bora Ćosićs erinnerungen an danilo kiš_nzz

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BÜCHER Bora Ćosićs Erinnerungen an Danilo Kiš Bora Ćosić 14.3.2015, 05:30 Uhr Die Linie des Exils Vor vielen Jahren fragte mich Danilo Kiš, ob er sich mir bei meinem Umzug in das Küstenstädtchen Rovinj anschliessen könne; man hatte ihm ein Zimmer in der steilen Bregovita-Strasse versprochen, unweit von meinem Haus. So kam zu den Büchern und Bildern, die ich verpackte, zu den Teilen von Grossmutters Mobiliar und Hunderten lächerlichen Einzelheiten und vor allem dem Wunsch, mich dort, auf dem Berg am Meer in Istrien, niederzulassen, auch noch Danilos Blechkiste. Sie war knallrot lackiert, als sie auf dem Platz aus unserem gemeinsamen Wagen ausgeladen wurde, mussten sie die Rovinjer Burschen auf den Armen tragen, bergauf. Es ähnelte einem Begräbnis, einem Leichenzug für einen unbekannten roten Admiral oder einen Heerführer der Revolution. Aber eigentlich war es die Beerdigung von Danilos Hoffnung, dass auch er dort, oberhalb der Bucht Valdibora, wenigstens für kurze Zeit, eine Pause von den ständigen Umzügen einlegen könne. Denn die Blechkiste war ein Symbol für seine vielen Umsiedlungen, von der pränatalen Heimat der Mutter in Montenegro an seinen Geburtsort in Subotica, wo der Vater zu Hause war, in die Belgrader Studentenmansarden und französischen Buden eines jungen Lektors. Leere Kiste, leere Särge Das Dasein eines Apatriden war sein Schicksal, wie er später auch eine Erzählung genannt hat. Die Gefühllosigkeit, auf die er während seines ganzen Lebens stiess, widerfuhr ihm auch in der lieblichen Stadt Rovinj, es stellte sich heraus, dass er das Zimmer in der Via del Monte nicht bekommen würde, die rote Kiste blieb unausgepackt. Nie habe ich erfahren, was drin war. Eine Freundin von mir, eine russische Dichterin, später ermordet von unreinen Mächten (die es in Russland immer gibt), traf einmal in Bayern ein, und als sie vor mir ihren Koffer öffnete, waren, trostlos hin und her schlackernd, zwei, drei Bücher und ein paar Schuhe Der Schriftsteller, rauchend, mit Koffer: Danilo Kiš' Hoffnung, dass er in der Leere des Lebens irgendwann zur Ruhe kommen würde, blieb grossenteils unerfüllt. (Bild: Ulf Andersen / Gamma / laif) Zur Beta-Version der NZZ-Website wechseln NZZ.CH Bora Ćosićs Erinnerungen an Danilo Kiš: Die Linie des Exils - Bücher... http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/die-linie-des-exils-1.18501444 1 z 4 2015-03-16 08:36

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Bora Cosic

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  • BCHER

    Bora osis Erinnerungen an Danilo Ki

    Bora osi 14.3.2015, 05:30 UhrDie Linie des Exils

    Vor vielen Jahren fragte mich Danilo Ki, ob er sich mir bei meinem Umzug in das

    Kstenstdtchen Rovinj anschliessen knne; man hatte ihm ein Zimmer in der

    steilen Bregovita-Strasse versprochen, unweit von meinem Haus. So kam zu den

    Bchern und Bildern, die ich verpackte, zu den Teilen von Grossmutters Mobiliar

    und Hunderten lcherlichen Einzelheiten und vor allem dem Wunsch, mich dort,

    auf dem Berg am Meer in Istrien, niederzulassen, auch noch Danilos Blechkiste.

    Sie war knallrot lackiert, als sie auf dem Platz aus unserem gemeinsamen Wagen

    ausgeladen wurde, mussten sie die Rovinjer Burschen auf den Armen tragen,

    bergauf. Es hnelte einem Begrbnis, einem Leichenzug fr einen unbekannten

    roten Admiral oder einen Heerfhrer der Revolution. Aber eigentlich war es die

    Beerdigung von Danilos Hoffnung, dass auch er dort, oberhalb der Bucht Valdibora,

    wenigstens fr kurze Zeit, eine Pause von den stndigen Umzgen einlegen knne.

    Denn die Blechkiste war ein Symbol fr seine vielen Umsiedlungen, von der

    prnatalen Heimat der Mutter in Montenegro an seinen Geburtsort in Subotica, wo

    der Vater zu Hause war, in die Belgrader Studentenmansarden und franzsischen

    Buden eines jungen Lektors.

    Leere Kiste, leere SrgeDas Dasein eines Apatriden war sein Schicksal, wie er spter auch eine Erzhlung

    genannt hat. Die Gefhllosigkeit, auf die er whrend seines ganzen Lebens stiess,

    widerfuhr ihm auch in der lieblichen Stadt Rovinj, es stellte sich heraus, dass er das

    Zimmer in der Via del Monte nicht bekommen wrde, die rote Kiste blieb

    unausgepackt. Nie habe ich erfahren, was drin war. Eine Freundin von mir, eine

    russische Dichterin, spter ermordet von unreinen Mchten (die es in Russland

    immer gibt), traf einmal in Bayern ein, und als sie vor mir ihren Koffer ffnete,

    waren, trostlos hin und her schlackernd, zwei, drei Bcher und ein paar Schuhe

    Der Schriftsteller, rauchend, mit Koffer: Danilo Ki' Hoffnung, dass er in der Leere des Lebens irgendwann zur Ruhe kommen wrde, blieb grossenteils unerfllt. (Bild: Ulf Andersen /Gamma / laif)

    Zur Beta-Version der NZZ-Website wechselnNZZ.CH

    Bora osis Erinnerungen an Danilo Ki: Die Linie des Exils - Bcher... http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/die-linie-des-exils-1.18501444

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  • darin, weil sich in diesem Gepck eigentlich die Leere des damaligen Lebens in

    Russland befand. Vielleicht wurde auch in Ki' Kiste die Leere unseres Lebens, am

    Vorabend des letzten wahnsinnigen Kriegs auf dem Balkan, verwahrt.

    Ich kam gar nicht auf die Idee, dass dieser rote Katafalk, der den Rovinjer Berg

    hinaufglitt, Ein Grabmal fr Boris Dawidowitsch darstellte, die berhmte Epope

    von Danilo, damals noch ungeschrieben. Weil auch der Sarg seines Helden leer

    blieb. Die Grber der Opfer der russischen Revolution, an verschiedenen Orten

    verstreut, enthalten nicht die Knochen dieser Mrtyrer, sondern nur eine dstere

    Erinnerung an sie, deshalb wurde das Buch ja auch geschrieben, damit dieses

    Begrbnis auf ehrenvolle und menschliche Art durchgefhrt wrde. Ki' Beerdigung

    vor fnfundzwanzig Jahren verlief nicht ohne Dsternis und Bitterkeit, dieser

    bewusste Brger Europas, unbestechliche Zeuge der bel in der Geschichte, Atheist

    und dauerhafte Dissident gegenber jeder Konvention hatte sich eine orthodoxe

    Beerdigung gewnscht. Die zahlreich vertretenen orthodoxen Geistlichen nutzten

    die Gelegenheit jedoch fr ihre eigenen Zwecke und setzten sich ber seinen

    Wunsch hinweg, dass das Ritual ohne Reden abgehalten werden solle.

    Ich weiss nicht, ob Danilo vor einem solchen Ausgang Angst gehabt hatte, weil die

    Toten keine Rechte haben, die Toten werden von den Lebenden dauerhaft

    entrechtet, und da ist nichts zu machen. Aber eine andere Art Angst habe ich einmal

    bei einer anderen Gelegenheit an Danilo bemerkt. Als ich mit ihm einen

    Grenzbergang an der damaligen Berliner Mauer passierte, sah ich zum ersten Mal

    seine Hand, seine Verbannten- und Judenhand, zittern, ungeachtet der Sttze

    durch die Zigarette, einen stndigen Bestandteil dieser Hand. Wenn du weisst,

    dass hier eine Hand ist, so geben wir dir alles brige zu, sagt Wittgenstein, eine

    Frage des Philosophen Moore abwgend. So wirft Ki das metaphysische Thema

    ber Gewissheit auf (wenn du von der Hand weisst, weisst du auch vom andern),

    mit der sich Wittgensteins Abhandlung befasst, auch wenn er das nur durch den

    Tremor seiner Finger zeigt, durch das Schema ihrer Handschrift, allem Anschein

    nach geistreich und geschliffen, aber eigentlich nervs.

    Die Muster der menschlichen Handflche werden in der alten hebrischen

    Hieromantie erforscht, und ein Beispiel aus dem Jahr 1545 fhrt unter anderem

    die Linie des Exils an, des wesentlichen Themas von Ki. Unser gemeinsamer

    Freund, der Maler Leonid ejka, zeichnete kabbalistische Hieroglyphen auf seine

    Handflche, die er den von Natur aus ohnehin schon vorhandenen hinzufgte.

    Von dieser in einer Zeitschrift verffentlichten Aktion sind Fotos erhalten. Auf den

    Fotos von Ki ist immer seine Hand hervorgehoben, irgendwo in den Raum

    gestreckt, gross, gespreizt, und bisweilen unsicher. Daher ist Ein Grabmal fr

    Boris Dawidowitsch aufgezeichnet von der Hand ehrlicher Menschen und

    zuverlssiger Zeugen, nicht von der, die am Ostberliner Grenzbergang mit einer

    Zigarette hantierte, wie ein Dirigent, aber zitternd.

    Physisch nicht umfangreich, ist das Opus von Danilo Ki das Ergebnis der

    Unschlssigkeit: Wer schreibt eigentlich unsere Bcher, wir selbst oder

    zuverlssige und ehrliche Zeugen, die uns nur als Beispiel dienen. Aus dieser Angst

    vor dem Schreiben, dieser fr Ki evidenten, entstanden vulgre Zweifel an seiner

    Originalitt, die mit den eigenen Zweifeln an der Gewissheit der Hand (denen von

    Wittgenstein) und an ihrer handschriftlichen Spur kmpften, er hatte mit

    neidischen Hhlenbewohnern zu ringen, die ihn verdchtigten, Fremdes genutzt

    und plagiiert zu haben, woraufhin er auf den Umschlag seiner Anatomiestunde,

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  • der ingenisen literarischen Antwort auf diese Verleumdung, Rembrandt setzte, ein

    Bild, auf dem eine Hand seziert wird.

    Gesprch mit Susan SontagIn dieser polemischen Abhandlung lassen sich zahlreiche grafische Hilfsmittel

    finden, am hufigsten erscheint der bekannte Zeigefinger, ein Wegweiser, der die

    Wichtigkeit der einzelnen Standpunkte markiert. Jahrelang verfolgte mich die Idee:

    Wer hat sich dieses wichtige Signum ausgedacht, das man an vielen

    Strassenkreuzungen, an Eingngen in Friseursalons und Buchhandlungen ebenso

    wie auf den Seiten einzelner Bcher sieht. Dieses kleine grafische Zeichen,

    vergrssert auf die Ausmasse von Danilos Hand, winkte mir zum letzten Mal vom

    Place des Vosges, in Paris, zu. Es war vor dem Herbst 1989, vor dem Haus von

    Victor Hugo, der eine grosshndige Missgestalt, den Glckner von Notre Dame,

    beschrieben hatte. Wir kamen gerade vom Maler Velikovi, auf dessen Bildern

    meist ein menschliches Wesen ebenfalls krampfhaft mit den Hnden herumfuchtelt.

    Ich gehe zum Arzt, sagt Wittgenstein, zeige ihm meine Hand und sage Das ist

    eine Hand, nicht . . .; ich habe sie mir verletzt etc. etc. Mache ich da nur eine

    berflssige Mitteilung? Was fr eine Unmenge von Mitteilungen streute Ki in

    seinem Gesprch mit Susan Sontag im Caf de Flore aus, bei der ersten Begegnung

    der beiden Dichter, die mir Danilo ausfhrlich schilderte. Die am frhen

    Nachmittag begann und dauerte, solange sie die Nachtkellner duldeten, und die

    eigentlich aus dem Buch Krankheit als Metapher htte stammen knnen.

    Jetzt kommt es mir so vor, als wre dieses Gesprch in einer Arztpraxis gefhrt

    worden. Denn neben den unzhligen Affinitten (nicht nur, dass beide Mdchen

    liebten) umgab diesen Dialog die schicksalhafte Aura der den beiden

    bevorstehenden gleichen Krankheit. Bis zu dem Moment, wo die Schriftstellerin,

    noch immer gesund, Danilo dabei half, einen New Yorker Chirurgen zu finden, war

    ebenso das metaphorische Thema ihres hnlichen Lebens, das Thema des

    Judentums als Krankheit, von Bedeutung. Krankheit ist eine Nachtseite des

    Lebens, eine eher lstige Staatsbrgerschaft, schrieb Susan Sontag. Dieser

    Anfangssatz sowie alle Episoden ihrer Geschichte ber das schwere Schicksal der

    Erkrankten, die von den anderen nahezu denunziert werden, ber die

    Ungerechtigkeit, die man dieser besonderen Nation innerhalb anderer Nationen

    antut, ber die Diskriminierung, die Isolation, der die Kranken unterworfen sind,

    vermitteln den Eindruck, dass es sich eben um die Geschichte eines denunzierten

    Volkes handelt.

    So sind auch die meisten ihrer Helden (Kafka, Benjamin) jdischer Nationalitt.

    Denn wenn Susan Sontag ber das Vorurteil spricht, wonach Tuberkulosekranke

    ein gesellschaftliches bel darstellen, klingt das nicht wie eine Entlarvung des bsen

    und gefhrlichen Vorurteils, des antisemitischen Vokabulars des Nazismus? So

    sassen die beiden Juden in jener Nacht im Caf de Flore, ohne zu wissen, dass sie

    beide das zustzliche metaphorische Judentum, die Krankheit, heimsuchen wrde.

    Vielleicht war gerade Ki, mehr noch als Benjamin, der wahre Held der Sontag, ein

    kraftvoller Mann, aber zeitweise durchaus melancholisch, also ebenfalls im

    Zeichen des Saturn, nur dass er etwas spter kam. Es war, wie ich meine, die

    Begegnung zweier aus der Welt der Gewhnlichen Verbannter, bereit, sich einander

    auf der Schulter durch die Welt der Ungerechtigkeit zu tragen. Aber Ki starb

    ausgerechnet so, dass zuerst seine Schulter steif wurde, dann die Hand, die

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    kabbalistische, hieromantische und hebrische, unsicher, was den Sinn ihrer

    Verwendung fr das Schreiben betraf. Zweifelnd an ihrer Gewissheit, eine Haltung,

    aus der Ludwig Wittgensteins Schrift hervorgegangen ist, der Text eines weiteren

    Israeliten, gestorben an der gleichen Krankheit, der von Danilo Ki.

    Der serbische Schriftsteller Bora osi, Jahrgang 1932, lebt in Berlin und Rovinj. Er

    gehrt zu den massgeblichen Schriftstellern Jugoslawiens. Sein berhmtester

    Roman ist Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution (1969), eine Persiflage

    auf den jugoslawischen Sozialismus. Zuletzt erschien 2011 bei Schffling Eine

    kurze Kindheit in Agram. Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Griesshaber.

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