bedarfsgerechte steuerung der gesundheitsversorgung · diese kurzfassung besteht aus kapitel 1 und...

28
Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die Textziffern und Seitenzahlen beibehalten worden. SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Kurzfassung des Gutachtens 2018: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung Einleitung und Zusammenfassung – Gutachten 2018

Upload: others

Post on 12-Sep-2019

6 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit

zu gewährleisten, sind die Textziffern und Seitenzahlen beibehalten worden.

SACHVERSTÄNDIGENRAT

zur Begutachtung der Entwicklung

im Gesundheitswesen

Kurzfassung des Gutachtens 2018:

Bedarfsgerechte Steuerung

der Gesundheitsversorgung

– Einleitung und Zusammenfassung –

Gutachten 2018

Page 2: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

45 Kapitel 1

1 Bedarfsgerechte Steuerung – eine Chance für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung?

1.1 Optimum an Gesundheit durch Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung

1. VieleMenschenbezeichnenGesundheitals„dashöchsteGut“,undinderTatsindwirauchinDeutschlandbereit,erheblichefinanzielleMittelfürdiegesundheitlicheVersorgungauf‐zuwenden.DieAusgabenderGesetzlichenKrankenversicherung GKV beliefen sich im Jahr2017aufknapp231MilliardenEuro BMG2018 ,insgesamtbetrugendieGesundheitsausgabensogarrund374MilliardenEurounddamitetwa11,5%desBruttoinlandsproduktes Destatis2018a,2018b .

2. AuchwenndamitvielGeldfürdieGesundheitsversorgungzurVerfügungsteht:JederEurokannnureinmalausgegebenwerden,undeventuellunnötigverausgabteMittel,etwafürnicht indizierteWirbelkörperoperationenoderLinksherzkatheter „Überversorgung“ , fehlenmöglicherweisedort,wosiefüreinegutemedizinischeVersorgunganandererStellenotwendigsind,z.B.beiderzumTeilunzureichendenpflegerischenoderpalliativmedizinischenBetreuungschwerkrankerMenschen „Unterversorgung“ .1Esistdaher,vorallemimRahmeneinessoli‐darischfinanziertenGesundheitssystems,letztlichimInteresseallerBeteiligten,dassausjedemimGesundheitsweseneingesetztenEuro einOptimumanGesundheit bzw. anPatientenwohlresultiert.2

3. GenaudieserGrundgedankeliegtdemgesetzlichenAuftragdesSachverständigenrateszurBegutachtungderEntwicklung imGesundheitswesen SVR zugrunde.Er soll laut §142SGBV „unterBerücksichtigungder finanziellenRahmenbedingungenundvorhandenerWirt‐schaftlichkeitsreservenPrioritätenfürdenAbbauvonVersorgungsdefizitenundbestehenden

1 AlsweitereKategorieunzweckmäßigerMittelverwendunghatderRatdie„Fehlversorgung“benannt vgl.

SVR2001 .2 DarüberhinauskönnenRessourcen,derenVerwendungfürdasPatientenwohlnichtnötigist,nutzenstiftend

inanderenLebensbereicheneingesetztwerden.

Page 3: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

46

Überversorgungenund … MöglichkeitenundWegezurWeiterentwicklungdesGesundheits‐wesens“aufzeigen.

4. InseinerStellungnahmezurKrankenhausversorgunghatderDeutscheEthikrat„dasPatientenwohl“alsethischesLeitprinzipderSorgeumdenkrankenMenschenherausgearbeitet.Diese Sorge soll die Selbstbestimmung des Patienten achten und ermöglichen, eine hoheBehandlungsqualität sichern sowie Zugangs‐ und Verteilungsgerechtigkeit gewährleistenDeutscherEthikrat2016,Seite37ff. .DieFrage,wiedasWohlderPatientenambestenerreichtund nachhaltig finanziert werden kann, beschäftigt den SVR unter medizinischen undgesundheitsökonomischen Gesichtspunkten. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch diebisherigenGutachtenundwirdwohlauchdiezukünftigenprägen.

5. ManchenmagdieserAnsatztechnokratischerscheinen,dochstehterzudergesund‐heitsbezogenenSorgeumdenEinzelnennichtimGegensatz,sondernineinemnotwendiger‐weisekomplementärenVerhältnis:DamitdereinzelneMenschundseinWohlimMittelpunktdeskonkretenärztlichen,pflegerischenundsonstigengesundheitsbezogenenBemühensstehenkann,mussineinemsolidarischfinanziertenGesundheitssystemdaraufgeachtetwerden,dassdievorhandenenRessourcen Personal,StrukturenundtechnischeMöglichkeitenebensowiefinanzielleMittel effektivundeffizientgenutztwerden.Fehlentwicklungenistdahergegenzu‐steuern.

6. Allein schon angesichts des fortschreitenden medizinisch‐technischen Fortschritts,desdemografischenWandels,derAusweitungmancherAngebotsstrukturensowiederVielzahlderbeteiligtenMenschenundInteressenwirddasGesundheitssystemauchinZukunftderstän‐digenkritischenAnalysesowiederWeiterentwicklungbzw.AdaptationdurchPolitikundSelbst‐verwaltungbedürfen.

1.2 Bedarfsgerechte Steuerung – eine Chance zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung und zur Sicherung des Patientenwohls

7. DasvorliegendeGutachtennimmtwesentliche„Stellschrauben“jetzigerundvorallemauch zukünftiger Entwicklungen in den Blick und folgt dem Grundgedanken einer bedarfs‐gerechtenSteuerungderGesundheitsversorgungmitdemZiel,einOptimumanGesundheitzuerreichen.

8. FürdenaktuellenWeiterentwicklungsbedarfderGesundheitsversorgungsiehtderRatdasKonzeptder–mehroderwenigeraktiven–SteuerungderInanspruchnahmeundauchdesAngebotsalsbedeutsaman.Steuerunglässtsichallgemeinverstehenals„HinführungzueinembestimmtenZiel“.ImFalledesGesundheitswesenskönntediesesZielallgemeinmitdemobenerläutertenBegriffPatientenwohlbezeichnetwerden.

9. AusgesamtwirtschaftlicherSichtkönnenaufderAngebotsseitegrundsätzlichdreiver‐schiedeneKoordinationsmechanismen,dieallebereitsimdeutschenGesundheitswesengenutztwerden, eine mehr oder weniger zielorientierte Steuerungsfunktion übernehmen: NebenMarkt‐undPreismechanismen Beispiel:Arzneimittel‐Rabattverträge könnenkorporativeKo‐

Page 4: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

47 Kapitel 1

ordination Beispiel:SelbstverwaltungdurchKörperschaftendesöffentlichenRechts oderöf‐fentlichePlanungbzw.budgetäreWillensbildung Beispiel:Krankenhausplanungund‐finanzie‐rung eineallokativeFunktionübernehmenunddamiteineSteuerungswirkungzurOptimie‐rungderVersorgungsstrukturenausüben.ImHinblickaufdasjeweilsfürdenundvomeinzel‐nenMenschenangesteuertePatientenwohlkönntenjenachSituationdesoderderBetroffenenfolgendefünfWegederZielerreichungunterschiedenwerden:

PräventionundGesundheitsförderung Verhaltens‐undVerhältnisprävention alsErhaltungundStärkungderGesundheit3,

Therapie aufgrund vorhergehender Diagnose im Sinne derWiederherstellungderphysischenund/oderpsychischenGesundheit4,

RehabilitationalsWieder‐oderNeuaneignungvonFähigkeitendesKörpersoderderPsychenachbzw.aufgrundeinerErkrankung,

PflegealsprofessionelleBetreuungundUnterstützungeinesMenschen inseinerGenesungsowie

palliativeVersorgungalsprofessionelleBetreuungundBegleitungeinesMenscheninseinerletztenLebensphase.

10. DienachstehendenAnalysenlassenerkennen,dassesinunseremGesundheitswesenweiterhinÜber‐,Unter‐undFehlversorgunggibtund insofern„Steuerungsdefizite“bestehen.SolcheDefizitemüssen nicht notwendig durchmehr, sondern können auchdurch gezieltereSteuerungausgeglichenwerden.AuchweildieStrukturendesGesundheitssystemssehrkom‐plexundschwerüberschaubarsind,hältderRatandereinoderanderenStelleeineentschlos‐senerebedarfsorientierteSteuerungfürnotwendig:ZumeinenmüssenAusbauundWeiterent‐wicklungderAngebotsstrukturenzukünftigzumTeileffektiverundeffizientergesteuertwer‐den.DiesgiltinsbesonderefürdieKrankenhausplanungund‐finanzierungsowiefürdienochimmervielzuhoheMauerzwischenambulanterundstationärerVersorgung.Zumanderenmüs‐senzumTeilauchdiePatientenundderenInanspruchnahmedesGesundheitssystemsbesser„gesteuert“ werden. Auf dieser Steuerung von Patientenwegen im komplexen Versorgungs‐systemliegteinbesondererFokusdesGutachtens.

11. DerRatistsichbewusst,dassdasWort„Steuerung“,aufMenschenundmenschlichesMiteinanderangewendet,missverständlichist.Niemandmöchtefremdbestimmtwerden.DasWort „Steuerung“ scheintaufdenerstenBlick schlechtmitdemVerständnisvon „Patienten‐wohl“zusammenzupassen,wonachdieprimäreSorgedieseinmuss,dieSelbstbestimmungdes

3 DervomEthikratgewählteBegriff„Patientenwohl“isthilfreich,umdeutlichzumachen,dassnichtimmer–

z.B.beimunheilbarKranken–GesundheitdasZielvonGesundheitsversorgungundGesundheitspolitikseinkann, aber immer das physische und psychische Wohl der betroffenen Menschen gemäß ihrer Selbst‐bestimmungangestrebtwerdensoll nachderehrgeizigenDefinitionderWeltgesundheitsorganisationjasogarauchdassozialeWohlbefinden .AllerdingsgerätdervomEthikratimausschließlichenBlickaufdenBereichKrankenhausversorgungkonzipierteBegriffanGrenzen,wennPräventionindieVerantwortungvonGesundheitspolitikundGesundheitsversorgungmiteinbezogenwird:GesundheitlicheAufklärungundPrä‐ventionhaben jageradezumZiel,das „Patientwerden“vonMenschenzuverhindern, indemsie sie zumSchutzihresphysischenundpsychischenWohlbefindensbefähigenundermutigenbzw.durchentsprechen‐deAusgestaltungderLebensverhältnissezurGesundheitderBevölkerungbeitragen.

4 InsoferneinevollständigeWiederherstellungderGesundheitnichtimmermöglichist,fallenhierunterauchalleMaßnahmen,dieGesundheitsoweitwiemöglichwiederherstellen,z.B.solche,diekausalnichtvölligbeseitigbareSchmerzenminimierenunddamitzurSteigerungderLebensqualitätbeitragen.

Page 5: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

48

Patientenzuachtenundsie imFalleihrerkrankheitsbedingtenEinschränkung:wieder zuer‐möglichen.UnserGesundheitssystemistjedocheineso„komplizierteKonstruktion“5,dassspe‐ziellesOrientierungswissenund Selbst‐ Steuerungunerlässlichsind,willmansichalsselbst‐bestimmungsfähigerMenschdarinsobewegen,dassmanzuseinemZielgelangt.6

12. ZurWahrungderSelbstbestimmungzeichnensichinsofernzweiMöglichkeitenab,diesichnichtausschließen,sondernsichergänzen:ZumeinenmachtmansichkundigüberdieOp‐tionen,dieesindiesemSystemgibt.DamitistvorallemdiesogenannteGesundheitskompetenzhealthliteracy angesprochen,derenStärkungauchderRatbereitswiederholtgeforderthat.Der aufgeklärte,mündige Patient, der sich selbst imGesundheitssystem zurechtfindet,musssoweitwiemöglichZielundVerpflichtungderGesundheitspolitikbleiben.

13. Dieandere–ergänzende–Möglichkeitist,sichinbestimmtenSituationeneinemLot‐senanzuvertrauen.DasBilddeskundigen,verlässlichenLotsen,denderKapitänanBorddeseigenenSchiffesholt,ummitseinerHilfeinschwierigemFahrwassersicherdasZielzuerrei‐chen,wurdeschonöfteraufdieSituationdesPatientenimGesundheitssystemangewendet.Ver‐schiedentlichwurdeauchdafürplädiert,dassentsprechendqualifizierte,primärversorgendeHausärztedieseFunktionimRahmeneinesgestuftenVersorgungssystemsübernehmensollten.

1.3 Gesundheitskompetenz und kundige Lotsen zur bedarfsgerechten Navigation durch ein komplexes Gesundheitssystem

14. DievomSachverständigenratzurBegutachtungdergesamtwirtschaftlichenEntwick‐lung SVR Wirtschaft im Jahresgutachten 2017/2018 geforderte „bessere Navigation derPatientendurchdaskomplexeGesundheitssystem“ SVRWirtschaft2017,Seite30 istauchdemRateinwichtigesAnliegen.ExemplarischundbesondersdringlichgehörtdazudieZusicherungeinerwartezeitminimierten, effektivenBehandlung inmedizinischenNotfällen.7Man könntedies als „schwachen Paternalismus“ bezeichnen, der noch immer die Selbstbestimmung derPatientinnenundPatientenachtet,insofernereinenbestimmtenWegnichtverpflichtendvor‐schreibt,sondernüber–indiesemGutachtennäherbeschriebene–gezielteAnreizeeinesinn‐vollgestufteVersorgungfördert.EinsolcherschwacherPaternalismusimGesundheitssystemistindemMaßegerechtfertigt,alservondendemokratischdazuBefugteninvorgesehenenVer‐fahrenberatenundbeschlossenwurde,transparent,anfechtbarundkorrigierbarbleibt,nichtzwingt,sondernnahelegtbzw.anreiztundausschließlichzumSchutzdesPatientenwohls,vorallemauchvorÜber‐undFehlversorgung,erfolgt.Diesesist,wieobenerörtert,nichtnuraufdas

5 DieseFeststellungtrifftderEthikratmitBlickalleinaufdieKrankenhausversorgungundfolgert,dass„deren

umfassendesVerständniseinintensivesSpezialwissenerfordert“.AngesichtsderKomplexitätdesGesund‐heitssystemsinsgesamthältderRatbeideimFolgendenskizziertenOrientierungsoptionenfürgeeignetundangezeigt,umdemPrimatderSelbstbestimmunggerechtzuwerden.

6 Die Forderung nach speziellem Orientierungswissen und verantwortlicher Selbst‐ Steuerung lässt sichmutatismutandis auch auf die Institutionender Selbstverwaltung und ihreRolle imAusbau und in derWeiterentwicklungderAngebotsstrukturenübertragen.

7 HierzufordertauchdasJahresgutachten2017/2018desSVRWirtschaft,durcheine„effektivereSteuerungderPatienten ... zu verhindern, dass PatientendieNotfallambulanzenderKrankenhäuser ohne akutenNotfallaufsuchen,diesevonderVersorgungvonschwerwiegendenakutenNotfällenabhaltenundsoteureKrankenhauskapazitätenbinden.“

Page 6: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

49 Kapitel 1

Individuumbezogenzudenken,sondernauchbezogenaufdieSolidargemeinschaftallerBei‐tragszahlerundpotenziellenzukünftigenPatientinnenundPatienten,dieerwartendürfen,dassZugangs‐undVerteilungsgerechtigkeitnachhaltiggewährleistetsind,wennsieihrerseitsBedarfanGesundheitsversorgunghaben.

15. DassdasGesundheitssystemdemBedarfdeseinzelnenPatienten anhochwertigerGesundheitsversorgunggemäßseinerSelbstbestimmung wiedemBedarfallerVersichertenandauerhafterVerfügbarkeitsolcherGesundheitsversorgunggerechtwerdenmuss,führtzudemnormativen Konzept der Bedarfsgerechtigkeit8. Diesem Konzept zufolge soll jeder und jedeKrankenversicherteinquantitativerundqualitativerHinsichtdieGesundheitsversorgungerhal‐ten,dieseinembzw. ihremBedarfentspricht,d.h.,dieerodersienachmöglichstobjektivenKriterienbenötigt.ObgleichdieserobjektiveBedarfinzeitlicherHinsichteinemWandelunter‐liegtunddarüberhinausinGrenzeneinnichtmessbaresKonstruktbleibt,lässtsichdieaufihmaufbauendebedarfsgerechteVersorgungmithilfepositiverundnegativerKriterienzumindesttendenziellcharakterisieren.Dabeibleibtzuunterscheidenzwischendemmedizinischobjek‐tivenBedarf,deneinedurchhochwertigeStudienevidenzbasierteoderzumindestempirischbegründeteMehrheitsmeinungeinschlägigerWissenschaftlerinnenundWissenschaftlerdefi‐niert,unddemAngebotvonausMittelnderSolidargemeinschaftzufinanzierendenLeistungen,das eine dazu befugte Instanz inDeutschland etwa der GemeinsameBundesausschuss als„bedarfsgerecht“festlegt.

16. EinebedarfsgerechteVersorgung sollte sichprimär amSchweregradderKrankheitoder an der Behinderung des Patienten und der konkreten Lebenssituation orientieren undnichtvonseinemVermögen,Einkommen,Geschlecht,Familienstand,WohnortundBerufoderseinersozialenSchichtoderHerkunftabhängen.ZudemerforderndieKriterienderEffektivitätundEffizienzimRahmeneinerbedarfsgerechtenVersorgungdieBereitstellungsolcherGesund‐heitsleistungen,diealsnotwendigeBedingungeinehinreichendeEvidenzauspatientenorien‐tiertenStudienundeinewirtschaftlichvertretbareKosten‐Nutzen‐Bilanzaufweisen.

17. DerobjektiveBedarf,wieimVorherigenerläutert,istzuunterscheidenvondemsub‐jektivenunddemlatentenBedarfsowievonderSelbstbestimmungdesPatienten.

18. DersubjektiveBedarfentsprichtdemBedürfniseinesPatienten,d.h. seinen indivi‐duellenPräferenzen.DabeikönnenzweiIndividuentrotzgleichenAltersundGeschlechtsundidentischerMorbiditätsmerkmaleund‐schweresowieandererexogenerEinflussfaktoren,z.B.aufgrund divergierender Sicherheitsbedürfnisse, einen unterschiedlichen subjektiven Bedarfaufweisen.Dieser äußert sichdann in einer voneinander verschiedenenNachfragenachGe‐sundheitsversorgung, d.h. etwa hinsichtlich Präventionsleistungen, Kontrolluntersuchungenund Arztbesuchen. Sofern diese Abweichungen in einem gewissen Toleranzbereich bleiben,wirdesvertretbarsein,demsubjektivbedürftigerenPatientendiejenigenLeistungenzukom‐menzulassen,dieihmzuseinemWohlbefindenverhelfenkönnen.ImFalleknapperRessourcenwird allerdings die Zugangs‐ undVerteilungsgerechtigkeit das entscheidendeKriterium seinmüssenundggf.einAufklärungsgesprächdarübernötigsein,warumeinesubjektivgewünschteMaßnahmenicht mehr erbrachtwerdenkann. Augurzkyetal.2012;Bergeretal.2013

8 DerRatknüpftimFolgendenandieeinschlägigenAusführungeninseinemGutachten2014an SVR2014,

Textziffer1ff. .ZuraktuellenDiskussionumdas„Konstrukt“Bedarfsgerechtigkeitvgl.insbesondereHerretal. 2018 undRobra/Spura 2018 .

Page 7: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

50

19. VoneinemlatentenBedarfwärezusprechen,wenneineLeistungmedizinischobjek‐tivierbarzwarsinnvollundnotwendigwäre,abera derPatientdarübernicht informiert istoderseinenZustandfalscheinschätztoderb einesolidarischeFinanzierungdieserLeistungnichtvorgesehenistoderc dieNutzungderentsprechendenGesundheitsleistungausanderenGründen,beispielsweisewegenmangelnderAngebotskapazitäten,nichterfolgt.ImFalla isteinAufklärungsgesprächangezeigt.FallsdiesesGesprächdazuführt,dassdieobjektivangezeigteBehandlungabgelehntwird,wärederPatientenwillegrundsätzlichzurespektieren.ImFallb wäre,soderPatientdenbislanglatentenBedarferfülltsehenmöchte,eventuellnachAusnah‐meregelungenzusuchen,dieeinesolidarischeFinanzierungermöglichen.ImFallc wäredafürSorgezutragen,dassausreichendeAngebotskapazitäteninzumutbarerörtlicherNähezumPa‐tientenverfügbarsind.

20. Unter dem Aspekt der Bedarfsgerechtigkeit stellt sich im Rahmen der solidarischfinanziertenGKVauchdieFragenachdemUmfangdesLeistungskatalogesunddermitihmein‐hergehendeneffizientenundeffektivenLeistungserbringung.UnterEffizienz‐undEffektivitäts‐aspektenbildenderzeitwenigerdas–ausinternationalerPerspektiveumfangreiche–SpektrumdesLeistungskatalogesderGKValsvielmehrdernichtindikations‐undsituationsbezogeneEin‐satzder jeweiligenLeistungenund ihrezu intensiveNutzungdaszentralemedizinischeundökonomischeProblem.DiesgiltinsbesondereunmittelbarfürdieBehandlungeninnerhalbderLeistungssektorenundanderenSchnittstellen,aberauchmittelbarfürdiejeweiligenAngebots‐kapazitäten, die einemedizinischwieökonomischproblematische angebotsinduzierteNach‐frageerzeugenkönnen.

21. DasvorliegendeGutachtenbehandeltdasKriteriumBedarfsgerechtigkeitprimärimZusammenhangmitdemKonzeptderSteuerung,dessenAnwendungaufderNachfrage‐,aberauchaufderAngebotsseiteerörtertwird.InTeilIwerdenStrukturmerkmaleundPotenzialeimambulantenundstationärenBereichinDeutschlandsowieauchinternationaluntersucht.DabeiwerdenAngebotskapazitätenundPlanungsinstrumente,dieInanspruchnahmevonLeistungensowiediejeweiligeVergütungbzw.Finanzierungdargestellt.InTeilIIwerdenZukunftsperspek‐tiveneinerbedarfsgerechtensektorenübergreifendenVersorgungentwickelt,wobeikonkreteAnsätzezurgesundheitlichenVersorgung, zurSteuerungvonPatientenwegen, zurAngebots‐planung sowieexemplarisch zur zukünftigenAusgestaltungderNotfallversorgung imMittel‐punktstehen.InTeilIIIwirdeinebedarfsgerechteundkoordinierteVersorgungamBeispielderVersorgungvonPatientenmitRückenschmerzensowievonPatientenmitpsychischenErkran‐kungenbehandelt.

22. Wirhoffen,mitdennachstehendenAusführungeneinenBeitragzurGewährleistungdesPatientenwohlsauchindennächstenJahrenundJahrzehntenzuleisten,undfreuenunsaufeinelebhafteDiskussionunsererAnalysenundEmpfehlungenmitGesundheitspolitik,Selbst‐verwaltung,ForschungundÖffentlichkeit.

Page 8: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

51 Kapitel 1

1.4 Literatur

Augurzky,B.,Felder,S.,Gülker,R.,Mennicken,R.,Meyer,S.,Wasem,J.etal. 2012 :MengenentwicklungundMengensteuerungstationärerLeistungen.Endbericht:ForschungsprojektimAuftragdesGKV‐Spitzenverbandes.RWI‐Leibniz‐InstitutfürWirtschaftsforschung.Essen.

Berger,B.,Gerlach,A.,Groth,S.,Sladek,U.,Ebner,K.,Mühlhauser,I.undSteckelberg,A. 2013 :Competencetraininginevidence‐basedmedicineforpatients,patientcounsellors,consumerrepresentativesandhealthcareprofessionalsinAustria.Afeasibilitystudy.ZEvidFortbildQualGesundhwes107 1 :44–52.

BMG BundesministeriumfürGesundheit 2018 :VorläufigeRechnungsergebnissederGKV.KV45.

Destatis StatistischesBundesamt 2018a :GesundheitsausgabennachAusgabenträgern.URL:www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Tabellen/Ausgabentraeger.html abgerufenam25.05.2018 .

Destatis StatistischesBundesamt 2018b :Inlandsproduktsberechnung:WichtigegesamtwirtschaftlicheGrößen.URL:www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Inlandsprodukt/Tabellen/Gesamtwirtschaft.html abgerufenam25.05.2018 .

DeutscherEthikrat 2016 :PatientenwohlalsethischerMaßstabfürdasKrankenhaus.Stellungnahme.

Herr,D.,Hohmann,A.,Varabyova,Y.undSchreyögg,J. 2018 :BedarfundBedarfsgerechtigkeitinderstationärenVersorgung.In:Klauber,J.,Geraedts,M.,Friedrich,J.undWasem,J.Hrsg. :Krankenhaus‐Report2018.Schwerpunkt:BedarfundBedarfsgerechtigkeit.Schattauer,Stuttgart:23–38.

Robra,B.‐P.undSpura,A. 2018 :VersorgungsbedarfimGesundheitswesen‐einKonstrukt.In:Klauber,J.,Geraedts,M.,Friedrich,J.undWasem,J. Hrsg. :Krankenhaus‐Report2018.Schwerpunkt:BedarfundBedarfsgerechtigkeit.Schattauer,Stuttgart:3–22.

SVR SachverständigenratfürdieKonzertierteAktionimGesundheitswesen 2001 :BedarfsgerechtigkeitundWirtschaftlichkeit.BandIIIÜber‐,Unter‐undFehlversorgung.Gutachten2000/2001.Nomos.Baden‐Baden.

SVR SachverständigenratzurBegutachtungderEntwicklungimGesundheitswesen 2014 :BedarfsgerechteVersorgung.PerspektivenfürländlicheRegionenundausgewählteLeistungsbereiche.Gutachten2014.Hogrefe,vorm.VerlagHansHuber.Bern.

SVRWirtschaft SachverständigenratzurBegutachtungdergesamtwirtschaftlichenEntwicklung 2017 :FüreinezukunftsorientierteWirtschaftspolitik.Jahresgutachten2017/18.

Page 9: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

761 Kapitel 17

17 Empfehlungen für eine bedarfsgerechte sektorenübergreifende Versorgung

17.1 Executive Summary: Steuerung zum Patientenwohl

1295. DiesesGutachtenistvonderFrageausgegangen,wiedieerheblichen,aberbegrenztenMittel,diefürdashoheGutGesundheitaufgebrachtwerden,soeingesetztwerdenkönnen,dassdasWohlderPatientenbzw.derVersichertenbedarfsgerechtund inhoherQualität erreichtwird.Daskannnurgelingen,wenndaszugrundeliegendeGesundheitsversorgungssystemgutorganisiert undnachhaltig finanziertwird.DieFrage,mitwelchenMitteln das gewährleistetwerdenkann,beschäftigtdenRatuntermedizinischenundgesundheitsökonomischenGesichts‐punkten.SieziehtsichwieeinroterFadendurchdiebisherigenGutachtenundwirdwohlauchzukünftigeGutachtenprägen.

1296. DabeistehtderAnsatzdesRateszudergesundheitsbezogenenSorgeumdenEinzel‐nen nicht im Gegensatz, sondern in einem notwendigerweise komplementären Verhältnis:DamitdereinzelneMenschundseinWohl imMittelpunktdeskonkretenärztlichen,pflegeri‐schenundsonstigengesundheitsbezogenenBemühensstehenkann,mussineinemsolidarischfinanzierten Gesundheitssystem darauf geachtet werden, dass die vorhandenen RessourcenPersonal,StrukturenundtechnischeMöglichkeitenebensowiefinanzielleMittel effektivundeffizientgenutztwerden.Fehlentwicklungenistdahergegenzusteuern.

1297. Ausgehend von dieser Grundüberlegung wurden in den vorstehenden Kapitelnwesentliche „Stellschrauben“ jetziger und vor allem auch zukünftiger Entwicklungen in denBlickgenommenundaufdieMöglichkeiteneinerbedarfsgerechterenSteuerungderGesund‐heitsversorgung „abgeklopft“. Steuerung lässt sich allgemein verstehen als „Hinführung zueinembestimmtenZiel“.BezogenaufdasGesundheitswesenwurdeindiesemGutachtendasZielinAnknüpfungandieeinschlägigeStellungnahmedesDeutschenEthikratesals„Patientenwohl“bezeichnet.

1298. DievorstehendenAnalysen lassenerkennen,dasses inunseremGesundheitswesenweiterhinÜber‐,Unter‐undFehlversorgunggibtund insofern„Steuerungsdefizite“bestehen.SolcheDefizitemüssen nicht notwendig durchmehr, sondern können auchdurch gezieltereSteuerung ausgeglichen werden. Auch weil die Strukturen des Gesundheitssystems sehrkomplex und schwer überschaubar sind, hält der Rat an der ein oder anderen Stelle eineentschlossenerebedarfsorientierteSteuerungfürnotwendig:ZumeinenmüssenAusbauund

Page 10: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

762

Weiterentwicklung der Angebotsstrukturen zukünftig zum Teil effektiver und effizientergesteuertwerden.DiesgiltinsbesonderefürdieKrankenhausplanungund‐finanzierungsowiefür den Abbau der noch immer viel zu hohenMauer zwischen ambulanter und stationärerVersorgung.ZumanderenmüssenzumTeilauchdiePatientenundderenInanspruchnahmedesGesundheitssystems besser „gesteuert“ werden. Die Steuerung von Patientenwegen imkomplexenVersorgungssystemistdahereinSchwerpunktdiesesGutachtens.

1299. AlszentralesKriteriumfürdieAngemessenheitseinerSteuerungsvorschlägehatderRat„Bedarfsgerechtigkeit“zugrundegelegt.BedarfsgerechtigkeitstellteinnormativesKonzeptdar, demzufolge jeder und jede Versicherte in quantitativer und qualitativer Hinsicht dieGesundheitsversorgungerhaltensoll,dieseinembzw.ihremBedarfentspricht,d.h.,dieerodersienachmöglichstobjektivenKriterienbenötigt.ObgleichdieserobjektiveBedarfinzeitlicherHinsichteinemWandelunterliegtundletztendlicheinnichtmessbaresKonstruktbleibt,lässtsich eine auf ihm aufbauende bedarfsgerechte Versorgung mithilfe positiver und negativerKriterienzumindesttendenziellcharakterisieren.

1300. Im vorliegenden Gutachten wurde das Kriterium Bedarfsgerechtigkeit sowohl zurBewertungdes Ist‐Zustandes als auchzurKonzipierungvonWeiterentwicklungsvorschlägenangewendet. Die wichtigsten Analyseergebnisse und Empfehlungen zur bedarfsgerechtenSteuerunginsiebenSchwerpunktbereichen–aufderNachfrage‐wieaufderAngebotsseitedesGesundheitswesens–lassensichwiefolgtzusammenfassen.

17.1.1 Ambulante Angebotskapazitäten und Vergütung

1301. BeiderderzeitigenambulantenBedarfsplanunghandeltessichimWesentlichenumeineFortschreibungderbestehendenAngebotskapazitätenmiteinerregionalenAnpassung.DieErmittlungdiesesBedarfserfolgtfürdieeinbezogenenArztgruppenüberVerhältniszahlen,diefürdieHausärzteaufdemStandvon1995,fürdieFachärzteaufdemStandvon1990undfürdiePsychotherapeutenaufdemStandvon1999basierenundmiteinemFaktorfürdiedemo‐grafischeEntwicklungmultipliziertwerden.

1302. BeiderPlanungdesVersorgungsangebotsgilteszunächst,dieseitdieserhistorischenFestlegungderVerhältniszahleneingetreteneundsichzukünftigabzeichnendeEntwicklungderDeterminantendesAngebotsundderNachfragenachvertragsärztlichenLeistungenzuberück‐sichtigen.HierzugehörenaufderAngebotsseitevorallemdasAlterderÄrztebzw.ihrAustrittausderVersorgungsowiedieabsoluteunddierelativeZunahmevonangestelltenÄrztinnenundÄrzten. Vor diesem Hintergrund sollte sich die Planung des zukünftig bedarfsgerechtenAngebotswenigeranderAnzahlderÄrztebzw.derenKopfzahlalsvielmehranderentatsäch‐lichemAngebotbzw.derenArbeitsstundenorientieren.

1303. IndenletztenJahrenfandaufderNachfrageseiteeinefürdieambulanteVersorgungrelevante Entwicklung statt, als sich infolge der Binnenwanderung die Unterschiede in derAnzahl und der jeweiligen Morbidität der Versicherten zwischen Ballungs‐ und ländlichenGebietenverstärkten.ImZugedieserEntwicklungnahmdieAttraktivitätderärztlichenTätig‐keit und damit auch der Wert von Vertragsarztsitzen in Ballungsgebieten noch weiter zu,währendsichdiefreiwerdendenArztsitzeinstrukturschwachenGebietenhäufigkaumnach‐besetzenließen.DieKnappheitvonArztsitzenführteinbegehrtenGebietenvielfachdazu,dassbeiNachbesetzungsverfahrendiejeweiligenBesitzerdiemitdemVertragsarztsitzverbundene

Page 11: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

763 Kapitel 17

PraxiszueinemdenSachwertweitübersteigendenPreisveräußernkonnten,alsobessichbeidem Vertragsarztsitz um ein „eigentumsähnliches“ Gut handelte. Um diese verbreitete Vor‐gehensweisezuunterbinden,solltedasNachbesetzungsverfahrenfürambulanteVertragsarzt‐sitzereformiertwerden.BezüglichderÜbernahmepreisekannesdabeieineÜbergangsregelunggeben. Die gezahlten Preise bei Übernahme von Vertragsarztpraxen sollten, wenn möglich,erfasst und mit regionalem Bezug ausgewertet werden, um die Transparenz zu erhöhen.AußerdemsollteeinezeitlicheLimitierungdervertragsärztlichenZulassungerfolgen,z.B.30Jahre beiMedizinischen Versorgungszentren MVZs sowie BerufsausübungsgemeinschaftenBAGs undbeieinzelnenVertragsärztenbiszurBeendigungihrervertragsärztlichenTätigkeit.

1304. Um eine flächendeckende ambulante Versorgung auf hohem Niveau zu sichern,empfiehltessich,dieNiederlassungvonVertragsärzten inGebieten, indenensichdurchdasanstehendeAusscheidenmehrererVertragsärzteeineUnterversorgungabzeichnet,zuverein‐fachen.HiersolltedieMöglichkeitbestehen,NachbesetzungenbereitsfünfJahrevordervoraus‐sichtlichen Aufgabe eines Vertragsarztsitzes vorzunehmen. Obgleich die Höhe der Honorarenicht die zentrale Rolle für die Niederlassung von Vertragsärzten in strukturschwachenGebietenspielt,könnten finanziell spürbare „Landarztzuschläge“hiergleichwohlzurVerbes‐serungderSituationbeitragen.

1305. EinemorbiditätsorientiertePauschalvergütungproPatientversprichtinderhausärzt‐lichen Versorgung Anreize für eine hohe Behandlungsqualität. Dabei kann für spezifischeLeistungenweiterhindieEinzelleistungsvergütunggelten.IneinemsolchenVergütungssystembedarfesderdurchEinschreibungerkennbarenZuordnungeinesPatientenzudemvonihmfreigewähltenHausarzt.

17.1.2 Planung und Finanzierung von Krankenhäusern

1306. Krankenhausplanung und ‐finanzierung inDeutschlandweisen in vielen BereichenVerbesserungspotenzial auf. Die derzeitige Krankenhausplanung erfolgt oftmals nicht aus‐reichendbedarfsgerecht.BeiderInvestitionsförderungreichendievorhandenenInvestitions‐mittel der Länder, auch infolge eines Überangebots an Krankenhäusern, nicht aus, um denBedarfzudecken.ZugleichenthältdieVergütungderKrankenhausbetriebskosten,trotzderVer‐dienstedesDiagnosis‐Related‐Group DRG ‐SystemsumdieErhöhungderTransparenz,zahl‐reiche Fehlanreize. Die Fehlentwicklungen in der Krankenhausfinanzierung sind für Uni‐versitätsklinikenundteilweiseauchfürMaximalversorgerbesondersgravierend.AlsLösungenempfiehltderRatfolgendeMaßnahmenzurWeiterentwicklungderKrankenhausplanungund‐finanzierung.

1307. Die derzeitige bettenorientierte Planung sollte durch eine leistungsorientiertePlanung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Versorgungsstufen bzw. ‐strukturen undandererwichtigerZielgrößen,wiePersonal‐undGeräteausstattung,ersetztwerden.DiePro‐gnose über die Nachfrage sollte künftig Daten zur demografischen Entwicklung derBevölkerung,Mortalität undMorbidität sowie Prognosen über denmedizinisch‐technischenFortschrittunddiePräferenzentwicklungvonPatientenberücksichtigen.

1308. Zur Investitionsfinanzierungwird einÜbergangvoneinerdualen zu einermonisti‐schenKrankenhausfinanzierung „differenzierteMonistik“ vorgeschlagen.Dajedocheinpoli‐tischerKonsenszumÜbergangzurMonistikbislangnichtgefundenwerdenkonnteundauchin

Page 12: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

764

Zukunftungewissist,obererzieltwerdenkann,bedarfesandererMaßnahmen,umderderzei‐tigenUnterfinanzierunginderInvestitionsförderungentgegenzuwirkenunddiegegenwärtigenÜberkapazitäten abzubauen. Der Strukturfonds ist gut geeignet, um die Bereinigung derKrankenhausstrukturen zu beschleunigen und die Investitionsförderung der Länder zuergänzen.ErsollteverstetigtwerdenundkünftigeinenstärkerenSchwerpunktimBereichderSchließungvonKrankenhäusern,nichtnureinzelnerAbteilungen,inüberversorgtenGebietensetzen.DerBundesanteil sollteausSteuermittelnstattdurchdenGesundheitsfondsgetragenwerden. Als Kompensation sollte der Bund in Form einer permanenten Bund‐Länder‐KommissionMitplanungskompetenzeninbundeslandübergreifendenGebietenerhalten.

1309. Zur Weiterentwicklung der Betriebskostenfinanzierung wird eine UnterscheidungnachVersorgungsstufenimDRG‐Systemempfohlen,z.B.durchMultiplikatorenaufdieRelativ‐gewichte.DiederzeitheterogeneDefinitionvonVersorgungsstufen isthierfürnichtgeeignet.VielmehrsollteeineneuebundeseinheitlicheundempirischabgeleiteteDefinitionvonVersor‐gungsstufen auf Fachabteilungsebene erfolgen. Ein weiterer wichtiger Baustein wäre eineStärkungpauschalerVergütungselementedurchgezielteBerücksichtigungderBesonderheiteninderVersorgungslandschaft.Sowürdeu.a.eindefinierterVorhaltungsbedarfbedarfsnotwen‐digerKlinikenpauschalvergütet.FürmengenanfälligeEingriffesolltedasbereitsbestehendeZweitmeinungsverfahren zu einer obligatorischen Maßnahme vor der Durchführung einesEingriffs weiterentwickelt werden und/oder eine Dokumentations‐ und Begründungspflichteingeführt werden. Zur Förderung der Ambulantisierung von Krankenhausleistungen wirdempfohlen, einen Katalog ambulanter Prozeduren zu definieren, die im ambulanten und imstationären Sektor in gleicher Höhe abgerechnet werden können. Um Krankenhäusern einekostendeckende Vergütung sicherzustellen, sollte die Höhe dieser sektorenübergreifendenVergütungssätze zunächst oberhalb der derzeitigen Sätze des Einheitlichen Bewertungs‐maßstabes EBM liegen, später sollten diese Vergütungssätze fortwährend evaluiert undgesenktwerden.UmfaireWettbewerbsbedingungenzwischendenKrankenhäusernzugewähr‐leisten,sollteeinBundesbasisfallwertermitteltwerden,dermiteinemRegionalisierungsfaktordemkrankenhausspezifischenPreisniveauderjeweiligenRegionangepasstwird.ZuletztenthältdasGutachtenEmpfehlungenzurFörderungeinerqualitativhochwertigenärztlichenWeiter‐bildung durch Etablierung eines Weiterbildungsfonds mit Ad‐personam‐Zuordnung fürÄrztinnenundÄrzte inWeiterbildung „Rucksackmodell“ sowie zurWeiterentwicklung derVergütung, die der speziellen Situation vonUniversitätskliniken und teilweise auch anderenMaximalversorgernRechnungtragen.

17.1.3 Sektorenübergreifende Versorgung

1310. EinerbedarfsgerechtensektorenübergreifendenVersorgungstehtinersterLiniediestarkeAbschottungdereinzelnenLeistungssektorenentgegen.VorallemKlinikenundPraxen,zwischen denen eine unsichtbare, aber sehr folgenreiche Mauer verläuft, arbeiten inDeutschlandeher nebeneinander als im Interesse desPatientenmiteinander.Die integrierteVersorgung,dievornehmlichaufselektivenVerträgenzwischenKrankenkassenundLeistungs‐erbringernbasiert,zieltseitca.20JahrenaufeinebessereVerzahnunginsbesonderedesambu‐lantenunddesstationärenSektors.TrotzeinigerFortschrittegegenüberderAusgangslagefällteineZwischenbilanzimmernochnichtzufriedenstellendaus.

Page 13: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

765 Kapitel 17

1311. Für eine erfolgversprechende integrierte Versorgung besitzen die potenziellenVertragspartner noch zu geringe Gestaltungsmöglichkeiten und sehen sich auch mit ein‐engendenReglementierungenkonfrontiert.Diesgiltu.a. fürdiezulässigenRechtsformenbeiden MVZs, die eingeschränkte Auswahl der geförderten Disease‐Management‐ProgrammeDMPs unddiegefordertenWirtschaftlichkeitsnachweisebeiderbesonderenVersorgungnach§140aSGBV.DieZulassungderApothekeralsgleichwertigeVertragspartnerimRahmenderbesonderenVersorgungunddieGewährungdesLeistungserbringerstatusfürnach§87bSGBVbesondersförderungswürdigePraxisnetzekönntenweitereOptionenfürdieregionalesekto‐renübergreifendeVersorgungschaffen.

1312. Die seit dem Jahr 2012 gesetzlich verankerte Ambulante Spezialfachärztliche Ver‐sorgung ASV versprichtvonihrerKonzeptionhereinenrelevantenBeitragzurLösungdieserSchnittstellenproblemeundzugleicheineverstärkteSubstitutionvonstationärendurchambu‐lanteLeistungen.DiebishergleichwohleherenttäuschendeEntwicklungderASVgehtzueinembeachtlichen Teil auf die extrem hohen Teilnahmeanforderungen zurück, die trotz der Not‐wendigkeitvonQualitätserfordernisseneinerÜberprüfungbedürfen.

1313. Die sektorenübergreifende Planung und Sicherstellung einer bedarfsgerechtenVersorgungsolltevonregionalenGremien,unterstütztdurcheinzurichtendeGeschäftsstellen,wahrgenommen werden. Die Stimmrechte in diesem Gremium mit ähnlichen Stimm‐verhältnissenwieimGemeinsamenBundesausschuss G‐BA sindengandieVerantwortungfürdie Sicherstellung und die Finanzierung der Versorgung zu binden. Grundlage der Bedarfs‐ermittlungbildetnebenderregionalenMorbiditäteineprospektivePlanungskomponente,dieu.a. demografische Veränderungen und den medizinisch‐technischen Fortschritt berück‐sichtigt.DergeplanteBedarf solltesichwenigeran festenKapazitätskriterienwieArztsitzenundBettenzahlen,sondernstärkerandenzuerbringendenLeistungenorientieren.Dabeigehtes auch um die Frage, ob sich diese Leistungen unter medizinischen und ökonomischenAspektenbesserambulantoderstationärerbringenlassen.FernerumfassteinesolcheregionaleBedarfsplanungnebenspeziellenVersorgungszielenParameterwieWarte‐undWegezeitenderPatienten sowie die Ergebnisse einer noch weiterzuentwickelnden sektorenübergreifendenQualitätssicherung.

1314. ZeitlichbegrenzteLeistungsaufträgeanKrankenhäuserkönnendazudienen,dortdieErbringung von ambulanten Leistungen zu verstärken,wobei andererseits die Vergabe auchweiterhin an ambulante Leistungserbringer erfolgen kann. Vor allem benötigt eine bedarfs‐gerechteVersorgungeinsektorenübergreifendesVergütungssystem,beidemunabhängigvomOrtderLeistungserbringungdasPrinzip„gleicherPreisfürgleicheLeistung“gilt.Dieseeinheit‐liche Kalkulation sollte, wie bei der ASV gesetzlich vorgesehen, aus diagnosebezogenenGebührenpositionenbestehen.

17.1.4 Steuerung von Patientenwegen

1315. DerStellenwerteinerKoordinationgesundheitlicherVersorgungnimmtaufgrundderzunehmenden Komplexität von Erkrankungen und deren Behandlungsverläufen zu. DieserHerausforderungwirddieRegelversorgunginDeutschlandkaumgerecht.BemängeltwirdvorallemeineunzureichendeSteuerungvonInanspruchnahmen,diezuTermin‐undKapazitäts‐

Page 14: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

766

problemen führt.AlsLösungschlägtderRatu.a. verstärkteAnreize fürhausärztlichkoordi‐nierteVersorgungsmodellevor,dievorsehen,dassimmerzuerstderHausarztaufgesuchtwird.So hat die Hausarztzentrierte Versorgung HzV als erstes Modell, das eine hausärztlicheKoordination auch in Deutschland implementierte, das Ziel einer qualitätsgesicherten undleitlinienorientiertenSteuerungderVersorgungdurchdenHausarztoderdieHausärztin.DerRatempfiehlteinenvonallenKrankenkassenverpflichtendanzubietendenvergünstigtenWahl‐tarif,umdieTeilnahmeanHzV‐ModellendurchfinanzielleAnreizezusteigern,wobeidessenEffektemitangemessenenMethodenevaluiertwerdenmüssten.

1316. BeieinerunzureichendenWirkungandererMaßnahmenzurStärkungderHzVundder Steuerung der Patientenwege sollte die Einführung einer Kontaktgebühr für Facharzt‐besuche ohne Überweisung geprüft werden. Mit Blick auf internationale Erfahrungenerscheinen solche Selbstbeteiligungen geeignet, in ausgewählten Bereichen sowohl positiveFinanzierungs‐alsauchpositiveSteuerungseffektezuerzielen.Voraussetzungfüreineentspre‐chende Selbststeuerung der Patienten durch Kostenbeteiligung sind allerdings eine aus‐reichende Transparenz und Information der Betroffenen zu Behandlungsalternativen sowiederenWirksamkeitundKosten.DermangelndenempirischenEvidenzimBereichderSelbst‐beteiligungsolltemitadäquatenStudienbegegnetwerden.

1317. Eine auch aus Sicht der Patienten bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheits‐versorgung ist ohne umfangreiche evidenzbasierte Patienteninformation und einschlägigePatientenbeteiligungnichtumsetzbar.DazukanneinnationalesGesundheitsportalalszentraleAnlaufstelle für die Bürgerinnen undBürger beitragen. Darüber hinaus solltenModelle undStudien zur informierten partizipativen Entscheidungsfindung vermehrt gefördert werden.Patienteninformationszentren, in denenHilfe zur Selbsthilfe undRecherche angebotenwird,sollten intensiverbekanntgemachtwerden.Gleichzeitigsollte früh,bestenfallsbereits inderSchule,angefangenwerden,dieGesundheitskompetenzzufördern.

1318. DerÜbergangausdemstationärenindenambulantenärztlichen,pflegerischenoderrehabilitativenBereich stellt seit jeher einemitVersorgungsbrüchen einhergehende Schnitt‐stelledar.EntlassungsmanagementisteineinterprofessionelleAufgabe,umdenVersorgungs‐bedarfderPatientenbeimÜbergangzuberücksichtigen.BezüglichderVersorgungmitArznei‐mitteln imRahmen der Entlassungwäre es sinnvoll, dieMöglichkeit derMitgabe durch dasKrankenhausauszuweiten.

1319. Die Digitalisierung kann zu verbesserten Steuerungsprozessen beitragen, z.B. alsergänzendestelemedizinischesTherapiemonitoringimländlichenRaum.DabeiistdieVernet‐zungdurcheinesektorenübergreifendeelektronischePatientenaktedieGrundvoraussetzung,auf derweitere digitale Anwendungen aufbauen können. Die digitale Vernetzung und Inter‐operabilitätimRahmenderTelematikinfrastrukturbleibtzeitnahumzusetzen.DerAspektderNutzerfreundlichkeit, insbesondere fürältereMenschenoderauchGruppenmit spezifischenGesundheitsbedürfnissen beispielsweiseMigranten , solltebeiderBewertungvondigitalenAnwendungen stärker berücksichtigt und auch Nutzenaspekte außerhalb der GKV‐Finan‐zierungwiedieEinsparungvonWegekostenzumArztsollteneinbezogenwerden.

Page 15: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

767 Kapitel 17

17.1.5 Zukünftige Ausgestaltung der Notfallversorgung

1320. An der Notfallversorgung sind in Deutschland gleich drei Sektoren beteiligt: derKassenärztlicheBereitschaftsdienst/niedergelasseneÄrzte,derRettungsdienstunddieNotauf‐nahmenderKliniken. Insbesondere indenNotaufnahmenund imRettungsdienst lassensichstarksteigende Inanspruchnahmen,zumTeil langeWartezeitensowienichtseltenaucheineÜberlastungdesPersonalsbeobachten.VieleHinweise legennahe,dassdieVersorgungnichtbedarfsgerecht erfolgt. Ambulant gut behandelbare Patienten nehmen vermehrt direkt denRettungsdienstunddieKlinikeninAnspruchundblockierensomitvergleichsweiseharmlosenBeschwerden spezialisierte Behandlungskapazitäten. Bestehende Vergütungsanreizebegünstigen Rettungswagentransporte zu Kliniken und vermeidbare stationäre Aufnahmen.VielePatientenundprofessionelleHelfersindmitderaktuellenSituationunzufrieden.

1321. AngesichtsverbreiteterFehlinanspruchnahmenundeineroffenbarunzureichendenSteuerungsowieinfolgehäufignichtausreichenderInformationenfürhilfesuchendePatientenisteinBündelvonMaßnahmenzurNeuordnungeinerzukünftigbedarfsgerechten, sektoren‐übergreifendkoordiniertenNotfallversorgung„auseinerHand“erforderlich.

1322. AlleBürgersollenzukünftigrundumdieUhr–möglichstübereinebundeseinheitlicheRufnummer–einfachundschnellkompetenteAnsprechpartnerinIntegriertenLeitstellen ILS erreichen.InILSsollensowohlalleakutenNotrufe 112 alsauchalleAnrufefürdenBereit‐schaftsdienst der niedergelassenen Ärzte 116117 zusammenlaufen. Erfahrene Fachkräfte,unterstütztdurchbreitweitergebildeteÄrztesolleneinequalifizierteErsteinschätzung Triage vornehmen. Bevor der Patient überhaupt sein Haus verlässt, kann so, unter Rückgriff aufaktuelle leitliniengestützteNotfallalgorithmen,der imEinzelfallbeste,andie lokaleSituationadaptierteVersorgungspfadfestgelegtwerden.DieserkannvomEinsatzeinesNotarztwagensmit„Blaulicht“ überdenHausbesucheinesBereitschaftsarztesbishinzurAktivierungeinesNotpflege‐oderPalliative‐Care‐Teamsreichen.VielePatientenfragenoder ‐sorgensolltenamTelefongeklärtwerden.

1323. GehfähigenPatientenmitakutemBehandlungsbedarfwerdenkurzfristigTermineinPraxenniedergelassenerÄrztevermitteltodersieerhaltenvonderILSeinenSofortterminineinem IntegriertenNotfallzentrum INZ , das an einer qualitativ besonders geeignetennahegelegenenKlinikebenfallsrundumdieUhrerreichbarist.NiedergelasseneÄrzteundKlinik‐ärztearbeitenhier imRahmeneinergemeinsamenVergütungHandinHand,organisatorischuntereinemDach.Patientenwerden im INZaneinemzentralenTresenempfangen,andem,koordiniertdurchvomKrankenhausweisungsunabhängige,z.B.beiderregionalenKassenärzt‐lichen Vereinigung KV beschäftigte Ärzte, eine erneute Ersteinschätzung Triage nachSchweregrad und Dringlichkeit erfolgt. Je nach individueller Situationwerden die PatientendannentwedervonniedergelassenenÄrzten ambulant odervonKlinikärzten ggf.mitstatio‐närerAufnahme weiterbehandelt.

1324. Eine einheitlicheDokumentationunddigitaleVernetzung ermöglicht eine optimalesektorenübergreifende Zusammenarbeit. Mehrsprachige Patienteninformationen, auch übersoziale Medien und Informationsportale, erklären das gestufte System. Apps können dieNutzungunddieSteuerunghinzuderfürdenPatientenoptimalenVersorgungerleichtern.

Page 16: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

768

17.1.6 Versorgung von Patienten mit Rückenschmerzen

1325. Ungefähr 20% der Versicherten suchen einmal im Jahr einen Arztwegen Rücken‐schmerzen auf, von derWirbelsäule ausgehende Schmerzen sind die häufigste Ursache fürArbeitsunfähigkeitundfrühzeitigeBerentung.AkuteundchronischeRückenschmerzenführenzuerheblicherInanspruchnahmevonmedizinischenLeistungen,imambulantenBereichsindHausärzteundOrthopädendieführendenBehandler.AuffälligisthiereinehoheAnwendungs‐rate von bildgebenden Verfahren bereits bei Patienten mit akuten, unspezifischen Rücken‐schmerzen.ZudemgibtesHinweiseaufeinezunehmendeVerordnungvonOpiatenbeiPatientenmit chronischen Rückenschmerzen. Im Gegensatz zu den Empfehlungen der NationalenVersorgungsLeitlinie NVL Kreuzschmerz werden Injektionen von Schmerzmitteln undKortison sowohl ambulant als auch stationär häufiger durchgeführt als die von der NVLempfohlenemultimodale Schmerztherapie. Analysen derHäufigkeit vonOperationen an derWirbelsäule zeigen eine zunehmende Tendenz und eine nicht nachvollziehbare regionaleVarianz.ObgleichdieQualitätderIndikationsstellungschwerüberprüfbarist,gibtesdeutlicheAnzeichendafür,dasssiehäufigproblematischist.

1326. Rückenschmerz gehört auch zu den häufigen Anlässen für den Besuch einer Not‐aufnahme, oftmals auch während der Öffnungszeiten niedergelassener Ärzte, und führt aufdieseWeisezuvermeidbarenKrankenhausaufnahmen.

1327. Verschiedene Maßnahmen sollten ergriffen werden, um die Patienten stärker alsbisherindieEntscheidungsfindungeinzubeziehen.Hierzugehörtu.a.dieverpflichtendeInfor‐mationüberden nurbegrenzten NutzenvonBildgebungsowiedieBedeutungvonBewegungundPhysiotherapie. InDeutschlandentscheidetbisherdieärztlicheVerordnungüberdieArtund Länge der physiotherapeutischen Behandlung. Mehr Gestaltungsspielräume für Physio‐therapeuten, etwa durch Blankoverordnungen oder gar den Direktzugang ohne ärztlicheVerordnung,sinderwägenswert.VorläufigeEvaluationen legendieMachbarkeitnahe.Ergeb‐nisse ausbelastbarenEvaluationsstudien zurWirksamkeit, Sicherheit undWirtschaftlichkeitbleibenabzuwarten.AufgrunddererweitertenKompetenzensolltederDirektzugangnurbeiPhysiotherapeutenmiteinschlägigemHochschulstudiumundzugehörigerklinisch‐praktischerQualifikationmöglichsein.

1328. ÜberdasAufsetzeneinesDMPwirdaktuellverhandelt,wobeiesdiehierfürambestengeeignetePatientengruppezudefinierengilt.WerdenPatientenineinersehrfrühenPhaseihrerBeschwerdenbereitsineinBehandlungsprogrammfürchronischKrankeaufgenommen,kanndiesggf.sogarnegativeAuswirkungenaufihreEinstellungundihrVerhaltenhaben „somati‐scheFixierung“ .FürPatientenmitakutenundsubakutenRückenschmerzenkönntenandereVersorgungsformenalseinDMPdaherbessergeeignetsein,z.B.VerträgeübereinebesondereVersorgungnach§140aSGBV.Hauptzielsolltedabeisein,KrankheitsverläufemithohemRisikozurChronifizierungfrühzeitigzuidentifizierenundeinergeeignetenTherapiezuzuführen.

Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen hingegen kann durch ein DMP eineleitliniengerechteVersorgung sichergestelltwerden.Diemultimodale Schmerztherapie sollteimRahmendesDMPambulantbzw.zumindestteilstationärerbrachtwerdenkönnen.

1329. Operationen an derWirbelsäule sollten verpflichtend im DeutschenWirbelsäulen‐register dokumentiert werden, um die Behandlungsqualität zu sichern und langfristig diePatientenzucharakterisieren,dievondieserTherapieammeistenprofitieren.Eingriffeander

Page 17: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

769 Kapitel 17

WirbelsäulesollteneineevidenzbasiertePatienteninformationzwingendvoraussetzenundindieZweitmeinungsrichtliniedesG‐BAaufgenommenwerden.

17.1.7 Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen

1330. Bei der Koordination der psychiatrisch‐psychosomatisch‐psychotherapeutischenVersorgung besteht Optimierungspotenzial, insbesondere wegen der unübersichtlichenLeistungsanbieterstruktur,deroftkomplexenBehandlungsverläufeunddernichtimmerklarenVerantwortungfürdieKoordinationvorallemimambulantenSektor.

1331. Indenletzten20JahrensinddiestationärenVerweildauernindiesemVersorgungs‐bereich deutlich gesunken, die Fallzahlen gestiegen und die Bettenzahlen erheblich zurück‐gegangen.AuchindennächstenJahrenistdamitzurechnen,dassdieZahlvonPatientenmitpsychiatrischen Diagnosen ansteigen wird, während die Ambulantisierung noch nicht dasAusmaßerreichthat,dassiepotenziellhabenkönnte.DieZahlanÄrztenundPsychologenimpsychiatrisch‐psychotherapeutischenBereichistdeutlichgestiegen,dasgiltbesondersauchfürdieZahlderpsychologischenundärztlichenPsychotherapeuten.Vorallemdurchdasneuezeit‐naheAngebotderpsychotherapeutischenSprechstundeisteineVerbesserungderKoordinationvonPatientenmitpsychischenErkrankungenzuerwarten.

1332. Allerdings wurden in einer Umfrage des Rates unter psychiatrischen und psycho‐somatischenKlinikensowieNiedergelassenendieWartezeitenaufeineTherapieauchweiterhinalszulangbeurteilt,vorallemdiejenigenaufambulantePsychiaterundPsychotherapeuten,waszuFehlanreizenfürunnötigestationäreBehandlungenführenkönnte.DeshalbisteinAusbauderambulantenundteilstationärenKapazitätenerforderlich,wobeiineinerzukünftigensekto‐renübergreifenden Bedarfsplanung nicht nur die Anzahl der psychotherapeutischen Sitzebetrachtetwerdensollte,sondernauchderentatsächlicheAuslastung.PerspektivischkönnteesdasZielsein,durchdieAmbulantisierungimvollstationärenBereichdenwiederzubeobach‐tendenBettenaufbauderletztenJahrezubeendenundinZukunftggf.auchwiederBettenabzu‐bauen.UmdasFindeneinesTherapieplatzeseinfacherzumachen,istergänzendeinezentraleKoordinierungfreierTherapieplätzez.B.durchdieTerminservicestellenderKVenodermittelsOnline‐Plattformenzuoptimieren.

1333. DurchdiebesonderenVersorgungsformenundjüngstdenInnovationsfondsisteineneue Dynamik im Bereich der Koordination psychiatrisch‐psychosomatisch‐psychothera‐peutischerVersorgungzubeobachten.Sokönnteu.a.dieVersorgungvonFlüchtlingenundalten,pflegebedürftigenpsychischKrankendurchdieentsprechendenProjektestärkerindenFokusrücken.FüreineVerbesserungderVersorgungssituationistesnotwendig,dasspositivevalu‐ierteModelle auch tatsächlich Eingang in den Kollektivvertrag finden. Dazu gehört z.B. derEinsatzvonE‐Health‐AngebotenalsErgänzungzurambulantenVersorgung,soweitdieseAnge‐bote ihrenNutzenfürdiePatientenwissenschaftlichnachgewiesenhaben.Ebensowäreeinestandardisierte elektronische Patientenakte gerade im Bereich psychischer Erkrankungen,sofern die besonderen Datenschutzerfordernisse in diesem Bereich beachtet werden, mitgroßemPotenzialfürdieKoordinationverbunden.

1334. UmdieKoordinationderVersorgungzuverbessern,solltederHausarztinderRegelderersteAnsprechpartnerderPatientensein,dereinenleitliniengerechtenBehandlungsverlauf

Page 18: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

770

imBlickhat. InsbesonderebeischwererenpsychischenErkrankungenkommt fürdieHaupt‐koordinierungsleistung aber z.B. auch ein niedergelassener Facharzt für Psychiatrie, einPsychotherapeut oder eine Institutsambulanz infrage. Das Weitergeben der Hauptkoordi‐nationsverantwortunganeinenanderenLeistungserbringerwürdemitdemPatientenunddemneuen Koordinierenden abgestimmt und auch dokumentiert werden. Die Koordinations‐verantwortungsolltedabeizukünftigbesservergütetwerden.

17.1.8 Einladung zur Diskussion

1335. Nachfolgend Abschnitt 17.2 findet sich eine strukturierte Zusammenstellung derrelevantenEinzelempfehlungendiesesGutachtens.AufgrunddeshöherenDetaillierungsgradesfinden sich dort auch Empfehlungen, die in dieser Zusammenfassung nicht explizit erwähntwerden.

1336. Der Rat möchte mit diesem Gutachten einen Beitrag zu einer besseren, bedarfs‐gerechterenGesundheitsversorgung leisten. Zur Erläuterung der hier vorgestelltenAnalysenundEmpfehlungenundzumDiskursmitdenMitgliederndesRateswerdeneinSymposiumaufBundesebeneinBerlinsowieerstmalsvierRegionalkonferenzenunterBeteiligungderLänderdurchgeführt.NähereInformationenzudiesenVeranstaltungensowiezudiesemundvorher‐gehendenGutachtenfindensichaufdenInternetseitendesRates:www.svr‐gesundheit.de.

Page 19: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

771 Kapitel 17

17.2 Zusammenstellung der Empfehlungen

Im Folgenden werden Empfehlungen aus den einzelnen Fachkapiteln zusammengestellt.DetailszudeneinzelnenVorschlägenundzudenfachlichenHintergründenfindensichindenjeweilsinKlammernangegebenenKapitelnbzw.Abschnitten.

1. Im Hinblick auf die ambulante Angebotskapazitätsplanung und Vergütung

empfiehlt der Rat,

a. dasNachbesetzungsverfahrenvonambulantenVertragsarztsitzenzureformieren,umdieoffenbarverbreitetePraxis,diemitdemVertragsarztsitzverbundeneArzt‐praxis inbegehrtenGebietenzueinemdenSachwertbeiWeitemübersteigendenPreisweiterzuverkaufen,zuunterbinden,wobeieineÜbergangsregelungzufindenist.ZudemsolltendiegezahltenPreisebeiÜbernahmevonVertragsarztsitzen,wennmöglich, erfasst und aggregiert ausgewertet werden, um die Transparenz zuerhöhen sieheAbschnitt3.5.2 ;

b. diekassenärztlicheZulassungzeitlichzulimitieren beispielsweiseauf30JahrebeiMVZsundBAGs,beieinzelnenVertragsärztenbiszurBeendigungdervertragsärzt‐lichenTätigkeit undzuermöglichen,dassdieArztsitzvergabeandieVerpflichtungzurErbringung einesbestimmten insbesondere grundversorgenden Leistungs‐spektrumsgekoppeltwird sieheAbschnitt3.5.2 ;

c. die Niederlassung von Vertragsärzten in Gebieten, die durch das anstehendeAusscheidenmehrererVertragsärzteabsehbarunterversorgtseinwerden,zuver‐einfachen. Hier sollten Nachbesetzungen bereits fünf Jahre vor der voraussicht‐lichenAufgabeeinesVertragsarztsitzesermöglichtwerden sieheAbschnitt3.5.2 ;

d. instrukturschwachenRegionenfinanziellspürbareLandarztzuschläge biszu50%Honorarzuschlag auf Grundleistungen zur Sicherstellung undVerbesserung derVersorgungeinzuführen;

e. denAnreiz für einehoheBehandlungsqualität durch einemorbiditätsorientiertePauschalvergütungproPatientinderhausärztlichenVersorgungzusetzen sieheAbschnitt5.3.3 .SpezifischeLeistungenkönnenweiterhineinzelnvergütetwerden.In einem solchen Vergütungssystem bedarf es der genauen Zuordnung einesPatientenzueinembestimmtenArzt,fürdenderPatientsichwiebeiderHzVfreientscheidenkann.

2. Im Hinblick auf die Krankenhausplanung und -finanzierung empfiehlt der Rat,

a. die derzeitige bettenorientierte Planung durch eine leistungsorientierte PlanungunterBerücksichtigungunterschiedlicherVersorgungsstufenbzw.‐strukturenundandererwichtiger Zielgrößen,wie Personal‐ und Geräteausstattung, zu ersetzensieheAbschnitt6.4.2 ;

b. einMonitoringderZielerreichungsgradeundggf.kürzerePlanungsintervalle,diesowohlQualitätskriterienalsauchdenmedizinisch‐technischenundpflegerischenFortschrittinBetrachtziehen,zuetablieren sieheAbschnitt6.4.2 ;

Page 20: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

772

c. beiderPrognoseüberdieNachfrageDatenzurdemografischenEntwicklungderBevölkerung,zurMortalitätundMorbiditätsowiePrognosenüberdenmedizinisch‐technischenFortschrittunddiePräferenzentwicklungvonPatientenzuberücksich‐tigen sieheAbschnitt6.4.2 ;

d. einenKatalogvonambulantenProzedurenzudefinieren,dieimambulantenundimstationärenSektoringleicherHöheabgerechnetwerdenkönnen.DieVergütungs‐sätzesolltenzunächstoberhalbderderzeitigenEBM‐SätzeliegenundimweiterenVerlauf der Zeit evaluiert und gesenkt werden. Dies könnte ein Übergang zumsektorenübergreifendenVergütungssystemsein sieheAbschnitt6.3undEmpfeh‐lung3h ;

e. PatientenmitDiagnosenausdemSpektrumambulant‐sensitiverKrankenhausfälleeffektiverzuversorgen,umstationäreAufnahmenzuvermeiden,undeineversor‐gungsstufenübergreifend koordinierte Versorgung chronisch kranker, multi‐morbiderPatientenanzustreben sieheAbschnitt6.3 ;

f. den Übergang zu einer monistischen Krankenhausfinanzierung „differenzierteMonistik“ anzustreben. Die Verteilung der Investitionsmittel an Krankenhäusersollte im Rahmen selektiver Einzelversorgungsverträge zwischen den Kranken‐kassenunddenKrankenhäusernerfolgen sieheAbschnitt8.2.3 ;

g. den Bundesanteil des Strukturfonds aus Steuermitteln zu finanzieren und demBund dafür in Form einer permanentenBund‐Länder‐KommissionMitplanungs‐kompetenzen inbundeslandübergreifendenVersorgungsfrageneinzuräumen.EinländerübergreifenderföderalerKrankenhausversorgungsplansolltevomBundimBenehmenmitdenLändernaufgestelltundeinbestimmterAnteildesFondssolltefür die länderübergreifenden Förderzwecke reserviert werden siehe Abschnitt8.2.4 ;

h. das DRG‐System weiterzuentwickeln, indem die Annahme einheitlicher Kosten‐strukturen über alle Versorgungsstufen hinweg der sogenannte Einhausansatz überprüftunddieVergütungnacheinerneuenbundeseinheitlichenundempirischabgeleiteten Definition von Versorgungsstufen ggf. auf Fachabteilungsebene differenziert wird, z.B. durch Multiplikatoren auf die Relativgewichte sieheAbschnitt8.3.2 ;

i. den pauschalen Vergütungskomponenten außerhalb der DRGs, wie in anderenStaaten,einenhöherenAnteilanderKrankenhausvergütungeinzuräumen sieheAbschnitt8.3.3 ;

j. fürmengenanfälligeEingriffedasbereitsbestehendeZweitmeinungsverfahrenvorder Durchführung eines Eingriffs obligatorisch zu machen oder eine Dokumen‐tations‐undBegründungspflicht,beispielsweiseübereineverpflichtendeMeldunganeinRegister,einzuführen sieheAbschnitt8.3.5 ;

k. die zur Berechnung der Relativgewichte herangezogene Kalkulationsstichprobekonstantzuhalten sieheAbschnitt8.3.5 ;

l. Bundesbasisfallwerte einzuführen, die mit einem automatisierten regionalenBestandteilausgestattetwerden sieheAbschnitt8.3.6 ;

Page 21: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

773 Kapitel 17

m. fürUniversitätsklinikenundteilweiseauchandereMaximalversorgereineLösungzurVergütungvonExtremkostenfällenzufinden,z.B.durchdieEinführungeinesRisikopools,sowiedieZuschlägefürInnovationszentren,dieVorhaltungdefinierterKapazitätenfürKatastrophenundEpidemiensowiedieZuschlägefürspezialisierteZentrenweiterzuentwickeln sieheAbschnitt8.5 ;

n. Anreize für eine qualitativ hochwertige ärztlicheWeiterbildung zu setzen.Dafürsollte durch entsprechende Bereinigung der Vergütung einWeiterbildungsfondseingerichtetwerden,ausdemdieMittelÄrztinnenundÄrzteninWeiterbildungadpersonam zugeordnet und dem jeweiligen Weiterbilder Kliniken oder Praxen entsprechendderWeiterbildungsdauerzufließenkönnen sieheAbschnitt8.3.4 ;

o. eine ausgewogene Zusammensetzung zwischen Grund‐ undDrittmitteln anUni‐versitätsklinikenanzustreben.DieDrittmittelfinanzierungausBundesmittelnsolltedurcheineErhöhungdesAnteilsanderForschungsfinanzierungseitensderLänderergänztwerden.BeiderFinanzierungvonDrittmittelprojektensolltesichergestelltwerden, dass sie aufBasis vonVollkosten erfolgt. Transparenzüber die tatsäch‐lichen Vollkosten bei durchgeführten Forschungsprojekten ist hierzu notwendigsieheAbschnitt8.4.2 .

3. Im Hinblick auf die sektorenübergreifende Bedarfsplanung und Versorgung

empfiehlt der Rat,

a. dieAngebotskapazitätsplanungfürdenambulantenunddenstationärenSektorzueinem wirksamen Steuerungsinstrument weiterzuentwickeln und eine stärkerverzahnteundbedarfsgerechterePlanungzuerreichen sieheAbschnitt13.3 ;

b. diesektorenübergreifendePlanungs‐undSicherstellungsverantwortunganregio‐naleGremienzuübertragen,diedurcheinzurichtendeGeschäftsstellenunterstütztwerden sieheAbschnitt13.2.2 .DieStimmrechteineinemsolchenGremium,dasähnlich dem G‐BA ausgestaltet werden sollte, sind eng an die konkrete Verant‐wortungfürdieSicherstellungbzw.FinanzierungdergesundheitlichenVersorgungzubinden.GleichzeitigistdieEinbeziehungregionalrelevanterInteressengruppen–analogzurPatientenvertretungimG‐BA–zuermöglichen;

c. die regionaleMorbidität auf Grundlage einer solidenDatenbasis in der Planungstärkerzuberücksichtigen sieheAbschnitt13.2.4 undeineprospektivePlanungs‐komponente,diedemografischeVeränderungenunddenmedizinisch‐technischenFortschrittadressiert sieheAbschnitt13.2.5 ,einzuführen sieheEmpfehlung2c ;

d. dieDatenverfügbarkeitunddieVergleichbarkeitimambulantenundimstationärenSektor,insbesondereimHinblickaufdieDiagnosedaten,zuverbessernsowiedenZugangzuunddiewissenschaftlicheNutzungvon stationärenDatennach§301SGBVinVerbindungmitambulantenDatennach§295SGBVsicherzustellen sieheAbschnitt13.3.1.1 ;

e. denBedarfwenigeranfestenKapazitätsgrößenwieArztsitzenundBettenzahlenzuorientieren, sondern stärker an den zu erbringenden Leistungen auszurichtensieheAbschnitt13.2.6 .Dies ermöglicht eineBeurteilung, obdieLeistungen imregionalenKontext medizinischundökonomisch besserambulantoderstationär

Page 22: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

774

erbrachtwerdenkönnen.DieVerbund‐undNetzwerkstrukturensolltenbereitsinderPlanungberücksichtigtunddasZusammenspielderverschiedenenAkteureimregionalenKontextsollteeffizientkoordiniertwerden;

f. zeitlich begrenzte Leistungsaufträge an Krankenhäuser zu vergeben sowie beiBedarf die Möglichkeiten zur Erbringung ambulanter Leistungen inKrankenhäusern–beispielsweiseimRahmenklinikgestützterGesundheitszentren–zuverbessern.AnalogdazukönnenLeistungsaufträgeanambulanteLeistungs‐erbringervergebenwerden sieheAbschnitt13.2.6undEmpfehlung1b ;

g. die regionale Bedarfsplanung anhand verschiedener ParameterwieWartezeitenundWegezeitenoderspezifischer,politischfestgelegterVersorgungszielesowiederErgebnisse einer noch weiterzuentwickelnden sektorenübergreifenden Quali‐tätssicherungkontinuierlichzuevaluieren sieheAbschnitt13.2.8 ;

h. mögliche Fehlanreize bei einer sektorenübergreifenden Bedarfsplanung durchEinführung einer sektorenübergreifendenVergütungsstruktur imSinne „gleicherPreis für gleiche Leistung“ frühzeitig zu adressieren siehe Abschnitt 13.2.3 . Ineinem ersten Schritt kann dazu ein Katalog von hybriden Leistungen definiertwerden,dieimambulantenundimstationärenSektoringleicherHöheabgerechnetwerdenkönnen.DazubedarfeseinerstärkerenZusammenarbeitdesInstitutsdesBewertungsausschusses InBA und des Instituts für das Entgeltsystem imKrankenhaus InEK , die das generelle Ziel verfolgt, ein sektorenübergreifendesVergütungssystem unabhängig vom Ort der Leistungserbringung zu definieren.DabeikönntenfürbestimmteIndikationensektorenübergreifendeFallpauschalendefiniertwerden siehe Empfehlung 2 d .Weiterhin könnte die Versorgung vonPatienten mit ambulanten und stationären Episoden in Zukunft über diagnose‐bezogene Leistungskomplexpauschalen vergütet und die Vergütung auf entspre‐chendeLeistungserbringeraufgeteiltwerden;

i. dieEntwicklungderASVzuunterstützenunddiederzeitextremhohenTeilnahme‐voraussetzungen–unbeschadetderNotwendigkeitvonQualitätserfordernissen–zuüberprüfen sieheAbschnitt11.6 ;

j. die schwer nachvollziehbaren unterschiedlichen Rechtsformmöglichkeiten derMVZsundihrerTrägerzuvereinheitlichenunddafürdiezulässigenRechtsformenderMVZszuerweitern sieheAbschnitt11.6 ;

k. die Auswahl der fürDMPs infrage kommendenKrankheitsbilder den regionalenPartnernvorOrtzuüberlassenundderenLeistungs‐undVerwaltungspauschalenim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich Morbi‐RSA abzuschaffensieheAbschnitt11.6 ;

l. dieForderungeinesWirtschaftlichkeitsnachweisesbeiderbesonderenVersorgungnach§140aSGBVaufzuheben,umdenWettbewerbbeidiesenVerträgenzuinten‐sivieren sieheAbschnitt11.6 ;

m. dieApothekeralsgleichberechtigteVertragspartneranderbesonderenVersorgungnach§140aSGBVzuzulassen sieheAbschnitt11.6 ;

Page 23: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

775 Kapitel 17

n. weitereOptionenfürdieregionaleVersorgungzuermöglichenunddennach§87bAbs.4SGBValsbesondersförderungswürdiganerkanntenPraxisnetzenderStufenIundIIkünftigdenLeistungserbringerstatusanzubieten sieheAbschnitt11.6 ;

o. innovative, sektorenübergreifende Versorgungskonzepte zu fördern und derenfinanzielleFörderungmithilfedesInnovationsfondsauchweiterhinzuermöglichensieheAbschnitt11.6 .

4. Zur bedarfsgerechten Steuerung von Patientenwegen empfiehlt der Rat,

a. dieModellezurHausarztzentriertenVersorgung HzV auszuweiten,daeszueinereffizienten und effektiven Versorgung von Patienten im Facharztsektor beiträgt,wennPatientenvomHausarztkoordiniertundgezieltüberwiesenwerden sieheAbschnitt 12.7.1 . Ein von allen Krankenkassen verpflichtend anzubietendervergünstigterWahltarifkönnteeinfinanziellerAnreizfürdieTeilnahmeaneinemHzV‐Modell sein.DieVersorgung imRahmenderHzV‐Modellemussvonmetho‐dischhochwertigenEvaluationenbegleitetwerden;

b. vorderEinführungjeglicherFormvonSelbstbeteiligungimGesundheitswesenzuüberprüfen, ob der finanzielle Aufwand, eine neue Regelung einzuführen undadministrativ durchzuführen, gegenüber der Kostenersparnis und der erhofftenSteuerungswirkung in einem angemessenen Verhältnis steht. Abhängig vomErgebniskönnte–ähnlichwiebereitsimGutachtendesRatesausdemJahr2014erwogen–eineKontaktgebühr für jedenFacharztbesuchohneÜberweisungein‐geführt werden siehe Abschnitt 12.7.2 . Ausnahmen von dieser Gebühr bildenBesuche bei Hausärzten, Augenärzten, Gynäkologen, Psychiatern sowie Arzt‐besuchevonMinderjährigenbeihausärztlich tätigenKinderärzten.DieHöhederFacharztkontaktgebührundderenDynamisierungwärepolitischzuentscheiden,auchimHinblickaufeinesozialeAbfederung.EineEvaluationderAuswirkungenistwichtig,umdieHöheundArteinersolchenSelbstbeteiligungentsprechendweiter‐zuentwickeln;

c. dieGesundheitskompetenzderBevölkerungzufördern,idealerweisebereitsinderSchule,umdenUmgangmitGesundheitsinformationzuerleichtern,einVerständnisderevidenzbasiertenMedizinaufzubauenundsodiekritischeAuseinandersetzungmitGesundheitsinformationenzuermöglichen sieheAbschnitt12.7.3 .IndiesemZusammenhangsindauchdieZugangsmöglichkeitenderBürgerinnenundBürgerzu wissenschaftlichen Ergebnissen zu verbessern, komplexe Entscheidungs‐situationen durch die Förderung bei gleichzeitiger Evaluation des Einsatzes vonDecisionCoacheszuerleichternunddieinformiertepartizipativeEntscheidungs‐findungdurchweitereStudienzubegleiten;

d. imRahmendesEntlassungsmanagementsdieMöglichkeitderMitgabevonArznei‐mitteln durchdasKrankenhausdahingehend auszuweiten, dassArzneimittel fürdenZeitraumvonbiszueinerWochemitgegebenwerdendürfen,unabhängigvomBevorstehen eines Wochenendes oder Feiertages. Das EntlassungsmanagementsollteimKrankenhausnachMöglichkeiteinhergehenmitdemAngeboteinerapo‐thekergeleitetenMedikationsüberprüfung,beidereinMedikationsplanerstelltundmitdemPatientenbesprochenwird sieheAbschnitt12.7.4 ;

Page 24: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

776

e. EvaluationendigitalerAnwendungenanderPerspektivedesPatienten beispiels‐weise hinsichtlich einer Verbesserung der Patientensouveränität oder Komfort‐verbesserunginderTherapie auszurichten sieheAbschnitt12.7.5 .Danebenisteine neue Form von Nutzenbewertungsverfahren einzuführen, die spezifischeVersorgungskonzepte der digitalen Anwendungen berücksichtigt. Evaluations‐prozesse im Rahmen des SGBV sind daher den Besonderheiten von digitalenAnwendungenanzupassen,ohnedabeidieEvaluationstiefe insbesondereinBezugauf Sicherheit, aber auch hinsichtlich derWirksamkeit zu verringern. Entspre‐chendemethodische Ansätze zur Evaluation komplexer telemedizinischer Inter‐ventionen,wiez.B. inden laufendenProjektendes Innovationsfonds,sinddaherkontinuierlichzubewertenundweiterzuentwickeln.

5. Zur bedarfsgerechten Ausgestaltung der Notfallversorgung empfiehlt der Rat,

a. die drei Säulen der Notfallversorgung ärztlicher Bereitschaftsdienst, Rettungs‐dienstundNotaufnahme besserzuintegrierenunddieKoordinationderNotfall‐versorgung rund umdieUhr über Integrierte Leitstellen ILS zu gewährleistensiehe Abschnitt 14.4.1 . In diesen sollten, möglichst unter einer Rufnummer,sowohl die akuten Notrufe 112 als auch die Anrufe für den ärztlichenBereitschaftsdienst 116117 zusammenlaufen und dort von erfahrenenFachkräften, unterstützt durch breit weitergebildete Ärzte, entgegengenommenwerden.IndenILSsolleinequalifizierteErsteinschätzung Triage unterRückgriffaufaktuelleleitliniengestützteNotfallalgorithmenerfolgenunddersituativjeweilsbesteVersorgungspfadgewähltwerden.DieserVersorgungspfadkannvomEinsatzdesRettungsdienstesüberdenHausbesuch einesBereitschaftsarztesbishin zurAktivierung eines Notpflege‐ oder Palliative‐Care‐Teams reichen, aber auch denVerweis auf die reguläre vertragsärztliche Versorgung beinhalten. VielePatientenfragen oder ‐sorgen sollten durch die telefonische Beratung undBehandlungdurchVertragsärztegeklärtwerden;

b. die Praxen des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes sukzessive vollständig ininterdisziplinärenundsektorenübergreifenden,ebenfallsrundumdieUhrerreich‐baren Integrierten Notfallzentren INZs in Krankenhäusern anzusiedeln sieheAbschnitt14.4.2 .GehfähigePatientenmitakutemBehandlungsbedarfkönnenimAnschlussandiequalifizierte telefonischeErsteinschätzung Triage vonder ILSeinenSofortterminineinemINZerhalten.IndiesenINZsarbeitenniedergelasseneÄrzteundKlinikärzteHandinHandorganisatorischuntereinemDach.PatientenwerdenimINZaneinemzentralenTresenempfangen,andem,koordiniertdurchunabhängige Ärztinnen und Ärzte, eine erneute Ersteinschätzung Triage nachSchweregradundDringlichkeiterfolgt.JenachindividuellerSituationwerdendiePatienten dann von niedergelassenen Ärzten ambulant oder von Klinikärztenggf. mit stationärer Aufnahme weiterbehandelt oder auf anderen geeignetenVersorgungspfadenweitergeleitet;

c. fürdiePlanungeinegestufteErrichtungderINZsinausgewähltenKlinikenvorzu‐sehen,dieandasG‐BA‐KonzeptzugestuftenNotfallstrukturenangelehnte,nochzudefinierendeMindestvoraussetzungenerfüllen.DiePlanungsollte–abhängigvon

Page 25: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

777 Kapitel 17

den regionalen Gegebenheiten – durch die gemeinsamen, gesetzlich weiterent‐wickeltenLandesgremiennach§90aSGBVoderdurchdieLänderselbstdurch‐geführt werden. Die Konzentration auf besonders geeignete Kliniken mit INZermöglicht die Vorhaltung umfassenderer Optionen wie z.B. des kinder‐ undjugendärztlichen Bereitschaftsdienstes, des psychiatrischen Kriseninterventions‐dienstesodereiner24‐stündigenBereitschaftfürLinksherzkatheterinterventionenoderComputertomografie CT bzw.Kernspintomografie MRT ;

d. dieextrabudgetäreVergütungdersektorenübergreifendenNotfallversorgungauseiner Grundpauschale und einer Vergütung pro Fall zusammenzusetzen sieheAbschnitt14.4.2 .DieGrundpauschalesolldieVorhaltekostenfürdieNotfallversor‐gungfinanzierenundsichindreiStufenanderKapazitätundderAusstattungdesjeweiligenINZorientierenundumeinePauschaleproFallunabhängigvonderFall‐schwereergänztwerden.DasINZsolltesomitalsamKrankenhauslokalisierte,abereigenständige wirtschaftliche Einheit geführt werden und die Leistungen derKrankenhausnotaufnahme und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes aus seinerVergütungimBinnenverhältniskompensieren;

e. dieVersorgungmitMedikamenteninNotfällenzuerleichternunddenimvertrags‐ärztlichenBereitschaftsdiensttätigenÄrzteneinDispensierrechtfüreinumschrie‐benes Notfallsortiment, auch fürMedikamente, die unter das Betäubungsmittel‐gesetzfallen,zuermöglichen sieheAbschnitt14.4.2 ;

f. dasAngebotinderambulantenVersorgungzufördern,umdieInanspruchnahmederNotfallversorgungzureduzieren,indemeinAnreizzurFlexibilisierungundggf.auch zur Ausweitung der Sprechzeiten der niedergelassenen Haus‐ Ärzte amAbendundamWochenendegesetztwird sieheAbschnitt14.4.3 ;

g. dieVereinheitlichungderZugangsvoraussetzungenzumvertragsärztlichenBereit‐schaftsdienstzuunterstützenundeinenbundesweiteinheitlichenBasiskurs„Ärzt‐licherNotdienst“fürdenvertragsärztlichenBereitschaftsdienst,ähnlichdergegen‐wärtigenZusatzweiterbildungNotfallmedizin,zufördern sieheAbschnitt14.4.4 ;

h. dieRotationindieNotaufnahmebzw.denErwerbnotfallmedizinischerKenntnisseund Fertigkeiten als obligatorischen Teil der Weiterbildung sowohl im FachAllgemeinmedizinalsauchinderUnfallchirurgie,derNeurologieundderInnerenMedizinaufzunehmen sieheAbschnitt14.4.4 ;

i. Fehlanreize im Rettungsdienst zu beseitigen und diesen als eigenes Leistungs‐segmentimSGBVzuetablierensowiedessenVorhaltekostenimRahmenderDa‐seinsvorsorge des Staates aus Steuermitteln und die Betriebskosten durch dieKrankenkassenzufinanzieren sieheAbschnitt14.4.5 ;

j. dieKoordination imRettungsdienst zuverbessernundeine stärkerehorizontaleIntegration der derzeit noch über 300 unterschiedlichen Rettungsdienstbezirkeanzustreben sieheAbschnitt14.4.5 ;

k. diejenachKreisunterschiedlichen,vonNotfallsanitäterneigenständigdurchzufüh‐renden Maßnahmen zu vereinheitlichen und dazu definierte Befugnisse auszu‐weiten sieheAbschnitt14.4.5 ;

Page 26: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

778

l. dasneueNotfallversorgungssystemdurchmehrsprachigePatienteninformationen,auch über soziale Medien und Informationsportale, zu erläutern und dessenNutzungdurchdigitaleApplikationenzuerleichtern sieheAbschnitt14.4.2 ;

m. denAufbaudieserneuenStrukturenderNotfallversorgungdurcheineeinheitlicheDokumentationunddiedigitaleVernetzungzuermöglichenunddabeidieEvalua‐tiondieserStrukturendurcheinebessereDatenvergleichbarkeitund‐verfügbarkeitzuvereinfachen sieheAbschnitt14.4.6 .

6. Zur bedarfsgerechten Steuerung der Versorgung von Patienten mit Rücken-

schmerzen empfiehlt der Rat,

a. diePatienteninformationzudenUrsachenundBehandlungsoptionenvonRücken‐schmerzenzustärken sieheAbschnitt15.4.1 .ÄrztesolltenverpflichtendPatien‐ten darüber aufklären, dass bei unspezifischen Rückenschmerzen vor allemBewegungunddieVermeidungvonBettruheundSchonhaltungwichtigsindundeineweitergehenderadiologischeDiagnostikinderRegelnichtzielführendist.DieAufklärung sollte dokumentiert werden. Aufgrund der hohen Prävalenz vonRückenschmerzen sollte eine mediale Aufklärungskampagne zur Stärkung derinformiertenEntscheidungdesPatientenerwogenwerden;

b. eine leitliniengerechte Versorgung sicherzustellen siehe Abschnitt 15.4.2 .Beispielsweise sollte zu frühe Bildgebung ohne Vorliegen von red flags Warn‐signalewie Lähmungserscheinungen unterbleiben. Verträge für eine besondereVersorgungnach§140aSGBVkönnenhelfen,der„sprechendenMedizin“mehrZeitundeineentsprechendeVergütungeinzuräumen sieheEmpfehlung3m .AuchdieMöglichkeit einer ambulantenmultimodalen Schmerztherapie sollte hierbei ver‐ankertwerden.DieVersorgungimRahmendieserVerträgemusszwingendsyste‐matischevaluiertwerden;

c. dieRollederPhysiotherapie imBehandlungsprozesszustärken sieheAbschnitt15.4.3 .Dazu sindBlankoverordnungen und derDirektzugang zumPhysiothera‐peuteninModellvorhabenzuerprobenundinmethodischhochwertigenStudiensystematischzuevaluieren.PhysiotherapeutensolltenzudemininterdisziplinärenTeams,z.B.inWirbelsäulenzentren,vertretensein.ZudemsolltedasSchulgeldimRahmenderPhysiotherapieausbildungabgeschafftundstattdesseneineVergütunganalogzurPflegeausbildungeingeführtwerden;

d. WirbelsäulenoperationenindieZweitmeinungs‐RichtliniedesG‐BAaufzunehmensieheAbschnitt 15.4.4 .Der indikationsstellendeArztmuss denPatienten überseinRecht,eineunabhängigeZweitmeinungeinholenzukönnen,aufklärenundaufdie Informationsangebote über geeignete Zweitmeiner hinweisen. Es muss einzentrales, transparentesGenehmigungsverfahrennachobjektivierbarenKriterienerfolgen,welcheÄrztealsZweitmeinertätigwerdendürfen.ZeitgleichmusseinesystematischeEvaluationderZweitmeinungsverfahrendurchgeführtwerden,umzuüberprüfen,inwieferndiesetatsächlichzurReduktionvonnichtindiziertenEin‐griffenbeitragen sieheEmpfehlung2j ;

e. eineMeldung undBegründung vonWirbelsäulenoperationen beispielsweise andas Deutsche Wirbelsäulenregister verpflichtend einzuführen siehe Abschnitt

Page 27: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

779 Kapitel 17

15.4.5 .DieeingegebenenDatensollteneineausreichendeDetailtiefehaben,umauchdieIndikationsstellungfüreineOperationzuüberprüfen.DieverpflichtendeEingabe in das Wirbelsäulenregister könnte auch mit der Erstattung verknüpftwerden sieheEmpfehlung2j ;

f. stationäreAufnahmen zurAbklärungunspezifischerRückenschmerzenohne redflagszuverhindern sieheAbschnitt15.4.6 .UnterBerücksichtigungderempfoh‐lenenNeustrukturierung derNotfallversorgung sollte ein Patient nach der Erst‐einschätzungamgemeinsamenTresenimINZbeiNichtvorliegenvonredflagsderambulantenVersorgungzugeleitetwerden sieheEmpfehlung5b .

7. Zur bedarfsgerechten Steuerung der Versorgung von Menschen mit psychischen

Erkrankungen empfiehlt der Rat,

a. ambulanteKapazitätenauszubauen,insbesondereTagesklinikenundVertragsarzt‐sitzefürPsychiater sieheAbschnitt16.7.2 .Abhängigu.a.vonderEntwicklungderstationsäquivalentenBehandlungsolltenggf.neueintensiv‐ambulanteundmulti‐modaleAngeboteausdemambulantenSektorherausermöglichtwerden,dieeineStellung zwischen der regulären ambulant‐psychiatrischen Behandlung und denAngebotenausdemstationärenSektoreinnehmenkönnten;

b. teilstationäre Kapazitäten auszubauen, außerdem die Flexibilisierung tages‐klinischer Angebote sowie die Ausweitung des Angebots von Abendkliniken zuprüfen sieheAbschnitt16.7.6 ;

c. dievollstationärenpsychiatrischenKapazitäten zahlenmäßignichtweiter auszu‐bauen, sondern einem eventuellen zusätzlichen Leistungsbedarf durch denbeschriebenenAusbauambulanterAngebotezubegegnen sieheAbschnitt16.7.2 ;

d. dieambulanteBedarfsplanungder„Nervenärzte“in„Psychiater“und„Neurologen“aufzutrennen, da die historisch bedingte gemeinsame Beplanung sachlich nichtmehrzweckmäßigerscheint sieheAbschnitt16.7.2 ;

e. die faktische Auslastung der vergebenen KV‐Sitze für Psychotherapie und fürNervenheilkundezuüberprüfenundjenachErgebnisggf.anteiligeSitzezuermög‐lichenunddieKapazitätenanzupassen sieheAbschnitt16.7.2 ;

f. dieKoordinationsverantwortungfürdieVersorgungvonMenschenmitpsychischenErkrankungenklarzuverorten,möglicherweisebeieinembestimmtenLeistungs‐erbringer je Patient sieheAbschnitt 16.7.1 . Ein damit einhergehenderhöhererKoordinationsaufwand könnte durch eine angemessene Koordinationspauschalevergütetwerden;

g. psychiatrisch‐psychosomatisch‐psychotherapeutischeAngeboteverstärktinlokaleGesundheitszentren LGZs oder Zentren für seelische Gesundheit, die auchmitSozialarbeiternundpsychiatrischFachpflegendenausgestattetsind,zuintegrierensieheAbschnitt16.7.6 ;

h. in Innovationsfonds‐Projekten bewährte Versorgungsstrategien aus demBereichderVersorgungvonMenschenmitpsychischenErkrankungenauchtatsächlichin

Page 28: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung · Diese Kurzfassung besteht aus Kapitel 1 und 17 der Langfassung. Um eine schnelle Auffindbarkeit zu gewährleisten, sind die

780

denGKV‐KollektivvertragzuübernehmenunddabeiaufdieÜbersichtlichkeitderVersorgungslandschaftzuachten sieheAbschnitt16.4.6 ;

i. eine bessere Übersicht und Koordination von freien Psychotherapieplätzen zuschaffen, soweit dies nicht zukünftig bereits von denTerminservicestellen abge‐decktwird sieheAbschnitt16.7.5 ;

j. einenvorsichtigen Wieder‐ AufbauvongeschütztenWohnheimplätzen für lang‐fristig schwer psychisch Erkrankte mit erheblichem Eigen‐ oder Fremd‐gefährdungspotenzial zu prüfen, dabei aber die Einrichtungen gut genug auszu‐statten,sodassweiterhineinewürdigeBehandlungsichergestellt istundesnichtnurzueinerVerwahrungkommt sieheAbschnitt16.7.7 ;

k. fürdigitaleAngebotegeradeauch imBereichderVersorgungvonMenschenmitpsychischen Erkrankungenmöglichst standardisierte und einheitliche Qualitäts‐sicherungslösungen zu erarbeiten siehe Abschnitt 16.7.8 . Die Transparenz fürPatientensolltesichergestelltwerden,z.B.durcheineinheitlichesSiegel;

l. telemedizinische Potenziale im ländlichenRaumdurch eine bundesweite Locke‐rungdesFernbehandlungsverbotszunutzen,dabeiaberstrengaufdieQualitäts‐sicherungzuachten sieheAbschnitt16.7.8 ;

m. bei der Prävention psychischer Erkrankungen gemäß dem biopsychosozialenModell der Krankheitsentstehung dieWechselwirkungen verschiedener Lebens‐bereichewiederArbeitsweltmitderpsychischenGesundheitzubeachten sieheAbschnitt 16.7.9 . Bei Entscheidungen in anderen Politikbereichen, z.B. derBildungs‐,Familien‐undSozialpolitik,solltenimmerauchdieAuswirkungenaufdieGesundheitberücksichtigtwerden.