biomechanische konsequenzen von verschiedenen positionierungen bewegungserhaltender...
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Orthopäde 2007 · 36:205–211
DOI 10.1007/s00132-007-1056-9
Online publiziert: 1. März 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
T. Zander · A. Rohlmann · B. Bock · G. Bergmann
Campus Benjamin Franklin, Klink für Orthopädie,Biomechanik-Labor,
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Biomechanische Konsequenzen von verschiedenen Positionie-rungen bewegungserhaltender Bandscheibenimplantate
Eine Finite-Elemente-Studie an der Lendenwirbelsäule
Leitthema
Biomechanische Untersuchungen
können sowohl experimentell als
auch virtuell im Computer durchge-
führt werden. Im Gegensatz zu ex-
perimentellen Untersuchungen kön-
nen mit virtuellen Simulationen al-
le Einflussparameter beliebig verän-
dert und auch nicht messbare Grö-
ßen berechnet werden. Dennoch sind
experimentell ermittelte Daten so-
wohl für die virtuelle Modellbildung
als auch zur Validierung erforderlich.
Die Methode der finiten Elemente ist
ein etabliertes Simulationswerkzeug,
um Fragestellungen wie beispielswei-
se nach dem Einfluss von Implantaten
im Lendenwirbelsäulenbereich auf
Belastung und Beweglichkeit realis-
tisch beantworten zu können.
Bandscheibenprothesen gewinnen durch
die Behandlung degenerativer Band-
scheibenerkrankungen mit Non-Fusion-
Techniken zunehmend an Bedeutung.
Im Gegensatz zum klassischen Verfah-
ren der Fusion stellen bewegungserhal-
tende Implantate dem Patienten zusätz-
lich zur Schmerzbeseitigung eine physio-
logischere Kinematik im operierten Seg-
ment in Aussicht.
Modular aufgebaute, bewegungser-
haltende Bandscheibenprothesen beste-
hen aus zwei jeweils in den benachbarten
Wirbelkörpern verankerten Platten und
einem Implantatkern. Dieser bestimmt
die Bewegungsmöglichkeit der beiden
Platten zueinander. Je nach Implantattyp
unterscheiden sich die Kerne in ihrer La-
ge innerhalb des Implantats (mittige oder
dorsale Position), in ihrer Verbindung zu
den Platten (fest oder beweglich) und in
ihrer Form (bi- oder plankonvex, sowie
unterschiedliche Krümmungsradien).
Neben der unterschiedlichen Kinema-
tik der Implantate besteht ein weiterer Un-
terschied hinsichtlich des vorgesehenen
Zugangsweges. Während die meisten Im-
plantate von ventral eingesetzt werden
können, sind manche auch für den vent-
rolateralen Zugang konzipiert. Im Ver-
gleich zum ventralen Zugang bietet der
ventrolaterale Zugang den biomecha-
nischen Vorteil, dass das vordere Längs-
band nicht komplett reseziert werden
muss. Eine symmetrische Positionierung
in lateraler Richtung und die korrekte an-
terio-posteriore Ausrichtung sind jedoch
bei diesem Zugang schwieriger zu errei-
chen.
Trotz fehlender Langzeituntersuchun-
gen zu komplettem Bandscheibenersatz
wird vermutet, dass der klinische Erfolg
unter anderem von der sich einstellenden
Kinematik und damit von der Implantat-
position abhängt. Rohlmann u. Mitarb.
[12] haben in einer Finite-Elemente-Stu-
die eine starke Abhängigkeit der Beweg-
lichkeit von der anterio-posterioren Im-
plantatposition bei ventralem Zugang
festgestellt. Huang u. Mitarb. [5] verglei-
chen Bandscheibenimplantate mit fi-
xierten und beweglichen Kernen und ge-
ben an, dass durch einen beweglichen Im-
plantatkern Positionsfehler ausgeglichen
werden können.
Es sind keine Studien bekannt, die zei-
gen, welche biomechanischen Konse-
quenzen sich aus nichtoptimalen Implan-
tatplatzierungen im Zusammenhang mit
einem ventrolateralen Zugang ergeben.
Solche Untersuchungen können in vivo
allenfalls retrospektiv durchgeführt wer-
den, da patientenabhängige Parameter die
Ergebnisse beeinflussen und sowohl Im-
plantatpositionen als auch die biomecha-
nischen Konsequenzen nur unter großem
Aufwand messtechnisch erfassbar sind. In
silico treten diese Probleme nicht auf, je-
doch muss hier zunächst nachgewiesen
werden, wie realistisch das virtuelle Mo-
dell ist.
Am Beispiel einer Bandscheibenpro-
these des Typs Activ L (Aesculap, Tutt-
lingen), die in ein validiertes Lendenwir-
belsäulenmodell integriert wird, soll in ei-
ner Computersimulation festgestellt wer-
den, welchen Einfluss eine nicht optima-
le Implantatposition auf die Biomechanik
der Lendenwirbelsäule hat. Das unter-
suchte Bandscheibenimplantat enthält ei-
nen asymmetrisch bikonvexen Kern, der
von der Normalposition aus in posteriore
205Der Orthopäde 3 · 2007 |
Richtung verschiebbar ist. Das Implantat
erlaubt einen ventralen und ventrolate-
ralen Zugang.
Methode
Es wurde ein dreidimensionales Finite-
Elemente-Modell der Lendenwirbelsäu-
le vom Wirbel L1 bis einschließlich der
lumbosakralen Bandscheibe erstellt [11]
(. Abb. 1). Das Modell enthält etwa
60.000 Elemente und hat 200.000 Frei-
heitsgrade. Die Abmessungen und Orien-
tierungen der Bandscheiben und Wirbel
einschließlich der gekrümmten Facetten-
gelenke entsprechen in etwa denen eines
durchschnittlichen Patienten [1, 2, 6, 7, 8].
Die modellierten Bandscheiben setzen
sich zusammen aus inkompressiblen Nu-
klei, hyperelastischen Anuli mit eingebet-
teten nichtlinear-elastischen Fasern und
den knorpeligen Endplatten. Die Wir-
bel bestehen aus isotroper, etwa 0,5 mm
dicker Kortikalis, transversal isotroper
Spongiosa und den ebenfalls isotrop mo-
dellierten posterioren knöchernen Struk-
turen. Das Modell enthält alle 8 Bänder
(Lig. longitudinale anterius und posteri-
us, Ligg. intertransversalia, Lig. flavum,
Ligg. interspinalia, Ligg. supraspinalia,
Ligg. capsularia, Ligg. iliolumbalia), die
als Federn mit exponentieller Kennlinie
beschrieben wurden. Alle Materialeigen-
schaften wurden experimentell ermittelt
und entstammen der Literatur (detaillier-
te Beschreibungen in [12]).
Wegen der Vielzahl möglicher Fehler-
quellen während der Modellierung ist ei-
ne Validierung von Modellen biologischer
Strukturen mit messbaren Größen un-
umgänglich. In einer In-vitro-Studie ha-
ben Rohlmann et al. [10] 10 Lendenwir-
belsäulenpräparate (L1 bis L5) kaudal ein-
gespannt und kranial mit Momenten in
den anatomischen Hauptebenen belas-
tet. Dabei wurden die Rotationswinkel
und alle intradiskalen Drücke gemessen.
In . Abb. 2 sind die gemessenen und be-
rechneten Rotationen der Lendenwirbel-
säule für die verschiedenen Lastfälle ge-
genübergestellt. Für die gemessene, un-
symmetrische Kennlinie Extension-Fle-
xion wurde die Neutralzone symmet-
risch zum Nullpunkt gelegt. Es ist für al-
le Lastfälle eine gute qualitative Überein-
stimmung zu erkennen. Quantitativ ist das
Abb. 1 9 Finite-Elemente-Modell der intakten Lendenwir-belsäule (links), Wir-bel L5 mit restlichem Anulus bei ventrola-teralem (rechts oben) und ventralem Zugang (rechts unten)
Extension - Flexion
Biegemoment [Nm]
30
20
10
0
-10
-20
25
12,5
0
-12,5
-25
10
5
0
-5
-10
-7,5 -5 -2,5 2,5 5 7,50
-7,5 -5 -2,5 2,5 5 7,50
-7,5 -5 -2,5 2,5 5 7,50
Biegemoment [Nm]
Biegemoment [Nm]
Axialrotation
Lateralflexion
berechnetin vitro
Kard
anw
inke
l [º]
Kard
anw
inke
l [º]
Kard
anw
inke
l [º]
Abb. 2 9 Gegenüber-stellung der berechne-ten und gemessenen [10] Rotationswinkel der Lendenwirbelsäu-le. Die Streubreiten der In-vitro-Studie sind eingezeichnet
206 | Der Orthopäde 3 · 2007
Leitthema
Modell bei der Extension und der axialen
Rotation im Vergleich mit dieser experi-
mentellen Studie etwas zu flexibel. Bei der
axialen Rotation ist es aber noch innerhalb
der Streubreite (. Abb. 2), während es bei
der Extension knapp außerhalb liegt.
Heuer et al. [3, 4] haben die gleichen
Belastungen nacheinander auf 8 funkti-
onelle Einheiten L4/L5 aufgegeben und
zusätzlich nacheinander verschiedene
Strukturen der Präparate reseziert. Auch
hier wurden jeweils der Rotationswinkel
und der Intradiskaldruck gemessen. Der
Vergleich der berechneten mit den ge-
messenen Extensionswinkeln (. Abb. 3)
zeigt hier ein eher zu steifes Verhalten des
Modells. Für den Resektionsgrad Nukle-
otomie (in . Abb. 3 nicht dargestellt) so-
wie für die Belastung mit 10 Nm ist die
Modellbeweglichkeit teilweise unterhalb
der Streubreite. Andererseits ist das ge-
naue Ausmaß der Nukleotomie schwer
anzugeben bzw. die Zahl der Präparate
war durch einen Versagensfall bei 10 Nm
z. T. auf n=3 reduziert. Insgesamt konnte
mit dem Vergleich aller berechneten Win-
kel und Drücke mit denen der beiden an-
gegebenen Studien eine hohe Validität des
Modells hinsichtlich dieser Größen nach-
gewiesen werden.
Nach der Validierung des Modells
wurde eine Teilresektion der Bandschei-
be L4/L5 modelliert, um Raum für die
einzusetzende Bandscheibenprothese zu
schaffen. Hierbei wurde von einem vent-
rolateralen Zugang von links ausgegan-
gen, bei dem der Nukleus komplett ent-
fernt wird und etwa ein Drittel der Stärke
des rechtsseitigen Anulus erhalten bleibt
(. Abb. 1). Das vordere Längsband blieb
etwa zu zwei Dritteln erhalten, das hinte-
re wurde komplett durchtrennt. Das Im-
plantat wurde nicht als Volumenmodell,
sondern als eine die beiden benachbar-
ten Wirbel kinematisch koppelnde Ver-
bindung simuliert. Die Zulässigkeit die-
ser Vereinfachung wurde für einen ähn-
lichen Bandscheibentyp in einer separa-
ten Studie nachgewiesen [13]. Die Abmes-
sungen des Bandscheibenimplantats wur-
den entsprechend den Empfehlungen des
Herstellers für die untersuchte Modell-
konstellation gewählt.
Um die Auswirkungen von nichtop-
timalen Implantatplatzierungen, wie sie
im Zusammenhang mit einem ventrola-
teralen Zugang auftreten können, zu er-
mitteln, wurden von einer zentralen Stan-
dardplatzierung ausgehend folgende Para-
meter variiert:
F Zugang: Zum Vergleich wurde eben-
falls ein ventraler Zugang simuliert,
bei dem beidseitig Teile der late-
ralen Anuluspartien erhalten bleiben
und das vordere Längsband komplett
durchtrennt wird (. Abb. 1).
F Ausgangsposition des Kerns: Die idea-
lerweise vorhandene Translations-
möglichkeit des Bandscheibenkerns
sowie der kranialen Platte um 2 mm
in posteriore Richtung wurde durch
eine anteriore ersetzt. Dieser Ef-
fekt kann auftreten, wenn der Ope-
rateur beispielsweise bei Retrolisthe-
se des kranialen Wirbels die krani-
ale Platte des Implantats von anterior
nach posterior nachschlägt. Vollzieht
die kraniale Platte dabei keine rei-
ne Schwenkbewegung um den Band-
scheibenkern, so zwingt die Translati-
on den Kern in die posteriore Positi-
on, wodurch die konstruktiv geschaf-
fene Verschiebungsmöglichkeit des
Kerns nach posterior zugunsten einer
nach anterior verloren geht.
F Laterale Exzentrizität: Die Bandschei-
benprothese wurde lateral um 1, 2
und 3 mm nach links verschoben.
F Rotatorische Ausrichtung: Die Band-
scheibe wurde von der genauen an-
terio-posterioren Ausrichtung um 5°
und um 10° um die vertikale Achse
in beide Richtungen gedreht, sodass
der translatorische Freiheitsgrad des
Bandscheibenkerns von der anterio-
posterioren Richtung abweicht.
20
15
10
5
01 2,5 5 7,5 10
n=3
Biegemoment [Nm]
in vitroberechnet
Resektionen:Keine (intakt)lig. supraspinalelig. interspinalelig. flavum
lig. long. posteriuslig. long. anterius
ligg. capsularia
arcus vertebrarum
Inte
rseg
men
talw
inke
l [º]
Abb. 3 8 Vergleich der berechneten mit den experimentell [3] ermittelten Extensionswinkeln des Bewegungssegments L4/L5 für verschiedene Resektionsgrade
8
6
4
2
0
-2
-4
-6
-8
Inte
rseg
men
talw
inke
l [º]
Extension Stehen Flexion
intaktventraler Zugangventrolateraler Zugangventrolateraler Zugang, nachgeschlagen
Abb. 4 9 Interseg-mentalwinkel in Höhe der Bandscheibenpro-these für verschiedene Lastfälle und Operati-onszugänge
208 | Der Orthopäde 3 · 2007
Leitthema
Zusammenfassung · Abstract
Orthopäde 2007 · 36:205–211
DOI 10.1007/s00132-007-1056-9
© Springer Medizin Verlag 2007
T. Zander · A. Rohlmann · B. Bock ·
G. Bergmann
Biomechanische Konsequenzen von verschiedenen Positionie-rungen bewegungserhaltender Bandscheibenimplantate. Eine Finite-Elemente-Studie an der Lendenwirbelsäule
Zusammenfassung
Bandscheibenprothesen gewinnen durch die
Behandlung degenerativer Bandscheibener-
krankungen mit Non-Fusion-Techniken zu-
nehmend an Bedeutung. Der Einfluss der La-
ge des Implantats im Intersegmentalraum
auf die Biomechanik der Lendenwirbelsäule
ist jedoch bisher kaum untersucht worden. In
einer Studie wurden daher vom Idealen ab-
weichende Implantatpositionen und -aus-
richtungen, wie sie insbesondere bei ventro-
lateralem Zugang auftreten können, mithil-
fe eines validierten Finite-Elemente-Modells
simuliert. Die Simulationen ergaben beson-
ders bei lateraler Exzentrizität des Implantats
stark vergrößerte Belastungen, sodass auf ei-
ne optimale Implantatposition wert gelegt
werden muss.
Schlüsselwörter
Lendenwirbelsäule · Finite Elemente · Band-
scheibenprothese · Kinematik · Biomechanik
Biomechanical consequences of variations in artificial disc positioning. A finite element study on the lumbar spine
Abstract
Artificial disc prostheses are becoming more
and more attractive for the treatment of de-
generative disc diseases using non-fusion
techniques. However, the influence of disc
position within the intersegmental space on
lumbar biomechanics has scarcely been in-
vestigated. A validated finite element model
of the lumbar spine was used to investigate
the effects of non-ideal implant positioning
and orientation, which are more likely to oc-
cur using ventrolateral approaches. The mod-
el predicts, especially for lateral eccentricities,
strongly increased lumbar loads. Therefore,
great care should be taken in placing the im-
plant in an optimal position.
Keywords
Lumbar spine · Finite elements · Artificial
disc · Kinematics · Biomechanics
Das Lendenwirbelsäulenmodell wurde
kaudal an der lumbosakralen Bandschei-
be ortsfest fixiert. Die Kräfte aus dem
Oberkörpergewicht, dem Erector spinae
und dem Rectus abdominus wurden mit
entsprechenden Hebelarmen in den Wir-
bel L1 eingeleitet. Als Anteil des Oberkör-
pergewichts, der auf dem L1 lastet, wurden
260 N angenommen. Die Muskelkräf-
te wurden zur Einstellung des gewünsch-
ten Flexionswinkels benutzt [14]. Es wur-
den 20° Extension, Stehen und 30° Flexi-
on simuliert. Die Lateralflexion und die
axiale Rotation des L1, die bei unsymmet-
rischer Implantatposition entstehen wür-
den, wurden durch eine Randbedingung
verhindert. Zusätzlich wurde eine sog. ge-
führte Kraft von 200 N von L1 bis S1 mo-
delliert, die eine ähnlich stabilisierende
Wirkung hat, wie die lokale Lendenmus-
kulatur [9, 10].
Die berechneten Größen umfassen
die Intersegmentalwinkel, die Intradis-
kaldrücke, die Facettengelenkkräfte, die
Muskelkräfte und die Implantatkernver-
schiebung.
Ergebnisse
Einfluss der verschiedenen Zu gänge und Kernverschie -bungs möglichkeiten
Die intersegmentalen Rotationswinkel
werden durch das Implantat bei allen drei
untersuchten Lastfällen sowohl bei vent-
ralem als auch bei ventrolateralem Zu-
gang größer, wenn die kraniale Platte
nicht nachgeschlagen wurde (. Abb. 4).
Die Vergrößerung ist jedoch während der
Extension bei ventrolateralem Zugang we-
niger ausgeprägt als beim ventralen Zu-
gang. Tritt bei ventrolateralem Zugang
durch sog. Nachschlagen der ungünsti-
ge Fall ein, dass die Translationsbeweg-
lichkeit des Implantatkerns nach anteri-
or und nicht nach posterior gegeben ist,
so erhöht dies die Extensionsbeweglich-
keit. Für die Lastfälle Stehen und Flexion
ist die Beweglichkeit in diesem Fall im Ge-
genzug verkleinert, sodass sie beim Stehen
sogar den Winkel der intakten Wirbelsäu-
le erreicht.
Die Kontaktkräfte in den Facettenge-
lenken ändern sich durch eine Implan-
tation je nach Lastfall unterschiedlich
(. Abb. 5). Bei der Extension werden
die Facettengelenke im Normalfall durch
das Implantat entlastet. Translatorisches
Nachschlagen der kranialen Platte führt
jedoch zu erhöhten Facettengelenkkräf-
ten. Die Entlastung ist für den ventrolate-
ralen Zugang stärker als für den ventralen.
Beim Stehen sind die Facettengelenkkräf-
te generell gering. Sie erhöhen sich jedoch
auch hier, wenn die kraniale Platte trans-
latorisch nachgeschlagen wird. Während
der Flexion ergeben sich mit Implantat
erhöhte Facettengelenkkräfte unabhängig
vom Zugang. Nachschlagen der kranialen
Platte erhöht die Facettengelenkkräfte zu-
sätzlich.
Die Kerntranslation ist bei allen un-
tersuchten Lastfällen ohne Nachschlagen
kleiner als 0,3 mm. Wird nachgeschlagen,
so ergibt sich eine anteriore Kerntransla-
tion von etwa 1 mm bei der Extension und
beim Stehen. Während der Flexion ist die
posteriore Kerntranslation in diesem Fall
verhindert.
Die Intradiskaldrücke der benachbar-
ten Bandscheiben und die Muskelkräfte
hängen nur wenig vom Zugang und der
Richtung der Kernbeweglichkeit ab.
Einfluss einer lateralen Exzentrizität
Bei einer lateralen Lageabweichung des
Bandscheibenimplantats von der Zen-
tralposition haben die untersuchten Last-
fälle in der Sagittalebene – bedingt durch
die unsymmetrische Bandscheiben- und
Bandresektion bei ventrolateralem Zu-
gang – eine gekoppelte Mitbewegung au-
ßerhalb der Sagittalebene zur Folge. Wäh-
rend die Sagittalkomponente der interseg-
mentalen Rotation bei L4/L5 bei allen un-
tersuchten Lastfällen wenig (<0,8°) von ei-
ner lateralen Exzentrizität abhängt, ergibt
sich für die Frontalkomponente des Seg-
ments L4/L5 (Lateralflexion nach rechts)
eine deutliche Abhängigkeit (. Abb. 6).
Bei allen Lastfällen erhöht sich der Late-
ralflexionswinkel mit zunehmender Ex-
zentrizität. Bei der Extension ergibt sich
bereits bei zentraler Position des Implan-
tats ein Lateralflexionswinkel. Der größte
Einfluss wurde für den Lastfall „Stehen“
ermittelt. Hier ergibt sich bei einer late-
ralen Abweichung des Implantats von der
zentralen Position von 3 mm eine seitliche
Kippung des Segments L4/L5 von 2,2°.
209Der Orthopäde 3 · 2007 |
Die Kompensation der Rechtskippung
im Segment L4/L5 bedingt eine Linkskip-
pung in den anderen Lendenwirbelsäulen-
segmenten. Diese teilt sich nahezu gleich-
mäßig auf die anderen Segmente auf.
Die Facettengelenke werden durch die
laterale Exzentrizität links und rechts un-
terschiedlich stark belastet. Während der
Extension wird das rechte Facettengelenk
stärker belastet, und zwar umso mehr, je
größer die Exzentrizität des Implantats ist
(. Abb. 6). Während des Stehens nimmt
die Belastung des stärker belasteten rech-
ten Facettengelenks um etwa das Vier-
fache zu, wenn das Implantat 3 mm ex-
zentrisch positioniert wird, ist aber mit
maximal etwa 40 N relativ klein. Bei der
Flexion ändert sich die Maximalkraft (et-
wa 100 N) nur geringfügig mit der Ex-
zentrizität.
Die Intradiskaldrücke in den benach-
barten Bandscheiben sowie die Mus-
kelkräfte für die Sagittalbewegung än-
dern sich durch eine laterale Exzentrizität
kaum. Jedoch ist zur Verhinderung einer
Lateralflexion und Rotation der gesamten
Lendenwirbelsäule ein Korrekturmoment
am Wirbel L1 nötig, das in etwa linear von
der Exzentrizität des Implantats abhän-
gig ist (. Abb. 6). Dieses Korrekturmo-
ment ist beim Stehen maximal (1,6 Nm)
und erreicht für Extension und Flexion ei-
nen Wert von ca. 1,1 Nm. Dies ist zum Ver-
gleich in etwa das Moment, das der Erec-
tor spinae beim Stehen in die Lendenwir-
belsäule einleitet.
Einfluss der rotatorischen Ausrichtung
Eine verdrehte Position des Implantats
um die Wirbelsäulenlängsachse hat aus
kinematischer Sicht nur eine veränderte
Translationsbeweglichkeit des Implantat-
kerns zur Folge. Sie verläuft dann nicht
mehr genau nach posterior, sondern etwas
nach lateral. Selbst bei einer verdrehten
Ausrichtung von 10° und einer Maximal-
verschiebung des Kerns um 2 mm betrü-
ge der laterale Anteil der Verschiebung je-
doch lediglich wenige Zehntelmillimeter.
Die Simulation von verdreht eingesetzten
Bandscheiben hat daher nur einen mini-
malen Einfluss auf die Intersegmentalwin-
kel, die Intradiskaldrücke, die Facettenge-
lenke und die Muskelkräfte ergeben.
Diskussion
Mithilfe eines virtuellen Modells der Len-
denwirbelsäule wurde in silico untersucht,
welche biomechanischen Konsequenzen
nichtoptimale Implantatpositionen und
-ausrichtungen haben können. Es wurden
vom Idealen abweichende Situationen si-
muliert, die insbesondere bei einem vent-
rolateralen Zugang auftreten können. Al-
le in dieser Arbeit untersuchten nichtop-
timalen Implantatgegebenheiten können
aber auch bei ventralem Zugang auftreten,
sie hätten dann jedoch insbesondere bei
der Extension wegen des fehlenden vor-
deren Längsbands womöglich einen ande-
ren Einfluss. Die Validität des Modells der
intakt
200
150
100
50
0 0 0 0 0 0Extension
Face
tten
gele
nkkr
äfte
[N]
Stehen Flexion
ventraler Zugangventrolateraler Zugangventrolateraler Zugang, nachgeschlagen
linkes Facettengelenkrechtes Facettengelenk
Abb. 5 8 Facettengelenkkräfte in Höhe der Bandscheibenprothese für verschiedene Lastfälle und Operationszugänge
ExtensionStehenFlexion
0
0
20
40
60
0
0,6
1,2
1,8
80
100
120
0
0,5
1
1,5
2
2,5
Late
ralfl
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1 2 3
0 1 2 3
0 1 2 3
Abb. 6 9 Lateral-flexionswinkel (oben) und maximale Facettengelenkkraft (Mitte) im Bewegungs-segment L4/L5 und nötiges Korrekturmo-ment am Wirbel L1 (unten) für verschie-dene Lastfälle in Abhängigkeit von der lateralen Implantatex-zentrizität
210 | Der Orthopäde 3 · 2007
Leitthema
intakten Lendenwirbelsäule wurde nach-
gewiesen, die Situation nach einer Band-
scheibenoperation ist jedoch nicht in al-
len Einzelheiten bekannt. Beispielsweise
kann Narbengewebe im Verlauf des Hei-
lungsprozesses ein Segment versteifen oder
sich sogar am Implantat anlagern und da-
mit die Beweglichkeit einschränken. Diese
Auswirkungen können nicht allgemeingül-
tig beschrieben werden und wurden in die-
ser Arbeit nicht berücksichtigt. Die qualita-
tive Aussagekraft der Konsequenzen nicht-
optimaler Implantatplatzierungen wird da-
durch jedoch nicht beeinflusst.
Tritt keine Versteifung ein, so ist der
teilweise Erhalt des vorderen Längsbands
ein deutlicher Vorteil des ventrolate-
ralen Zugangs, denn das vordere Längs-
band verhindert eine übermäßige Ex-
tension. Allerdings wird bei ventrolate-
ralem Zugang eine geringfügige Unsym-
metrie geschaffen, da auf der Seite des Zu-
gangs meist eine Teilresektion des vorde-
ren Längsbands nötig ist und der laterale
Anulus nur auf der gegenüberliegenden
Seite des Zugangs erhalten bleibt.
Auch eine geringe Implantatkernbe-
weglichkeit nach posterior hat für die
Lastfälle „Stehen“ und „Flexion“ einen po-
sitiven Einfluss auf die Facettengelenkkräf-
te. Dies verdeutlichen die Ergebnisse des
Nachschlagens, durch welche die Kern-
beweglichkeit nach posterior aufgeho-
ben wurde. Die Möglichkeit der Transla-
tion birgt jedoch das Risiko, dass sich, bei-
spielsweise zur Lagekorrektur des Implan-
tats bei leichter Retrolisthese, die Bewe-
gungsrichtung ändert. Im ungünstigsten
Fall verschwindet einerseits die konstruk-
tiv geschaffene Translationsbeweglichkeit
nach posterior, zum andern ergibt sich
dann eine Beweglichkeit nach anterior.
Die im Normalfall vorhandene posteriore
Beweglichkeit des Implantatkerns kom-
pensiert zum Teil die anteriore Verschie-
bung des kranialen Wirbels bei Flexions-
bewegungen, die durch das etwas ventral
gelegene Rotationszentrum des Implan-
tats bedingt ist. Ist die Kernverschieblich-
keit nach posterior nicht gegeben, so fällt
diese Kompensation weg, und die erhöhte
Ventralbewegung des Wirbels muss durch
die Facettengelenke aufgefangen werden.
Ein weiterer Nachteil des Nach-
schlagens entsteht während der Exten-
sion durch die dann vorhandene Vent-
ralverschieblichkeit des Implantatkerns.
Die Facettengelenke müssen in diesem
Fall nicht nur die Extension begrenzen,
sondern zusätzlich eine sonst bei der Ex-
tension durch die Bandscheibenprothe-
se verhinderte Ventralverschiebung des
Wirbels. Die relativ geringe berechnete
Kerntranslation nach posterior bei Fle-
xionsbewegungen könnte bei genauerer
Modellierung der Muskulatur mit größe-
rem Kraftanteil in dorsale Richtung stär-
ker ausfallen. Dies würde eine geringere
Facettengelenkbelastung bei der Flexion
bedeuten.
Bei der Simulation einer exzent-
rischen Implantatposition bei L4/L5 wur-
de vorausgesetzt, dass die durch die Un-
symmetrie entstehende gekoppelte Mit-
bewegung bei Rotationen in der Sagit-
talebene bereits beim Wirbel L1 ausge-
glichen ist. Ein Ausgleich könnte sich je-
doch bis in die Brustwirbelsäule erstre-
cken. Dann wären die Facettengelenk-
kräfte und das nötige Korrekturmoment
tendenziell etwas geringer. Das Korrek-
turmoment wird in der Realität von der
seitlichen Bauchmuskulatur aufgebracht.
Diese ist aber bisher nicht im Rechenmo-
dell enthalten. Die Größe dieses Korrek-
turmoments kann als Maß für einen un-
symmetrischen Muskeltonus betrach-
tet werden, der auf Dauer zu Verspan-
nungen und Rückenschmerzen führen
kann.
Fazit für die Praxis
Der Erhalt des vorderen Längsbands ist
ein großer Vorteil des ventrolateralen Zu-
gangs. Das Risiko einer vergrößerten Wir-
belsäulenbelastung durch eine nichtop-
timale laterale Implantatposition oder ei-
ne Verschiebung innerhalb des Implan-
tats sollte durch eine präzise Implantati-
on mit fehlerverhinderndem Instrumen-
tarium gering gehalten werden. Kleine
Verdrehungen des Implantats sind hin-
gegen tolerierbar.
Korrespondierender AutorDr.-Ing. A. RohlmannCampus Benjamin Franklin, Klink für Orthopädie, Biomechanik-Labor, Charité – Universitätsmedizin BerlinHindenburgdamm 30, 12203 [email protected]
Interessenkonflikt. Die Studie wurde von der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft (Ro 581/17–1) und
der Fa. Aesculap unterstützt. Es bestehen keine Inter-
essenkonflikte. Die Ergebnisse basieren auf einem Im-
plantat der Fa. Aesculap, lassen sich jedoch auf Implan-
tate gleichen Prinzips übertragen und sind daher pro-
duktneutral.
Literatur
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and pelvis using shape and orientation parame-
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211Der Orthopäde 3 · 2007 |