es seien, und das hoffe ich, da sein Nachfolger ein fähiger undwohlmeinender Mann ist; ich weiß aber nicht, ob es der Bußpriester vonBourges oder von Paris ist. Ich bitte Sie, meine sehr teure Mutter, diesenErzbischof herzlichst zu grüßen, der immer mein Erzbischof bleiben wird,auch wenn er sein Erzbistum verläßt und ich in Vienne einen anderenhabe. Ich bin, meine sehr teure Mutter, immer mehr, immer unveränder-licher, vollkommener und unvergleichlicher der Ihre.

Hinsichtlich unserer Schwester de Gouffiers bin ich mit dem PaterBinet einer Meinung, und doch möchte ich gerne ihr Herz wiedergewin-nen, denn es scheint mir, daß sie kein anderes finden wird, das mehr fürsie ist als das meine; und es ist nicht gut, die Freundschaften aufzugeben,die Gott allein uns geschenkt hat. Ich erinnere mich noch immer, wierasch doch diese Tochter einst zur Liebe Gottes und zur Entäußerungihrer selbst vorwärts eilte, sodaß ich ganz betroffen bin, sie von neuemund so stark von sich selbst bekleidet zu sehen. Wäre sie doch niemalsvon hier weggegangen! Gott hätte wohl andere Mittel gefunden, dieHäuser von Moulins und Paris aufzubauen. Aber ich will das zurück-nehmen und bekenne, daß Gott alles gut getan (Mk 7,37) und alles zumBesten zugelassen hat, und so hoffe ich, daß – wie er uns diese Tochterohne unser Zutun gegeben hat – er sie uns auch ohne unser Zutun wie-dergeben wird, wenn dies sein Wohlgefallen ist. Aber einladen soll mansie nicht, wiederzukommen, wenn Gott es uns nicht ausdrücklich alsseinen Willen zu verstehen gibt. Man muß diese Angelegenheit ihmganz allein im Sinne seiner gütigen Vorsehung überlassen.

Ach, ich dachte, meiner Tochter, die mir immer mehr teuer ist, derÄbtissin von Port-Royal schreiben zu können, aber es ist doch nichtmöglich, ebenso wie ich Ihnen nicht die Satzungen schicken kann; dieswird aber sobald als möglich geschehen. Wie traurig ist doch mein Herzüber die Nachricht vom Hinscheiden des Herrn von Termes!175

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Annecy, 24. August 1621.O mein Gott, wie froh war ich doch heute morgen, meine liebe Mut-

ter, meinen Gott so groß zu finden, daß ich mir seine Größe gar nichterst genug vorstellen konnte. Da ich ihn aber nicht noch herrlicher undnoch größer machen kann, will ich doch mit Gottes Hilfe überall seineGröße und Unendlichkeit verkünden (Ps 71,15). Verbergen wir indes-sen unsere Kleinheit zutraulich in dieser Größe; und wie ein kleinesKüchlein, wenn es unter den Fittichen seiner Mutter weilt, sich so gesi-chert und wohl fühlt, so lassen wir auch unsere Herzen unter der gütigenund liebevollen Vorsehung unseres Herrn ausruhen und Wärme undZuflucht unter seinem heiligen Schutz suchen (Ps 17,8; 41,5; 92,1; Mt23,37). Ich habe noch manch andere gute Gedanken gehabt, aber es warmehr ein Verströmen meines Herzens in die Ewigkeit und in den Ewi-gen, als Erwägungen.

Gott sei gelobt, daß Sie in Ihrem Haus sind. Die Schwierigkeiten, dieSie gehabt haben, dahin zu kommen, werden Ihren Wohnsitz dort nurfestigen, entsprechend der Methode, die es Gott gefällt, in seinem Dienstanzuwenden.

Ich halte es für gut, wenn Sie zurückkommen, mit einem guten erge-benen Willen, dorthin zurückzukehren, wann der Dienst Gottes es for-dern wird. Wir müssen ein mühevolles Leben führen, sind wir dochKinder der Leiden und des Todes unseres Heilands. Aber Sie brauchensich nicht beeilen; denn, wie Sie sagen, wird der Winter Ihre Reise nichtbehindern. Es ist ja notwendig, daß Sie sich ein wenig bei Ihren in Frank-reich weilenden Töchtern aufhalten.

Ach, wie tut es mir vom Herzen leid, daß diese große Tochter sichganz von uns getrennt hat und jetzt auf Gnade und Ungnade der Weltausgeliefert ist.176 Dennoch kann ich nichts dafür.

Was das Offizium betrifft, so hat man mir gesagt, es gäbe einiges dage-gen einzuwenden, daß man an den großen Festtagen den Psalmen Unse-rer lieben Frau das Kapitel, die Versikel und das Gebet des Tages hinzu-fügt. Mein Gott, wie kleinlich ist doch dieser Einwand! Die Patres vomOratorium tun noch viel mehr und in Italien haben mehrere Bischöfeganze Offizien der Heiligen ihrer Kirchen verfaßt. Man kann aber nichtsdagegen machen, sondern man muß ertragen, daß ein jeder nach seinemBelieben spricht. Um aber alle möglichst zu beruhigen, werden wir alsodas Offizium Unserer lieben Frau zur Gänze beten und am Schluß eineCommemoration des Tages hinzufügen, denn dagegen wird niemandetwas einzuwenden haben.

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In Rom hat man erreicht, daß nach Ablauf der sieben Jahre, für dieman schon die Erlaubnis hatte, das kleine Offizium noch weitere zehnJahre behalten werden kann. Mein Vertreter in Rom sagt, daß man un-recht daran tue, sich solcher Dinge wegen an Rom zu wenden, wo esnicht notwendig ist. Kardinäle haben dies auch gesagt. Sie sagen, es gibtDinge, die nicht genehmigt werden brauchen, da sie erlaubt sind, dieaber, wenn man sie genehmigen lassen will, verschieden beurteilt wer-den; und dem Papst ist es recht, daß der Brauch manche Dinge billigt,die er selbst der Folgen wegen nicht genehmigen will. Aber darüberwerden wir nach Ihrer Rückkehr sprechen.

Ich habe hier einen schönen Plan für ein Kloster entwerfen lassen, denich Ihnen bei erster Gelegenheit schicken werde; der Architekt ist eintüchtiger Meister; er hat den Plan auf Grund der Pläne entworfen, dieder hl. Karl Borromäus für die Klöster anfertigen ließ. Der Architekthat sie aber der Eigenart der Heimsuchung angepaßt. Und ich denke,daß man sobald als möglich entsprechend den Gegebenheiten der Ortealle Klöster so bauen lassen sollte: immer gute eiserne Gitter und diehölzernen Stäbe etwas entfernt von den Gittern. Denn es ist sehr ange-nehm, wenn man in den Sprechzimmern unbefangen sprechen kann.Man wird auch hinter dem Chorgitter in gleicher Weise wie im Sprech-zimmer immer ein Holzgitter anbringen lassen müssen.

Ich erwarte Herrn Crichant,177 den ich von ganzem Herzen und mitLiebe aufnehmen werde. Gott segne Sie, meine sehr teure Mutter, undheilige Sie immer mehr. Ich bin, meine sehr teure Mutter, für immer derIhre, wie Sie wissen ...

Annecy, (August) 1621.Meine sehr teure Mutter!

... Ich glaube nicht, daß der Pfarrer von St. Paul Ihnen Schwierigkeitenbereiten wird, da es ja keinen Orden gibt, der dem Pfarrer soviel Ehrer-bietung entgegenbringt wie der Ihre, noch einen, der der kirchlichenOrdnung so angepaßt ist.

Ich habe es recht gut gefunden, daß die Oberin, wenn es ihr gut dünkt,die Amtsschwestern absetzen kann, da es ja ihre Aufgabe ist, diese aucheinzusetzen.

Es freut mich auch sehr, daß Sie die Lahmen, Buckligen, Einäugigen,ja sogar die Blinden lieben, vorausgesetzt, daß diese in ihrer Absichtgerade sein wollen. Denn sie werden im Himmel gewiß schön und voll-kommen sein. Und wenn man nicht abläßt, den Schwestern mit körper-

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lichen Gebrechen Liebe zu erweisen, wird Gott entgegen menschlicherKlugheit viele, selbst in den Augen der Welt schöne und angenehmeherkommen lassen.

Meine sehr teure Mutter, ich bin so gänzlich Ihr Ihnen ganz ergebenerDiener ...

Annecy, 10. oder 11. November 1621.Herr Crichant, meine sehr teure Mutter, ist also endlich angekom-

men, denn wie ich Ihrem letzten Brief entnehme, haben Sie jene Briefeerhalten, die ich Ihnen durch ihn sandte. Ich bedaure aber, daß Sie überden Stand der Dinge hier sehr beunruhigt sind. Gott sei Dank, hat es bisjetzt nichts Außergewöhnliches gegeben, außer daß die Genfer in ihremüberaus großen Mißtrauen Anstalten treffen, sich für den Krieg zu rü-sten; man glaubt aber nicht, daß sie beginnen wollen, denn wenn sie esohne Anordnung des Königs unternähmen, würden sie ganz zugrundegehen. Man kann sich aber nicht vorstellen, daß seine Majestät sie dazubewegen will, so etwas zu unternehmen. So werden wir alle Nächte ruhigunter dem Schutz Gottes schlafen.

Wir haben Frau von Royssieux gesehen, die nur Zeit hatte, zwei Tagehier zu bleiben. Sie hat uns alles erzählt, was sich in Dijon ereignet hat;es wäre günstig, wenn Sie dort zwei bis drei Monate blieben, um dieHerren von der Gegenpartei zu beruhigen, die mit Güte und Demutbekämpft und besiegt werden müssen; obwohl wir meiner Meinung nachim Vorteil sind, da der Herr Herzog und die Frau Herzogin von Belle-garde, Frau von Termes und die Mehrheit des Parlaments für uns sindund besonders der Herr Bischof von Langres,178 der Eifer, Klugheit undapostolische Autorität in diesem Land besitzt. Überdies werden wir auchdie Unterstützung unseres guten Erzbischofs haben.

Frau von Royssieux hat mir gesagt, daß der Herr Präsident179 gegenmich etwas verärgert sei, deswegen, was von Seiten des Herrn von Sau-zéa geschehen ist. Er tut mir aber sehr unrecht, wenn dies wirklich derGrund seines Ärgers ist, denn ich habe nicht nur Herrn von Sauzéa nichtnach Puits d’Orbe geschickt, sondern im Gegenteil versucht, mit allermir möglichen Geschicklichkeit alle Bestrebungen, ihn dorthin zu brin-gen, abzulenken, da ich wohl wußte, daß sein Temperament zu kräftigund heftig für die Führung eines solchen Hauses ist, das meiner Ansichtnach mit Milde und Takt geführt werden sollte.

Ich bitte Sie aber, meine sehr teure Mutter, nicht darüber zu sprechen,wenn Sie nicht sehen, daß es dafür Zeit ist. Ich glaube, daß sein Herz sich

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von der Wahrheit überzeugen lassen wird, da selbst die Frau Präsidentin– wie mir Frau von Royssieux versichert – ganz geneigt ist, uns zu begün-stigen, es mir auch durch einen Brief bezeugt hat und die Güte undAufrichtigkeit ihres Herzens mich fest daran glauben läßt.

Unsere Schwestern von Grenoble wünschen mit ihrem geistlichenVater, dem Herrn d’Aosta, der ein großer Diener Gottes ist, man mögedas Formular der Aufnahme ins Noviziat und die Profeßfeier mit denRegeln und Satzungen drucken lassen. Ich glaube aber, daß dies in zweiBändchen geschehen soll, und daß das Formular der Aufnahme ins No-viziat in genügend großen Buchstaben gedruckt werden muß, damit manes leicht lesen könne.

Ich habe den Tod des guten Grafen von Fiesque sehr bedauert. Vor etwa20 Jahren hatte ich die Freude, ihn in Paris zu sehen, und damals schonschätzte ich ihn hoch und liebte ihn. Er hatte mich auch bei meinemletzten Pariser Aufenthalt eingeladen, mit ihm zusammenzukommen. Ererwies mir die Gunst, mich mit großer Herzlichkeit bei den Oratorianernzu besuchen. Da er aber so fromm gelebt hat, freue ich mich, nicht zwei-feln zu können, daß er heiligmäßig in den Armen der göttlichen Barmher-zigkeit verschieden ist, auch in Anbetracht dessen, daß er sein Leben füreine so gerechte und würdige Sache aufs Spiel gesetzt hat.

Ich habe mir bei dieser Gelegenheit die Trauer seiner lieben Frau, derGräfin, vor Augen geführt und konnte es meinem Herzen nicht verweh-ren, Rührung darüber zu empfinden. Ich setze wohl mein Vertrauen aufGott, dem sie gehört; er wird sie mit seiner väterlichen Hand in Ruheund Ergebenheit bewahren, die er gewöhnlich seinen geliebten Kindernverleiht, wenn sie Leid erfahren.

Ich erinnere mich nicht, diese Dame gesehen zu haben, außer einmalbei Frau von Guise, wo ich kaum mit ihr sprach, und ein andermal beiHerrn von Monthelon, wo ich mich ungefähr eine Stunde lang mit ihrunterhielt; ich muß aber ehrlich bekennen, daß ich ihre Seele so sehrnach meinem Gefallen fand, daß ich nicht umhin kann, sie – sosehr ichkann – liebzuhaben und hochzuschätzen. Ich würde es ihr gerne schrift-lich bezeugen, wenn ich nicht dächte, daß Sie diese Aufgabe ebenso gutfür mich erfüllen werden, da Sie mein Herz wie das Ihre kennen, und ichbitte Sie, dieses Herz mit meinem ganz bescheidenen Dienst ihr anzu-bieten. Ich bin überaus getröstet, daß sie bei unseren Schwestern vonBourges ein wenig Erleichterung gefunden hat. Ich bin dessen gewiß,daß die Schwestern ihrerseits große Freude empfanden, die Ehre ihrerGegenwart zu haben.

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Bei diesem Anlaß, meine sehr teure Mutter, möchte ich sagen, daß iches in Ordnung finde, wenn Bischöfe und in ihrer Abwesenheit geistlicheVäter der Heimsuchungshäuser Damen unter gleichen Umständen lie-bevoll eintreten lassen. Ich halte es nicht für notwendig, daß eine beson-dere Ermächtigung dafür in den Satzungen stehe. Es genügt dafür diemilde und erlaubte Auslegung des Artikels des Konzils von Trient in derSatzung „Über die Klausur“. So wird es ja auch in Italien und in derganzen Welt gehalten, selbst bei geringeren Anlässen. Ich gebe Ihnen zubedenken, daß man Gärtner und Gärtnerinnen nicht bloß für die not-wendige Pflege der Gärten hineinläßt, sondern auch für die nicht nöti-gen, nur der Erholung dienenden Verschönerungen wie Gitterwerk,Hecken, Beete. Das Hineinkommen solcher Personen wird nicht des-halb als notwendig angesehen, weil das, was sie tun, notwendig ist, son-dern bloß deshalb, weil diese Menschen notwendigerweise erforderlichsind, wenn eine bestimmte Arbeit getan wird. Wenn dies erlaubterweisegeschieht, können wir dann das Hereinkommen derer, die durch irgend-ein unerwartetes Ereignis betrübt sind, nicht für notwendig erachten,falls sie außerhalb des Klosters nicht leicht Erleichterung und Tröstungfinden können?

In Italien läßt man ganz allgemein Mädchen hineinkommen, derensittliche Reinheit man irgendwie für gefährdet hält; auch die schlechtVerheirateten, wenn sie in Gefahr stehen, von ihren Gatten schwer miß-handelt zu werden; ferner die Mädchen, die man nicht nur Frömmig-keit, sondern auch Lesen, Schreiben und Singen lehren will.

Meiner Meinung nach kann also der Bischof von Langres eine Ent-scheidung darüber treffen, daß bei ernsten, frommen Anlässen, die einermoralischen Notwendigkeit gleichkommen, das Hereinkommen gestat-tet wird. Dies braucht meiner Meinung nach nicht ausgesprochen wer-den, um die Kritik mancher Leute zu vermeiden, die sich darin gefallen,solche Dinge zu tadeln infolge eines aus ihrer harten Gesinnung stam-menden Übereifers.

Ich habe Ihnen bereits geschrieben, Sie möchten sich der Mühe unter-ziehen, nachzusehen, ob in den Satzungen nichts vergessen wurde, daßdas, was ich tue, nicht meine Überbelastung merken läßt, und mir scheint,daß diese noch mit jedem Tag wächst. Sie können, meine sehr teureMutter, der Prinzessin von Monpensier schon den Gefallen tun und dasGedenken der jeweiligen Heiligen hinzufügen.

Sie können dann von Paris aus diesen Brauch in den Klöstern einfüh-ren, durch die Sie auf Ihrer Reise nach Dijon kommen und von Dijon

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hierher. Ich meine, daß es die große Frömmigkeit und Tugend dieseredlen Prinzessin verdient, daß man ihre Wünsch als eine Art Eingebungaufnimmt.

Herr Duret, der Ihnen seine kleine Nichte vorstellte, als wir dort wa-ren, hatte mich vor einigen Monaten gebeten, Ihnen in seinem Namenfür die Aufnahme dieses Mädchens zu danken. Nun aber läßt er michbitten, ich sollte Ihnen meinen Wunsch, den ich Ihnen zur Freude diesesMädchens und seiner Verwandten geäußert hatte, wieder in Erinnerungbringen. Das läßt mich glauben, daß in dieser Angelegenheit irgendeineÄnderung eingetreten ist oder daß er – wie es bei Hof üblich ist – mei-nen Dank wünscht, um die, der er abgestattet wurde, mehr zu verpflich-ten. Aber wie es auch sei, ich empfehle ihn Ihnen in allem, was gut undrechtmäßig geschehen kann, als meinen guten und alten Freund.

Herr Crichant hat mir gesagt, daß unsere sehr teure und gute Frau vonVillesavon einen meiner Briefe erhalten hat, den sie sehr ins Herz schloß.Ich glaube nun, daß dies jener Brief ist, in dem ich ihr die „Übung fürden Morgen“180 und die „Vereinigung mit Gott“ schickte, die ich mitgroßer Liebe geschrieben habe. Ich bitte Sie, von dieser Abhandlunggeschickt eine Abschrift zu erbitten, wie wenn dies von Ihnen ausginge.Ich glaube nämlich, daß die Liebe, die ich dieser Seele entgegenbringe,mich besser als gewöhnlich ausdrücken ließ.

Bis hierher hatte ich geschrieben, als ich Ihren Brief vom 26. Oktobererhielt, der mich veranlaßt, Sie zu bitten – was ich hiermit von ganzemHerzen tue –, keineswegs darüber in Sorge zu sein, was hierzulande vorsich geht, da – wie Ihnen Herr de la Pesse, der gegenwärtige Überbrin-ger, berichten wird – Gott sei Dank nichts zu befürchten ist.

Herr Crichant hat mir die Wahrheit über den Brand der beiden Brük-ken geschrieben; er gibt mir aber keinen Hinweis darauf, wieweit dasUnglück Frau Baudeau, die Handschuhverkäuferin, die auf der Vogel-brücke wohnte, betroffen hat. Ich bin ihretwegen in Sorge. Ich hatte ihrdurch ihn selbst geschrieben.

Ich antworte dem Hochwürdigen Pater Binet. Lesen Sie den Briefund lassen Sie ihm diesen versiegelt zukommen. Was den guten Herrndu Val anlangt, so glaube ich, daß er an meiner Stelle wie ich gehan-delt hätte, der ich mich noch heute nicht anders entscheiden könnte.Ich meine, doch keinen besseren Schiedsrichter in der bewußten An-gelegenheit nennen zu können als den Papst, der – wenn er der Bittevon Port-Royal entspricht – den Willen Gottes zur Genüge bezeugen

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wird, besonders da es sich um einen Punkt handelt, wo es viele Schwie-rigkeiten gibt.

Frau de Villeneuve schreibt mir nichts über die Angelegenheit unse-rer lieben Schwester Helene-Angelique,181 noch etwas darüber, was demnahekäme. Herr Crichant aber schrieb mir wohl, daß Herr und Fraud’Interville182 überaus wünschen, Sie möchten bei der Profeß dieser sehrteuren Tochter anwesend sein, zu deren Freude ich beitragen würde, wasich vermag.

In all diesen Angelegenheiten scheint es mir, werden Sie sich vielleichter entscheiden können, als ich es hier zu tun vermöchte. Was Siejeweils am Ort selbst sehen, gibt Ihnen einen besseren Einblick, als ichihn jemals haben könnte. Darum bitte ich Sie, bei dieser Gelegenheit Ihreigenes Urteilsvermögen sprechen zu lassen.

Es könnte, wie Sie sagen, recht wohl geschehen, daß die Angelegen-heiten von Dijon Ihnen noch genug Zeit lassen werden, auch im MonatFebruar noch in Paris zu sein. Sobald ich über diese Sache Gewißheithabe und wissen werde, wie sie durchgeführt wird, werde ich ja unserergroßen Tochter von Montferrand schreiben, damit sie Sie erwarte, undbei all dem können leicht zwei bis drei Monate vergehen.

Gewiß, auch ich wünschte sehr, die gute Frau Präsidentin Amelotwiederzusehen, aber ich wünsche es doch wieder nicht, da ich keineMöglichkeit sehe, die mich eine solche Freude noch auf dieser Welterhoffen ließe; es heißt also, auf das Leben nachher zu warten. Indessenbitte ich Sie, sie recht liebevoll und herzlichst meinerseits zu grüßen.

Ich werde Gott das Herz des guten Herrn von Marillac empfehlen,der – des bin ich gewiß – im Unglück seines Verlustes183 es wohl verstan-den hat, einen heiligen und wahrhaften Trost zu finden.

Ich erinnere mich sehr gut, Herrn Guichard sowohl in Paris als inBelley gesehen zu haben ...

Annecy, 15. Dezember 1621.Das ist wohl ein Brief in Eile, denn ich kann wahrhaftig nichts anderes

darin berichten, als daß wir hier alle und ich besonders bei bester Ge-sundheit sind in der frohen Hoffnung, Sie ebenso wiederzusehen, wennGott uns die Freude Ihrer Rückkehr geben wird. Dafür werde ich IhnenHerrn Rolland oder Herrn Michel schicken zu dem mir von Ihnen an-gegebenen Zeitpunkt, den Sie nach Ihrem Gutdünken wählen sollen, jenachdem es der Dienst Gottes von Ihnen zu erfordern scheint.

Ach, wie unerwartet ist doch die arme Frau von Gouffiers gestorben

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und wie betrübt war ich darüber! Sie hatten mir geschrieben, daß sieaußer Gefahr und zutiefst von dem Wunsch beseelt war, sich in Ihr Hauszurückzuziehen, und ich war darüber erfreut. Gewiß bin ich es nun auchüber ihr Hinscheiden, da Gott es so gewollt und ihr die Gnade geschenkthat, sich mit seinem Willen zu vereinen.

Guten Abend, meine sehr teure Mutter; Gott überhäufe Sie mit sei-nen innigsten Segnungen, die seine Liebeserweise sind. Ich schreibe Ih-nen in aller Eile und so spät, daß ich Sie zu sehen meine, wie Sie mirsagen: Gehen Sie nun schlafen. Ich wurde aber erst heute Abend von derAbreise des Überbringers dieses Briefes, des Schwagers der kleinenSchwester Jane-Marguerite verständigt ...

Annecy, (1620 oder 1621).Meine sehr teure Mutter!

... Bei dem Artikel über die Aufnahme von Töchtern, von dem Sie mirgeschrieben, besteht die sehr große Gefahr, daß man sich zu sehr auf diemenschliche Klugheit stützt, daß man zu sehr auf die Natur und zu we-nig auf die Gnade Gottes baut. Ich kann nur mit Mühe verhindern, daßman Schwäche und körperliche Gebrechen in Betracht zieht. Man möch-te zum Gastmahl keine einäugigen, hinkenden und kränklichen Perso-nen laden (Lk 14,13.21), kurz, man hat es schwer, gegen den menschli-chen Geist für die Erniedrigung und reine Nächstenliebe zu kämpfen.

Ich möchte Ihnen noch sagen, meine sehr teure Mutter, daß ich gemäßIhrem Auftrag unserer Schwester von N. liebevoll geschrieben habe,und ich versichere Ihnen, meine sehr teure Mutter, daß ich dies vonganzem Herzen getan habe, denn ich liebe diese arme Tochter vollkom-menen Herzens. Es ist Tatsache, daß es wohl kaum jemand auf der Weltgibt, der herzlicher, zärtlicher, und – um es ganz einfach zu sagen –liebevoller liebt als ich; denn es hat Gott gefallen, mein Herz so zumachen. Dennoch liebe ich die selbständigen, kraftvollen Seelen, dienicht weibisch sind; denn diese große Rührseligkeit verwirrt das Herz,beunruhigt es und lenkt es von der liebenden Gebetsverbundenheit mitGott ab, hindert die völlige Hingabe und das vollkommene Absterbender Eigenliebe. Was nicht Gott ist, ist nicht für uns. Wie kann das ge-schehen, daß ich diese Dinge empfinde, der ich doch – wie Sie wissen,meine sehr teure Mutter – der liebendste Mensch auf Erden bin? Wahr-lich, trotzdem empfinde ich sie; aber es ist eigenartig, wie ich das alles inEinklang bringe, denn ich meine, daß ich gar nichts liebe als Gott und

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alle Seelen um seinetwillen. Ach Gott! Herr, erweise diese Gnade auchunserer ganzen Seele, daß sie in Dir allein sei!

Meine sehr teure Mutter, mein Schreiben nimmt kein Ende. LebenSie froh und ganz erfüllt von Gott und seiner heiligen Liebe!

Gute Nacht, meine sehr teure Mutter. Ich fühle diese Einheit, dieGott geschaffen hat, mit einem außerordentlich tiefen Empfinden ...

(1619-1621)... Je weiter ich vorankomme, desto hassenswerter finde ich die Welt

und desto eitler, und – was noch schlimmer ist – desto ungerechter dieAnsprüche der Weltmenschen.

Ich kann über meine Seele nichts anderes berichten, als daß sie immermehr den heißen Drang verspürt, nichts hochzuschätzen als die Liebeunseres gekreuzigten Herrn, und daß ich mich den Geschehnissen die-ser Welt gegenüber für so immun halte, daß fast nichts an mich heran-kommt.

O meine Mutter, Gott überhäufe mit Segnungen Ihr Herz, das ich wiemein eigenes liebe. Ich bin ohne Aufhören der Ihre in ihm, der – wenn esihm gefällt – in seiner Barmherzigkeit ohne Aufhören ganz unser seinwird ...

Annecy, 23. April 1622.Die unerwartete Ankunft des Herrn Rolland drängt uns, die Abreise

unserer Schwestern zu beschleunigen, die unserer Schätzung nach erstEnde der nächsten Woche aufbrechen sollten. Da wir Ihnen SchwesterPaule-Hieronyme Favrot schicken, die von einem Tag auf den anderenwartet, ihre Gelübde abzulegen, lassen wir sie heute morgen zur Profeßzu, um sie nicht als Novizin zu schicken, und werden sie sogleich mitden anderen drei aufbrechen lassen, da in der Kutsche nicht für mehr alsvier Schwestern Platz ist.

Schwester Marie-Marguerite kennen Sie bereits, weshalb ich Ihnenüber sie nichts zu sagen brauche, außer daß sie sehr frohgemut fortgeht.Schwester Paule-Hieronyme ist eine sehr gute, für alles geeignete Toch-ter von gutem Geist und starkem Mut; sie weist nach dem AusspruchIhres verstorbenen Sohnes ebenso viele gute Eigenschaften auf wie Sal-bei. Schwester Françoise-Augustine ist ein Schäflein von großer Regel-treue und Frömmigkeit. Schwester Péronne-Marie ist voll Begier, sichrecht einzusetzen. Wir hatten noch Schwester Françoise-Agnes gewählt;da wir aber sehen, daß nur Platz für vier ist, sind wir ein wenig ihrer

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Mutter entgegengekommen, die Herzweh ob ihrer Abreise hatte, nichtaber ihr, die ebenso willig abgereist wäre, wie sie willig geblieben ist. Ichhabe ihnen als Wahlspruch mitgegeben: Im Ordensleben nichts zu su-chen und nichts zu verweigern.

Die gute Frau von Dalet184 ist glücklich, ein solches Leben zu wollen.Gott erweise ihr die Gnade, wenn sie dieses Leben auf sich genommenhat, nichts mehr zu suchen und nichts mehr zu verweigern. Ich habe sieniemals gesehen, hege aber im Innern ein ganz besonderes Gefühl fürsie und ihren Geist.

Ich schreibe niemandem außer unserem guten Bischof von Langres;denn wieviele Dinge sollte ich an einem Morgen tun, da ich gestern dieseneuen Profeßschwestern Beichte hören, mit Herrn Rolland sprechenund tausenderlei Dinge tun mußte? Sie kennen mein Gefühl für dieFrau Präsidentin, für die Herren und Damen von Villers. Ich grüße sehrdemütig die Frau Herzogin von Bellegarde, wenn sie dort ist, und dieFrau Marquise von Termes, und bin deren gehorsamster Diener. ZumHerzen unserer Frau von Toulongeon brauche ich kein Wort zu sagen,als daß sie so recht auf das Herz ihrer Mutter hören soll; das ist alles, wasihr alter Vater ihr wünscht. Herrn Rolland überlasse ich das übrige.

Ich komme soeben von der Profeß unserer Schwester zurück, meinesehr teure Mutter, und beende diesen Brief, um unsere zu Ihnen reisen-den Schwestern aufbrechen zu lassen, indem ich sie alle der heiligenGnade unseres Herrn empfehle. In Bälde werde ich unserer SchwesterMarie-Jaqueline alles schicken, was sie braucht, um kommen zu kön-nen.

O Gott, wie schön ist es doch, nur in Gott zu leben, nur in Gott zuarbeiten und sich nur in Gott zu freuen! So grüße ich Ihr Herz, meinesehr teure Mutter, von meinem ganzen Herzen, das Ihnen gehört. Amen.Ich grüße Fräulein Soyrot, Arviset, Binet und alle, die mir die Ehreerwiesen, im Gebet meiner zu gedenken; und Frau von Puits d’Orbe.Amen.

Annecy, April oder Mai 1622.... Unsere Töchter von Paris wirken sehr gut und verbreiten überall

den guten Ruf ihrer Tugenden. Ich eifere sie sehr an, unveränderlich inder Reinheit und Aufrichtigkeit des Geistes ihres Institutes zu verblei-ben, denn das ist für sie der sicherste Weg, um zu Gott zu gelangen ...

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Annecy, 30. August 1622.Ich bin zwar zurück und gesund, meine sehr teure Mutter, aber ohne

genügend Zeit, längere Aussprachen mit Ihnen halten zu können. Eswird genügen, wenn ich auf die Hauptfragen, die Sie mir gestellt haben,antworte.

Ich glaube gern, meine sehr teure Mutter, denn ich sehe es, daß alleOberinnen die mürrischen und wunderlichen Schwestern aus ihren Klö-stern entfernt zu sehen wünschen, denn das entspricht dem menschli-chen Geist, daß er nur an angenehmen Dingen Freude empfindet. Ichbin aber ganz Ihrer Meinung, daß man den Schwestern, die einen Klo-sterwechsel wünschen, diesen nicht freigibt, sondern nur denen, die –ohne ihn zu wünschen – aus irgendeinem anderen Grund von der Obe-rin anderswohin geschickt werden. Sonst würde die geringste Unan-nehmlichkeit, die einer Schwester zustößt, imstande sein, diese zu beun-ruhigen und sie nach einer Veränderung greifen zu lassen, und statt sichselbst zu ändern, würden sie denken, ihrem Übel genügend abgeholfenzu haben, wenn sie das Kloster wechseln.

Ich freue mich, daß Sie nach Ihrem Wunsch untergebracht sind. Ichhabe Frau von Monfan185 und Frau von Dalet auf die Briefe geantwortet,die sie mir schrieben, als ich in Turin war.

Ich habe die Schwierigkeiten gesehen, die jene zwei Schwestern186 un-serer Oberin in Paris bereiten, ich sehe aber kein anderes Mittel dage-gen als Geduld und Vertrauen auf Gott.

Herr Sanguin schrieb mir einen langen Brief und hat mir durch denHerrn Herzog von Nemours über die Schwierigkeiten berichtet, die manseiner Tochter bereitet; ich kann aber darauf nichts anderes antworten,als daß die Oberinnen dieser Orte diese Angelegenheit entscheiden sol-len und nicht ich, der ich nur durch den Bericht beider Seiten unterrich-tet sein kann und im übrigen nicht der zuständige Richter bin.187

Viel mehr Anstoß nehme ich an den Streitigkeiten zwischen unserenSchwestern, den Oberinnen von Moulins und Nevers,188 wegen gewissertausend Taler, die ich lieber am Grund des Meeres als im Geiste dieserTöchter wüßte. Ist es möglich, daß Töchter, die in der Schule der Tor-heit des Kreuzes (1 Kor 18,23) unterrichtet wurden, so sehr an der welt-lichen Klugheit hängen, daß weder die eine noch die andere nachgebenwill und jede sich soviel auf Rechtsansprüche zu berufen weiß? Manmüßte sich jedoch bemühen, jene Oberin zu zügeln, die einen geringe-ren Grund für einen solchen Anspruch hat. Ich will hoffen, daß ihr welt-licher Geist zuläßt, sich verurteilen zu lassen. Ich glaube aber nicht, daß

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dies vor Ihrer Ankunft geschehen kann. Die Oberin von Nevers hat mirnichts davon geschrieben, aber die Klagen der Oberin von Moulins be-zeugen, daß die Meinung, ein gutes Recht darauf zu haben, in beiderGeist fest verankert ist.

Eine fast gleichstarke Abneigung hege ich gegen das heftige Bestrebender Oberinnen, man möge ihre Häuser durch Neugründungen entla-sten; denn all dies hängt vom menschlichen Geist und der Mühe ab, mitder eine jede von ihnen ihre Bürde trägt. Ob man nun das Haus vonMontferrand oder das von Moulins durch die Gründung des Hauses vonRio entlastet, scheint mir sehr wenig wichtig zu sein.

Ich freue mich darüber, daß Sie mit Schwester Françoise-Augustineund Schwester Parise zufrieden sind, wie ich wieder Schwester Valeretrecht bedaure, die es nicht verstanden hat, sich in das Institut einzufü-gen. Gott erweise ihr die Gnade, sie zu einem Beruf heranzuziehen, derfür ihr Heil geeignet ist.

Ich habe Ihnen vorhin über die Wohltäterinnen geschrieben, die ich,wie Sie, nicht allzu zahlreich haben möchte; dennoch wird sich dies mitLiebe und Takt ordnen lassen. Was Fräulein von Vigny189 betrifft, sokönnte man ihr gestatten, was sie wünscht, da sie eine so gute Seele ist,wie Sie mir schreiben. Aber in Zukunft soll man keine Wohltäterinnenannehmen, die so viele Bedingungen stellen.

Die vielen Kranken im Pariser Haus sind ein gutes Vorzeichen fürden Segen, den Gott ihm erteilen will, obwohl sich die Sinne dagegensträuben.

Ich hätte gerne der Frau Präsidentin, meiner sehr teuren Tochter,190

ein längeres Leben gewünscht; man muß sich aber dem Beschluß deshimmlischen Willens sofort und widerspruchslos fügen, der über dieSeinen zu seiner größeren Ehre verfügt. Ich bin durch die tiefe Erbau-ung getröstet, die sie durch das gute Vorbild ihres Lebens hinterläßt,eines Lebens, das gewiß gänzlich dem Dienst Gottes geweiht war, wasich sogleich erkannt habe, als ich das Glück hatte, sie kennenzulernen.

Ich glaube, daß die Ordenshäuser in Dijon und von Burgund viel mitihrem Hinscheiden verlieren, aber es geschieht selten, daß einer einenVorteil hat, ohne daß der andere einen Verlust erleidet. Ich habe großesVerlangen, ihren beiden Töchtern darüber zu schreiben, aber jetzt habeich nicht einmal Gelegenheit, dem Herrn Präsidenten selbst zu schrei-ben. Stattdessen bitte ich Gott um ihre Tröstung und um die Seelenruhedieser lieben Frau, die ich von ganzem Herzen lieb hatte und ehrte, überderen Hinscheiden ich noch viel mehr betrübt wäre, wenn ich nicht

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mein Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes setzte, daß sie sich jetztschon des unendlichen Gutes erfreut, nach dem sie immer gestrebt hat.

Sehr betrübt hat mich auch die Nachricht vom Tod des Kardinals vonRetz, nicht nur wegen des Verlustes, den die Kirche durch sein Hin-scheiden erlitten hat, sondern weil ich auch den Kummer der Marquisevon Mehelay, des Generals der Galeeren191 und seiner Frau Gemahlinund dieses ganzen Hauses vor Augen habe, das ich von ganzem Herzenehre. Schließlich liegt es nicht in unserer Macht, die uns von Gott ge-schenkten Tröstungen zu behalten, außer der, ihn über alle Dinge zulieben, die auch der am meisten erstrebenswerte Segen Gottes ist.

Ich bitte Sie, meine sehr teure Mutter, Sie mögen Frau von Toulonge-on, meine sehr liebe Tochter, herzlich von mir grüßen, und wenn sichdie Gelegenheit dazu ergibt, auch den Herrn Baron von Chantal, IhrenSohn, und Herrn von Toulongeon, Ihren Schwiegersohn.

Meine sehr teure Mutter, bis hierher schrieb ich Ihnen durch die Handdes Herrn Michel. Ich beende nun den Brief von ganzem Herzen, indemich Sie bitte, mich immer für den zu halten, der ich bin, wie Sie selbstwissen, nämlich für Ihren sehr demütigen Diener.

Sie haben sehr gut getan, die Frau zu empfangen, die Msgr. von Lang-res an Sie verwies.192 Selig die Barmherzigen, denn Gott wird ihnenBarmherzigkeit erweisen (Mt 5,7). Nehmen Sie nur die Schwachen ru-hig auf; glauben Sie mir, meine sehr teure Mutter, die menschliche Klug-heit ist die Feindin der Güte des Gekreuzigten.

Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihnen ausführlicher schreiben.Leben Sie einstweilen glücklich im Schoß der Güte unseres Herrn, dervon Ewigkeit zu Ewigkeit gepriesen sei. Amen.

Annecy, (Anfang September) 1622.... Der Wechsel von einem Kloster zum andern steht dem Wohl der

Klöster ganz entgegen, für welche die ständige Klausur ein wesentlicherBestandteil ist. Da die Schwestern schwach sind, ärgern sie sich leichtund das bringt sie dazu, unerwünschte und unangemessene Auswege zufinden. Ein Wechsel soll daher nur auf Grund des Urteils der Oberin-nen erfolgen und nicht auf Wunsch der Schwestern, die nicht besserbeweisen können, daß man sie nicht bevorzugen darf, als wenn sie sichvon so wenig berechtigten Wünschen fortreißen lassen. Es heißt alsohier festbleiben und jede Nachtigall in ihrem Nest belassen ...

Ich bin imstande, jeden anderen Kummer zu erleiden, aber dieser

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übersteigt meine Kräfte.193 Wofür arbeitet man denn, wenn nicht fürGott? Und wenn es für Gott geschieht, warum streitet man dann? Ichhasse diese Art von Gescheitheit und Klugheit. Was liegt daran, ob dasGeld auf dieser oder jener Seite ist, wenn es nur für Gott bestimmt ist?Und doch, meine sehr teure Mutter, wird man der einen oder der ande-ren sagen müssen, daß sie unrecht hat, wenn wir beide gehört habenwerden. Jene aber, die unrecht hat, hat ein großes und kein geringesUnrecht begangen; denn bei solcher Halsstarrigkeit in Dingen von Meinund Dein ist nichts gering ...

Ich finde es nicht für ungehörig, wenn man Fräulein von Vigny194 undandere solche Wohltäterinnen hineinläßt, vor allem, wenn sie aus demKloster gar nicht mehr herausgehen oder es zumindest nur sehr selten tunwollen; denn darin liegt nichts, was der Schicklichkeit entgegen wäre.

Ich glaube nicht, daß man alle Büßerinnen in die Heimsuchungshäu-ser aufnehmen soll, ich meine aber auch nicht, daß man alle abweisensoll. Man muß menschliche Klugheit durch Liebe und Liebe durch Klug-heit mäßigen. Es gibt manchmal in bußfertigen Seelen so viel zu gewin-nen, daß man ihnen nichts verweigern soll.

Mich dünkt, daß am Chorgitter wie am Gitter des SprechzimmersHolzgeländer angebracht werden sollen.

Ich denke schon, meine sehr teure Mutter, daß man mit der Zeit fürMarseille vorsorgen kann. Unsere Schwestern werden Ihnen geschrie-ben haben, daß man Schwestern nach Belley gesandt hat; und ich sageIhnen, daß man bald welche für Chambéry brauchen wird.

Die Frau Herzogin von Mantua hegt die besten Wünsche für die Aus-breitung unseres Institutes. Sie ist eine sehr würdige Prinzessin, ebensoihre Schwester.

Schwester Paule-Jéronyme195 schrieb mir, daß einige Nonnen, guteDienerinnen Gottes, sich ihr offen widersetzen. Ich habe ihr durch einBrieflein geantwortet, sie möge in Frieden bleiben. Mit Gottes Hilfewerde ich niemals diesen Grundsatz aufgeben: daß man keineswegs nachmenschlicher Klugheit, sondern nach dem Glauben des Evangeliumsleben soll. „Schafft euch nicht selbst Recht, geliebte Brüder“, sagt derhl. Paulus (Röm 12,19). Man muß das Schlechte durch das Gute be-kämpfen (Röm 12,11), die Schärfe durch Milde – und in Frieden blei-ben; und niemals darf man den Fehler begehen, die Heiligkeit einesOrdens oder einer anderen Person wegen eines Fehlers geringzuachten,der im Irrtum eines übermäßigen Eifers begangen wird.

Meine sehr teure Mutter, Gott sei immerdar unsere einzige Liebe.

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Annecy, 22. Oktober 1622.Lesen Sie bitte, meine so gute und sehr teure Mutter, selbst die beilie-

genden Briefe und sehen Sie zu, ob es Ihnen möglich ist, ohne zu großeSchwierigkeiten für Sie diesen guten Seelen die so erwünschte Freudezu bereiten.196 Wenn es sich leicht machen läßt, bin ich nicht nur damiteinverstanden, sondern ich würde es auch sehr wünschen, vor allem,wenn es stimmt, daß Sie – von Dijon nach Montferrand reisend auf derDurchreise Ihre liebe Tochter aufsuchen können; umso mehr, als Sievon Montferrand nach Lyon unterwegs Saint Etienne de Porez besuchenkönnen. Und ich bekenne, daß es mir ein Trost wäre, Nachricht überdiese neuen Pflanzen zu haben, die Gott – so scheint es mir – mit eigenerHand zu seiner größeren Ehre und seinem Dienst eingesetzt hat ...

Ich glaube, daß ein guter Monat oder fünf Wochen für all diese Um-wege aufgehen werden; vorausgesetzt aber, daß auf den Wegen dieserOrte keine Gefahr seitens Bewaffneter droht.

Später werde ich Ihnen sagen, warum und wie ich gegenwärtig nichtdie Möglichkeit habe, mehr zu schreiben, obwohl ich mich Gott seiDank wohlbefinde. Einerseits drängt mich der Überbringer dieses Brie-fes sehr, damit er Sie noch in Dijon antreffen könne; außerdem bedrängtman mich wegen anderer wichtiger Angelegenheiten, die ich nicht auf-geben kann. Alles befindet sich hier wohl und ich bin immer mehr Ihrsehr demütiger und unwandelbarer Vater, Sohn und Diener

Franz, Bischof von Genf.

Ich bitte Sie, Ihre guten Witwen zu grüßen, deren Namen ich nichtweiß. Ich hoffe auf die Barmherzigkeit Gottes, daß ich im Himmel wis-sen werde, wie man sie nennen wird mit dem Namen, den alle kennenwerden und den keiner wissen wird außer dem, der ihn erhalten wird(Offb 2,17).

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III. BRUCHSTÜCKEIII. BRUCHSTÜCKEIII. BRUCHSTÜCKEIII. BRUCHSTÜCKEIII. BRUCHSTÜCKE

1. Bruchstücke aus den Jahren 1605 – 1608.1. Bruchstücke aus den Jahren 1605 – 1608.1. Bruchstücke aus den Jahren 1605 – 1608.1. Bruchstücke aus den Jahren 1605 – 1608.1. Bruchstücke aus den Jahren 1605 – 1608.

(501)1.

Geben wir Gott die Zeit, die wir für das Gebet bestimmt haben, sodaß unser Denken frei und losgelöst von allen anderen Dingen sei. Seienwir entschlossen, niemals davon abzugehen, welche Arbeiten uns auchdazwischenkommen mögen. Betrachten wir daher diese Zeit als etwas,das uns nicht mehr gehört. Wenn Sie auch dabei Ihre Armseligkeit spü-ren, so geraten Sie darüber nicht in Verwirrung, sondern bleiben Siefroh darüber und denken Sie, daß Sie eine wahrhaft gute Aufgabe für dieBarmherzigkeit Gottes sind.

2.Wenn Ordensfrauen ihre Gelübde ablegen, legt man ihnen ein Kruzi-

fix in den Arm; ich aber, meine Tochter, gebe Ihnen den Gekreuzigtenselbst. Er ist Ihr Bräutigam. Halten Sie ihn in Ihren Armen. Ihre Seelehalte ihn fest und rühre sich nicht vom Fuß des Kreuzes weg, sondernschenke ihm oftmals am Tag Ihr Herz.

3.Ich empfehle Ihnen, sich in der Beichte klar, offen und einfach anzu-

klagen. Geraten Sie dieser Beichten wegen nicht in Unruhe, wenn SieGott gegenüber immer so treu sind, Ihre Sünden weder zu verschwei-gen, noch zu entschuldigen. „Nein, nein, mein Heiland“, sollen Sie sa-gen, „nie will ich Deine Gebote vergessen, denn in ihnen hast Du michgerechtfertigt“ (Ps 119, 93).

Machen Sie Ihr Herz frei von jeder Vorstellung körperlicher Dingeund vereinfachen Sie Ihre Handlungen und Worte soweit als möglich.Ihre Freundschaft sei herzlich und aufrichtig und ohne Schmeichelei.Machen Sie sich recht klein vor Ihren Augen; das ist die wahre Größeder Witwen.

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Wenn böse Gedanken Sie überkommen und Sie ihrer gewahr werden,verrichten Sie einen positiven Akt durch ein entgegengesetztes Her-zensgebet und verlieren Sie nicht Ihre Zeit mit Grübeleien, sonderngehen Sie darüber hinweg.

Es ist gut, Gott durch einen einfachen Aufblick Ihre Nöte darzulegenund ihn zu Beginn all Ihrer Handlungen anzurufen. Stellen Sie sich dengütigen Heiland in Ihrem Herzen wie auf einem Thron sitzend vor,betrachten Sie ihn oft und demütigen Sie sich recht vor ihm.

Ich wünsche, daß Sie äußerst demütig seien; Ihr Herz sei klar undaufgeschlossen und mir gegenüber ohne Vorbehalt.

(502)1

Als der heilige Patriarch Josef seine Brüder von Ägypten heimschick-te, ihren Vater Jakob zu holen, gab er ihnen den Rat: „Geratet unterwegsnicht in Zorn gegeneinander“ (Gen 45,24). Das gleiche sage ich Ihnen:dieses armselige Leben bedeutet doch nur ein Unterwegs-Sein zum seli-gen Leben; ach, geraten wir doch nicht in Zorn unterwegs, sondern ge-hen wir behutsam und friedvoll unseren Weg mit unseren Gefährten.Lassen wir keine Einwände gelten, mit denen die Eigenliebe den Zornentschuldigen will, denn der hl. Jakobus sagt ganz klar (Jak 1,20): „Män-nerzorn schafft keine Gerechtigkeit Gottes“; um wieviel weniger nochder Zorn einer Frau. Hat doch unser Herr seine ganze Lehre zusammen-gefaßt mit den Worten: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig unddemütig von Herzen“ (Mt 11,29). Kurz, Zucker hat noch keine Speiseverdorben.

Man muß dem Bösen widerstehen und die Fehler jener, die uns anver-traut sind, nachdrücklich, mutig, aber behutsam und friedvoll zu unter-drücken suchen. Nichts besänftigt den Elefanten so sehr wie ein Lamm,und nichts dämpft die Gewalt der Kanone so sehr wie Wolle. Ich bin niein Zorn geraten, so berechtigt er auch gewesen sein mag, ohne daß ichnachher eingesehen hätte, es wäre besser gewesen, ich wäre nicht zorniggeworden.

Kurz, denken Sie daran, daß die Braut im Hohelied (7,1) Schulammitgenannt wird, d. h. die Friedfertige, unter deren Zunge Milch und Honigverborgen sind, deren Lippen Honigseim träufeln (Hld 4,11). Der hl.Paulus mahnt uns, das Böse zu besiegen (Röm 12,21), nicht bloß zubekämpfen. Wer in Zorn gerät, bekämpft zwar das Übel, wer aber sanft-mütig bleibt, besiegt es. „Überwindet das Böse durch das Gute“, sagt derApostel (Röm 12,21).

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(503)2

1.David sagt (Ps 119,109): „Meine Seele ist in Gefahr, ich trage sie in

meinen Händen.“ Prüfen Sie oft, ob Sie Ihre Seele in der Hand haben:ob nicht irgendeine Leidenschaft, Verwirrung oder Unruhe sie Ihnenentrissen hat; ob Sie sie in der Gewalt haben, oder ob sie in irgendeinenAffekt verstrickt ist; und wenn Sie sehen, daß sie Ihnen entglitten ist, sosuchen Sie sie vor allem anderen und holen Sie sie wieder heim. DenkenSie aber daran, sie ganz behutsam und sachte zu ergreifen, denn wennSie sie mit Gewalt packen wollten, würden Sie sie abschrecken.

Gott sei unser Alles!2.

Überlegen Sie oft, ob Sie in Wahrheit sagen können: „Mein Geliebterist mein und ich bin sein“ (Hld 2,16). Überprüfen Sie, ob es nicht einigeBereiche oder Fähigkeiten Ihrer Seele oder irgendeinen Sinn Ihres Lei-bes gibt, der Gott nicht gehört; und wenn Sie solches entdeckt haben,holen Sie es zurück, wo immer es sein mag, und geben Sie es ihm wieder,denn Sie gehören ihm ganz, ja ganz.

Unser Herr will, daß Sie weder an Ihren Fortschritt, noch an IhreBesserung denken, durchaus nicht; wohl aber sollen Sie nachdenken,wie Sie die Gelegenheiten, ihm zu dienen, ergreifen, sie treulich nützenund in jedem Augenblick Tugenden üben können ohne irgendwelcheÜberlegungen hinsichtlich Vergangenheit oder Zukunft. Jeder gegen-wärtige Augenblick hat seine Sorge zu tragen (Mt 6,34) und das einzige,was uns bei unserem Aufblick zu Gott beschäftigen soll, ist eine allge-meine Hingabe und der Wunsch, er möge alles zerstören, was sich sei-nen Plänen entgegenstellt.

(504)3

Erinnern Sie sich an den Rat des hl. Jakobus: „Die Freundschaft derWelt ist Gott feind“ (4,4). Hüten Sie sich davor, irgendeine weltlicheFreundschaft zu hegen oder zu nähren, unter welchem Vorwand auchimmer. Das ist ein wichtiger Punkt.

Sie können eine solche Freundschaft an ihren Blättern, Blüten (undFrüchten) erkennen. Ihre Früchte, Blätter und Blüten taugen nichts.Ihre Blätter sind geschniegelte, gesuchte, sinnlose und gekünstelte Wor-te, Lobreden auf Ihre natürlichen und gesellschaftlichen Vorzüge undähnliche Nichtigkeiten. Halten Sie sich davon fern, meine Tochter; dennschon der Schatten dieser Blätter ist giftig. Die Früchte sind: Herzens-

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zerstreutheit, Geistesverdunkelung, Ekel in der Seele, Ausgegossenheitder inneren Fähigkeiten. Gott bewahre Sie vor solchem Unheil!

„Fangt diese kleinen Füchslein“, heißt es im Hohelied (2,15), „dennsie richten die Weinberge zugrunde.“ Solch kleine Schmeicheleien sindFüchslein, die man kaum sieht; sie können sich leicht verstecken, ebenweil sie klein sind; sie zwängen sich unmerklich durch die Hecke unse-rer Entschlüsse, und wenn man ihnen nur ganz wenig Einlaß gewährt,richten sie gleich große Verheerungen an. Das wahre Kennzeichen die-ser Füchslein ist, daß sie nicht sagen oder tun möchten, was sie sagen,und wünschen, es möchte niemand etwas erfahren; sie suchen die Dun-kelheit und fliehen das Licht; sie suchen übertriebene Geheimnistuereiund Verschwiegenheit. All diese Freundschaften sind weltlich und miß-fallen Gott.

Das sind „jene Bienen, die den Duft der Salbe verderben, weil sie totsind“ (Koh 10,1). Die wahre Liebesfreundschaft ist gerade, aufrichtig,offen, sie ist nicht stolz, nicht kompliziert, ganz einfach, weder eifer-süchtig, noch gekünstelt. O tote Biene, was suchst du in diesem Honig?Was nützt es dir, mitten in der Salbe zu sein? Was nützt es der Salbe,dich in sich aufzunehmen? Wenn du lebtest, würdest du Honig erzeugenund der Honig würde dich nähren; du würdest die Salbe aufsaugen, undsie würde dir ihren Wohlgeruch verleihen, den du wiederum hierhinund dorthin tragen würdest; tot aber verdirbst du die Salbe.

Brechen Sie darum solche Freundschaften ab, beenden Sie sie undhalten Sie sich nicht damit auf, sie zu entwirren; Schere und Messer sindnotwendig. Nein, die Knoten sind ganz fein, fest zugezogen und ver-schlungen; während Sie sie aufzulösen trachten, würden sie sich nurumso fester zusammenziehen; Ihre Nägel sind zu kurz, um all dieseSchlingen aufzulösen. Nur mit einem scharfen Messer vermag man siezu zerschneiden; die Schnüre sind ja ohnehin nichts wert und brauchennicht geschont zu werden. Das sage nicht ich, sondern Gott.

Schauen Sie Ihre heilige Äbtissin an; sie gerät in Verwirrung, da sieeinen Engel in Menschengestalt vor sich sieht, weil er sie lobt und weilsie allein ist. Heiland meiner Seele, sie fürchtet einen Engel in Men-schengestalt; fürchten Sie einen Mann, mag er auch in Engelsgestaltauftreten, denn die Gefahr ist da viel größer. Doch genug davon.

(505)Jeder soll die seinem Beruf entsprechenden Tugenden üben. Die Tu-

genden einer Witwe sind: Demut, Geringschätzung der Welt und ihrer

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selbst, sowie Einfachheit. Sie übt sie in der Liebe zur eigenen Niedrig-keit und im Dienst an Armen und Kranken; ihr Platz ist zu Füßen desKreuzes; ihr Rang ist der letzte; ihr Ruhm ist es, verachtet zu werden;ihre Krone sei ihre Armseligkeit: alles kleine Tugenden.

Denn, was Ekstasen, Empfindungslosigkeiten, Eingehen in die Gott-heit, Schwebezustände, Verwandlungen und ähnliche Tugenden betrifft,ferner die Auffassung, es sei eine Zerstreuung, unserem Herrn in seinerMenschheit und in deren Gliedern zu dienen, und man soll sich nur mitBeschauung der göttlichen Wesenheit beschäftigen, all das müssen wirden wenigen hohen Seelen überlassen, die dessen würdig sind. Wir verdie-nen solchen Rang im Dienst Gottes nicht, wir müssen ihm erst in niedri-gen Ämtern dienen, bevor wir in sein Heiligtum eingelassen werden.

Schauen Sie auf Ihre Äbtissin, wo immer sie sich befindet. In ihrer Kam-mer in Nazaret offenbart sie ihre Keuschheit durch Erschrecken; ihre Ein-falt durch den Wunsch, belehrt zu werden, und durch ihre Fragen; ihreSelbsterniedrigung, ihre Demut dadurch, daß sie sich Magd nennt (Lk 1,29.34.38). Oder betrachten Sie sie in Betlehem; sie führt ein einfaches Lebender Armut; sie hört auf die Hirten, als ob sie große Gelehrte wären. SehenSie sie mit den heiligen drei Königen; sie stürzt sich nicht in feierlicheAnreden. Sehen Sie sie auf dem Weg zur Reinigung im Tempel; sie geht hin,um dem religiösen Brauch zu gehorchen (Lk 2,22-24). Auf der Flucht nachÄgypten und auf der Rückreise gehorcht sie dem hl. Josef in aller Einfach-heit (Mt 2,14.21). Sie hält es nicht für Zeitverlust, wenn sie in Ausübungliebevoller Aufmerksamkeit ihre Base, die hl. Elisabet, besucht (Lk 1,39f.56). Sie sucht unseren Herrn, aber nicht voll Freude, sondern in Tränen(Lk 2,48). Sie hat Mitleid mit der Armut und Verwirrung ihrer Gastgeberbei der Hochzeit und verhilft ihnen zum Notwendigen (Joh 2,3). Sie stehtzu Füßen des Kreuzes (Joh 19,25) ganz demütig, tugendhaft und in allerTugend erniedrigt.

Gott belohnt seine Diener nicht nach der Würde des von ihnen ausge-übten Amtes. Ich meine damit nicht, daß man diese hohen und erhaben-sten Tugenden nicht anstreben soll, aber daß man sich in den kleinenTugenden üben muß, ohne die die großen Tugenden oft falsch und trüge-risch sind. Lernen wir doch, geringschätzige Worte gerne zu erdulden,die darauf abzielen, unsere Meinungen und Ratschläge herabzusetzen;dann erst werden wir lernen, ein Martyrium zu ertragen, unsere „Ver-nichtung“ in Gott und Unempfindlichkeit allen Dingen gegenüber zuunternehmen. David lernte zuerst, wilde Tiere zu überwältigen, und dannerst, Heere zu besiegen (1 Sam 17,34-37; Sir 47,3-8). Man weiß, in wel-

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cher Weise Elieser Rebekka prüfte, ob sie zur Gattin des Sohnes seinesHerrn Abraham geeignet sei; er bat sie um Wasser und wollte dabeisehen, ob sie ihm gerne zu trinken gäbe, und darüber hinaus, ob sie auchnoch die Kamele tränke (Gen 24,13-20). Eine geringfügige Gefällig-keit: eine geringe Tugend, aber doch Zeichen einer großen Tugend.

Ich schließe keineswegs die Erhebung der Seele aus, das innerlicheGebet, das intime Zwiegespräch mit Gott, den ständigen Aufschwungdes Herzens zu unserem Herrn; aber wissen Sie, was ich sagen will,meine Tochter? Ich meine, daß Sie sein sollen wie jene starke Frau, vonder der Weise sagt (Spr 31,19): „An Großes hat sie ihre Hand gelegt undihre Finger haben die Spindel gehandhabt.“ Betrachten Sie, erheben SieIhren Geist, tragen Sie ihn zu Gott hinauf, ziehen Sie Gott in IhrenGeist hinein; das ist „Großes“. Bei all dem vergessen Sie aber IhrenSpinnrocken nicht und Ihre Spindel: spinnen Sie den Faden der kleinenTugenden, lassen Sie sich zu Übungen der Nächstenliebe herab. Weretwas anderes sagt, täuscht sich und wird enttäuscht.

Überlassen Sie mir die Sorge für Ihre anderen Wünsche, ich werde sieIhnen sorgsamst aufbewahren; kümmern Sie sich nicht darum, dennvielleicht werde ich sie Ihnen niemals wieder zurückgeben, vielleicht istes nicht ratsam; ich versichere Ihnen aber, daß ich keinen schlechtenGebrauch von ihnen machen werde. Ich schulde Gott Rechenschaft da-rüber und ich nehme sie auf mich.

Gehen Sie immer Ihren Weg vor Gott und vor sich selbst. Gott siehtIhren kleinen Schritten wohlgefällig zu und wird wie ein guter Vater, dersein Kind an der Hand hält, seine Schritte den Ihren angleichen und sichdamit begnügen, nicht schneller zu gehen als Sie. Worüber sorgen Siesich denn? Nach der einen oder anderen Seite zu gehen? Schneller oderlangsamer? Wenn nur er bei Ihnen ist und Sie bei ihm ...

Lassen Sie sich niemals, nicht viel und nicht wenig, mit dem bösenFeind ein auf Debatten über Einflüsterungen gegen den Glauben odergegen die Keuschheit, gegen den gelobten Gehorsam oder gegen dieAbsicht, nach Vollkommenheit zu streben. Ihr Herz kann nicht erobertwerden; diese Dinge sind ja die grundlegenden Sicherungen. Wozu dannnoch herumstreiten? Nein, kein einziges Wort der Erwiderung, außerder Antwort unseres Herrn: „Hinweg, Satan, du sollst den Herrn, dei-nen Gott, nicht versuchen“ (Mt 4,7; Lk 4,12).

Gehen Sie fröhlich Ihren Weg, mit einem überaus großen Vertrauenauf die Barmherzigkeit Ihres göttlichen Bräutigams, und glauben Sienur, daß er Sie gut führen wird; aber lassen Sie ihn handeln!

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(506)Erinnern Sie sich daran, daß unser erkennender und handelnder Geist

handelnde und erkennende Seele heißt. Wenn er durch Überlegung undnatürliches Schlußfolgern erkennt, nennt er sich Verstand, Intelligenzoder menschlicher Geist; wenn er aber durch den Geist des Glaubenserkennt und handelt, dann nennt er sich Glaubensgeist oder christlicherGeist. Es geschieht auch manchmal, meine Tochter, daß unser Geist nurdurch eine natürliche (übernatürliche?)4 Klarheit handelt und dermenschliche Geist dieser Handlung nicht beistimmen kann und nochweniger die sinnliche Seele; und daß sie so in Widerspruch zueinanderstehen; dann scheint uns alles verloren zu sein, und der Geist, fast imStich gelassen von allen Fähigkeiten des Verstandes und der Sinne, istscheinbar ganz bestürzt und überrascht. Dennoch besteht in Wirklich-keit keineswegs irgendeine Gefahr, denn der Geist des Glaubens bleibtlebendig und heil. Auch wenn alles andere gegen uns verschworen wäre,würden wir doch der Gnade Gottes nicht verlustig gehen.

Abschalom stürzt wohl das ganze Königreich Israel gegen seinen Va-ter David in Unruhe und Verwirrung, sodaß der arme David, mochte erauch König sein, weinend, barfuß und mit verhülltem Haupt entflieht,da jeder ihn im Stich gelassen; aber dennoch ist er König, und schließ-lich wird er doch wieder alles unter seinen Gehorsam bringen. Wenn Siealso einmal sehen, wie Ihre sinnliche Seele und Ihr menschlicher Geistgegen Ihren christlichen Geist gemeinsame Sache machen, ihn stören,beunruhigen, und die Fähigkeiten Ihres Herzens gegen ihn aufwiegeln,dann nur Mut, meine Tochter, und ein wenig Geduld, denn unser Davidwird zuletzt doch Sieger bleiben. Mag unser Lebensschifflein auch trei-ben, wohin es mag; mag es auch die Magnetnadel hierhin und dorthinziehen, so kann es doch nicht daran gehindert werden, sich zu bewegenund sich nach seinem schönen Stern zu richten.

Diese Verlassenheit gleicht der unseres Herrn während seines Lei-dens (Mt 27,46) und unsere Seele scheint dabei der Prophet zu sein, dender Engel ergriff und an einem seiner Haare durch die Luft trug (Dan14,35). Dagegen hilft nichts, meine Tochter, als sich demütigen und dieheilige Gnade Gottes in Geduld erwarten, wobei wir unseren Geist be-hutsam in seine väterlichen Hände legen sollen (Lk 23,46).

Bei Versuchungen gegen den Glauben demütigen Sie sich ganz tief vorGott und dann erwecken Sie durch eine heilige, herzliche Verneigung vorseiner Kirche einen positiven Glaubensakt. Beteuern Sie, immer allesglauben zu wollen, was Gott seiner Kirche geoffenbart hat. Dann lenken

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Sie, ohne zu debattieren oder etwas näher zu prüfen, Ihr Herz anderenDingen zu, vor allem solchen äußerlicher Art. Und obwohl die Versu-chung Sie belagert, geben Sie sich nicht den Anschein, sie zu sehen, gehenSie über diesen Angriff hinweg und wenden Sie sich anderen Aufgaben zu.

Bei Versuchungen zur Eitelkeit und zu eitlem Ruhm muß man dasgleiche tun, d. h. einen positiven, entgegengesetzten Akt erwecken und,anstatt groß zu tun, sich seiner eigenen Eitelkeit wegen demütigen, in-dem man zum Beispiel sagt: „Ja, mein Herr, ich bin eitel und meinGeist ist nur Eitelkeit.“

Wenn Sie Versuchungen fühlen, seien Sie nicht so spitzfindig undweich, daß Sie dadurch in Unruhe und Verwirrung geraten. Ach, meineTochter, man muß sich entschließen, in gleicher Weise die Versuchungzu fühlen und ihr doch nicht zuzustimmen. Wenn Sie also solche ver-spüren, dann neigen Sie in aller Ruhe Ihr Herz auf die andere Seite undbeunruhigen Sie sich nicht. Obwohl Ihre Sinne und Ihr menschlicherGeist es mit der Versuchung zu halten scheinen, wundern Sie sich kei-neswegs darüber, sofern nur der Geist des Glaubens und die innersteRegung Ihres Herzens sich immer nach Ihrem schönen Stern richten.

Wundern Sie sich noch weniger über die auftretenden Ermattungenund Zerstreuungen; denn das sind Naturgegebenheiten. Und wie in dergroßen Welt der Himmel nicht immer heiter und klar ist, sondern oftvon Wolken und Nebeln bedeckt, so ist es auch in der kleinen Welt, dieder Mensch darstellt. Der Geist ist nicht immer froh und klar, sondernoft von Ermattung bedrückt, die seine Klarheit stört und sein Frohseinverhindert.

Wenn Ihnen äußerlich oder innerlich Übles zustößt, wenden Sie dievon mir bezeichneten Mittel dagegen an, da Gott sie Ihnen gegeben hat.Lassen Sie aber unserem Heiland die Wahl, nach seinem Gutdünken ent-weder dem Übel oder den Mitteln dagegen den Sieg zu verleihen. Einesolche Ergebenheit ist sehr notwendig. Nageln Sie Ihr Herz zu Füßen desKreuzes fest, während Sie infolge gesellschaftlicher Verpflichtungen inder Welt leben müssen, denn so wird unser Herz nicht daran hängen.

(507)1.

Ich habe unseren Herrn innig gebeten, er möge Sie so recht fühlenlassen, wie sehr Sie alle Ihre Sorgen in die Hände seiner allerhöchstenund so väterlichen Güte legen sollen, all Ihre geistliche Beweglichkeit,all diese kleinen Spitzen Ihres Verstandes, die alles bewerkstelligen,

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sehen und vorhersehen wollen. Lassen Sie nicht zu, daß Ihr Herz inUnruhe gerät, sondern lassen Sie es vielmehr sanft in den Armen desErlösers ruhen.

2.Das Wandeln in der Gegenwart Gottes, das die Mutter Theresia im

29. und 30. Kapitel ihres „Weges zur Vollkommenheit“ lehrt, ist ganzausgezeichnet und ich glaube, ich deutete Ihnen das gleiche an, als ichschrieb, daß Gott in unserem Geist sei, sozusagen das Herz unseresGeistes; und in unserem Herzen sozusagen der Geist, der es belebt, unddaß David Gott den „Gott seines Herzens“ (Ps 73,26) nannte. MachenSie nur kühn und oft Gebrauch davon, denn es ist sehr von Nutzen.

Gott sei immerdar Seele und Geist unserer Herzen, meine sehr liebeTochter! Nur Mut, ich bitte Sie darum!

(508)5

Ich beschwöre Sie, niemals schlecht über den Nächsten zu sprechenund auch nichts zu sagen, was ihn auch nur irgendwie verletzen könnte.– Das heißt aber nicht, daß man Schlechtes begünstigen, beschönigenoder zudecken soll, sondern man muß offen reden, Schlimmes deutlichschlimm nennen, die tadelnswerten Dinge tadeln, wenn es zum Nutzenjenes, von dem man spricht, erforderlich ist; denn darin wird Gott ver-herrlicht. Und vor allem soll man das Laster tadeln, den davon befalle-nen Menschen aber, wo es nur geht, schonen, umso mehr, als die GüteGottes so groß ist, daß ein einziger Augenblick genügt, um seine Gnadezu erlangen. Und wer könnte mit Sicherheit behaupten, daß der Sünderund böse Mensch von gestern es auch heute noch ist?

Und wenn wir die Handlungen des Nächsten betrachten, dann sei esnur unter dem günstigsten Gesichtswinkel. Und wenn wir weder die Tat,noch die Absicht eines Menschen entschuldigen können, von dem wirandererseits wissen, daß er gut ist, dann urteilen wir nicht darüber, ent-fernen wir das aus unserem Geist und überlassen wir Gott die Beurtei-lung. Wenn wir schon die Sünde nicht entschuldigen können, so stellenwir sie doch wenigstens als beklagenswert hin und schreiben ihr dieerträglichste Ursache zu, wie etwa Unwissenheit oder Schwachheit.

Die Nächstenliebe fürchtet, dem Übel zu begegnen, noch weniger suchtsie es aufzustöbern (1 Kor 13,5). Wenn sie es findet, wendet sie sichdavon ab, bemäntelt es und schließt die Augen, bevor sie es sieht; wennsie es aber sehen muß, dann wendet sie sich ab ...

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2. Bruchstücke aus den Jahren 1604 – 1622.2. Bruchstücke aus den Jahren 1604 – 1622.2. Bruchstücke aus den Jahren 1604 – 1622.2. Bruchstücke aus den Jahren 1604 – 1622.2. Bruchstücke aus den Jahren 1604 – 1622.

(1604-1605)Sie sind auf dem rechten Weg, wenn Sie dabei auch auf Schmutz und

tausend ärgerliche Dinge stoßen. Wundern Sie sich über nichts, was ge-schehen mag; stellen Sie alles der Barmherzigkeit Gottes anheim undfolgen Sie immer diesem Weg, denn es gibt keinen anderen.

Wenn Verwirrung oder Unruhe, woher auch immer, über Sie kommt,bemühen Sie sich nicht hastig, sie zu verscheuchen. Lenken Sie sichmöglichst davon ab, betrachten Sie sie nicht, grübeln Sie nicht darübernach, sondern überlassen Sie sich demütig Gott und stellen Sie ihm allesanheim. Nehmen Sie es wie einen Geißelhieb von seiner Hand hin, denSie wohl verdient haben.

Machen Sie Ihr Herz frei von jedem Bild körperlicher Dinge; vermei-den Sie möglichst alle weltlichen, gekünstelten und unnötigen Hand-lungen und Worte.

(1605-1607)6

Ich empfehle Ihnen vor allem, sich in der Beichte klar, offen undeinfach anzuklagen. Ich will nicht mehr, daß Sie wie ein Kind vorgehen,so viel an Ihren Handlungen herumgrübeln und sie bis ins Einzelnezerpflücken; begnügen Sie sich damit, daß Sie nicht ums Sterben Gottwissentlich beleidigen wollten! Gehen Sie also ganz einfach, ehrlich,großzügig (grosso modo) und aufrichtig Ihren Weg!

Beten Sie Gott an, sooft Sie können, durch kurze aber innige Erhe-bungen Ihres Herzens, über die ich schon so oft zu Ihnen gesprochenhabe. Bewundern Sie oft seine Güte, neigen Sie sich innerlich vor ihm,werfen Sie sich zu Füßen seines heiligen Kreuzes nieder, rufen Sie seineHilfe an, befragen Sie ihn oft nach Ihrem Seelenheil, schenken Sie ihmtausendmal am Tag Ihre Seele. Sie brauchen manchmal kein Wort zusagen, sondern werfen Sie nur einen Blick auf seine Güte. Dies ist einerder Hauptgründe für den geistlichen Nutzen; denn wenn unser Geist sooft und vertraut mit Gott verkehrt, ist er ganz vom Wohlgeruch seinerVollkommenheiten erfüllt.

Wiederholen Sie oft Ihren großen Entschluß, niemals Gott beleidi-gen zu wollen, wie es David tat, wenn er ausrief (Ps 119,93): Nein, meinErlöser, „niemals in alle Ewigkeit werde ich Deinen heiligen Willenvergessen, denn in ihm hast Du mir das Leben gegeben.“

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Lesen Sie nicht viel auf einmal, das aber aufmerksam und andächtig;und wenn Sie auf eine Stelle stoßen, die Sie freut, dann erheben Sie IhrenGeist, preisen Sie Gott, der dies dem Schriftsteller eingegeben hat.

(1605-1607)1.

Außer den zwei gewöhnlichen Gründen, die Eltern und Freunde zulieben, die Natur und die Pflicht, setzen Sie noch einen dritten hinzu:weil Gott will, daß Sie in ihm, durch ihn und um seinetwillen lieben,denn diese Liebe ist ewig und unzerbrechlich, milde aber unbeugsam,brennend, doch nicht ungestüm, liebevoll, doch nicht einschmeichelnd.Wie glücklich werden Sie sein, wenn Sie diesen Ratschlag recht in dieTat umsetzen!

Üben Sie sich in der Aufgabe der Engel, Ihren Gesprächspartnerngute Eingebungen zu schenken.

Vor allen Tugenden empfehle ich Ihnen die zwei teuren Tugenden,von denen unser Herr so sehr wünscht, daß wir sie von ihm lernen,nämlich die Herzensdemut und -sanftmut (Mt 11,29). Achten Sie aberdarauf, daß sie Herzenstugenden seien. Erinnern Sie sich an das, was ichIhnen gesagt habe: daß einer der großen Schliche des Teufels darin be-steht, viele dazu zu bringen, daß sie Worte und äußere Gesten von Tu-genden machen, aber ihre Herzensaffekte nicht prüfen, und dadurchsanft- und demütig zu sein meinen, es in Wirklichkeit aber nicht sind.

2.Weiten Sie Ihr Herz, lassen Sie es oft in den Armen der göttlichen

Vorsehung ruhen. Alles, was uns zustößt, geschieht unzweifelhaft nachdem Willen Gottes, nur die Sünde nicht. Der gleiche Wille Gottes aber,der uns die geistigen und körperlichen Krankheiten schickt, will, daß wiruns der von ihm gegebenen Heilmittel bedienen und daß wir unserenWillen bereithalten, um entweder die Heilung oder das Fortdauern desÜbels entgegenzunehmen, wie er es für gut hält. Sie sollten oft die göttli-che Vorsehung verehren und sich ihr bei jeder Gelegenheit anvertrauen.

3.Leben Sie freudig! Mut, meine liebe Tochter, laßt uns nur recht Gott

dienen! Halten wir unsere Herzen fest hineingefügt in seine heilige Sei-te; wir wollen über nichts in Verwirrung geraten. Gehen wir ganz ein-fach unseren Weg mit ihm, denn er ist gut und liebt uns ohne Zweifel.

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Ich bin sehr beschämt, seine Liebe nicht in meiner Seele zu fühlen, dochfühle ich die Liebe seiner Liebe und möchte sie so recht in alle Seelen,denen ich begegne, hineingießen. Möge sie immerdar unsere Herzenerfüllen! Das ist mein einziger Wunsch. Amen.

(1605-1607)7

Die mit dem Blut des Lammes gekitteten Freundschaften bedürfensolcher Zeremonien nicht ...

Es ist wahr, daß die reine Liebe die Herzen untrennbar verbindet,ohne die Körper zu berühren. So liebten sich der hl. Gregor von Nazi-anz und der hl. Basilius mit einer Liebe, die einem von reinem Wasservollströmenden Fluß glich. Dieser fließt still dahin und verteilt sein Naßauf vielerlei Weise über das Land, ohne Lärm, ohne Verwüstungen, ohneSturmfluten. Er fließt, aber überflutet nicht, er bewässert, aber verwü-stet nicht, er murmelt sanft und tobt nicht. Ebenso teilt sich die voll-kommene Nächstenliebe, wie Gott sie wünscht, auf verschiedene Artden anderen mit: sie hilft dem Nächsten durch Worte, Werke und Bei-spiel; hilft allen Nöten ab, soweit es ihr möglich ist; freut sich über desMitmenschen irdisches Glück und zeitliches Wohlergehen, viel mehraber über seinen geistlichen Fortschritt. Sie verschafft ihm zeitlicheGüter, sofern sie ihm dienen können, die ewige Seligkeit zu erlangen;sie wünscht ihm die wesentlichsten Güter der Gnade, die Tugenden, dieihn nach Gottes Willen vervollkommnen können. Sie verschafft sie ihmauf allen erlaubten Wegen mit Liebe, aber mit Geistesruhe, ohne Aufre-gung; aus reiner Güte ohne leidenschaftliche Traurigkeit oder Entrü-stung, wenn das Gegenteil eintrifft.

Die Koralle ist im Meer ein moosartiges, grünliches Gewächs ohneSchönheit; sobald sie aber herausgeholt ist, erstrahlt sie in purpurnerPracht. Ebenso hat die Freundschaft, solange sie ins Sinnliche einge-taucht ist, weder Schönheit, noch Wert; ist sie aber aus dem Sinnlichenheraus und in Gott, Geist und Liebe hineingetragen, dann wird sie glanz-volle Vollendung ...

(1605-1608)Rufen Sie sich oft ins Gedächtnis zurück, daß unser Herr Sie durch

Dulden und Leiden erlöst hat, und daß wir ebenso unser Heil durchErtragen von Leid, Widerspruch und Ärgerlichkeiten wirken sollen. So-mit müssen wir sie mit möglichst großer Sanftmut und Ergebenheit indem Maße auf uns nehmen, wie es Gott gefällt, sie uns zu schicken.

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Damit Sie nicht in Unruhe geraten über das, was dieses zeitliche Le-ben mit sich bringt, denken Sie oft an dessen Kürze und an die Ewigkeitdes zukünftigen Lebens. Denken Sie auch an die Vorsehung Gottes, diealle Geschehnisse zum Nutzen derer gereichen läßt, die Gott fürchten,durch Mittel, die den Menschen unbekannt sind. Erwägen Sie alles, wasIhnen bis jetzt an Mühsal zugestoßen ist, und wie dies alles vergangenund entschwunden ist; so wird es auch mit dem sein, was Ihnen in Hin-kunft zustoßen wird; man muß also bei allen Vorkommnissen eine sanft-mütige Geduld haben.

(1605-1608)1.

Ich billige keineswegs, daß man sich der Priester zur Erledigung zeit-licher Geschäfte bedient, wie sie Hausdiener besorgen. Denn wenn esihnen auch manchmal die Armut erlaubt und wünschen läßt, weil sieungebildet und von geringer Abkunft sind, so dürfen wir doch nicht dieihrer Eigenschaft und ihrem Charakter gebührende Achtung verlieren.Ich sehe, daß man sie überall nach ihrer Herkunft und materiellen Lagebeurteilt; aber ich kann es nicht ohne Bekümmernis ansehen.

2.Meine liebe Tochter, ich zweifle weder wenig noch viel an Ihrem Ver-

trauen; darum sage ich Ihnen auch, daß ich Sie verwenden will wie et-was, das mir zur Gänze übergeben ist, um Sie, so wie ich denke, zumDienst Gottes einzusetzen.

Das Heilmittel gegen jede Versuchung, Trockenheit, jeden Wider-spruch, kurz, allgemein gegen alles, sind lebendige und frische Liebes-akte, wodurch wir unser Herz mit vertrauenden und liebevollen, abernicht zu vielen Worten auf unseren Herrn hin ausrichten, ohne die Ver-suchung oder das Ärgerliche zu betrachten oder damit zu streiten, son-dern zu tun, als sähen wir sie nicht. Die verheiratete Frau nimmt in allihren Leiden nur Zuflucht bei ihrem Mann und will ihre Ehre nur alleinaus Liebe zu ihm wahren und nicht aus Furcht vor Schande oder ausEhrsucht; so soll es auch die treue Seele ihrem lieben Bräutigam Jesusgegenüber halten.

(1606-1608)Der hl. Augustinus sagte, daß er alles auf Gott hinlenkte, was immer

er auch sehen und denken mochte, auch wenn es eine bedeutungslose

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und nichtige Sache war. Jedoch betete er zu Gott um Rat, so gut erkonnte, als zur alles beherrschenden Wahrheit. Viele Leute fragen Gottbei verschiedenen Dingen um Rat; er antwortet allen mit einer einzigenAntwort und unmittelbar durch ein offenes und klares Wort; sie aberhören es nicht immer, obwohl er klar gesprochen hat. Denn sie wendensich an ihn, um von ihm den Rat zu erbitten, den sie wollen, und sieerlangen nicht immer, was sie verlangen. Der ist wahrhaftig ein guterund getreuer Knecht (Mt 25,21.23), der nicht trachtet, eine seinemWunsch gemäße Antwort zu erhalten, sondern nur einfach das will, waser entsprechend der Anwort, die es Gott gefällt zu geben, als GottesWillen hört und seinen Willen dem der göttlichen Majestät gleichformt.

Sobald der Verstand Ihnen irgendwelchen Ruhm oder irgendeine Ehrevor Augen führt oder die Welt sie Ihnen verleihen wird, legen Sie all dassogleich durch einen einfachen Blick auf den Herrn zu seinen Füßennieder, indem Sie ihm die Füße oder Hände küssen.

Der hl. Petrus sagt (1 Petr 1,22): Heiligt eure Seelen durch den Ge-horsam, der nicht nur deswegen geleistet wird, weil er so notwendig ist,sondern aus dem ehrlichen Willen und Wunsch heraus, Gott zu gefal-len. Der Wille des Oberen soll, in welcher Form er auch kundgetanwird, uns als Vorschrift gelten. Was ich in Ihrem Gehorsam an Erwä-gungen wünsche, geht auf eines hinaus: Ich wünsche nur die Einfach-heit, die das Herz dazu bringt, ganz schlicht den Geboten zuzustimmen,und bewirkt, daß man sich glücklich schätzt, zu gehorchen, selbst inDingen, die uns widerstreben, und in diesen sogar noch mehr als in allenanderen.

Wünschen Sie nichts als das, was Gott will. Tun Sie das, was der sagt,dessen Amt Sie unterstehen, vorausgesetzt, daß Sie darin nichts Sünd-haftes erkennen; wollen Sie folglich, was Ihr Vorgesetzter will, und Siewerden dann das wollen, was Gott will; so sind Sie wirklich gehorsamund zufrieden.

Ich bitte Gott, daß er Ihnen diese Gnade der Liebe zum Willen Gottesverleihen möge.

(1606-1608)1.

Ich bin stets von dem Wunsch beseelt, Jesus Christus möge uns inallen Bereichen unserer Seele erfüllen und uns in unserem Inneren undÄußeren vorwärts drängen; er möge die Bewegung und die Ruhe unse-

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res Herzens sein, damit er in allem und durch alles in uns verherrlichtwerde. Amen.

2.Üben Sie zwei- bis dreimal in der Woche Selbstüberwindung beim

Essen, indem Sie das stehen lassen, was Ihrem Geschmack am meistenentspricht, und das essen, was Sie am wenigsten mögen. Vermeiden Siemöglichst jede Auswahl. Es ist merkwürdig, wie sehr ich hinter diesemAuswählen her bin, ich möchte, daß wir es gar nicht tun, auch nichtunter den Menschen; wieviel weniger noch mit Gott.

3.Es lebe Jesus! O meine Tochter, wie sehr wünsche ich ihn zu lieben und

wie sehr möchte ich, daß jeder ihn liebe! Mein Herz ist leer von allemGut, außer von diesem. Ich empfehle Ihnen dieses Herz. Es lebe Jesus!

4.Leben Sie freudig, meine liebe Tochter, und bewahren Sie Ihr Herz

einzig und allein für Ihren Heiland. Ich flehe ihn an, daß er unser Allessei und daß wir ihm ganz angehören mögen.

(1604-1609)8

Man hat niemals mit Sicherheit gewußt, aus welchem Holz das Kreuzunseres Herrn gemacht wurde; dies darum, glaube ich, damit wir alleKreuze, die er uns schickt, in gleicher Weise lieben, aus welchem Holzsie auch geschaffen sein mögen, und damit wir nicht sagen können: die-ses oder jenes Kreuz vermag ich nicht zu lieben, weil es nicht aus diesemoder jenem Holz ist.

Die besten Kreuze sind die schwersten und die schwersten sind jene,denen wir am heftigsten widerstreben, allerdings im unteren Bereichunseres Herzens. Kreuze, denen man unterwegs begegnet, sind ausge-zeichnet, und mehr noch jene, die man zu Hause findet. In dem Maße,als sie lästig sind, sind sie besser als Bußgürtel, Geißelung, Fasten undalles, was Strenge erfunden hat. Darin zeigt sich die Hochherzigkeit derKinder des Kreuzes und derer, die auf dem Kalvarienberg daheim sind.

Die Kreuze, die wir anfertigen oder erfinden, sind uns immer ein we-nig angenehmer, weil etwas von uns selbst darin ist, und darum kreuzi-gen sie weniger. Demütigen Sie sich also und nehmen Sie froh jene Kreuzeentgegen, die Ihnen ohne Ihren Willen auferlegt werden. Die Dauer desKreuzes verleiht ihm seinen Wert, denn es gibt keine härteren als jene,

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die uns andauernd peinigen. Seien Sie getreu bis in den Tod, und dieKrone des Lebens wird Ihnen verliehen werden (Offb 2,10). Sie liebendas Kreuz: was wollen Sie denn anders sein als gekreuzigt, da doch „dieLiebe die Liebenden gleichmacht“?

(1605-1609)1.

Ich wünsche, daß Sie in allen Ihren Werken äußerst demütig seien.Reden Sie immer demütig mit allen, trachten Sie, nicht angesehen zusein und gelobt zu werden, sondern verlangen Sie, dauernd verachtetund abgelehnt zu werden. Solange Sie nicht zu diesem Grad der Ernied-rigung gelangt sind, können Sie nicht denken, Fortschritte gemacht zuhaben. Wir sind wahrhaft unnütze Diener (Lk 17,10); es gibt keine bes-sere Übung, als sich selbst verachten. Nehmen Sie die Beleidigungenund Beschimpfungen, die Ihnen zuteil werden, als einen Gewinn fürIhre Seele hin und freuen Sie sich darüber. Eignen Sie sich nicht Lob-sprüche für gute Werke und Taten an, sondern legen Sie alles Jesus Chris-tus zu Füßen, der ihr Urheber ist; andernfalls würden Sie ihm seinenRuhm rauben. Wünschen Sie nicht, für demütig gehalten zu werden,sondern für schlecht und verächtlich.

„Man gelangt zur Demut durch die Demütigung und Verachtung sei-ner selbst“, sagt der hl. Bernhard, „es ist gut für mich, daß meine Unfä-higkeit und Dummheit bekannt wird und mir Beschämung und Tadelbei denen einträgt, die sie erkennen werden. Es ist ja oft vorgekommen,daß ich ungerechterweise von solchen gelobt wurde, die mich nicht ge-kannt haben.“ Wer viele Gnaden ersehnt, muß von sich demütig denkenund darf sich nicht erhöhen.

Je mehr man Trost um unseres Herrn willen verliert, desto mehr sollman sich freuen, ihn zu verlieren, da er wohl vermag, ihn uns zurückzu-geben.

2.Gott erträgt uns in unserem Unnützsein, in unserem Elend und in

unseren Bosheiten, und wir sollen um seinetwillen arm, krank, elendund unvollkommen sein wollen. Durch diese Armseligkeit entfernenwir uns nicht von Gott, sondern wir kommen ihm nahe, da ja die Liebeuns in diesen Zuständen heiligt, die so niedrig zu sein scheinen.

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(1607-1609)Ich habe Mitgefühl, ohne zu lügen, aber ein stilles und wohltuendes

Mitgefühl, weil ich hoffe, Ihre Jugend unter der Pein dieser innerenBetrübnis erneuert zu sehen (Ps 103,5). Man brachte im Alten Bundkein Sühnopfer dar, das nicht ganz enthäutet war; so muß auch Ihr Herzbei Lebzeiten ganz entblößt werden, um unserem Gott als lebendigesGanzopfer dargebracht zu werden. Was mag uns an Verzichten, an Ver-lust äußerer, innerer, körperlicher Freuden und Freuden des Herzensliegen, wenn nur Gott uns liebt? Und er liebt uns, solange wir uns mitder obersten Spitze unseres Herzens an ihn halten. Mut, meine Tochter!Dieser Gewittersturm wird uns in den richtigen Hafen führen.

Gott befohlen, meine liebe Tochter; ja Gott befohlen, und Gott sollenSie mit Leib, Herz und Seele angehören. Er ist ja ganz unser gewesen:sein Leib am Kreuz, sein Herz in der Angst, seine Seele in der Traurig-keit und alles, was an ihm war. Es war ihm eine Freude, alles zu erleiden,um seiner Braut anzugehören (Gen 2,24; Eph 5,31). Mein Gott, wiewenig gleicht unser Leiden dem seinen! Die Vernunft verlangt doch, daßdie Braut auch etwas erleide, um ihrerseits ihre Liebe zu bezeugen undihrem Bräutigam anzugehören. Jesus Christus ist am Kreuz: wer ihnküssen will, muß das Kreuz besteigen und sich an den Dornen seinerKrone stechen.

Es lebe Jesus, es lebe Maria! Amen ...Gott befohlen, meine liebe Tochter; die heilige Jungfrau, Unsere lie-

be Frau, sei immerdar unser schöner Stern und ihr Sohn unsere einzigeSonne. Amen.

(1608-1610)1.

Gehen Sie ganz ruhig und friedlich Ihren Weg, setzen Sie Ihre Übun-gen fort; überlassen Sie alle Ihre Neigungen und Wünsche unseremHerrn. Vereinigen Sie sich soweit als möglich mit ihm. Fügen Sie sich inallen Dingen seinem heiligen Willen, werden Sie vollkommen abhängigvon seinen Verfügungen und legen Sie Ihr ganzes Vertrauen auf die Vor-sehung und Liebe seiner göttlichen Majestät, indem Sie Ihr Herz hun-dertmal am Tag ihr schenken. Im oberen Bereich Ihrer Seele herrschedie Liebe durch einen festen und entschiedenen Entschluß, niemals dasVertrauen und den schuldigen Gehorsam aufzugeben.

2.Wir wissen nicht, was es heißt, Gott zu lieben. Die Liebe besteht nicht

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in größeren Gefühlen und Empfindungen, sondern im größten und fe-stesten Entschluß und Wunsch, Gott in allem zufriedenzustellen, uns zubemühen, sosehr wir können, ihn nicht zu beleidigen, und zu beten, daßdie Ehre seines Sohnes immerwährend zunehme. Diese Dinge sind Zei-chen der Liebe.

Denken Sie oft in Form eines innerlichen Gespräches an die Tugen-den unseres Herrn und die der Heiligen.

Weisen Sie oft jede Art von Ruhm ab und beteuern Sie, daß Sie keinenanderen Ruhm als den unseres Herrn wollen. Verlassen Sie und verzich-ten Sie auch auf alles, was Ihnen bei großen oder kleinen Anlässen Ruhmeintragen könnte.

Vereinigen Sie sich oft mit dem Willen unseres Herrn bei kleinen undgroßen Anlässen und durch Stoßgebete, wie: „Herr, ich bin Dein Eigen“(Ps 69,94); „Ich will, was Du willst“; „Verfahre mit mir nach DeinemWillen.“ „Vereinige mich mit Dir!“

(1608-1609)Wer unserem Herrn ganz gehören will, soll oft sein Herz prüfen, um

zu sehen, ob es nicht an etwas Irdischem hängt. Wenn er findet, daß esnichts gibt, das er nicht aufgeben wollte, um den Willen Gottes zu tun,so ist dies eine große Treue, mit der er in Ruhe bleiben und alles, waskommt, einfach wie aus der Hand Gottes nehmen soll.

Wir haben nichts in unserer Macht als den einfachen Akt des Glaubens;darum darf es uns nicht bekümmern, wenn wir dieses oder jenes nichthaben oder nicht können; wir müssen alles vom Willen Gottes erwarten.

Was das Vertrauen betrifft, so genügt es, seine eigene Schwäche zukennen und dem Herrn zu sagen, daß man sein ganzes Vertrauen auf ihnsetzen will. Der Maßstab der göttlichen Vorsehung an uns ist das Ver-trauen, das wir auf sie setzen. O Gott, verlassen wir uns doch ganz aufdiese heilige Vorsehung und bleiben wir in ihren Armen, wie ein kleinesKind auf dem Schoß seiner Mutter!

Man muß an dem Ziel, an Gott und seinem Willen festhalten undnicht an den Mitteln, dahin zu gelangen; man darf sie wohl lieben, abernicht so sehr, daß wir sogleich in Unruhe fallen, wenn Gott sie unsnimmt. Gehen Sie in aller Einfachheit Ihren Weg; verwenden Sie einebesondere Aufmerksamkeit nur auf wichtige Dinge; zerpflücken Sie nichtso sehr Kleinigkeiten! Ihr Herz sei fest entschlossen! Ich will, daß Siediese Regeln befolgen.

Wenn Gedanken des Neides auftauchen, so muß man die Person, ge-

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gen die sie gerichtet sind, mit dem Herzen umarmen und, wie wenn mansie in seinen Händen hielte, in den Schoß unseres Herrn tragen undhineinlegen, während wir uns selbst auf die unterste Stufe stellen.

Der Geist der Milde ist der wahre Geist Gottes; der Geist des Leidensist der Geist des Kreuzes. Glauben Sie mir also, man kann wohl dieWahrheit sagen und Vorstellungen machen, aber ganz sanft. Man mußwohl über das Schlechte empört und fest entschlossen sein, sich niemalsdarauf einzulassen; dennoch muß man dem Nächsten gegenüber ganzmild bleiben.

Nun, da Sie so oft kommunizieren, müssen Sie gewiß Werke großerTugenden tun. Überwinden Sie diese kleinen Aufregungen bei Unvoll-kommenheiten des Nächsten; tadeln Sie diese im Geist der Sanftmut.Werden Sie dies schließlich nicht doch zustandebringen?

Das Kreuz kommt von Gott; man soll es nicht anblicken, sondernsich darein schicken, wie man es mit einem Menschen täte, mit demman immer beisammen sein müßte. Man soll nicht darüber nachden-ken, sondern ruhig weitermachen und alle Dinge einfach, ohne Grübelnaus der Hand Gottes entgegennehmen. Entblößung und einfache Ein-heit des Geistes! – Darüber das Gewissen erforschen!

(1610-1613)Möge das Wort des hl. Paulus „Was willst Du, daß ich tue?“ (Apg 9,6)

immerdar das Leitwort unserer Seele sein. Der hl. Bernhard sagt, daßdies das Wort des inbrünstigen Gleichmutes sei, der nichts zu tun hat,als was Gott will, und sich allem unterwirft, was Gott gefällt. Dagegennannte er weichlich eine Frömmigkeit, der man schmeicheln muß, in-dem man heraussucht, was sie tun will, bevor man ihr sagt, was man will,daß sie tue. Lernen wir es, vom Herzen mit dem hl. Paulus zu sagen: „Ichhalte alle Dinge für Schmutz und Kehricht, um meinen Jesus zu gewin-nen“ (Phil 3,8) und sein Wohlwollen. Möge unser Leben wie das seinemit ihm in Gott verborgen sein; ich meine, mit Jesus Christus (Kol 3,3).Mögen die großen und tiefen Grundwahrheiten und die Übung der Er-gebung unseren Weg bilden, um Gott zu ehren, zu verherrlichen undihm zu gefallen.

Um die heilige Bereitschaft zum Guten zu erwerben, muß man sievon Gott erbitten und keinen Tag vorübergehen lassen, ohne irgendeineHandlung in dieser Absicht zu tun; denn eine solche Übung dient vor-züglich dazu, sich einen geeigneten Weg für jede Art von Handlungen zuschaffen.

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(1610-1613)Ob man durch die Übung einer einzigen Tugend zur Vollkommenheit

gelangen kann? – Es gibt gewisse Tugenden, die man in vollendetemMaße haben kann, ohne vollkommen zu sein, weil sie keine wesentli-chen Tugenden sind: wie die Jungfräulichkeit, das Almosengeben undähnliches. Was aber die wesentlichen Tugenden betrifft, so hat jener, dereine in vollendetem Maße besitzt, bis zu einem gewissen Grad alle; diesdeshalb, weil die Tugend nichts anderes ist als ein in der Vernunft undnicht an der Sache bewirktes Maßhalten. Ein Beispiel für die Tugend derMäßigkeit: einer trinkt vier Gläser, ein anderer nur zwei; und dochergibt es sich, daß der erste Mäßigkeit geübt hat, der zweite aber nicht,weil es der erste nötig hatte, dies und vielleicht noch mehr zu trinken,während sich der andere mit einem halben Glas hätte begnügen können.Der Grund dafür ist, daß die Tugend – die nichts anderes ist als ein durchdie Vernunft veranlaßtes Maßhalten – bewirkt, daß die an eine einzigeTugend gewohnte Seele sich leicht bei jeder Gelegenheit der Übunganderer Tugenden unterzieht.

Die Liebe schließt alle Tugenden ein: die ihr eigenen Akte betreffenGott unmittelbar, um sich mit ihm zu vereinen, sich hinzugeben, sich inGott zu ergeben und ähnliches; den anderen aber, wie der Keuschheitund Demut, erteilt sie ihre Befehle.

Man muß seine natürlichen Tugenden vergöttlichen, indem man sieund alle ihre guten Handlungen auf Gott ausrichtet.

Die Haltung von Tugenden erwirbt man durch viele Tugendakte undsie kann auch nur durch die gleichen Tugendakte bestehen bleiben; hö-ren diese aber auf, so nehmen die Tugenden ab und gehen zugrunde. Dawir doch immer Gelegenheit haben, die Tugenden zu üben, erleiden wirRückschläge, wenn wir ihre Übung unterlassen; üben wir sie aber, dannmachen wir Fortschritte.

Wenn man aus einer Eingebung, die unser Herr gibt, rechten Gewinnzu ziehen weiß, gibt er wieder eine andere; und so spendet unser Herrweiterhin seine Gnaden in dem Maße, als man daraus Nutzen zieht.

(1610-1613)1.

Die kleinen Vorkommnisse bieten Gelegenheit für die nützlichstenAbtötungen und Verzichtsleistungen. In den unangenehmen Ereignis-sen muß man die göttliche Vorsehung zutiefst anbeten.

Man muß gewiß entweder sterben oder lieben. Ich wollte lieber, man

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sollte mir das Herz ausreißen, oder, wenn es mir bleibt, so sei es nur umdieser Liebe willen.

Der gewöhnliche Aufenthalt der Seele soll in der Nähe des Kreuzessein und das tägliche Brot der Religion die Betrachtung des LeidensChristi.

2.Man soll sich jederzeit, selbst mitten im Handeln, zu Gott hinwenden.Der vortrefflichste Beweggrund, sich zu demütigen, ist, weil unser

Herr sich gedemütigt hat. Einer der wichtigsten Demutsakte bestehtdarin, sich nicht zu entschuldigen.

Das Leiden unseres Herrn kann uns Anregungen zu Affekten derFurcht, Reue, Hoffnung und Liebe geben.

Es gibt zwei Arten von Märtyrern: die wirklichen und die geistlichen.Die geistlichen sind jene, die entschlossen sind, eher zu sterben, ja eheralle Pein der Welt zu erleiden, als Gott zu beleidigen. Und alle Christensollten so sein, denn keiner wird in das Himmelreich eingehen, der nichtdazu entschlossen ist.

Tragen Sie sanftmütig und ruhig das Kreuz, das unser Herr selbst Ih-nen auferlegt hat, wie von diesem göttlichen Heiland gesagt wird: „wieein Lamm, das seinen Mund nicht auftut“ (Jes 4,7).

(1611 oder 1612)1.

Lieben und bewahren Sie sorgfältig die Ruhe des Geistes und Körperswie eine Statue in der Nische, in die sie ihr Herr gestellt hat, wie einkleiner Vogel in seinem Nest, der weder Kräfte noch Beine hat, zu ge-hen, noch Federn, zu fliegen; denn Ihr Krankenlager ist ein Nest, an demunser Herr Ihr Vertrauen sehen wird. Und gehorchen Sie ihm gut in allIhren Nöten, denn das sind Boten des Willens Gottes.

2.Könnten Sie doch Ihre kleinen Leiden so von Liebe erfüllt tragen, daß

der Schmerz ganz Liebe zum Kreuz jenes sei, der aus Liebe so vieleSchmerzen litt und durch so große Schmerzen so viel Liebe bezeugte.Machen wir es so, daß unsere kleinen Gehorsamsleistungen und Leidenuns irgendwie unserem Herrn gleichförmig machen.

3.Welchen Trost finde ich doch in dieser unvergleichlichen Einheit, die

Gottes Hand geschaffen hat und die kein anderer schaffen konnte! Möge

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es dieser allerhöchsten Macht gefallen, uns ewiglich daran erfreuen zulassen.

(1612-1613)Weihen wir Jesus unsere Mühen, erwarten wir sein Zurückkommen

in Geduld; leben wir in ihm und für ihn, nicht aber um seiner Wonnenwillen. Von unseren Affekten wollen wir nichts zurückbehalten oderausnehmen, das nicht ganz Gott gehörte. Was kann es uns machen, obwir die Liebe fühlen oder nicht? Wir sind doch, wenn wir sie fühlen,ihres Besitzes nicht sicherer, als wenn wir sie nicht fühlen. Die tiefsteGewißheit gibt uns die gänzliche, reine und unwiderrufliche Hingabeunserer selbst in die Arme seiner göttlichen Majestät ohne Vorbehaltvon Trost oder Trostlosigkeit. Gott empfängt den angenehmen Duft ei-nes heiligen Brandopfers von einem ganz entblößten, abgestorbenen undgebändigten Herzen. So werden dann auch unsere von Leiden heimge-suchten Schwestern bei uns ein mitfühlendes Herz und eine gütige, lie-bevolle Stütze finden.

Grübeln Sie doch nicht darüber nach, ob Sie Gefühle haben, noch,warum Sie solche nicht haben. Gehen Sie nur Ihren Weg offen undschlicht mit unserem Herrn.

Ja, meine liebe Tochter, wir müssen die Gewißheit bewahren, daßGott – obwohl die Gefühle verschwunden sind – uns behüten und füh-ren wird; aber eine ganz demütige und ergebene Gewißheit. Die große,ganz absolute und unanzweifelhafte Wahrheit unserer heiligen, ganz ein-zigen Einheit kann angegriffen, aber niemals erschüttert werden.

O Gott, der Du die einzige Liebe all unserer Liebe bist, nimm hierunser einziges Herz, das wir Dir geben. Bewahre, segne und stärke unse-re Liebe und diese unerschütterlichen Entschlüsse, damit unser HerzDich in dieser hochheiligen Einheit, in die Du es hineingestellt hast, aufewig preisen möge.

(1612-1614)1.

Die Vorsehung Gottes soll unsere einzige Zuflucht bei jeder Gelegen-heit sein; da wir ihr gehören, wird sie bewirken, daß alle Dinge für unsgut und wertvoll werden.

Unter den unser Herz betrübenden Vorkommnissen muß man jeneunterscheiden, gegen die es Abhilfe gibt, und trachten, sich dabei sanft-mütig und friedlich zu verhalten. Jene aber, gegen die es keine Abhilfe

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gibt, müssen Sie wie eine Heimsuchung ertragen, die unser Herr Ihnenschickt, um Sie auf die Probe zu stellen und ganz zur Seinen zu machen.Und bewahren Sie Ihr Herz immer in Frieden und Sanftmut.

Legen wir unsere Seligkeit in den gekreuzigten Jesus und gehen wirden Rest dieser dornenvollen Wege, auf denen wir dem Hafen zustre-ben, in Frieden und Geduld.

Wir müssen allen Kummer, alle unsere Leiden, Unannehmlichkei-ten, allen Ärger und alle unsere Trübsale für die heilige Liebe verwerten;das sind gute Stoffe für den Fortschritt einer Seele im hochheiligen Dienstseiner göttlichen Majestät.

2.Ich weiß nicht, ob unser Herr durch diese geistlichen Freuden und

Liebesgluten unser Herz zu Arbeiten im Dienst des Nächsten und zumDienst an der Mehrung seiner Ehre einsetzen will oder aber zum Erlei-den irgendeines großen Kreuzes und einer Heimsuchung, die wir – wieich mit seiner Gnade hoffe – mutig, demütig und friedvoll auf uns neh-men werden, wie alles, was seine göttliche Vorsehung uns schicken wird.

(1611-1614)Vergrämen Sie nicht dieses arme Herz, sondern helfen Sie ihm ruhig,

immer weiter fortzuschreiten in der heiligen Hingabe seiner selbst. EineUnze dieser Tugend, die inmitten von Widrigkeiten, Vorwürfen, Stiche-leien, Tadelworten und Verweisen erworben wird, ist mehr wert als zehnPfund auf andere Art erworbener Tugend. Ach, wie glücklich sind wirdoch, unserem teuren Meister ewige Treue geschworen zu haben! Wirbrauchen nichts als Geduld haben, wenn wir tugendhaft leben, denn eswerden uns genug Gelegenheiten gegeben werden, zu leiden.

(1613-1614)Das Kreuz ist von Gott, aber es ist ein Kreuz, weil wir uns nicht hinein-

fügen; denn wenn man fest entschlossen ist, das Kreuz zu wollen, das Gottuns gibt, ist es kein Kreuz mehr. Es ist nur deshalb Kreuz, weil wir es nichtwollen; wenn es aber von Gott ist, warum wollen wir es dann nicht?

(1611-1615)Finden Sie sich im Geist oft zu Füßen der göttlichen Größe ein und

sagen Sie ihr: O Herr, ich kann Dir nur eine arme, schwache Witwe, einearme, schwache, ganz armselige Ordensfrau darbieten. Bist Du nicht

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ganz gut, ein so kleines Geschöpf, ja ein so kleines Nichts wie mich zubeachten?

Wenn wir von Versuchungen oder peinlichen Dingen, welchen auchimmer, gequält werden, müssen wir zuerst auf die göttliche Vorsehungschauen, auf deren Geheiß wir uns in solchen Kämpfen befinden. Ob sieuns nun zu unserer Züchtigung geschickt sind oder zu unserer Prüfung(was zu unterscheiden wir uns nicht abmühen sollen), immer müssenwir diese göttliche Vorsehung lieben, die stets gerecht und hochheiligist. Und wir lieben sie, wenn wir uns an ihren Fügungen gefallen undganz einig gehen mit allem, was ihre Weisheit tut oder zuläßt, so schweres auch sein mag.

(1611-1615)Ihr empfindsamer Geist kann nichts bewahren oder leiden, ohne es zu

sagen, und er ist immer ein wenig erstaunt über Ihren letzten Zustandund über Ihre Not. O bleiben Sie voll Demut, Einfachheit, Mut undherzlicher Freude vor Gott, dem ganz einzigen Gegenstand unserer Lie-be und unserer Seele. Bleiben Sie so ganz in Gott, entweder fühlbar oderdurch den Glauben. Lieben Sie Ihre Armut, denn es steht geschrieben,daß die Augen des Herrn auf die Armen schauen (Ps 10,14; 11,5) unddaß seine Ohren ihre Gebete hören.

Wir sollen uns nicht darüber sorgen, wenn wir uns schwach fühlen, dawir doch wissen, daß Gott stark und gut zu uns ist. Sollen wir den Mutverlieren? Im Gegenteil, meine Tochter, ich liebe es mehr, vor Gottschwach zu sein als stark; denn er trägt die Schwachen auf seinen Armenund die Starken führt er an der Hand.

Grübeln Sie nicht nach, meine liebe Tochter, ob Sie schuld sind anIhren Trockenheiten, sondern verwenden Sie diese – ob Sie nun derenUrsache sind oder nicht – zur Ehre Gottes, indem Sie ihm diese alsLeiden und Bußwerke für Ihre Sünden zum Opfer darbringen.

Bei jeder Unzufriedenheit über sich selbst, wenn man in einen Fehlergefallen ist, soll man sich in Geduld fassen, statt sich zu ärgern.

Wenn man etwas Vernünftiges erstrebt, aber nicht erreicht, muß manimmer Geduld haben und trachten, seine Wünsche zu mäßigen und denDingen, so gut sie auch sein mögen, mit dem Geist des Gleichmutsgegenübertreten. Schließlich soll man sich oft in diesen heiligen Gleich-mut versetzen und sagen: Ich will weder diese Tugend, noch eine andere,ich will nur die Liebe zu meinem Gott, das Sehnen nach seiner Liebeund die Verwirklichung seines Willens an mir.

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Man soll das Grübeln ganz aufgeben und niemals Überlegungen aufirgendeine Art und Weise anstellen, um zu sehen, was die Seele machtoder machen wird, ob man dies oder jenes gut macht, was man wird, obman Gefühle hat oder nicht, ob man Befriedigung, Tugenden und Ähn-liches besitzt. Statt all dessen soll man den Heiland liebevoll und demü-tig anschauen. Man muß das schon richtig tun; vor allem sollen Sie miteiner großen Geistesruhe an das heilige Gebet herangehen, ohne dabeietwas tun zu wollen, sondern einfach, um das zu empfangen, was unserHerr Ihnen dabei geben wird. Begnügen Sie sich damit, in seiner Gegen-wart zu sein, wenn Sie ihn auch nicht sehen noch fühlen und ihn sichnicht vorstellen können; beginnen Sie aber mit einem Akt des Glaubensund schauen Sie von Zeit zu Zeit, ob Sie ihn nicht sehen.

(1611-1615)1.

Ach, meine liebe Tochter, möge Gott uns diese heilige Liebe geben,nach der wir uns sehnen! Aber sehnen wir uns wirklich! Gewiß welkenalle Dinge vor unseren Augen, so scheint es mir; und es gibt nichts aufErden, das uns so recht anziehen kann, als diese Liebe, die einzige undewige Tätigkeit unseres Herzens.

2.Unser Herr will Sie von allem entblößen, damit er allein Ihnen alles

sei. Welche Schätze liegen doch in diesem Abgrund an Seelenleid! Wirhalten alles für verloren und gerade da finden wir die zarte, ganz einfa-che und reine Einheit unseres Geistes mit diesem göttlichen Wohlgefal-len, ungetrübt von irgendwelchem Licht von Wissen, Einsicht oder Be-friedigung. Ach, bleiben Sie da in Frieden, ohne Ihr Auge anderswo-hin schweifen zu lassen als auf die reine Schau der Einheit, ohne zusehen oder wissen zu wollen, wie sie vor sich geht.

Gott sei gepriesen! Amen.

(1612-1615)Es gehört zu den Aufgaben der Oberin, die Fehler ihres Hauses mit

Ruhe zu sehen, und was dabei vorkommt, sanftmütig zu ertragen.O, wie wären wir doch glücklich, wenn wir nicht darauf achteten, was

wir tun oder leiden, sondern einfach darauf, daß wir jetzt den WillenGottes erfüllen und daß wir damit ganz zufrieden seien.

Es gehört eine sehr große und vollkommene Einfachheit dazu, frei-willig seinen Geist nur an Gott allein haften zu lassen. Ganz gewiß will

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unser Herr Sie in dieser Art vollkommener Einfachheit wissen; das istdas seiner Güte Wohlgefälligste, was Sie tun können. Bleiben Sie darinund gehen Sie nie davon ab, außer um zu sehen und zu tun, was er fürseinen Dienst befiehlt. Dann ziehen Sie sich sogleich wieder in ihn, indiese Einfachheit zurück, die alles umfaßt. Sie könnten kein Opfer brin-gen, das Gott wohlgefälliger und Ihnen wegen der Tätigkeit Ihres Geis-tes nützlicher wäre. Durch die treue Befolgung dieser Übung werden Siezum Ziel gelangen, das Sie anstreben.

(1612-1616)1.

Wenn unser Herr uns einmal seine Erleuchtungen und die Erkenntnisseines göttlichen Willens gegeben hat, müssen wir diese Erkenntnis be-wahren und die Erinnerung daran treu behüten, damit wir in Trocken-heit, wie bei seinen Heimsuchungen, in seinem Willen verbleiben undihn befolgen. Unser Herr begnügt sich oft damit, uns ein- oder mehrereMale zu zeigen, was er will, daß wir tun, und wir müssen dann, nachdemwir das erkannt haben, daran festhalten, wie es alle Heiligen getan ha-ben, denen er auch nicht immer fortlaufend seine Erleuchtungen ge-schenkt hat.

2.Sein heiliger Wille ist nun, daß wir demütig, sanftmütig, nachsichtig

und einfach wie eine Taube (Mt 10,16) seien, ohne jedoch darin zu über-treiben oder unangebrachte Entschuldigungen anzubringen; ertragen Siealso den Nächsten mit großer Herzensgüte.

Nützen Sie die täglichen Widrigkeiten, um sich abzutöten, indem Siesie mit Liebe und Sanftmut hinnehmen.

3.Überlassen Sie mir die Sorge für die Besserung Ihrer Fehler und für

Ihren Fortschritt und quälen Sie sich doch nicht damit ab, hören, unter-scheiden, fühlen zu wollen und ähnliches. Überlassen Sie all dies Gott,indem Sie in Ihrer Hingabe an Gott verbleiben und sich selbst seinerFührung anheimgeben. Lassen Sie ihn nur tun, was ihm gefällt, indemSie einfach und gelassen sich in seinen heiligen Willen fügen, vor allembei den Dingen, wo es nicht notwendig ist, Ordnung zu machen. Schau-en Sie nicht auf sie und erlauben Sie Ihrem Geist nicht, sich darüber inÜberlegungen zu ergehen. Fügen Sie sich in Gottes Willen und wendenSie sich dann Akten der Liebe zu; geben Sie sich einfach Gott hin undüberlassen Sie ihm alles. Lenken Sie sich ab, wenn die Sache drängt, und

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gehen Sie Ihres Weges schlicht, vertrauensvoll, unbekümmert und ehr-lich.

Ja, meine Tochter, sprechen Sie ruhig und leise; achten Sie darauf, daßall Ihre Handlungen und Worte ruhig, friedlich und nie aufgeregt odergeschäftig seien. Man muß viel schweigend sagen können durch Beschei-denheit, Ruhe, Ausgeglichenheit und Geduld. Antworten Sie nicht rasch,lassen Sie sich Zeit und reden Sie dann ruhig und demütig, ohne abervon der Gerechtigkeit und Vernunft abzuweichen.

(1612-1616)Ich möchte Ihnen alle Rührseligkeit in Widrigkeiten, Versuchungen,

bei unerfüllten Wünschen ausreißen können und dagegen erreichen, daßSie großzügigen Herzens darüber stehen. Sagen Sie dazu in Ihrem höhe-ren Seelenbereich Worte der Festigkeit, der Geringschätzung dieserSchwierigkeiten, Worte des Mutes und der Stärke und halten Sie sichniemals damit auf, irgendetwas davon anzusehen, sondern gehen Siedarüber hinweg. Haben Sie keinerlei Sorge um das Morgen, denn diesoll man nicht haben; sondern gehen Sie getrost unter der VorsehungGottes voran. Kümmern Sie sich nur um den heutigen Tag, indem SieIhr Herz unserem Herrn überlassen, denn Sie haben es ihm gegeben undwollen es niemals irgendeiner Sache wegen zurücknehmen. Da Sie Ih-ren Willen in den seinen versenkt, den Sie als den Ihren angenommenhaben, dürfen Sie nichts mehr wollen, sondern müssen sich nach demGutdünken des göttlichen Willens tragen und forttragen lassen. BleibenSie in den Auswirkungen dieses Willens gelassen und ruhig, ohne sichirgendeiner anderen Sache wegen ablenken zu lassen, indem Sie ständigbei allen Anlässen auf unseren Herrn schauen. Ach, es lebe Gott! Alles,was nicht Gott ist, bedeutet mir nichts; mein Gott ist mir alles in allem.

Man muß sich damit begnügen, durch den, der uns leitet, zu erfahren,daß man richtig handelt. Man soll sich weder um Gefühle, noch umbesondere Erkenntnis darüber bemühen, vielmehr wie blind in dieserVorsehung und dem Vertrauen auf Gott seinen Weg weitergehen, selbstinmitten von Trostlosigkeiten, Ängsten, Finsternis und jeder Art vonKreuz, wenn es unserem Herrn gefällt, daß wir ihm so dienen. So sollenSie vollkommen, ganz seiner Führung hingegeben sein, ohne Ausnahmeoder Vorbehalt, und ihn handeln lassen, alle Sorgen um Leib und Seeleauf seine Güte werfen und so ganz gelassen, ergeben in Gott ruhendunter meiner Führung bleiben, ohne eine andere Sorge, als zu gehor-chen. Das haben wir doch versprochen.

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(1612-1616)1.

Man muß in den Händen unseres Herrn bleiben wie ein unnützesWerkzeug, ganz seinem heiligen Willen und seiner Vorsehung hingege-ben. Man muß sich damit zufriedengeben, so ruhig zu bleiben, ohne esfühlen zu wollen oder Akte dafür zu verrichten, und so in der Erkennt-nis verbleiben, die Gott einem zeigt. Schließlich muß man sich an denZustand halten, in den Gott die Seele hineinstellt: leiden im Leiden,gedulden in Mühen. Das ist Tugend, in der man ruhig bleiben muß, ohneverstandesmäßige Überlegungen, um zu sehen, was die Seele leidet, wasihr Mühe bereitet, was sie tut, was sie getan hat oder tun wird. Sie soll indieser einfachen Schau Gottes und ihres Nichts bleiben, geduldig undleidend. Gott zeigt uns, daß ein armer kleiner Geist sich von allem undin allem einfach zu ihm hinwenden soll. Man soll den Geist nicht so vieltun lassen; man soll ihn sachte zurückhalten und in Gott seine Ruhefinden lassen durch eine Liebesregung im obersten Seelenbereich, so-wohl bei Versuchungen, Schmerzen, Betrübnissen, Ängsten, wie bei al-len anderen Vorkommnissen, welcher Art auch immer.

Überlassen Sie alles, was Sie im allgemeinen betrifft, der VorsehungGottes; möge sie über Herz, Leben, Seele herrschen und alles nach ih-rem hochheiligen Willen verfügen. Tun Sie das, ohne etwas zu denken,zu wollen, zu unterscheiden oder zu fürchten. Leben Sie jeden Tag fürdiesen Tag und überlassen Sie unserem Herrn die Sorge für alles übrige.

Weisen Sie Versuchungen, Ängste, Vorsorgen und ähnliches zurück,indem Sie sich darüber lustig machen. Ja wahrhaftig, was kümmert esmich schon, daß sie kommen! – Bei allen ungereimten Versuchungensoll man zu unserem Herrn vielmehr über ganz andere Dinge als übersie sprechen und uns einfach davon abwenden durch eine liebevolleHinwendung des Herzens zu seinem Heiland. Und wenn irgendwelcheneue Belastungen auftauchen, welcher Art auch immer, soll man sie indie Hände unseres Herrn legen und dann in Frieden bleiben.

2.Leidet man seelisch und weiß nicht, wohin den Fuß setzen, um Ruhe

zu finden, dann soll man, so gut man kann, auf unseren lieben Heerfüh-rer und unsere einzige Hoffnung, den gütigen Jesus schauen: seine Ver-lassenheit in seinem Todeskampf sehen und in seiner Nachfolge mitzwei verschiedenartigen Waffen kämpfen.

Die eine Waffe ist Geduld und Ergebung in den Willen unseres Herrn

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durch die Bereitschaft, diesen Kelch zu trinken und mit Ijob (6,10)Ihren Herzenstrost darin zu finden, daß Sie so seien, wie es Gott gefällt,weil er es so will und solange er will, ohne ihm den Zeitpunkt vorzu-schreiben oder die Tage zu zählen; wie die Leute von Betulia (Jdt 7,23-25; 8,10-13) – sondern alles seiner liebevollen Vorsehung zu überlas-sen.

Ergreifen Sie dann die Waffe des Gebetes, und wenn es auch nur mitdem Mund geschieht. Sagen Sie mit David: Herr, ich bin entschlossen,Deine Gebote zu beobachten, welcher Widerstand oder welche Versu-chung sich auch dem entgegenstellen mag. Aber, o Herr, verlasse michnicht ganz (Ps 119,8). Ich sorge mich nicht, wenn Du mich einige Zeitverläßt, um mich zu prüfen, wofern es nicht so lange geschieht, daß ichunterliege. O Gott, Du bist meine Hoffnung (Ps 91,9; 113,6)! Ich binrecht schwach, aber ganz Dein, gestützt (auf Dich) und in ErwartungDeiner Hilfe, denn Du bist ja dem Betrübten nahe (Ps 91,15).

Ihre Reden sollen knapp, gütig, heilig und bescheiden sein, in allerRuhe gesprochen. All Ihr Tun soll darin bestehen, zu leiden und unserenHerrn handeln zu lassen. Fiat voluntas tua! Und Sie sollen in dieser soeinfachen Einfachheit bleiben, ohne sich zu rühren.

Sie sind zu einer großen Reinheit, Erniedrigung und Unterwerfungverpflichtet. Sie dürfen um nichts Sorge haben, da unser Herr sich dar-um kümmert, sondern alles, ich sage, ausnahmslos einfach alles wie ausseiner Hand entgegennehmen.

(1614-1616)1.

Halten Sie Ihr Herz fest in der Freude, geben Sie ihm das geliebteRuhen, das es im Schoß seines guten Meisters einzunehmen gewohnt ist.

Gehen Sie in Frieden Ihren Weg, ohne Ihrem Geist zu erlauben, aufsich zurückzukommen, vor allem wenn die Grübeleien ihn verwirrenwollen. Unsere Herzen sollen im Willen Gottes, wohin er uns auchtragen mag, völlige Ruhe finden.

2.Leben Sie ganz für Gott in der hochheiligen Selbstentäußerung von

allen Dingen und vor allem von sich selbst. Jesus halte Sie heilig alsSklavin seines heiligen Kreuzes und entblößt von allem, was nicht erselbst ist.

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(nach dem 21. Mai 1616)Das Kleid, dessen wir uns entblößt haben, darf uns nicht Sorge berei-

ten. Ich liebe nicht die Empfindsamkeiten, wohl aber diese königlicheLiebe, ähnlich jener der Seligen, die so sehr lieben und niemals weinen.Manchmal aber und auf kurze Zeit ließ der König der Herzen sein Herzbis zur Liebe der Tränen gehen (Lk 11,41; Joh 11,35), um zu zeigen, daßer die unseren liebt, wenn sie nach der Ordnung der Liebe kommen.

(1615-1617)1.

Zwei Dinge müssen besonders getan werden: 1. sich bei allen Dingenvergessen, um ständig Gottes eingedenk zu sein. Jedesmal, wenn Siesich außerhalb Gottes befinden, müssen Sie Ihren Geist ganz sachte,ohne irgendwelche Akte zu verrichten, zu ihm zurückführen. 2. müssenSie sich immer entblößen und entäußern und in den Händen Gottesbleiben wie ein schwaches Werkzeug, indem Sie ihn in sich ohne Wider-stand wirken lassen, so in dieser Hingabe verweilen und sich damit be-gnügen. Sie müssen immer über den Drangsalen und Tröstungen stehenund darin treu sein.

Wir müssen immer zufrieden sein mit dem, was unser Herr aus unsmachen will, denn das ist Demut, und wir dürfen nicht wählen wollen.Da wir nicht mehr uns gehören sondern ihm, lassen wir uns führen,wohin es ihm gefallen wird.

2.Der seelische Nutzen ist nicht dadurch gegeben, daß man viel an Gott

denkt, sondern daß man ihn aus tiefstem Herzen liebt; und diese Liebeerwirbt man, wenn man sich dazu entschließt, viel für Gott zu tun und zuleiden. Tut eine Seele etwas, was ihren Neigungen ganz entgegengesetztist, und sie empfindet es stark, so soll sie sich dessen schämen. Sie solldoch denken, daß sie damit dem Herrn den größten Dienst erweist, undsie soll ihr Leiden nicht so tragisch nehmen, sondern es in aller Ruheertragen. Je mehr man von seinem Trost um unseres Herrn willen ver-liert, desto mehr soll man sich über diesen Verlust trösten.

3.Wer seinem Nächsten mit dem Segen der Milde (Ps 21,4) zuvorkommt,

wird der vollkommenste Nachfolger unseres Herrn sein.In allen Ängsten soll man versuchen, sich in der Gegenwart Gottes

aus Liebe zu seiner Liebe zu beruhigen. Wer sanftmütig ist, beleidigt

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niemand, erträgt und erduldet gern solche, die ihm Böses tun, leidetschließlich geduldig die Schläge und vergilt nicht Böses mit Bösem. DerSanftmütige gerät nie in Verwirrung, sondern taucht alle seine Worte inDemut und besiegt das Böse durch das Gute (Röm 12,21).

Behandeln Sie den Nächsten und die Schwestern mit äußerster Sanft-mut und Liebe, vor allem jene, gegen die Sie Abneigung oder Ekel emp-finden wegen der Unvollkommenheit ihres Geistes, wegen des Mangelsan natürlichen Gaben oder weil sie ihre Aufgabe schlecht verrichten.

Wenn Sie andere zurechtweisen, soll es immer mit dem Herzen undmit milden Worten geschehen. Achten Sie beim Tadeln der Fehler dar-auf, daß Sie in Ihrem Herzen den schwachen Menschen entschuldigenund den Fehler verkleinern; denn so wirken die Mahnungen am nach-haltigsten. Schließlich muß man dem Nächsten gegenüber Milde biszum äußersten walten lassen, selbst bis zur Torheit, und darf niemalsVergeltung üben gegen die, welche schlechte Dienste leisten. GlaubenSie mir, wenn wir aus diesem Grund etwas verlieren, wird Gott uns wohlanderswo entschädigen.

Wenn man aus einem guten Grund gezwungen ist, jemand ein Un-recht vorzuhalten, soll man gerade nur das sagen, was im vorliegendenFall nötig ist, und über das übrige möglichst schweigen. Lassen Sie nie-mals irgendein Gefühl des Zornes aufkommen, über was auch immerund unter welchem Vorwand und Anschein von Berechtigung auch im-mer, denn es ist immer eine Unvollkommenheit. Es ist besser, alles zutun, was möglich ist, und alles mit Gelassenheit und Ruhe aufzuneh-men. Das ist dann die hohe Vollkommenheit und fördert die Erbauung.

Man braucht kein anderes Mittel gegen die Zerstreuungen, als ruhigdas Herz auf seinen Gegenstand zurückzuführen, wenn man bemerkt,daß es davon abgekommen ist, wobei man Worte der Liebe und Demutzu unserem Herrn sagt.

(1615-1620)9

Sagte ich Ihnen nicht, meine liebe Tochter, daß es etwas Schönes wäre,arm zu sein aus Liebe zu unserem Herrn, wenn einem daraus keineUnannehmlichkeiten erwachsen würden und man alles nach Wunschhätte, was man braucht, und dabei noch geachtet und hochgeschätztwürde? Gewiß, meine liebe Tochter, das wäre eine brave Armut, aberleider würde man sie Ihnen nicht lassen, wenn sie so wäre. Unser Herrund die Mutter Gottes haben wohl eine andere Art von Armut geübt:eine verabscheute, verachtete, geringgeschätzte und beengende Armut.

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Obwohl er als Mensch dem Leib nach dem Geschlecht Davids und Salo-mos angehörte, wurde er doch in der Stadt Davids schroff abgewiesenund lag in äußerster Armut in der Krippe und seine Mutter fand nichteinmal jemand, der ihr Unterkunft geben wollte (Lk 2,7). So soll mandie Armut üben, ihn nachahmen und mit der hl. Paula den Stall vonBetlehem allen Reichtümern Roms vorziehen.

Meine liebe Tochter, Gott lasse uns recht die heilige Niedrigkeit lie-ben und die Freuden der heiligen Armut verkosten. Amen. Der gütigeJesus sei immer in unseren Affekten.10

(1615-1621)1.

Man muß die Aufmerksamkeit auf das lenken, was man tut, und darfden Geist nicht in Fesseln legen. Vor allem keine Grübeleien! Wir müs-sen mit offenen Händen die Eingebungen aufnehmen, die Gott uns gibt;wir müssen sie bloß von dem, der uns leitet, überprüfen lassen und ganztreu jene befolgen, die unser Seelenleben vereinfachen.

Wer nichts für sich zurückbehalten will, gehört ganz Gott.Die größte Sicherheit, die wir in diesem Leben haben können, besteht

in dieser reinen und unwiderruflichen Hingabe unseres ganzen Wesensin die Hände Gottes und in dem unerschütterlichen Entschluß, niemals– wofür auch immer – freiwillig irgendeine große oder kleine Sünde zubegehen. Wir sind nicht sicherer, wenn wir die Liebe Gottes fühlen, alswenn wir sie nicht fühlen. Die große Sicherheit ist nur in dem vorherGesagten gegeben.

2.Wir müssen ganz für Gott leben durch den Willen unserer Oberen.

Wenn uns irgendwelche Verdächtigungen, Meinungen, Gefühle, Miß-trauen, Wünsche, Anfechtungen und ähnliches treffen, dürfen wir sienicht gewaltsam durch die Vorstellungskraft oder anders überwindenwollen. Wir sollen uns damit keineswegs abgeben, sondern sogleich sa-gen: „Mein Gott und mein Alles! Es lebe Gott! Es lebe Jesus!“

Wir müssen alle Geschöpfe in Gottes Gegenwart weit zurückweisenund uneingeschränkt nur ihn wollen, denn man soll nicht die Geschöpfemit dem Schöpfer vermengen; das Geschöpf wird uns so viel lieben, alsGott es will, und wir werden das gleiche tun. Schließlich brauchen wir nurGott allein und seinen hochheiligen Willen, ohne irgendetwas hinzuzufü-gen. Zu einer anderen Zeit wird man Akte der Hingabe verrichten.

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Wir müssen unser ganzes Herz immer mehr in die göttliche Gütezurückziehen, unser Herz zu seinem Gott emporheben, um ihn mit ei-ner immer größeren Reinheit, Aufrichtigkeit, Unschuld und geistlichenTapferkeit zu lieben und ganz sanftmütig, ganz mit dem Heiland vereintleben.

3.Wenn man stark unter einer Person11 leidet, die überaus lästig ist, muß

man sogleich dieses Kreuz Gott aufopfern und es von ganzem Herzenauf sich nehmen und bereit sein, es sein ganzes Leben lang zu tragen,wenn es Gott so gefällt; dann soll man in seinem Leid ruhig und zufrie-den bleiben, dieser Person mit Ehre und Achtung begegnen, da sie unsvon Gott gegeben wurde, damit wir alle Tugenden üben, ferner die GüteGottes gegen uns erwägen, die uns aus den Fehlern der anderen Nutzenziehen läßt. Wenn diese Person angenehmer wird, o Gott, dann soll mansich ihr voll Güte nähern, ohne ihr jemals von der Vergangenheit zusprechen. Wenn es auch in unserer Macht stünde, uns dieses Kreuzes zuentledigen, dürfen wir es nicht tun.

(1620-1622)1.

O meine Mutter, welch große Befriedigung ist es doch für unsere wahr-haft Gott hingegebene Seele, mit geschlossenen Augen den Weg gehenzu dürfen, auf den sie die allerhöchste Vorsehung zeitweise führt; dennseine Gründe und Urteile sind undurchdringlich, aber immer milde,immer gütig und nützlich für jene, die auf Gott vertrauen. Was wollenwir denn als das, was Gott will? Lassen wir ihn unsere Seele führen, dieseine Barke ist, er wird sie den Hafen erreichen lassen.

2.Es scheint mir, daß mein Geist dem reinen Dienst an Gott und der

Ewigkeit mehr denn je zustrebt ...Welch erhabene, innige und drängende Gefühle empfinde ich doch

immer für diese göttliche Liebe! Und es ist die Wahrheit, daß diesehimmlische und göttliche Liebe so sehr über dieses Herz die Herrschafthat, daß es trotz seiner Armseligkeit ganz der göttlichen Majestät ge-weiht ist und nichts im Auge hat als deren Verherrlichung.

(Annecy, Ende August-Oktober 1622)Wir müssen Gott volle Freiheit lassen, uns dorthin zu führen, wo er

uns haben will, und mit Jesaja (6,8) sagen: Sende mich, Herr, wohin es

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Dir gefällt, denn wenn ich von Dir gesandt wurde, bin ich ganz sicher,daß Du mir – in welcher Lage ich auch sein mag – helfen wirst, DeineBefehle auszuführen.

Ich preise Gott, daß er uns Heimsuchungen schickt, von denen erweiß, daß sie uns zuträglich sind, besonders wenn ich hier eine solcheBedürftigkeit und Hungersnot sehe ...

Unser Herr wird für diesen schwachen und gebrechlichen Leib Sorgetragen und ihn ganz so lenken, wie es ihm gefällt, ihm bald durch ständi-ge Heimsuchungen Leid verursachen, bald ihm irgendwelche Erfri-schung und kurze Entspannung zuteil werden lassen.12

Unser Herr ist so nahe, daß man sich um nichts zu sorgen braucht; dennich hoffe auf seine Barmherzigkeit, daß er mich dorthin bringen wird, woes ihm am wohlgefälligsten ist, und seinen Willen an mir erfüllen wird.

(2095)1.

Viele Seelen kommen zu mir, um zu erfahren, wie man Gott dienensoll; helfen Sie mir viel durch Ihre Gebete, denn was meinen Eifer be-trifft, so ist er größer denn je; aber sehen Sie, so viele Kinder werfen sichin meine Arme und holen sich Kraft aus mir, daß ich kraftlos würde,wenn die Liebe Gottes mich nicht immer wieder stärkte.

2.13

Ich sagte diese Worte heute morgen zu Gott, aber ich wage sie jetztnicht mehr zu sagen, weil ich gefunden habe, daß ich nur zu gut weiß,was Gott will, daß ich tue. Er will, daß ich mich in allen Kräften meinerSeele abtöte und daß ich ein auserwähltes Werkzeug sei, um seinen hei-ligen Namen unter das Volk zu tragen (Apg 9,15). Aber ach, was ich –wie ich weiß – nach seinem Willen tun soll, weiß ich nicht zu tun. Er, deres zu tun weiß, möge es also in mir und durch mich tun (Röm 7,19-25).Er möge aber alles um seinetwillen tun; ich habe gefunden, nichts ande-res für ihn beitragen zu können, als diese kleine Faser guten Willens, denich im tiefsten Grunde meines armseligen Herzens verspüre. Diesergute Wille lebt in mir, aber ich bin tot in ihm und spüre nur eine trägeund schwache Regung, durch die ich fast unwahrnehmbar das heiligeWort unserer Treue hauche: Es lebe Jesus! Es lebe Jesus!

3.Ich stehe sehr unter Druck und es scheint mir, daß ich gar keine Wi-

derstandskraft habe und erliegen würde, wenn sich mir die Gelegenheit

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ergäbe. Aber je schwächer ich mich fühle, desto lebendiger ist meinVertrauen auf Gott (2 Kor 12,9.10) und ich bin gewiß, daß ich ange-sichts der Dinge mit der Stärke und Kraft Gottes bekleidet würde (Ps31,4; 47,2) und meine Gegner wie Lämmlein verschlingen könnte.

4.Ach, wir müssen wahrlich ernsthaft unsere Herzen zu diesem unsterb-

lichen König tragen und ganz allein für ihn leben.Wenn Sie wüßten, wie Gott mein Herz behandelt, würden Sie seiner

Güte dafür danken und ihn anflehen, er möge mir die Gabe des Ratesund der Stärke verleihen, damit ich die Eingebungen der Weisheit unddes Verstandes, die er mir gibt, ausführen möge. Vor allem ist meinHerz erfüllt von unendlicher Liebe, für immer der reinen und heiligenLiebe meines Heilands geopfert zu werden ...

Mit neuem Eifer strebe ich nach der göttlichen Liebe; möge sie meinHerz erfüllen und es von Gnaden und Segnungen des Heiligen Geistesüberströmen lassen.

5.Sie wissen, daß unsere glorreiche Herrin mir immer eine besondere

Hilfe verleiht, wenn ich von ihrer göttlichen Mutterschaft spreche. Ichflehe diese Unsere heilige Liebe Frau an, ihre Hand in die kostbare Seiteihres Sohnes zu legen, um ihr seine liebsten Gnaden zu entnehmen, diesie dann in überreichem Maß uns schenken möge.

(2096)1.

Sehen Sie, das Hinübergehen unserer lieben Freunde ist gewiß sehrliebenswert, denn dadurch wird der Himmel bevölkert und die Herr-lichkeit unseres Königs vermehrt. Ein Tag wird kommen, – Gott weißihn – da wir zu ihnen gehen werden; lernen wir einstweilen sorgsam denGesang der heiligen Liebe, damit wir ihn in dieser heiligen Ewigkeitdann umso vollkommener singen können.

2.O wie glücklich sind die, die ihren Sinn nicht auf ein so trügerisches

und ungewisses Leben wie dieses da setzen und es nur wie eine Plankezum Hinübergehen „in das himmlische Leben“ ansehen! Denn in diesessollen wir unsere Hoffnungen und Erwartungen verlegen.

3.Sterben wir uns selbst ab und allem, was von uns selbst abhängt. Ich

bin der Ansicht, daß wir nur mehr unserem Gott leben sollen. Dafür

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nimmt mein Herz, mein Mut einen neuen Aufschwung und dieser scheintmir wahrhaftig zu sein.

Ja, unser Herr ist unser Herr und all unser Gut; was haben wir mitanderem zu schaffen?

(2097)1.

Wir müssen diese teuren Tugenden ganz kraftvoll festhalten: die Sanft-mut gegen den Nächsten und die sehr liebenswerte Demut Gott gegenüber.

Die wahre Heiligkeit liegt in der Liebe zu Gott und nicht in den kin-dischen Einbildungen von Entrückungen, die die Eigenliebe nähren,aber Gehorsam und Demut verflüchtigen lassen. Ekstatisches machenwollen, ist ein Mißbrauch. Echte und liebenswerte Entrückung der Die-ner Gottes ist, wahre Sanftmut und Unterwerfung zu üben, Selbstver-leugnung, Nachgiebigkeit des Herzens, Liebe zur Niedrigkeit und Ein-gehen auf die Absichten der anderen.

2.Niemals wird man zur Höhe der Vollkommenheit in der Gottesliebe

gelangen, wenn man sich nicht aus Demut tief gebeugt hat. Unser Herrschätzt die Demut so hoch ein, daß er keine Schwierigkeit macht, zuzulas-sen, daß wir in Sünde fallen, um daraus die heilige Demut zu gewinnen.

3.Was wir tun, soll getan werden aus der Pflicht heraus, die wir haben,

oder aus einfacher Zustimmung zum Wohlgefallen Gottes, und das so-wohl im Sturm wie in der Ruhe.

Die wahre und heilige Wissenschaft besteht darin, Gott in sich und inallem schaffen und abschaffen zu lassen, was ihm gefällt, ohne Wunschoder Wahl; dabei in tiefem Schweigen das verehren, was menschlicheSchwäche nicht verstehen kann, denn seine Pläne sind immer gerecht,mögen sie uns auch verborgen sein. Der Schatz lauterer Seelen bestehtnicht darin, Güter und Gunsterweise von Gott zu haben, sondern ihnzufriedenzustellen, indem man nicht mehr und nicht weniger will, alsdas, was er gibt ...

(2098)Wir müssen die Fehler des Nächsten schon tief empfinden, aber gleich-

zeitig darin, daß die Nächstenliebe darin besteht, sie zu ertragen, undnicht darin, sich darüber zu entsetzen. Wir müssen den Nächsten unse-rem Herrn empfehlen und trachten, die dem Fehler entgegengesetzte

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Tugend mit großer Vollkommenheit zu üben. Mit unserem Herrn müs-sen wir die Sünde verabscheuen und hassen und betrübt sein über dieUnvollkommenheiten und Fehler des Nächsten, aber mit dem Sünderund Unvollkommenen Mitleid haben und ihn dulden und ertragen inder Nachfolge des Heilands, der ihn wohl erträgt.

So sollen wir auch uns selbst behandeln. Nachdem wir die Beleidi-gung Gottes, über die wir sehr traurig sein sollen, wieder gutgemachthaben, sollen wir aufrichtigen Herzens die Verachtung und Erniedri-gung lieben, die uns daraus erwachsen, und sie auf uns nehmen.

Die Vernunft hilft uns, die Gewohnheit der Tugenden zu erwerben.Aus dieser Gewohnheit heraus können Tugenden geübt werden auchohne Eingreifen des Verstandes. Cassian sagt, daß wahrhaft tugendhafteMenschen eine solche Gewohnheit der Tugend haben, daß sie selbst imSchlafe nur an die Tugend denken; und der hl. Gregor sagt über dasmenschliche Elend: O glückliches Elend! Du bist liebenswert, denn duhinderst mein Herz, Neigung zu fassen zu den Dingen der Welt.

Das ist das große Wort für unsere Ruhe: oft daran zu denken, daß sichunsere Angelegenheiten und Mühen verschlimmern können, und sichdarauf einzustellen; und wenn dann das Mißgeschick eintrifft, die Herr-schaft des höheren Willens über den niederen zur Geltung zu bringen.Es ist unmöglich, zu verhindern, daß der niedere Bereich unserer Seelemurrt und sich ärgert. Man soll sich darum nicht kümmern, sondern denhöheren Bereich zur Geltung bringen, von ganzem Herzen das anneh-men, was Gott will oder geschehen läßt, wie unser Herr es tat in seinerTodesnot: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod“ (Mt 26,38). So sollenauch wir sagen: „Herr, schau nicht auf die Empfindungen und die Auf-lehnung dieses niederen Bereiches und höre nicht auf, ich bitte Dich,Deinen Willen über mich durchzuführen. Ich bin so überglücklich, daßDu mich heimsuchst und mich von mir selbst entblößt, um mich mit Dirselbst zu bekleiden.“

(2099)Wir müssen die Natur der Gnade unterordnen und dürfen keineswegs

über die Schwierigkeiten staunen, auf die wir stoßen; denn wir müssenuns immer wieder daranmachen, uns zu vernichten, und diese Übungbis zu unserem Lebensende fortsetzen. Dann werden wir unsere Aufga-be erfüllt finden, wenn wir beharrlich bleiben, früher aber nicht. Wirmüssen unsere Vollkommenheit Stück für Stück zusammentragen; dennman findet keine ganz fertig gemachte vor, außer wenn unser Herr uns

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durch ein Wunder seiner Gnade eine neue Lebenshaltung in einem Au-genblick schenkt, wie er es beim hl. Paulus getan hat (Apg 9,3). Unddoch hat dieser große Heilige nach so vielen Entrückungen oft die Arm-seligkeit unserer Natur erfahren müssen, sodaß er ausrief: „O ich un-glückseliger Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des To-des!“ (Röm 7,24).

So dürfen wir über unsere Schwächen und Unbeständigkeiten nichterstaunt sein und uns nicht gehen lassen, sondern uns wohl sanft undruhig demütigen, aber dann unser Herz wieder zu Gott erheben undunser heiliges Unternehmen fortsetzen, mit Vertrauen auf unseren Herrnund auf ihn gestützt; denn er will uns alles verschaffen, was zur Ausfüh-rung notwendig ist; er verlangt von uns nur unsere Zustimmung undunsere Treue.

O, wenn wir uns doch endlich entschließen und entschieden sagenkönnten: „Herr, was willst Du, daß ich tue?“ (Apg 9,6), wie glücklichwären wir! Zumindest sollten wir es oft sagen.

Der größte Gewinn, unser großes Glück in der Vollkommenheit soll-te sein: keinen Wunsch zu haben, von den Geschöpfen geliebt zu wer-den. Was soll Ihnen daran liegen, ob man Sie liebt oder nicht? Sollte esvorkommen, daß man Sie anscheinend nicht liebt, so müssen Sie dochIhren Weg weitergehen, ohne sich darauf einzulassen, darüber nachzu-grübeln. Wir sollten den Nächsten lieben und ihn gern haben. Jeder sollentsprechend seiner Stellung nach dem Wunsch unseres Herrn alles tun,was möglich ist, um den Nächsten zu befriedigen und ihm vorwärtszu-helfen, denn das ist der Wunsch Gottes. Wenn es Gott gefällt, daß wirihre Herzen gewinnen, so ist es eine große Freude für uns und ein SegenGottes; wenn dies aber seiner Güte nicht gefällt, dann müssen wir unsmit der Liebe des Herzens unseres Herrn begnügen, und das ist wohlgenug.

(2100)14

O wie klug und einsichtig sind doch die wahren Liebenden des himm-lischen Liebenden! Wissen Sie, was sie tun? Sie blicken schon manch-mal auf sich selbst, um zu schauen, ob ihr geistlicher Schmuck passendangelegt ist, ob ihnen keine Tugendperle fehlt und ob alle ihre reichenEdelsteine ihren lebhaften und ungetrübten Glanz haben; aber wie ge-läutert ist diese Betrachtung und wie einfach! Wie wertvoll ist sie, da siekein anderes Ziel hat, als den göttlichen Bräutigam zufriedenzustellenund ihm wohlzugefallen!

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ANMERKANMERKANMERKANMERKANMERKUNGENUNGENUNGENUNGENUNGEN

I. An die Baronin von ChantalI. An die Baronin von ChantalI. An die Baronin von ChantalI. An die Baronin von ChantalI. An die Baronin von Chantal

1. s. zu diesen Zeilen S. 29, 31.2. Erzbischof André Frémyot vonBourges, der leibliche Bruder der Ba-ronin.3. Die hl. Theresia war um diese Zeitnoch nicht seliggesprochen.4. P. Villars SJ., Rektor des Jesuiten-Kollegs von Dijon, hochgeschätzt vonFranz von Sales, Beichtvater der Ba-ronin von Chantal, erklärte ihm vorder Zusammenkunft der beiden Hei-ligen zu Saint Claude, daß diese vierGelübde, mit denen Johanna Franzis-ka von Chantal durch den „Seelenfüh-rer“ belastet war, in Wirklichkeit kei-ne Gültigkeit hatten (s. Oeuvres XII,S. 343, Anm. 1).5. Franziska hatte keinen Klosterbe-ruf. Die hl. Johanna Franziska behieltsie bei sich. Sie heiratete, 21 Jahrealt, den Grafen von Toulongeon.6. Vgl. Band 12, S. 29-49. Der Erzbi-schof von Bourges war der Bruder derBaronin.7. Tatsächlich fand die Heiligspre-chung des hl. Karl Borromäus erst1610 statt. Sie wurde durch den Todzweier Päpste verzögert.8. Ignatius von Loyola schien damalsauch seiner Heiligsprechung sehr nahezu sein; er wurde aber trotzdem erst1609 selig- und 1622 heiliggesprochen.9. Am Feste des hl. Ludwig, dem 25.August 1604, hatte die Baronin vonChantal ihre Generalbeichte beim hei-ligen Bischof abgelegt und er hatte amselben Tag feierlich ihre Seelenführungübernommen (s. Oeuvres S. 367,1).10. In einem Traum hatte die Baronindie Worte gehört: „Du wirst in die

heilige Ruhe der Kinder Gottes nurdurch die Pforte von Saint Claudeeingehen“. Die erste Verwirklichungfand diese prophetische Verheißung inSaint Claude, als Franz von Sales ihreFührung übernahm, die zweite, als sieam Fest des hl. Claudius (6. Juni 1610)ihr Ordensleben begann (s. MutterChaugy, Memoires, 1. Teil, 10. Kap.).

11. Es handelt sich hier wohl um dieandauernden schwierigen Verhandlun-gen um die Landschaft Gex, die zuFrankreich gehörte, aber zugleich zurDiözese von Genf – und wohl auchzwischen kirchlichen Institutionen,sowie um andere ärgerliche Dinge, dieaus den Briefen des Heiligen dieserMonate zu ersehen sind.

12. In der Ausgabe Annecy folgen hier(Bd. XII, S. 381 f) 1½ Seiten übereine Prozeßfrage. In der von der Hei-ligen besorgten Ausgabe fehlen sie.Ihre Echtheit ist fraglich.

13. Es handelt sich hier wohl um die„Nachfolge Christi“, die man damalsmeist dem berühmten Gerson zu-schrieb.

14. Der Brief vom 18. Februar 1605(Bd. XIII, 4-11) ist sicher echt, aus-genommen der erste Abschnitt und diedrei ersten Zeilen des zweiten Ab-schnitts, die daher hier nicht übersetztwurden.

15. Frau Brulart von Dijon, mit derFranz von Sales eine sehr rege Korre-spondenz führte.

16. Von den Oeuvres zum erstenmalveröffentlicht. Scheint aber echt zusein.17. Franz von Sales bezeichnet hierwie auch später die Mutter Gottes alsÄbtissin der Baronin im Kloster derWitwen.

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18. Hier ist wohl die heilige Kommu-nion gemeint, nach der hier als „Buß-übung“ bezeichneten Generalbeichte.19. In Rom wie in Paris dachte mandaran, Franz von Sales zur Kardinals-würde zu erheben. Franz von Salesverhielt sich diesen Bestrebungen ge-genüber gleichgültig.20. Nach einer bei den Vätern vielverbreiteten Ansicht soll das Kreuzüber dem Grab Adams errichtet wor-den sein (s. Oeuvres II,62).21. Diese Arbeit war eine theologi-sche Abhandlung für den „Codex Fa-brianus“, von der ein Teil im 11. Banddieser Ausgabe erschienen ist.22. In den Oeuvres folgen zwei kurzeAbschnitte, deren Echtheit nicht si-cher ist, weshalb wir sie auslassen.23. Frau von Chantal suchte man da-mals wieder zu verheiraten.24. Franz von Sales meint hier die„Abhandlung von der Nachfolge Un-serer lieben Frau“ von P. Arias S.J.25. Seine Braut ist sein Bistum.26. Gallemant gehörte zum Kreis Aca-rie. Er war einer der Weltpriester, diedie in Frankreich beginnenden Kar-melitinnen leiteten.27. Der Verfasser dieses Werkes ist derspanische Franziskaner Alonso vonMadrid. Franz von Sales hat öfter soähnlich wie hier über dieses Buch ge-urteilt.28. Das Lieblingsbuch des Heiligen,das er auch immer zu empfehlen pfleg-te. Sein Verfasser war der TheatinerScupoli.29. Die „gute Mutter“, von der hierdie Rede ist, war Mutter Maria vonder heiligen Dreifaltigkeit, die sichernicht die Auffassung der hl. Theresiavertritt und auch nicht der MutterAnna von Jesus (spanische Karmeli-tin, Gründerin der französischen Kar-melitinnen), die in einem Brief an denBischof von Tarezone die genau ent-gegengesetzte Überzeugung äußert (s.

Sérouet, De la vie dévote à la vie my-stique S. 152).30. Wohl H. Gallemant (s. Anm. 26).31. Dieser Brief wurde erst 1833 ver-öffentlicht, scheint aber doch echt zusein. Inhalt und Stil sprechen fürFranz von Sales als Urheber.32. Diese heiligmäßige Dorfbewohne-rin hieß Pernette Poutay; sie starb am9. Juni 1606. Franz von Sales zähltesie zu seinen geistlichen Töchtern undsprach mit großer Ehrfurcht von ihr.33. Diesen langen Brief hat Franz vonSales nach den Herausgebern der Oeu-vres in Cluses geschrieben, einem Ort,wo er sich einige Tage aufhalten muß-te, weil seine Füße nach Angabe sei-nes Neffen und Verfassers seines Le-bens vom Herumsteigen in den Ber-gen ganz aufgeschunden und blutigwaren, sodaß er auch zehn Tage nach-her kaum aufrecht stehen konnte.34. Franz von Sales bezeichnet hierund anderswo den Stand der Witwenals den Orden der Baronin, als dessenÄbtissin von ihm immer die MutterGottes genannt wird.35. Wohl Anspielung auf den mürri-schen Charakter des Schwiegervatersder Baronin.36. Der Erzbischof Frémyot, Bruderder Baronin.37. Aus „Année Sainte“ zitiert. Dortwird erzählt, wie sehr der Heilige sichan den einfachen, echt frommen Berg-bauern erbaute, sie erzählen ließ, sichNotizen von ihren Geschichten undvon ihrer Frömmigkeit machte undseine Erwägungen der heiligen Baro-nin schrieb, unter anderem diese Stel-le aus einem seiner Briefe (s. Oeuvres,XIII, 212, N. 1).38. Wohl zur kanonischen Visitationin Boneville, für die Franz von Salesin dieser Zeit durch die Berge Savoy-ens ritt und kletterte.39. Dieser Brief wurde in den Oeuvreszum Teil aus einer noch nicht veröf-

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fentlichen Handschrift, zum Teil ausden Ep. sp. veröffentlicht. Auch derbisher nicht veröffentlichte Teil scheintecht zu sein. Hier sind davon auch ei-nige unwichtige Zeilen ausgelassen.40. Diese Jubiläumsfeierlichkeitenwurden vom Papst angeordnet, umGottes Segen auf sein Pontifikat zuerbeten und Gottes Hilfe im Türken-krieg, der wieder einmal die Christen-heit bedrohte. Tatsächlich entschwanddiese Gefahr noch im November 1606.41. Vor den Oeuvres nicht veröffent-licht. Von diesen erst im XXI. Band.Stil und Inhalt sprechen für Echtheitdes Briefes.42. Nach den Oeuvres ist der Briefvom 11. Februar 1607 in den Epitresspirituelles verstümmelt wiedergege-ben. Es ist möglich, daß die hl. Jo-hanna Franziska einige ihr nicht wich-tig scheinende Abschnitte ausgelassenhat. – Datta hat einen ausführlichenText nach einem angeblich von Franzvon Sales stammenden Manuskriptvon San Remo herausgegeben – wasaber nicht ausschließt, daß dieser eineFälschung sein kann. – Ich habe inmeiner Übersetzung die unwichtigenTeile ausgelassen und nur einen Ab-schnitt (S. 138 f) aus dem Manuskriptvon San Remo als zweifelhaft echtaufgenommen (s. Anm. 43).43. Franz von Sales spricht hier vonseiner Absicht, ein Buch über die hei-lige Liebe zu schreiben (die ca. neunJahre später herausgegebene „Abhand-lung über die Gottesliebe“). – DieserAbschnitt steht nicht in den Ep. spir.,ebenso nicht der folgende Abschnittüber seinen Katechismusunterricht.Beide dürften aber von Franz von Sa-les stammen.44. Leben der hl. Theresia von P. Ri-bera S.J.; ins Französische 1602 über-setzt.45. Wohl die Ungewißheit über seinegeplante Reise nach der Bourgogne.46. Franz von Sales spricht hier vonFrau von Charmoisy. Die Briefe, die

ihr Franz von Sales schrieb, wurdenUrsache der Entstehung der „Anlei-tung zum frommen Leben“.47. Ihr Verhalten gegenüber dem mür-rischen Schwiegervater und gegen dieMagd, die diesen beherrschte.48. Frau von Charmoisy (s. Anm. 46).49. Die Gründung der neuen Kongre-gation, die später der Orden von derHeimsuchung Mariä werden sollte.50. Franz von Sales wollte seine Kon-gregation zuerst unter den Schutz derhl. Marta stellen.51. Bernhard von Sales, ein jüngererBruder des Heiligen, trug bis 1610 denNamen Groisy, nach einem Besitztumder Familie von Sales.52. Das war der ursprüngliche Plandes Heiligen für seine zu gründendeKongregation, die er unter den Schutzder hl. Marta stellen wollte. – VonAnfang an sollte der Kontemplationder bessere Teil gewidmet sein, derAktion aber auch ein guter Teil. – Inder Korrespondenz des Heiligen an dieHeilige wird sich die weitere Entwick-lung offenbaren.53. Ihre Tochter Jeanne de Sales waram 8. Oktober in den Armen der Ba-ronin von Chantal gestorben, der sievon der Familie von Sales anvertrautworden war. Dieses für die Familie vonSales wie für die hl. Johanna Franzis-ka furchtbare Ereignis sollte aber inwunderbarer Weise mithelfen, die Plä-ne beider Heiligen zu fördern.54. Am 28. Oktober.55. Jean François de Sales, auch Bo-isy genannt, der spätere Bischof undKoadjutor des Heiligen.56. Franz von Sales erfuhr den Todseiner kleinen Schwester erst am 30.Oktober.57. Die Kammerfrau der Frau vonBoisy.58. Jean François de Sales.59. Feierliches Requiem am 40. Tagnach dem Tod.

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60. Der Schluß dieses inhaltsreichenBriefes entspricht gar nicht der Artdes hl. Franz von Sales; er dürfte ver-stümmelt sein.61. Louis de Sales, nach einem Besitzder Familie La Thuille benannt, derzweitälteste der Familie (10 Jahre nachFranz von Sales geboren).62. Ein Großteil dieses Briefes stehtin den Epitres spir. – Diesen gebenwir in der Übersetzung wieder. – Wassonst noch in den Oeuvres Bd. XIII,357-363, Br. 430 steht, wurde zuerstvon Blaise angeblich nach einer Ko-pie des Originals gedruckt. Die Echt-heit dieser Teile des Briefes steht nichtfest.63. P. Fourier S.J.64. Was nun folgt, steht nicht in denEp. spir., wohl aber in den Oeuvresals inédit aus einer Turiner Hand-schrift. Es enthält persönliche Nach-richten und wurde wohl deswegen inden Ep. spir. ausgelassen. Stil und In-halt sprechen für seine Echtheit.

65. Dieser Brief ist auch zum ersten-mal in den Oeuvres XIII, 371-379 ver-öffentlicht, macht aber den Eindruck,echt zu sein.

66. In den Oeuvres ist dieser Briefnach einer Handschrift abgedruckt, diein Amiens liegt und zuerst 1894 ver-öffentlicht wurde. Die Ep. spir. hat-ten einen Teil davon in ihrer Samm-lung. Dieser scheint uns allein echt zusein und liegt in unserer Übersetzungvor. Alles andere ist in unserer Über-setzung ausgelassen, so die angebli-chen Äußerungen des Heiligen überdie Frisur der kleinen Aimée, über P.de Monchi, über Br. Matthäus etc.

67. Die Bekehrung dieser beiden Ab-trünnigen, Pierre Guillette (früherMinorit) und Claude Boucard (früherJesuit) durch Franz von Sales war da-mals ein großes Ereignis, wie es auchihre Apostasie gewesen war. Beidewaren bekannte Gelehrte, wurden aber

Opfer ihres Hochmuts und ihrer Sinn-lichkeit. Franz von Sales nahm sie lie-bevoll wieder in die Kirche auf undsorgte auch gütig für ihren Unterhalt.Boucard wurde bald rückfällig undvon Franz von Sales 1617 zum zwei-tenmal wieder in die Kirche aufge-nommen. Er starb als guter Katholik.

68. Die Oeuvres haben (XIV, 44-45)einen längeren Teil dieses Briefes auseiner in Limoges befindlichen Hand-schrift veröffentlicht. In dieser deut-schen Übersetzung sind nur die Teiledes Briefes übersetzt, die sich in denEp. spir. befinden und die sicher echtsind, während die übrigen von denOeuvres abgedruckten Texte kaum vonFranz von Sales stammen können.

69. Der unter Nr. 478 der Lebensbe-schreibung der Windenschwester A. J.Coste entnommene Brief ist sicherauthentisch, da diese Lebensbeschrei-bung der damaligen Windenschwestervon der Mutter von Chaugy stammt.Anne Jaqueline Coste, Tochter einesBergbauern, später Hoteldienerin inGenf, wo sie Franz von Sales kennenlernte, der dann 27 Jahre lang ihr geist-licher Vater blieb, war eine der Säulender beginnenden „Heimsuchung“. Siestarb 1623, nachdem sie viele Jahreihre demütigen Dienste dem Orden ge-leistet hatte.70. Von diesem Brief haben die Ep.spir. einen Teil veröffentlicht. Dattahat nach einer in der Heimsuchung vonAnnecy befindlichen Handschrift denText etwa um die Hälfte vermehrt her-ausgegeben. Die Oeuvres haben ihn indieser Gestalt veröffentlicht – und ichglaube mit Recht. Die in den Ep. spir.nicht aufgenommenen Teile des Brie-fes haben alle Anzeichen der Echt-heit. Ich habe den Brief daher in sei-ner Gänze übersetzt.71. Franz von Sales hatte mit seinemjüngeren Bruder Bernhard Monthelonbesucht und dort dessen Verlobungmit der kleinen Aimée, der ältesten

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Tochter der Baronin, gefeiert. Nachseiner Rückkehr nach Annecy scheinter diesen Brief geschrieben zu haben.72. Die Anleitung zum frommen Leben.73. Der Präsident Frémyot, Vater derBaronin von Chantal.74. Er gehörte tatsächlich dieser Bru-derschaft seit seiner Studienzeit an.Nach der Aussage der hl. JohannaFranziska von Chantal betete er täg-lich den Rosenkranz eine Stunde lang,da „er ihn betrachtend betete“.75. Die Bekehrung dieser Familie, diehartnäckig an der Häresie hing, veran-laßte den berühmten Kardinal Du Per-ron zu sagen: „Es hätte wenig gefehltund ich hätte alle meine Bücher ver-brannt, als ich hörte, daß diese Familie,um deren Bekehrung ich mich sovielbemüht habe, schließlich in die Händedes Bischofs von Genf die Irrlehren ab-schwor.“ Vom gleichen Kardinal stammtauch das Wort: „Wenn ihr wollt, daßich Irrgläubige widerlege, schickt sie zumir; wollt ihr sie aber bekehren, soschickt sie zum Bischof von Genf ...“(zitiert von Charles August de Sales, s.Oeuvres XIV, S. 96, Anm.).76. Frl. Bréchard, Taufpatin von Char-lotte, der jüngsten Tochter der Baro-nin.77. 1606 brach zur Zeit der Weinleseeine Epidemie aus, der die Baroninfast zum Opfer gefallen wäre. Sie ließdamals anscheinend eine Anzahl Brie-fe des Heiligen vernichten.78. Der Teil dieses Briefes, der nichtin den Ep. spir. aufscheint, dürfteunecht sein. Er wurde in unserer Über-setzung ausgelassen.79. Dieser Brief ist in den Oeuvresnach einer in Rennes befindlichenHandschrift abgedruckt. Er scheint inden Ep. sp. nicht auf, scheint aber echtzu sein.80. In den Oeuvres ist dieser Briefnach einer Handschrift der Heimsu-chung von Dijon veröffentlicht wor-den; einige Teile standen in den Ep.

sp., andere bei Charles August de Sa-les, dem Neffen des Heiligen und des-sen Biographen.81. Zu Salins sollte Franz von Salesdie Fastenpredigten halten und dort-hin sollte die Baronin zu einer Be-sprechung kommen.82. Das heilige Schweißtuch von Be-sançon wurde 1794 zerstört. SeineBeziehungen zum heiligen Grabtuchvon Turin wurden verschieden erklärt.83. Die heilige Hostie von Dole wardamals ein viel verehrtes Heiligtum.Im Jahre 1608 stammte sie von derBenediktinerkirche Favernay, wo siebeim Brand dieser Kirche wunderba-rerweise unversehrt blieb und bis zurfranzösischen Revolution, die sie auchvernichtete, viel verehrt wurde.84. Die Äbtissin des Klosters Beaume.85. Sein Bruder Bernard de Sales.86. Frau von Cornillon, die Schwe-ster des Heiligen.87. In den Oeuvres steht dieser Briefim XXI. Band, S. 89-98. In den Bän-den XIV und XV sind Teile davon ver-öffentlicht nach den Ep. sp., in denendiese Teile auch getrennt erscheinen.Die Herausgeber der Oeuvres habendas Manuskript , das im Heimsu-chungskloster zu Lissabon aufbewahrtwar, erst nachträglich erhalten und esdaher erst im XXI. Band veröffentli-chen können. Dieses vollständige Ma-nuskript enthält außer den schon inBd. XIV und XV veröffentlichten Tei-len auch ansehnliche, noch nicht ver-öffentlichte Abschnitte.88. Jacques de Neufchèze, Sohn derverstorbenen Schwester der Baronin.89. Kanonikus Nouvelett, Dekan derSorbonne, Dichter und Schriftsteller,einer der ersten Teilnehmer an derAkademie Florimontane, starb am 7.Oktober 1613.90. Wahrscheinlich handelt es sich umdie Gründung eines Institutes fürPriester, die Berulle plante und fürdie er Franz von Sales um seine Mit-

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arbeit ersucht hatte (s. Oeuvres XXI,S. 90, Anm. 2).91. Die Äbtissin von St. Jean zu Au-tun, die ihr Kloster reformieren woll-te.92. Gasparde de Sales, Frau von Cor-nillon.93. Die 2. Auflage der Anleitung zumfrommen Leben.94. Der Heilige war dorthin eingela-den worden, mußte aber dann daraufverzichten (s. Brief an die Baroninvom 5. Februar 1610), weil der Erz-bischof von Besançon es nicht erlaubthatte. Politische Gründe dürften die-sen Entschluß des sonst sehr eifrigenKirchenfürsten bestimmt haben (s.Oeuvres XIV, S. 245, Anm. 3 und S.246, Anm. 1).95. Jacqueline Favre entschloß sichnach schweren innerlichen Kämpfen(s. Oeuvres XIV, S. 24) zum Eintrittin die von Franz von Sales geplanteKongregation der Heimsuchung. Lou-is de Sales (= de la Thuille), der sieheiraten wollte, brachte hochherzigdas Opfer.96. Es folgen in den Oeuvres einigeAbschnitte nach Datta, die nicht in denEp. sp. stehen. Sie enthalten Neben-sächliches; ihre Echtheit ist zweifelhaft.97. s. Anm. 91. Dieses Mißgeschickbetraf wohl die geplante Reform ihresKlosters.98. Dieser gute P. de Monchi, derHausgeistlicher beim alten griesgrämi-gen Baron von Chantal war, hatte si-cher viel unter den Launen des altenMannes zu leiden und trug es wohlnicht so mutig wie die Heilige.99. Frl. von Bréchard.100. Der in den Oeuvres folgende klei-ne Abschnitt ist auch nicht in den Ep.sp. und zweifelhafter Echtheit.101. Die Baronin de Cusy, die dasHaus gekauft hatte, in das sie alsSchwester eintreten wollte, konntesich knapp vor Beginn der Kongrega-tion nicht dazu entschließen. So war

die Frage des Heimes für die begin-nende Gemeinschaft eine große Sorgefür die Gründer.102. Diese Angelegenheit ist der An-kauf des Hauses der „Galerie“, dernicht ohne Schwierigkeiten vor sichging (s. Lajeunie, Franz von Sales, S.493f. Franz-Sales-Verlag, Eichstätt).

II. An die Mutter von ChantalII. An die Mutter von ChantalII. An die Mutter von ChantalII. An die Mutter von ChantalII. An die Mutter von Chantal

1. Die Schwestern Favre und Bréchard.

2. Ein zuerst in den Oeuvres veröf-fentlichter Brief, der echt zu seinscheint.3. Die Nichte dürfte Schwester Bréchardsein, die Franz von Sales oft so nennt.4. Marie Aimée.5. Tochter der Heiligen.6. Die damals 11jährige Françoise,Tochter der Heiligen.7. Jacques de Neufchèzes.8. Präsident Frémyot, sein Großva-ter. Sein Vater war ja gestorben.9. Die damals im Meßbuch angegebe-nen Stationen waren Kirchen, zu de-nen man in Rom an bestimmten Ta-gen prozessionsweise wallfahrtete. Am1. Adventsonntag war Statio in MariaMaggiore.10. Dieser zuerst von Migne veröffent-lichte Brief scheint echt zu sein. 31Jahre später erwähnte die hl. JohannaFranziska von Chantal, daß sie vondiesem Tag an, vom 8. Dezember 1610,vom hl. Franz von Sales die Erlaubniserhielt, täglich die heilige Kommuni-on zu empfangen (Mémoires ChaugyII, 32. Kap.).11. Der Brief 651 ist zwar zum er-stenmal von Migne veröffentlicht wor-den, scheint aber doch echt zu sein.12. Die Heilige hatte Ende Dezember1610 vielleicht wieder einen Anfallihrer rätselhaften Krankheit zu erlei-den (s. XIV, 394; die Echtheit diesesBriefes steht aber nicht fest).

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13. Schw. Favre oder Schw. Bréchard.14. Dieses kleine Schreiben, zuerst inden Oeuvres veröffentlicht, scheintecht zu sein.

15. Jeanne de Cartal hatte Gaspardde Lusinge, Herrn von Saint-Cerguesusw. geheiratet, ihn aber 1588 verlas-sen und war nach Genf übersiedelt,wo sie sich durch ihren Eifer für diecalvinische Lehre hervortat. 22 Jahrewidmete sie dem Studium dieser Leh-ren, wohnte bei Theodore Bèze undgalt als „Erz-Ministerin“. – Als sie ein-mal nach Annecy kam, ließ sie sich zuFranz von Sales führen, der sie in sei-ner bescheidenen, gütigen und fried-lichen Art empfing und auf ihre hefti-gen Angriffe mit so soliden Gegenbe-weisen antwortete, daß sie von derWahrheit der katholischen Lehre über-zeugt wurde. Ihre Rückkehr wurdedann in der kleinen Kapelle der „Ga-lerie“ vollzogen. – Der Übertritt derin Genf berühmten Frau verursachtedort großes Aufsehen.

16. Dieser „Spiegel der Liebe“ ist diefranzösische Übersetzung des Lebensund der Dialoge der hl. Katharina vonGenua.

17. Von diesem kleinen Brief sind ei-nige Sätze zuerst in den Oeuvres nacheinem Manuskript von Pistoia veröf-fentlicht. Der ganze Brief scheint aberecht zu sein.

18. Dieser Brief wurde in den Oeu-vres nach einer Kopie, die in der Heim-suchung zu Annecy aufbewahrt wird,veröffentlicht. Er scheint echt zu sein.Der in ihm erwähnte Herr de la Tourwar Prior der Abtei Talloires; der Ba-ron d’Effrans war der Neffe der Mut-ter von Chantal, Jacques de Neufchè-zes, Baron von Effrans, der in dengeistlichen Stand eintreten wollte.19. Franz von Sales wollte seinenSchwestern diese Bezeichnung aus sei-ner großen Verehrung der hl. Franzis-ka von Rom gegenüber geben, die ihrenSchwestern diesen Namen gegebenhatte.

20. Dieses nach einer Kopie veröffent-lichte Brieflein dürfte echt sein. ImMärz 1611 beklagte sich PräsidentFavre beim Herzog über einen Kapi-tän Geucher, der die Bauern schlug,ihr Getreide anzündete und Ochsenlebendig aufhängte, uzw. ganz nahe beiAnnecy. Es ist möglich, daß Franz vonSales dorthin geeilt ist, um den Über-mut dieses Offiziers zu dämpfen.21. Ist hier nicht eine Vorahnung, viel-leicht eine göttliche Erleuchtung überdie Aufgabe, die der HeimsuchungMariä harrt, durch die hl. MargaretaMaria der Christenheit die Schätze desheiligsten Herzens Jesu zu offenbaren?22. Am Schluß des Briefes eine Reihevon Grüßen, die in der Übersetzungausgelassen wurden.23. Erster Herausgeber Migne. Manu-skript in Autun. Scheint echt zu sein.24. Ihr alter Schwiegervater.25. Nach der Mutter von Chaugy ha-ben damals verschiedene Priester derHeiligen zugesetzt, sie solle doch aufMonthelon bleiben, da sie keine fei-erlichen Gelübde habe und wie eineDritt-Ordensschwester in der Welt le-ben könne.26. Dieser Brief steht im XVI. Bd.der Oeuvres unter den Briefen von1613 mit dem Hinweis, daß er wahr-scheinlich am 23. Dezember 1611 ge-schrieben wurde.27. Der hl. Franz von Sales hatte am9. Februar 1612 große Zahnschmer-zen; Wange und Mund waren geschwol-len, so daß er fürchtete, nicht zele-brieren zu können. Die hl. JohannaFranziska, die davon gehört hatte,sandte ihm ein Tuch, mit dem sie Re-liquien der hl. Apollonia berührt hat-te. In diesem Brief ist die Antwortdarauf.28. Dieser Priester Claude de Sirvin-ges, Almosenverteiler der Abtei Belle-ville, wurde später der erste Beichtva-ter der Heimsuchung von Lyon. Franzvon Sales dachte damals schon an die

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Gründung einer Männerkongregation,und dieser Priester war geneigt, an die-ser Neugründung mitzuwirken. Späterkommt Franz von Sales wieder auf diesenPlan zurück im 17. Gespräch (OeuvresVI, 303; DASal 2, 257: „Gebe Gott, daßsich viele Menschen f inden, auchMänner, die nach diesen Regeln le-ben wollen.“) Die hl. Johanna Fran-ziska von Chantal schreibt am 7. De-zember 1621 dem Heiligen von die-sem Plan (s. Oeuvres XVI, 334, Anm.2); auch Bischof Camus weiß davon,ebenso ein Zeuge im Hei l igspre-chungsprozeß. Franz von Sales konn-te ihn wegen seines frühen Todes nichtverwirklichen. – Seine spätere Ver-wirklichung fand er in der Gründungder Oblaten des hl. Franz von Salesdurch P. Brisson auf Anregung derehrwürdigen Mutter Maria SalesiaChappuis um 1870.29. Diese Marceline de Mascily Bel-lod stammte aus einer angesehenenFamilie, führte aber ein lasterhaftesLeben. Franz von Sales und die hl.Johanna Franziska von Chantal beher-bergten sie 1613 im Kloster zu Anne-cy, um ihr zu helfen, sich zu bessern.Aber kaum hatte sie diese gastlicheStätte verlassen, verfiel sie wieder ih-rem ungeordneten Leben und verur-sachte den beiden Heiligen viele Sor-gen (s. Oeuvres XVI, 335, Anm. 1).30. Der Baron de Lux war Vertreterdes Königs in der Bourgogne. Da Gexzu dieser Provinz gehörte, hatte Franzvon Sales oft mit ihm zu verhandeln. –Die Nachricht von der Ermordung desBarons war nur zu wahr, einer der da-mals so häufigen politischen Morde.31. Von diesem Brief ist der vorletzteAbschnitt in den Ep. sp. abgedruckt,das übrige hat Datta nach einem Ma-nuskript von Annecy veröffentlicht;er ist möglicherweise echt.32. Herr Grandis war der Arzt desKlosters.33. Wohl die Mutter der SchwesterRoget.

34. Marie Aimée, die junge Baroninvon Thorens.35. Zum erstenmal in den Oeuvres ver-öffentlicht nach einer Handschrift vonUedem (Niederrhein), scheint echt zusein.36. Wahrscheinlich die schwere Krank-heit der Schwester Roget.37. Die Herren Charmoisy und Noy-ret, die beim Fürsten verdächtigt wor-den waren, einen Günstling des Prin-zen von Nemours verprügelt zu haben(s. Oeuvres XV, 237, Anm. 3).38. Aimée und Françoise, Töchter derHeiligen.39. Es handelt sich um einen Erbteil.40. Zuerst in den Oeuvres, scheintecht zu sein.41. Nach einem Manuskript; Text bereitsherausgegeben von Migne, Vives undDatta. Wahrscheinlich echt. Die Bespre-chungen betrafen wohl den Prozeß umdas Erbteil der Frau von Miribel.42. Es war der erste Kontakt dieserDame mit der Heimsuchung, in diesie, die Ordensfrau vom Paraklet, ein-treten wollte; sie wird den heiligenStiftern sehr große Schwierigkeitenbereiten.43. In der Abhandlung über die Got-tesliebe.44. Dieser Gedanke findet sich in der„Abhandlung über die Gottesliebe“, 3.Buch, 11. Kapitel. Es ist anzunehmen,daß Franz von Sales damals das 11. unddie folgenden Kapitel niederschrieb.45. Die Schwester Marie JacquelineFavre.46. Nr. 888 scheint Bruchstück einesSchreibens des Heiligen zu sein, ob-wohl nicht in den Ep. sp.47. Nr. 915 ist sicher echt, dem Le-ben der Schwester Blonay von MutterChaugy entnommen.48. Schwester Marie Aimée de Blo-nay.

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49. Marie Aimée hatte, als sie nochbei ihrem Vater war, sieben arme Sol-daten aufgenommen und dreien ihreschmerzlichen Wunden verbunden.Etwa acht Monate nach ihrer Profeßwurde sie schwer krank. Da erschie-nen ihr diese sieben Männer im Traumund jeder sagte ihr ein Wort von dem,was Jesus in der Apokalypse zu densieben Bischöfen spricht. – Bei ihremErwachen war sie geheilt. Franz vonSales spielt auf diesen Traum an.50. Franz von Sales hatte gepredigt,bekleidet mit dem Rauchmantel, denJohanna Franziska von Chantal ge-stickt hatte.51. In den Heimsuchungsklöstern wer-den am Ende eines jeden Jahres dieZellen, Kleider, Andachtsgegenstän-de usw. ausgewechselt.52. Anfang und Ende dieses Briefessind nicht mehr vorhanden.53. Briefe, die Johanna Franziska vonChantal an hohe Persönlichkeitenschrieb, die Franz von Sales vor ihrerAbsendung durchgesehen hat.

54. Die Ratsherren von Annecy hat-ten über die Heimsuchung wichtigeBeschlüsse zu fassen.

55. Rolland war zwanzig Jahre hin-durch der treue, aber zuweilen (inAnbetracht der Freigebigkeit seinesHerrn) grimmige Verwalter des bi-schöflichen Hauses.

56. Franz Fefre hatte die damals wich-tige Aufgabe, alle Briefe seines Herrnzu versiegeln. Im Heiligsprechungspro-zeß des hl. Franz von Sales stammenvon ihm äußerst wichtige, ergreifendeund zuverlässige Aussagen, da er dochFranz von Sales zwanzig Jahre hin-durch ein treuer Diener war und seinganzes Leben aufs genaueste kannte.

57. Litanei zum hl. Josef, dessen Ver-ehrung nach der Aussage der hl. Jo-hanna Franziska von Chantal vonFranz von Sales seinen Töchtern be-sonders empfohlen wurde.

58. Franz von Sales war von Msgr.

Hildebrand Jost nach Sion (Sitten)eingeladen worden, an seiner Bischofs-weihe mitzuwirken.

59. Wallis (Vallais) war zum Teil nochprotestantisch. Franz von Sales pre-digte tatsächlich dort bei Anlaß derBischofsweihe über die Merkmale derKirche, obwohl dort Kontroverspre-digten verboten waren. Seine Predig-ten hatten einen solchen Erfolg, daßFranz von Sales ein Projekt ausarbei-tete, das die Wiedervereinigung derHäretiker mit der Kirche auf friedli-chem Weg erzielen sollte (s. OeuvresXVI, 273, Anm. 3). Das sehr interes-sante Projekt ist in den Oeuvres XXII,Opusc. I, S. 302-310 enthalten (DA-Sal 10, 379-382).

60. Es handelt s ich hier wohl umSchwester de Monthoux, deren Tantesie unbedingt in ihrem Kloster derDamen von Neuville haben wollte undalles dafür ins Werk setzte. Die hl.Johanna Franziska von Chantal mel-dete dies dem hl. Franz von Sales, derihr mit diesem Brief antwortete.61. Celse Benigne.62. Als die hl. Johanna Franziska vonChantal mit ihren Begleiterinnen An-necy verließ, um die erste Neugrün-dung der Heimsuchung in Lyon zuunternehmen, gab Franz von Sales derSchwester von Blonay sieben kleineSchreiben mit, die sie der hl. JohannaFranziska nacheinander jeden Abendübergeben sollte „zu ihrem Trost undzur Stärkung“. (Geschichte der Grün-dung des Klosters von Lyon).63. Der Vater, den sie zurücklassen,ist Franz von Sales selbst.64. Hier sind in der Übersetzung dreiZeilen ausgelassen, die wegen des Aus-falls einiger Worte im Manuskript un-verständlich sind.65. Die kleine Françoise, Tochter derHeiligen.66. Die andere Tochter der Heiligen,Aimée, verheiratet mit dem Bruder desHeiligen, Bernhard, Baron von Thorens.

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67. Es ist in den Opuscules erschie-nen (Oeuvres XXVI, S. 267-269; DA-Sal 12,181f).68. Marie-Jacqueline Favre, die ersteSchwester der Heimsuchung nach derhl. Johanna Franziska von Chantal,Tochter des Präsidenten Favre, desJugendfreundes unseres Heiligen.69. Peronne-Marie de Chastel.70. Marie-Aimée de Blonay.71. Wortspiel: Aimée heißt geliebt.72. Marie Elisabeth Gouffiers, diefrühere Schwester vom Paraclet, diebeiden Heiligen große Sorgen verur-sachen wird.73. Sicher Schwester Marie-Madeleinede Nouxy, Witwe.74. Einige Zeit vor diesem Brief er-hielt die kleine Gemeinde von Lyonwohl die Genehmigung, das allerhei-ligste Altarssakrament in ihrer Kapel-le aufzubewahren.75. Marie-Aimée, Baronin von Tho-rens.76. Die Abhandlung über die Gottes-liebe.77. Anne-Jacqueline Coste, die ersteWindenschwester der Heimsuchung.78. Paule-Hieronyme de Monthoux.79. Eustochium war eine geistlicheTochter des hl. Hieronymus.80. Jeanne Charlotte de Bréchard.81. Karfreitag.82. Frau von Gouffiers, die sich in ihrfrüheres Kloster begeben wollte, ausdem sie zur Heimsuchung übergetre-ten war, um ihre Situation gegenüberdiesem Kloster zu regeln, soweit esnoch notwendig war.83. Der Erzbischof von Lyon, Mgr.Denis-Simon de Marquemont.84. Die Kapuziner von Lyon wollteneinige Mädchen zur Mutter von Chan-tal schicken, um ihren Beruf zu er-proben.85. Die Heimsuchungsschwestern hat-

ten damals noch keine Klausur im ei-gentlichen Sinn des Wortes. Erst imJahr 1618 wurde die Heimsuchung alsOrden mit strikter Klausur errichtet.86. Hier ist in den Ep. spir. eine Stel-le aus einem anderen Brief eingefügt.87. Charles de Neufvil le, marquisd’Alincourt, Gouverneur von Lyon,war vom Erzbischof Marquemont zurTafel eingeladen worden, um Franz vonSales zu ehren, der nach Lyon gekom-men war, um die kanonische Errich-tung des Klosters der Heimsuchung zubetreiben.88. Das Memorandum, von dem hierund im nächsten Brief die Rede ist,dürfte sich auf die Heimsuchung be-ziehen und wurde wohl vom Erzbi-schof von Lyon verlangt als Grundla-ge für seine Beurteilung der Heimsu-chung. Es hat wohl dem Erzbischoffür sein Memorandum an Franz vonSales vom 20. Januar 1616 gedient,auf das Franz von Sales mit einemMemorandum vom 2. Februar 1616geantwortet hat (Beide Oeuvres XXV,S. 322-342).89. Tatsächlich überlebte die Dameden Heiligen noch einige Jahre.90. Drittordensschwestern von Tou-louse (deren Geschichte s. OeuvresXVII, S. 34, Anm. 2), die eine religiö-se Formung von den Heimsuchungs-schwestern wünschten.91. Präsident Rességuier, früher ho-her Magistrat, Vater von acht Kindern,darunter fünf Mädchen, die alle Or-densfrauen wurden, Priester nach demTod seiner Frau im Jahre 1612. SeineTöchter traten bei den Tertiarinnenein, und als diese um Eintritt in denKarmel baten, wurden sie auch dortim Jahre 1616 aufgenommen.92. Die Mutter Isabeau und ihre Toch-ter weigerten sich, in den Karmel ein-zutreten.93. Das Manuskript ist sehr zerschlis-sen; hier eine Lücke.94. Dort wünschten auch einige from-

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me Seelen, von den Heimsuchungs-schwestern in das Ordensleben einge-führt zu werden.95. Die Mutter Isabeau (= Elisabeth)de Romillon, die Gründerin der Ter-tiarinnen von Toulouse.96. Franz von Sales schrieb diese Zei-len, als er sich für kurze Zeit von An-necy entfernte, vielleicht um die Mut-ter von Chantal zu beruhigen. Es gabdamals Pestfälle in der Umgebung.97. Dieser und die folgenden Briefe1202-1206 und die entsprechendenAntworten der Mutter von Chantal(Beides auch in „Johanna Franziskavon Chantal, Briefe an Franz von Sa-les“ übersetzt von Hämel-Stier, FranzSales Verlag 1961, S. 34-42) sind wohlHöhepunkte im Briefwechsel zwischendiesen beiden heiligen Seelen.98. Wir fügen diesem und den näch-sten Briefen die Antwort der Muttervon Chantal bei. Sie sind hochherzigeReaktionen auf den Höhenflug derForderungen ihres Seelenführers. Wirentnehmen ihre Antworten dem obenAnm. 97 zitierten Werk von Hämel-Stier.99. Das heißt, die seit ihrer Geburtnicht für irdische Mutterschaft be-stimmt war, aber Mutter durch denHeiligen Geist wurde.100. Franz von Sales hatte seinenTöchtern befohlen, jährlich am 31.Dezember die Schutzpatrone zu zie-hen. Sie zogen auch für ihn einenSchutzpatron. In diesem Jahr fiel aufihn die heilige Witwe Paula.101. Franz von Sales versammelte dieFrauen, die es wünschten, auch au-ßerhalb der Kirche bei einer von ih-nen und führte sie in das fromme Le-ben ein, klärte ihre Zweifel, antwor-tete auf ihre Einwände, d. h. tat hierdasselbe für diese Damen, was er inAnnecy für die Heimsuchungsschwe-stern zu tun pflegte.102. Das Kloster der Heimsuchungvon Grenoble wurde ein Jahr später,am 8. April 1618 gegründet.

103. Die Novizin Marie-Gasparded’Avise, die wohl schwer krank war,aber diese Krankheit noch 31 Jahreüberlebte.104. Wegen der Mitgift der SchwesterClaude-Agnes Joly de la Roche.105. Es handelt sich wohl um Fräu-lein Bellod, die ein skandalöses Le-ben führte, aber hie und da sich bes-sern zu wollen schien.106. Françoise de Charmoisy, damalsetwa 14 Jahre alt, Tochter der „Phi-lothea“ Frau von Charmoisy.107. Was aber nicht eintraf. Frl. Jac-queline de la Fléchère heiratete 1619.108. Früher Beichtvater im KlosterPuits d’Orbe.109. Dieses Haus wurde erst am 15.August erworben.110. Am 5. September 1617 kam dernachgeborene Sohn des drei Monatevorher im Feld gestorbenen Brudersdes Heiligen, Bernhard, und der jun-gen Aimée du Thorens zur Welt, lebteaber nur so lange, daß er noch getauftwerden konnte, und wurde am selbenTag begraben. Unermeßlich war derSchmerz der jungen Mutter, sowiederen Mutter und des heiligen Bi-schofs. Die junge Aimée überlebte ih-ren Sohn nur zwei Tage. Sie starb am7. September um zwei Uhr nachts ei-nes seligen Todes, nachdem sie auf ihreBitte am Vorabend eingekleidet wor-den war und gleich darauf die heiligenGelübde abgelegt hatte.111. Der von der Mutter von Chantaleingesetzte Verwalter ihrer Güter. Ai-mée de Thorens hatte anders testiert,als Herr Colom es wünschte.112. Diese fand nicht statt. Françoisede Chantal heiratete später Herrn vonToulongeon.113. Am 8. Dezember 1602 wurdeFranz von Sales zum Bischof geweiht.114. Philipp de Queex wurde Mon-sieur de Ste. Catherine genannt, weiler Rektor einer Kapelle zur hl. Katha-

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rina war. Er wurde vom hl. Franz vonSales 1602 zum Priester geweiht ,Domherr, Beichtvater des hl. Franzvon Sales; während seiner zehntägigenKrankheit besuchte ihn der Bischofmorgens und abends. Franz von Salesverehrte ihn als frommen, bescheide-nen, demütigen Priester. Er war über-zeugt, daß dieser echte Priester ohneFegefeuer sofort in den Himmel auf-genommen wurde.115. Am selben Tag wie Queex starbauch der fromme Barnabit D. Simpli-cien Fregoso.116. Schwester Anne-Marie Rosset.117. Die Windenschwester Anne-Jac-queline Coste.118. Was auch geschah, da die Dameam selben Tag starb.119. Bischof-Koadjutor zu Grenoble.120. Präsident Favre, dessen Tochtereine der Säulen des beginnenden Or-dens war.121. Sie fand nicht statt wegen Schwie-rigkeiten von seiten der Frau vonLiotard.122. Frau von Liotard wollte in dieHeimsuchung eintreten, was aber nichtgeschah (s. Oeuvres XVIII, S. 222,Anm. 1).123. Die Präsidentin Le Blanc.124. Teil der Mitgift dieser Schwester.125. Damals erbaten verschiedeneStädte Klöster der Heimsuchung (z.B.Turin, Montpellier, Valence, Cler-mont, Le Mans, Bourges, Chalons-sur-Saone; s. Oeuvres XVIII, S. 137und S. 216, Anm. 2).126. Celse-Benigne, der ihr viele Sor-gen bereitete.127. Der Bruder der Mutter Chantal.128. Heirat zwischen Christine, Prin-zessin von Frankreich, und Amedeo,Prinz von Savoyen.129. Der Erzbischof von Bourges,André Frémyot, der Bruder der Mut-ter von Chantal.

130. Die Haudrietten, ein von Haudriim 14. Jahrhundert gegründetes Klo-ster, brauchten dringend eine Reform.Gutmeinende Leute glaubten, daß diesdurch die Vereinigung der Heimsu-chungsschwestern mit ihnen zustandekommen könnte. Die Mutter vonChantal erreichte es, als sie dann inParis war, daß dieser unmögliche Planfallen gelassen wurde.131. Pierre Berger, früher Calvinist,1622 Priester, ein dem Heimsuchungs-kloster von Paris sehr treuer Beraterund Freund.132. Auch dieses Projekt wurde vonführenden geistlichen Kreisen erwo-gen. – Franz von Sales lehnte es nichtganz ab, er gab zu verstehen, daßHeimsuchungsschwestern vielleichtspäter sich dieser Aufgabe unterzie-hen könnten, was auch zwölf Jahrespäter geschah (s. Oeuvres XVIII, S.373, Anm. 3).133. In der Korrespondenz des hl.Franz von Sales mit Johanna Franzis-ka von Chantal taucht hier zum er-stenmal der Name der Äbtissin vonPort-Royal auf, die damals unter derFührung des Heiligen zu so großenHoffnungen berechtigte, nach demTod des hl. Franz von Sales aber unterder Leitung des unseligen Abbé de St.Cyran zur „Päpstin“ der jansenisti-schen Häresie wurde. – Der Brief-wechsel des hl. Franz von Sales mitihr wird die Möglichkeit einer einge-henden Studie dieser Frau geben.134. Die Mutter Angelique Arnauld,Äbtissin von Port-Royal, berichtet vondiesen neun Tagen, die Franz von Sa-les in Maubuisson weilte, daß er, ob-wohl krank, immer bereit war, denSeelen zu dienen. Da der Hauptaltarnoch nicht konsekriert war, bot er sichan, trotz seines Zustandes, diese hei-ligen Zeremonien zu halten und dannin einer eineinhalbstündigen Predigtalle Zeremonien zu erklären (s. Oeu-vres XVIII, S. 409, Anm. 2).135. Der Ex-Jesuit, der zweimal ab-

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trünnig, sich durch Franz von Salesschließlich in Grenoble endgültig be-kehren ließ, für den Franz von Salesin seiner Güte auch in zeitlicher Hin-sicht sorgen wollte.136. Mgr. de Marquemont.137. Franz von Sales war von Parisam 13. September abgereist und überChartres und Orléans in Tours am 17.September abends angekommen.138. In den Opuscules veröffentlicht(Oeuvres XXVI, S. 330-333; DASal12,196f).139. Herr Foras, den Franz von Salesüberaus schätzte, hatte zuerst um dieHand der Tochter der Mutter vonChantal , der jungen Françoise deChantal angehalten, die sich aber fürden Herrn von Toulongeon entschied.– Nachdem sich dieser erste Plan zer-schlagen hatte, bewarb sich der jungeMann um eine 18jährige Witwe, AnneLe Beau. Die beiden waren sich baldeinig; ihre Mutter war auch damit ein-verstanden, nicht aber ihre anderenVerwandten, die sich in Vorwürfengegen die beiden und auch gegenFranz von Sales ergingen, der dieseEhe begünstigt hatte, d. h. für denjungen Mann eingestanden war, des-sen christlichen Sinn und feines Be-nehmen er kannte. Die Folge warenschwere, häßliche Verleumdungen desHeiligen, die er ruhig hinnahm (s.Oeuvres XIX, S. 32, Anm. 1).140. Franz von Sales begleitete diePrinzessin Christine auf ihrer Reisenach Savoyen.141. Richelieu, Bischof von Lucon,seit 1616 Staatssekretär, schätzteFranz von Sales sehr hoch. Hätte derdamals 35jährige Bischof und Staats-mann doch das befolgt, was er Franzvon Sales versprochen hatte (s. Oeu-vres XIX, S. 38, Anm. 2)!142. Kardinal Retz wünschte, daßFranz von Sales sein Koadjutor in Pa-ris würde. Es gab viel dafür und dage-gen. Franz von Sales verhielt sich dazu

wie bei allem im heiligen Gleichmut.Schließlich durfte er in Annecy blei-ben, was ihm wohl das Liebste war.143. P. Suffren S.J., Beichtvater derKöniginmutter, mit der er ins Exilging, als sie Richelieu weichen mußte(s. Oeuvres XIX, S. 40, Anm. 4).144. Charles de Neufchèzes, Neffe derMutter von Chantal, Generalvikar sei-nes Onkels zu Bourges. Celse Benig-ne war anscheinend auf ihn eifersüch-tig.145. Die Schwester Marie Rosset, einemystische Seele, aber gar nicht prak-tisch veranlagt; daher ihre großenSchwierigkeiten als Oberin.146. Die Feinde des Herrn von Foras(s. Anm. 139) hatten es zustande ge-bracht, daß er eingekerkert wurde undes wohl einige Monate blieb. Der Briefdes Heiligen an ihn vom 8. April 1620scheint anzudeuten, daß er damalsnoch nicht lange frei war (s. OeuvresXIX, S. 177f; DASal 6, 325).147. Herr von Boisy ist der Bruderdes Heiligen, Jean François de Sales.148. Schwester von Gouffiers.149. Der hl. Vinzenz von Paul, demFranz von Sales seine Heimsuchungs-schwestern von Paris anvertraute undder ihr Superior 40 Jahre hindurchblieb. Nach dem Tod des hl. Franz vonSales war er auch der intime Beraterder Mutter von Chantal bis zu derenTod.150. Schwester de Gouffiers.151. Jean François de Sales.152. Peronne Combaz, eine etwasschwierige Person, die schließlich dochnoch Heimsuchungsschwester wurdeund 50 Jahre hindurch eine eifrige,ausgezeichnete Ordensfrau war (s.Oeuvres XIX, S. 54, Anm. 3).153. Frau Heléne-Angelique von Lhuil-lier, die nach vielen schmerzlichenSchicksalen sich schließlich dazu ent-schloß, Heimsuchungsschwester zu wer-den (s. Oeuvres XIX, S. 213, Anm. 1).

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154. Frau de Lhuillier erhielt am Festder Heimsuchung von Franz von Sa-les die Entscheidung über ihren Be-ruf. Am selben Tag trat sie in die Heim-suchung ein.155. Marie Lhuillier, Frau von Ville-neuve, deren Schwester.156. Françoise de Chantal hatte am12. Juni 1620 geheiratet.157. deren Töchtern.158. Claude-Agnès Joly de la Roche,Oberin des neuen Klosters von Or-léans.159. Anne de Saint Pol, Konvertitin, gro-ße Wohltäterin nicht nur der Heimsu-chung (s. Oeuvres XIX, S. 335, Anm. 2).160. Das Kloster sollte vom VorortSaint Michel in die Stadt selbst, ruedu Petit Musc, verlegt werden, wasaber erst im Juli 1620 geschah.161. Etienne Binet S.J., langjährigerBerater der Mutter von Chantal. – Ei-genartiger Schriftsteller (s. Brémond,Histoire litter. I, 128-148).162. Charles de Saussage, Pfarrer vonSt. Jacques.163. Die Schwester des Bischofs Ca-mus von Belley, dem wir den „Geistdes hl. Franz von Sales“ verdanken.Der äußerst fruchtbare Redner undSchriftsteller war mit Franz von Salesbesonders befreundet, allerdings nichtalles an ihm billigte.164. Bischof Camus hatte ein Buchverfaßt: „La Mémoire de Darie“, in demer Leben und Tod von Marie Aimée deChantal beschreibt. Diese tritt darinunter dem Pseudonym „Darie“ auf.165. s. Anm. 169.166. Die Karmelitinnen (s. dazu Oeu-vres XIX, S. 349, Anm. 1).167. Diese Schwester, Mme. du Tertre,die bei der Einkleidung ihren Mäd-chennamen de Morville wieder ange-nommen hatte, war, ohne es zu wollen,Ursache eines Konflikts zwischen denKlöstern von Moulins und Nevers.168. Der Kanoniker De Granier, dem

der hl. Franz von Sales sehr gewogenwar und der so schmählich fahnen-flüchtig wurde. – In den Brief ist hierein Fragment eingefügt, das XXI, S.178 steht, aber hierher gehört.169. Eine große Wohltäterin des Klosters.170. Madame de Gouffiers.171. Erzbischof Frémyot mußte auspolitischen Gründen resignieren.172. Frau von Toulongeon hatte ihrKind fast unmittelbar nach der Ge-burt verloren.173. Marie Jacqueline Favre und Clau-de-Agnès Joly de la Roche.174. Sein Bruder und Koadjutor.175. Im Kampf gegen die Hugenottengefallen.176. Madame de Gouffiers hatte sichendgültig von der Heimsuchung ge-trennt.177. Herr Crichant, Beichtkind undgeistlicher Sohn des hl. Franz von Sa-les, diente ihm oft als Bote.178. Bischof Zamet, einer der her-vorragendsten Bischöfe seiner Zeit.179. Nicolas Brulart, Gatte der FrauBrulart, der geistlichen Tochter des hl.Franz von Sales.180. s. Opusc. Oeuvres XXVI, 330-333; DASal 12,196f; s. Anm. 148.181. Schwester Helene-AngeliqueLhuillier.182. Deren Vater und Stiefmutter.183. Sein Sohn war einer Krankheiterlegen.184. Die Witwe von Dalet war ent-schlossen, als Wohltäterin in ein Klo-ster der Heimsuchung einzutreten.Ihre Mutter war dagegen und Franzvon Sales schlichtete zwischen beiden.Frau von Dalet führte im Kloster einungemein erbauliches Leben, trat dannals Windenschwester ein, wurde spä-ter Chorschwester, Oberin und Klo-stergründerin (s. Oeuvres XX, S. 51,Anm. 1).185. Die Mutter der Frau von Dalet.

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186. Die eine mußte bald entlassenwerden, die andere, Claire MarieAmoney, machte Furchtbares durch,schreckliche Versuchungen, vielleichtsogar Besessenheit. Die erfahrenstenSeelsorger (Vinzenz von Paul, Berul-le, Bischof Zamet) konnten ihr nichthelfen, sondern nur der Gehorsam.Nach sieben Monaten fürchterlichenLeidens wurde sie auf Fürbitte desverstorbenen hl . Franz von Salesplötzlich geheilt und wurde eine ganzhervorragende Schwester und Oberin(s. Oeuvres XX, S. 350, Anm. 2).187 . Se ine Tochter mußte wegenmangelnden Berufes entlassen wer-den (s. Oeuvres XX, S. 343, Anm.2). Der Brief des Heiligen an HerrnSanguin liegt in Oeuvres XX, S. 342-344 vor.188. Die Oberin von Moulins, Schwe-ster Jeanne-Charlotte de Bréchard,und die Oberin von Nevers, Paule Je-ronyme de Montoux, waren beide aus-gezeichnete Ordensschwestern, wur-den aber von den Freunden ihrer Klö-ster so stark bedrängt, daß jede glaub-te, die Interessen ihres Klosters ver-teidigen zu müssen – zum großenKummer der beiden Ordensstifter.189. Zuerst heftige Gegnerin einerGründung der Heimsuchung zu Dijon,wurde Frau von Vigny nach der erstenBegegnung mit Mutter von Chantalbegeisterte Freundin und Wohltäte-rin des Ordens (s. Oeuvres XX, S. 352,Anm. 5).190. Mme. Brulart, die am 22. Juliverstorben war. Sie war eine der eif-rigsten Korrespondentinnen des Hei-ligen.191. Der Familie de Gondi, mit derFranz von Sales und Vinzenz von Paulsehr wertvolle Beziehungen hatten, zuder auch Kardinal Retz gehörte.192. Mme. de Gratrye war durchZwang in das verkommene KlosterTart gebracht worden, hatte öffentlichdagegen protestiert und führte einskandalöses Leben. Durch den from-

men Bischof Zamet (s. Anm. 178)wurde s ie bekehrt und auf ihrenWunsch in das Heimsuchungsklostervon Dijon geführt, erbaute dort alledurch ihre Frömmigkeit und ihrenEifer. Als die Abtei Tart reformiertwurde, ging sie dorthin im Jahre 1623zurück.193. Der Streit zwischen den KlösternMoulins und Nevers (s. Anm. 188).194. s. Anm. 189.195. P. J. de Monthoux, Oberin zuNevers.196. Die Schwestern von Montferrandund von Saint-Etienne wünschten denBesuch der Mutter von Chantal. DasKloster von Montferrand war 1620durch die Mutter Favre gegründetworden.Die Gründung von St. Etienne warjüngsten Datums. Am 30. September1622 kamen Schwestern von Lyon indas von der Witwe Catherine Moulinerbaute Kloster. Es ist begreiflich,daß die jungen Klöster der Heimsu-chung den Besuch der Stifterin desOrdens wünschten.

III. BruchstückeIII. BruchstückeIII. BruchstückeIII. BruchstückeIII. Bruchstücke

1. Diesen Abschnitt hat Franz von Sa-les zum Großteil in seine „Anleitung“(III. Teil, 8. Kap.) übernommen. Trotz-dem ist sie auch hier übersetzt, weilFranz von Sales die Baronin an einigenStellen persönlich anspricht und auchseine persönlichen Erfahrungen mit-teilt, die in der allgemein gehaltenen„Anleitung“ ausgelassen sind.2. Auch diese Stelle ist in der „Anlei-tung“ zum Teil enthalten (IV, 12).3. Dieses Bruchstück, von den Heraus-gebern der Oeuvres als „inédit“ (= nochnicht veröffentlicht) bezeichnet, dürf-te kaum aus einem Brief an die Baroninstammen. Sein Inhalt ist auch weitge-hend in die „Anleitung“ aufgenommenworden (III. Teil, 17.-22. Kap.).

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4. Hier dürfte der Fehler eines Ab-schreibers vorliegen. Statt natürlicheKlarheit müßte dem Zusammenhangnach „übernatürliche“ gestanden sein.Sonst ist, was darauf folgt, nicht gutverständlich.5. Auch dieser Abschnitt wurde wohlvon Franz von Sales in der „Anlei-tung“ verwertet (III. Teil, 30. Kap.).6. Der zweite Abschnitt wurde etwasabgeändert in die „Anleitung“ (II. Teil,13. Kap.) aufgenommen.7. Es ist nicht sicher, ob es sich hierum gesprochene oder geschriebeneWorte des Heiligen handelt (s. Oeu-vres XXI, S. 144, Anm. 1).8. Dem Leben des Heiligen von Ri-vière und von Jean de Saint Françoisentnommen.9. Die Anfänge der Heimsuchungsklö-ster waren oft von bitterer Armut be-gleitet. So können diese Zeilen bei ver-schiedenen Klostergründungen an dieHeilige gerichtet worden sein. Die Her-ausgeber der Oeuvres meinen, daß sieauch an Mutter Bréchard in den An-fängen des Klosters von Moulins ge-richtet sein könnten.10. Das im Band XXI folgende Bruch-stück entstammt wohl sicher einemBrief des Heiligen, in dem er seineTrauer über die Apostasie des Neffenseines Vorgängers auf dem Bischofs-stuhl von Annecy ausspricht. In die-

ser Übersetzung wurde die XXI, S. 178abgedruckte Stelle in den Brief desHeiligen an Johanna Franziska vonChantal vom 22. November 1620 ein-gefügt, wo sie auch nach den Heraus-gebern der Oeuvres (s. XXI, S. 178,Anm. 1) hingehört.

11. Vielleicht ist unter dieser PersonFrau von Gouffiers gemeint, die derMutter von Chantal und dem heiligenBischof in den Jahren 1619-1621 vie-le Schwierigkeiten und viel Schmerzbereitete, wie die Briefe des hl. Franzvon Sales aus dieser Zeit bezeugen.

12. Im Jahre 1622 herrschte in Sa-voyen infolge der Kriegswirren eineernste Hungersnot. Franz von Sales,der damals in Turin war, war entschlos-sen, alles zu verkaufen, was ihm nochgehörte, einschließlich Mitra und Bi-schofsstab. Allerdings verließ ihn auchdas Vertrauen auf Gott nicht, in demer sich eins fühlt mit der Mutter vonChantal, das er in diesen Zeilen aus-drückt.

13. Dieser und die nächsten drei Ab-schnitte stammen aus Aussagen der hl.Johanna Franziska von Chantal beiseinem Seligsprechungsprozeß 1627.

14. Diese Worte des Heiligen, diewahrscheinlich an die heilige JohannaFranziska von Chantal gerichtet wa-ren, sind dem Leben des Heiligen vonRivière entnommen.

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VERGLEICHENDE TVERGLEICHENDE TVERGLEICHENDE TVERGLEICHENDE TVERGLEICHENDE TAFELNAFELNAFELNAFELNAFELNder Oeuvres de Saint François de Sales und dieser Ausgabe.der Oeuvres de Saint François de Sales und dieser Ausgabe.der Oeuvres de Saint François de Sales und dieser Ausgabe.der Oeuvres de Saint François de Sales und dieser Ausgabe.der Oeuvres de Saint François de Sales und dieser Ausgabe.

Schon im Vorwort ist vermerkt worden, daß im 19. Jahrhundert Gruppen vonFälschern angebliche Briefe des hl. Franz von Sales angefertigt und verkauft haben. –Was vor 1800 an Briefen des Heiligen veröffentlicht wurde (einige jansenistischeFälschungen ausgenommen), stammt aus der Feder des Heiligen, d. h. alles, was in denunter Aufsicht der hl. Johanna Franziska von Chantal veröffentlichten „Epitres spiri-tuelles“ enthalten ist, ferner Zitate in den Büchern der Mutter von Chaugy, der lang-jährigen Sekretärin der hl. Johanna Franziska, auch die Zitate in Werken von DeHauterive (1669), in den Heiligsprechungsprozessen beider Heiliger und in den Schrif-ten von Charles-Auguste de Sales (1655). Hérissant hat 1758 eine Anzahl von Briefendes Heiligen veröffentlicht, die auch sicher echt sind.Die Ausgaben des 19. Jahrhunderts müssen kritisch untersucht werden, auch die Aus-gabe von Annecy, besonders aber Blaise (1821) und Datta (1833), aber auch Vives(1856) und Migne (1861).In den folgenden Tabellen stehen in den ersten Spalten nach der Reihenfolge derOeuvres: Band, Briefnummer und Seitenzahlen der französischen Ausgabe; nach demDatum die Seitenzahl dieser deutschen Ausgabe, das Werk, in dem der Brief zuerstveröffentlicht wurde, und schließlich Angaben über seine Echtheit; diese sind der„Table de Correspondence“ am Schluß jedes Bandes der Oeuvres entnommen.

Abkürzungen (für die Quelle der ersten Veröffentlichung):

Kan. Pr. = Kanonisationsprozeß des hl. Franz von Sales.Kan. Pr. Ch. = Kanonisationsprozeß der hl. Johanna Franziska von Chantal.Ep. sp. = Epitres spirituelles.Oeuv. = Oeuvres de Saint François de Sales (Ausgabe Annecy).Oeu. Ch. = Schriften der hl. Johanna Franziska von Chantal, im 19. Jhdt. von denHeimsuchungsschwestern herausgegeben.A. sainte = Anné sainte, im 17. Jhdt. veröffentlicht.in. = inédit, d. h. vor den Oeuvres nicht veröffentlicht.Riv. = Leben des hl. Franz von Sales von Rivière.

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Band XII I. An die Baronin von Chantal

215 262 20. 4. 1604 43 Kan. Pr. Ch.216 263-67 3. 5. 1604 43 Ep. sp.221 277-81 16. 6.1604 46 Ep. sp.223 282-88 24. 6. 1604 48 Ep. sp.234 352-70 14. 10. 1604 52 Ep. sp.

1. 11. 1604 67 s. XIII, 392a Nr. 238b240 380-90 21. 11. 1604 70 Ep. sp./Datta – Einiges ausgelassen;

s. Anm. I,12.243 396-99 9. 12. 1604 – Oeu/in. – Echtheit zweifelhaft.

Band XIII

272 2-3 21. 1. 1605 – Migne – Echtheit zweifelhaft.273 4-11 18. 2. 1605 77 Ep. sp.276 16-17 Ende Febr. 83 Ep. sp.283 39-42 20. 4. 1605 83 Ep. sp.285 45-46 19. 5. 1605 86 Oeuv./in. – Scheint echt zu sein (nach

Stil und Inhalt).286 46-47 29. 5. 1605 86 Ep. sp.288 51-52 Anf. Juni 87 Ep. sp.294 64-65 29. 6. 1605 – Oeuv./in. – Kaum echt.297 67-68 3. 7. 1605 88 Ep. sp.300 74-76 21. 7. 1605 89 Ep. sp.304 80-85 1. 8. 1605 90 Ep. sp.306 87-89 28. 8. 1605 94 Ep. sp.308 91-92 8. 9. 1605 96 Ep. sp.311 98-100 14. 9. 1605 97 Ep. sp.316 113-115 13. 10. 1605 98 1652 veröff.320 121-26 30. 11. 1605 – Datta – Nach Inhalt u. Stil kaum

echt.321 126-28 5. 12. 1605 100 Ep. sp.325 133-34 28. 12. 1605 102 Ep. sp.328 138-43 30. 1. 1606 102 Ep. sp.329 144-45 24. 2. 1606 107 Ep. sp.330 145-48 Ende Febr. 108 Ep. sp.332 152-53 6. 3. 1606 110 Ep. sp.339 161-63 April 1606 111 Ep. sp.351 181-92 8. 6. 1606 112 Ep. sp.352 192-93 17. 6. 1606 120 Béthune 1833. – Alles spricht für

Echtheit; s. Anm. I,31.358 199-201 Ende Juli 121 Ep. sp.359 201-12 6. 8. 1606 123 Ep. sp.360 212-13 Aug.-Sept. 132 A. sainte365 221-22 2. 10. 1606 132 Ep. sp.366 222-25 Ende Okt. 133 Ep. sp. – s. Anm. I,39.371 236-37 25. 11. 1606 134 Ep. sp.

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XIII

30. 12. 1606 134 s. XXI, 83-85 Nr. 2022.381 252-53 20. 1. 1607 136 Ep. sp.385 260-67 11. 2. 1607 136 Ep. sp./Datta, s. Anm. I,42 u. 43.390 274 5. 4. 1607 140 Hérissant391 275-76 5. 4. 1607 140 Ep. sp.394 280-81 14. 4. 1607 141 Ep. sp.396 283-84 20. 4. 1607 142 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.398 287 Ende Apr. 143 Ep. sp.401 292-94 2. 7. 1607 144 Ep. sp.402 294-97 7. 7. 1607 145 Ep. sp.403 297-98 10. 7. 1607 147 Ep. sp.404 300-302 20. 7. 1607 147 Ep. sp.406 302-305 24. 7. 1607 149 Ep. sp.407 305-309 9. 8. 1607 151 Ep. sp./Oeuv/in. (nur Abschnitte;

wahrscheinlich echt.) Unwichtigeshier ausgelassen.

408 309-12 16. 8. 1607 154 Ep. sp.412 317-19 6. 9. 1607 156 Ep. sp.415 322-23 6. 10. 1607 – 1645 – Echtheit fraglich.418 328-33 2. 11. 1607 157 Ep. sp. – s. Anm. I,60.421 337-41 25. 11 1607 – Blaise – Echtheit unwahrscheinlich.425 347-48 1606-1607 161 De Hauterive 1669426 348 1606-1607 161 De Hauterive 1669428 354-55 1. 1. 1608 161 Ep. sp.429 355-56 20. 1. 1608 162 Ep. sp.430 357-63 24. 1. 1608 163 Ep. sp./Blaise – s. Anm. I,62.

Hier nur, was in Ep. sp. steht.432 364-67 4. 3.1608 – Blaise – Echtheit fraglich.433 367-70 5. 3. 1608 166 Ep. sp./Oeuv/in. – s. Anm. I,64. Ei-

nige unwichtige Zeilen ausgelassen.436 373-77 7. 3. 1608 169 Oeuv./in. – s. Anm. I,65.

Scheint echt zu sein.437 377-79 7. 3. 1608 172 Oeuv./in. – Scheint echt zu sein.238b 392a-e (1. 11. 1604) (67) Ep. sp.

Band XIV

451 13-14 6. 5. 1608 173 Ep. sp.452 14-16 11. 5. 1608 174 Ep. sp.461 33-38 25. 6. 1608 174 Ep. sp.464 44-45 4. 7. 1608 176 Ep. sp.475 60 24. 8. 1608 – Blaise – Echtheit ungewiß.478 63-64 19. 9. 1608 176 Chaugy481 67-73 29. 9. 1608 177 Ep. sp./Datta – Auch Datta=Text

scheint echt zu sein.

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XIV

484 76-77 8. 10. 1608 180 Ep. sp.487 80 28. 10. 1608 181 Ep. sp.492 88 16. 11. 1608 182 De Hauterive 1669.494 91 7.12. 1608 182 2. Kan. Pr.496 93-97 18. 12. 1608 183 1. Kan. Pr./Ep. sp.500 101-103 Ende Dez. 185 Charles-Auguste 1655501 103-105 1605-1608 (373) Oeu. Ch. – Nr. 501-508 s. III. Teil;

vgl. Einführung S. 39.502 105-106 1605-1608 (374) Oeu. Ch.503 106-107 1605-1608 (375) Oeu. Ch.504 107-108 1605-1608 (375) Oeu. Ch.505 109-111 1605-1608 (376) Oeu. Ch.506 111-13 1605-1608 (379) Oeu. Ch.507 114 1605-1608 (380) Oeu. Ch.508 114-115 1605-1608 (381) Oeu. Ch.510 116-17 Ende 1608/09 185 Chaugy515 128-32 Febr. 1609 185 Hérissant – Kleine Abschnitte zuerst

von Migne veröff. Dürften echt sein.533 163-64 27. 5. 1609 187 Ep. sp.536 169-71 18. 6. 1609 188 Ep. sp./Oeu. – s. Anm. I,78.540 177-79 14. 7. 1609 – s. XXI, 89-98 Nr. 540/838.552 206-207 10. 10. 1609 189 Migne – Scheint echt zu sein; s. Vi-

ves Anm. I,79.555 210-11 16. 11. 1609 190 Ep. sp.557 214 Ende Nov. 191 Ep. sp.560 226-31 11. 12. 1609 191 Ep. sp./Charles-Auguste/Oeu. – s.

Anm. I,80.561 231-32 Mitte Dez. 194 Chaugy563 234-35 29. 12. 1609 194 Ep. sp.566 239 Anf. 1610 195 Chaugy

16.1. 1610 195 s. XXI, 89-98 Nr. 540/838.572 246-48 5. 2. 1610 200 Hérissant576 252-54 23. 2. 1610 201 Ep. sp.581 260-67 11. 3. 1610 203 Ep. sp./Datta. – s. Amn. I,96 u. 100.

Zusätze von Datta dürftenFälschungen sein (hier ausgelassen).

583 268-69 25. 3. 1610 207 Hérissant592 289 24. 4. 1610 207 Ep. sp.596 296-97 5. 5. 1610 208 Ep. sp.601 312-13 28. 5. 1610 209 Ep. sp.602 313-15 10. 6. 1610 209 Ep. sp.

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XIV II. An die Mutter von Chantal

606 320-21 23. 6. 1610 211 Ep. sp.608 323-25 3o. 6. 1610 212 Ep. sp.612 334-35 Juli-Aug. 213 Oeuv. – scheint echt zu sein; s. Anm.

II,2.617 343 4. 9. 1610 – Datta – Echtheit sehr zweifelhaft.618 343-44 7. 9. 1610 214 Hérissant623 353-54 9. 10. 1610 – Migne – Echtheit sehr zweifelhaft.631 366-67 28. 11. 1610 215 A. sainte/Migne

28. 11. 1610 215 s. XXI, 101 Nr. 2026.633 369 3. 12. 1610 215 Migne – Scheint echt zu sein; s. Anm.

II,10.636 374-75 5. 12. 1610 216 Hérissant638 381-82 8. 12. 1610 216 Hérissant643 389-90 18. 12. 1610 – Oeuv. – Echtheit zweifelhaft.645 392-93 25. 12. 1610 217 Ep. sp. – Einige Zeilen ausgelassen.648 397 Juli-Dez. – Oeuv/in. – Kaum echt, unbedeutend.650 400 1610-1611 – Oeuv/in. – Kaum echt, unbedeutend.651 400-401 1610-1611 218 Migne – Wahrscheinlich echt.

Band XV

657 10-11 6. 1. 1611 218 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.660 15-17 12. 1. 1611 219 Ep. sp.663 21 Febr. 1611 220 Ep. sp./Riv./Oeuv. – s. Anm. II,17.666 26-27 März 1611 220 Oeuv – s. Anm. II,18.668 29-31 9. 3. 1611 221 A. sainte670 32 März 1611 221 Oeuv/in. – s. Anm. II,20.671 33-34 17. 3. 1611 221 Ep. sp.677 41-42 April 1611 – Oeuv/in. – Kaum echt.681 47 29. 4. 1611 222 Ep. sp.688 56-57 10. 5. 1611 223 Ep. sp.691 61 19. 5. 1611 224 Hérissant692 61-62 22. 5. 1611 224 Ep. sp.693 63-64 10. 6. 1611 225 Datta – Echt. Aus alten

Handschriften der Anné sainte.698 74 24. 6. 1611 225 Ep. Sp.699 76 1. 7. 1611 227 Ep. sp.702 82 30. 7. 1611 – Datta – Einige Zeilen geringer Be-

deutung, kaum echt.705 87 11 8. 1611 227 Hérissant708 90-91 19. 8. 1611 – Oeuv – Echtheit fraglich.709 91-92 29. 8. 1611 227 Hérissant712 98-100 10. 9. 1611 228 Ep. sp.

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XV

713 101-102 14. 9. 1611 230 Ep. sp.718 107-108 1. 10. 1611 231 Migne – Scheint echt zu sein; s. Anm.

II,23.725 121-122 15. 11. 1611 232 Ep. sp.728 125-126 7.12. 1611 233 Ep. sp.735 137-138 1610-1611 – Oeuv/in. – Kaum echt.736 138-139 1610-1611 – Oeuv/in. – Kaum echt.737 139 1610-1611 – Datta – Kaum echt.

1610-1612 234 s. XXI, 104-105 Nr. 2028.1611-1613 234 s. XVI, 58 Nr. 907.

739 143-144 1. 1. 1612 235 Ep. sp.743 149-151 17. 1. 1612 236 Ep. sp.747 158-160 24. 1. 1612 237 Ep. sp.748 160-161 25. 1. 1612 238 Ep. sp.749 162 Jan.-Febr. – Oeuv/in. – Kaum echt.750 163 9. 2. 1612 239 A. sainte762 195 23. 3. 1612 – Blaise – Wohl eine Fälschung.764 197-199 28. 3. 1612 240 Ep. sp.771 210 30. 4. 1612 – Oeuv/in. – Fraglich.772 210-211 7. 5. 1612 – Datta – Fraglich.774 212-213 10. 5. 1612 – Oeuv/in. – Fraglich.779 218-19 27. 5. 1612 – Oeuv/in. – Fraglich.780 220 Ende Mai 241 Oeuv/in. – Echtheit wahrscheinlich.781 221-222 31. 5. 1612 242 Ep. sp.791 240-241 24. 6. 1612 243 Ep. sp.798 252-253 1. 8. 1612 244 Ep. sp.802 258-259 15. 8. 1612 245 Ep. sp.804 261 Sept. 1611/12 – Datta – Echtheit zweifelhaft.809 270 Okt. 1611/12 – Migne – Echtheit zweifelhaft.812 275-276 Aug.-Okt. – Oeuv/in. – Echtheit zweifelhaft.820 292-293 Nov. 1612 – Oeuv/in. – Echtheit zweifelhaft.826 306 20. 11. 1612 246 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt830 311-312 30.11.1612 246 Ep. sp.831 312-313 9. 12. 1612 247 Hérissant835 317-318 1612 – Oeuv/in. – Wohl unecht.838 320-323 1611-1612 (195) Ep. sp. – Bildet einen Brief mit 540;

s. Anm. I,87839 323-324 1612 247 Ep. sp.840 324 1612 248 Ep. sp.842 327-328 1612-1613 – Datta – Unecht.844 330 1612-1613 248 2. Kan. Pr./Migne846 333-336 10. 1. 1613 248 Migne – Scheint echt zu sein.854 349-350 9. 2. 1613 – Datta – Wohl unecht.855 350-351 15. 2. 1613 – Oeuv/in. – Wohl unecht.864 366-367 März-Apr. – Datta – Wohl unecht.

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XV

865 367-369 7. 4. 1613 249 Ep. sp.866 369 8. 4. 1613 250 Ep. sp./Datta – Der ganze Brief

scheint echt zu sein.869 374-375 21.4.1613 251 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.870 375-376 Apr.-Mai 251 Ep. sp.

Band XVI

873 1-3 6. 5. 1613 252 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.875 5-7 15. 5.1613 253 Hérissant878 12-13 25. 5. 1613 254 Oeuv/in. – Wohl echt.879 13 26. 5. 1613 – Oeuv/in. – Wohl unecht.880 14-16 27.5. 1613 254 Datta – Wahrscheinlich echt; s. Anm.

II,41.883 19-21 6. 6. 1613 254 Ep. sp.886 25-27 10. 6. 1613 – Oeuv/in. – Wohl unecht.888 29 14. 6. 1613 255 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.893 35-36 23. 6. 1613/14 256 Ep. sp.895 37-39 Anf. Juli 1613 256 Hérissant904 49-51 12. 8. 1613 257 Ep. sp.907 58 1611-1613 (234) Oeuv/in. – Fraglich, ausgenommen

die letzten, unwichtigen Zeilen.909 61-62 Anf. Sept. – Datta – Fraglich.915 72-73 15. 9. 1613 257 Ch.-Auguste922 83 Anf. Okt. – Oeuv/in. – Fraglich.936 112 7. 12. 1613 258 Ep. sp.

8. 12. 1613 258 s. XXI, 109-110 Nr. 2032.940 120-121 25. 12. 1613 259 Ep. sp.941 122 31. 12. 1613 260 Datta – Alte Handschrift in A. sainte942 123 1613 260 Ep. sp.944 125 1610-1613 261 Hérissant947 128 1612-1614 261 Chaugy952 140 11. 1. 1614 261 A. sainte953 140-141 Jan. 1614 261 Blaise – Scheint echt zu sein.954 143 Jan. 1614 – Datta – Echtheit fraglich.955 143-145 22. 1. 1614 – Datta – Echtheit fraglich.963 168-169 19. 3. 1614 262 A. sainte967 172-173 14. 4. 1614 262 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.971 177-179 4. 5. 1614 263 Ep. sp.978 188-189 Juli 1614 – Oeuv – Fraglich, unbedeutend.980 195 Juli 1614 – Oeuv – Echtheit und Adressat frag-

lich.988 205 14. 8. 1614 – Oeuv/in. – Fraglich; nur 3 Zeilen.1001 231-232 6. 10. 1614 264 Migne – Wohl echt.1002 232 7.10.1614 264 Datta – Wohl echt.

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Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XVI

1008 248-249 Nov. 1614 264 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein. Imzweiten Teil nur Nachrichten (hierausgelassen).

1009 250-251 6. 11. 1614 264 Oeuv/in. – Möglicherweise echt.1014 262 8. 11. 1614 – Datta – Fraglich; Inhalt belanglos.1019 271 Nov. 1614 – 1870 – Fraglich; Inhalt belanglos.1020 272 2. 12. 1614 265 Ep. sp./Migne – Der ganze Brief dürf-

te echt sein.1023 279 15.-30. 12. 1614 266 Migne – Scheint echt zu sein.1025 282 Dez. 1614 – Migne – Fraglich.1026 282-283 1614 266 Chaugy1027 283 1612-1614 – Migne – Unwahrscheinlich.1028 284 1612-1614 – Migne – Fraglich.1031 288 1613-1614 266 Hérissant1036-42 295-299 26. 1. 1615 267 Hérissant/Ep. sp.1045 302-3o6 4. 2. 1615 270 Ep. sp./Migne/Oeuv – Der ganze

Brief, wie er in den Oeuvres steht,dürfte echt sein.

1049 311-313 1. 3. 1615 272 Ep. sp.1050 313-315 5. 3. 1615 273 Ep. sp.1058 327-328 19. 3. 1615 274 Ep. sp./Hérissant1060 329-333 Ende März 275 Ep. sp./Hérissant1063 336-338 9. 4. 1615 – Oeuv/in. – Fraglich.1065 342-346 18. 4. 1615 277 Hérissant1066 347 18. 4. 1615 – Hérissant – Wohl echt, aber unbe-

deutend.1072 358 10. 5. 1615 278 Ep. sp.1073 359-360 13. 5. 1615 279 Ep. sp.1074 361-362 14. 5. 1615 280 Ep. sp.1076 363-364 14. 5. 1615 280 Ep. sp./Migne – Wohl der ganze Brief

echt; Ep. sp. von „Ab heute Mor-gen“.

1077 365-366 16.-18. 5. 1615 281 Ep. sp.

Band XVII

1088 6 14. 6. 1615 282 Ep. sp.1095 17-18 2. 7. 1615 282 Hérissant1096 19 1.-9. 7. 1615 283 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.1097 22 1.-9. 7. 1615 283 Hérissant1099 22-24 14. 7. 1615 283 Ep. sp.1105 34-37 16. 8. 1615 285 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.1106 38-40 19. 8. 1615 – Migne – Echtheit zweifelhaft.1121 70-71 8. 10. 1615 286 Oeuv/in. – Trotz Bedenken mögli-

cherweise echt.

Page 436: Briefe I - Franz von Sales

435

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. BemerkungenBand XVII

1126 78-79 26. 10. 1615 – Oeuv/in. – Echtheit fraglich; wenigInhalt.

1133 92 20. 11. 1615 – Oeuv/in. – s. oben.1134 92-93 21. 11. 1615 – Oeuv/in. – s. oben.1136 95 Nov. 1615 – Oeuv/in. – s. oben.1152 124-125 1613-1615 – Oeuv/in. – s. oben.1155 127-128 1. 1. 1616 287 Ep. sp.1191 190 7. 4. 1616 288 Hérissant1199 210 12. 5. 1616 288 Mugnier 1885 – Dürfte wohl echt

sein, obwohl erst 1885 veröffentlicht.1201 212 14. 5. 1616 289 Oeuv/in. – Echt.1202 213-214 15. 5. 1616 289 Riv.1203 214-215 18. 5. 1616 290 Ep. sp.1204 216-217 19. 5. 1616 291 Ep. Sp.1205 218-219 21. 5. 1616 294 Ep. sp.1206 219-220 21. 5. 1616 295 Ep. sp.1213 228 27. 6. 1616 – Oeuv/in. – Fraglich; unwichtig.1214 229 Juni 1616 – Datta – Fraglich; unbedeutend.1216 231-232 Juli 1616 – Oeuv/in. – Fraglich; unwichtig.1230 270-271 15. 8. 1616 296 Ep. sp.1235 276-277 7. 9. 1616 296 Ep. sp.1239 282-283 Okt. 1616 – Oeuv/in. – Fraglich; unwichtig.1262 316 15. 11. 1616 – Datta – Fraglich; unwichtig.1263 317 3. 12. 1616 297 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.1264 318-319 8.12. 1616 297 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.1266 322 1616 298 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.1267 323 1613-1616 298 Oeuv/in. – Unsicher; nur 4 Zeilen.1268 324 1614-1617 298 Ep. sp.1270 328-329 Jan. 1617 – Migne – Echtheit nicht sicher; ge-

ringer Inhalt.1275 337 23. 1. 1617 299 A. sainte1279 343-345 9. 2. 1617 299 Hérissant1288 356-357 12. 3. 1617 300 A. sainte1307 400-401 21. 9. 1615 – Oeuv/in. – Wenig Inhalt; einzelne

Worte.

Band XVIII

1321 27-29 24. 6. 1617 300 Datta – Scheint echt zu sein.1323 32-34 29. 6. 1617 301 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.1331 46-49 3. 7. 1617 302 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.1334 52 19. 7. 1617 – Migne – Möglicherweise echt; Inhalt

unwichtig.1336 54 26. 7. 1617 – 1883 – s. oben.1337 55 30. 7. 1617 304 Migne – Scheint echt zu sein.

Page 437: Briefe I - Franz von Sales

436

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. BemerkungenBand XVIII

1342 62 Aug. 1617 – Oeuv/in. – Echtheit zweifelhaft.1347 70 5. 9. 1617 304 Blaise – Scheint echt zu sein.1348 70-71 5. 9. 1617 304 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.1369 109-111 Okt. 1617 305 Hérissant1372 115-116 22. 11. 1617 – Datta – Echtheit fraglich.1375 123-124 4. 12. 1617 305 Hérissant1377 126-127 8. 12. 1617 305 Ep. sp.1378 127-128 9. 12. 1617 306 A. sainte1388 148 13. 1. 1618 – Migne – Echtheit fraglich.1393 156-157 24. 1. 1618 306 Ep. sp.1397 162-163 Jan.-Febr. – Datta – Echtheit fraglich.1412 191-192 11. 3. 1618 307 A. sainte1413 192-193 Ende März 307 Oeuv/in. – Echt; aus der Gründungs-

geschichte von Grenoble.1419 201-208 30. 4. 1618 307 Hérissant1424 216-217 Mai 1618 311 Ch.-Auguste1426 218-221 10. 5. 1618 – Oeuv/in. – Fälschung.1437 233 Mai-Juni 311 Hérissant1439 235 Mai-Juni 312 Ep. sp.1453 257-258 31. 7. 1618 312 Oeuv/in. – Dürfte echt sein.1473 289 1613-1618 – Datta – Zweifelhaft; geringer Inhalt.1474 290 1616-1618 – Oeuv/in. – s. oben.1475 290 Okt. 1618 312 Migne – Wohl echt.1490 317 24. 12. 1618 313 Datta1492 320-321 29. 12. 1618 313 Ep. sp.

1615-1618 314 S. XXI, 2-3 Nr. 1966.1497 332-334 5. 1. 1619 315 Ep. sp./Datta – Der ganze Brief dürf-

te echt sein.1500 339-340 11. 1. 1619 316 Ep. sp.1503 345-349 19. 1. 1619 316 Ep. sp./Darta – Echtheit des ganzen

Briefes wahrscheinlich (hier einigesausgelassen).

1504 350-353 21. 1. 1619 318 1859 – Dürfte echt sein.1508 359 20. 2. 1619 320 Chaugy1510 364-365 21. 3. 1619 320 Oeuv Ch./Chaugy1514 371-372 28. 4. 1619 – Datta – Echtheit sehr zweifelhaft.1515 373-374 29. 4. 1619 321 Migne

Jan.-Mai 1619 321 s. XXI, 119 Nr. 2037.1517 375 Mai 1619 – Datta – Echtheit zweifelhaft.1523 386-388 Mai/Juni – Migne – Echtheit zweifelhaft.1527 395-396 24. 6. 1619 321 Ep. sp./Hérissant1533 406 8. 7. 1619 – Migne – Echtheit unsicher; Inhalt

gering.1535 409-410 22. 7. 1619 322 Hérissant

Page 438: Briefe I - Franz von Sales

437

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XVIII

1538 414-415 31. 7. 1619 322 Hérissant1540 418 Mai-Aug. – Datta – Wahrscheinlich unecht.

Band XIX

1544 5-6 20. 8. 1619 323 Hérissant1552 19-21 18. 9. 1619 324 Hérissant1558 31-33 29. 9. 1619 324 Oeuv/in. – Wohl echt.1560 37-45 Okt. 1619 325 Oeuv/in. – Wohl echt.1563 49-50 30. 11. 1619 329 Ep. sp.1565 53-54 Nov. 1619 329 Vie Mère Rosset.1569 58-59 30. 11. 1619 330 Ep. sp.1578 71-74 13. 12. 1619 330 Ep. sp.

1619 332 s. XXI,121-122 Nr. 2039.1591 100-102 8. 1. 1620 332 Ep. sp.1618 151-156 26. 2. 1620 334 Ep. sp./Migne1631 172 März 1620 336 De Hauterive1642 188-189 Apr./Mai 336 Ep. sp.

Jan.-Mai 337 s. XXI,124 Nr. 2042.1645 193-195 14. 5. 1620 337 Ep. sp.1666 250-251 15. 6. 1620 338 Ep. sp.1672 265-269 5. 7. 1620 339 Ep. sp./A. sainte.1683 289-290 26. 7. 1620 342 Migne – Wahrscheinlich echt.1690 302-304 4. 8. 1620 343 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.1694 310-313 9. 8. 1620 344 Datta – Möglicherweise echt.1702 334-338 22. 9. 1620 346 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.1707 348-350 Juli-Okt. 1620 348 Ep. sp.1710 352-354 11. 10. 1620 349 Migne1726 381 9. 11. 1620 350 Ep. sp.1729 387-389 22. 11. 1620 350 Ep. sp.1737 401-404 25. 12. 1620 – Datta – Echtheit unwahrscheinlich.

6.1.1621 351 s. XXI,130 Nr. 2046.

Band XX

1788 74-75 Mai 1621 352 Ep. sp.1798 93-94 Mai 1621 353 Ep. sp.1811 114-116 Juli 1621 353 Ep. sp.1819 127-130 7. 8. 1621 354 Ep. sp./Hérissant1821 134-137 24. 8. 1621 357 Ep. sp.1826 142-143 Aug. 1621 358 Ep. sp.1832 151-155 21. 9. 1621 – Datta – Echtheit fraglich.1847 174-183 10. 11. 1621 359 Ep. sp./Datta – Der ganze Brief ist

echt.1863 210-211 15. 12. 1621 363 19081867 215-216 1620-1621 364 Ep. sp.1873 226 1619-1621 365 Ep. sp.

Page 439: Briefe I - Franz von Sales

438

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen

Band XX

1885 247-252 23. 1. 1622 – Datta – Echtheit fraglich.1907 290-293 23. 4. 1622 365 1868 – Wohl echt.1912 300 Apr./Mai 366 Gründungsgeschichte Paris1930 336-337 Juli/Aug. – Gründungsgeschichte Dijon. – Nur

5 Zeilen ohne bes. Inhalt.1937 349-356 30. 8. 1622 367 Ep. sp./Oeuv1940 360-363 Sept. 1622 369 Ep. sp./Oeuv1954 384-386 22. 10. 1622 371 Ep. sp.

III. Bruchstücke

1605-1608 373 s. XIV, 103-105 Nr. 5011605-1608 374 s. XIV, 105-106 Nr. 502.1605-1608 375 s. XIV, 106-107 Nr. 503.1605-1608 375 s. XIV, 107-108 Nr. 504.1605-1608 376 s. XIV, 109-111 Nr. 505.1605-1608 379 s. XIV, 111-113 Nr. 506.1605-1608 380 s. XIV, 114 Nr. 507.1605-1608 381 s. XIV, 114-115 Nr. 508.

Band XXI

1966 2-3 1615-1618 (314) Ep. sp.2022 83-86 (30. 12. 1606) (134) Oeuv/in. – Alles spricht für die Echt-

heit. – Dieser u. die folgenden Brie-fe sind dem Datum nach eingereiht.

540/838 89-98 (16. 1. 1610) (195) Ep. sp./Oeuv/in. – s. Anm. I,87.2026 101 (28. 11. 1610) (215) 1843/Katalg. – Scheint echt zu sein2028 104-105 (1610-1612) (234) Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.2032 109-110 (8. 12. 1613) (258) Gallizia – Aus seinem Leben des hl.

Franz von Sales 1712.2033 110-111 1612-1614 – Oeuv/in. – Nur wenige Worte.2037 119 (1619) (321) Riv.2039 121-123 (1619) (332) 1. Kan. Pr.2042 124 (1620) (337) Oeuv Ch.2046 130 (6. 1. 1621) (351) Riv.2052 137 ohne Datum – Oeuv/in. – Unbedeutende Bruch-

stücke.2053 137 ohne Datum – Oeuv/in. – s. oben.2054-2059 137-139 ohne Datum – Oeuv/in. – Ganz kleine Bruchstücke

ohne Bedeutung.2060 140-141 1604-1605 382 Oeuv/in. – Alte Handschrift in An-

necy.2061 141-142 1605-1607 382 Oeuv Ch.2062 143-144 1605-1607 383 Oeuv Ch.2063 144-145 1605-1607 384 1. Kan. Pr.

Page 440: Briefe I - Franz von Sales

439

Band XXI

2064 146 1605-1608 384 Oeuv Ch.2065 146-147 1605-1608 385 1. Kan. Pr. Ch2066 147-148 1606-1608 385 Oeuv/in. – Handschrift in Nancy.2067 149-150 1606-1608 386 Oeuv/in. – Echtheit wahrscheinlich.2068 150 1604-1609 387 Riv.2069 151-152 1605-1609 388 1. Kan. Pr.2070 152-153 1607-1609 389 Oeuv/in. – Scheint echt zu sein.2071 153-154 1608-1610 389 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2072 154-155 1608-1609 390 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2073 156-157 1610-1613 391 Oeuv Ch.2074 157-158 1610-1613 392 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2075 158-159 1610-1613 392 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2076 159-160 1611/1612 393 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2077 160-161 1612/1613 394 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2078 161-162 1612/1614 394 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2079 162-163 1611-1614 395 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2080 163 1613-1614 395 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2081 163-164 1611-1615 395 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2082 164-165 1611-1615 396 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2083 166 1611-1615 397 1. Kan. Pr.2084 167 1612-1615 397 Oeuv Ch.2085 168-169 1612-1616 398 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2086 169-170 1612-1616 399 Oeuv/in. – „Gespräche“ 1629.2087 171-173 1612-1616 400 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2088 173 1614-1616 401 Oeuv Ch.2089 174 Mai 1616 402 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.2090 174-176 1615-1617 402 Oeuv Ch. – Oeuv/in.2091 177 1615-1620 403 Oeuv/in. – Wahrscheinlich echt.

(22. 11. 1620) (350) Oeuv/in. – s. XIX,387-389 Nr. 1729;dieser Teil ist dort eingefügt.

2092 178-180 1615-1621 404 Oeuv Ch.2093 180-181 1620-1622 405 1. Kan. Pr. – Baudry.2094 181-182 1622 405 Oeuv Ch.2095 182-184 ohne Datum 406 Baudry2096 184-185 ohne Datum 407 Altes Leben des hl. Franz v. Sales.2097 185-186 ohne Datum 408 Oeuv Ch.2098 186-187 ohne Datum 408 Oeuv Ch.2099 188-189 ohne Datum 409 Oeuv Ch.2100 189 ohne Datum 410 Riv.

Oeuv Nr. Seite Datum Übers. Seite veröff. Bemerkungen