biomechanische analyse der glenohumeralen gelenkstabilität nach hagl-läsion und operativer...

3
JOURNAL CLUB Biomechanische Analyse der glenohumeralen Gelenkstabilit at nach HAGL-L asion und operativer Versorgung der Verletzung Bjo¨rn Drews, Gerhard Bauer Sportklinik Stuttgart Die humerale Avulsion der gleno- humeralen Ligamente ist eine selte- ne, aber bezu ¨glich der Gelenkstabi- lita ¨t pathomorphologisch wichtige Verletzung. Der anteriore Anteil des IGHL ist in 93% aller HAGL-La ¨sio- nen betroffen. Die Pra ¨valenz wird in Fa ¨llen der Schulterinstabilita ¨t mit ca. 9% beziffert. Der Effekt der Gro ¨- ße der La ¨sion auf die Instabilita ¨t des Gelenkes ist bislang in der Lite- ratur nur wenig beschrieben. Des Weiteren herrscht bislang keine Ei- nigkeit u ¨ber die optimale Reinser- tionsstelle. Die vorliegende Studie vergleicht den Einfluss der Defekt- gro ¨ße und der Reinsertionsposition auf die passive Stabilita ¨t des Glenohumeralgelenkes. Methodik Neun Kadaverschultern wurden in einer Testapparatur mit sechs Frei- heitsgraden gemessen. Das Messpro- tokoll umfasste anteriore Translatio- nen mit bis zu 30 N bei 308-Abduk- tion in Neutral- und max. Außenrotation. Neben dem intakten Gelenk wurde eine kleine HAGL-La ¨- sion von 4.30 – 5.30 Uhr und eine große La ¨sion von 3.30 – 6.30 Uhr getestet. Im Anschluss erfolgte die Pru ¨fung zweier operativer Techniken bei der großen La ¨sion; einerseits die Reinsertion mit zwei Fadenankern am Knorpel-Knochen-U ¨ bergang (juxtachondral) und andererseits 1 cm unterhalb der ersten Insertion am Humerushals (ebenfalls mit 2 Fadenankern). Ergebnisse Im Vergleich der beiden Rupturgro ¨- ßen zeigte sich fu ¨r die kleinere La ¨- sion lediglich in maximaler Außen- rotation bei 30-N-Vorschub eine sig- nifikant ho ¨here Translation im Vergleich zum intakten Gelenk. Die gro ¨ßere La ¨sion zeigte bereits ab 15 N- Vorschub in Neutral- und Au- ßenrotationsposition eine signifi- kante Erho ¨hung der Translation. Mit der juxtachondralen Rekonstruk- tion konnte nur bei 30-N-Vorschub in maximaler Außenrotation und bei 15 N in Neutralposition eine Reduk- tion der Translation erreicht werden. Die Reinsertion am Humerushals hingegen zeigte eine signifikante Reduktion der Translation in beiden Positionen. Diskussion Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass eine kleine HAGL-La ¨sion nur einen geringen Effekt auf die Trans- lation im glenohumeralen Gelenk hat wa ¨hrend eine große HAGL-La ¨- sion zu einer deutlichen Instabilita ¨t fu ¨hrt. Bei der Reinsertion des Kap- sel-Ligament-Komplexes zeigte die Positionierung der Anker am Hume- rushals eine signifikant stabilere p. o. Situation als juxtahumeral. Ob- wohl in der Literatur zwei unter- schiedliche Formen der humeralen Insertion (collar-like und V-shaped) beschrieben sind, konnte in dieser Studie kein Unterschied in den Er- gebnissen gesehen werden. Kommentar Insbesondere aufgrund der Selten- heit der HAGL-La ¨sion bei der Schul- terluxation besteht hier jedoch lei- der auch ein hohes Risiko, dass diese Verletzung prima ¨r u ¨bersehen wird. Wie diese Studie gezeigt hat, kommt es bereits ohne zusa ¨tzliche Verlet- zung des anteroinferioren Labrums und mit geringer Translationskraft zu einer vermehrten anterioren In- stabilita ¨t. Aus der Studie geht je- doch leider nicht hervor wie ausge- pra ¨gt die inferiore Translation bei der HAGL-La ¨sion ansteigt. Zusa ¨tz- lich zeigt die Studie die Wichtigkeit der Positionierung bei der Reinser- tion des Kapselkomplexes. Originalpublikation: Southgate D et al. The Effect of Humeral Avulsion of the Glenohumeral Ligaments and Humeral Repair Site on Joint Laxity: A Biome- chanical Study. Arthroscopy 2013; 29 (6): 990-997. Orthopadie Traumatologie Sport Orthop. Traumatol. 29, 321–323 (2013) Elsevier – Urban&Fischer www.elsevier.de/SportOrthoTrauma http://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2013.07.010 B. Drews, G. Bauer Journal club 321 JOURNAL CLUB

Upload: gerhard

Post on 30-Dec-2016

213 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Biomechanische Analyse der glenohumeralen Gelenkstabilität nach HAGL-Läsion und operativer Versorgung der Verletzung

Orthop€adieTraumatologie

Sport Orthop. Traumatol. 29, 321–323 (2013)Elsevier – Urban&Fischer

www.elsevier.de/SportOrthoTraumahttp://dx.doi.org/10.1016/j.orthtr.2013.07.010

JOURNAL CLUB

JOURNAL CLUB Originalpublikation: Southgate D et al.

The Effect of Humeral Avulsion of theGlenohumeral Ligaments and HumeralRepair Site on Joint Laxity: A Biome-chanical Study. Arthroscopy 2013; 29(6): 990-997.

Biomechanische Analyse derglenohumeralen Gelenkstabilit€atnach HAGL-L€asion und operativerVersorgung der Verletzung

Bjorn Drews, Gerhard BauerSportklinik Stuttgart

Die humerale Avulsion der gleno- Reinsertion mit zwei Fadenankern lation im glenohumeralen Gelenk

humeralen Ligamente ist eine selte-ne, aber bezuglich der Gelenkstabi-litat pathomorphologisch wichtigeVerletzung. Der anteriore Anteil desIGHL ist in 93% aller HAGL-Lasio-nen betroffen. Die Pravalenz wird inFallen der Schulterinstabilitat mitca. 9% beziffert. Der Effekt der Gro-ße der Lasion auf die Instabilitatdes Gelenkes ist bislang in der Lite-ratur nur wenig beschrieben. DesWeiteren herrscht bislang keine Ei-nigkeit uber die optimale Reinser-tionsstelle. Die vorliegende Studievergleicht den Einfluss der Defekt-große und der Reinsertionspositionauf die passive Stabilitat desGlenohumeralgelenkes.

Methodik

Neun Kadaverschultern wurden ineiner Testapparatur mit sechs Frei-heitsgraden gemessen. Das Messpro-tokoll umfasste anteriore Translatio-nen mit bis zu 30 N bei 308-Abduk-tion in Neutral- und max.Außenrotation. Neben dem intaktenGelenk wurde eine kleine HAGL-La-sion von 4.30 – 5.30 Uhr und einegroße Lasion von 3.30 – 6.30 Uhrgetestet. Im Anschluss erfolgte diePrufung zweier operativer Technikenbei der großen Lasion; einerseits die

am Knorpel-Knochen-Ubergang(juxtachondral) und andererseits1 cm unterhalb der ersten Insertionam Humerushals (ebenfalls mit 2Fadenankern).

Ergebnisse

Im Vergleich der beiden Rupturgro-ßen zeigte sich fur die kleinere La-sion lediglich in maximaler Außen-rotation bei 30-N-Vorschub eine sig-nifikant hohere Translation imVergleich zum intakten Gelenk. Diegroßere Lasion zeigte bereits ab15 N- Vorschub in Neutral- und Au-ßenrotationsposition eine signifi-kante Erhohung der Translation.Mit der juxtachondralen Rekonstruk-tion konnte nur bei 30-N-Vorschubin maximaler Außenrotation und bei15 N in Neutralposition eine Reduk-tion der Translation erreicht werden.Die Reinsertion am Humerushalshingegen zeigte eine signifikanteReduktion der Translation in beidenPositionen.

Diskussion

Die Ergebnisse der Studie zeigen,dass eine kleine HAGL-Lasion nureinen geringen Effekt auf die Trans-

B. Dr

hat wahrend eine große HAGL-La-sion zu einer deutlichen Instabilitatfuhrt. Bei der Reinsertion des Kap-sel-Ligament-Komplexes zeigte diePositionierung der Anker am Hume-rushals eine signifikant stabilere p.o. Situation als juxtahumeral. Ob-wohl in der Literatur zwei unter-schiedliche Formen der humeralenInsertion (collar-like und V-shaped)beschrieben sind, konnte in dieserStudie kein Unterschied in den Er-gebnissen gesehen werden.

Kommentar

Insbesondere aufgrund der Selten-heit der HAGL-Lasion bei der Schul-terluxation besteht hier jedoch lei-der auch ein hohes Risiko, dass dieseVerletzung primar ubersehen wird.Wie diese Studie gezeigt hat, kommtes bereits ohne zusatzliche Verlet-zung des anteroinferioren Labrumsund mit geringer Translationskraftzu einer vermehrten anterioren In-stabilitat. Aus der Studie geht je-doch leider nicht hervor wie ausge-pragt die inferiore Translation beider HAGL-Lasion ansteigt. Zusatz-lich zeigt die Studie die Wichtigkeitder Positionierung bei der Reinser-tion des Kapselkomplexes.

ews, G. Bauer � Journal club 321

Page 2: Biomechanische Analyse der glenohumeralen Gelenkstabilität nach HAGL-Läsion und operativer Versorgung der Verletzung

JOURNAL CLUBSport Orthop. Traumatol. 29, 321–323 (2013)

Pathologischer tibiofemoralerKontaktdruck und Druckverteilungnach anatomischerVKB-Rekonstruktion

Originalpublikation: Imhauser C et al.Abnormal Tibiofemoral Contact Stressand Its Association With Altered Kine-matics After Center-Center AnteriorCruciate Ligament Reconstruction:An In Vitro Study. Am J Sports Med2013; 41 (4):815-25.

Bjorn Drews, Gerhard BauerSportklinik Stuttgart

Trotz Rekonstruktion des vorderenKreuzbandes nach Ruptur ist einevollstandige Hemmung einer Arthro-seprogression bislang nicht mog-lich. Mechanische Faktoren, wieeine abnorme tibiofemorale Kinema-tik oder veranderte Krafte auf dembelasteten Knorpel konnen diesenProgress mit beeinflussen. Somitist eine persistierende Instabilitatein direkter pradiktiver Faktor furdas Fortschreiten einer Arthrose.Da es interindividuelle Unterschiedebezuglich der physiologischen Kine-matik im tibiofemoralen Gelenk gibt,soll diese Studie zeigen, ob die mo-derne Technik der anatomischenSingle-Bundle (SB)-Rekonstruktiondie physiologische Kinematik undKontaktdruckverteilung wiederher-stellen kann.

Methodik

Elf kartilaginar und ligamentar in-takte fresh-frozen Kadaverknie wur-den mit Hilfe eine Bewegungs-/Be-lastungssimulators getestet. In ei-ner kontinuierlichen Bewegungzwischen 0- und 908-Flexion, unterap-Translation und unter zusatz-lichem kombiniertem IRO-/Valgus-stress wurden die resultierendenKontaktdrucke mit Hilfe einer

322 B. Drews, G. Bauer � Journal clu

Druckmessplatte auf dem tibialenKnorpel unter 1 kN axialer Belas-tung abgeleitet. Nach Messung desintakten VKB und des reseziertenVKB erfolgte die anatomische SB-Rekonstruktion mit Prakonditionie-rung und Fixation des Grafts in 208-Flexion bei 89 N und eine erneuteMessreihe. Die Kontaktdrucke wur-den jeweils in sechs Planquadratenauf dem medialen und lateralenTibiaplateau detektiert.

Ergebnisse

Unter kombinierten Kraftmomentenzeigte sich beim VKB-reseziertenKnie strecknah ein erhohter Kon-taktdruck auf dem posterolateralenAreal des lateralen Tibiaplateaus.Unter einfacher ap-Translation warder Druckanstieg v.a. auf dem pos-terioren medialen Plateau zu finden.Nach Rekonstruktion des VKB zeigtesich einerseits unter ap-Translationeine Reduktion des Kontaktdruckesim posterioren zentralen Sektor desmedialen Plateaus. Andererseitszeigte sich strecknah ein 50%-igerAnstieg des Kontaktdruckes unterkombinierter Translation auf dasmittlere zentrale Areal und unterap-Translation auf das mittlere peri-phere Areal des lateralen Tibiapla-

b

teaus. Im anterioren peripheren Sek-tor des medialen Plateaus zeigte sichein Druckanstieg um 31% unter ap-Translation. Jede Veranderung einerDruckverteilung ging mit einer Ver-anderung der Stabilitat insbesonde-re der Innenrotation einher.

Diskussion

Durch die Rekonstruktion des vorde-ren Kreuzbandes lassen sich die er-hohten Kontaktdrucke auf dem pos-terioren Tibiaplateau gegenuberdem instabilen Gelenk reduzieren.Trotzdem zeigte sich auch nach ana-tomischer Rekonstruktion eine Kom-bination aus overconstraint und un-derconstraint mit veranderter Kine-matik. Das Ziel des Operateurs solltedie Wiederherstellung des physiolo-gischen constraints sein.

Kommentar

Wie diese Studie gezeigt hat, wirdtrotz anatomischer Positionierung,einer Prakonditionierung undstrecknahen Fixation des Transplan-tates keine physiologische Wieder-herstellung der Kinematik und derBelastungsdrucke auf den Knorpelerreicht. Zwei Fragen, die sich ausdiesen Ergebnissen ergeben, sind

Page 3: Biomechanische Analyse der glenohumeralen Gelenkstabilität nach HAGL-Läsion und operativer Versorgung der Verletzung

DANK AN GUTACHTERSport Orthop. Traumatol. 29, 321–323 (2013)

einerseits wie hoch die optimale pri-mare Anspannung des Transplanta-tes liegt. Hier besteht in der Litera-tur bislang noch kein Konsens. Und

Danksagung

Die Herausgeber der ZeitschriftSportorthopadie Sporttraumatologiedanken allen Mitgliedern des

andererseits ob es unter Berucksich-tigung der komplexen und indivi-duellen Kinematik des Kniegelenkesuberhaupt moglich ist die positions-

Wissenschaftlichen Beirates, des In-ternational Advisory Boards und al-len Gastgutachtern fur ihre wertvolle

B. Dr

abhangigen Spannungen auf demVKB und folglich Belastung aufdem Knorpel mit einer Einzelbundel-technik wiederherzustellen.

Available online at www.sciencedirect.com

Arbeit bei der Begutachtung undGestaltung der Manuskripte fur denJahrgang 29 unserer Zeitschrift.

ews, G. Bauer � Journal club 323