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Haus für Kinder am Hirz berg – Dokumentation von Lernkultur & Bildung „Freies Geleit” Kunst & Literatur Ein Gedicht von Ingeborg Bachmann

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„Freies Geleit”

Kunst & Literatur

Ein Gedicht

von

Ingeborg Bachmann

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Kunst & Literatur

Nach der Beschäftigung mit Märchen, deren Umsetzung in Bilderbücher sowie der kreativenAuseinandersetzung mit Liedertexten (es entstehen Musik-Installationen), begann deranspruchsvollste Teil des Projektes

Den Kindern wird anspruchsvolle Lyrik „zugemutet“.Ein Gedicht von Ingeborg Bachmann soll in Bilder umgesetzt werden.

KUNST UND LITERATUR

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Das Gedicht

Freies Geleit

Ingeborg Bachmann * 1926 – † 1973

Mit schlaftrunkenen Vögelnund winddurchschossenen Bäumensteht der Tag auf, und das Meerleert einen schäumenden Becher auf ihn.

Die Flüsse wallen ans große Wasser,und das Land legt Liebesversprechender reinen Luft in den Mundmit frischen Blumen.

Die Erde will keinen Rauchpilz tragenkein Geschöpf ausspeien vorm Himmel,mit Regen und Zornesblitzen abschaffendie unerhörten Stimmen des Verderbens.

Mit uns will sie die bunten Brüderund grauen Schwestern erwachen sehn,den König Fisch, die Hoheit Nachtigallund den Feuerfürsten Salamander.

Für uns pflanzt sie Korallen ins Meer,Wäldern befiehlt sie Ruhe zu halten,dem Marmor, die schöne Ader zu schwellen,noch einmal dem Tau, über die Asche zu gehen.

Die Erde will ein freies Geleit ins Alljeden Tag aus der Nacht haben,dass noch tausend und ein Morgen wird,von der alten Schönheit jungen Gnaden.

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Der Einstieg

Für den Einstieg luden wir Frau Sybille Denker, Schauspielerin und Mutter eines unsererKindergartenkinder, zu uns ein, die uns das Gedicht professionell vortrug.

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Der Einstieg

Die Mädchen und Jungen und auch Erzieherinnen hörten gespannt zu – und der eine oderandere verspürte vielleicht an mancher Stelle ein bisschen Gänsehaut.

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Die Umsetzung

Das Gedicht-Buch

Im ersten Teil dieses Projekts konnten die Kinder erste Erfahrungen mit den traditionellenDrucktechniken Holz- und Linolschnitt machen. Außerdem gab es unterschiedliches Mate-rial zur Herstellung von Stempeln (Moosgummi, Radiergummis, Polystyrol, Korken etc.)

Die Kinder suchten sich eine Stelle des Gedichts heraus und konnten selbst entscheiden, obsie malen, zeichnen oder drucken wollten. Natürlich durften auch alle Techniken in einemBild angewandt werden.

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Die Umsetzung

Das Gedicht wurde immer wieder vorgelesen – anfangs waren die sehr bildlichen Stellen ambeliebtesten und so entstanden „König-Fisch“, „Hoheit-Nachtigall“, „Feuerfürst-Salamander“ und „Rauchpilze“.

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Die Umsetzung

Doch da ein Ziel dieses Pojektteils auch ein Gedicht-Buch für die Leseecke war, wagten sichdie Kinder mit der Zeit auch an die anderen Strophen. Und es entstanden wunderbareUmsetzungen von „winddurchschossenen Bäumen” oder „schlaftrunkenen Vögeln” unddem „freien Geleit ins All”.

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Die Umsetzung

Das Gemeinschaftswerk

Vorbemerkung:

Außerdem sollte im zweiten Teil des Projekts auf einer großen Leinwand ein Gemein-schaftswerk entstehen – d.h. die Kinder arbeiteten mit der Künstlerin Barbara Leitnerzusammen an einem Bild zu dem Gedicht.

Eigentlich braucht man für ein Bild, welches ein gewisses künstlerisches Niveau erreichensoll, viel mehr Zeit als wir zur Verfügung hatten.

In diesem Fall musste sich der künstlerische Prozess gewissermaßen im Zeitraffer abspielenund konnte sich nicht langsam und stetig über Wochen (evtl. Monate) entwickeln.Zu diesem Prozess gehört, dass immer wieder innegehalten wird, reflektiert wird, das Bildbetrachtet wird und gefragt wird, ob es noch „stimmig“ ist.

Zu diesem Prozess gehört auch etwas sehr Schmerzhaftes: dass Motive verworfen – sprichübermalt werden und dass man manchmal ganz neu anfangen muss.Als Künstler/in muss man eine hohe Frustrationstoleranz entwickeln und man muss lernen,damit umzugehen, dass der Prozess manchmal stagniert.Sich mit Kindern auf diesen Weg zu begeben, braucht also viel Zeit und Geduld.Wie schon gesagt: die Zeit hatten wir nicht – und so kam alles etwas anders als geplant …

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Die Umsetzung

Entstehung des Bildes oder: „Keine Opfer”

Nach dem Aufspannen und der Grundierung der Leinwand kann es losgehen:Das Bild wird ins Freie getragen, damit wir ohne Angst vor Farbspritzern an den Wänden,ganz frei und experimentell arbeiten können. Zunächst geht es mir darum, dass dieLeinwand möglichst viel Farben und Strukturen bekommt – noch ganz ohne Motive. DieMotive (die „Sprach-Bilder”) des Gedichtes sollen erst später erscheinen.

Die Mädchen jedoch sind schon fleißig damit beschäftigt, kleine Bilder auf das große Bildzu malen – die Blumen, den Salamander, die Vögel etc.

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Die Umsetzung

Interessanterweise hat sich jedes Mädchen sozusagen ein „Territorium“ auf der Leinwandabgesteckt, auf dem dann die eigenen Bilder entstehen. Die Grenze zu diesem eigenen„Land“ darf weder von mir noch von den Freund/-innen überschritten werden.

Jeglicher Vorschlag meinerseits eine andere Vorgehensweise auszuprobieren, scheitert amheftigen Widerstand der kleinen Künstlerinnen. Was sie gemalt haben, soll und mussgenauso bleiben und darf auf keinen Fall ergänzt werden oder gar ZERSTÖRT!Übermalung und Veränderung wird als ZERSTÖRUNG erlebt und nicht als von mir soprofessionell gemeinten „PROZESS“. Die Mädchen sind richtig sauer auf mich underzählen mir von der Künstlerin, die mit ihnen zusammen die Wand am Haus gestaltet hatund die die Bilder der Kinder übermalt habe. Die Mädchen erklären mir, dass sie zu so waskeine Lust mehr hätten – „Bilder zu opfern, das finden wir blöd!”

Ich bin beeindruckt von der Vehemenz und Klarheit ihrer Aussagen.

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Die Umsetzung

Was machen wir nun?

Ich habe an mich selbst den Anspruch, ein „gutes“ Bild mit den Kindern zu malen, in dasich mich als Künstlerin einbringen kann, aber ich kann die Kinder gut verstehen, dass sie dieVeränderung und Übermalung ihrer Werke als Übergriff und Zerstörung erleben.

Ich mache den Vorschlag, dass die Mädchen ihre eigenen Leinwände bekommen und ichmich bei ihrer Arbeit komplett raus halte. Ich darf dafür bei der großen Leinwand „Chefin“sein, bei der jeder mitmalen kann und darf, ich aber das letzte Wort behalte.

Die Mädchen bekommen zwei größere Leinwände und arbeiten in Zweiergruppen an jeeinem Bild.

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Die Umsetzung

Zwischendurch malen sie immer wieder an der großen Leinwand mit und haben überhauptkein Problem mehr damit, falls ich etwas von ihnen „opfern“ muss.

So entwickelt sich ein reges Hin und Her zwischen den Mädchen und mir. Sie holen sichTipps von mir oder fragen, wie mir ihre Bilder gefallen und ich kann sie jederzeit umMithilfe bitten.So zum Beispiel: „Wie malt man Korallen?” Oder: „Was für Tiere könnten wir noch malenund wo passen die am besten hin?” etc.

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Die Umsetzung

Zum Beispiel Jackson Pollock

Nachdem das Opferthema geklärt war, konnte es losgehen mit dem freien Arbeiten mitPinsel, Rollen, Händen, Spritzen, Bambuszweigen, Sprühdosen und was immer denKindern einfiel, wie man Farbe auf die Leinwand bringen kann.

Zwei Nachmittage verbrachten wir mit Farbe auftragen. Allerdings blieb es nicht bei Farbe.Die Leinwand wurde auf die Wiese gelegt und die Kinder trugen Erde auf, klebten Gräserund Blumen, sogar Steine auf das Bild.

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Die Umsetzung

Die Steine fielen leider wieder herunter, aber wenn man die Augen der Eule auf dem Bildgenauer ansieht, dann erkennt man, dass es sich um Hahnenfußblüten handelt.

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Die Umsetzung

Zwischendurch schauten wir uns einen Ausschnitt aus dem Film „Jackson Pollock“ an, indem gezeigt wird, wie der Künstler gearbeitet hat. Also machten wir es ihm nach undschlugen Löcher in leere Dosen, in die wir dann Farbe füllten.Zwischen ungegenständlichem Farbauftrag malte oder zeichnete immer mal wieder jemandein Bild aus dem Gedicht, sodass nach und nach aus dem Ungegenständlichen Motiveerwuchsen und das Bild langsam Gestalt annahm.

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Die Umsetzung

„… noch einmal dem Tau über die Asche zu gehen …“

Die Erzieherin Cora hatte die wunderbare Idee, Aschebilder zu machen. Nachdem dasFeuer heruntergebrannt war, wurden Asche und Holzkohle eingesammelt und anschließendmit Caparol (als Bindemittel) vermischt. Die Kinder- hauptsächlich Jungs- hatten großenSpaß daran, düstere Bilder auf kleine Leinwände zu bringen.

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Die Umsetzung

Auch auf die große Leinwand wurde Aschefarbe aufgebracht.

Aus diesen schwarzen Stellen entstand der Baum, ein zentrales Motiv in dem Gedicht.Beim Malen der Blätter des Baumes konnten auch die Kleinsten mithelfen: Jedes Blatt isteine Fingerspur …

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Die Umsetzung

Eine intensive Zeit

In einem kurzen, aber intensiven Zeitabschnitt sind viele wunderbare Bilder zu demGedicht entstanden.Die Entstehung des Gemeinschaftsbildes wird mir in Erinnerung bleiben als geglückteLösung eines Konfliktes, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte.

So steht nicht das fertige Bild für mich im Mittelpunkt, sondern das, was sich im persön-lichen Umgang miteinander ereignet hat: Die Klarheit, mit der die Mädchen ihreBedürfnisse äußerten, hat mich tief beeindruckt.Als der Konflikt geklärt war, arbeiteten die Mädchen intensiv und ausdauernd an ihrenBildern sowie an der großen Leinwand.Die Möglichkeit zu haben, mit den Farben und Materialien zu experimentieren, war sehrwichtig für die Kinder. Vor allem die Jungs genossen es, ohne Druck und Vorgabe, etwasBestimmtes „produzieren“ zu müssen, ihrer Experimentierlust freien Lauf zu lassen.

Das Projekt fand zwischen März und Mai 2009 statt.Begleitet wurde es durch: Uta Schnetter und Barbara Leitner.

HAUS für KINDER am HIRZBERG

Kartäuserstraße 10579104 Freiburg im BreisgauLeitung: Maria Matzenmiller

Telefon: 07 61 / 201-38 [email protected]

Eine Kindertageseinrichtung in Trägerschaft der Stadt Freiburg

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ung Kurzbiografie Ingeborg Bachmann

Geb. am 25. Juni 1926 in KlagenfurtAb 1945 Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie1950 Dissertation über Heidegger und PromotionAb 1953 freie Schriftstellerin; Preis der Gruppe 471957 Vertonung des Gedichtes „Freies Geleit“ durch Hans Werner HenzeLiteraturpreis der Stadt Bremen1961 Berliner Kritikerpreis1964 Georg Büchner-Preis1965 Übersiedlung nach Rom1968 Großer österreichischer Staatspreis für LiteraturGestorben am 17. Oktober 1973