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NR. 124|01· 2020 AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULE

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Page 1: AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULENR. …edoc.ku-eichstaett.de/24067/1/Impulse_1-2020_Einleitung_und_Basisartikel.pdfSehr geehrte Damen und Herren, liebe Religionslehrerinnen

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was für eine Zeit! Jetzt, Mitte März, schreibe ich Ihnen, während gerade alle Schulen und andere Einrichtungen geschlossen wurden. Vor wenigen Tagen war das noch unvorstellbar. Wenn Sie diese Zeitschrift in den Händen halten, werden möglicherweise weitergehende Maßnah-men ergriffen worden sein, um die Verbreitung des neu-artigen Corona-Virus einzudämmen. Neuartig. Nicht nur das Virus selbst ist es, sondern auch die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben, unseren Alltag, unsere Familien sind neuartig. So etwas haben wir alle wahrscheinlich noch nicht erlebt.

Digitales. Weder als Lehrerinnen und Lehrer noch in ihrem privaten Umfeld wer-den Sie darauf verzichten können, digital zu sein … digital zu kommunizieren, digital Termine zu planen, digital Arbeitsmaterialien zu suchen, sich vorzube-reiten und digital zu unterrichten. In Zeiten, in denen Begegnungen notwendi-gerweise immer weiter eingeschränkt werden, wird das Digitale fast schon zum Segen, weil es Kommunikation, Information, ja sogar Begegnungen von (digi-talem) Angesicht zu (digitalem) Angesicht noch möglich macht.

Als Hauptabteilung Schule/Hochschule des Erzbistums Köln werden wir uns in diesem Jahr in verschiedenen Formaten der ‚Kultur der Digitalität‘ (Felix Stalder) widmen, sei es reflektierend, sei es methodisch, sei es medienpraktisch.

Mit dem Jahresthema „DIGI:Tales. Religiöses Lernen und digitale Transformati-onen“ haben wir einen Ansatz gewählt, der das narrative Moment, das dem Digi-talen wie dem Religiösen inne ist, zum roten Faden nimmt: Welche Geschichten (tales) werden im Netz erzählt, welche Aussagen äußere ich, äußern andere in Texten, Bildern oder Videos auf sozialen Plattformen? Welche Geschichten erzählt die Religion, das Christentum, die Jahrhunderte hindurch, um seine Botschaft zu verbreiten? Welche neuen Wege des Erzählens liefert die zunehmende Digitalisie-rung der Kommunikation?

Als Religionslehrerinnen und -lehrer sind wir herausgefordert, Kinder und Jugendliche in der Komplexität des Digitalen zu unterstützen, eine belastbare religiöse Identität herauszubilden. Und die aktuelle Lage gibt uns die Aufgabe, dies über die notwendigen Distanzen, die wir voneinander halten müssen, hin-weg zu tun. Das gilt für den Religionsunterricht genauso wie für die Pastoral: die Nähe Gottes aus der Ferne betrachten. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz und wünsche Ihnen in diesem Jahr österliche Freude, selbst wenn Sie die Osterfeiern nur digital erleben könnten ...

Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke Hauptabteilungsleiterin

INHALT EDITORIAL

ZUR AKTUELLEN AUSGABE 02–03Editorial 02 Zum Heft und Gedanken zum Titelbild 03

BASISARTIKEL 04–07Kreative Selbsterzählungen

GEISTLICHE HINFÜHRUNG 08–09

PRAXISBEITRÄGE 10–27

SCHULPASTORAL 28–29

KATHOLISCHE SCHULEN 30–31

WERKZEUGE UND MODULE 32–33

MEDIENZENTRALE 34

NACHRICHTEN/ INFORMATIONEN 34–35

GEISTLICHER IMPULS 36

HEFTTHEMEN 202001 DIGI:Tales about

me – Erzählungen vom Ich

02 DIGI:Tales about God – Religiöse Erzählungen

03 DIGI:Tales about future – Erzählungen von Zukunft

JAHRESTHEMA DIGI:Tales. Religiöses Lernen und digitale Transformationen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Religionslehrerinnen und Religionslehrer,

P.S.: Wie Sie merken werden, haben wir eine neue Rubrik in diesem Heft eingeführt, die „Geistliche Hinführung“ zum Heftthema. Mit dieser wollen wir Ihnen Zeit und Raum geben, sich anhand einiger Fragen und Impulse selbst mit dem Thema vertraut zu machen, sich in Beziehung zu bringen und Position zu beziehen: Wo stehe ich dabei? Ich wünsche Ihnen gute Anregungen!

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INHALT | EDITORIAL | HEF T-INFOS

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ZUM HEF T

Leben. Neue und alte Freiheit(en), Grenzen, Druck.

Wofür?

GEDANKEN ZUM TITELBILD

DIGI:Tales about me – Erzählungen vom Ich ...

Auf dem Cover sehen wir ein Telefon. Es handelt sich um einen Neben-stellenapparat mit Kurbelinduktor, Modell OB 33 (DRP), nach 1933, Metallgehäuse, schwarz lackiert, Phenoplasthörer – Bestandteil der aktu-ellen Ausstellung des Museums Kolumba in Köln mit dem Titel „1919 49 69 ff. Aufbrüche“. Das Modell besitzt keine Wählscheibe, keine Tasten, keinen Touchscreen. Und ist doch soziales Medium. Dank der Ortsbatterie (OB) eine recht unkomplizierte Art, in Kommunikation zu treten – ein Auf-bruch –, allerdings nur in eine Richtung … gekurbelt, nicht gewählt.

Szenenwechsel: Der Blick auf die Via della Conciliazione vor dem Petersdom 2005 bei der Papstwahl Benedikts XVI. und 2013 bei der Wahl von Papst Franziskus spiegeln einen Wandel wieder: 2005 der Blick auf die Szene, das Warten und wahrscheinlich hinterher die Erzählung des Erleb-ten – am Telefon oder in den Sozialen Medien. 2013 das Festhalten des Erlebten in (Bewegt)Bild und Ton, vielleicht live oder relive verbreitet über Facebook, dem damals mit Abstand beliebtesten Sozialen Netzwerk. 27. März 2020: Urbi et Orbi. Auf dem Petersplatz nur der Papst, allein. Segnet. Die Menschen mit ihm ausschließlich über Fernsehen und Internet verbunden. Beten miteinander und füreinander, vor allem für diejenigen, die von der Corona-Pandemie besonders getroffen sind. Ein Segen. Auch digital. Digitale Transformationen, darin: Erzählungen von Ich zu Ich.

Social Media. Sinn suchen, Flammen sammeln, Botschaften

verbreiten. Ignore?

Virtuelle Welten – real life. Im Spielen begegnen, mit der Begegnung spielen,

miteinander sein. Ich?

Bildquelle Titel: Telefon. Mod. OB33 (DRP) Nebenstellenapparat mit Kurbelinduktor, nach 1933. Metallgehäuse, schwarz lackiert, Phenoplasthörer. © Kolumba, Foto: Lothar Schnepf.Bildquellen S. 3: 1.: Papstwahl 2005: © Luca Mora. 2.: Papstwahl 2013: © Michael Sohn

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Kreative SelbsterzählungenIdentitätskonstruktionen in Social Media

und ihre religios- und medienpädagogische Begleitung

Von Simone Birkel

vor und hinter der Kamera, die Spiegel-funktion ermöglicht Inszenierungen und ist zugleich „Reflexionsinstrument der Wahrnehmung und Deutung“ 1. Viele äußere Einflussfaktoren bestimmen ein Selfie, da der/die Fotografierende da-rum bemüht ist, möglichst authentisch, gleichzeitig aber auch möglichst perfekt und schön abgebildet zu sein. Anhand eines Selfies lassen sich Aussagen über die Fotografin / den Fotografen treffen, beispielsweise zur Identität, der Soziali-tät, dem Verständnis von Glück und Sinn. In der Regel können diese Bilder insbe-sondere von Jugendlichen, die in einer ikonisierten Welt aufwachsen, meist sehr schnell verstanden, dechiffriert und de-codiert werden. Oft sagt ein (Selbst-)Bild mehr als viele Worte. Aus diesem Grund hat sich auch eine eigene Sprache für spezifische Selfies etabliert: belfies oder footsies zeigen nur Teile des eigenen Körpers, wie den Hintern oder die Füße. Bei den nudies geht es insbesondere um das vermehrte Zur-Schau-Stellen von Intimität junger Menschen, welches am-bivalent betrachtet werden muss. Die Grenzen zum sog. „Sexting“ sind insbe-sondere bei Jugendlichen oft unscharf. Aber auch neue Trends, die mit Wort-neuschöpfungen aus Bestandteilen von sozialen Netzwerken wie beispielsweise ein bedstagram (also ein Selfie, welches im Bett aufgenommen wurde) werden kreiert und finden zahlreiche Nachah-merinnen / Nachahmer. Mit diesen For-maten werden unterschiedliche Bedürf-nisse wie Entertainment, Information, Inspiration, Selbstdarstellung, Kommu-nikation u.a. medial bedient.

Chancen und Grenzen der Selbstinszenierungen

Mit Hilfe von Selbstinszenierungen las-sen sich auch Emotionen gut darstellen, besonders oft sind Glück oder ähnli-che positive Gefühle zu sehen. Bei Ins-tagram finden sich beispielsweise unter dem Hashtag #happy über 560 Mio. Ein-träge, verwandte Hashtags sind #smile, #friends, #life, #me und #love. Ob es sich dabei immer um authentische Gefühle handelt oder ob die Settings inszeniert werden, um solche herbeizuführen, kann nicht immer mit Sicherheit nachvollzo-gen werden. Immerhin lassen sich in der Forschung vier Dimensionen aus-machen, die mit Glück in Verbindung gebracht werden: Gemeinschaft, das Festhalten von Momenten, ein beson-derer Anlass und Natur bzw. die Umge-bung.2 Je nach Nutzung und Vorlieben werden algorithmusbasierte Vorschläge und Inhalte präsentiert und damit vor-handene Ausprägungen verstärkt. Jun-ge Menschen überlegen in der Regel sehr genau, ob Statussymbole wie bei-spielsweise bestimmte Marken-Acces-soires oder Werthaltungen, wie z.B. ein Selfie vor der Kulisse einer Friday-for- Future-Demonstration breitenwirksam präsentiert werden. Hinsichtlich einer religionspädagogischen Beschäftigung mit digitalen Selbstinszenierungen ist es wichtig, die Ausdrucksformen junger Menschen wahr und ernst zu nehmen. Nicht selten bergen diese Inszenierun-gen Chancen der Selbsterkundung und Selbsterkenntnis in sich und geben Aus-kunft über Zugehörigkeit, Werte, Bezie-hungen, Hoffnungen und Sehnsüchte junger Menschen.

BASISARTIKEL

Wann haben Sie Ihr letztes Selfie aufge-nommen und veröffentlicht? Heute, im letzten Monat oder haben Sie noch nie ein Selfie angefertigt? Und wann haben Sie zuletzt eine eigene Story in ein sozi-ales Netzwerk eingestellt? Während es für viele, insbesondere junge Menschen völlig normal ist, Selfies aufzunehmen und sich in sozialen Netzwerken zu ins-zenieren, sehen manche Zeitgenossin-nen und -genossen der inflationären Verbreitung von Self-Stories mit Skepsis entgegen. Sie beurteilen die darin ent-haltende Selbstinszenierung kritisch und vermuten bei häufigen Postings unterschwellig narzisstische Züge. Hin-tergrund dieser unterschiedlichen Wahr-nehmungen sind unter anderem unter-schiedliche Identitätskonstruktionen. Die Selbstinszenierungen bleiben nicht ohne Wirkung auf die religionspädago-gische Praxis.

Selfie, das neue Genre der Selbst­inszenierung im digitalen Zeitalter

Mittlerweile hat sich das Selfie als eige-nes visuelles Genre etabliert, das zuneh-mend auch aus wissenschaftlicher Pers-pektive in den Blick genommen wird. Ausgehend von den klassischen Bildpor-traits bekannter Persönlichkeiten, die eine Inszenierung und damit bestimmte Aussagen beinhalten, ist das Selfie zum Massenphänomen der ikonographi-schen Kommunikation geworden. Bei Selfies kann im Gegensatz zu anderen Fotos das (Selbst-)Bild und die eigene Darstellung kontrolliert werden und eine unmittelbare Korrektur stattfinden. Der oder die Aufnehmende steht zugleich

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Allerdings sind – und das darf trotz der Chancen nicht ignoriert werden – viele Kinder und Jugendliche auch anfällig für die „Risiken“ der makellosen, erfolgrei-chen und perfekten Glitzerwelt. In den einschlägigen medienpädagogischen Netzwerken wird hier insbesondere auf die professionell und mit hohem Auf-wand produzierten Bilder vieler erfolg-reicher Instagramer/innen hingewiesen. Figurbetonte, sportlich durchtrainier-te und zum Teil aufwändig bearbeitete Körperbilder suggerieren einen Normal-zustand und setzen damit junge Men-schen unter Druck. Eine von der DAK in Auftrag gegebene Studie der Nutzung von sozialen Medien bei 12- bis 17-Jährigen hat ermittelt, dass Jugendliche durch-schnittlich rund drei Stunden (genau 166 Minuten) in sozialen Netzwerken unterwegs sind und dies Einfluss auf die Entwicklung der Jugendlichen hat.3 Zwar kann damit kein linearer Zusammenhang zwischen einer hohen Nutzung von sozi-alen Medien und depressivem Verhalten belegt werden, jedoch ist eine Korrelati-on festzustellen. Insbesondere stereoty-pe Rollenbilder haben Auswirkung auf die jugendliche Identitätsentwicklung. Derzeit finden sich unter den Top Ten der deutschen Instagramer/innen vor-wiegend erfolgreiche Fußballer, die sich mit athletisch durchgestähltem Körper präsentieren, Schmerzen bei Verletzun-gen werden jedoch selten gezeigt. Ab und zu schleicht sich in die Fußballkulisse ein romantisch wirkendes Beziehungs-foto mit ein. Die Realität der bestimmt nicht immer harmonischen Beziehun-gen bleibt außen vor. Die einzigen Frau-en in der deutschen Top-Ten-Liste sind die 17-jährigen Zwillinge Lisa und Lena. Sie sind durch ihre sog. „Lip syncvideos“ auf TikTok bekannt geworden, haben sich aber mittlerweile aufgrund der mangelnden Datensicherheit von die-ser App distanziert. Bilder auf ihrem Instagram-Account zeigen makellos ge-bräunte, perfekte Körper im Doppelpack. Das auf den Bildern einhergehende Pro-duktplacement einer Fastfood-Kette oder der Süßwarenindustrie suggeriert, dass trotz dieser Ernährungsweise kei-

nerlei unerwünschte Nebenwirkungen auftreten würden. Diese idealtypischen Darstellungen können insbesondere auf Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl deprimierend und einschüchternd wir-ken. Auf der Suche nach eigener Iden-tität und Selbstbewusstsein sind solche Hochglanzwelten wenig hilfreich.

Identität und Social Media.

Die Identitätssuche gehört zur spezifi-schen Entwicklungsaufgabe junger Men-schen. Es ist das Verdienst der Wiener Pastoraltheologin Viera Pirker, auf der Basis sozialpsychologischer Studien von Heiner Keupp und Jean-Claude Kauf-mann einen Orientierungsrahmen für die pastorale Identitätsarbeit im Social Media Bereich vorgelegt zu haben.4 Iden-titätsbildung wird dabei verstanden als ein lebenslanger Prozess, der immer als Aushandlungsprozess mit der Außen-welt stattfindet. Ziel der Identitätsarbeit ist eine Übereinstimmung bzw. Passung zwischen Selbst- und Fremdwahrneh-mung. Nach Heiner Keupp ist das „zen-trale Medium der Identitätsarbeit [...] die Selbsterzählung.“ 5 Er benennt dabei auch mögliche Einflussfaktoren: „Diese Selbsterzählungen werden von gesell-schaftlich vorgegebenen Fertigpackun-gen ebenso beeinflußt wie von Macht-strukturen.“ 6 Die oben angeführten Instagram- Accounts können als solche „vorgegebenen Fertigpackungen“ für Jugendliche identifiziert werden, auch wenn diese nur einen Teil der Lebenswelt Jugendlicher ausmachen. Solche Teili-dentitäten werden hinsichtlich Familie/Partnerschaft, Ausbildung bzw. Arbeit und Freund*innen und Freizeit gebildet. Anders als vielleicht noch in der Gene-ration der Eltern bildet sich Identitäts-arbeit der digital natives nicht linear und chronologisch ab. Viera Pirker arbeitet hier in Anlehnung an Jean-Claude Kauf-mann mit den Begriffen Standbild und Lebensfilm, um die unterschiedlichen Prozesse der Identitätsbildung zu veran-schaulichen. Der biografischen Identität, die auf eine zusammenhängende, chro-

nologisch geordnete und sinn erfüllte Selbsterzählung zielt (Lebensfilm), steht eine „UKO-Identität“ gegenüber. Diese Identität wird charakterisiert als „un-mittelbar, kontextbezogen und operativ (handlungsbezogen)“ 7. Identität in die-ser Perspektive ereignet sich im Hier und Jetzt und ist auf die unmittelbare Zukunft hin ausgelegt. Eine Identifikation mit be-stimmten Dingen, die durch likes kund-getan wird, kann mitunter nur eine kur-ze Zeitspanne umfassen. Allein der Blick auf die Vielzahl der oftmals ganz un-terschiedlichen abonnierten Accounts macht dies deutlich. So finden sich bei-spielsweise im Instagram-Account einer 14-Jährigen unter den rund 300 abon-nierten Kanälen Greta Thunberg, Taize-travellers oder die Youtuberin Bianca Claßen. Letztere gilt als bedeutende In-fluencerin für vorwiegend jüngere Mäd-chen und ist bekannt durch den Mode-, Kosmetik- und Livestyle- Account ‚Bibis Beauty Palace‘. Hier ist wenig Kohärenz und Sinnzusammenhang zu erkennen, im Gegenteil, erstere und letztere weibli-che Identifikationsfiguren verhalten sich konträr zueinander. Die Grenzen sind also fließend. Was heute aktuell und in ist, kann morgen schon wieder out sein, der jeweilige Account wird trotzdem nicht aus der Abo-Liste gelöscht.

Angesichts der sozialen Netzwerke wer-den Identitätskonstrukte von Viera Pirker als „fluide, fragil und fragmentarisch“ 8 beschrieben. Fluid deutet die Tatsache an, dass Mehreres gleichzeitig existieren kann und keiner Entscheidung bedarf. Vielfältigkeit, Offenheit und Mehrdeutig-keit sind die entscheidenden Merkmale. Menschen wollen sich nicht festlegen und auch nicht festlegen lassen. So sind die Schnappschüsse als Momentauf-nahmen und Standbilder des je indivi-duellen Augenblicks zu verstehen, die am nächsten Tag oder in einem anderen Setting keinerlei Relevanz besitzen. Die-se beiden unterschiedlichen Perspek-tiven spiegeln sich auch in den Funkti-onen von Instagram wider. Die auf der Profilseite geposteten Bilder sind dauer-haft sichtbar, das heißt, sie wurden i.d.R.

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sorgsam ausgewählt und ggf. individuell mit Filtern bearbeitet. Damit bilden sie, ähnlich wie bei Facebook die Funktion timeline, chronologisch eine individuelle Lebensgeschichte ab. Dagegen sind die in den „Stories“ lediglich 24 Stunden an-gezeigten Bilder oft als Schnappschüsse angefertigt und mit Kurzkommentaren versehen. Auf diese Art und Weise erzäh-len Menschen ausschnitthaft von ihren alltäglichen Gegebenheiten und Heraus-forderungen. Die Bilder in den Stories sind eher beiläufig und i.d.R. mit weniger Aussagekraft versehen.

Heiner Keupp weist auf insgesamt vier Ziele der Identitätsbildung hin.9 Emoti­onal ist die Suche nach Anerkennung in der Peergroup und Angenommensein in einem sozialen Gefüge bedeutsam. Im kognitiven Bereich liegen die Ziele Au-tonomie und Authentizität. Hier suchen junge Menschen selbstbestimmte und selbstgewählte Gestaltungsmöglichkei-ten, die ihrem Leben Sinn und Konti-nuität verleihen. Bei den emotionalen Identitätszielen steht das Gefühl, etwas bewirken zu können, im Vordergrund. Und zu guter Letzt sind die produkti­onsorientierten Identitätsziele zu nen-nen. Hier gilt es eine originelle Marke zu setzen, um einzigartig und unver-wechselbar zu sein. Diese Ziele stehen in einem mehr oder wenigen intensiven Spannungsverhältnis, das teilweise auch in den Instagram-Profilen zu erkennen ist. Beispielsweise ist der Wunsch nach Integration durch ‚Bibis Beauty Pala-ce‘ zu erkennen, weil fast alle Mädchen diesen Kanal abonniert haben, ande-rerseits wird Natascha Kimberley und ihr #nobeautychannel geliked, um da-mit Autonomie von dem Selbstoptimie-rungswahn zu signalisieren. Wie medi-enpädagogisch darauf eingegangen wer-den kann, wird im letzten Teil dargestellt.

Christliche Influencer/innen.

Angesichts der dramatischen Einschnit-te des öffentlichen und damit auch des kirchlichen Lebens durch die Corona-

Krise hat der Ruf nach virtueller Seel-sorge eine ungeahnte Wende genommen. Nur wenige Gemeinden sind auf virtuel-le Formate vorbereitet. Allerdings haben sich im christlichen Bereich einige „Stars“ etabliert, deren Abonnent/innen-Zahlen zwar bislang (Stand 20. März 2020) ver-hältnismäßig niedrig liegen (zwischen 1500 und 20 000), deren Abrufzahlen aber vermutlich aufgrund der Corona-Pande-mie steigen werden. Schon sehr früh hat beispielsweise die Gemeindereferentin und Bloggerin Miriam Fricke unter dem Account @gedanken.alltag angefangen, Bilder und Geschichten von sich und Ihrem Alltag als angehende Gemeinde-referentin in Südbrandenburg zur Ver-fügung zu stellen. In der Fastenzeit 2020 hat sie sich zu einem Instagram-Fasten entschlossen, bei dem auch weitere soziale Medien eingeschlossen sind. Die täglichen Geschichten sollten also in der Fastenzeit ausbleiben. Die Schlie-ßung sämtlicher Gottesdienstformate in Präsenzform setzte diesen Vorsatz außer Kraft. Denn das Teilen auf Instagram oder anderen sozialen Netzwerken ist eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten re-ligiöse Themen und Impulse zu setzen und sich über die Kommentarfunktionen auch interaktiv auszutauschen.

Die drei Macher/innen von @faithpwr hingegen wollen sich kreativ mit dem Glauben auseinandersetzen, diesen öffentlich kommunizieren und andere inspirieren. Dabei bedienen sie monat-lich unterschiedliche Themen und bie-ten auch anderen Instagramer/innen die Möglichkeit von Gastfeatures. Kapp 4000 vermutlich junge Menschen folgen dem Dachverband der katholischen Jugend-verbände (BDKJ) auf Instagram, der in der Fastenzeit täglich ein jugendgemä-ßes Gebet präsentiert.

Der Schleswig-Holsteiner Pastor Gun-nar Engel hat mittlerweile knapp 7000 Abonnent/innen auf Instagram. Damit erreicht er fast dreimal mehr Menschen als sein Dorf Wanderup, in dem er als Pastor tätig ist, Einwohner/innen hat. Auch er ist vorbereitet auf die derzeiti-

ge Krisensituation und bietet Livevideos an, deren Themen über die Kommentar-funktion mitentschieden werden. Der Pastorin Josephine in der Nordkirche folgen unter dem Account @seligkeits­dinge über 17.000 Menschen. Rein an Zahlen gemessen spielt auch der theo-logisch umstrittene Johannes Hartl eine gewichtige Rolle. Allerdings ist, und das muss insgesamt im Social Media Bereich immer wieder kritisch bedacht werden, der alleinige Blick auf die Zahlen wenig aussagekräftig. Laut eigener Internetre-cherche gibt es Angebote, bei denen bei-spielsweise 10.000 Follower für 950 EUR erworben werden können.

Eine Gemeinsamkeit all der oben ge-nannten Kanäle ist, dass die Macher/innen mehr oder weniger authentisch von ihrem Leben erzählen und als Glaubensverkünder/innen die aktuelle Situation kommentieren, Tipps anbieten oder Links weitergeben. Mit den Mitteln einer professionellen Selbstinszenierung werden Menschen angesprochen, die mit herkömmlichen pastoralen Angeboten nicht erreicht werden bzw. Menschen bedient, die in beiden Welten zu Hause sind. Dabei werden, wie bei Jana High-holder, die das von der EKD promotete Format „Jana glaubt“ professionell über soziale Kanäle betreibt, von Fachleuten insbesondere die Inszenierungstechni-ken positiv bewertet, die theologischen Aussagen sind hingegen umstritten.10 Auch hier ist es Aufgabe einer religions-pädagogisch motivierten Medienpäd-agogik insbesondere jungen Menschen bei einer kritischen Reflexion der Medien zu begleiten.

Was kann Medienpädagogik leisten?

Medienpädagogische Praxis hat als Ziel, den Erwerb von Medienkompe-tenz zu fördern. Mit Andreas Büsch wird als Medienkompetenz „ein Bün-del von Kompetenzen, Fähigkeiten und Wissensbeständen“ verstanden, das Menschen in die Lage versetzt, Medien sinnvoll zu nutzen und verantwortlich

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selbst zu gestalten.11 Unter ästhetischen Gesichtspunkten geht es bei den kreati-ven Selbsterzählungen zunächst darum, wahrzunehmen, wie Geschichten in den sozialen Netzwerken erzählt wer-den. Bestimmte Kameraeinstellungen, Hintergrundgestaltung und das Outfit sind dabei richtungsweisend. Oft wer-den Trends aufgegriffen, wiederholt und damit verinnerlicht, ohne dass dies be-wusst reflektiert wird. Hier ist eine kri-tische Reflexionskompetenz notwendig, die ethische Aspekte hinsichtlich Inhalt und Ästhetik mit einschließt. Letzteres ist beispielsweise bei einem „Nolfie“ (no sel-fie) der Fall, wenn überlegt wird, in wel-chen Situationen und an welchen Orten es sich aus ethischen Überlegungen heraus verbietet, ein Selfie aufzuneh-men. Religionspädagogisch motivierte Medienpädagogik hat immer auch eine theologische Sachkompetenz im Blick. Christliche Influencer/innen sind bei-spielsweise daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie in ihren Stories traditiona-listische bis fundamentalistische Inhalte unreflektiert von sich geben. Hier gilt es, Einseitigkeiten zu identifizieren und da-rauf zu achten, Jugendlichen die ganze Bandbreite von theologischen Perspek-tiven anzubieten.

Eine weitere Aufgabe einer medienpä-dagogisch motivierten Religionspäd-agogik ist die kompetente Begleitung Jugendlicher, die sich ihrer eigenen Fra-gilität oftmals durchaus bewusst sind. Leben besteht eben nicht nur aus #smile, #happyness, #friends und #family. Hier gilt es zusammen mit den Jugendlichen auf Entdeckungsreise zu gehen und neue Formate zu identifizieren, die die Verletz-lichkeit der eigenen Person thematisie-ren und leidvolle Erfahrungen zum Aus-druck bringen. Längst existieren diese in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ob diese Erfahrung, wie bei @minusgold oder @jessie_1910, die einen geliebten Menschen verloren haben, immer mit der Öffentlichkeit geteilt werden soll, kann subjektiv unterschiedlich beurteilt wer-den. Fakt ist, dass die mediale Aufarbei-tung der Gefühle eine Trauerbewältigung

darstellt, die von einer solidarischen Fangemeinde unterstützt und kommen-tiert wird. Nicht umsonst zählen zur Me-dienkompetenz auch gestalterische und soziale Kompetenzen. Dass medienpä-dagogisch nicht immer (aber auch) die ganz großen Themen bearbeitet werden, zeigt beispielsweise die Vielzahl an Pra-xisprojekten der Clearingstelle Medien-kompetenz der deutschen Bischofskon-ferenz (siehe auch letzte Seite).12

Stellvertretend für viele weitere wird an dieser Stelle auf das medienpäda-gogische Projekt von Religionspädago-gik-Studierenden an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ver-wiesen. Im Rahmen des Schwerpunkt-studiums Jugend- und Schulpastoral wurde der Frage nachgegangen, ob Sel-fies Hilfestellungen bei der Identitäts-findung Jugendlicher leisten können. Dazu identifizierten die Studierenden zunächst vier identitätsstiftende Merk-male (#roots, #outfit, #hobbies, #dreams) und forderten Jugendliche auf, Selfies von sich anzufertigen und die Hashtags mit individuellen Inhalten zu füllen. Das Projekt ist auf einer eigens angelegten Internetseite dokumentiert.13 Jenseits der gewonnenen Forschungsergebnis-se 14 konnten die Projektbeteiligten eine Vielzahl an inhaltlichen und methodi-schen Medienkompetenzen erwerben, wie beispielsweise das Wissen um Bild- und Urheberrechte, Kenntnisse in Bild-bearbeitung und Homepagegestaltung, Ausbau der Kommunikationsfähigkeit sowie Team- und Sozialkompetenz uvm. Medienpädagogische Projekte, so die langjährige Erfahrung, sind motivierend, inspirierend und immer wieder mit überraschenden Erkenntnissen verbun-den. Ein medienpädagogisches Projekt zur Selbstinszenierung kann – unabhän-gig davon, ob das Ergebnis veröffentlicht wird oder nicht – dazu anregen, sich Ge-danken über die eigene Identität zu ma-chen und identitätsrelevanten Fragen nachzugehen: Wo komme ich her? Wie zeige ich mich bzw. wie werde ich wahr-genommen? Was möchte ich in meinem Leben erreichen? Mit einem medien-

pädagogischen Ansatz können auf diese Art und Weise generationsübergreifend Lebensfragen bearbeitet werden, die le-benslange Relevanz besitzen.

1 Gojny, Tanja, Mir gegenüber – vor aller Augen. Selfies als Zugang zu anthro-pologischen und ethischen Fragestellungen, in: Gojny / Kürzinger / Schwarz, Selfie – I like it. Anthropologische und ethische Implikationen digitaler Selb-stinszenierungen (Religionspädagogik innovativ 18), Stuttgart 2016, 15–40, 19.

2 Vgl. Kürzinger, Kathrin S., „bei glücklichen Selfies hast du deine Ruhe“. Selfies als Gradmesser des Glücks in der aktuellen Jugendgeneration?, in: Gojny/Kürzinger/Schwarz, Selfie – I like it. Anthropologische und ethische Impli-kationen digitaler Selbstinszenierungen (Religionspädagogik innovativ 18), Stuttgart 2016, 103–114, 107–113.

3 Vgl. DAK-Gesundheit (Hg.), WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media. Studie der forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen GmbH zur Nutzung von sozialen Medien bei 12- bis 17-Jährigen, Berlin 2017, S. 8, online abrufbar unter https://www.dak.de/dak/bundesthemen/onlinesucht-studie-2106298.html (zuletzt aufgerufen am 23.03.2020).

4 Vgl. dazu grundlegend Pirker, Viera, fluide, und fragil. Identität als Grund-option zeitsensibler Pastoralpsychologie (Zeitzeichen 31), Ostfildern 2013. Eine aktualisierte Zusammenfassung ihrer Aussagen findet sich unter Pirker, Viera, Fragilitätssensible Pastoralanthropologie. Impulse aus Praktiken der (Selbst-)Inszenierung in Social Media, in: ZPTh 39 (1/2019), 43–58.

5 Keupp, Heiner u.a., Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbeck bei Hamburg 1999, 216.

6 Ebd.

7 Pirker, 2019, 49.

8 Pirker, 2019, 55.

9 Vgl. zum Folgenden Keupp u.a., 261f.

10 Vgl. Leitlein, Hannes u.a., Jana Highholder. Ist sie die Antwort, in: Die ZEIT 14/2019, online unter https://www.zeit.de/2019/14/jana-highholder-you tube-videos-glaube-jugendliche-evangelische-kirche/seite-2 (zuletzt aufgerufen am 23.03.2020).

11 Vgl. Büsch, Andras, Jugend und Medien, in: Angela Kaupp / Patrik C. Höring (Hg.), Handbuch kirchliche Jugendarbeit. Freiburg u.a. 2019, 167-178, 172.

12 Diese sind auf der von der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz an der Katholischen Hochschule Mainz verantworteten Seite https://medienkompetenzerwerb.de/ dokumentiert und abrufbar (zuletzt aufgerufen am 23.03.2020).

13 Vgl. https://ich-und-mein-selfie.jimdofree.com/ (zuletzt aufgerufen am 23.03.2020).

14 Eine entsprechende Publikation dazu ist in Vorbereitung.

Frau Dr. Simone Birkel ist Dozentin für Jugend­ und Schulpastoral an der Fakultät für Religionspädagogik und Kirchliche Bil­dungsarbeit der Katholischen Universität Eichstätt­Ingolstadt. Dort leitet sie u.a. die Religionspädagogische Medienwerkstatt.

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DIGI:Tales about me – Erzählungen vom Ich

Geistliche VorüberlegungenWer bin ich? Diese vordergründig einfache Frage ist zugleich eine Kernfrage existentieller philosophischer Erkundungen: Ich zwischen Idee und Wirklichkeit, Ich zwischen Denken und Sein, Ich als Produzent und Produkt, Ich zwischen Individuum und Gemeinschaftswesen, Ich mit Leib und Seele ...

Nehmen Sie sich etwas Zeit, um über die exemplari schen Be­schreibungen des Ichs nachzudenken:

• Gibt es Momente, in denen Sie sich – platonisch – als Teilhaber an Ideen erfahren, der Idee der Gerechtigkeit etwa, als befreiter Höhlenbewohner, der merkt, dass sich hinter den Schattenbildern der Wirklichkeit Ideen befin­den, die allein wirklich sind? Und gibt es Situationen, in denen Sie sich – aristotelisch – als Mann oder Frau von Welt erfahren, als Erkennende und Handelnde in der Wirklichkeit der Welt?

• Wann denken, also sind Sie? Und wann sind Sie einfach?

• Wo erfahren Sie sich als Produzent und Schöpfer der Dinge und wo produzieren die Dinge, die Zustände, die anderen … Sie?

• Wann sind Sie sie selbst, für sich allein wie eine Insel? Wann sind Sie zoon politikon, auf und in die Gemeinschaft verwiesen? Wann werden Sie am Du zum Ich (Buber)?

• Können Sie unterscheiden, was an Ihnen Leib und was Seele ist? Worin unterscheiden sich bei Ihnen leibliche und seelische Erfahrungen?

• Was fehlt?

Wer bin ich? In einer „Kultur der Digitalität“ (F. Stalder) ge-winnen einige der oben genannten Spannungen an Kontur, andere verwischen. Was ist mit dem Ich? Gewinnt es an Kontur in den textlichen und bildlichen Selbsterzählungen sozialer Medien oder verwischt es im Tippen und Wischen der mobilen Endgeräte? Beschleunige ich mein Leben, meine Prozesse oder bedrängt der Druck der Bewertungen, der Likes und Tinder-matches, mich? Bleibt das Ich erste Person?

ICHthys. Als Religionslehrerin und -lehrer stehen Sie vor Ih-ren Lerngruppen, den Kolleginnen und Kollegen, den Eltern und wahrscheinlich auch in Ihrem Alltag mit Ihrem christ-lichen, katholischen Ich ein; Sie werden gefragt und angefragt. ICHthys: ein Fisch aus zwei geschwungenen Linien, das Er-kennungszeichen der alten Christen, die Wiedererkennung des Glaubens. Die erste Linie zeichne ich in den Sand; sie offenbart mich dem Eingeweihten … ein Strich im Sand, eine geschwun-gene Linie, die für sich Schutz bietet. Die zweite Linie zeich-net der andere, offenbart sich mir, dem Eingeweihten. In der Verbindung mit der anderen Linie, mit dem anderen Schwung wird das Ich zum Wir, in eine Gemeinschaft gestellt, in einen neuen Schutzraum, aus der Anonymität in die Selbstoffenba-rung als christlich Glaubende. ICHthys.

Was ist das Christliche, das Katholische an mir, in mir? Welche geschwungenen Spuren hinterlasse ich, lese ich? Welche Räume, welche Gemeinschaften geben Schutz; wo setze ich mich aus? Wie offenbare ich mich in der Nachfolge Jesu? ICHthys – das Ich in der Gemeinschaft

des Fischs.

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Page 9: AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULENR. …edoc.ku-eichstaett.de/24067/1/Impulse_1-2020_Einleitung_und_Basisartikel.pdfSehr geehrte Damen und Herren, liebe Religionslehrerinnen

Der Song ‚Shallow‘, berühmt geworden und oscarprämiert durch die Performance von Lady Gaga und Bradley Cooper im Film ‚A star is born‘, fragt nach dem Ich in der modernen, manchmal leeren, manchmal oberflächlichen Welt: „Are you happy?“

Lesen oder hören Sie den Song einmal ganz bewusst. Können Sie „diese moderne Welt“, „dieses Leere (void)“ oder „die Untiefe/Oberflächlichkeit (shallow)“ für sich beschreiben? Was denken Sie? Wann empfinden Sie „diese moderne Welt“ als Leere, als Untiefe? Was ermüdet Sie? Wann fürchten Sie sich? Welche „Tie­fe“ haben Sie für sich, in der Sie sich geschützt fühlen?

Der Protagonist des Films, Jackson Maine (Bradley Cooper), spürt die gefährliche Oberflächlichkeit in den Untiefen sei-ner fragilen Karriere als Sänger. Die Suche nach der Tiefe, die schützt und birgt, ist für ihn existentiell. Kann die Liebe zu Ally (Lady Gaga) ihn retten? Was birgt und rettet mich?

ICH. Sich selbst finden in der Welt, in einer ‚Kultur der Digitali-tät‘. Sich selbst offenbaren, von sich selbst erzählen – in seinen Beziehungen, seinem Alltag, seiner Religion, seinem Glauben. Wer bin ich?

GEISTL ICHE HINFÜHRUNG

Shallow Tell me somethin’, girl

Are you happy in this modern world?

Or do you need more?

Is there somethin’ else you’re searchin’ for?

I’m falling

In all the good times I find myself

Longin’ for change

And in the bad times I fear myself

Tell me something, boy

Aren’t you tired tryin’ to fill that void?

Or do you need more?

Ain’t it hard keeping it so hardcore?

I’m falling

In all the good times I find myself

Longin’ for change

And in the bad times I fear myself

I’m off the deep end, watch as I dive in

I’ll never meet the ground

Crash through the surface, where they can’t hurt us

We’re far from the shallow now

In the shallow…

We’re far from the shallow now

Oh, oh, oh, oh

Whoah!

I’m off the deep end, watch as I dive in

I’ll never meet the ground

Crash through the surface, where they can’t hurt us

We’re far from the shallow now

In the shallow…

We’re far from the shallow now.

(Text und Musik: Lady Gaga, Mark Ronson, Andrew Wyatt und Anthony Rossomando)Eine Übersetzung des Textes ins Deutsche findet sich unter: https://www.songtexte.com/uebersetzung/ lady-gaga-and-bradley-cooper/shallow-deutsch-33d660e9.html

Musikvideo: https://www.youtube.com/watch?v=bo_efYhYU2A

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Page 10: AUS DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND HOCHSCHULENR. …edoc.ku-eichstaett.de/24067/1/Impulse_1-2020_Einleitung_und_Basisartikel.pdfSehr geehrte Damen und Herren, liebe Religionslehrerinnen

Herausgeber: Hauptabteilung Schule/Hochschule des Erzbischöflichen Generalvikariates Köln

Verantwortlich: Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke, Hauptabteilungsleiterin

Redaktion: Dr. Dominik Arenz, Michael Bold, Beate Brinkmöller, Marie Euteneuer, Dr. Nina Frenzel, Andrea Gersch, Gregor Hofmeister, Dr. Peter Krawczack, Dominik Schwarz, Christoph Westemeyer.

Mitarbeit: Barbara Beier, Thomas Bruns, Robert Buchholz, Stefanie Esser, Matthias Ganter, Birgit Hess, Winfried Scharrenbroich, Gabriele Stammen, Benedikt Stratmann, Michael Wittenbruch.

Redaktionsadresse: Marzellenstr. 32, 50606 Köln Tel. (02 21)16 42-39 25, Fax (02 21)16 42-39 24 Internet: www.erzbistum-koeln.de E-Mail: [email protected]

Erscheinungsweise: 3 × jährlich; Bezug: auf Bestellung (kostenlos)

Gestaltung: MediaCompany GmbH, Bonn

Druck: DCM Druck Center Meckenheim, gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier

Sollten wir trotz intensiver Nachforschungen zu Urheberrechten nicht fündig geworden sein, bitten wir um Benachrichtigung der Redaktion.

I M P R E S S U M

von Geburt an das Fragezeichen ins Gesicht geschnitten

mein Name wie ein anonymer Steckbrief vom Wind in den Sand geschrieben

Adresse im Niemandsland zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Passbild im Hochglanz doch die Augen bleiben matt

kein Spiegel zeigt mein wahres Gesicht

nicht passendes Puzzle aus widerstreitenden Gefühlen

ein gejagter Jäger mich selber suchend und fliehend zugleich

die Summe meiner Eigenschaften geht nicht auf

Maske um Maske entblättert meine Blöße

zerrissenes Ebenbild eines um mich bangenden Gottes

© Andreas Knapp: Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte. Würzburg 72014, S. 7.

wer bin ich