betaste mich!

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BETASTE MICH! Auf dieser Seite sehen Sie mehr als eine Klaviatur. Sie können anhand der Tastenlänge genau ablesen, welche Noten in dem cis-Moll Nocturne Nr. 20 von Frédéric Chopin am meisten gespielt werden. Je länger die Taste ist, desto öfter kommt diese Note in der rechten Hand vor. Das Gis wird 31 Mal angeschlagen, das Cis und das E jeweils 30 Mal. Diese drei Noten bilden den cis-Moll-Dreiklang – die Basis der Nocturne. Die größten Meisterwerke Chopins sind heute Abend im Pfalzbau zu hören – interpretiert von Starpianist Arcardi Volodos und den Gewinnern des Chopin-Wettbewerbs in Warschau. Beim Chopin-Wettbewerb in Warschau wird alle fünf Jahre der beste Klavierspieler gesucht. Nun kommen die Gewinner nach Ludwigshafen. Mit ihnen tritt heute Abend auch der russi- sche Pianist Arcadi Volodos im Pfalzbau auf. Auf den folgenden Seiten zeigen wir Ihnen die Konzerthöhepunkte und stellen Ihnen die Teilnehmer vor - Sie treffen nicht nur die Gewin- ner des Chopin-Wettbewerbs, sondern auch Frédéric Chopin selbst. Diese Beilage wurde von Nachwuchsjournalisten geschrieben und gestaltet. Chopin und das Klavier waren die Mittelpunkte eines gemeinsamen Workshops, in dem wir uns einige Fragen gestellt haben: Wie entsteht gute Musik? Was ist Klassik heute? Und wie sehen die Gesichter dahinter aus? All das erfahren Sie auf den nächsten Seiten – und im Internet, auf unserem Blog: www.backstagediaries.wordpress.com.

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Supplement für die Rheinpfalz am 4.11.2010 anlässlich des BASF-Benefizkonzerts Volodos&Friends in Ludwigshafen.

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Page 1: Betaste mich!

BETASTE MICH!

Auf dieser Seite sehen Sie mehr als eine Klaviatur. Sie können anhand der Tastenlänge genau ablesen, welche Noten in dem cis-Moll Nocturne Nr. 20 von Frédéric Chopin am meisten gespielt werden. Je länger die Taste ist, desto öfter kommt diese Note in der rechten Hand vor. Das Gis wird 31 Mal angeschlagen, das Cis und das E jeweils 30 Mal. Diese drei Noten bilden den cis-Moll-Dreiklang – die Basis der Nocturne. Die größten Meisterwerke Chopins sind heute Abend im Pfalzbau zu hören – interpretiert von Starpianist Arcardi Volodos und den Gewinnern des Chopin-Wettbewerbs in Warschau.

Beim Chopin-Wettbewerb in Warschau wird alle fünf Jahre der beste Klavierspieler gesucht. Nun kommen die Gewinner nach Ludwigshafen. Mit ihnen tritt heute Abend auch der russi-sche Pianist Arcadi Volodos im Pfalzbau auf. Auf den folgenden Seiten zeigen wir Ihnen die Konzerthöhepunkte und stellen Ihnen die Teilnehmer vor - Sie treffen nicht nur die Gewin-ner des Chopin-Wettbewerbs, sondern auch Frédéric Chopin selbst. Diese Beilage wurde von Nachwuchsjournalisten geschrieben und gestaltet. Chopin und das Klavier waren die Mittelpunkte eines gemeinsamen Workshops, in dem wir uns einige Fragen gestellt haben: Wie entsteht gute Musik? Was ist Klassik heute? Und wie sehen die Gesichter dahinter aus? All das erfahren Sie auf den nächsten Seiten – und im Internet, auf unserem Blog: www.backstagediaries.wordpress.com.

Page 2: Betaste mich!

Die HornbrillenWer sich ein Werk der klassischen Musik

auf CD kaufen möchte, hat die Qual der Wahl. „Amazon.de“ liefert für Beethovens Neunte Sinfonie mehr als 700 verschiedene Einspielungen. Glaubt man den Rezensio-nen, ist jede vierte „die Referenzaufnahme“, jede fünfte „der Meilenstein“ und jede sechs-te „das Nonplusultra“. Die Entscheidung zwi-schen Karajan oder Celibidache, zwischen Bernstein oder Sinopoli, zwischen Fricsay oder Furtwängler wird zur Glaubensfrage. Neidisch blickt der Gequälte auf seinen Kol-legen aus dem Bereich der populären Musik: Eine Band. Ein Song. Eine CD. Fertig.

Aber für den schnöden Popbereich ist der Klassikfreak viel zu distinguiert. 4 Er will ein ganzes Regal voller Einspielungen von Beet-hovens Neunter haben, um dann in seinem Loft in der Innenstadt vor seinen hornbe-brillten Freunden ins Regal zu greifen und die Einspielung Karajans 14 von 1984 als eine seiner besten zu loben. Fast beiläufi g näselt er: „Mir war die Aufnahme anfangs fast zu schnell, aber wenn der Chor dann luftig über allem schwebt, da hat sie mich getroffen.“

Es scheint nichts Besseres zu geben, der Klassik-Olymp 9 ist erklommen.

„Aber wartet erst mal ab, bis ich euch die von Sinopoli vorspiele …“ Jetzt ist der Klas-sikfreak nicht mehr zu bremsen.

„Was haltet ihr denn davon?“ Schon steht die Frage des Verderbens im Raum. Denn mit einem einfachen „Schön!“ lässt sich der Klassikfreak natürlich nicht abspeisen. Wozu hat er sich denn die ganzen Fachausdrücke angelesen? „Die Agogik kulminiert im rasan-ten Presto des Orchesters, das die Partitur quasi a prima vista zu spielen scheint.“ So hat gefälligst eine Äußerung zu Karajans In-terpretation auszusehen.

„Schön“ ist hier gar nichts. „Schön“ ist David Garrett. Aber der ist ja Pop.

Dominic Possoch

Das Styling„Als erstes habe ich mir meine Zähne

richten lassen.“ Das antwortete Paul Potts auf die Frage, was er mit seinem Preisgeld als

erstes angestellt hat, das er bei der Casting-Show „Britain‘s got talent“ gewonnen hat. Schaut man sich ältere Bilder von ihm an, kann man diese Entscheidung verstehen. Ob der Telefonverkäufer nun wegen seines etwas unbeholfenen und schüchternen Auf-tretens oder wegen seines Talents gewonnen hat, bleibt dahingestellt. Sieg bleibt Sieg.

Eine Vorher-Nachher-Show im Sinne von Potts tritt oft zeitgleich mit dem Erfolg auf; ob sich der Künstler an die Mode-, Stil- und Figur-Ideale plötzlich oder schleichend an-passt, ist unwesentlich. Fakt ist, dass sich letztendlich fast jeder der Macht der Mode und des Konformismus beugt, sei es in der Popkultur oder in der Klassik. David Garrett, der neue Beau 11 in der klassischen Branche, ist nicht nur durch sein Können auf der Gei-ge berühmt geworden, sondern durch die geschickte Vermarktung seines Aussehens: Lederarmbänder, lange Ketten und lässi-ge Kleidung lassen ihn zu einem Modegeck werden. Werbekampagnen mit Modelabels oder einfach nur chic in Szene gesetzte Foto-strecken kommen dazu, um ein neues, kauf-kräftiges Publikum zu erschließen. Tadellos zurechtgemachte Opernsängerinnen auf den großen Bühnen, Diven gleich, brauchen Ausstrahlung, Selbstbewusstsein 17 und ei-nen edlen Stil, anders gehen sie unter. Anna Netrebko & Co. fungieren als Callas‘ Erben:

Auf der Bühne verschwindet der Mensch, hervortritt die kühle und unnahbare Künst-lerin.

Die Klassik-Kultur ist längst zu der des Pops geworden. Michael Jackson 6 würde uns von dieser Plagerei um Ideale ein Lied sin-gen, wenn er noch könnte. Er ist schließlich King of Pop geworden – mit falscher Nase. Und Beth Ditto? Die hat sowieso ihr eige-nes Styling und zieht sich bei Live-Auftritten regelmäßig aus – obwohl erst von einer Zeit-schrift zur unerotischsten Frau gewählt, die aktuell auf der Bühne steht.

Annette Thoma

Der KonzertsaalDer Kampf um das letzte Camembert-

Brötchen beim Bäcker, das Gezänk um den freien Parkplatz 9 – der Alltag des moder-nen Menschen ist ein einziger Wettkampf-Marathon. Am Schönsten ist es deshalb, entspannt dabeizusitzen und zuzuschauen, wenn bei den anderen das Tierische über die Zivilisation triumphiert. Dabei kann man wahlweise mitleiden oder sich einfach daran erfreuen, dass man diesmal nicht selbst der Dumme ist.

Eins ist klar: Der Beste gewinnt. Was im Sport seinen Anfang genommen hat, er-

streckt sich inzwischen auf fast alle Bereiche der menschlichen Existenz: Es gibt Wett-kämpfe im Schönsein, im Computer spielen, im Donut essen – warum also sollte unser Kampfgeist 8 vor der Kunst haltmachen?

Wettkämpfe in der Kunst kultivieren sogar die Zuschauer: Statt in der Jogginghose vor dem Fernseher sitzt man in der Abendrobe16 auf einem harten Stuhl. Voraussetzung für einen Wettbewerb sind mehrere Teilnehmer, die mehr oder minder das Gleiche tun. Ge-radezu prädestiniert dafür ist die klassische Musik, denn dort spielt tatsächlich jeder dasselbe, Note für Note. Während im Jazz wirr 4 improvisiert wird und in der Bildenden Kunst sowieso jeder macht, was er will, kann man hier den Freuden des Wettkampfes frö-nen, ohne zum Banausen zu werden.

Bewertungskriterien gibt es zuhauf: Rich-tige Töne zum Beispiel, schließlich soll ja verglichen werden und das funktioniert nur, wenn alle Kandidaten auch wirklich genau dasselbe spielen. Oder die Geschwindigkeit: Warum sollte ein Stück zehn Minuten dau-ern, wenn mancher dafür nur zwei braucht?

Die Klassik ist eine Kunst der Ästhetik, der Perfektion. Der Wettkampf aber bringt steinzeitliches Flair in den Konzertsaal, es geht um alles oder nichts. Der Plattenvertrag ist das Camembert-Brötchen 19 der klassi-schen Musiker, dafür lohnt es sich zweifellos

zu kämpfen. Bleibt eine letzte Frage aus der Bastion der schöngeistigen Musikfreunde: Ist das wirklich schön?

Marielle Sterra

Der TonCrazy Frog auf dem Handy, Deutsch-

land sucht den Superstar im Fernsehen und Kylie Minogue auf Youtube 22: Alle lieben Musik. Um seine Sucht gleich während der Bahnfahrt 14 befriedigen zu können, erträgt der Musikjunkie den scheppernden Klang des Aldi-Kopfhörers, obwohl er ihm Oh-renschmerz bereitet. Dafür kann der arme Kerl ja nichts, denn wir Deutschen werden zur Musik erzogen: Die kleine Tina ist schon zum Geigenunterricht angemeldet, obwohl sie noch nicht auf der Welt ist, Ernos Talent wird am Karaokeabend von seinen Kumpels bejubelt und Mr. Nobody 3 wird nach langer Suche Deutschlands neuer Superstar 3!

Weil jeder seinen Favoriten per Telefon wählt, glaubt selbst der unmusikalischste Zuschauer, einen erstklassigen Juroren ab-zugeben, ganz wie der Bohlen. „Ha! Da hat er’s verpatzt!“, ruft der Zuhörer, um sein gu-tes Gehör zu beweisen. Spätestens wenn „I will always love you“ zum zehnten Mal schief geseufzt wird, seufzt der Zuhörer genussvoll mit, denn mittlerweile hat er sich damit ab-gefunden, dass wohl keiner in dieser Sen-dung singen kann.

Aber wenn die falschen Töne niemanden mehr stören, wer soll dann die Pianisten bei einem internationalen Wettbewerb beurtei-len? Denn nicht nur die Mädels bei „Pop-stars“ gehen sich gegenseitig an die Gurgel, auch klassische Musiker messen sich bei un-zähligen Wettbewerben. Da ist einer besser als der andere, aber wer ist der Beste?

Mit wahnsinniger Geschwindigkeit rau-schen die Finger über die Klaviatur – keine Frage, das Instrument beherrschen sie alle. Aber selbst der Toyota Robot spielt Geige und sorgt damit für Aahs und Oohs. Die entscheidende Zutat fehlt dem Süppchen hier jedoch: Der Roboter kann Musik weder hören noch fühlen – und schon gar nicht be-greifen.

Svenja Thordsen

Männlich, 1,70 m, 50 kg, blondes Haar,

blaue Augen, Pianist. Chopin ist 200 Jahre alt. Chopin war Rechtsträger – eine Zeit lang rasierte er seinen Bart nur einseitig. Als Chopin seine zukünftige Geliebte zum

ersten Mal sah, fragte er sich, ob sie über-haupt eine Frau sei: „Wie unsympathisch diese

[George] Sand doch ist! “ Chopin hat kein Herz – sein Körper liegt in Paris, aber sein Herz

ist in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau einge-mauert. Während seiner Kur auf Mallorca wohnte

Chopin in einem Kloster - das trieb ihn fast in den Wahnsinn 17! Mit sieben Jahren komponierte Chopin

sein erstes Stück. Chopins Nocturnes eignen sich wun-derbar zum Schlummern und Träumen … Frédéric Cho-

pin schippert auf Elbe und Moldau – als Kreuzfahrtdampfer! Verliert man im Computerspiel „Digger“ ein Leben, ertönen der dritte und der vierte Satz von Chopins Trauermarsch. Chopin bricht jedem Klavierspieler die Finger! Szopen heißt er in Polen.

Chopin lebte in der Romantik. Chopin gibt es jetzt im Ge-schenkkarton: Intensiv, aber mild. Wunderbar ausgewogen zwi-schen einer dezenten Süße und einem leichten Brennen. CHOPIN Wodka. Blindekuh war sein Lieblingsspiel. „Von Geburt War-schauer, vom Herzen Pole und vom Talent ein Weltbürger“ (C.K. Norwid) Chopin wurde durch Schumanns Kritik über Nacht zum Star in Deutschland.

200WORTE ÜBER CHOPIN

WAS IST SCHÖN?

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Manchmal sind Worte austauschbar - besonders, wenn es sich um Musikkri-tiken handelt. Sie wollen einen Beweis? Auf der letzten Seite dieser Beilage ha-ben wir eine Kritik zum Selberschreiben für Sie vorbereitet – einen Lückentext, in den Sie die fehlenden Worte eintragen können. Oder Sie suchen die entspre-chenden Nummern im Text.

Lebenslinien: Chopins Vita als Skizze

Page 3: Betaste mich!

Piano-App für iPhone oder iPad

Der Smart unter den Pianos: Für weniger als einen Euro bekommt der Pianist die Appli-cation „Piano“ mit 88 Tasten – sichtbar sind auf dem Bildschirm aber nur acht. Reicht also knapp für „Alle meine Entchen“15. Es kommt eben doch auf die Größe an – oder auf die Dicke der Finger!

PIANOSFÜR JEDESBUDGET

079

8499

8000,-

1 00 000,-

Künstler fordern Musik für alle. Doch wer hat heute die Verantwortung, das Genre am Leben zu halten? Dass sich immer mehr musikferne Unter-nehmen im Alleingang einmischen, ist nicht der richtige Weg. Einige Vorschläge, wie man es in Zu-kunft anders machen kann.

„Der Klassik geht es gut!“ Das zumindest behauptet Stefan Piendl, Musikmanager bei BR-Klassik. Das CD- und Konzertange-bot sei fantastisch 1 , der Begriff der Krise in der klassischen Musik unzulässig. Mit dieser Meinung ist er nicht allein, auch die Geigen-virtuosin Anne Sophie Mutter prophezeit: „Die Klassik wird nie in eine Krise kommen. Sie wird uns alle überleben.“

Das sind erst einmal schöne Zukunfts-prognosen. Schaut man genauer hin, merkt man, dass nicht alles so rosig ist: Die klas-sische Musik und ihre Vermittlung schwin-den. Nicht bei den alteingesessenen Klassik-Liebhabern. Es fehlt an der Basis. Das Fach Musik wird am ehesten vom Stundenplan gestrichen. Das ist nicht nur in Deutschland der Fall, auch in England und den USA ver-schwindet die Musik aus den Schulen. Sind die Eltern der Schüler nicht mit Klassik ver-traut, fi ndet auch zu Hause keine Vermitt-lung mehr statt. Dann rückt kein Publikum in den Opern- und Klassiksälen mehr nach, dann könnte es sehr wohl zu einer Krise kommen. „Jeder sollte die Möglichkeit haben, klassische Musik zu er-leben.“ Die Meinung des Chefdirigenten der Berliner Philharmoni-ker, Simon Rattle, wird in diesem Fall ungehört untergehen.

Das jetzige Publi-kum wird zunehmend älter 13 – der nachwach-senden Generation fehlt die Berührung mit klassischer Musik in jungen Jahren. Wie sollen Schulen die-ses Problem angehen, wenn Sozial- und Kul-turausgaben gegen-einander ausgespielt werden? Der Bundes-etat für Bildung steigt zwar marginal, doch Kultur ist nach wie vor Ländersache. Der Ha-ken bei der Sache: Die Städte, Kommunen und Gemeinden sind pleite; Orchester und Musikschulen werden wegen Geldmangels geschlossen. Der Vor-schlag der Bildungs-ministerin Ursula von der Leyen, Kinder von Arbeitslosen durch Bil-dungsgutscheine trotz allem an dem Kultur-angebot teilhaben zu lassen, schlägt fehl. Die Musikschulen können unmöglich noch die Kinder von Hartz-IV-El-tern integrieren – dazu fehlt das Geld.

Die Finanzierung ist das Grundproblem: Steht ein Pop-Künstler bei einem Major-Label unter Vertrag, haben die Manager die Fäden in der Hand; es geht um Verkaufszahlen, um ei-nen Bekanntheitsgrad, den es zu steigern gilt und um Inszenierung seiner selbst. Die In-dustrie will an der Mu-sik mitverdienen. Auch die Klassik scheint von Geldgebern abhängig zu sein. Und die kom-men aus den unter-schiedlichsten Bran-chen, die nichts mit Musik zu tun haben. Ist

Winnie-Pooh- Blasharmonika

Zehn Tasten umfasst die Winnie-Pooh-Blasharmonika16 und ist die eierlegende Wollmilchsau unter den Instrumenten: Mit dieser Kreuzung aus Lineal, Flöte und Klavier können sich die Kleinen schon früh im Mul-titasking üben.

Bontempi-PianoDas Bontempi-Piano ist erhältlich bei

Aldi. 61 Tasten, 200 Sounds und 19 000 Soundkombinationen klingen nach einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis. Und das Beste daran: Sie müssen nicht ein-mal selber spielen – mit 100 einprogram-mierten Songs können auch talentfreie Mu-siker überzeugen!

Schimmel-KlavierDer Klassiker darf in keinem gutbürgerli-

chen Haushalt fehlen. „Für Elise“ und Schu-manns „Träumerei“ erwärmen auf diesem Instrument das Herz jeder Schwiegermutter 12. Falls nicht darauf gespielt wird, eignet es sich auch, um dekorative Blumen oder Por-zellanfi guren darauf abzustellen.

Flügel „Pegasus“Das Modell „Pegasus“ sieht aus wie eine

Mischung aus Konzertfl ügel und Raumschiff und steht bei Stars wie Eddie Murphy, Lenny Kravitz und Prince im Wohnzimmer. Ob die Herren Klavier spielen können, ist nicht be-kannt, aber in diesem Fall reicht wahrschein-lich die Optik aus, um die Damenwelt 12 zu beeindrucken.

Kuhn-Bö-sendorfer-Flügel

Jetzt schon an Weih-nachten denken: Für knapp eine Million Euro gilt dieses Modell aus dem Hause Bösendorfer als der teuerste neu angefer-tigte Flügel der Welt. Besetzt mit Juwelen und Kristallen ist dieses Schmuckstück die Vollendung jeder Weihnachtsdeko und lässt selbst Stücke von Richard Clayderman oder Udo Jürgens wie Musik erklingen.

Annette Yang

1 000 000,-

FLUCH ODER SEGEN?Kultur stiftet Identität. Mit oder ohne Unterstützung von Unternehmen.

Kunst und Kommerz – kann das Hand in Hand gehen? Der Meister der Selbstdarstellung, Andy Warhol, hatte keine Probleme damit. Die Ikone der amerikanischen Pop-Art verstand es zusammenzuführen, was bis dahin nicht zusammen gehören sollte: kommerziell angewandte - und darstellende Kunst. Aber dieser Meilenstein der Kunstgeschichte geschah nicht ohne Hintergedan-ken: In seinen Factorys (so nannte Warhol seine zahlreichen Ateliers in New York) schuf er Werke wie die Do-it-yourself-Bilder zum Selbstausmalen. Er ver-stand sie als eine maschinelle Persifl age auf die Konsumgesellschaft des 20. Jahrhunderts.

Heute ist das Miteinander von Kunst und Kommerz für viele Künstler über-lebensnotwendig: Der Staat muss sparen, Unternehmen haben das Sponsoring entdeckt. Was soll man davon halten? Der Chemiekonzern BASF in Ludwigs-hafen investiert seit 90 Jahren in die Kultur. Natürlich nicht ganz uneigennüt-zig – Image spielt eine Rolle. Klaus Philipp Seif, Leiter der Kulturabteilung bei BASF, zitiert dennoch den englischen Dichter William Blake: „Money is the curse of art.“ („Geld ist der Fluch der Kunst.“) Dann fügt er aber hinzu: „Das ist bei uns allerdings nicht so. Wir lassen den Künstlern ihre Freiheit.“ BASF fi nanziert klassische Konzerte, Tanz und Ballett, darstellende Kunst oder Foto- und Filmkunst. Dabei unterstützt der größte Chemiekonzern nicht nur Künst-ler, die sich bereits einen Namen gemacht haben, sondern auch neue Talente.

Aber warum tut BASF das? Dafür gibt es drei wesentliche Gründe: Erstens ist der BASF Kultur wichtig. Zweitens will man die Region Rhein-Neckar attrak-tiver gestalten. Und drittens „stiftet Kultur Identität und Sinn. Kultur bildet Image. Kultur ist ein relevanter Standortfaktor für unser Unternehmen“, sagt Seif. Womit die Ziele, die BASF mit ihrem Kulturmanagement verfolgt, erklärt wären. Schließlich will der Chemiekonzern so ansprechend wie möglich für sei-ne Wissenschaftler und Ingenieure sein. Die sollen mit ihren Familien in einer kulturell attraktiven Region leben und sich mit dem Unternehmen und seinem Nimbus identifi zieren. „Wirtschaft kann nicht ohne Kultur gedeihen. Außer-dem leisten wir mit unseren Aktivitäten einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung.“ Mit Folgen: Im vergangenen Oktober wurde das gesponserte Projekt der BASF „Junges Theater im Delta“ mit dem Deutschen Kulturförder-preis 2010 ausgezeichnet.

Erst durch Andy Warhols künstlerisches Geschick wurden Firmen wie Campbell mit ihrer Suppendose zum Kult erhoben – heutzutage haben sich die Abhängigkeiten von Kunst und Kommerz geändert. Die Kunst braucht die Unternehmen. Ein Beispiel: Der Staat hat dem Landesmusikrat Reinland-Pfalz 10.000 Euro für den Landesorchesterwettbewerb im kommenden Jahr gestri-chen. „Ich werde wohl bei Unternehmen um Geld betteln gehen müssen“, sagt Christoph-Hellmut Mahling, Präsident des Landesmusikrates. Kulturför-derung ist für ihn ein großes Thema. Wobei er die unabhängigen Varianten des Stiftens, Schenkens oder Spendens von Geld dem Sponsoring vorzieht. „Letzteres beruht immer auf einer Leistung und Gegenleistung“, sagt Mahling. „Dem kann man nur schwer gerecht werden.“

Kommerz ist auch ein künstlerischer Wettbewerb und somit ein weiterer Aspekt im Spannungsfeld zwischen Kunst und Wirtschaft. „Im Grunde ein zu-tiefst menschliches Bedürfnis“, sagt Seif. Ein Musikwettbewerb sei zum Bei-spiel die ideale Plattform für einen jungen Pianisten auf sich aufmerksam zu machen und sich der Welt zu präsentieren. Durch dieses Messen könne auch etwas Innovatives, etwas Kreatives entstehen. Esther Farys

Podiumsdiskussion zu „Kultur oder Kommerz? – Die Zukunft der Klassik“: Heute um 15 Uhr im Pfalzbau in Ludwigshafen.

es nicht zu überdenken, dass ein Klavierkon-zert mit hochrangigen Künstlern nur dank eines Industrie- und Chemiekonzerns hier in Ludwigshafen stattfi nden kann? Die BASF ist kein Einzelfall. Siemens sponsert die Fest-spiele in Bayreuth und Salzburg, VW hat so-gar ein eigenes Festival in Wolfsburg auf die Beine gestellt. Und Audi fördert ebenfalls die Salzburger Festspiele und ein werkeigenes in Ingolstadt. Wo ist der Bildungsanspruch des Staates? Muss sich die Kultur, insbesondere die Musik, von Geldgebern aus der Industrie abhängig machen? Unternehmen können Künstler fördern – aber nicht im Alleingang!

Um zumindest zu versuchen, die Klassik wieder ins Blickfeld der breiten Öffentlich-keit zu rücken, wenden sich Plattenlabels an das meist genutzte Medium der heutigen Zeit: Das Fernsehen. Dort wir Klassik auf zwei Arten vermittelt: Publikumsfreundlich und vorgekaut auf Nischenprogrammen, oder gespielt durch einen unauthentischen Quotenstar, der die Stücke einfach nur run-terreißt.

Die Vermarktung hat zunehmend von der klassischen Musik Besitz ergriffen; ein aktu-elles Beispiel ist David Garrett. Das, was der Geiger auf der Bühne macht, hat nicht viel mit Klassik zu tun; Eleonore Büning, Musikre-dakteurin der „FAS“, würde Musiker wie ihn

ein „verarbeitetes Klassikschnitzel“ nennen. In einem Artikel über die Echo-Verleihung schreibt sie von einer „Verpopularisierung der Medienwelt“ – zu Recht. Garrett könnte allerdings schon das Ende der Popularisie-rung der Klassik einläuten. Der Trend starte-te mit Anna Netrebko, von der man heute in den Medien nur noch wenig hört. Der Pianist Lang Lang, vor Kurzem noch groß gefeiert, hat die Deutsche Grammophon inzwischen verlassen und füllt kaum noch Konzertsäle. Dieses Konzept funktioniert nicht mehr. Es darf nicht funktionieren.

Sobald sich klassische Musik für die brei-te Masse öffnet, verkauft sie ihre Seele, sie macht sich abhängig von Quoten, Verkaufs-zahlen und Kommerz. Sie wird ausgebeutet und geschröpft, bis nur noch eine seelenlose Technik 10 dargeboten wird – für seelenlose Menschen. Unglaubwürdige Stars treten im Fernsehen auf, und das, so scheint es leider häufi g, nur um des Geldes und der Show willen. Die achtsame Pfl ege des Images hat eine höhere Priorität als der Geist der vor-getragenen Komposition. Das Niveau der klassischen Musik scheint stetig zu sinken; die Vermarktung erinnert eher an Quoten-programme wie „Deutschland sucht den Su-perstar“ oder „Das Supertalent“. Die Klassik übernimmt zunehmend die Kriterien aus der

Popkultur: Ohne Aus-strahlung kein Ansehen, ohne Image kein Erfolg. Wo bleibt die Musik? Wo bleibt der Anspruch?

Das fragt sich auch Götz Alsmann 6. Seine „Nachtmus ik“-Unter-haltungsshow wird von Kritikern als „Häppchen-Kultur“ verschrien. „Doch wenn man nicht mal das macht, wo soll die Klas-sik dann noch bleiben?“, fragt er, und damit hat er nicht Unrecht. Auf die Frage, ob er die Klassik in der Krise sehe, antwortet er ganz klar mit einem „Ja“ und fügt hinzu: „Und sie ist selbst schuld daran.“ Die volksnahe Vermittlung fehlt völlig, seiner Mei-nung nach muss sich das Feuilleton weiter öffnen und lockerer 13 werden. Der Anspruch könnte da-durch sinken, aber Als-mann sieht keine Alterna-tive, um zumindest den interessierten, modernen Klassik-Hörern die Musik näher zu bringen. Ein Ver-such ist es wert, das steht außer Frage.

Doch mit einer ge-zwungenen Öffnung zur breiten Masse zieht die klassische Musik an einem Strang mit der Popmusik, sie müsste sich ändern und an die Mainstream-Konzepte anpassen. Aber Klassik darf sich nicht ver-kaufen. Sie muss so blei-ben, wie sie ist. Sie sollte dafür sorgen, dass trotz der technischen Entwick-lung und Virtualität die aktive Vermittlung nicht abreißt. Und das passiert nicht über eine perfekt inszenierte Show im Fern-sehen, sondern durch er-fahrene Menschen, Eltern und Schulen. Die Platten-labels 22 müssen loyaler werden: Der Künstler ist keine Geldeinnahmequel-le. Aber an der Spitze steht der Staat: Er muss als Ers-ter umdenken und Musik als eine Investition verste-hen, eine Investition in die Kinder. Nur so kann die Klassik uns überleben.

Annette Thoma

8,-

DIE ZUKUNFT DER KLASSIKOhne Moos nix los – das gilt auch für die Musik. Für Plattenfi rmen sind Künstler Investitionen. Für Firmen bildet Kultur das Image. Kann das gutgehen?

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Page 4: Betaste mich!

Lässig an sein Klavier gelehnt wirkt er, als wäre der erste Preis des 16. Internationalen Chopin Klavierwettbewerbs ihm sicher. In-golf Wunder 7 kam, sah – und wollte siegen.

Wunder war schon einmal da. Vor fünf Jahren ist er in der Vorrunde ausgeschieden. Damals war er 20 Jahre alt und sein Miss-erfolg ein Skandal. Damals hat er auch be-schlossen, beim nächsten Mal zu gewinnen. Am Klavier gab es für ihn deshalb nur noch Chopin: Zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, zwei Jahre lang. „Chopin ist wie Philosophie, das ist nichts für jedermann“, sagt er.

Wunder ist nicht jedermann und das weiß er. Er ist eine Persönlichkeit: talentiert, eloquent, manche meinen arrogant. Er galt als Favorit des Wettbewerbs, das Publikum klatschte bei keinem lauter. Er selbst weiß genau, was er will: Musik machen ohne Stress. Das heißt, vor allem wenig Ausge-wähltes spielen. Leisten kann sich das nur, wer in der klassischen Musikszene eine star-ke Position einnimmt.

„Nicht jeder will solch eine starke Persön-lichkeit, viele sind davon irritiert“, weiß das Jurymitglied und der Gewinner des Wettbe-werbs aus dem Jahr 1980 Dang Thai Son. „Aber Wunder kommt Chopin näher als vie-

„Stille Nacht“ ist nicht nur eines der be-kanntesten Weihnachtslieder, sondern es ist auch die bevorzugte Arbeitszeit von Arcadi Volodos. Der Mann ist kein Frühaufsteher. Er liebt die nächtliche Stille und Einsamkeit. Wenn andere schlafen, lässt der russische Pianist die Klaviatur erklingen – in seinem Kopf. Denn neue Stücke zu lernen ist für den 38-Jährigen eine Sache des Gehirns.

Mit technischen Schwierigkeiten muss-te sich Volodos noch nie plagen. In einem Interview mit dem Musikjournalisten Axel Brüggemann sagte er: „Ich habe mich immer um das Üben gedrückt. Und mich selten ge-quält, wenn ich geübt habe. Musik machen ist für echte Musiker ein Kinderspiel.“ Die ersten Tonleitern auf dem Klavier beherrsch-te der Sohn eines Sängerpaares im Alter von acht Jahren. Erst mit 16 wurde ihm klar: Das Musikerdasein ist seine Berufung. Er wollte Pianist werden. Das Studium in St. Peters-burg, Moskau, Paris und Madrid sowie ein Zufall verhalfen ihm zu weltweitem Erfolg: Ein Musikmanager hörte Volodos im Haus eines Freundes in Südfrankreich und bot ihm sofort einen Exklusivvertrag an. Schon mit seiner ersten CD erhielt Volodos 1997 den Deutschen Schallplattenpreis.

Ein Jahr später erreichte er mit seinem umjubelten Auftritt in der New Yorker Car-negie Hall den großen Durchbruch. Seither fasziniert er Publikum und Kritiker gleicher-maßen. Technische Schwierigkeiten scheint es für ihn nicht zu geben: Mühelos meistert er Sprünge, Läufe und Verzierungen. Doch seine Fähigkeiten sind für den Idealisten Volodos nur Mittel zum Zweck: Musik soll die Welt schöner machen. Geschwindigkeit spielt dabei keine Rolle. Das Publikum soll den Pianisten vergessen und sich von den Gefühlsmomenten der Musik forttragen las-sen. Der Erfolg hat ihn nicht verdorben. In Gesprächen schüchtern, eher einsilbig, hat Volodos seine Sprache in der Musik gefun-den: Er kann mit ihr schmeicheln, säuseln 8, klagen und brüllen.

„Das ist das Schöne an der Musik, dass sie ohne Worte auskommt“, erzählt der Klavier-poet. „Für mich ist es ein großes Privileg, ein

MEISTEROHNEÜBUNG

ALLE BLICKE GEHEN NACH OBEN

le andere.“ Nach drei Wochen Wettbewerbs-prozedere muss endlich eine Entscheidung getroffen werden. Und das wird auch Zeit, fi ndet Son. Als Jurymitglied hörte er jedes Konzert, das hieß konzentriertes Zuhören manchmal acht Stunden am Tag: „Ab einem gewissen Punkt ist es für den Körper schlicht-weg zu viel. Das ist nicht mehr menschlich.“

Nicht nur die Jury, sondern ganz War-schau wartete auf das Urteil. Im 200. Ge-burtsjahr des berühmtesten Sohnes der Stadt ist der Rummel um den Wettbewerb noch größer als in früheren Jahren. Die Ver-leihung wird im ganzen Land ausgestrahlt, Präsident Komorowski hält eine Rede.

Wunder ist noch immer Favorit, doch alle zehn Finalisten sind hervorragende Pianis-ten. Nuancen entscheiden, wer siegen wird. „Alle Teilnehmer sind erstklassige Pianisten“, erzählt auch Son. „Doch ich will keinen erst-klassigen Pianisten, sondern einen erstklas-sigen Künstler. Davon gibt es nur Wenige.“ Jeder Finalist will einer dieser wenigen sein.

Das Foyer der Nationalphilharmonie füllt sich. Boden und Säulen sind aus Marmor, an den Wänden hängen große Spiegel, an der Decke baumeln zierliche Kronleuchter. Eine Treppe links und eine Treppe rechts führen nach oben. Oben befi ndet sich der

Konzertsaal. Oben diskutiert die Jury. Nach oben gehen auch die Blicke der Menschen unten im Foyer und warten, dass irgendje-mand herunterkommt.

Wunder und seine Konkurrenten stehen

Die drei Preisträger des Chopin-Wettbewerbs treten im Rahmen des Benefi zkonzerts„Volodos & Friends“ heute Abend um 21:00 Uhr im Konzertsaal des Pfalzbaus auf.

in unterschiedlichen Ecken. Aber umringt von Angehörigen, Bewunderern und Journa-listen ist jeder allein. Die Jury verspätet sich um eine halbe Stunde und die ersten War-tenden setzen sich müde auf die rechte Trep-

Arcadi Volodos wird mit den drei Preisträgern des Chopin-Wettbewerbs im Rahmen des Benefi z-konzerts „Volodos & Friends“ heute Abend um 21:00 Uhr im Konzertsaal des Pfalzbaus auftre-ten. Restkarten gibt es an der Abendkasse. Auf dem Programm stehen Werke von Schumann und Skrjabin.

pe. Von dort lässt es sich entspannter nach oben blicken. Spannung 18 wird Langeweile, Langeweile 18 wird Unruhe 5, Unruhe wird Spannung.

Rastlos sind vor allem die Journalisten: Wo stehen die Chancen besser, das erste Siegerlächeln vor die Kamera zu bekommen? Wunder steht still. Er ist kaum noch zu sehen, die meisten Journalisten haben sich für ihn entschieden. Wie sicher er selbst in diesem Moment wohl ist? Eine weitere Viertelstunde später kursieren die unterschiedlichsten Ge-rüchte: Ein einziger Juror soll mit einem Veto die Entscheidung aufhalten. Es soll zwei ers-te Plätze geben. Ein Kandidat habe sich ins Finale eingeklagt. Blick nach oben.

Kurz nach Mitternacht kommt die Jury endlich die linke Treppe herunter. Im Foyer wird es still, man stellt sich auf Zehenspit-zen: „Der erste Preis des 16. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs geht an – Yuli-anna Avdeeva.“ Sofort stürzt die Menge mit Glückwünschen 15, Mikrophonen und Kame-ras auf die russische Gewinnerin zu. Avdeeva dreht sich ruckartig um, stürmt die rechte Treppe hinauf. Der Pulk rennt hinterher. Die Siegerin ist aus dem Blick. Sie ist oben. Wun-der nicht.

Sabrina Waffenschmidt

großes Geschenk, einen wirklichen Zugang zur Musik zu haben.“ Womöglich auch ein Grund, warum der Liebhaber der deutschen Romantik noch keinen Klavierwettbewerb bestritten hat. Denn die einzige Jury, die für Volodos glaubwürdig und repräsentativ ist, ist das Publikum.

Er besitzt nicht die Präsenz eines Lang Lang, das Aussehen einer Anna Netreb-ko oder den Witz eines Rolando Villazon. Schwer zu vermarkten ist Volodos trotzdem nicht: Kritiker loben ihn als „Energiezentrum, in dessen Nähe jede Note zur Besonderheit aufblüht“ (Der Standard). Die Rheinpfalz bezeichnet Volodos als „Hexenmeister in sei-nem Element“. Und der Mannheimer Mor-gen tituliert ihn als „Tastensinfoniker “ 20.

Unbeeindruckt von all dem, versucht er ein – für einen Künstler – „normales“ Leben zu führen. Denn seine Liebe gehört nicht der Musik allein: „Ich bin in die Informatik verliebt“, gesteht der Pianist, der auf seinem Computer von Zeit zu Zeit Filme entstehen lässt. Nach Konzerten liest er lieber Bücher oder tut gar nichts, statt sich auf Empfän-gen feiern zu lassen. Ruhe fi ndet er bei lan-gen Spaziergängen, aber auch Inspiration. Und wenn mal nichts passiert, genießt er die stillen Nächte – schließlich braucht Volodos kein Klavier, um Tonabfolgen in seinem Kopf entstehen zu lassen.

Esther Farys und Annette Yang

Herr Dang, Sie haben wegen Ihres Konzertes in Deutschland extra die große Amerika-Tour unterbrochen und sind von Boston nach Lud-wigshafen gekommen.

Kämpfen Sie immer noch mit dem Jetlag?Ein bisschen. Aber, wenn ich vom Westen

in den Osten reise, ist das zum Glück nicht so schlimm. Im Hotel bin ich um acht Uhr morgens angekommen und habe erst ein-mal bis zum späten Mittag geschlafen. In Amerika stellte ich schon meine Uhr um und orientierte mich an der Ortszeit in Deutsch-land. Außerdem versuche ich aktiv zu blei-ben und zu arbeiten. Wenn ich dann müde werde, mache ich einfach einen Spaziergang im Freien.

Als Sie Kind waren, hat Ihre Mutter, die auch Pianistin war, Ihnen Klavierstunden gegeben. War das für Sie eine eigenartige Situation?

Nein, keinesfalls. Meine Eltern wollten gar nicht, dass auch ihr jüngstes von vier Kindern Klavier lernt. Aber wie das nun einmal so ist: Zwingen einen die Eltern zu etwas, will man es nicht. Mich drängte niemand, deshalb wollte ich unbedingt Klavier spielen. Und es war keinesfalls leicht.

Warum? Ist Ihnen das Üben schwer gefallen?Nein, das war es nicht. Im Vietnam brach

der Krieg aus. Meine Familie und ich muss-ten aus meiner Geburtsstadt Hanoi fl üchten. Dort gab meine Mutter allerdings Klavierun-terricht. Als wir in die Berge gingen, schlos-sen sich auch die Familien ihrer Musikschü-ler an. Sie konnte weiter unterrichten, und ich wurde ihr Schüler.

In den Bergen wurden Sie mit 16 Jahren vom russischen Pianisten Isaac Katz entdeckt. Wie kam es dazu?

Oh, Isaac Katz hat mein Leben verändert. Er war ein Experte aus Russland, der sich ein paar der besten Schüler unserer Musikschu-le anhörte. Ich spielte damals ganz leichte Stücke, doch das gefi el ihm so gut, dass er auf mich aufmerksam wurde. Plötzlich sollte

Der Chopin-Wettbewerb in Warschau ist der wichtigste der Welt. Nun kommen die Sieger nach Ludwigshafen. Eine Reportge von der Entscheidungsnacht.

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ArcardiVolodos

VOM JUNGEN AUS DEMHINTERLAND ZUMPIANISTEN IM PARADIESDang Thai Son ist der Vorzeigepianist der asiatischen Musikwelt. Gestern spielte er ein Chopin-Konzert in Ludwigshafen.

ich das zweite Klavierkonzert von Rachma-ninow spielen.

Ein schweres Stück für einen Anfänger.Ja, in der Tat. Ich war geschockt 2 und

wusste nicht, ob ich mich dieser Heraus-forderung stellen sollte. Doch meine Eltern sagten mir, dass Katz an mich glaubt, sonst hätte er mich ja nicht ausgewählt. Das mo-tivierte mich. Und in zwei Monaten konnte ich das Stück spielen.

Aber wie kamen Sie von Vietnam an das Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium? Ihr Vater, ein kritischer Poet, war politischer Dissident und durfte das Land nicht verlas-sen.

Das war sehr schwer und nur mit viel Druck seitens eines russischen Politikers möglich. Ein Traum wurde für mich wahr: Von einem kleinen Jungen aus dem Hin-terland wurde ich zu einem Pianisten im Paradies. Allerdings mit viel, viel Übung. Denn dass ich Talent hatte, war nicht das Problem. Meine Technik war miserabel. In-nerhalb des ersten Jahres war das Problem fast beseitigt. Im zweiten Jahr spielte ich das dritte Klavierkonzert von Rachmani-now und im dritten nahm ich am Chopin-Klavierwettbewerb in Warschau teil.

Den Sie auch gleich gewonnen haben – mit 22 Jahren und als erster asiatischer Pianist. Warum, glauben Sie, ließ man Sie damals an dem Wettbewerb teilnehmen?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, aber mein Lebenslauf kann es nicht gewe-sen sein. Da stand in wenigen Worten mein ganzer Werdegang: Geboren in Hanoi/Vi-etnam, Studium in Moskau. Andere hatten seitenweise ihre Erfahrungen aufgelistet. Ich hatte keine vorzuweisen. Vielleicht aber, weil ich aus Vietnam kam und es solch ei-nen Teilnehmer noch nie gegeben hat.

Und wie konnten Sie die Jury von sich über-zeugen?

Ich liebe Frédéric Chopin. Chopin ge-hört zu meinem Leben, seit dem ich den-ken kann. Meine Mutter hat oft, wenn es

draußen schon stockdunkel war, am Kla-vier gesessen und Chopin gespielt. Es war herrlich. Aber es war nicht nur die Leiden-schaft zu Chopin. Ich hatte auch keinen Leistungsdruck. Mich kannte niemand, da wäre eine Niederlage nicht schlimm gewesen. Ich spielte sogar die ersten Run-den in meiner ganz normalen Kleidung. Die Jury ließ für mich extra für das Finale einen wunderschönen schwarzen Anzug aus Samt schneidern, weil ich so klein und zierlich war. Mir passte ja sonst nichts. Ich hatte nur 44 Kilogramm.

Welches Gefühl überkam Sie, als Sie erfuh-ren, dass Sie den Wettbewerb gewonnen hat-ten?

Ich war schockiert, fast panisch. Ich konnte mit dem Erfolg nicht umgehen. Und beschloss, auch deswegen zuerst mein Studium in Moskau abzuschließen.

Vergangenen Monat saßen Sie selbst in der Jury des Warschauer Chopin-Klavierwett-bewerbs, wo überraschend die asiatischen Nachwuchspianisten in den ersten Runden bereits ausschieden. Wie können Sie sich das erklären?

Russland war in diesem Jahr einfach sehr stark. Die Asiaten waren technisch zwar sehr gut, doch in einem monografi -schen Wettbewerb wie diesem muss man einfach tiefer gehen.

Noch eine allerletzte Frage zum Schluss: Sie können auf ein sehr erfolgreiches Leben zu-rückblicken. Haben Sie da eigentlich noch Träume und Wünsche?

Natürlich. Ich möchte immer ein glück-licher Künstler sein.

Das Interview führte Esther Farys

Hände sind die Werkzeuge der Pianis-ten. Dang Thai Son hat uns seine Hand zur Verfügung gestellt.

Page 5: Betaste mich!

Ein Konzertsaal und ein Techno-Club haben auf den ersten Blick etwa so viel miteinander gemein wie ein Fünf-Sterne-Hotel mit einem Outdoor-Camp. In ersterem geht es kultiviert und gepfl egt zu, in letzterem strebt man nach Freiheit in jeglicher Hinsicht: Akustik gegen Elektronik, Geist gegen Körper, Alt gegen Jung. Die Klassikszene weigert sich meist elektro-nische Musik, vor allem wenn sie aus dem populären Bereich stammt, überhaupt als solche zu bezeichnen, gängiger ist der Begriff „Lärm“. Aber sind die beiden Genres wirklich so weit voneinander entfernt wie es scheint?

Wer Parallelen zwischen Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ und den wummernden Bässen ei-nes Techno-Tracks sucht, wird sich erst einmal schwer tun. Zu groß scheint der Unterschied zwischen der vergeistigten Klassik, die den ausführenden Musikern ein enormes technisches Können abverlangt, und der Do-it-yourself-Mentalität, die in der Techno-Szene vorherrscht. Denn um die „Kleine Nachtmusik“ auf Konzertniveau zu spielen, erfordert es jahrelanges Üben. Techno dagegen hat zuallererst den Grundsatz, dass jeder mitmachen kann. Es be-darf keiner umfassenden musikalischen Ausbildung, die meist eine Frage der sozialen Her-kunft ist. Denn Geigenunterricht kann sich nicht jeder leisten.

Die ersten Techno-DJs 21 arbeiteten Anfang der Achtziger mit Synthesizern, die eigentlich als Begleitinstrumente für Alleinunterhalter 11 entwickelt wurden. Die Geräte waren ein Flop und wurden zu Spottpreisen verkauft. In Detroit, der Industriemetropole Nordamerikas, fanden sie ihren Weg in die ersten Techno-Clubs. Was dort aus den Boxen dröhnte, konnte jedoch nur entstehen, weil andere zuvor bereits den Weg der elektronischen Musik beschrit-ten hatten: House, Disco, Avantgarde wie die Musik der Band Kraftwerk – oder die des Komponisten Karlheinz Stockhausen, einem Vertreter der Neuen (klassischen) Musik.

Musik, die von Maschinen gespielt wurde, stand jetzt im Vordergrund. Die Techno-Be-wegung sieht darin eine Demokratisierung der Live-Performance: Denn eine Maschine, die allein den Sound erzeugt, ist austauschbar. Somit kommt es weniger darauf an, wer spielt, vielmehr geht es um die Musik selbst.

Diese Abkehr von der Hierarchie des Star-Kults wird auch von Puristen des Klassik-Be-triebs gefordert. Bei einem Konzert soll der Komponist im Vordergrund stehen, sagen sie. Aber ganz im Ernst: Wenn der Pianist Lang Lang ein Beethoven-Konzert spielt, wer im Pub-likum kommt wirklich wegen der Klaviersonaten?

Die Techno-Szene hat ein ähnliches Problem: Auch hier werden DJs allmählich zu Pop-stars. So legen Sven Väth und Paul Kalkbrenner am kommenden Wochenende im Hangar des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof auf, die Ankündigung der Veranstalter gleicht der eines Popfestivals.

Klassik oder Techno, trotz der vielen Unterschiede haben beide Genres dasselbe Problem: Ihre kommerzielle Vermarktung hat sie zu Opfern der Popkultur gemacht. Denn wo die In-szenierung einzelner Personen im Vordergrund steht, bleibt weniger Raum für die Musik.

Mit Freiheit hat das dann nur noch wenig zu tun, mit Vielfalt überhaupt nichts. Marielle Sterra

Der Virtuose ist ein Kind der Romantik. Während die Musik vorher im Dienst von Kirche und Staat stand, sprengte sie im 19. Jahrhundert die alten Grenzen. Der Künst-ler stand im Mittelpunkt und strebte nach Höherem. Ein neuer Typus war geboren: das Genie, das mit seiner Musik ins Unendliche hinaus wollte – der Virtuose, dem „gut“ nie gut genug war. Nicoló Paganini, der Teu-felsgeiger, war der erste. Er schaffte es, auf einer Saite der Violine so zu spielen wie es andere nicht auf vier vermochten. Mit sei-ner hageren Figur und seiner schwarzen Kleidung kreierte er ein neues Bild: das des wahnsinnigen, aber genialen Virtuosen. Sein Spiel wurde umjubelt und machte ihn zum Vorbild für Franz Liszt und viele andere.

Der Virtuose war der neue Star im Kon-zertsaal. Er machte sein Publikum atemlos 2 und zog den Neid seiner Kollegen auf sich. „So ein Affenzirkus“ muss sich Wilhelm Busch gedacht haben als er seine Bilderge-schichte „Der Virtuos“ gezeichnet hat. Hier dreht sich alles um ein exzentrisches Genie mit wirrem, langem Haar. Seine Finger lau-fen in ungeheurem Tempo über das Klavier. Der Zuhörer ist völlig verblüfft. Und da Vir-tuosität Bewunderung fordert, entfl eucht ihm am Ende des Konzertes ein begeistertes “Bravo-Bravissimo!”

Nicht umsonst ist Wilhelm Buschs Bil-dergeschichte eine Satire. Ob das Selbst-darstellertum eines Künstlers so viel blinde Verehrung verdient, ist fraglich. Seltsam 1, dass sich unser Bild vom Virtuosen in 150 Jahren nicht geändert hat. Es entspricht im-mer noch dem des genialen Irren, das Busch zu Papier gebracht hat. Aber ist Virtuosität noch zeitgemäß? Brauchen wir im 21. Jahr-hundert überhaupt einen Paganini?

„Jemand, der viele Noten in kurzer Zeit technisch brillant spielen kann, ist im Zirkus 7 besser aufgehoben als auf den Konzertpodi-en”, sagte der russische Pianist Arcadi Volo-dos kürzlich in einem Interview mit dem Mu-sikmagazin crescendo. „Wenn das Virtuosen 21

sind, brauchen wir keine mehr, denn wir haben Computer.“ Aber der Mensch ist kei-ne Maschine und so muss ein guter Musiker weitaus mehr mit auf die Bühne bringen als schnelle Finger. Er sollte vor allem die Mu-sik und das Anliegen dahinter verstehen. „Es gibt Leute, die zwar stundenlang üben, aber trotzdem nicht wissen, was sie spielen. Das ist so als würde man ein Gedicht lesen und nur einzelne Wörter begreifen, anstatt den Zusammenhang darin zu erfassen“, erklärt der Komponist Hans-Peter Dott.

Nur, wenn der Künstler seinem Publikum wirklich etwas zu sagen hat, entstehen die Momente, in denen wir Gänsehaut bekom-men oder unser Herz schneller klopft. „Ich erkenne einen Virtuosen daran, dass ich fas-ziniert bin. Ich komme nicht mehr hinterher, weil er mich mit seinem Spiel überfordert und mich auf diese Weise mit dem Eindruck zurücklässt, selbst nie zu etwas Ähnlichem in der Lage zu sein“, sagt der Berliner Musiker Martin Grütter. Also doch ein bisschen Paganini – ein wenig Bravo-Bravissimo nach Wilhelm Busch? Das Publikum scheint es so zu wollen. Es hebt den Virtuo-sen auf eine höhere Ebene. Wenn derjenige, der auf der Bühne steht, etwas tun würde, das nicht bewun-

dernswert, außergewöhnlich und – eben vir-tuos – ist, dann gäbe es schließlich keinen Grund, hinzuhören.

Aber nicht nur der Zuhörer - auch der Komponist fordert ein gewisses Maß an Vir-tuosität. Um Chopin gut zu spielen, muss man ein Virtuose sein. „Das geht gar nicht anders, weil er selbst über sehr hohe spiel-technische Fähigkeiten verfügt hat“, erklärt Hans-Peter Dott. Wer die hat, verströmt nicht automatisch die Aura des Virtuosen. Er verfügt vielleicht über alle technischen Fä-higkeiten, gibt aber der Kunst kein Gesicht.

Gefragt sind keine menschlichen Klang-maschinen, sondern Musiker mit einer See-le, die es schaffen, uns zu verzaubern - gern auch mit ihrem außergewöhnlichen Können und einem gesunden Maß an Selbstdarstel-lung. „Ich bevorzuge das Individuelle“, verrät der Pianist Dang Thai Son. Ein guter Virtuo-se bringt ein Stück von sich selbst in die Mu-sik ein. Er muss es schaffen, das Klavier, das eigentlich nur eine Maschine ist, zum Leben zu erwecken. Er muss wissen wie das Instru-ment reagiert, welche Farben und Stimmun-gen man daraus hervorzaubern kann. Und er muss besser sein als die meisten anderen. Der Musikwissenschaftler Günter Oesterle bezeichnet Virtuosität 21 als „permanente Überbietung“. Darin liegt aber auch eine Gefahr. „Der Anspruch immer weiter, immer höher, immer schneller führt in der Musik zu nichts“, sagt Hans-Peter Dott. „Wir sind ja nicht bei Olympia.“ Und das ist auch gut so.

Anne-Christin Döhle

„ICH WAREIN ROBOTER“ Kraftwerk und das Streben nach musikalischer Präzision.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Kla-vier zur Maschine. Edwin Scott Votey baute das erste elektrisch angetriebene, selbstspie-lende Klavier: Eine Notenrolle mit einge-stanzten Löchern wurde in den Klavierkas-ten eingebaut und abgespielt. Es klang zwar monoton, aber fehlerfrei, die Geschwindig-keit der ablaufenden Noten konnte beliebig eingestellt werden.

Der Wunsch nach mechanischer Perfek-tion 5 und exaktem Spiel haben einige Jahr-zehnte zuvor viele Pianisten gehegt, Schu-mann und Liszt zum Beispiel. Aber wenn man unter Virtuosentum einen fehlerfrei spielenden Menschen versteht, könnte er auch von einem elektrischen Klavier ersetzt werden. In der Natur des Menschen ist die Perfektion nicht vorgesehen.

Mit diesem Gedanken beschäftigten sich nicht nur die Menschen im vorletzten Jahr-hundert, in der heutigen Popkultur nehmen Bands wie Kraftwerk diese Überlegungen noch immer auf.

„Ein Wesen und ein Ding“ – diese Zeile sang die Band 1978 in „Die Mensch-Ma-schine“. Das Image einer fl eischgewordenen Mensch-Maschine tragen sie seit diesem Al-bum weiter, heute ist es ihr Markenzeichen. Es ging sogar so weit, dass sich die Musiker auf den Bühnen ersetzen ließen – durch ih-nen identische Puppen.

Interessant an ihrem technikversessenen Image ist: Die Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider haben eine klassische Ausbildung genossen. Schneider studierte am Robert-Schumann-Konserva-torium Querfl öte und spielt Geige und Gi-tarre sowie Hütter Orgel und Klavier. Die dort erlernten Fähigkeiten setzen sie zweifel-los in der Band um, denn die Parallelen zur Klassik liegen auf der Hand. Eins mit seinem Instrument zu werden ist in der klassischen Musik erstrebenswert. Die Violinvirtuosin Anne Sophie Mutter beispielsweise sagte einmal: „Die Geige ist die Verlängerung mei-ner Seele.“ Kraftwerk hat das in logischer Konsequenz auf die Spitze getrieben und verschmilzt mit ihren technischen Instru-menten zu einer emotionslosen und akku-

rat arbeitenden Maschinerie. Das verschafft ihnen problemlos den Zugang zu selbstbe-stimmter, technischer Präzision. Es scheint eine Art der Verehrung an den Perfektionis-mus einer Maschine zu sein. Fehlerhaftigkeit und Kunstfertigkeit müssen sich eben nicht ausschließen.

Der klare und kühle Sound, die unbeweg-liche Bühnenshow, die künstliche Selbstdar-stellung 20 der Bandmitglieder: Das gesamte Design bei Kraftwerk war neu. Und dement-sprechend die weltweite Aufmerksamkeit. Die Idee war nicht, sich als unbeteiligte, neutrale Macher hinter die Technik zu stel-len. Die Musiker werden eins mit den Syn-

thesizern, wie ein großes, präzis laufendes Uhrwerk. Sie haben erkannt, die Möglich-keiten und Hilfsmittel ihrer Zeit zu nutzen, damit die Vision keine Vision bleibt, sondern in Klang umgesetzt werden kann.

Der Drang zur Perfektion und der ma-ximale Anspruch, den man an sich stellt, müssen nicht immer so tragisch enden wie bei Robert Schumann – der benutzte eine schmerzhafte Apparatur, um seine Hände beweglicher und geschmeidiger zu machen. Die Folge: Seine Karriere als Virtuose war be-endet, bevor sie überhaupt beginnen konnte.

Annette Thoma

DER VIRTUOSE Von einem Musiker wird Perfektion erwartet – ist das noch menschlich?

MEISTEROHNEÜBUNG DIE OPFER

DERPOPKULTURDer Starkult ist eine Gefahr für die Musik.Warum Klassik und Techno dem Untergang geweiht sind.

Nicht umsonst ist Wilhelm Buschs Bil-dergeschichte eine Satire. Ob das Selbst-darstellertum eines Künstlers so viel blinde Verehrung verdient, ist fraglich. Seltsam dass sich unser Bild vom Virtuosen in 150

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Mensch – Maschine: eine Skizze von Anne Eger.

Das Cover des 1978 erschienenen Konzeptalbums „Die Mensch-Maschine“ der Elektroband Kraftwerk.

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Walzer

PolonaisenImpressumDie BASF war die erste Firma der Regi-on, die aktiv den Nachwuchsjournalis-mus förderte. Bereits vor zwei Jahren haben Nachwuchsjournalisten eine Bei-lage zum Benefi zkonzert mit Gustavo Dudamel erstellt. Dieses Supplement entstand anlässlich des Journalisten-workshops im Rahmen des BASF-Bene-fi zkonzertes 2010 mit den Preisträgern des Chopin-Wettbewerbs und Arcadi Volodos. Es wurde komplett von Nach-wuchsjournalisten und -grafi kern ge-staltet und realisiert.Text: Annette Thoma, Svenja Thordsen, Esther Farys, Marielle Sterra, Oktavia Depta, Annette Young, Anne-Christin Döhle, Anne Exer, Jasmine Eger, Domi-nic Possoch, Sabrina Waffenschmidt.Grafi k: Jasmin Nikolic, Marion Held.Workshopleitung: Axel Brüggemann (v.i.S.d.P.) Bildnachweis: S.4 Uwe Arens, Bartosz Sadowski, S.5 EMI, S.6 Privat.Das Supplement wird der Tageszeitung „Rheinpfalz“ am 4. November beige-legt und erscheint in einer Aufl age von 30.000.Weitere Informationen im Blog unter: www.backstagediaries.wordpress.com

Gerrit Glaner, Leiter des Büros der Künst-ler- und Konzertabteilung bei Steinway & Sons, vertrat auf dem diesjährigen Chopin-Wettbewerb in Warschau das renommierte Unternehmen.

Herr Glaner, was ist das Geheimnis des Steinway-Flügels?

Jeder Flügel besteht aus rund 12.000 Teilen und ist trotzdem in-dividuell. Das ist wie bei uns Men-schen: Wir haben zwar das gleiche genetische Grundgerüst, sind aber dennoch verschieden. Ein wesent-licher Produktionsfaktor ist Hand-arbeit. Jeder Mitarbeiter verrichtet den Arbeitsgang, für den er zu-ständig ist, nach seinem Ermessen so gut wie möglich. Sich daraus ergebende leichte Schwankun-gen führen dazu, dass jedes In-strument auf seine Weise eigen ausgeprägt ist. Einen typischen Steinway-Klang gibt es nicht. Der Steinway verhält sich eher neutral, wird quasi zum Spiegel der musikalischen Vorstellungen des jeweiligen Pianisten. Wenn Brendel spielt, klingt der Flügel wie Brendel. Wenn Pollini spielt, klingt der Flügel nach Pollini.

Auch beim diesjährigen Cho-pin-Wettbewerb in Warschau waren Sie vertreten – neben Yamaha, Fazioli und Kawai. Gibt es einen Konkurrenzkampf hinter den Kulissen?

Wir alle wollen gewinnen. Auch unter den Klavierfi rmen herrscht ein Wettbewerb. Wir wollen positiv auffallen, su-chen Akzeptanz und Prestige. Das ist alles ganz mensch-lich. Natürlich gibt es unter-schiedliche Geschmäcker und Vorlieben unter den Wettbe-werbsteilnehmern, aber das muss man als Instrumen-tenfi rma auch akzeptieren. In der Regel kennt man eine Reihe der Teilnehmer aus früheren Wettbewerben

oder aus dem Konzertleben. Natürlich kann man sowohl im Vorfeld als auch während des Wettbewerbs Kontakt mit ihnen aufneh-men, gegebenenfalls Versprechungen ma-chen und Kooperationen aushandeln, um sie ins eigene Lager zu ziehen. Ich selbst hal-te wenig davon, bei anderen Firmen ist das aber durchaus passiert.

Wie stehen Sie zu einem Pianisten, der nicht Ihr Instrument spielt?

Natürlich freue ich mich über jeden, der für sich den Steinway wählt und ich gebe zu, je mehr es sind, desto schöner. Das we-sentliche Kriterium für mich aber ist die Mu-sik. Entscheidend ist, was auf dem Podium geschieht und wie es sich aufs Auditorium überträgt. Eine Darbietung bei einem Wett-bewerb ist ein denkbar einsames Unterfan-gen. Ich wünsche jedem, der auf die Bühne geht, dass er seine Bestform abrufen kann. Ich fände es ärmlich, meine Wertschätzung für einen Pianisten nicht nach seiner Kunst, sondern nach der Wahl des Flügelfabrikats auszurichten. Es mag Leute geben, die ihre Sympathien diesbezüglich kippschalterartig an- bzw. abschalten. Meine Sache ist das nicht.

Was könnte der Grund sein, warum sich eini-ge Teilnehmer gegen einen Steinway-Flügel im Wettbewerb entscheiden?

Ein Steinway hat eine tendenziell schwe-rere Spielart. Diese ermöglicht den Pianisten einen dezidierten Anschlag und eine diffe-renzierte Kontrolle bei der Tongestaltung. Wenn Sie mehr Widerstand in der Taste spüren, haben Sie ein besseres Gefühl für die Farbgebung. Bei den meisten Wettbe-werben wird das technische Können in den ersten Runden abgefragt und wer sich da zu häufi g vergreift, der fl iegt raus. Hierfür sind leichtgängige Klaviermechaniken ange-nehmer und bergen weniger „Unfallrisiko“. Da bei Wettbewerben in den ersten Runden meist genau dieses Repertoire gefordert wird, entscheiden sich manche Teilnehmer für den „sicheren“ Weg. Das ist völlig nach-vollziehbar. Abgesehen davon kommt es na-türlich auch vor, dass einem Teilnehmer der jeweilige Steinway einfach nicht liegt oder er generell eine andere Marke bevorzugt, sei es nun aus musikalischen oder auch außermu-sikalischen Gründen.

Steht bei Ihnen zu Hause auch ein Steinway-Flügel?

Nein, ich bin Klarinettist und Chorsän-ger. Aus dem Klavierunterricht bin ich wegen motorischer Faulheit im Alter von zehn Jah-ren rausgeschmissen worden. Aber ich habe immer Musik gemacht, habe ein gutes Ge-hör und ein gutes musikalisches Gedächtnis. Das Instrument, das bei mir zu Hause steht, ist ein geerbtes Pfeiffer-Upright-Klavier, was für meinen Bedarf völlig ausreicht. Aber die Klarinette ist eine Wurlitzer und das ist wie-derum der Steinway unter den Klarinetten.

Das Interview führte Oktavia Depta.

„DEN TYPISCHEN STEINWAY-KLANG GIBT ES NICHT“WERDEN SIE

KRITIKER!Die Konzertkritik als Lückentext

Es gibt Kritiken, die unglaublich klug klingen – aber sind sie es auch? Der deutsche Schauspieler Siegfried Lowitz hat einmal gesagt „Kritiker

sind wie Eunuchen: Sie wissen wie’s geht, aber sie können’s nicht“.

Die Wahrheit ist: Die meisten Kritiken lassen sich aus einem festen Wortbaukasten zusammenbasteln. Die beliebtesten Wörter der Kritiker

kennen Sie sicherlich: „Leichtigkeit“, „transparent“, „ausformulieren“. Natürlich sind all diese Schlüsselwörter austauschbar. Und deshalb

schlagen wir Ihnen vor: Schreiben Sie Ihre Kritik für die BASF-Konzerte doch einfach selbst. Füllen Sie die Lücken aus, indem Sie die markier-

ten Wörter benutzen, die wir in dieser Ausgabe schon einmal verwendet haben. Denn auch die angehenden Journalisten, die diese Beilage

geschrieben haben, sind ja nur: Musikkritiker.

Ein Konzert mit dem russischen Starpianisten Arcadi Volodos und den Preisträgern des diesjährigen Chopin-Wettbewerbs

Yulianna Avdeeva, Lukas Geniusas und Ingolf Wunder – das konnte doch nur ____________________________1_ werden.

Und so hinterließ das gestrige Benefi zkonzert der BASF in Kooperation mit dem Frédéric Chopin-Institut Warschau und

„Steinway & Sons“ Hamburg das Publikum ____________________________2_ .

Den Auftakt machte Arcadi Volodos mit Werken von Aleksander Skrjabin und Robert Schumann. Bereits als Volodos die

Bühne betrat, war jedem Besucher klar: Das ist ein absoluter ____________________________3_ . Allein sein Auftreten

wirkte auf das Publikum sehr____________________________4_.

Schon die ersten Töne der Sonate Nr. 7 in Fis-Dur von Skrjabin ließen das Publikum ganz still werden: diese

____________________________5_ ! Seine stumme Mimik erinnerte dabei an____________________________6_ . Au-

ßerdem interpretierte er auch die Humoreske in B-Dur von Schumann.

Ein ____________________________7_ beim Benefi zkonzert in Ludwigshafen war der Auftritt der diesjährigen Gewinner

des renommierten Chopin-Wettbewerbs, dessen Endrunde vom 1. bis zum 23. Oktober in Warschau stattgefunden hatte.

Mit der Nocturne Nr. 3 in H-Dur sah sich der österreichische Pianist Ingolf Wunder vor einer großen Aufgabe. Sein

____________________________8_ aber sollte ihn zum ____________________________9_ führen. Seine Interpretation

des Klavierstücks von Chopin war einfach nur ____________________________10_ .

Der aus Russland stammende Lukas Geniusas interpretierte Chopins Polonaise in fi s-Moll. Der _________________

___________11_ Geniusas ließ die ____________________________12_ jubeln. Im Zuge seines Spiels wurde Genius-

as ____________________________13_ . Das von ihm gewählte Tempo, in der er die Polonaise intonierte glich einer

____________________________14_ . Damit war er bereits in Warschau aufgefallen. Das quittierte das Publikum auch

prompt mit ____________________________15_ .

Den Abschluss des Konzerts machte die Russin Yulianna Avdeeva. Die Gewinnerin des Chopin-Wettbewerbs spielte Chopins

Klaviersonate in b-Moll. Ihre ____________________________16_ war der Blickfang für die männlichen Gäste. Das sehr in-

tensive Stück hatte sie in Warschau zum Erfolg gebracht. Mit viel ____________________________17_ erfüllte sie ihr Spiel,

das voller ____________________________18_ war. Der Konzertsaal kochte über vor ____________________________19_

.

Es war ein Konzert der ____________________________20_ . Mit den vier Pianisten hatten die Veranstalter wahre

____________________________21_ nach Ludwigshafen geholt. Und sie hatten ein Konzert geliefert, das man nicht mehr

so schnell vergessen würde. Allen vieren ist eine große Karriere bei ____________________________22_ sicher.

Das Nocturne ist älter als Chopin. Es wurde im Barock erfunden – als Fortsetzung der Sonate. Es diente haupt-sächlich dazu, die Fürsten zu unterhalten. In der Romantik änderte sich seine Bedeutung. Das Nocturne galt nun als Charakterstück für Klavier. Darunter versteht man ein kur-zes Werk, das eine bestimmte Stimmung ausdrückt (nicht nur eine Nachtstimmung, wie es der Name nahe legt). Fre-déric Chopin hat die Bedeutung der Nocturne erweitert. Vor ihm war sie hauptsächlich ruhig und besinnlich, aber er reizte alle Farben der Komposition aus und wurde so zum Meister dieser kleinen Meisterwerke.

Chopins Leben und seine Wer-ke. In der Grafi k sehen Sie, wann er Préluds, Ma-zurken oder Nocturnes kom-poniert hat.

Chopin zu Gast in Ludwigshafen. Wir haben Passanten das Regentropfen-Prélude vorgespielt – Erstaunen, Besinnung, Be-geisterung. Mehr auf www.backstagediaries.wordpress.com

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