betrachtungen zu einem lymphosarkom der zunge mit außergewöhnlicher metastasierung

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H.J. WoT,FF:LymphosarkomderZungemitauBergewShnlicher~etastasierung 331 E. Lt~scin~ll-Basel. Die Basler Klinik besehi~ftigb sich seit einigen Jahren mit den )/[ykosen der oberen Luft- und Speisewege, nachdem einmal eine I-Ii~ufung yon zurn Tell schweren KrankheitsfMlen zur Beobachtung kam. Bei allen in klinischer, bakteriologischer und histologischer I-Iinsichtunklaren entziindlichen Erkrankungen in den oberon Luft- und Speisewogei~ist an eine )~ykose zu denken. Die diagnosti- schen Sehwierigkeiten sind oft sehr grofi, weft viele bakteriologischo und patholo- gisch-anatomische Institute mit der Diagnose der verschiedenen Pilzarten zu wenig vertraut sind und insbesondore eine Typisierung schwierig ist. Wir laaben nicht den Eindruck, dab die Mykosen seit der Anwendung yon Antibiotica wesentlich zuge- nommen haben, wie wir zun~,chst vermuteten. (L EIGLI~R-GieBen (SchluBwort). Vortragender pflichtet tIerrn Li)sc~E~ bei, dab Pflzerkrankungen in unserem Fachgebiet wesentlich hgufiger vorkommen, als sie diagnostiziert werdon. Auf jeden Fall ist es wichtig, dab beider Untorsuchung des histologischen and bakteriologischen Materials in Zukunft auf das Vorkommen yon Pilzen mehr geachtet wird. ]terrn T~ElSSlNGgegeniiber mSchte ich betonen, dab es sich bei unsoren Pilz- arten entweder um Rhinosporidium seeberi odor um Coxidioides immitis odor eine diesen beiden Keimen nahe verwandte Blastomykose handelt. Ein Sporotrichon scheidet aus den bereits erw~hnten Griinden aus. 22. H. J. WOLFF-Hcidenau: Betrachtungen zu einem Lymphosarkom der Zunge mit aul]ergewiihnlicher Metastasierung. Jedem Arzt, der sich mit der Diagnostik und mit der oftmals so frustranen odor in vielen Fallen jedenfalls nut sehr wenig befriedigcnden Therapie bSsartiger Gesehwiilste zu beschaftigen hat, treten immer wieder ungeklarte Divergenzen zwischen den Lehren der normalen Anatomic und Physiologie und den Anschauungen des Klinikers und vor allem des Pathologen entgegen. Besonders den Problemen der Metastasenbildung n~her zu kommen, hat die Wissensehaft sich immer wieder bemiiht. So konnte in erster Linie der Nachweis erbracht werden, da~ die Verschleppung ~on Geschwulstzellen ira wesentlichen wohl den Gesetzen der physiologischen Kreislauflehre entspricht und gehorcht. Sie erfolgt nach W~LT~R naeh einem bestimmten, oft mals direkt sehe- matisch festzulegenden Metastasierungstyp. Uns soil hicr im l~ahmen dieser ]~etrachtungen lediglich die lymphogene Streuung interessieren. Auch hier ergeben sich Gesetzmi~Bigkeiten, die bisher noch nicht in allen Teilen erkannt worden sind. Jedoch gilt der Nachweis als erbraeht, da~ Geschwulstableger in Lymphknoten immer ,,regioniir" sind. Entweder sind sic ,,primer", wenn sic im Abflul3gebiet des Primiirtumors liegen, oder aber ,,sekundar", wenn das tributare Organ mctastatisch auf dem Blutwege erkrankt ist. Eine Lymphverbindung yon einem zum anderen Organ gibt es nicht. So miissen also wohl die Lehren vom retrograden Transport, yon dcr Permeation und yon anderen mysteri6sen Verschlep- pungsformen heute abgelehnt werden. 22*

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Page 1: Betrachtungen zu einem Lymphosarkom der Zunge mit außergewöhnlicher Metastasierung

H.J. WoT,FF:LymphosarkomderZungemitauBergewShnlicher~etastasierung 331

E. Lt~scin~ll-Basel. Die Basler Klinik besehi~ftigb sich seit einigen Jahren mit den )/[ykosen der oberen Luft- und Speisewege, nachdem einmal eine I-Ii~ufung yon zurn Tell schweren KrankheitsfMlen zur Beobachtung kam. Bei allen in klinischer, bakteriologischer und histologischer I-Iinsicht unklaren entziindlichen Erkrankungen in den oberon Luft- und Speisewogei~ ist an eine )~ykose zu denken. Die diagnosti- schen Sehwierigkeiten sind oft sehr grofi, weft viele bakteriologischo und patholo- gisch-anatomische Institute mit der Diagnose der verschiedenen Pilzarten zu wenig vertraut sind und insbesondore eine Typisierung schwierig ist. Wir laaben nicht den Eindruck, dab die Mykosen seit der Anwendung yon Antibiotica wesentlich zuge- nommen haben, wie wir zun~,chst vermuteten.

(L EIGLI~R-GieBen (SchluBwort). Vortragender pflichtet tIerrn Li)sc~E~ bei, dab Pflzerkrankungen in unserem Fachgebiet wesentlich hgufiger vorkommen, als sie diagnostiziert werdon. Auf jeden Fall ist es wichtig, dab beider Untorsuchung des histologischen and bakteriologischen Materials in Zukunft auf das Vorkommen yon Pilzen mehr geachtet wird.

]terrn T~ElSSlNG gegeniiber mSchte ich betonen, dab es sich bei unsoren Pilz- arten entweder um Rhinosporidium seeberi odor um Coxidioides immitis odor eine diesen beiden Keimen nahe verwandte Blastomykose handelt. Ein Sporotrichon scheidet aus den bereits erw~hnten Griinden aus.

22. H. J. WOLFF-Hcidenau: Betrachtungen zu einem Lymphosarkom der Zunge mit aul]ergewiihnlicher Metastasierung.

Jedem Arzt, der sich mit der Diagnostik und mit der oftmals so frustranen odor in vielen Fallen jedenfalls nut sehr wenig befriedigcnden Therapie bSsartiger Gesehwiilste zu beschaftigen hat, treten immer wieder ungeklarte Divergenzen zwischen den Lehren der normalen Anatomic und Physiologie und den Anschauungen des Klinikers und vor allem des Pathologen entgegen. Besonders den Problemen der Metastasenbildung n~her zu kommen, hat die Wissensehaft sich immer wieder bemiiht. So konnte in erster Linie der Nachweis erbracht werden, da~ die Verschleppung ~on Geschwulstzellen ira wesentlichen wohl den Gesetzen der physiologischen Kreislauflehre entspricht und gehorcht. Sie erfolgt nach W~LT~R naeh einem bestimmten, oft mals direkt sehe- matisch festzulegenden Metastasierungstyp. Uns soil hicr im l~ahmen dieser ]~etrachtungen lediglich die lymphogene Streuung interessieren. Auch hier ergeben sich Gesetzmi~Bigkeiten, die bisher noch nicht in allen Teilen erkannt worden sind. Jedoch gilt der Nachweis als erbraeht, da~ Geschwulstableger in Lymphknoten immer ,,regioniir" sind. Entweder sind sic ,,primer", wenn sic im Abflul3gebiet des Primiirtumors liegen, oder aber ,,sekundar", wenn das tributare Organ mctastatisch auf dem Blutwege erkrankt ist. Eine Lymphverbindung yon einem zum anderen Organ gibt es nicht. So miissen also wohl die Lehren vom retrograden Transport, yon dcr Permeation und yon anderen mysteri6sen Verschlep- pungsformen heute abgelehnt werden.

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DaB man aber immer wieder vor ungeahnten Schwierigkeiten stehen und zu intensiven differential-diagnostischen 10berlegungen gezwungen werden kann, mag uns der Fall eines Lymphosarkoms der Zunge mit aul~ergew5hnlicher Metastasierung demonstrieren:

Ein s riistiger, beinahe noeh als ,,vital" anzusprechender, 76jghriger Mann wird uns iiberwiesen, weft er seit etwa einem halben Jahr am hinteren ])rittel der hnken Zunge ein Gew/~ehs verspiirt, das ihn beim Schluckakt und beim Sprechen stark stSrt. Angeblieh hat er kaum Schmerzen.

An Cor und Pnlmo klinisch und rSntgenologisch keine Auff/~lligkeiten. Keine LebervergrS$erung, keine Milzsehwellung naehweisbar. VSllig normales Blutbild. 14 Lymphoeyten. Ieh betone das ausdrficklich! Lediglieh die Blutsenkungsgesehwindigkeit ist mit t7/39 etwas besehleu- nigt. Wa.l~. in allen drei Reaktionen negativ. Ohren, 1Nase o. B., TonsHlen dem Alter entspreehend klein und nieht suspekt. Kehlkopf, soweit fiber- bliekbar, anatomisch und funktionell o. B. Im RSntgenbild der Neben- hShlen kein Anhalt fiir NebenhShlenaffektion oder tumorSses Geschehen. Am Hals allerdings taster man mehrere etwas ~ergrSl~erte, jedoeh nicht schmerzhafte Lymphdriisen.

Auf dem hinteren ])rittel der linken Zunge aber, etwa im Bereieh der Papillae circumvallatae, finder sich ein etwa 3 x 5 em groSer und fast 3 cm hoher Tumor, der auf einem daumennagelgroSen Stiel sitzt. Die Konsistenz ist verh~ltnism/~l~ig derb, die Oberfl~che Yon feinen Aderchen iiberzogen.

])ie Abtragung dieses Tumors gelingt fiberraschenderweise tefls stumpf, teils seharf beinahe miihelos, und der Eingriff wird yon dem Patienten anstandslos iiberstanden.

]:)as an das S/s Serumwerk in ])resden eingesandte Pr~parat wird yon t ter rn SC~EID% dem Pathologen und Histologen yon ])resden- Friedriehsstadt, dem yon dieser Stelle aus ein besonderer ])ank fiir seine kollegiale Mitarbeit und Unterstiitzung gesagt sei, wie folgt besehrieben: ,,])as Zungenstfiek zeigt an der Oberfts ein mitteldickes, gleiehfSrmi- ges Plattenepithel, darunter eine dieke Sehieht aus kollagenfaserreiehem Bindegewebe und darauf folgend in ganzer ])icke des Stiiekes ein zell- reiches Gewebe aus diehtgestellten, rundkernigen Zellen, deren Kerne grSSer als Lymphoeyten sind, oft mit typischer t%adspeiehenstruks Kernteilungsfiguren sind nieht nachweisbar. In unregelms Verteilung finden sieh Capillaren. Es handelt sich nm ein Lymphocytom, wahrsehein- lich im Rahmen einer aleukKmisehen Lymphadenose. ])ifferential- diagnostiseh kommt aueh ein Lymphosarkom in Frage. 1Nach tier Tiefe ist das Gewebe nicht im Gesunden entfernt."

Nun, dal~ die Abtragung nieht vSllig im Gesunden vor sich gegangen sein konnte, wu$ten wit ohnedies. Wit besehlossen also, zunKehst einmal

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Lymphosarkom der Zunge mit auBergewShnlieher hIetastasierung 333

uns konservativ, abwartend, zu verhalten und auf das unserer Meinung nach unvermeidliehe l~ezidiv zu warren, indem wir den Mann regel- m~gig beobaehteten.

Dieses I{ezidiv, meine Damen und Herren, ist bis auf den heutigen Tag, also fast ein volles Jahr seit der Tumorabtragung, nicht aufgetreten. Die Zunge ist v 511it unauffifllig !

Start dessen bereitet uns der Mann etwa ein halbes Jahr naeh der Abtragung des Zungentnmors eine andere Uberraschung. Zun/~ehst sehr langsam, dann immer sehneller hatte sich fiber dem linken Oberlid eine zweiteilige Gesehwulst gebildet.

Die obere, /~uBere iSbergangsfalte des Lides ist ausgeffillt mit zwei grogenTumoren, yon denen der eineetwa haselnuggrog, der nach augen gelegene bohnengrog ist. Beide Tnmoren sind seharf abgegrenzt, auf der Unterlage gut versehieblieh. Sie bewirken eine erhebliehe Senkung des Oberlides and seheinen den Bulbus nach unten zu verdr~ngen. Die Augenbewegungen sind abet meehaniseh nieht eingesehrs Keine Doppelbilder. Augenhintergrund ohne pathologische Ver/~nderungen. Sehverm6gen 5/7.

Hat sich das Tumorgesehehen bisher ausseh]ieBlieh linksseitig ab- gespielt, so finder sieh heute auBerdem in der Mitre der reehten Wange eine beinahe taubeneigroBe Geschwulst, deren ZugehSrigkeit znr Parotis oder zur Submandibularis nicht eindentig gekl/irt werden kann.

Jedenfalls wnrden jetzt erst einmal yon unserer Augenabteilnng, Chef- arzt Dr. MEttLMACK, unter nnserer Assistenz die beiden Tumoren aus der linken Orbita entfernt, und das jetzt zur histologischen Untersuehung eingesandte Material entsprieht ganz dem Befund eines sicheren Lympho- 8at]toms.

Der Patient wnrde inzwischen der Arsentherapie nnd der R6ntgen- tiefenbestrahlung zugefiihrt, da ja gerade Lymphosarkome auf RSntgen- strahlen recht gut anznsprechen pflegen and in kfirzester Zeis nahezu zur v61]igen l~iiekbildnng gebraeht werden kSnnen. I~ezidive sind allerdings aneh hier nieht ansgesehlossen. Wie welt nun etwa noch Tumoren im Mediastinum, in der Milz, im Darm usw. bestehen mSgen, wird sieh wohl erst autoptiseh kl&ren lassen. Fest steht aber - - das geht ans dem vor- handenen Sehrifttnm hervor - - , dab sehon Lymphosarkome der Zunge nur gelegentlich vorkommen, dab aber Lymphosarkome in der Orbita nur #iufierst selten sind.

Je tz t erst, naehdem dureh die Entfernung des Znngentumors das Spraehhindernis beseitigt war, gab der Patient zur Anamnese naehtrs lieh noeh an, dab bereits schon einmal ein halbes Jahr znvor eine eigroBe Gesehwulst am linken Kniegelenk yon seinem Hausarzt ambulant ent- fernt worden sei. Das Material sei fortgeworfen worden. Bei seiner heute 48j~.hrigen Toehter sei in ihrem dritten Lebensjahr eine g&nseeigroBe

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Gesehwulst an der linken A xilla entfernt worden. Bei seinem heute 46j ahri- gen Sohn wurde vor knapp 20 J a h r e n - - aueh aus der linken Kniekehle ! - - eine etwa daumendieke Geschwulst beseitigt. Itistologisehe Untersuchun- gen hatten nicht stattgefunden. Bei beiden sei bisher keine naehweisbare Tumorbildung aufgetreten.

Zusammenfassend muB jedenfalls an dem Beispiel eines Lympho- sarkoms der linken Zunge mit Metastasen in der linken Orbita, in der reehten Wange und in der linken Kniekehle eingestanden werden, dag unser Wissen um das Metastasierungssehema b6sartiger Tumoren gelegentlich noeh Liicken aufweist. Aueh der Histologe steht so manehes Mal vor grSBeren differentialdiagnostischen Schwierigkeiten. Besonders auffallend bei unserem Casus ist das zun/iehst so langsame Waehstum bei relativer Besehwerdefreiheit und keinerlei Rezidivierungsneigung nach Abtragung. Die operative Entfernung des Zungentumors und die Ab- tragung der beiden Geschwiilste aus dem Oberlid waren zweifelsohne indiziert, gewahrleisteten sie dem Patienten doeh den ungehinderten Sehluekakt, bewahrten ihn vor dem Erstiekungstod und gaben ihm das Spreeh- und ungehinderte Sehverm6gen wieder. Nachbestrahlung mit g6ntgentiefenstrahlen ist unerlal?lieh, da nieht geklart werden kann, ob nieht der Primartumor im Mediastinum, in Milz oder Darm zu vermuten ist. Lymphosarkome der Zunge sind nach dem Sehrifttum ~ufierst selten, in der Orbita noch seltener. Es drangt sieh die Frage des familiar bedingten Tumorgesehehens auf, denn an reine Zlffalligkeiten bei Vater, Tochter und Sohn mag man kaum noch giauben. Frevelhaft erscheint es auf jeden Fall, einmal exeidiertes Gewebe nicht der histologisehen Unter- suchung zuzufiihren.

23. E. M01{ITSCrt-Wien : Die relative Zunahme der Malignome als Todes- ursaehe im Hals-, Nasen- und 0hrenbereieh (Mit 3 Textabbildungen)

Ganz allgemein treten neben den Kreislauferkrankungen und nun- mehr auch den Unfifllen bSsartige Tumoren als Todesursache hnmer mehr in das Bhckfeld. Im I-Ials-, Nasen- und Ohrenbereich spielten friiher die entzfindlichen Erkrankungen und deren Komplikationen die domi- nierende letale Rolle. Dies hat sich abet im Laufe der letzten 10 bis 15 Jahre, hauptsaehlieh dutch die Einfiihrung der Antibiotica, merMieh gewandelt. So mfissen wit auch in unserem Faehgebiet sehen, dab die malignen Geschwiilste immer haufiger als Todesursache erscheinen. Urn diese J~nderung in den Zahlenverhaltnissen genauer zu veranschaulichen, haben wit aus dem Krankengut der I. Uni~;ersit/~tsklinik fiir Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten in Wien, Vorstand Professor SCHIJA~- D]~R, die Todesfalle der Jahre 1946 his einsehlieglieh 1958 zu einer Statistik zusammengestellt.