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Arbeit oder Beschäftigung? Kritische Betrachtungen zu J. M. Keynes' „Allgemeiner Theorie der Beschäftigung“ Author(s): Albrecht Forstmann Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 5, H. 3 (1938), pp. 375-488 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40908215 . Accessed: 18/06/2014 02:54 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 188.72.126.55 on Wed, 18 Jun 2014 02:54:52 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Arbeit oder Beschäftigung? Kritische Betrachtungen zu J. M. Keynes' „Allgemeiner Theorieder Beschäftigung“Author(s): Albrecht ForstmannSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 5, H. 3 (1938), pp. 375-488Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40908215 .

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Arbeit oder Besdiäftigung? Kritische Betrachtungen zu J. M. Keynes' „Allgemeiner Theorie

der Beschäftigung" von

Albrecht Forstmann

I. Einleitung. Das neue Buch von J. Μ. Κ e y n e s , das in Deutschland unter

dem Titel „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" *) erschienen ist, verdient unser Interesse aus mancherlei Grün- den; und eine kritische Auseinandersetzung insbesondere mit den Grund- lagen dieser ,, neuen Theorie*' Keynes' scheint deshalb auch ebenso erwünscht wie notwendig, weil sie gerade auch in Deutschland sehr große Beachtung gefunden hat.

Keynes meint im Vorwort zur englischen Ausgabe seines Bu- ches, daß die Anhänger der „klassischen Theorie", zu der er sich be- sonders in Gegensatz setzt, „zwischen der Überzeugung schwanken, daß ich völlig im Unrecht sei, und der Überzeugung, daß ich nichts Neues sage". Demgegenüber möchten wir feststellen, daß Keynes zweifellos ebenso manch Neues, wie auch viel Gutes sagt ; nur will es uns scheinen, als ob das, was er Neues sagt, kaum immer gut, und das, was er Gutes sagt, nicht immer neu genannt werden kann.

Was manchem bei Keynes vielleicht als „originell" oder auch als neue Erkenntnis, insbesondere auch gegenüber der „klassischen Theorie" - in dem ungenauen Sinne wie Keynes diese Bezeich- nung verwendet - erscheinen will, beruht letzten Endes meist auf nichts anderem als auf einer Verschiedenartigkeit der Prämissen, die eher wirklichkeitsfremder als wirklichkeitsnäher gegenüber denen der

*) J. Μ. Κ e y n e s , Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, ins Deutsche übersetzt von Fritz Waeger, München und Leipzig 1936, in folgendem kurz als „Allgemeine Theorie" zitiert.

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klassischen Theorie bezeichnet werden müssen. Die Tatsache, daß man dies in der Regel nicht erkennt und den Keynesschen Unter- suchungen demzufolge eine Bedeutung beimißt, die ihnen - in solchem Umfange jedenfalls - nicht zukommt, beruht wohl nicht zuletzt auf der Unklarheit und Undurchsichtigkeit der Darstellungsart.

Es hat daher auch keinen Zweck und Sinn, die Keynesschen Theorien in ihren Folgerungen mit denen der klassischen Theo- rie zu vergleichen, wie man dies meist tut, da es sich hier ja weniger um unrichtige Folgerungen aus richtigen Prämissen, sondern vielmehr um Folgerungen aus Prämissen handelt, die insofern vielleicht als unrichtig bezeichnet werden können, als sie durch eine außerordentliche Über- betonung völlig einseitig herausgestellter Momente gekennzeichnet sind. Die Kritik der Keynesschen Untersuchungen muß daher in erster Linie weniger eine solche der Folgerungen, sondern vor allem eine solche der Prämissen sein. Die Nichtbeachtung dieser Tatsachen ist vielleicht auch einer der wichtigsten Gründe dafür, daß man bei der Beurteilung der Keynesschen Untersuchungen so vielfach an- einander vorbeiredet.

Wir möchten gleich hier für alle unsere folgen- den Betrachtungen gültig ganz nachdrücklich bemerken, daß diese sich - soweit nichts anderes gesagt ist - , vor allem auf denjenigen Teil der Keynesschen Untersuchungen beziehen, die un- mittelbar oder mittelbar auf die Theorie der „Beschäftigung" als solche Bezug haben. Wir wollen hier also keinesfalls ein abschließendes Urteil über alle Unter- suchungsergebnisse seines Buches fällen.

Weiterhin möchten wir hier noch bemerken, daß unsere, manchem vielleicht etwas zu scharf erscheinenden Formulierungen, u. A. n. des- halb erforderlich sind, weil auch die Keynessche Darstellungs- art nicht nur sehr scharf in der Formulierung, sondern in manchen Punkten auch sehr überspitzt ist, ohne hierbei immer genügend klar und genügend exakt zu sein. Insbesondere deshalb auch erscheint uns eine solche Schärfe erforderlich, weil die Konsequenzen, die sowohl von Κ e y n e s selber theoretisch, als auch von anderen praktisch ge- zogen werden, und mit denen wir uns am Schluß unserer Betrachtungen noch im einzelnen zu beschäftigen haben werden, in ihren praktischen Auswirkungen zu katastrophalen Folgen führen können.

Den Hauptzweck seines Buches nennt Κ e y η e s „die Behand-

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lung schwieriger theoretischer Fragen und nur in zweiter Linie die An- wendung dieser Theorie auf die Wirklichkeit' ', aber gerade diese ,, An- wendung der Theorie auf die Wirklichkeit " ist, worauf bei seinem Buch „Vom Gelde" *) Ε u c k e η bereits hinwies 2), das Wichtigste und auch Gefährlichste seiner Untersuchungen. Ja, diese „Anwendung der Theorie auf die Wirklichkeit "

geht bei Κ e y η e s sogar so weit, daß der Unterschied zwischen wirtschafte theoretischer und wirt- schafte politischer Aufgabenstellung und Zielsetzung 3) vielfach in durchaus unzulässiger Weise verwischt wird, so daß wir hier auch den Feststellungen Webers nur zuzustimmen vermögen 4) :

„Vor allem aber muß man die Frage auf werf en, ob Keynes im Grunde seines Herzens mehr Gelehrter oder mehr Politiker ist, ob es ihm mehr ankommt auf eine sorgsame Analyse des Seins oder er diese Analyse vielleicht manchmal etwas vorschnell in den Dienst eines poli- tischen Glaubensbekenntnisses stellt/4

Die erforderliche Klarheit über solche Unterschiede lassen auch die Ausführungen Lautenbachs, der Keynes zu interpre- tieren und zu rechtfertigen sucht, leider teilweise vermissen, so, wenn er meint 5) :

„K e y η e s , ein Mann, der in der klassischen Wirtschaftstheorie, der Theorie des wirtschaftlichen Liberalismus, groß geworden ist, dem volle Freiheit der Wirtschaft ein leuchtendes Idol war, so unantastbar, wie es noch heute den Hütern der reinen Lehre ist, wird dieser Lehre untreu und bekennt sich zu der Überzeugung, daß Staatseingriffe zur Steuerung der Wirtschaft nützlich und in gewissen Fällen notwendig wären. Es ist kein Wunder, daß seine früheren Freunde ob dieser Hal- tung erbittert sind.**

Die Wissenschaft nimmt keineswegs, wie dies Lautenbach zu meinen scheint, Anstoß daran, daß die Politik aus außer-

*) J. M. Keynes. Vom Gelde, ins Deutsche übersetzt von C. Kraemer unter Mitwirkung von L. Kraemer, München und Leipzig 1932.

2) W. E u c k e η , Kapitaltheoretische Untersuchungen, Heft 1 der Samm- lung: Probleme der theoretischen Nationalökonomie, S. 33, Jena 1934.

3) Vgl. hierzu A. Forstmann, Über den Unterschied der Aufgaben und Ziele von Wirtschafts théorie und Wirtschaftspolitik, Finanzarchiv N. F., Bd. 5, S. 222 ff.

4) A. Weber, Der neue Keynes. Eine allgemeine Theorie der Beschäfti- gung, des Zinses und des Geldes ? Bank- Archiv, 36. Jg., S. 279.

6) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, S. 66, Frankfurt a. M., o. J.

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wirtschaftlichen Gründen Maßnahmen zur Steuerung der Wirtschaft ergreift, die sie für erforderlich hält, denn es ist ja nicht die Aufgabe der Wirtschafts Wissenschaft, die Zielsetzung des politischen Handelns zu bestimmen, ebensowenig, wie sie diese zu rechtfertigen hat, sondern die Wissenschaft nimmt - wenn man so will - Anstoß daran, daß Κ e y η e s eine außerwirtschaftliche Zielsetzung ebenso wie außer- wirtschaftliche Motive in ein wirtschaftstheoretisches System zu pres- sen versucht, ohne hierbei außerdem noch die wirtschaftlichen Grenzen solchen Handelns - wenigstens in dem erforderlichen Umfange - zu berücksichtigen; abgesehen von allen sonst zu erhebenden Einwänden.

Die Grundlage wirtschaftlichen Handelns ist das wirtschaftliche Prinzip, d. h. das Streben nach größtmöglichem Er- folg bei geringstmöglichem Aufwand. Wer das leugnet, leugnet auch die Wirtschaft. Allerdings scheinen heute - wie dies Schacht auf sei- ner Tischrede zur Tagung der Internationalen Handelskammer in Ber- lin feststellte - viele zu meinen, daß dies Prinzip keine Gültigkeit mehr habe, wenn sie versuchen, den geringstmöglichen Erfolg unter größt- möglichem Aufwände zu erzielen.

Die Zielsetzung ist dann wirtschaftlich zu nennen, wenn sie auf die Erzielung eines größtmöglichen Sozialproduktes gerichtet ist. Eine Zielsetzung, die nicht hierauf, sondern die auf Vollbeschäfti- gung gerichtet ist, ist aber nicht mehr wirtschaftlicher, sondern sozialer Natur, was ihre Berechtigung natürlich nicht beeinträchtigt.

Die Abstraktion von wirtschaftlicher Motivation und Zielsetzung bei wirtschaftstheoretischen Untersuchungen ist aber nicht nur para- dox, sondern muß naturgemäß auch zu inneren Widersprüchen führen und zwar insbesondere zu einer Verwechslung von Wirtschaft mit Tech- nik, also zu jenem grundsätzlichen Irrtum, der auch die eigent- liche Basis der „Wirtschafts théorie" des Marxismus bildet; und man kann sich daher nicht wundern, wenn hier entsprechende Parallelen erkennbar sind, auf die auch Weber aufmerksam machte *).

In ihren praktischen Auswirkungen führen solche Verwechslungen dann letzten Endes zu dem Bestreben, alles organisieren und alles poli- tisieren zu wollen. Organisieren aber soll man, wie Goebbels ein- mal sehr richtig feststellte, nicht das, was man kann, sondern nur das, was man muß. Und mit politischem Lohn und politischem Preis hat der Marxismus aus der Wirtschaft ein Zerrbild gemacht. Das Ende war das Elend eines ganzen Volkes.

*) A. W e b e r , a. a. Ο.

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Κ e y η θ s richtet seine Angriffe zunächst gegen die „klassische Theorie**, und hier sind vor allem Mangel an Klarheit und an Allge- meingültigkeit der Voraussetzungen zwei der grundsätzlichen Vor- würfe, die er gegenüber der klassischen Theorie erhebt; und Klarheit und Allgemeingültigkeit der Voraussetzungen glaubt er demgegenüber als kennzeichnende Merkmale seiner eigenen Untersuchungen denen der Klassiker entgegenstellen zu können. Es kann aber u. A. n. kaum zur Stärkung des Vertrauens in die Eichtigkeit solcher Behauptungen und in die Gründlichkeit der Keynesschen Untersuchungen die- nen, wenn er beispielsweise zu seinem früheren Einkommensbegriff heute feststellt x) :

„Weil ich meine früheren Begriffe nicht mehr brauche, um meine Gedanken genau auszudrücken, habe ich mich entschlossen, sie aufzu- geben - mit großem Bedauern für die Verwirrung, die sie verursacht haben."

Ähnliches stellt er auch von dem in seinem Buch „Vom Gelde" aufgestellten Begriff des „natürlichen Zinses** fest, wenn er meint2):

„In meiner Abhandlung ,Vom Gelde* habe ich einen vermeintlich einzigartigen Zinsfuß definiert, den ich den natürlichen Zins- fuß genannt habe . . . Ich glaube nun nicht mehr, daß der Begriff eines natürlichen* Zinsfußes, der uns früher als ein vielversprechender Gedanke erschien, irgendeinen sehr nützlichen oder bedeutsamen Bei- trag zu unserer Analyse darstellt.**

Auch der Unterschied zwischen Ersparnis und Investition ist hier zu erwähnen, der ja ein wesentliches Kriterium seiner früheren Unter- suchungen „Vom Gelde** war, und von dem er heute meint 3):

„Das Überwiegen der Vorstellung, daß Ersparnis und Investi- tion . . . voneinander abweichen können, muß meiner Ansicht nach durch eine optische Täuschung erklärt werden.**

Letztere Ansicht erscheint eigenartig besonders unter Berücksich- tigung der Tatsache, daß er wenige Seiten später einen solchen Unter- schied zwischen Ersparnis und Investition, gekennzeichnet durch den Begriff der „finanziellen Vorsorge** als wesentlich für den Beschäfti- gungsumfang bezeichnet, ja, daß im Grunde genommen seine ganze Theorie der Beschäftigung in dem uns hier interessierenden Teil auf einem solchen Unterschied zwischen Ersparnis und Investition ebenso

*) J. Μ. Κ e y η e s , Allgemeine Theorie, a. a. 0. S. 53 f. 2) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. 0. S. 203. s) J. M. Κ e y η e s , a. a. O. S. 70.

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aufgebaut ist, wie seine praktischen Vorschläge auf die symptomatische Beseitigung eines solchen Unterschiedes abzielen.

Was die von Κ e y n e s behauptete „Allgemeingültigkeit** seiner Untersuchungen angeht, so hatten wir bereits darauf hingewiesen, daß seine Theorien sich gerade durch eine teilweise starke überbetonte Ein- seitigkeit der Prämissen auszeichnen. Er selber setzt sich auch mit der von ihm behaupteten „Allgemeingültigkeit'* seiner Untersuchungen in Widerspruch, wenn er feststellt *) :

„Ich gestehe, daß vieles in dem folgenden Buch hauptsächlich mit Bezug auf die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern erläutert und dargelegt worden ist.'*

Angesichts einer solchen Wandlung in grundsätzlichen Begriffen und einer solchen Unkonsequenz in ihrer Anwendung muß natürlich damit gerechnet werden, daß auch die von ihm nunmehr postulierten „Erkenntnisse** durch seine späteren Untersuchungen wieder umge- worfen oder modifiziert werden, - „mit großem Bedauern für die Verwirrung, die sie verursacht haben**. Wir können bereits heute fest- stellen, daß die Verwirrung, die seine Untersuchungen infolge ihrer nicht gerade als klar zu bezeichnenden Darstellungsart - allerdings nicht nur dieser - bereits jetzt angerichtet haben, nicht gering ist. Und wir vermögen auch angesichts unserer voraufgegangenen Fest- stellungen Lautenbach nicht generell zuzustimmen, wenn er meint, daß eine Linie „ohne Bruch** die Untersuchungen „Vom Gelde** mit der „Allgemeinen Theorie*' verbindet 2).

Wenn Κ e y n e s der klassischen Theorie weiter vorwirft, sie habe angenommen, im Gleichgewichtszustand sei immer Vollbeschäftigung vorhanden, und zwar deshalb, weil sie weiter unterstelle, daß sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe, so ist das in letzterem Punkte unrichtig und trifft im ersten Punkte nicht den Kern der Frage, weil die Klassiker nicht den Ungleichgewichtszustand als solchen unter- sucht haben, sondern nur die Kräfte und Tendenzen, die zum Gleich- gewicht streben.

Daß die Klassiker zwischenzeitliche Ungleichgewichtszustände durchaus klar erkannt haben, zeigt beispielsweise ihre Lohntheorie ebenso wie auch ihre Preistheorie, die ja, wie besonders Ε i c a r d o dies ausführt, gekennzeichnet sind durch die Oszillation der (kurzfri-

M J. Μ. Κ e y n e s , a. a. O. S. IX. *) W. Lautenbach, Zur Zinstheorie von John Maynard Keynes, Welt-

wirtschaftliches Archiv, 45. Bd. (1937 I), S. 496.

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stigen) Markt werte um die (langfristigen) natürlichen Werte, nur haben die Klassiker, wie gesagt, die kurzfristigen Gleichgewichts- schwankungen nicht zur eigentlichen Grundlage ihrer Untersuchungen gemacht, und zwar ganz bewußt nicht gemacht.

Während aber Κ e y η e s solche grundsätzlichen Unterschiede in den Voraussetzungen nicht sieht, oder doch nicht berücksichtigt, er- kennen die Klassiker sie durchaus klar. Dies zeigen beispielsweise auch die Ausführungen Eicardos in seinem Briefwechsel mit M a 1 - thus, der überhaupt - worauf wir schon früher hinwiesen x) - Auf- schluß über so manche Probleme gibt, die uns heute so sehr beschäf- tigen. Ε i c a r d o sagt dort 2) :

„Mir scheint eine Hauptursache unserer Meinungsverschiedenheit in den von uns so oft diskutierten Fragen darin zu bestehen, daß sie immer die unmittelbaren und vorübergehenden Wirkungen einzelner Vorgänge betrachten, während ich solche unmittelbaren und vorüber- gehenden Wirkungen ganz beiseite lasse und meine volle Aufmerksam- keit auf den Dauerzustand richte, der sich aus ihnen ergibt. Sie über- schätzen vielleicht die vorübergehenden Wirkungen, während ich eher geneigt bin, sie zu vernachlässigen. "

Wenn Lautenbach hier meint 3) : „K e y n e s' Verdienst besteht darin, daß er der klassischen Theo-

rie in aller Form den Prozeß macht und klarstellt, daß ihre Sätze, so- weit sie überhaupt einen Sinn haben, nur im Grenzfall gelten, daß aber keineswegs die wirkliche Wirtschaft immer und unvermeidlich diesem Grenzfall, nämlich dem Gleichgewicht bei voller Beschäftigung zu- strebe", so trifft er damit - wie ja auch Keynes - nicht das eigent- liche Problem, und er läuft andererseits zum Teil nur offene Türen ein.

Wenn man die Theorie der Klassiker auf Vorgänge anwendet, auf die sie gar nicht abgestellt ist, wenn man - um mit Ε u c k e n zu sprechen - „fälschlich Theorien als Beschreibungen der wirtschaft- lichen Wirklichkeit ausgibt, wenn (man) schließlich bei Anwendung der Theorie nicht die nötige Vorsicht walten läßt, dann wird sie wirklich- keitsfremd und löst die gestellte Aufgabe nicht" 4), dann aber kann

*) Vgl. hierzu A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, 2. Aufl., S. 151 ff., Berlin 1936.

») J. Β ο η a r , Letters of Ricardo to Thomas Malthus 1810-23, p. 127, Oxford 1887.

3) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O. S. 60 f. 4) W. E u c k e n , a. a. O., S. 40.

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man hierfür nicht die klassische Theorie verantwortlich machen, son- dern nur seine eigene „Methode".

Die Nichtberücksichtigung der Verschiedenartigkeit der Prämis- sen, die zu solchen Irrtümern führt, d. h. die Nichtberücksichtigung langfristiger Momente durch Keynes, kommt hier vor allem in jenen Überlegungen zum Ausdruck, die L a u t e η b a c h in die Fest- stellung faßt x) :

„Gibt man aber mit Keynes die Konstanz der Beschäftigung auf, so kommt man mit ebenso unverbrüchlicher Konsequenz zu sei- nem Ergebnis: nämlich, daß das System schließlich einmal zu einem Gleichgewicht bei niedrigerer Beschäftigung und niedrigeren Preisen kommt.**

Wir wissen allerdings nicht, worin hier eine „neue** Erkenntnis liegen soll, die man in solchen Peststellungen doch offenbar zu sehen glaubt, denn die Erkenntnis, daß es bei monopolistischen Gebilden in der Wirtschaft entsprechende Unelastizitäten gibt, stammt ja nicht erst von Κ e y η e s ; so stellt beispielsweise Ε u c k e η in dieser Hinsicht fest2) :

„Sind ζ. Β. in der Geldwirtschaft Monopole gegeben, so kann das Preissystem zur Euhe kommen, obwohl ein Teil der Produktionsfak- toren aus dem Produktionsprozeß dauernd ausgeschieden ist**, allerdings kommt E u c k e n nicht auf die Idee, deshalb Angriffe gegen die klassische Nationalökonomie zu richten, um solchen Feststel- lungen den Anschein einer „neuen**, im Gegensatz zur klassischen Theorie stehenden Erkenntis zu geben - im Gegenteil!

Aber Keynes, der ja langfristige Entwicklungs- gesetze geben will, hat - abgesehen von allen sonstigen Einwän- den - seine auf der Axiomatik unelastischen Nominallohnes fußende Theorie auch nicht zu Ende gedacht, denn sonst hätte er sehen müssen, daß auch bei Unterstellung seiner Annahme im „long-run** eine Anpassung hinsichtlich des Β e s ch ä f t igu ngs -

niveaus, und zwar von Seiten der Bevölkerungs- kapazität aus erfolgen muß, denn, wenn der durchschnittliche Lebensstandard eines Gemeinwesens gegeben ist als das Verhältnis des echten Gütervolumens V zur Bevölkerungskapazität Z, also zu

-4. *) W. Lautenbach, Zur Zinstheorie von John Maynard Keynes,

a. a. O. S. 504. *) W. Ε u c k e η , a. a. 0. S. 135.

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so ist bei einem objektiv bestimmten Minimum des durchschnittlichen Lebensstandards Am{n und einem langfristig erreichbaren maximalen Gütervolumen Vmax, die Bevölkerungskapazität objektiv gebunden an die Bedingung

Wird bei absinkendem Produktionsvolumen diese Bedingung nicht durch Eeduktion der Bevölkerungskapazität erfüllt, oder gelingt es nicht, die Bedingung durch Steigerung des Gütervolumens zu erfüllen, so wird das Ende nicht eine einfache wirtschaft- liche „Krise", sondern eine allgemeine Kata- strophe sein, die praktisch schon vor Erreichung des theore- tischen Grenzfalles, nämlich dann bereits eintreten wird, wenn wesentlich bestimmende partielle Lebensstandardniveaus unter ihren objektiven Grenzwert sinken.

Die Frage, welchen Zustand der Wirtschaft man als normal an- sehen will, den des Gleichgewichts oderjien des Ungleichgewichts läuft u. A. n. auf die Entscheidung der Frage hinaus, ob man die Krankheit oder die Gesundheit als den Normalzustand des menschlichen Körpers annehmen will.

Vielleicht gehört hierher auch die Untersuchung der wirtschaft- lichen Bedingtheit des Zinses, mit der wir uns hier zwar nicht im ein- zelnen zu beschäftigen haben, zu der wir aber trotzdem feststellen möchten, daß die Frage, ob man den Zins als Äquivalent für die Anlage von Kapital oder aber als die Belohnung für die Aufgabe der „Liquidi- tät" ansehen will, etwa der Frage entsprechen würde, ob man den Arbeitslohn als das Äquivalent für geleistete Arbeit oder aber als Be- lohnung für die Überwindung der Faulheit bezeichnen will.

Eine Unvollkommenheit der klassischen Theorie soll hier keines- falls bestritten werden, obgleich ihre Untersuchungen den Zeitverhält- nissen entsprach, in denen sie durchgeführt wurden; man kann aber diese Theorien deshalb nicht als falsch bezeichnen, sondern kann sie nur unvollständig nennen. Demgegenüber kann die Theorie Κ e y n e s - wenigstens in dem uns hier interessierenden Teil - weit eher als falsch bezeichnet werden, weil sie infolge Verwechselung der Wirkung mit den Ursachen zu der Annahme führt, daß bei Vollbe- schäftigung auch immer ein echtes Gleichgewicht vorhanden sei, und es ist vielleicht nicht uninteressant, daß gerade diese Ver-

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wechslung implizite die Annahme beinhaltet, die Keynes den Klassikern zum Vorwurf macht, daß nämlich jedes Angebot sich seine Nach- frage schaffe. Dies folgt, wie bereits an anderer Stelle nachge- wiesen, auch klar aus den von ihm angegebenen Punktionalbeziehungen zwischen Angebot, Nachfrage und Beschäftigungsumfang 1).

Es liegt uns, wie schon gesagt, natürlich auch durchaus fern, be- haupten zu wollen, daß die Untersuchungen der Klassiker nun auch in allen Punkten vollständig seien, und es liegt uns erst recht fern, behaupten zu wollen, daß die Unterstellung eines totalen Gleichge- wichtszustandes als gegebene Tatsache bei der Untersuchung zwischen- zeitlicher Vorgänge auch immer richtig sei. Wir stimmen daher auch hier Ε u c k e η durchaus zu, wenn er hinsichtlich der wissenschaft- lichen Verpflichtung der Nationalökonomie feststellt 2) :

„Sie muß vielmehr bei Anwendung der Variationsmethode auch von solchen statischen Situationen ausgehen, in denen unbeschäftigte Arbeitskräfte vorhanden sind, in denen Produktionsanlagen nicht voll ausgenutzt werden und Vorräte als Folge von Stauungen des Güter- stromes bestehen, in denen also das allgemeine Gleichgewicht fehlt.* '

Das, was Ε u c k e η weiter hinsichtlich der Untersuchungen Fosters und Catchings sagt, scheint auch die uns hier inter- essierenden Untersuchungen Keynes' in nicht geringem Umfange zu kennzeichnen 3) :

„Alleïdings ließe sich zeigen . . ., daß es höchst gefährlich ist, nur den zweiten Typ der Methode zur Anwendung zu bringen. Allzuleicht verliert die theoretische Ableitung ihre Strenge, und auftauchende Schwierigkeiten werden durch einen Hinweis auf brachliegende, zum Einsatz bereite Produktionsfaktoren, Maschinen, Vorräte nur schein- bar überwunden."

Aber es ist ja leider heute vielfach üblich zu versuchen, dort, wo rationale Gründe nicht anwendbar oder auch nicht auffindbar sind, an Stelle des Verstandes das Gefühl sprechen zu lassen, um so einem Beweis zu entgehen, der doch nicht zu führen ist. Auch Keynes ist von einem solchen Fehler nicht ganz freizusprechen, und Hermens

*) Vgl. A. Forstmann, Über produktive und nichtinflatorische Kredit- gewährung, Weltwirtschaftliches Archiv, 45. Bd. (1937 I), S. 566 f.

*) W. E u c k e η , a. a. O. S. 135. «) W. E u c k e η , a. a. S. 136.

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hat daher nicht unrecht, wenn er gelegentlich einer kritischen Betrach- tung der Keynesschen Untersuchungen feststellt *) :

„Sofort wird Anschluß an alle volkstümlichen Vorstellungen, wie etwa ,Armut inmitten von Überfluß* gesucht, und nachdem sich so Mr. Κ e y η e s auf seine wissenschaftlichen Ergebnisse einen Vor- schuß genommen hat, geht er an die Arbeit, um sie zu beweisen."

Ein besonderer Irrtum Keynes' liegt, wie wir noch im einzel- nen erkennen werden, gerade auch in demjenigen Teil seiner Unter- suchungen, von denen er offenbar annimmt, sie seien so etwas wie eine Anwendung der „mathematischen" Methode. Gerade dieser Teil seiner Betrachtungen ist daher vor allem geeignet, die Unklarheit der Dar- stellung zu steigern und insbesondere Mißverständnisse bei denen her- vorzurufen, denen Vorbildung und Zeit ein tieferes Eindringen in die Zusammenhänge unmöglich macht. Vielleicht empfindet Keynes auch seine Unzulänglichkeit in der Anwendung dieser Methode selber, wenn er später seiner Abneigung gegen sie Ausdruck verleiht 2) :

„Ein allzugroßer Teil jüngster ,mathematischer* Wirtschaftslehren ist ein bloßes Gebräu, so ungenau wie die anfänglichen Voraussetzungen, auf denen sie beruhen und welche dem Autor erlauben, die Verwicklun- gen und gegenseitigen Abhängigkeiten der wirklichen Welt in einem Wust anmaßender und nutzloser Symbole aus dem Gesicht zu verlieren."

Die Anwendung der mathematischen Methode ist nicht nur ein Eecht, sondern auch eine Verpflichtung, ja sie ist gerade in der Wirt- schaftswissenschaft deshalb eine besondere Verpflichtung, weil der Nationalökonom im allgemeinen - und wir können hier nur sagen leider - nicht die Schulung in der Anwendung dieser Methode und ihrem Handwerkszeug hat, wie der Naturwissenschaftler.

Wenn wir daher im folgenden einige rechnerische Betrachtungen anstellen, die uns in Hinsicht auf das System der Keynesschen Untersuchungen erforderlich erschienen, so sind wir gewiß, daß jeder ernsthafte Forscher uns dies auch dann nicht verübeln wird, wenn ihm diese Methode nicht liegt. Völlig gleichgültig, weil uninteressant, ist uns hingegen eine „Kritik" jener Intellektuellen wider Willen, die - offenbar aus Mangel an Objekt - immer dort auch nur das Gefühl sprechen lassen wollen, wo der Verstand allein am Platze ist.

*) F. EL Hermens, Der neue Keynes, „Der österreichische Volkswirt", 28. Jg., 1936 II.

a) J. Μ. Κ e y n e s , Allgemeine Theorie, a. a. O. S. 252. Finanzarchiv. N. Γ. 5. Heft 3. 25

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Als „Schlüssel zu dem ganzen Problem" bezeichnet Key ne s jene Zusammenhänge, die er in die Peststellungen faßt 1) :

„W enn die Beschäftigung zunimmt, w i r d ΰ1 (d. h. der Verbrauch, den das Gemeinwesen voraussichtlich haben wird, d. Verf.) zunehmen, aber nicht im glei- chen Maße wie D (d. h. die gesamte erwartete Nachfrage des Gemeinwesens, d. Verf.), da, wenn unser Einkommen zunimmt, auch unser Verbrauch zunimmt, aber nicht im gleichen Maße. Der Schlüssel zu unserem wirklichen Problem steckt in diesem psycholo- gischen Gesetz. Denn es folgt daraus, daß, je größer die Menge der Be- schäftigung, desto größer die Kluft zwischen dem gesamten Angebots- preis (Z) der entsprechenden Produktion und der Summe (DJ, welche die Unternehmer erwarten können, von der Ausgabe der Verbraucher, zurückzubekommen. Wenn sich der Hang zum Verbrauch nicht ändert, kann folglich auch die Beschäftigung nicht zunehmen, es sei denn, daß

D2 (d. h. der Betrag, der voraussichtlich für Neuinvestitionen verwendet wird, d. Verf.) gleichzeitig zunimmt, um die zunehmende Kluft zwischen Ζ und Dx auszufüllen."

Diese Feststellungen sind in gewisser Hinsicht auch der Schlüssel zu seiner irrtümlichen Auffassung, die auf einer Verwechslung der Wir- kungen mit den Ursachen beruht und hierdurch die Annahme beinhaltet, daß sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe, und die besonders ge- kennzeichnet ist durch die Vernachlässigung der das Problem überhaupt erst ausmachenden qualitativen Voraussetzungen. Mit diesen Voraussetzungen haben wir uns daher auch besonders zu beschäftigen, nachdem wir zunächst die Zusammenhänge betrachtet haben, die Κ e y n e s als den Schlüssel zu dem Problem bezeichnet hat.

II. Einkommen und Verbrauch.

A. Altgemeines. Wir haben uns in den folgenden Betrachtungen zunächst mit der

Abhängigkeit der Größe des Verbrauches und der der Investitionshöhe von der Einkommenshöhe, also mit rein quantitativen Zusammenhän- gen zu beschäftigen. Diese rein quantitative Betrachtungsweise ist es, wie gesagt, auch, die mit Eücksicht auf die Folgerungen, die aus ihr ge- zogen werden, und die ihrerseits, wie wir noch erkennen werden, nichts weiter sind als das Ergebnis einer völlig mechanistischen Umkehrung

») J. Μ. Κ e y η e s , Allgemeine Theorie, a. a. 0. S. 25 f.

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Arbeit oder Beschäftigung? 387

eines gegebenen Kausalzusammenhanges anderer Art, den Irrtum der Keyjaesschen Theorie in dem uns hier interessierenden Teil im wesentlichen kennzeichnen. Κ e y n e s vernachlässigt hierbei die qualitativen, d. h. strukturellen Momente, die wie gesagt den eigent- lichen Kern des Problems kennzeichnen derart, daß durch sie die Gleich- gewichtslage und damit auch der Umfang der Beschäftigung bei ge- gebener Struktur des Produktionsapparates bestimmt ist. Zum Aus- druck kommt eine Solche Vernachlässigung beispielsweise dann auch, wenn Κ e y n e s sowohl in statischer als auch dynamischer Beziehung* immer wieder eine „gegebene Kapitalausrüstung* * unterstellt, ohne hierbei ihre strukturelle Zusammensetzung insbesondere unter Berück- sichtigung der Bedarfsstruktur zu prüfen.

Der Irrtum der Keynesschen Theorie in dem uns hier in- teressierenden Teil basiert also kurz gesagt vor allem darauf, daß er ein rein qualitatives Problem zu einem solchen quanti- tativer Natur macht und auch hierbei noch durch Umkehrung eines nichtumkehrbaren Funktionalzusammenhanges zu falschen Vor- aussetzungen auch in quantitativer Hinsicht kommt. Die Theorie Keynes' wird hierdurch zu einer solchen des Oegenwartsgleichge- wichtes ohne Eücksicht auf die Gestaltung des Verhältnisse in der Zu- kunft, denn das zukünftige Gleichgewicht ist in einem solchen Falle nur dann auch gewahrt, wenn in der Gegenwart Technik und Wirtschaft identisch sind. Da dies bei den Keynesschen Betrach- tungen nur als Sonderfall zutrifft, wie wir im einzelnen erkennen werden, so ist seine Theorie letzten Endes nichts anderes als eine Verwechse- lung von Technik mit Wirtschaft und von Beschäftigung mit Arbeit.

Gewiß ist es richtig, wenn Keynes meint „in the long run we are all dead", aber für die Theorie wie auch für die Politik sind solche Feststellungen von keinem anderen Wert, wie wenn OttoBeuter sagte „in fünfzig Jahren ist alles vorbei", denn es ist weder die Aufgabe der Wirtschafts Wissenschaft solche Überlegungen zum Leitsatz ihrer Forschungen zu machen, noch ist es die Aufgabe der Wirtschafts- politik, unter solchem Aspekt zu handeln.

Um derartige Irrtümer als solche im einzelnen klar erkennen zxi können, müssen wir uns im Anschluß an die hier zunächst durchzufüh- renden quantitativen Betrachtungen der Feststellung der qualitativen Bestimmungsgründe zuwenden, die ihrerseits wieder die Unterlage für die Beurteilung der Investitionsfolgen und damit auch der Frage einer echten Arbeitsbeschaffung erst bilden können.

25*

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388 Albrecht Forstmann

Die quantitativen Bestimmungsgründe kennzeichnet Keynes in einer kurzen Zusammenfassung ihrer Grundlagen durch die Feststel- lungen x) :

„Das Verhältnis zwischen dem Einkommen des Gemeinwesens und dem Teil, der voraussichtlich verbraucht werden wird, . . . hängt von psychologischen Merkmalen des Gemeinwesens ab, die wir seinen Hang zum Verbrauch nennen werden. Das heißt der Ver- brauch hängt vom Niveau des gesamten Einkommens und daher vom Niveau der Menge der Beschäftigung ab, ausgenommen, wenn sich der Hang zum Verbrauch ändert.

Der Betrachtung der hier umrissenen Zusammenhänge wollen wir uns nunmehr im einzelnen zunächst zuwenden.

B. Bestimmungsgründe des Problems.

1. Die quantitativen Bestimmungsgründe. Der Zweck der Betrachtungen des vorliegenden Gegenstandes ist

es vor allem, die Gründe zu erkennen, die den Umfang der Beschäf- tigung bestimmen. Allgemein ist zunächst festzustellen, daß der Be- schäftigungsumfang bestimmt ist durch den „Schnittpunkt der Funk- tion des gesamten Angebots und der gesamten Nachfrage' '. Die Menge der Beschäftigung in diesem Punkte ist abhängig von dem Grade der sinngemäßen Übereinstimmung zwischen der Struktur des Produk- tionsapparates und der des Bedarfs. Durch die Art und den Umfang einer solchen Übereinstimmung wird das partielle Gleichgewicht des Marktes bestimmt. Diesen maßgebenden Bestimmungsgründen widmet Keynes jedoch, wie wir feststellten, keine eingehendere Beachtung.

Die Feststellung der Abhängigkeit der Beschäftigungsmenge vom Schnittpunkt der resultierenden Angebots- und Nachfragekennlinie bietet gegenüber den Erkenntnissen der klassischen Nationalökonomie nichts Neues.

Um nun eine Abhängigkeit des Verbrauchs vom Umfang der Be- schäftigung festzustellen, müßte eine Funktionalbeziehung zwischen diesen beiden Größen gefunden werden. Keynes sieht es statt des- sen als zweckmäßig an, die Größe des Verbrauchs und die Größe des Einkommens, die er durch die Buchstaben C bzw. Y kennzeichnet und die er beide in „Lohneinheiten' * mißt·2), miteinander durch eine Funk-

*) J. Μ. Κ e y η θ s , Allgemeine Theorie, a. a. Ο. S. 24 f. ») Vgl. J. M. Keynes, a.a.O. S.36f.

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Arbeit oder Beschäftigung? 889

tionalbeziehung zu verbinden, also die beiden Größen: Verbrauch in Lohneinheiten = Gw =C/W und Einkommen in Lohneinheiten = Yw = Y/W, die einem Beschäftigungsniveau Ν entsprechen.

Κ e y n e s meint zwar, daß zwei verschiedenartige Verteilungen einer gegebenen Beschäftigung zu verschiedenen Werten von Yw füh- ren können, weil die Formen der einzelnen Punktionen der Beschäfti- gung verschieden seien, er glaubt aber, daß die Annahme, daß Yw ein- deutig durch Ν bestimmt sei, eine gute Annäherung darstelle. Key- n e s unterstellt hier, daß Einkommen und Beschäftigungsmenge linear proportional seien, dies ist aber selbst bei Annahme einer „gegebenen Kapitalausrüstung*

' und eines „gegebenen Standes der Technik", wie er sie ja bei seinen Untersuchungen als gegebene und nicht veränder- liche Größen unterstellt *), nicht der Fall und ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn strukturelle Veränderungen irgendwelcher Art eintreten oder gegeben sind, wie sie ζ. Β. auch durch einen technischen Fortschritt gekennzeichnet sind.

Die zwischen Verbrauch und Einkommen - beide, wie gesagt, in Lohneinheiten gemessen - aufgestellte ganz allgemeine Funktional- beziehung

CZ = x(YZ)*>™-C=W.x(Yw), die in dieser allgemeinen Form noch gar nichts über die Art der Ab- hängigkeit des Verbrauchs vom Einkommen aussagt, als daß ganz all- gemein die Höhe des Verbrauchs durch die Höhe des Einkommens be- stimmt ist, nennt Κ e y η e s den „H ang zum Verbrauc h".

Wir müssen diese Art der Terminologie deshalb als sehr unglück- lich bezeichnen, weil sie in dieser Allgemeinheit überhaupt nichts auszu- sagen vermag, insbesondere aber auch keinerlei Vergleich zwischen verschiedenen Graden eines solchen „Hanges zum Verbrauch" zuläßt, und das wäre doch eigentlich für ihren Sinn das Wesentlichste.

Wir dürfen daran erinnern, daß Κ e y n e s früher den Buchsta- ben χ, der hier die Tatsache der Funktionalbeziehung zwischen Gw und Yw ausdrückt, als den Hang zum Verbrauch bezeichnet hatte 2) was bedeuten würde, daß der Hang zum Verbrauch unter Berücksich- tigung der letztgenannten Beziehung ausgedrückt wäre zu

χ " Yw

* Y

x) Vgl. J. M. Keynes, a. a. O. S. 205. ») A. a. O. S. 26, Punkt 5.

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390 Albrecht Forstmann

Wir werden noch erkennen, daß dies unrichtig ist und auch der Form der Abhängigkeit zwischen Gw und Yw widerspricht, die Κ e y n e s selber hierfür angibt.

Der wesentlichste objektive Bestimmungsgrund für die Höhe des Verbrauchs ist die Höhe des Einkommens. Hier handelt es sich nun darum, festzustellen, in welcher Art der Verbrauch von der Höhe des Einkommens abhängig ist. Dazu läßt sich etwa Folgendes sagen:

Bis zur Höhe des Existenzminimums wird das gesamte Einkom- men verbraucht ; steigt das Einkommen aber, so steigt zwar auch der Verbrauch, aber er wird im allgemeinen nicht in demselben Umfange steigen wie das Einkommen, sondern ein mit steigendem Einkommen immer größer werdender Teil des Einkommens wird nicht mehr dem Verbrauch gewidmet, sondern wird gespart werden. Die Abhängigkeit des Verbrauchs von der Einkommenshöhe ist also durch eine nicht - lineare Bildkurve darstellbar,· die gegen die Abszisse konkav gekrümmt ist. Diese Feststellung, d. h. die η i c h t lineare Abhängigkeit zwi- schen Verbrauch und Einkommen gilt natürlich nur für steigendes Durchschnitts einkommen, denn wenn - bei gleichbleibendem „Hang zum Verbrauch" - das Gesamteinkommen infolge Steigerung des Beschäftigungsumf anges ohne Steigerung des Durch- schnittseinkommens steigt, steigt zwar die Investition abso- lut, aber nicht relativ.

Es ist weiterhin hierbei zu beachten, daß eine solche Bildkurve bei dynamischer Betrachtung nicht stetig verläuft, d. h. bei steigendem Einkommen wird die Verbrauchsgestaltung eine andere sein wie bei sinkendem Einkommen; die Abhängigkeit zwischen Verbrauch und Einkommen ist also nicht streng reversibel. Bei abnehmendem Ein- kommen zeigt sich der Verbrauch relativ unelastisch, uncl es kann sogar vorkommen, daß auf kurze Zeit der Verbrauch das Einkommen über- steigt, man lebt dann, wie man sagt, vom Kapital, d. h. also von dem bisher nicht beanspruchten Ergebnis früherer Arbeit. Das kann natür- lich von verhängnisvollen Folgen sein, wenn es längere Zeit der Fall ist und die Gesamtverhältnisse eines Gemeinwesens kennzeichnet. Übrigens kann dieser Fall nicht nur bei Betrachtung der in einem Ge- meinwesen bestimmenden Verhältnisse bei sinkendem, sondern auch bei steigendem Einkommen der Fall sein. Ebenso wird eine Steigerung des Einkommens nicht sofort zu einer durch gesteigerten Verbrauch gekennzeichneten Erhöhung des Lebensstandards führen, sondern auch diese wird einen gewissen Zeitraum beanspruchen. Diese Tatsachen

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Arbeit oder Beschäftigung? 891

zeigen das Trägheitsmoment des die Verbrauchshöhe bestimmenden Lebensstandards nach beiden Seiten einer dynamischen Veränderung des Einkommens. Ob eine nur vorübergehende Änderung des Einkom- mens insbesondere eine nur vorübergehende Steigerung des Einkom- mens zu einer Erhöhung der Ersparnis oder einem stärkeren Verbrauch führen, ist eine Frage, die generell nicht entschieden werden kann, sondern die von verschiedenen Umständen abhängig ist. Sie hat uns hier jedoch nicht näher zu interessieren.

Trotz aller dieser Tatsachen wird sich bei Betrachtung der Ge- sacitverhältnisse in einem Gemeinwesen - auf alle Fälle in guter An- näherung - eine durchschnittlich reproduzierbare Abhängigkeit an- geben lassen, die jedoch eine ungestörte Kontinuität der wirtschaft- lichen Entwicklung insbesondere in Hinsicht auf strukturelle Störun- gen voraussetzt und bei der weiter auch zu beachten ist, daß es sich hier nur um rein quantitative Beziehungen symptomatischer Natur handelt.

Wir haben bereits früher eine solche den angegebenen Bedingun- gen entsprechende allgemeine Beziehung zwischen Verbrauch und Ein- kommen angegeben durch die Formel *) :

y = xo-i{l-[a;-(a;o-l)]<5}, die sich unter Berücksichtigung der Keynesschen Synonyma ausdrücken läßt zu

®w = Ywo - "sjl - I Yw - (Yw ο - 1)1 ί >

wobei dann die Größe der Ersparnis, die Κ e y n e s ja mit der In- vestition identifiziert, gegeben ist als Differenz zwischen Einkommen und Verbrauch, also zu

iw = Yw - Ow = Yw - ^wo + t|i - I Yw - ç^w o - i)J |·

Wir hatten auch darauî hingewiesen, daß es keinen rechten Sinn hat, diese Beziehung zwischen Cw und Yw als den „Hang zum Ver- brauch* ' zu bezeichnen, denn sie gibt ja einfach nur die Verbrauchs- größe an. Es hat auch keinen Sinn, diese Bezeichnung „Hang zum Ver- brauch" zur Kennzeichnung des jeweiligen Verhältnisses von Ver- brauch zum Einkommen also dem zu benutzen, das man zweckvoller-

x) Vgl. A. F ο r s t m a η η , a. a. Ο. S. 552.

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392 AlbrechtForstmann

weise die Verbrauchsquote nennen könnte, sondern zur Kennzeichnung eines solchen Hanges zum Verbrauch - vielleicht spräche man dann besser von Verbrauchs tendenz - scheint es besser, die Neigung der Bildkurve zu bezeichnen, die die Abhängigkeit des Verbrauchs von der Einkommenshöhe wiedergibt, also den Ausdruck

dCw Γ 1 ô - 1 X '*w) = ^γ

- I * vu {*wo 1) I

Diesen Ausdruck bezeichnet Key η es als den „Grenzhang zum Verbrauch", wie dies ja seiner Art der Definition eines Grenzbegriffes als Differentialquotienten entspricht, der wegen seiner fehlenden Bestimmtheit weder mathematisch noch wirtschaftlich einen Sinn zu haben scheint *).

Die obigen Beziehungen lassen erkennen, daß für alle interessieren- den Größen der Wert von δ von bestimmender Bedeutung ist. Diese Größe ist nun einmal von bestimmten für das Gemeinwesen als sol- chem charakteristischen Momenten abhängig und ist im besonderen abhängig von der Art der Einkommensverteilung, der Κ e y η e s gar keine Aufmerksamkeit widmet. Diese Abhängigkeit von der Einkom- mensverteilung ist, wie wir bereits früher feststellten 2), derart, daß beispielsweise bei einer Steigerung vor allem der hohen Einkommen δ einen kleineren Wert haben würde als den Durchschnittswert, also eine stärkere Steigerung der Ersparnisse eintreten würde als bei gleichblei- bender Einkommensverteilung, während bei einer Steigerung vor allem der niedrigen Einkommen δ einen größeren WTert haben würde als den Durchschnittswert, daß also eine geringere Steigerung der Ersparnis und eine stärkere Steigerung des Verbrauchs eintreten würde als dies bei gleicher Einkommensverteilung der Fall wäre. Die durch die oben angegebenen Beziehungen gekennzeichneten Verhältnisse gelten daher nur für gegebene Einkommensverteilung und soweit δ als konstant an- genommen werden kann.

x) Lautenbach meint zur Art der Anwendung der Grenzbegriffe durch Κ e y n e s: „Mir scheint, daß Κ e y n e s in seiner „Allgemeinen Theorie" reich- lich unbekümmert von dem Instrument Gebrauch macht, und es wäre angebracht, wenn bei der weiteren Ausgestaltung der Theorie das Instrument mit größerer Vor- sicht verwendet würde, so bequem und verlockend es sich auch immer präsentiert. (W. Lautenbach, Zur Zinstheorie von John Maynard Keynes, a. a. 0. S. 506).

2) A. Forstmann, Über produktive und nichtinf la torische Kredit- gewährung, a. a. O. S. 553 f.

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Arbeit oder Beschäftigung? 393

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß - gleichbleibenden „Hang zum Verbrauch" vorausgesetzt - bei gleichbleibendem Durchschnitts- einkommen -jn λη

Fassen wir die Ergebnisse der vorstehenden Betrachtung kurz zu- sammen, so können wir feststellen, daß drei Momente zunächst in quantitativer Hinsicht wichtig sind für die Gestaltung des Verhält- nisses von Verbrauchsausgaben zu Einkommen, also der Verbrauchs- quote, nämlich

1. die absolute Höhe 2. die Verteilung 3. der Durchschnitt

des Einkommens. Betrachten wir noch kurz den Einfluß von Veränderungen des

Einkommens als Funktion der Zeit ; für diese läßt sich zunächst ganz allgemein die Beziehung

oo r -, F(t) = f Yw (ω) sin a)t + ψ(ω) · dco

angeben, wobei Yw((*>) und φ{νή die Frequenzspectra der Amplituden bzw. der Phasen wiedergeben.

Betrachten wir relativ periodische Vorgänge, also beispielsweise konjunkturelle Erscheinungen als solche, so genügt es, wenn man unter Berücksichtigung des Gesetzes der ungestörten Superposition die Ein- kommensänderung als einfache harmonische Funktion der Zeit be- trachtet. Geht man hierbei von einem bestimmten gegebenen Einkom- men YWa aus, so erhält man für das Einkommen als Funktion der Zeit den Wert y~ = Yw»a + Y^ . sincot,

wobei Yw die Amplitude der Einkommensänderung, ω = 2π/ die Kreisfrequenz der Einkommensänderung von der Frequenz / und t die Zeit wiedergibt.

Für den Verbrauch läßt sich dann durch Entwicklung in eine Maclaurinsche Eeihe die Beziehung angeben

y (Y ) y '(Y ) cw = x(Yw) + ^j^

y Yw ■ sinH +Ve) +^-^

y F« · sin* («rf + <pe)

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394 Albrecht Fors t m a n η

wobei (pc eine Phasenverschiebung zwischen Einkommensänderung und Verbrauchsänderung bedeutet, so daß also für φ0 = 0 die Vorgänge konphas sind, wie wir weiter annehmen wollen.

Bricht man die Eeihe nach dem zweiten Gliede ab, so erhält man nach Einsetzen der entsprechenden Werte von %{YW) un(i x(Yw) für den Verbrauch die erste Annäherung

dCw cw = GWa +-7V- Yw sin^

u*1 w

und dementsprechend für die Investition

[döw-' 1 - jy- ·

Betrachten wir strukturelle Veränderungen des Einkommens und nehmen an, daß diese durch die ganz allgemeine Beziehung f(t) wieder- gegeben sind, so gilt als erste Annäherung für den Verbrauch

dCw ai w

und dementsprechend für die Investition

[döwl 1~dT^''mi)- Bei den obigen Betrachtungen ist natürlich unterstellt, daß keine

Entstaltung der Bildkurve Gw = x(Yw) eintritt, diese also stetig ist. Die Momente, die Κ e y n e s als objektive Paktoren seines Han-

ges zum Verbrauch bezeichnet, sind im wesentlichen alle unter dem Gesichtspunkt der absoluten Höhe des Einkommens zusammenfaßbar. Er nennt hier im einzelnen 2) :

a) Änderungen in der Lohneinheit ; b) Änderungen im Unterschied zwischen Einkommen und Beinein-

kommen ; c) Änderungen im Kapitalwert zufälliger Natur, die in der Berech-

nung des Eeineinkommens nicht berücksichtigt wurden; d) Änderungen in der Eate der Zeitdiskontierung, d. h. im Tausch-

verhältnis zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Gütern;

'*) Wie wir später sehen werden nennt Key ne s den Ausdruck

- -1 "" l = k den „Multiplikator".

dYwj a) J. Μ. Κ e y n e s , a. a. Ο. S. 79 ff.

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Arbeit oder Beschäftigung? 395

e) Änderungen in der Steuerpolitik; f) Änderungen in den Erwartungen über das Verhältnis zwischen

dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Niveau des Einkom- mens. Für unsere weiteren Untersuchungen ist eine eingehendere Be-

trachtung dieser, vor allem quantitative Veränderungen betreffenden Einflüsse nicht wesentlich, so daß wir sie uns hier sparen können. Im allgemeinen bemerkt Κ e y η e s hierzu x) :

„Es bleibt uns daher nur der Schluß übrig, daß der Hang zum Verbrauch in einem gegebenen Zustand als ziemlich stabile Punktion betrachtet werden kann, sofern wir Änderungen in der Lohneinheit in · Geld gemessen ausgeschaltet haben. Zufällige Änderungen in Kapital- werten können den Hang zum Verbrauch ändern, und beträchtliche Änderungen im Zinsfuß und in der Steuerpolitik mögen etwelchen Unterschied machen; die anderen objektiven Faktoren aber, die ihn beeinflussen könnten, werden, obschon sie nicht übersehen werden dürfen, unter gewöhnlichen Umständen kaum wichtig sein."

Auch die subjektiven Bestimmungsgründe, die die Höhe des Ver- brauchs beeinflussen können, brauchen uns hier nicht im einzelnen zu interessieren, wenngleich sie natürlich insbesondere dann, wenn sie der Ausdruck typischer Erscheinungen eines Gemeinwesens sind, auch einen entsprechend objektiven Charakter haben können und auch von nicht unerheblichem Einfluß auf die Art der zu ergreifenden wirt- schaftspolitischen Maßnahmen im einzelnen sein können.

Κ e y n e s bemerkt zu den subjektiven Bestimmungsgründen insgesamt 2) :

„Die Stärke all dieser Beweggründe wird nun gewaltig schwanken je nach den Einrichtungen und dem Aufbau der vorausgesetzten wirt- schaftlichen Gesellschaft, gemäß den durch Easse, Erziehung, Überein- kunft, Eeligion und jeweils geltender Moral gebildeten Gebräuchen, gemäß den Hoffnungen der Gegenwart und den Erfahrungen der Ver- gangenheit, gemäß dem Grad und der Technik der Kapitalausrüstung der bestehenden Verteilung von Eeichtum und den gegebenen Stufen der Lebenshaltung."

Die subjektiven Beweggründe sind, wie wir bereits bemerkten, dann von Wichtigkeit, wenn es sich um die Bildung eines Gesamturteils hinsichtlich der in speziellen Fällen zu ergreifenden Maßnahmen han-

*) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 82. η J.M. Keynes, a.a.O. S. 94.

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396 Albrecht Forstmann

delt, die bei den verschiedenen Nationen mit Eücksicht auf die Ver- schiedenartigkeit ihrer Mentalität, auch bei sonst gleichen Vorausset- zungen, verschieden sein können und meist auch verschieden sein wer- den.

Auf die Enthaltung vom Verbrauch ist das Bestreben mit- bestimmend, den nichtverbrauchten Teil des Einkommens nutzbrin- gend zu verwenden, d. h. zu sparen bzw. zu investieren, d. h. also, daß die Enthaltung von Verbrauch in dieser Hinsicht auch - wenigstens in gewissen Ausmaßen - objektiv bestimmt ist durch die Höhe des Zinsfußes bzw. der zu erzielenden Eendite und den Erwartungen, die man von der zukünftigen Gestaltung dieser Größen hegt, wobei im Falle von Veränderungen der graduellen Kaufkraft des Geldes der er- wartete Effektivzins bestimmend ist 1).

Auf eines möchten wir hier noch hinweisen, obgleich dies eigent- lich nicht streng zu den Gegenständen unserer vorliegenden Betrach- tungen gehört, und zwar auf die Möglichkeit gewisser selbständiger Theorien im System der Keynesschen Untersuchungen bzw. im System der Keynesschen Definitionen.

Da Ersparnis auch nach Κ e y η e s der Teil des Einkommens ist, der nicht konsumiert wird, und weiter Ersparnis und Investition bei Κ e y n e s identisch - und zwar identisch ex definitione - sind, so scheint uns in einem solchen System bestenfalls nur eine Investi- tion s théorie des Sparens geben zu können, die bestimmt ist als eine Funktion des „Hanges zum Verbrauch". Und da die Identität von Er- sparnis und Investition eine jede Liquidität, die nicht Barliquidität ist, ausschließt, so scheint auch jede Theorie, die sich auf Liquidität stützt, in einem solchen System eine contradictio in adjecto; denn wenn die Annahme, daß Ersparnis und Investition voneinander abweichen kön- nen, wie Κ e y n e s meint 2), „nur durch eine optische Täuschung erklärt werden" kann, so könnte eine jede sich auf „Liquidität" stüt- zende Theorie in einem solchen System doch nur eine Theorie der opti- schen Täuschung sein, wenn man nicht die sich aus der zeitlichen Ver- schiedenartigkeit der Fälligkeiten zwischen Aktiv- und Passivdispo- sitionen der Banken sich ergebende Divergenz der Fälligkeiten, also die Liquiditäts grade als Basis solcher Theorien wählen würde, was uns einigermaßen absurd erscheinen will.

Betrachten wir noch kurz die Grundlagen der Zinstheorie, die uns

*) Vgl. A. F ο r s t m a η η , a. a. 0. S. 583 f . 2) Vgl. J. M. Keynes, a.a.O. S. 70.

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hier zwar als solche nicht im einzelnen beschäftigen kann, zu der aber doch prinzipiell festgestellt sei, daß es bei ihr hinsichtlich der Ergeb- nisse, zu denen man bei ihrer Untersuchung kommen wird, ausschlag- gebend auf die unterstellten Prämissen ankommt, insofern insbeson- dere, als man zu grundsätzlich anderen Ergebnissen kommen wird und auch kommen muß, je nachdem man von einer festgegebenen oder von einer beliebig veränderlichen Geldmenge aus- geht und je nachdem, ob man den Einfluß intervalutarischer Wirkun- gen berücksichtigt oder nicht.

Im Falle festgegebener Geldmenge ist naturgemäß der Zins eine Funktion der Geldmenge, während bei Annahme einer beliebig ver- änderlichen Geldmenge diese eine Funktion des Zinses sein wird, wo- bei im einzelnen die jeweiligen besonderen Einflüsse des wirtschaft- lichen Kreislaufvorganges innerwirtschaftlicher ebenso wie auch inter- valutarischer Art bestimmend sein werden.

Es hat aber keinerlei Sinn, die Ergebnisse von Untersuchungen zu vergleichen, die in ihren Prämissen grundsätzlich differieren. Leider beruhen die Angriffe, die Κ e y n e s gegen die klassische National- ökonomie macht, in weitem Ausmaße auf der Nichtbeachtung solch grundsätzlicher Erfordernisse, was vielleicht auch darauf zurückzu- führen ist, daß Κ e y n e s seine eigenen Prämissen, die er, wie Lau- t e η b a c h dies vorsichtig ausdrückt, „nicht ausdrücklich und aus- führlich . . . darstellt und begründet" *), bei solchen Vergleichen gar nicht berücksichtigt. Das zeigt sich beispielsweise bei den Vorwürfen, die Κ e y n e s den Klassikern hinsichtlich ihrer Beurteilung der Lohn- entwicklung macht. Wenn Κ e y n e s hier die Eichtigkeit des klassi- schen „Parallelenaxioms", d. h. die Annahme der Klassiker, daß Geld- lohn und Eeallohn sich parallel verändern, bestreitet, so berücksichtigt er nicht, daß ja die Klassiker - wie dies der weiter oben genannte Brief Eicardos an Malthus zum Ausdruck bringt - nur die langfristigen Entwicklungstendenzen untersucht haben, während seine eigenen Un- tersuchungen auf kurzfristige Veränderungen eingestellt sind. Key- n e s hat daher zwar mit seiner Behauptung für die Beurteilung der „short-run"-Entwicklung recht, aber die Klassiker haben für ihre Be- trachtungen der „long-run" -Entwicklung ebenso recht.

Während aber die Klassiker sich ganz be- wußt und ausdrücklich auf die Betrachtung

*) W, Lautenbach, Zur Zinstheorie von John Maynard Keynes, a. a. O. S. 495.

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langer Zeiträume beschränkt haben, sieht Key- nes von seinen Prämissen völlig ab und verall- gemeinert einfach einen bestimmten Spezial- fall zum allgemeingültigen wirtschaftlichen Gesetz, eine Methode, die typisch zu sein scheint für seine ganzen hier interessierenden Unter- suchungen.

Wenn Lautenbach daher zu den Vorwürfen, die man gegen Κ e y n e s mit der Begründung erhebt, er verallgemeinere in unzuläs- siger Weise einen Spezialfall zum wirtschaftlichen Entwicklungsgesetz, meint, daß ein solcher Vorwurf „ein Wurf mit dem Bumerang ist, ein Wurf, der . . . vielleicht den Angegriffenen haarscharf streift, den Wer- fenden selbst aber beim Eückflug zu fällen droht" x), so will es uns doch fast scheinen, als ob schon dies „haarscharfe Streifen" genügt, um bei den Gestreiften die Erkenntnis für den weiteren Weg des „Bumerangs" zu trüben.

2. Die qualitativen Bestimmungsgründe. Es ist einer der bestimmenden, um nicht zu sagen der bestim-

mende Fehler in den Ausgangspunkten der Keynesschen Be- trachtungsweise des vorliegenden Problems und damit auch einer der Hauptgründe seiner zu einer Verwechselung von Technik mit Wirt- schaft und von Beschäftigung mit Arbeit 2) führenden „allgemeinen*

*

Theorie, die qualitativen, d. h. strukturellen Bestimmungsgründe des Verbrauchs ebenso wie auch die strukturelle Zusammensetzung der Investition nicht berücksichtigt zu haben. Daran ändert auch die Tat- sache nichts, daß er sie gelegentlich nebenbei erwähnt, denn zu einer Berücksichtigung in dem ihnen gebührenden Umfange haben solche Erwähnungen nicht geführt.

Wir hatten aus diesem Grund eingangs unserer Betrachtungen auch darauf hingewiesen, daß der prinzipielle Irrtum der Keynes- schen Theorie auf die kurze Formel gebracht werden kann, daß er aus einem rein qualitativen Problem ein sol- ches rein quantitativer Natur gemacht hat.

Die Untersuchung der strukturellen Bedingungen müßten den

eigentlichen Kern einer Theorie der Beschäftigung bilden, die auch

^W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O. S. 58. *) Vgl. zur Definition dieser Begriffe A. F ο r β t m a η η , a. a. υ. b. 54*5 1.

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eine solche der Arbeit sein will und die weiterhin auch mit Eecht Anspruch auf „Allgemeingültigkeit

" erheben will, weil sie allein die Voraussetzungen festzustellen vermag, die zu erfüllen sind, um zu einer dauerhaften, d. h. echten Gleichgewichtslage kommen zu können.

Κ e y η e s umgeht diese Voraussetzungen, was bestenfalls bedeu- ten würde, daß er sie implizite als erfüllt ansieht; das würde aber in gewissen Grenzen nur für konjunkturelle Abweichungen von der Gleichgewichtslage zutreffen, insofern, als hier die qualitativen Be- dingungen relativ automatisch erfüllt werden. In wesentlichen Punk- ten aber berücksichtigt Keynes solche Voraussetzungen überhaupt nicht und kommt infolgedessen zu Schlußfolgerungen, die kaum anders als paradox genannt werden müssen.

Die Beurteilung des vorliegenden Problems erfordert also nicht in erster Linie eine Untersuchung quantitativer Art - wenn eine solche natürlich auch zum Gegenstand unserer Betrachtungen gehört - , son- dern sie erfordert vor allem die Festlegung struktureller Bedingungen, sowohl die Bedürfnis- und Bedarfs- und damit die Nachfragestruktur betreffend, wie auch diejenige der Investitionen. Es handelt sich also auch bei der Planung von Vorhaben nicht um die Peststellung ihrer möglichst großen Sekundärwirkungen, sondern darum zu untersuchen, wie sie - unter Berücksichtigung dynamischer Veränderungen - in die Gesamtstruktur hineinpassen.

Der Gesamtlebensstandard einer Nation ist abhängig von der Menge der von ihr erzeugten „Güter" und der Zahl derjenigen, die zur Herstellung dieser Güter notwendig sind; „Güter" aber sind nur diejenigen Erzeugnisse eines „technischen" Herstellungsverfahrens, nach denen ein Be- dürfnis besteht, das sich als Bedarf zu akti- vieren vermag. Werden also Arbeitskräfte zur Durchführung von Vorhaben beansprucht, die diesen Erfordernissen nicht ent- sprechen, so wird dadurch eine Senkung des Lebensstan- dards bewirkt, die in ihrem Ausmaße abhängig ist von dem Ver- hältnis der unproduktiv Beschäftigten zu den produktiv Beschäftigten. Daß der Verbrauch vorhandener Eeserven diesen Zustand aufhalten kann, vermag seine endgültige Wirkung nur zu verschlimmern.

Der Politiker muß naturgemäß im Interesse der Nation auch außer wirtschaftliche Aufgaben erfüllen, die die Beanspruchung wirtschaftlicher Mittel erforderlich machen, also Maßnahmen ergreifen, die den durchschnittlichen Lebensstandard aus Allgemeininteressen re-

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duzieren. Würde er hierbei aber nicht die natürlich gegebe- nen wirtschaftlichen Grenzen beachten, so würde er damit letzten Endes auch die Erreichung des politischen Zieles in Frage stellen und somit nur zu beweisen vermögen, daß ihm die Aktiv- legitimation zum Staatsmanne fehlt.

Ganz besonders gilt dies natürlich, wenn der Staat, wie in Kuß- land, wirtschaftliche, d. h. unternehmerische Funktionen ausüben will, denn Unternehmer ist nur der, dessen natürliche Verantwortungslast dadurch gekennzeichnet ist, daß er seine eigene Haut zu Markte trägt, und wo die Herrschaft der Vernunft beginnen müßte, da kann die „Muskelkraft** a 1 1 e i η e nur schaden. ,,Denn auf die Dauer wer- den Begierungssysteme nicht gehalten durch den Druck der Gewalt, sondern durch den Glauben an ihre Güte und an die Wahrhaftigkeit in der Vertretung und Förderung der Interessen eines Volkes** 1).

Das Problem der Beschäftigung bzw. der Arbeit ist ein Gleichge- wicht sproblem. Man kann hier vielleicht drei Arten von Gleichgewicht unterscheiden, die man vielleicht zweckmäßig kennzeichnen kann als :

1. ein marktmäßiges Gleichgewicht; 2. ein Gleichgewicht des Produktionsapparates; 3. ein totales Gleichgewicht.

Das Gleichgewicht erstgenannter Art ist dann gegeben, wenn Angebot und Nachfrage zum Ausgleich kommen. Das Gleichgewicht zweitge- nannter Art ist dann vorhanden, wenn ein solches Gleichgewicht erst- genannter Art bei optimaler Ausnutzung des Produktionsapparates vorhanden ist, und schließlich ist das Gleichgewicht letztgenannter Art dann gegeben, wenn für die zu 1 und 2 genannten Fälle Vollbeschäfti- gung vorhanden ist.

Selbstverständlich können die Gleichgewichts- bzw. Ungleichge- wichtslagen unter Berücksichtigung der entsprechenden Bedingungs- zusammenhänge sowohl einzeln als auch zusammen auftreten. Aber alles das berechtigt weder Keynes, noch erst recht nicht seine Anhänger zu behaupten, die Klassiker hätten solche Tatsachen gar nicht erkannt, denn diese untersuchten - und zwar ganz bewußt -

ja nur die langfristigen Entwicklungen. Gewiß ist die Untersuchung spezieller und kurzfri-

stiger Vorgänge auch ein wichtiges Untersuchungsgebiet der Wirt- schaftswissenschaft, aber ihre primäre Verpflichtung liegt doch

*) Α. Η i 1 1 e r , Mein Kampf, S. 309, München 1933.

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in der Untersuchung der allgemeingültigen langfristi- gen Grundlagen, ohne deren Kenntnis allen anderen Unter- suchungen die erforderliche Ausrichtungsmöglichkeit und damit über- haupt die objektiven Voraussetzungen fehlen würden.

Es ist hier in der Wissenschaft nicht anders wie in der Geschichte, daß nur auf dem Fundament der Tradition etwas auch für die Zukunft Dauerhaftes errichtet werden kann. Wir stimmen daher auch Navra- t i 1 zu, wenn er meint x) :

„Es ist ein ewiges Verdienst der klassischen wie überhaupt der älteren Nationalökonomie - und ich betone das gern, obwTohl ich da- durch zu der in der Nationalökonomie heute Mode gewordenen Auf- fassung in Gegensatz gerate - , daß sie ihre Untersuchungen stets auf die Betrachtung langer Zeitläufe abgestellt und diese Methode für ganz natürlich und selbstverständlich gehalten hat."

Auch Eucken erkennt die Bedeutung langfristiger Unter- suchungen besonders mit Eücksicht auf die Möglichkeit kurzfristiger Untersuchungen durchaus klar, wenn er seine - gerade auch den Κ e y n e s - Adepten zur eingehenden Kenntnisnahme zu empfehlen- den - Ansichten zu diesem Punkte in die Feststellung faßt 2) :

„Die erste Betrachtung bedarf der Ergänzung (nicht der Berich- tigung, der Verf.) durch die zweite. Aber der zweiten fehlt von vornherein jede Direktion, wenn nicht die erste vorangegangen ist (Sperrung von uns). Werden beide vollzogen, so gelangen wir zu theoretischen Eesultaten, die uns in ihrer Anwendung die Erklärung konkreter Fragen ermöglicht."

Ungleichgewichtszustände - das sei hier einmal kurz festgestellt - resultieren immer nur aus einer relativ objektiv bedingten Verschieden- artigkeit der Eeaktionsgeschwindigkeiten einzelner Vorgänge, die in ihrer Gesamtheit den Gleichgewichtszustand bestimmen. Will man also bei gestörtem Gleichgewicht zu einer neuen Gleichgewichtslage kom- men, so muß man - soweit dies möglich ist - versuchen, Vorgänge mit höherer Eeaktionsgeschwindigkeit in ihrem Ablauf zu verlang- samen und Vorgänge mit geringerer Eeaktionsgeschwindigkeit in ihrem Ablauf zu beschleunigen. Tut man dies nicht oder handelt sogar noch entgegengesetzt, so verzögert man damit die Erreichung einer neuen Gleichgewichtslage ; ergreift man aber Maßnahmen, die der natürlichen

*) Α. ν. Ν a ν r a t i 1 , Die Rentabilität des Bodens, Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 45, S. 58 ff., 1937.

2 W.Eucken, a. a. O. S. 149. Finanzarchiv. N. Γ. 5. Heft 3. 26

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Anpassung der einzelnen Faktoren, die den Gleichgewichtszustand aus- machen, entgegenwirken, so kann man sich auch nicht wundern, wenn eine neue und dauerhafte, d. h. echte Gleichgewichtslage nicht erreicht werden kann.

Gerade in der Nichtberücksichtigung solcher teilweise ausschlag- gebender Phasenverhältnisse, d. h. insbesondere auch der Nichtbe- rücksichtigung der zeitlichen Divergenzen des Wirksamwerdens ein- zelner Kräfte, liegt - neben der Vernachlässigung der das Problem erst ausmachenden qualitativen Momente - ein weiterer grund- legender Irrtum der Keynesschen Betrachtungsweise. Eine Un- tersuchung dieser Verhältnisse im einzelnen würde den Kahmen der vorliegenden Betrachtungen sprengen.

Das Moment der Eeaktionsgeschwindigkeit kennzeichnet bei- spielsweise - um das hier kurz zu sagen - den Unterschied zwischen den Ergebnissen langfristiger und kurzfristiger Untersuchungen, wie er, um nur ein Beispiel zu nennen, durch das „Parallelenaxiom" in der Lohntheorie gekennzeichnet ist, das die langfristigen Entwicklungs- tendenzen ebenso richtig kennzeichnet, wie es für kurzfristige Betrach- tungen unzutreffend ist.

Aber auch andere Faktoren gehören hierher, wie ζ. Β. das, was man als „Unternehmerinitiative4 * zu bezeichnen pflegt. Wenn daher Lautenbach hier meint x) :

„Natürlich könnte ich, wenn meine Arbeiter sich mit einer Ver- kürzung des Lohnes um zehn Prozent einverstanden erklärten, viel mehr Leute einstellen und viel mehr produzieren und würde dabei gut verdienen. Das ist ganz richtig - wenn die Konkurrenten nicht genau dieselbe Chance haben", so muß demgegenüber festgestellt werden, daß es nicht auf das Vorhandensein, sondern auf die Ausnutzung der Chan- cen ankommt, die als eine Funkfcion der immer verschiedenen Unter- nehmerfähigkeiten auch immer verschieden ist. Die von Lauten- bach unterstellte Annahme ist daher wirklichkeitsfremd.

Wenn Lautenbach weiter meint 2) : „Auf diese Weise bekommen gewisse Sätze der klassischen Theorie,

die ... in der geschlossenen Wirtschaft nicht gelten oder gar sinnlos sind, reale Geltung und Sinn in einer offenen, in die Weltwirtschaft ein- gegliederten Volkswirtschaft - vorausgesetzt, daß die weltwirtschaft- liche Entwicklung nicht genau parallel verläuft, sei es zufällig, sei es

M W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, S. 61, Frankfurt o. J. 2) W. L a u t e η b a c h , a. a. O. S. 62.

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infolge gegenseitiger Induktion der weltwirtschaftlich miteinander ver- bundenen Volkswirtschaften. Die Weltkrise nach 1929 war das tra-

gische Beispiel einer weltweiten Lohn- und Preissenkung; sie ist ein furchtbarer experimenteller Gegenbeweis gegen die von der klassischen Theorie behauptete Wirkung allgemeiner Lohnsenkungen", so nimmt er damit nicht nur eine uns unberechtigt erscheinende Differenzierung zwischen volks- und weltwirtschaftlichen Verhältnissen vor, sondern er zeigt damit auch,. daß ihm der eigentliche Sinn der Krisenverur- sachung x) nicht ausreichend zum Bewußtsein kommt. Sein Stoß gegen die klassische Theorie trifft damit ins Leere, denn er sieht das nicht, was die Kritiker Κ e y n e s sehr richtig feststellen, daß dieser näm- lich, um mit Lautenbach zu sprechen, „die Analyse einer ein- maligen und zufälligen historischen Situation zum ökonomischen Ent- wicklungsgesetz verallgemeinere" 2). Die Klassiker haben bei der Aufstellung ihrer wirtschaftlichen Ke- geln, wenn man so sagen darf, die Ausnahmen vernachlässigt, während Keynes die Regeln vernachlässigt und eine Ausnahme zur Regel macht.

Betrachten wir nun die prinzipiellen Ursachen einer Arbeitslosig- keit. Hier können wir zwei Ursachen grundsätzlicher Natur unterschei- den. Einmal kann die Arbeitslosigkeit eine relativ akute Erschei- nung sein, wie sie durch Vorgänge prinzipiell konjunkturellen Charakters gekennzeichnet ist, wozu auch saisonal bedingte und ähn- lich verursachte Arbeitslosigkeit gehört; und zum zweiten kann Ar- beitslosigkeit eine Erscheinung relativ chronischen Charakters sein, wie sie im allgemeinen durch Vorgänge prinzipiell struktu- reller Natur bedingt ist.

Wenn Keynes hier unterscheidet zwischen freiwilliger Arbeits- losigkeit, Reibungsarbeitslosigkeit und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, so erscheint uns eine solche Gliederung einmal nicht besonders glück- lich und weiter auch nicht den Kern der hier interessierenden Probleme zu treffen.

Ein Problem ist hier vor allem die strukturelle Arbeitslosig- keit, die ihrerseits sowohl durch wirtschaftliche Veränderungen ein- schneidender Art, also relativ endogen bedingt sein kann - als Beispiel sei hier der durch die Maschinenära, insbesondere durch ihren

1 ) Vgl. A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. 0. ") Vgl. W.Lautenbach, a. a. O. S. 58.

26*

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Beginn, gekennzeichnete Zustand genannt - oder sie kann durch außer- wirtschaftliche Ereignisse - in der Eegel wohl nur als Folgen eines Krieges -, also exogen bedingt sein. Das beste Beispiel bildet hier die gegenwärtige Krise, die ihre Ursache in den wirtschaftlichen Wider- sinnigkeiten des Versailler Diktates und seinen Auswirkungen - nicht nur für die Besiegten, sondern auch für die Sieger - hat, wie dies an anderer Stelle von uns im einzelnen nachgewiesen wurde x).

Es scheint eine besondere Tragik der wirtschaftlichen Ansichten nicht nur eines großen Teils der Politiker - soweit man bei ihnen über- haupt von wirtschaftlichem Urteil sprechen kann - , sondern auch vieler sog. „Praktiker" wie allerdings auch leider einiger Wirtschafts- wissenschaftler zu sein, die Tatsache der absoluten strukturellen Be- dingtheit ebenso wie auch der exogenen Verursachung der gegenwär- tigen Krise und ihrer intervalutarischen Abhängigkeit nicht erkannt zu haben, und solche Einflüsse scheinen auch bei der „Allgemeinen Theorie* *

Keynes' mitzusprechen. Vielleicht liegt dies daran, daß die Symptome der englischen Krise, die ja eine Sekundärerscheinung der allgemeinen Strukturkrise und von dieser gewissermaßen kata- lytisch bedingt ist, zu einer solchen Ansicht zuführt, wie sie der Keynesschen Theorie teilweise implizite zugrunde liegt.

Solche Unklarheiten in der Betrachtung und Beurteilung wirt- schaftlicher Erscheinungen kann man leider immer wieder beobachten, so auch, wenn man beispielsweise wieder von einer Außenhandels- „K onjunktur" sprechen hört, die durch eine Steigerung der Roh- stoff Umsätze und Rohstoff preise gekennzeichnet ist. Denn hier handelt es sich keineswegs um eine „Konjunktur" als Charakterist ikum einer produktiven, also wirtschaftlich nützlichen Entwicklung, sondern um durchaus konsumtive Ursachen, die direkt und indirekt auf den unge- heuren Rüstungsbedarf zurückgehen, der heute überall in der Welt be- steht. Es handelt sich hier also um bloße scheinkonjunkturelle Vor- gänge, die deshalb eher eine Gefahr als eine Besserung für die zukünf- tige Entwicklung bedeuten, als sie zu einer Verschärfung der schon vor- handenen und auch zur Schaffung neuer struktureller Diskrepanzen geeignet sind, die gerade das typische Kennzeichen der augenblick- lichen Wirtschaftskrise in kausaler Hinsicht darstellen.

Es wäre natürlich kurzsichtig, wenn man solche Verhältnisse nicht für sich selber als Volkswirtschaft ausnutzen würde, soweit hierdurch

*) A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. 0.

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wirtschaftliche Vorteile erreichbar sind, d. h. soweit man zur Befriedi- gung eines solchen konsumtiven Bedarfs anderer Volkswirtschaften seinen Export zwecks Erlangung entsprechender wirtschaftlicher Ge- genwerte steigern kann ; man muß hierbei aber immer Klarheit über die Zusammenhänge bewahren und insbesondere natürlich nicht in den bei sog. „Praktikern*' leicht zu beobachtenden Fehler verfallen, in dem auf Grund solcher Ursachen gesteigerten Export etwa ein Zeichen eigener wirtschaftspolitisch richtiger Maßnahmen sehen zu wollen.

Nachdem es eine gewisse Zeit lang schien, als ob man den eigent- lichen strukturellen Charakter der Krise, auf den wir immer wieder mit allem Nachdruck hinzuweisen uns bemühten x), allmählich in weiteren Kreisen erkennen würde, sieht es heute fast so aus, als ob solche Einsicht wieder stark im Schwinden begriffen ist. Dies gilt - wie schon gesagt - nicht nur für weite Kreise der Praxis und der Politik, sondern auch für viele Vertreter der Wissenschaft. Wenn sich auch Unterschiede feststellen lassen, so sind doch auch ganz außerge- wöhnliche Beispiele für die hier bestehenden Ansichten und Methoden zu beobachten. Dies gilt in besonders starkem Maße für die wirtschafts- mystische Eichtung 2), die sich ja überhaupt dadurch auszuzeichnen scheint, daß sie in mehr als oberflächlicher um nicht zu sagen leicht- fertiger Weise an grundsätzlichen Problemen einfach dadurch vorbei- redet, daß sie diese in möglichst unverständlicher Form umschreibt. So gibt z. B. Oldenburg die Krisen-„Diagnose" der wirtschafts- mystischen Eichtung wieder durch die Feststellung 3) :

„Gottl kommt dabei zu einer ,Krisentheorie', die mit denen anderer Nationalökonomen nichts gemein hat . . . Krisen sind (nach Gottl, der Verf.) Entstaltungen der Wirtschaft, denn sie sind Be- gebenheiten, die das Zusammenordnen zu Dauer und Bestand stören und unterbrechen. Ihre Ursache ist das Schwanken des Gütegrades der Gestaltung zu Wirtschaft, weil durch dieses Eückschläge auf den Ab- lauf der wirtschaftlichen und der außerwirtschaftlichen Vorgänge her- vorgerufen werden. Dadurch wird die Wirtschaft selbst zu Schicksal,

*) Vgl. hierzu A. Forstmann, Wege zu nationalsozialistischer Geld-, Kredit- und Währungspolitik, Berlin 1933; Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. O.

2) Vgl. hierzu A. Forstmann, Über die Aufgaben der theoretischen Nationalökonomie, Ztschr. f. d. ges. Stw., Bd. 97, 1937.

ηυ. Oldenburg, List-Knies- v.- Gottl- Ottlilienfeld, S. 101 f., Berlin 1936.

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denn ihr eigenes Geschick (Mißgeschick, Entstaltung) schlägt auf die außerwirtschaftlichen Erscheinungen und auch auf die Lebensgestal- tung der ihr Eingegliederten zurück . . . Sofern diese Eückschläge dauernd sind, lassen sie sich in ihren allgemeinen Ursachen leicht er- kennen und deuten. "

Drücken wir dies in etwas verständlicherer Sprache aus, so können wir sagen: Krisen sind Eückschläge, wenn sie dauernd sind, lassen sie sich in ihren allgemeinen Ursachen leicht erkennen und deuten. Eine wahrhaft fundamentale Krisentheorie!

Aber auch in Kreisen der wirtschaftlichen Forschung lassen sich Irrtümer über den wahren Charakter der Verhältnisse feststellen. So sah beispielsweise das Institut für Konjunkturforschung noch im August 1929 ,,die Einheitlichkeit der Entwicklung darin, daß fast alle Länder sich fern von Krise oder Depression in einer konjunkturell (!) günstigen Lage, in einem Aufschwung befänden, und daß kaum An- zeichen auf eine starke Abwärtsbewegung oder gar Krisis hindeuten" *).

Solche Ansichten konnten eben nur entstehen auf der Basis eines völligen Verkennens der tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammen- hänge und Bedingtheiten, und wir müssen leider feststellen, daß die Keynesschen Untersuchungen nur geeignet sind, solche Unklar- heiten über die wahre Natur der gegenwärtigen Krise zu fördern.

Aus solchen durch Verwechselungen struktureller mit konjunktu- rellen Störungen gekennzeichneten Mißverständnissen heraus versucht man dann auch, der Krise mit Mitteln beizukommen, die zu ihrer Be- kämpfung nicht nur in der Regel völlig ungeeignet sind, sondern die auch die große Gefahr in sich bergen, sie letzten Endes noch zu verschlim- mern, auch wenn Gegenwartserfolge das Gegenteil zu beweisen scheinen - aber darin liegt vielleicht die größte Gefahr. Hier kann man daher auch nur mit Livius sagen: Der Erfolg ist der Lehrmeister der Toren. Für sie ist der gegenwärtige destruktive Zu- stand in der Eegel kaum mehr, als „der Ausdruck für eine vorüber- gehende Störung des Behagens, mit dem man sich über die Tatsache belügt, daß es sich um eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen handelt, die normale Form, in der sich die großen Wandlungen der Geschichte vollziehen" 2).

Wer glaubt, daß die Weltwirtschaftskrise nichts anderes sei als die

*) Zitiert bei A. Schmitt, Die Wirtschaftskrise, S. 1, Berlin 1931. 2) O. Spengler, Jahre der Entscheidung, Erster Teil, S. 11, München

1933.

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Folge einer Verschiedenartigkeit von ,, Konjunkturlagen* * einzelner

Volkswirtschaften, der verwechselt, die Wirkungen mit der Ursache und zeigt damit, daß er weder das Wesen dieser Krise noch ihre inneren Bedingtheiten erkannt hat. Und wer glaubt, daß man zu einer Bekämp- fung einer Krise, wie wir sie heute erleben, „altbewährte Methoden der Konjunkturpolitik" gleich welchen Umf anges empfehlen könnte, der versucht einen Brand mit einer Blumenspritze zu löschen, in die er noch dazu aus Versehen statt Wasser Benzin gefüllt hat ; und er ver- mag damit nicht mehr zu beweisen, als daß er das eigentliche Problem überhaupt nicht erfaßt hat. Leider stehen auch die Keynesschen Untersuchungen im Prinzip auf dem Boden sol- cher Irrtümer, was, wie wir bereits sagten, erklärlich sein mag auf Grund der Tatsache, daß sie an den Symptomen der englischen Wirt- schaftskrise orientiert sind. Gerade deshalb aber ist auch eine Übertra- gung solcher Ideen und insbesondere der aus ihnen resultierenden „praktischen" Vorschläge auf die Verhältnisse anderer Länder und insbesondere Deutschlands besonders gefährlich.

Die Basis einer erfolgreichen Bekämpfung der Krise, deren furcht- barstes soziales Symptom die Arbeitslosigkeit ist, kann daher auch nie- mals eine Diagnostik sein, die auf der Grundlage irgendwelcher „Kon- junktur"-Theorien steht, sondern sie kann nur eine Diagnostik sein, die die exogene Verursachung ebenso wie auch die struk- turelle Bedingtheit dieser Krise klar erkannt hat, wie wir sie an anderer Stelle zu geben uns bemüht haben x).

Wenn man zu einer klaren Beurteilung des Gesamtproblems kom- men will ebenso wie auch der einzelnen Gegebenheiten, so muß man scharf unterscheiden zwischen konjunktureller und struk- tureller Verursachung. Wenn wir hier kurz die konjunkturelle Störung im Prinzip betrachten, so deshalb, weil wir auf diese Weise sowohl am besten den Unterschied zwischen der bei ihr anzuwendenden Therapie und der bei einer strukturellen Störung anzuwendenden er- kennen können, als auch klarer Gesichtspunkte für die Beurteilung der Keynesschen Ansichten gewinnen.

Eine konjunkturelle Störung ist im Prinzip gekennzeichnet durch eine zeitliche Divergenz zwischen Angebot und Nachfrage der- art, daß in der Aufschwungperiode eine steigende Nachfrage bzw. eine erwartete Steigerung der Nachfrage zu steigender Beschäftigung und

*) Vgl. A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. 0., insbes. S. 7 ff.

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zu steigender Produktion führt, um einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage herbeizuführen, der dann bei einem entsprechend höhe- ren Beschäftigungsniveau liegt, während beim Niedergang der Kon- junkturperiode, also in der ,, Krise* ', eine sinkende Nachfrage auf der Angebotsseite zu einer Abnahme der Produktion und damit zu einer Abnahme der Beschäftigung zur Herstellung eines entsprechend nie- drigen Gleichgewichtsniveaus führt.

Bei einer konjunkturellen Störung bestehen also keine bestimmen- den strukturellen Diskrepanzen - wenn solche natürlich auch an den Grenzen vorhanden sein können und meist auch vorhanden sind - , sondern die hier bestehenden Diskrepanzen sind zeitlich bedingt und nicht qualitativer, sondern qantitativer Art.

Im Gegensatz zu einer strukturellen Krise kann daher bei einer konjunkturellen Störung das Beschäftigungsniveau durch eine einfache „Ankurbelung" der Produktion eine effektive Besserung deshalb er- folgen, weil der strukturelle Zustand des Produktionsapparates in be- zug auf die Bedürfnisse und den hieraus resultierenden Bedarf also in

bezug auf die auch dynamisch betrachtete Nachfragestrukturent- ^wicklung in Ordnung ist, so daß also eine steigende Produktion und hieraus folgendes steigendes Einkommen zu einer Nachfrage führt, die der gesteigerten Produktion strukturell adäquat ist. Es sind also hier

jene Voraussetzungen vorhanden, die Β e η t e in die Worte faßt x) : „Wenn ein planmäßiger Eingriff zur Erweiterung der Produktion

über den bisherigen Verbrauch hinaus erfolgen soll, muß er angesichts der verschiedenen Absatzfähigkeit der Güter sinnvollerweise dort ge- tan werden, wo der Erfolg am ehesten gesichert ist, d. h. die Zu-

satzerzeugung ist in der Zusammensetzung und der Eeihenfolge vorzunehmen, die der Ver- brauch s en t wie klung bei steigender Konjunk- tur entspricht. Sie muß bei den Produkten beginnen, deren Absatz mit höchster Wahrscheinlichkeit steigen wird, diejenigen folgen lassen, die den nächsthohen Absatzintensitätsgrad aufweisen - und erst zu allerletzt sich auf die erstrecken, deren Absatz fraglich ist. Da

praktisch jedoch die Produktionsankurbelung stets nur in einem Teil der Wirtschaft unternommen zu werden braucht, sie jedenfalls dann ein Ende finden kann, wenn sich die übrigen Wirtschaftszweige dank ihrer Verzahnung mit den angekurbelten Erzeugungen in die Aufwärts-

l) Η. Β e η t e , Die Voraussetzungen und Grenzen des wirtschaftlichen Auf-

schwunges, Ztschr. f. d. ges. Staatsw., 1936, 96. Bd., S. 431 f..

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bewegung eingeschaltet haben, so wird der Grundsatz gelten können, daß die der Ankurbelung dienende Produktions- erweiterung nur in den Erzeugungen mit den höchsten Absatzintensitätsgraden geschehen darf."

Diese bei konjunkturellen Störungen erfüllten Voraus- setzungen sind bei einer strukturellen Krise, wie sie für die gegenwärtigen Wirtschaftsverhältnisse kennzeichnend ist, insofern nicht gegeben, als hier die Produktionsmittel zur Erzeugung von Gü- tern mit höchstem Absatzintensitätsgrad nicht vorhanden sind. Hier muß also eine Veränderung in der Investitions Sphäre im Sinne einer Umgestaltung des Produktionsapparates unter Berück- sichtigung der von Β e η t e hinsichtlich des Produktionsergebnisses solcher Investitionen gekennzeichneten Kichtlinien erfolgen, die natur- gemäß zu einem Ausscheiden von Produktionsbetrieben geringerer Ab- satzintensitäten, ebenso wie auch zu einer Verlagerung der einzelnen Absatzintensitätsgrade führen wird, wenn eine Veränderung innerhalb der einzelnen Produktionskostengestaltungen Platz greift, was in der Eegel der Fall sein wird.

Gerade hier sind daher auch alle die Momente von ausschlaggeben- der Bedeutung, die Ε u c k e n bei seiner Betrachtung der wirtschaft- lichen Entwicklung gewissermaßen „ab ovo" in seiner Theorie der Ausreifezeiten eingehend untersucht x), und deren Einfluß im Verlauf normaler und ungestörter wirtschaftlicher Entwicklung nicht von einer solchen unmittelbaren praktischen Bedeutung ist, wie hier, was viel- leicht auch der Grund ihrer heutigen Nichtbeachtung sein mag.

Eine konjunkturelle Ankurbelung wirkt daher, wenn man so sagen will, „katalytisch", sie gibt der Wirtschaft einen Anstoß, der sich selbst- tätig fortpflanzen kann und so zu einer allgemeinen Belebung der Wirt- schaft aus sich selber heraus führt, dadurch insbesondere bedingt, daß die Produktion durch das System der freien Preisbildung relativ automatisch in Eichtung der optimalen Bedarfsdeckung, wie sie durch Bent es Forderungen gekennzeichnet wurde, orientiert ist.

Bei einer konjunkturellen Ankurbelung ist es sogar möglich, daß Maßnahmen, die der Ankurbelung dienen sollen, solche durch Β e η t e gekennzeichneten Forderungen außer acht lassen, daß also Maßnah- men ergriffen werden, die nicht den Erfordernissen der qualitativen

*) Vgl. hierzu W. Ε u c k e η , a. a. O.

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Eeihenfolge und der quantitativen Zusammensetzung der Absatzinten- sität sgrade entsprechen, ja, die sogar unproduktiv sein können im Sinne wirtschaftlicher Betrachtungsweise, soweit die hier nur an- regenden Investitionen oder Pseudoinvestitionen im Verhältnis zum gesamten Wirtschaftsvolumen ausreichend klein bleiben, und das wird allgemein bei konjunkturellen Störungen der Fall sein. Das hat allerdings mit dem weiter unten noch näher zu betrachtenden Κ e y n e s - sehen „Multiplikator" selbst dann nichts zu tun, wenn man unter diesem die ja nicht erst durch Κ e y n e s bekanntgewordene Tat- sache der Sekundärwirkungen versteht, durch die manche sich über das eigentliche rein qualitative Problem hinwegtäuschen lassen, denn die hier auftretenden Sekundärwirkungen sind ja nicht eine unmittelbare direkte Folge der Ankurbelung, sondern sie sind von dieser nur ausge- löst, d. h. es handelt sich hier nicht um kausal- therapeutische Maßnahmen, sondern nur um ein rein symptomatisches Stimulanz.

Es handelt sich daher, wie wir bereits feststellten, bei einer kon* junkturellen Störung um eine Beseitigung prinzipieller zeitlicher Diskre- panzern bei strukturell intaktem Produktions- apparat. Diese wird dadurch erreicht, daß man die Produktion mit irgendwelchen Mitteln anregt und damit die psychologischen Vor- aussetzungen für eine gesteigerte Produktion in Form entsprechender Zukunftserwartungen schafft, die sonst zu einem Gleichgewicht zwi- schen Angebot und Nachfrage auf dem erforderlichen ausreichend hohen Beschäftigungsniveau durch eine relativ automatische Entwick- lung im Sinne der angegebenen organischen Entwicklung der Bente- sehen Forderungen führt.

Die konjunkturelle Therapie ist daher vor allem psycholo- gisch charakterisiert, während die strukturelle Therapie orga- nisch bestimmt ist. Ähnlich wie in der Medizin kann man daher auch in ersterem Falle gewissermaßen nach der Methode von Coué vor- gehen, was bei einer organischen Erkrankung, wie sie beispiels- weise eine Blinddarmentzündung darstellt, ebensowenig möglich ist, wie bei einer strukturellen Störung im Wirtschaftskörper. Hier kann daher auch nicht mit anregender Stimulanzia gearbeitet werden, sondern hier müssen einschneidende Eingriffe vorge- nommen werden.

Die auf eine Beseitigung struktureller Störungen gerichteten Maß- nahmen müssen daher, wenn sie richtig sein und nicht eine zu schweren

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Eückschlägen führende reine Symptomaltherapie darstellen sollen, die letztlich nur an Erscheinungsformen orientiert ist, darauf gerichtet sein, die strukturellen Störungs Ursachen zu beseitigen. Bei einer struk- turellen Krise, soweit sie nicht nur bescheidenen Umfanges, also bei- spielsweise eine Komponente einer prinzipiell konjunkturellen Störung ist, wird daher eine bloße „Ingangsetzung" des vorhandenen Produktionsapparates ebensowenig eine Besserung zu bringen ver- mögen, wie eine an solchen rein quantitativen Formalien, wie es der Keynessche Multiplikator ist, orientierte Investitionspolitik, son- dern eine solche wird, trotz möglicher vorübergehender „Er- folge" - letzten Endes nur zu einer Verschärfung insbesondere dann führen, wenn solche Symptomalmaßnahmen objektive Produktions- voraussetzungen, wie sie beispielsweise Rohstoffvorräte darstellen, ohne Wiederauf füllungsmöglichkeit verbraucht, und dies wird dann immer besonders leicht der Fall sein, wenn einer Entwicklung organi- scher Art in Richtung auf eine neue natürliche Gleichgewichtslage durch Eingriffe in die natürlichen Preisrelationen innerwirtschaftlicher und intervalutarischer Art entgegengearbeitet wird, wie es auch Lau- tenbach durchaus zutreffend feststellt 1) :

„Je wirksamer man etwa die Preise kontrol- liert, um so mehr läuft man Gefahr, die Vor- räte aufzubrauche n."

Solche Maßnahmen liefen darauf hinaus, zu versuchen, einen Kranken lediglich durch Anwendung von Stimulantia heilen zu wollen, denn auch solche verbrauchen die körperlichen Reserven und machen dadurch eine spätere Kausaltherapie eventuell unmöglich, führen also letzten Endes zum Exitus.

Daß der Versuch, einen solchen Verbrauch objektiver Produktions- voraussetzungen durch Rationierungsmaßnahmen zu verhindern, hier nur von durchaus problematischem Wert ist, dürfte unschwer zu er- kennen sein, denn einmal ist eine solche mechanistische Rationierung eine durchaus - auch in ihren endgültigen Wirkungen - andere wie die, die sich aus der Dynamik der Preisrelationen ergibt, und dann ver- langt eine Steigerung des Beschäftigungsumfanges naturgemäß eine Steigerung des Umfanges der objektiven Produktionsvoraussetzungen, mit deren Rationierung einer Steigerung des Beschäftigungsumfanges damit in starkem Umfange die objektiven Voraussetzungen fehlten;

*) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O. S. 27.

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es sei denn, daß das Produktionsverfahren durch Anwendung veralteter Produktionsmethoden, d. h. also durch technischen Ε ü c k schritt *) arbeitsintensiver gestaltet wird. Das würde natürlich - von der damit verbundenen Senkung des Lebens- standards abgesehen - eine spätere Einglie- derung in den internationalen Güteraustausch infolge der Verschlechterung der Standorts- bedingungen sehr erschweren, wenn nicht un- möglich machen. Es soll hiermit natürlich nicht bestritten werden, daß es gewisse Gebiete gibt, und zwar solche mit wenig aus- dehnbarer Produktionskapazität - beispielsweise die landwirtschaft- liche Erzeugung - , wo unter bestimmten Voraussetzungen sinngemäße Eationierungen möglich und auch nützlich sein können.

Bleiben wir hier bei der Bezeichnung „Ankurbelung* ', so hat eine konjunkturelle Therapie dem Starter beim Automobil durchaus ana- loge Punktionen. Der Motor ist in Ordnung, er braucht nur angeworfen zu werden, um zu laufen, der Versuch aber einer strukturellen Krisen- bekämpfung mit konjunkturellen Mitteln, d. h. also mit Mitteln, die lediglich am Symptom orientiert sind, würde durchaus dem Versuch gleichen, bei gestörtem Motor des Autos einfach mit dem Starter zu fahren. Man kann zwar mit solcher Methode auch einen kurzen „Er- folg* * erzielen, letzten Endes aber wird neben dem gestörten Motor auch noch ein gestörter Starter übrigbleiben, so daß man nun kaum ohne fremde Hilfe weiterkommen wird. Daher ist die Bezeich- nungsart der „Ankurbelung" bei einer konjunkturellen Stö- rung ebenso richtig, wie sie bei einer strukturellen un- richtig ist.

Während eine Ankurbelung bei einer konjunkturellen Depression abgebrochen werden kann, wenn sie ihre stimulierende Funk- tion erfüllt hat, ohne daß dies zu Eückwirkungen führen würde, ver- ursacht ein solches Einstellen der „Ankurbelung" bei einer strukturellen Krise auch einen Zusammenbruch der Sekunda rwirkungen.

Fassen wir zusammen, so können wir feststellen, daß der prinzi- pielle Unterschied zwischen konjunktureller und struktureller Krisen- therapeutik darin besteht, daß erstere durch eine „Ankurbe- lung" der Produktion, d. h. durch nur anregende Mittel, bei denen es nicht auf die direkten Sekundärwirkungen ankommt infolge

*) Vgl. hierzu beispielsweise W. Sombart, Deutscher Sozialismus, Ber- lin 1934.

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Albeit oder Beschäftigung? 413

der Intaktheit des Produktionsapparates in bezug auf die Nachfrage- struktur behoben werden kann, während eine strukturelle Störung nur durch Wiederherstellung der strukturellen Voraussetzungen des Gleich- gewichtes beseitigt werden kann, also Änderungen in der In- vestititionssphäre erfordert, und zwar nicht nur Änderungen quantitativer Art im Sinne einer Steigerung der Investitionen, ausge- richtet am Symptom eines an ganz anderen Verhältnissen und gänzlich andere Zusammenhänge beschreibenden „Multiplikators", sondern ausgerichtet an den Erfordernissen einer Beseitigung der Dis- krepanzen zwischen Bedarfs- und Produktionsstruktur.

Die, die einfach immer nur von den Erfordernissen einer Investi- tions Steigerung sprechen, ohne sich die Mühe zu nehmen, die Qualität solcher Investitionen im Eahmen der wirtschaftlichen Gesamterfordernisse zu prüfen, und die demzufolge auch nicht erken- nen, daß es sich hier um eine Veränderung des G e f ü g e s des Pro- duktionsapparates, quantitativ also um die Betrachtung der sich als Differenz zwischen Neuinvestition und Desinvestition ergebende Bein- investition - hier nicht im Keynesschen Sinne gebraucht - handelt, wobei die Desinvestition nicht nur und nicht in erster Linie durch einen technischen Verbrauch bestehender Investitionen gekennzeichnet ist, sondern durch ihre nicht mehr mögliche wirtschaft- liche Verwertbarkeit, lassen sich in der Begel durch die Sekundärwir- kungen, die solche Investitionen auslösen, täuschen, was wohl einmal durch die plausible Darstellungsart und weiter wohl auch durch die Art des Keynesschen Investitionsbegriffes bedingt, ist, der ja alles umfaßt, was nicht Konsum ist, ohne aber mangels Berücksichti- gung der qualitativen Momente, zu prüfen, ob das, was als Investition erscheint, auch wirklich wirtschaftlich gesehen als solche legi- timiert wird, und nicht in Wahrheit letzten Endes nur Konsum im wirtschaftlichen Sinne ist.

Der Fehler, die prinzipielle Unterscheidung zwischen konjunktu- reller und struktureller Krisentherapie nicht erkannt zu haben, kenn- zeichnet typisch die Ansichten und Vorschläge aller derjenigen, die immer wieder glaubten und auch teilweise noch glauben, die augen- blickliche typische Strukturkrise durch Anwendung einer sog. „Ini- tialzündung*4 nachhaltig und endgültig beeinflussen zu können, die im- mer wieder von einer Umwandlung einer staatlichen in eine private „Konjunktur" glauben sprechen zu können, die glauben, daß die Welt- wirtschaftskrise nichts anderes sei, als die Folge einer Verschieden-

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414 Albrecht Forstmann

artigkeit von „Konjunkturlagen' * einzelner Volkswirtschaften. Wir

haben bereits früher wiederholt auf die prinzipielle Unrichtigkeit und Gefährlichkeit solcher Ansichten hingewiesen x) und wir möchten hier unsere früheren entsprechenden Feststellungen hinsichtlich der Krisen- verursachung ebenso wie hinsichtlich der prinzipiellen Bekämpfungs- notwendigkeiten wiederholen 2) :

„Die grundlegende Ursache der allgemeinen Wirtschaftskrise be- ruht, wie wir bereits früher festgestellt haben, darauf, daß die Struktur der Porderungs- und Schuldenbilanzen der einzelnen Länder durch Kriegs- und Nachkriegsmaßnahmen derart stark und anorganisch ver- ändert worden sind, daß die hieraus resultierenden Zahlungsbilanzen eine völlige Umstellung der gesamten Produktionsapparate der ein- zelnen Länder erforderlich machen würde, daß insbesondere auch starke Veränderungen hinsichtlich der charakteristischen volkswirtschaft- lichen Erzeugungsarten, also industrielle Produktion einerseits, Koh- stoff- und Agrarproduktion andererseits erforderlich sein würde, wenn man nicht mit Erfolgssicherheit eine Anpassung der Forderungs- und Schuldenbilanz an die Struktur der jeweiligen Produktionsapparate er- reichen kann."

Insoweit eine solche Anpassung von Seiten des Produktionsappa- rates aus in Angriff genommen werden muß, weil die gesundere Art der Anpassung von Seiten der intervalutarischen Kapitalbilanz aus nicht möglich ist, weil hierzu ein einzelnes Land alleine meist nicht imstande ist, muß, wie wir bereits feststellten, durch ent-

sprechende Maßnahmen in der Investitionssphäre die strukturelle Zu-

sammensetzung des Produktionsapparates derart geändert werden, daß, auf die Dauer gesehen, die Struktur der Produktion ein- schließlich aller erforderlichen Urproduktion, der des Bedarfs ent-

spricht, und zwar unter Berücksichtigung sowohl aller innerwirtschaft- lichen als auch aller intervalutarischer Einflüsse und Eückwirkungen. Diese Forderungen kennzeichnen den eigent- lichen Sinn einer jeden wirtschaftlichen Theo- rie, die auch unter Berücksichtigung struktu- reller Momente als eine solche der „Arbeit" und

x) Vgl. A. Forstmann, Wege zu nationalsozialistischer Geld-, Kredit- und Währungspolitik, Berlin 1933; Der Kampf um den internationalen Handel, 2. Aufl., Berlin 1936.

a) Α. Jiorstmann, wege zu namonaisoziaiistiBuuer verein-, ivicuii· uuu

Währungspolitik, a. a. O. S. 231 f.

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Arbeit oder Beschäftigung? 415

nicht nur als eine solche der „Beschäftigung" bezeichnet werden soll.

Es gelten hier sinngemäß die Peststellungen Euckens1): „Auf Grund eines früheren Standes der Daten ist der Auf-

bau an dauerhaften Produktionsmitteln erfolgt. Wenn aber die Daten sich ändern, wenn sich die Bedürfnisse verschieben, die Bevölkerung der gesellschaftlichen Wirtschaft sich vermehrt oder vermindert, Er- findungen gemacht werden, wenn gespart wird, dann sind Umstellun- gen nötig, denen die vorhandenen dauerhaften Produktionsmittel Hindernisse bereiten. Ein schwieriger und verlustreicher Anpassungs- prozeß ist nötig, dessen Analyse zahlreiche und wichtige Probleme bietet."

Die zu beachtenden Voraussetzungen einer Besserung, die erst ge- schaffen werden müssen, lassen sich kennzeichnen durch die Feststel- lungen Bentes2):

„Erstens: daß die erforderlichen sachlichen Wirtschaftsmittel den Produzenten zur Verfügung stehen, und zweitens: daß die Arbeiter bzw. die an der Produktion Beteiligten gewillt sind, sich den zusätzlich erzeugten Produktionsüberschuß wechselseitig abzukaufen oder selbst zu konsumieren."

Es kennzeichnet den Unterschied zwischen konjunktureller und struktureller Störung, daß diese Voraussetzungen in ersterem Falle prinzipiell gegeben sind, im letztgenannten Falle aber erst geschaffen werden müssen.

Bei der praktischen Bekämpfung der Strukturkrise, deren Cha- rakter ja ein solcher intervalutarischer Art ist, hat man solche Tat- sachen meist nicht erkannt, und man erkennt sie teilweise auch heute noch nicht in dem erforderlichen Umfange. Wenn beispielsweise von M e r i η g zu unseren früheren Betrachtungen über die Ursachen der amerikanischen Wirtschaftskrise und ihren kausalen Bekämpfungsnot- wendigkeiten meint 3), diese Betrachtungen seien statischer Natur und nicht genügend wirklichkeitsnahe, und die kausal therapeutischen Vorschläge seien durch die zwischenzeitliche amerikanische Wirtschafts- entwicklung überholt, so unterliegt er im Prinzip solchen Irrtümern,

M W.Eucken. a. a. O. S. 103. 2) Η. Β e η t e , a. a. O. S. 418. 2) Vgl. v. M e r i n g , ökonomische oder metaphysische Außenhandels -

théorie, Ztschr. f. Nat.-Ök., Bd. 8 (1937), S. 147 ff.

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416 Albrecht Forstmann

wie wir sie oben kennzeichneten. Seine zu ersterem Punkte gegebene Begründung scheint uns deshalb auch vor allem bedenklich, weil sie nicht unterscheidet zwischen endogener und exogener Verursachung, und zwar insbesondere nicht zwischen entgeltlichen und unentgelt- lichen '7orgängen. Und in letzterer Hinsicht läßt er sich offenbar durch die äußeren Erscheinungs formen der amerikanischen Wirtschafts- entwicklung über ihren tatsächlichen Charakter in ähnlicher Weise täuschen, wie dies bei den Keynesschen Betrachtungen der Fall ist.

Die praktischen Maßnahmen, die zur Bekämpfung der strukturell verursachten Krise fast allgemein ergriffen wurden, sind lediglich am

Symptom orientiert und daher eher geeignet, die Verhältnisse letzten Endes zu verschlechtern als zu verbessern, wie dies auch Β e η t e kennzeichnet x) :

„Betrachtet man nach diesen Überlegungen die praktische Wirtschaftspolitik der Industrieländer in den letzten Jahrzehnten, so zeigt sich das merkwürdige Er-

gebnis, daß von ihnen zumeist entgegengesetzt gehandelt worden ist. Statt für die „ Arbeitsbeschaffung*

' Zweige zu wählen, für deren Pro-

dukte ein Mehrabsatz zweifelsfrei oder doch der Wahrscheinlichkeit nach am ehesten gesichert ist, hat man den zusätzlichen Kredit ge- meinhin in die verhältnismäßig unfruchtbarste Beschäftigung gelenkt, und zwar entweder 1. in »notleidende' Wirtschaftszweige und Unterneh- mungen oder 2. in die Erzeugung gewisser Produktionsmittel oder 3. in die Bereitstellung gemeinnütziger Dienste geringster Dringlichkeit.4

*

Die besondere Gefahr einer lediglich an Symptomen ausgerichte- ten Krisentherapeutik, wie sie auch die am „Multiplikator*

* Keynes'

orientierte Investitionspolitik oder besser Pseudoinvestitionspolitik kennzeichnet, ist dann besonders groß, wenn sie ohne Veränderung der

strukturellen Gegebenheiten im Sinne einer Besserung, zum Zwecke rein vorübergehender Erfolge die objektiven Produktionsvorausset- zungen, wie solche beispielsweise auch durch Eohstoffvorräte, geldliche Eeserven intervalutarischer Art usw. gekennzeichnet sind, verbraucht, denn wenn die objektiven Voraussetzungen des Pro- duzierens oder Investierens nicht mehr vorhanden sind, dann ist eine Produktion ebenso wie auch eine Investition nur noch in Abhängigkeit vom guten Willen des Auslandes möglich, unberücksichtigt die Tat-

*) Η. Β e η t e , a. a. 0. S. 432.

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Arbeit oder Beschäftigung ? 417

sache, daß ein solcher Verbrauch materieller Eeserven in seinen Folgen auch zu einer starken Beanspruchung ethischer, seelischer und ähn- licher Eeserven führt, also der psychologischen Eeserven, die von nicht geringerer Wichtigkeit sind als die materiellen.

Der Verbrauch solcher Eeserven reduziert die Kriegsbereitschaft der Nation in vielleicht noch stärkerem Umfange als ein Verbrauch materieller Eeserven dies tun würde, denn im Kriege kommt es letzten Endes ja nicht in erster Linie nur darauf an, daß Waffen und wirt- schaftliche Eeserven vorhanden sind 1), sondern es kommt darauf an, daß hinter allem die Nation mit ihrem ganzen Willen, d. h. mit ihrem ganzen Her- zen steht1). Wirtschaftliche Eeserven können gegebenenfalls er- setzt werden, seelische aber niemals.

Das vergangene Eeich hätte daher auch in einem Kriege unter- liegen müssen, da ihm die gemeinsame Idee fehlte zu wissen, wofür es kämpfte. Es entspricht dem Sinne dieser Feststellungen, wenn der Führer schon früher erkannte 2) :

„Trotz aller Eeichsbanner- und Verfassungsfeiern ist das heutige Eeich dem Herzen des Volkes in allen Schichten fremd geblieben, und republikanische Schutzgesetze können wohl von einer Verletzung re- publikanischer Einrichtungen abschrecken, sich aber niemals die Liebe auch nur eines einzigen Deutschen erwerben. In der übergro- ßen Sorge, die Eepublik vor ihren eigenen Bür- gern durch Paragraphen und Zuchthaus zu schützen, liegt die vernichtendste Kritik und Herabsetzung der gesamten Institution selbst."

Das gilt natürlich erst recht für Institutionen, in denen - wie in Eußland - sich eine Diktatur über Eecht und Gesetz überhaupt hin- wegsetzt und ohne derartige Bindungen eine reine Willkürherrschaft ausübt ; denn Sklavenvölker können ja durch eine Niederlage nur die Freiheit gewinnen3). Die Geschichte bietet hierfür ge- nügend Beispiele.

x) Vgl. hierzu auch J. Jessen, Wehrwirtschaft und Finanzpolitik, Fin.Arch., N. F., Bd. 5, S. 1 f.

2) Α. Η i 1 1 e r , Mein Kampf, a. a. 0. S. 638 f. 3) Hierauf wies auch Rosenberg in seiner Rede auf dem letzten

Reichsparteitag der NSDAP, hin: „Viele Festungen fielen nicht durch Erobe- rung, sondern weil ihre Verteidiger im tiefsten Inneren die französische Armee als die Trägerin jener Gedanken betrachteten, die sie selbst als die ihrigen an- erkannten'4 (V. B. Nr. 252 vom 9. September 1937).

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 3. 27

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Kann man sich aber wundern, wenn die Politiker vielfach rein symptomatisch orientierte Maßnahmen ergreifen, zumal hier gleich sichtbare Scheinerfolge erzielbar sind, wenn ein Wissenschaftler wie Κ e y n e s eine solche Politik wirtschaftlicher Unzweckmäßigkeiten zum Gegenstand einer Theorie macht ! ?

Es wäre leichtfertig und hieße sich den Aufgaben entziehen, die die Wissenschaft als Verpflichtung stellt, wollten wir nicht auch - we- nigstens im Prinzip - den Einfluß außerwirtschaftlicher Maßnahmen, wie sie Eingriffe in das Preisgefüge, gleichviel ob innerwirtschaftlicher oder intervalutarischer Natur, darstellen, untersuchen, denn jedes System von Maßnahmen, das über eine zentralistische „Len- k u η g" wirtschaftlicher Vorgänge zu einer dezentralisti- schen „Planwirtschaft" gelangt, wird sich als eines der ersten Mittel Eingriffen in die natürlichen Preisrelationen bedienen, die naturgemäß nur symptomatischen Charakters sein können.

Preisnormierungen, die nicht zu einer wirtschaftlich schädlichen Entwicklung führen sollen, dürfen grundsätzlich nur an den Produktionskosten orientiert, müssen also dynamisch sein, auch wenn sie in Gestalt nomineller Preisnormierungen auftreten sollten. Solche „Bichtpreise" müssen also gegeben sein als Funktion der Pro- duktionskosten bzw. als Funktion der Eeproduktionskosten bei Ver- änderungen des Kaufkraf fcniveaus, in Abhängigkeit vom Produktions- volumen - die beide ja durch eine nichtlineare Funktion verbunden sind - derart, daß für Güter bisheriger Herstellung die relative Greriz- produktivität und für Güter neuer Herstellung die Grenzrentabilität beachtet wird *).

Werden diese prinzipiellen Voraussetzungen nicht beachtet, so wird die Produktion gezwungen sein, die Kosten dem Preis anzupassen, solange sie dies vermag. Das bedeutet aber - soweit andere Ausgleichs- möglichkeiten nicht vorhanden sind, und das ist meist nur eine Zeit- frage - Qualitätsverschlechterung, die sich auch im Eingehenlassen alter und in der Aufnahme neuer Warentypen äußern kann. Dies ist dann besonders gefährlich, wenn die Stärke der Produktion, nament- lich auch im intervalutarischen Verkehr, bisher in der Qualität lag.

Sind auch solche Möglichkeiten ausgeschaltet, so kann man eine Produktion bestenfalls noch so lange aufrechterhalten, als flüssige Betriebsmittel vorhanden und die Aufrechterhaltung der Betriebe er-

J) Vgl. hierzu A. Forstmann, Über produktive und nichtinflatorische Kreditgewährung, a. a. O. S. 548 f.

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Arbeit oder Beschäftigung? 419

zwungen wird. Damit aber würde man auf die Dauer nicht nur die einzelnen Betriebe privatwirtschaftlich gesehen vernich- ten, sondern auch den entsprechenden Teil der volkswirtschaft- lichen Substanz. Mit anderen Worten : man kann generell durch Ρ r ei s n or m i er u ng en nur eine spekulativ bedingte Preissteigerung unterbinden, nie- mals aber eine entwicklungsbedingte. Immer aber kann eine solche [Reglementierung praktisch nur in einer statischen Wirtschaft angewandt werden, niemals aber in einer solchen, die durch Umstellungsnotwendigkeiten in höchstem Maße zwangsläufig dyna- mischer Natur ist.

Alles dies gilt natürlich auch für Investitionen und ihre Eückwir- kungen, die nicht am System natürlicher Preisrelationen orientiert sind. Die Umlagerung der produktiven Kräfte, die solche Investitionen bedingt, setzt vor allem Gewißheit darüber voraus, daß nicht der Er- folg wirtschaftlicher Dispositionen durch unvorhergesehene Eingriffe illusorisch gemacht wird. Solche Ungewißheiten bedeuten nichts an- deres als eine Erhöhung des Eisikomomenfces, also eine entsprechende Erhöhung der Kosten. Dies gilt sowohl für kurzfristige, aber in beson- derem Maße natürlich für langfristige Dispositionen, so daß also die Nichtbeachtung dieser Grundsätze die notwendigen natürlichen Investitionen wie sie zu der erforderlichen Umlagerung der produkti- ven Kräfte integrierender Bestandteil sind, erschweren oder auch un- möglich machen kann.

Hier, wie überhaupt für alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen ähnlichen Charakters gelten daher auch die Feststellungen Ε d g e -

worths1): „As I read, protection might procure economic advantage in cer-

tain cases, if there was a Governement wise enough to discriminate those cases, and strong enough to confine itself to them; but this con- dition is very unlikely to be fulfilled."

Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, annehmen zu wollen, die Be- schäftigung von Arbeitskräften mit der Durchführung irgendwelcher technischer Vorhaben sei „Produktion**. Produktion ist ein sol- ches an sich nur technisches Verfahren nur dann, wenn es zur Herstel- lung von Gütern führt, nach denen sich ein Bedarf zu aktivieren ver- mag. Ist dies nicht der Fall, so ist das technische

x) F. Y. Edgeworth, Papers relating to political economy II, S. 18, London 1925.

27*

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Verfahren keine Produktion, sondern es ist eine Konsumtion, die je nach ihrem Ausmaß den Lebensstandard der Nation auf die Dauer mehr oder weniger stark reduzieren muß.

Das wirtschaftliche Mittel aber, das allein die natürliche Anpas- sung zwischen Bedarf und seinen Deckungsmitteln herbeizuführen ver- mag, isfc das System der Preisrelationen. Diese Tatsachen aus den Augen zu verlieren hieße die Kräfte verkennen, die die Wirtschaft nach natürlichen Gesetzen lenkt, wie es der Führer auf dem Nürnberger Partei- tage ausdrückte durch die Peststellung:

„Die Wirtschaft baut sich nach primitiven Gesetzen auf, die in der menschlichen Natur verankert sind."

Die Voraussetzungen jener von Β e η t e gekennzeichneten Zu- sammenhänge, die man vielleicht das „Gesetz der fallenden Absatz- intensität* ' nennen kann, erfordert zu seiner organischen Er- füllung das selbsttätige Funktionieren der Preisrelationen sowohl inner- wirtschaftlich als auch intervalutarisch gesehen. Ist nämlich ein Be- dürfnis ausreichender Intensität ohne Befriedigungsmöglichkeit, so er-

folgt eine entsprechende Preissteigerung und eine entsprechende Stei- gerung der Produktion bzw. der Investition in Eichtung entsprechender Gütererzeugung, resultierend aus den sich ergebenden günstigen Een- tabilitätsaussichten, die durch die Eeaktionsfähigkeit der Preisrela- tionen bedingt ist, deren Ausschalten also auch diese Wirkungen aus- schalten würde.

Die Tatsache, daß zur Durchführung einer Produktion oder In- vestition Zeit erforderlich ist, beinhaltet naturgemäß die Möglichkeit einer zu großen Ausdehnung der Produktion bzw. des Produktions- apparates bis zu dem Zeitpunkte, in dem die hergestellten Güter zum Angebot kommen, und damit auch die Möglichkeit von Fehlproduk- tionen oder Fehlinvestitionen. Hier müssen daher auch Bremskräfte geschaffen werden, die aber nicht, wie dies ζ. Β. bei der Kreditpolitik früherer Zeiten der Fall war, rein mechanistisch orientiert und erst dann wirksam werden konnten, wenn es schon zu spät war, sondern die - und zwar in organischer Weise - schon früher bremsen müssen. Sie dürfen allerdings andererseits auch wieder nicht so früh und so scharf bremsen, daß dadurch eine Entwicklung in Eichtung eines neuen

Gleichgewichtszustandes erschwert oder sogar schon in statu nascendi abgebremst wird.

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Der Einfluß des Zeitmomentes ist natürlich bei Investitionen grö- ßer als bei der Produktion, da hier ja zunächst einmal der Zeitraum der Investitionserstellung und zum zweiten der der Produktion der be- treffenden Güter vergeht, die aus dem Herstellungsprozeß nach durch- geführter Investition marktreif hervorgehen. Dies bedingt natürlich Preisschwankungen, die hier heftiger und auch nachhaltiger sein werden als bei kurzfristigen Produktionsvorhaben mit größerer Beaktionsge- schwindigkeit. Man muß aber immer berücksichtigen, daß, wenn man hier Maßnahmen zur Steuerung plant, das Preissystem sowohl in inner- wirtschaftlicher als auch in intervalutarischer Hinsicht das einzige wirtschaftlich legitimierte Orientierungsmittel ist, an dem die Ausrich- tung sowohl der Produktion als auch ihres Mittels, der Investi- tion, in Eichtung der optimalen Bedarfsdeckung einzig und allein er- folgen kann. Schaltet man es aus, so nimmt man damit der Wirtschaft das einzige Orientierungsmittel, an dem sie sich mit dem Ziel einer Wiederherstellung eines gesunden Gleichgewichtszustandes auszurich- ten vermag, und unterstützt damit auch weiterhin den Verbrauch - und zwar den in wirtschaftlicher Hinsicht in keiner Weise legitimier- ten Verbrauch - objektiver Produktionsvoraussetzungen zu Zwecken, die letzten Endes nur konsumtiver Natur sind, worüber die zunächst erreichten Scheinerfolge meist nur zu leicht hinwegtäuschen.

Daß eine Investitionspolitik im Sinne „geplanter* ' Investitionen,

die nicht am System der Preise, sondern an statistischen Unterlagen orientiert ist, die freie und am wirtschaftlichen Indikator der Preisrelationen orientierte freie Investitionstätigkeit zu ersetzen vermöchte, erscheint schon mangels der erforderlichen ausreichenden statistischen Unterlagen und insbesondere auch mangels der Möglich- keit diese in dem erforderlichen Umfange dynamisch gestalten zu kön- nen, durchaus zweifelhaft. Man kann auf solche Weise vielleicht vor- übergehende Erfolge erzielen, aber, wie das russische Beispiel dies wohl in genügender Deutlichkeit zeigt, ist das selbst in einem Lande gefähr- lich, das über objektive Produktionsvoraussetzungen von ungeheuren Ausmaßen verfügt. Wir vermögen daher auch in dieser Hinsicht nur den Pest Stellungen Whittleseys zuzustimmen *) :

„Wenn eine Gleichgewichtslage gestört ist, dann ist alles erwünscht, was geeignet ist, Veränderungen in Eichtung auf eine bessere Anpas- sung zu erleichtern . . . Das Wirtschaftsleben wird nur dadurch gestört

6) Charles R. Whittlesey, Gebundene und ungebundene Wechsel- kurse, Kieler Vorträge, Bd. 46, S. 10 f., Jena 1936.

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und verzerrt, daß der Preis nicht seine Funktionen zu erfüllen vermag, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen ... Es ist zutref- fend, daß der Preis auch eine aktive Eolle spielen kann, aber grund- sätzlich ist er der passive Ausdruck für die zugrunde liegenden Bezie- hungen ... Es mögen überzeugende Gründe vorhanden sein, von dieser Eegel (der freien Preisbildung, d. Verf.) abzuweichen, aber im allge- meinen führen Eingriffe eher zu Schwierigkeiten, als daß dadurch Pro- bleme gelöst werden. Die Annahme liegt nahe, daß die Anpassungen bei einem sich frei bildenden Preis befriedigender vor sich gehen, als bei einem festgesetzten Preis, der seinem Wesen nach eine geringere Ee- agibilität aufweist. "

Es soll hier nicht behauptet werden, daß gewisse Ausnahmefälle entsprechende Eingriffe in das Preisgefüge aus außer wirtschaft- lichen Gründen erforderlich erscheinen lassen können, man darf sich dann aber niemals darüber hinwegtäuschen lassen, daß die Möglichkeit ihrer Anwendung begrenzt ist durch die Tatsache, daß die wirtschaft- liche Orientierungsmöglichkeit durch solche Maßnahmen niemals aus- geschaltet oder unzulässig eingeengt werden darf, da man sonst jede Möglichkeit einer organischen Umstellung, die Voraussetzung für die Gewinnung eines neuen Gleichgewichtes ist, verhindert ; und man sollte sich bei wirtschafte theoretischen Untersuchungen auch immer darüber im klaren sein, daß solche Eingriffe nicht im Sinne wirt- schaftlicher Zielsetzung zweckmäßig oder notwendig, sondern daß sie außer wirtschaftlich, d. h. politisch bedingt sind. Gerade solche Unterschiede zwischen wirtschaftstheoretischer und wirtschafts- politischer Aufgabenstellung und Zielsetzung, die wir früher aufzuzei- gen uns bemühten x), lassen die Keynesschen Untersuchungen besonders in dem uns hier interessierenden Teil in ziemlich weitem Um- fange vermissen.

Eine Preisreglementierung, die hierauf nicht Eücksicht nimmt, setzt an die Stelle des „Unternehmers*

* den „Beamten" und sie setzt damit an die Stelle der organischen freien Eeagibilität des Marktes das Gefühl, und zwar meist ein wenig kontrolliertes und kaum wirtschaft- lich orientiertes Gefühl. Das sollten sich besonders die gesagt sein las- sen, die, beeinflußt durch das zur Ε r k 1 ä r u η g der hier maßgeben- den Paktoren unbrauchbare Instrument des Multiplikators, das Heil in einer planmäßigen Investitionslenkung sehen, die bei ihnen weniger

*) Vgl. A. Forstmann, Über den Unterschied der Aufgaben und Ziele von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Fin.-Archiv, N. F., Bd. 5, S. 222 ff.

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Mittel als vielmehr Zweck zu sein scheint. Hier hat es keinen Zweck zu „planen", und manche, die glauben dadurch Nützliches zu leisten, daß sie große Projekte „umreißen", merken nicht, daß sie damit letzten Endes nur „um" -reißen.

Wirtschaftliche Gesetze - und als solche sind die Gesetze der Preisbildung unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Bückwir- kungen, also dann, wenn man in ihnen nicht nur Symptome sehen will, zu bezeichnen, - gehorchen aber, wie Κ e y n e s dies einmal durchaus treffend festgestellt hat x), „nicht einmal einem Diktator und können auch nicht mit Bizinusöl behandelt werden". Man kann ihre Wirkungen zwar auf schieben, aber nicht auf heben, und diese Wirkungen werden um so einschneidender sein, je länger man sie hat aufhalten können. Um das in aller Eindeutigkeit und Klarheit er- kennen zu können, brauchen wir nur nach Bußland zu blicken.

Wer glaubt, sich solchen wirtschaftlichen Gesetzen dynamischen Geschehens auf die Dauer entziehen zu können, der ist im Irrtum. Und wer dies dynamische Geschehen zu hindern sucht, der schnürt die Wirtschaft nicht nur ein, sondern er schnürt sie ab. Die kollektivisti- sche Zwangsform, in die die Wirtschaft dann gepreßt werden würde, versuchte aber vergeblich, innere und organische Bin- dungen durch rein mechanistische gleichwertig zu ersetzen; sie wäre daher auch ebenso das Ende jeder Gemeinschaft wie das des völkischen Ausleseprinzips, an dessen Stelle sie ein Ausleseprinzip der „Anpassungsfähigen" setzen würde.

Wie war es denn in Bußland ? Man rottete die Unternehmer erst aus, um dann ihre Eigenschaften mit der Laterne zu suchen und vergaß, daß Eigenschaften nicht absolut, sondern immer an Per- sonen oder besser - an Persönlichkeiten - gebunden sind.

Mit Terror kann man weder Herzen gewinnen noch Staaten führen ; denn Terror ist in der Geschichte nie etwas anderes gewesen als der Versuch, die auf dem Fehlen eigener wirklicher „Ideen" oder mangeln- der Moral beruhende innere Schwäche durch äußere Brutalität ver- decken zu wollen. Im Terror kündet sich immer nur der Untergang eines Systems an, das innerlich schon überwunden ist.

Hat nicht der siegreiche Kampf des Nationalsozialismus die Bich- tigkeit dieser Feststellungen erst kürzlich wieder unter Beweis ge

L) J. Μ. Κ e y η e s , Ein Traktat über Währungsreform, deutsch von E. Kocherthaler, S. 149, München und Leipzig 1924.

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stellt, und weisen nicht auch die jüngsten Vorgänge in Eußland hierauf hin ? Aber auch die Geschichte bietet genügend Beispiele. Die Zeit der französischen Eevolution ist ein typisches Zeichen der Herrschaft der arationalen Minderwertigkeit auf der Basis des Dogmas und ihrer schließlichen Folgen. Ihre „Staatskunst'4 war Demagogie in Bein- kultur ohne geistigen Hintergrund oder auch nur einen Versuch dazu. Was ihre Träger aber als „Wissen" ansahen, war nur Phrase, nicht - wie man glauben machen wollte und vielleicht auch selber glaubte -

geschult am römischen Klassizismus, sondern an der demagogischen Bhetorik der Jesuiten im Lyzeum Louis-le- Grand. Aber auch sie hatten letzten Endes nur zu lehren vermocht, daß sich am Kapitol der tarpejische Felsen befindet.

Die Funktionen des Staates können und müssen hier vor allem in einer indirekten Beeinflussung liegen, wie sie auf der Geldseite bei-

spielsweise durch eine sinngemäße Kreditpolitik, auf der Güterseite, ins- besondere in preislicher Hinsicht beispielsweise durch schutzzöllne- rische Maßnahmen gekennzeichnet ist. Für einen strukturellen Um-

stellungsprozeß kommen hier vor allem auch solche Maßnahmen in

Betracht, die die Bisikokomponente des Preises, die recht erhebliche Werte darstellen kann, vermindern, wie beispielsweise Ausfallbürg- schaften und ähnliche Mittel, auf die auch Β e η t e in seiner genann- ten Arbeit hingewiesen hat. Dies gilt vor allem für solche Investi-

tionen, die als lebensnotwendig im Interesse der Nation angesehen werden.

Wenn der Staat jemanden zu einer Produktion zwingt, die er im Interesse der Gesamtheit für erforderlich erachtet, die aber der Unter- nehmer von sich aus deshalb nicht ausführt, weil er hiervon Verluste erwartet und solche nach Lage der Dinge auch erwarten muß, so kann der Staat dies - von allen anderen Gesichtspunkten einmal abge- sehen - nur dann tun, wenn er auch das Bisiko eines solchen Vor- habens übernimmt. Diese Übernahme des Bisikos kann nur darin be-

stehen, daß er entweder selber die Erzeugnisse zu lohnenden Preisen

abnimmt, oder eine Ausfallbürgschaft übernimmt, die dem Unterneh- mer eine normale Verzinsung seiner Investitionen gestattet. Wieweit der Staat hierbei die objektiven Grenzen wirtschaftlicher Möglichkei- ten verletzt ist natürlich eine andere Frage. Gerade dann, wenn er solche Grenzen nicht erkennen kann oder erkennen will, d. h. wenn ihm so- wohl das erforderliche Verantwortungsbewußtsein wie auch die not-

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Arbeit oder Beschäftigung? 425

wendige Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge fehlt, wird er, wie dies das russische Beispiel in genügender Klarheit zeigt, selber ver- suchen, wirtschaftliche Punktionen auszuüben.

Die Zweckmäßigkeit, ja vielleicht die Notwendigkeit der Verstaat- lichung von Institutionen, die, wie Eisenbahn, Post, Währungsverwal- tung und ähnliche typisch durch die uniforme Einheit- lichkeit ihrer Leistungen ausgezeichnet sind, hat be- reits Bismarck erkannt. Diese Zweckmäßigkeit ist insbesondere auch gekennzeichnet durch die Möglichkeit zentralistischer wirtschaftspoli- tischer Maßnahmen durch sinngemäße Steuerung dieser Leistungen. Gerade diese Zweckmäßigkeit der Verstaat- lichung von Institutionen mit typisch unifor- mer Einheitlichkeit der Leistung aber ist an- dererseits auch der beste Beweis für die Un- zweckmäßig k e it und Schädlichkeit einer Ver- staatlichung solcher Institutionen, die ge- rade durch die U η e in h e i 1 1 i c h k e i t und Inhomo- genität ihrer Leistungen ausgezeichnet sind, denn dies müßte zwangsläufig zum Kollektivismus führen, von dem bereits Bismarck feststellte, daß er „ein von inappellablen Demagogen regiertes Zuchthaus* * sei.

Bei der Beurteilung und Bewertung der Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Intensität muß man sich vor allem davor hüten, Kollektivbe- dürfnisse in die Kette der Individualbedürfnisse einreihen zu wollen; das gilt dann insbesondere auch wenn man wirtschaftliche Vorhaben, oder besser Vorhaben mit wirtschaftlichen Rückwirkungen „plan- mäßig*

' durchführen will, wenn es sich um Kollektivbedürfnisse außer- wirtschaftlichen Charakters handelt. Eine solche Einreihung wäre nur dann prinzipiell möglich, wenn es sich bei Kollektivbedürfnissen um solche wirtschaftlicher Natur handelte und die Intensität des kol- lektiven Bedarfs, gekennzeichnet durch die Geldbeträge, die seiner Befriedigung dienen, mit der des individuellen Bedarfs, den zu befriedigen sie geeignet sind, identisch wäre, was aber praktisch wohl nur in Ausnahmefällen vorkommen dürfte.

Selbstverständlich aber müssen Kollektivbedürfnisse, deren prin- zipielle Bewertung ja nicht der Wirtschaft und auch nicht der Wirt- schaftswissenschaft, sondern der Politik obliegt, berücksichtigt werden insofern, als sie zu wirtschaftlichen Rückwirkungen führen und nicht derart sein dürfen, daß sie die Wiederherstellung eines wirtschaftlichen

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Gleichgewichtes echten Charakters unmöglich machen würden *). Hier- durch würde ja auch ihre eigene Basis zerstört werden; ihr „Erfolg" wäre also auch nur ein zeitlich bedingter und abhängig von den noch vorhandenen wirtschaftlichen Reserven, die durch sie aufgebraucht wür- den, ohne daß hierfür Ersatz oder Ersatzmöglichkeiten geschaffen würden.

Da die Frage der technischen Qualität von Neuinvestitionen, d. h. der Höhe ihres technischen Niveaus eine Funktion der vorhandenen Reserven ist, so kann ein nutzloser Verbrauch solcher Reserven, wie dies Ε u c k e η in seiner Theorie der Ausreifezeiten nachwies 2), auch den Anlaß zu einem späteren technischen Rückschritt darstellen.

In besonderem Maße gilt das natürlich für eine Neuaufschließung von Kolonien, die als Investitionen gewissermaßen „von Anfang an" in ganz besonderem Maße das Vorhandensein ausreichender wirtschaft- licher Reserven voraussetzen. Wenn solche nicht bzw. nicht mehr vor- handen sind, dann können auch Kolonien nur wenig nützen, es sei denn, daß sie in weitem Umfange bereits aufgeschlossen sind.

Das berührt natürlich in Nichts die absolute Notwen-

digkeit einer Revision der Kolonialfrage, die bei einer richtigen Lösung die strukturellen Diskrepanzen mildern oder beseitigen könnte, auf denen die wirtschaftliche Krise im wesentlichen beruht.

Die jüngsten Ausführungen Edens vor dem Völkerbund lassen

allerdings ebenso wie entsprechende Ausführungen anderer, die zur

Beurteilung solcher Fragen erforderliche Erkenntnis der grundsätz- lichen wirtschaftlichen Zusammenhänge völlig vermissen. Denn mit solch primitiven „Mittelchen" wie es „Zollabbau", „erleichterter Zu-

gang zu den Rohstoffen" usw. sind, läßt sich diese Frage nicht lösen, sondern nur durch eine auf der Kenntnis der strukturellen Mißverhält- nisse beruhende Umlagerung kolonialen Besitzes, eine Umlage- rung, die nicht nur denen nützt, die solche Kolonien erhalten, son- dern in kaum geringerer Weise auch denen, die sie, ohne sie selber ausreichend ausnutzen zu

können, abgeben. Aber was wissen schon jene „Politiker" von solchen Zusammenhängen, deren Beurteilung einen über privatwirt- schaftliches „Rechnen" weit hinausgehenden staatsmännischen Blick erfordert.

Wir haben damit im wesentlichen den Einfluß qualitativer Mo-

x) Vgl. hierzu auch Α. Γ ο r s t m a η η , a. a. Ο. S. 222 ff. 2) Vgl. hierzu auch W. Ε u c k e η , a. a. O.

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mente auf die Erklärung des uns hier interessierenden Problems erkannt, deren Berücksichtigung im Verlauf normalen wirt- schaftlichen Geschehens durch die relativ automatische Erfüllung des Gesetzes der fallenden Absatzintensitäten gekennzeichnet ist, dessen organisches Funktionierenkönnen an die Intaktheit der Preisrelationen innerwirtschaftlicher und intervalutarischer Natur gebunden ist, deren Ausschaltung daher - gleich ob innerwirtschaftlich oder intervaluta- risch - sowohl zu Eeibungsverlusten als auch mangels wirtschaftlicher Orientierungsmöglichkeiten zu Fehlproduktionen und zu Fehlinvesti- tionen führen muß, deren Kosten dann der noch gesunde Teil der Wirtschaft zu tragen hätte, soweit ein solcher noch vorhanden ist.

III. Einkommen, Verbrauch, Ersparnis, Investition und Beschäftigung in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit.

A. Allgemeines. Die Erkenntnis der bestimmenden Einflüsse qualitativer Momente

auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Vorgänge und insbeson- dere auch auf die Gleichgewichtslage, die unsere voraufgegangenen Be- trachtungen uns vermittelten, werden uns in ihrer Bedeutung auch in den folgenden Betrachtungen und hier vor allem durch die Schlußfol- gerungen klarwerden, zu denen man kommen kann, wenn man sie nicht beachtet, sondern seine Betrachtungen lediglich quantitativ aus- richtet.

Wenn wir uns hier zunächst mit dem Zusammenhang von Erspar- nis, Investition und Beschäftigung befassen werden, so erinnern wir uns vielleicht zweckmäßig an die Tatsache, daß nach den jüngsten Untersuchungen Keynes', die den Gegenstand unserer vorliegen- den Betrachtungen bilden, Ersparnis und Investition definitionsgemäß identisch sind x). Keynes stellt hierzu Folgendes fest 2) :

„Im vorhergehenden Kapitel sind Ersparnis und Investi- tion derart definiert worden, daß ihre Beträge notwendigerweise ein- ander gleich sind, da sie für das Gemeinwesen lediglich verschiedene Gesichtspunkte des gleichen Gegenstandes sind. Mehrere gegenwärtige Autoren (darunter ich selbst in meiner Abhandlung ,Vom Gelde') haben jedoch besondere Definitionen dieser Begriffe gegeben, nach denen sie

η Vgl. J. M. Keynes, a.a.O. S. 54f. 2) J. Μ. Κ e y n e s , a. a. O. S. 64.

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nicht notwendigerweise gleich sind. Andere haben unter der Annahme geschrieben, daß sie ungleich sein können, ohne ihrer Erörterung irgend- welche Definitionen voranzustellen."

Es ist zwar eine wegen ihrer Einfachheit sehr beliebte, aber deshalb doch noch nicht geistreiche Methode zu behaupten, der Kritiker habe deii Kritisierten gar nicht richtig verstanden, das, was er sage, sei zwar an sich richtig, aber das, was er damit behaupte, habe der Kritisierte gar nicht gesagt oder doch gar nicht sagen wollen. Hier gelten dann aber meist gerade jene Worte, die Lautenbach den Kritikern Κ e y n e s glaubt entgegenhalten zu müssen 1) :

„Vielfach werden das Werk und sein Verfasser von den zünftigen Kritikern mit jener überlegenen Geste abgefertigt, die so oft den Mangel an Überlegung verdecken hilft.*4

Wenn es uns auch fernliegt, diese Worte auf die Untersuchungen Lautenbachs anwenden zu wollen, wir diese vielmehr als durch- aus beachtlich ansehen, so scheint es uns doch bedenklich, wenn Lau- tenbach gerade hinsichtlich der uns hier interessierenden Fragen meint 2) :

„An der früheren Darstellung von Κ e y n e s (Vom Gelde, der

Verf.) ist nicht die Begriffsbildung, sondern höchstens die Begriffsbe- zeichnung zu beanstanden. Für die von ihm klar und eindeutig um- schriebenen Begriffe hätte er die Worte Einkommen und Ersparnis nicht schlechthin verwenden sollen . . . Unerlaubt wäre nur die Ver-

mischung der beiden Kategorien, und dieser Sünde macht sich Key- n e s nirgends schuldig.

" Denn hier entschuldigt Lautenbach doch wohl mehr, als Κ e y n e s selber zugibt, wenn er sagt 3) :

„In meinen Abhandlungen ,Vom Gelde* war der Begriff von Än-

derungen im Überschuß von Investition über Ersparnis, wie dort definiert, ein Weg zur Behandlung von Änderungen im Gewinn, o b -

schon ich in jenem Buch nicht klar zwischen erwarteten und erzielten Ergebnissen unter- schied'* (Sperrung von uns).

Κ e y n e s scheint auch bei seinen hier interessierenden Unter-

suchungen nicht klar zu unterscheiden, insofern als er zwar eine „Defi- nition** der Investition gibt, nämlich die, daß sie gleich der Ersparnis, also dem nicht verbrauchten Teil des Einkommens ist, daß er aber in den uns hier interessierenden Betrachtungen wieder einen klaren Un-

x) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O. S. 57. *) A. a. O. S. 60. 8) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. 0. S. 67.

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terschied zwischen Investition und Ersparnis macht und hieraus sogar entsprechende Folgerungen zieht. Wir müssen uns also bei unseren vorliegenden Betrachtungen wieder auf den normalen Sinn des In- vestitionsbegriffes besinnen.

Je mehr man bei der Gewinnung theoretischer Erkenntnisse ver- einfacht, um so mehr setzt man die Erfüllung der einzelnen Bedin- gungen voraus, um so mehr aber auch gerät man in die Gefahr, den eigentlichen Boden der theoretischen Erkenntnis zu verlassen, d. h. zu beschreiben statt zu erklären, und es scheint uns, als wenn Keynes in nicht unerheblichem Maße in diesen Fehler verfallen ist, wenn auch seine Beschreibungen erheblich allgemeinerer Natur sind, als dies sonst der Fall zu sein pflegt. Dies scheint insbesondere auch für die Betrach- tungen zuzutreffen, mit denen Keynes sich hier beschäftigt, und die insbesondere ja durch die völlige Unberücksichtigung qualitativer Momente gekennzeichnet sind, so daß es schließlich nicht wunder nehmen kann, wenn Keynes zu Schlußfolgerungen kommt, die in ihrem Ergebnis - weniger hinsichtlich ihrer Ableitung, wohl aber mit Eücksicht auf ihr Verhältnis zur Wirklichkeit - kaum anders als paradox genannt werden können. Mit ihnen haben wir am Schlüsse unserer Betrachtungen noch im einzelnen auseinanderzusetzen.

B. Ersparnis, Investition und Beschäftigung. Wie Keynes feststellt, ist die Beschäftigung eine Funktion

der erwarteten Nachfrage, die ihrerseits bestimmt wird durch das, was später für den Verbrauch verausgabt wird und das, was investiert wird, d. h. die Beschäftigung ist eine Funktion von Erwartungen. Hierbei wird die Größe des Verbrauchs durch das Eeineinkommen und die Eeininvestition bestimmt. Bei einem gegebenen Umfange der Investi- tion wird also der Verbrauch um so geringer sein, je mehr gespart wird, ohne auch investiert zu werden, d. h. je größer die Diver- genz ist zwischen Ersparnis und Investition.

Nachdem Keynes eine nicht unerhebliche Mühe aufgewandt hat, nachzuweisen, daß „das Überwiegen der Vorstellung, daß Erspar- nis und Investition . . . voneinander abweichen können . . . durch eine optische Täuschung erklärt werden* * muß *), will es uns nicht ganz lo- gisch erscheinen, wenn er nunmehr Betrachtungen darüber anstellt, darß und weswegen eine solche „optische Täuschung", d. h. eine solche

*) J. Μ. Κ e y n e s , Allgemeine Theorie, a. a. O. S. 70.

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Divergenz zwischen Ersparnis und Investition ungünstig auf das Be- schäftigungsniveau wirken soll dadurch, daß die NichtVerausgabung von Eeserven, die entweder eine Abnutzung berücksichtigen oder, so- weit sie darüber hinausgehen, das darstellen, was man als „Selbst- finanzierung" zu bezeichnen pflegt, zu einer Verminderung der Nach- frage und damit zu einer Senkung des Beschäftigungsniveaus führt; wenngleich wir dies an sich natürlich durchaus verstehen, nur ver- stehen wir es nicht im Eahmen des Keynesschen Definitions- systems.

Wenn Κ e y n e s also hier feststellt *) : „Wenn ... die finanzielle Vorsorge die tatsächliche Ausgabe für

laufende Erhaltung übersteigt, werden die praktischen Folgen dieser Wirkung auf die Beschäftigung nicht immer gewürdigt. Der Be- trag dieses Überschusses verursacht nämlich weder unmittelbar lau- fende Investition, noch ist er verfügbar, um daraus den Verbrauch zu bestreiten", so scheint uns dies doch wohl in gewissem Widerspruch zu stehen mit seinen obengenannten Feststellungen ebenso wie auch mit den folgenden 2) :

„Niemand kann aber sparen, ohne einen Vermögensbestand zu er- werben, sei es in Form von Bargeld, eines Darlehens oder von Kapital- gütern . . . Daraus folgt, daß die Gesamtersparnis . . . notwendiger- weise gleich dem Betrag der laufenden Neuinvestition ist."

Ein grundsätzlicher Wandel in den Ansichten Keynes' gegen- über seinen Untersuchungen „Vom Gelde" - Lautenbach würde hier vielleicht sagen, daß dies daran läge, daß Keynes seine Theorie hier „rein" darstelle - , ergibt sich auch aus folgender Gegen- überstellung, die gewissermaßen auch das Gegenstück zu seinen zuletzt wiedergegebenen Ansichten ist: In seinem Buch „Vom Gelde" sagt Keynes3):

„Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß im weitesten Sinne des Wortes alle Depositen von der Bank, die sie hält, ,geschaffen* wer- den. Sicherlich sind die Banken nicht auf jene Art von Depositen be- schränkt, zu deren Entstehung es erforderlich ist, daß Depositenkun- den aus eigenem Antrieb Bargeld oder Schecks einzahlen."

Demgegenüber stellt Keynes nunmehr fest 4) :

η J.M. Keynes, a.a.O. S. 85. η J.M. Keynes, a.a.O. S.70f. 3) J. Μ. Κ e y η e s , Vom Gelde, a. a. 0. S. 24. 4) J. Μ. Κ e y η e s , Allgemeine Theorie, a. a. Ο. S. 71.

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„Die Vorstellung, daß die Erzeugung von Kredit durch das Bank- system die Vornahme von Investition zuläßt, der ,keine echten Erspar- nisse* entgegensteht, kann nur davon herrühren, daß eine der Folgen vermehrten Bankkredites unter Ausschluß der übrigen herausgehoben wird."

Uns scheint diese Art zu denken doch jener ähnlich, von der Chri- stian Morgenstern sagt:

„Weil - so schließt er messerscharf - Nicht sein kann, was nicht sein darf."

Wenn eine „Beindarstellung" einer Theorie soweit geht, daß sie den Boden der Wirklichkeitsnähe verliert, so verliert sie doch wohl auch ihre innere Berechtigung.

Wenn Κ e y n e s hier nun aber - und hier durchaus mit Kecht - von einer Divergenz zwischen Ersparnis und Investition spricht, die er vorher bestritten hat, so liegt dies eben, wie schon gesagt, in der Haupt- sache an der unglücklichen Art der Definition seines Investitionsbe- griffes, nach dem ja alles das „Investition" ist, was nicht Verbrauch oder Bargeld ist.

Ob nämlich „Investitionen" im Sinne der Keynesschen Betrachtung ebenso wie auch im Sinne derjenigen, die in einer rein quantitativ orientierten Investitionssteigerung das Heil zu sehen glauben, auch wirklich als echte Investitionen im wirt- schaftlichen Sinne angesprochen werden können oder ob es sich nur um Fehlinvestitionen, also um Konsum im wirtschaft- lichen Sinne handelt, das entscheidet sich immer dann erst, wenn es sich zeigt, ob sie ihre eigentlichen Funktionen im Eahmen des wirtschaftlichen Kreislaufprozesses auch zu erfüllen vermögen oder nicht. Diese Forderung wird aber dann in der Eegel am besten und sichersten auch im Interesse der Gesamtwirtschaft erfüllt, wenn Pro- duktion und damit auch Investition sowohl innerwirtschaftlich als auch intervalutarisch am System freier Preisrelationen orientiert sind.

Wenn ein durch „finanzielle Vorsorge" entstehender Überschuß keinen ungünstigen Einfluß auf das Beschäftigungsniveau ausüben soll, so muß er „durch neue Investition ausgeglichen werden, für welche die Nachfrage ganz unabhängig vom laufenden Wertverlust der alten Ausrüstung aufgetaucht ist, gegen welche die finanzielle Vor- sorge getroffen wird mit der Folge, daß die neue Investition, die für die Vorsorge laufenden Einkommens verfügbar ist, entsprechend vermin- dert wird und eine stärkere Nachfrage für neue Investition notwendig

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wird, um ein gegebenes Niveau der Beschäftigung möglich zu ma- chen" i).

An einer früheren Stelle seiner Untersuchungen macht Κ e y n e s die Peststellungen 2) :

„Es wird angenommen, daß ein Einzahler und seine Bank irgend- wie unter sich den Vollzug einer Handlung ausdenken können, wodurch Ersparnisse im Banksystem verschwinden können, so daß sie für die Investition verloren sind." Berücksichtigen wir die Tatsache, daß eine zunehmende Liquidisierung, wie sie ja die notwendige Folgeerscheinung einer jeden „finanziellen Vorsorge" ist, nicht in einem vermehrten Bar- geldbestand in Erscheinung treten kann, sondern in einer Steigerung der Bankguthaben, so scheint uns das ganze hier vorliegende Problem bei relativ normaler Wirtschaftslage ein reines Problem der Liquiditäts- grade insofern zu sein, als den Banken solche aus finanzieller Vor- sorge resultierenden Beträge kurzfristig überwiesen werden, während sie selber nicht die Möglichkeit haben, sie auch ausreichend kurzfristig und unter Berücksichtigung einer entsprechenden Zins- spanne anzulegen. Auch können kurzfristige Anlagemöglichkeiten vor- handen sein, die von den Produzenten selber ausgenutzt werden können. Dann ist die gesamte Erscheinung aber nur ein Zeichen dafür, daß die Wirtschaftslage an sich nicht die dauernde Investierung oder auch die Anlage in Eohstoffen usw. also die vorübergehende „Investierung" rat- sam erscheinen läßt und die Anlage möglichkeit solcher Beträge aus einem Kapitalbedarf resultiert, der durch die wirtschaftliche Gesamt läge nicht gerecht- fertigt ist, der damit aber auch die Gefahr beinhaltet, Ausgangs- punkt einer künftigen Krise, insbesondere auch einer Entwicklung in- flationistischen Charakters zu sein.

Eine „chronische" Divergenz zwischen Markt- zins und G r enz r en t a b il i t ä t , wie sie durch einen zu hohen und dauerhaften Marktzins bedingt ist, kennzeichnet immer nur eine „endogene" Beanspruchung des Kapitalmarktes, die wirt- schaftlich nicht legitimiert ist, und daher auch eine jede produktive und somit auch investitive, d. h. wirtschaftlich gesunde Entwicklung hindert.

Als typisches Beispiel für nichtinvestierte Abschreibungen nennt

*) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 85. z) J.M. Keynes, a.a.O. S. 70.

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Κ e y n e s hier solche auf Häuser, die erst dann ihre praktische Ver- wendung finden, wenn die alten Häuser „abgeschrieben4' sind. Er er- kennt dabei an, daß solche "Verhältnisse in einer statischen Wirtschaft keine nennenswerte Bolle deshalb spielen, weil ein Ausgleich hier in- sofern stattfindet, als die Eückstellungen, die für die alten Häuser ge- macht werden, durch den inzwischen stattfindenden Neubau von Häu- sern aus beendeten Abschreibungen in ihrer Wirkung ausgeglichen wer- den. Κ e y n e s sagt hierbei aber nicht, wie solche finanziellen Eück- stellungen, ohne auch investiert zu werden, in seinem Begriffssystem überhaupt möglich sein können.

Wenn hier auch nicht der Ort ist, auf solche Fragen im einzelnen einzugehen, so erscheint es doch wichtig, generell wenigstens zu prüfen, warum denn überhaupt „übermäßige" Abschreibungen vorgenommen werden und warum eine Stockung in der Vornahme von Neuinvestitionen ebenso eintritt, wie ein Unterlassen von Ein- käufen von Eohstoffen usw.

Es ist doch wohl so, daß Investitionen, gleich ob als Neuinvesti- tionen oder auch als Ersatzbeschaffungen, aber auch „Investitionen** in Eohstoffen, Halb- und Pertigfabrikaten usw., die ja Κ e y n e s definitionsgemäß auch zu den Investitionen rechnet, immer dann un- terbleiben werden, wenn die langfristigen und mittelfristigen Erwar- tungen eine solche Investitionsunterlassung als ratsam und zweck- mäßig erscheinen lassen, wenn also die Erwartungen den zukünftige» Bedarf als zu gering für solche Neuinvestitionen unter Berücksichtigung des Preises, der für die Güter zu erzielen sein wird, schätzen, oder, wenn - insbesondere bei Ersatzbeschaffungen usw. - erwartet wird, solche „Investitionen** zu einem späteren Zeitpunkte zu günstigeren Bedin- gungen vornehmen zu können, also eine Entwicklung prinzipiell de- flationistischer Natur erwartet wird ; es sei denn, daß zur Vornahme solcher „Investitionen** gar keine Möglichkeiten bestehen, also die ob- jektiven Voraussetzungen fehlen.

Finanzielle Eücklagen sind, wenn sie allgemein und in einem das normale Maß übersteigenden Umfange durchgeführt werden, immer das Zeichen eines gesteigerten Eisikos und kennzeichnen damit die Un- sicherheit der herrschenden Zeitverhältnisse. Solche Unsicherheit kann auch gekennzeichnet sein durch das Vorhandensein oder die Wahr- scheinlichkeit staatlicher Eingriffe in die wirtschaftliche Entwicklung, die es den Unternehmern unmöglich oder unwahrscheinlich machen, „wirtschaftlich** zweckmäßig zu disponieren.

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 3. 28

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Verschärft kann eine solche Divergenz zwischen Ersparnis und Investition auch werden, wenn ein nichtwirtschaftlicher Kapitalbe- darf, einer derartigen übermäßigen Liquidität entsprechende Anlage- möglichkeiten bietet. Dies ist dann in der Kegel das Zeichen einer un- gesunden Finanzpolitik des Staates; ungesund nicht nur aus wirt- schaftlichen Gründen, sondern auch aus politischen Gründen insofern, als sie die Möglichkeit beinhaltet, daß auch solchen Zielen auf die Dauer die materielle Basis entzogen wird, die allein sie trägt.

Führt ein solcher nichtwirtschaftlicher Kapitalbedarf dann zu Fehlinvestitionen oder zur Finanzierung von Anlagen, die nicht die Verzinsung und Amortisation der investierten Beträge unmittelbar oder mittelbar aus sich selbst heraus garantieren - und in der Kegel wird das der Fall sein - , so kennzeichnet der gesamte Vorgang der Liquidisierung ebenso wie der Finanzierung außerwirtschaftlicher Vor- haben nichts weiter als die Tatsache, daß das betreffende Gemeinwesen eine „Beschäftigung4

* - nicht aber Arbeit - dadurch organisiert hat, daß es, ohne etwas wirtschaftlich Positives zu leisten, von den noch in der Wirtschaft vorhandenen Reserven gelebt hat. Eine hierbei durch- geführte Liquidisierung zeigt dann auch nichts weiter an, als die Tat- sache einer - zunächst noch latenden - Inflation, deren Vorhanden- sein und spätere Wirkungen weder durch sog. Konsolidierungsmaß- nahmen, ijoch durch sonstige Maßnahmen innerwirtschaftlicher oder intervalutarischer Art auf die Dauer aufgehalten werden kann; eine Konsolidierung hat als andere theoretische Alternative allerdings noch den Staatsbankerott.

Im Kriege haben wir eine solche Entwicklung, wie sie hier ange- deutet wurde, erlebt, sie ist, wenn nicht ganz besondere Notverhältnisse vorliegen, die es eben erforderlich machen, nur für die Gegenwart zu disponieren, nur ein Zeichen für die Unfähigkeit der dafür Verantwort- lichen, Wirtschaftspolitik und auch Politik überhaupt treiben zu können.

Will man solche übermäßige „finanzielle Vorsorge" beseitigen, so muß. man, wenn diese Beseitigung nicht nur eine rein äußerliche und damit auch nur scheinbare, d. h. vorübergehende sein soll, zunächst die Ursachen beseitigen, die eine solche Vorsorge erst veranlassen. Man muß also erst einmal die Unsicherheitsfaktoren beseitigen, soweit man hierzu in der Lage ist, und die Voraussetzungen schaffen, die zu einem Auf- stieg der wirtschaftlichen Entwicklung führen.

Es hieße aber auch hier das Symptom mit der Ursache verwechseln, wenn man glauben würde, die Verhältnisse dadurch grundsätzlich ver-

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ändern zu können, daß man einfach behaupten wollte, die aus ganz be- stimmter Veranlassung vorgenommene verstärkte Liquidität und die dadurch verursachte Diskrepanz zwischen Ersparnis und Investition durch verstärkte Herstellung oder Erstellung, also durch Pseudoin- vestitionen beseitigen zu können. Die hierdurch gekennzeichnete Ten- denz zur Fehlinvestition würde dann noch verstärkt werden, wenn durch alle möglichen Arten von Keglementierungen das normale und richtige Barometer für die Ausrichtung von Produktion und Investi- tion in Eichtung der optimalen Bedarfsdeckung, also die Entwicklung natürlicher Preisrelationen, ausgeschaltet werden würde. Ein durch solche Maßnahmen bestimmter „gerechter" Preis ist dann, wie ein amerikanischer Vertreter auf der Internationalen Agrarkonferenz in Elisen 1934 gesprächsweise sehr richtig feststellte, der Preis, der zehn Prozent höher ist als der normale.

Κ e y η e s meint noch, daß sehr ernste Folgen eintreten könnten, wenn solche Wirkung „durch ,weise Finanzpolitik* verschärft wird, das heißt durch die Ansicht, daß es ratsam ist, die Anfangskosten ra- scher abzuschreiben als der tatsächlichen Abnützung entspricht", auch hier gilt diese Behauptung natürlich nur dann, wenn es allge- mein geschieht und auch hierbei nur für einen Übergangs zu- stand, nicht aber, wenn es eine allgemeine Übung ist. Auch hier wirken, wie immer in der Wirtschaft, alle Tatsachen nicht als be- stehender Zustand, sondern nur dynamisch als Verände- rung einer bisherigen Übung, und auch hier gilt hinsichtlich einer Verursachung eines solchen Verhaltens, ebenso wie für seine Bekämpfung das, was wir bereits oben festgestellt haben.

Es ist auch grundsätzlich unrichtig, wenn Κ e y n e s aus solchen Überlegungen heraus glaubt, die typischen Wesensmerkmale der ameri- kanischen Krise ableiten zu können, denn für die eigentliche Krise als Kennzeichnung eines typisch strukturellen Zusammenhanges - von ihren supperponierten konjunkturellen Merkmalen abgesehen - sind ganz andere Ursachen bestimmend, mit denen wir uns an anderer Stelle eingehend auseinandergesetzt haben x).

Auch die eigentliche und tiefere Ursache der englischen Krise ist nicht in derartigen und ähnlichen Vorgängen zu suchen, diese sind viel- mehr lediglich Symptome; denn auch die englische Krise ist nur eine Sekundärwirkung der internationalen strukturellen Verursachung,

*) Vgl. A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. O.

28·

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die auch die englische Krise gewissermaßen kataly tisch bedingt. Es muß zugegeben werden, daß eine solche Erkenntnis nur eine genaue Untersuchung der gesamten Krisenverhältnisse vermitteln, die all- einige Beobachtung der englischen Verhältnisse aber leicht zu einer solch unrichtigen Beurteilung verführen kann.

Wenn Κ e y n e s daher unter Hinweis auf solche Momente und unter Heranziehung statistischer Angaben auf die Tatsache des Bück- ganges der Investitionen in Großbritannien und den Vereinigten Staa- ten hinweist, so können solche Angaben für den Volkswirt zur Bekämp- fung der Krisenursachen keine andere Bedeutung haben, wie etwa das Fieberthermometer für den Arzt zur Bekämpfung einer Krankheit hat ; d. h. man kann mit seiner Hilfe Bückschlüsse auf den Krankheitszu- stand vornehmen, man kann aber durch eine äußere Beeinflussung der Investition insbesondere lediglich quantitativen Charakters ebenso- wenig eine wirtschaftliche Besserung erreichen, wie man etwa durch eine Behandlung des Fieberthermometers einen Kranken wieder ge- sund machen kann.

Es scheint gerade heute wichtig zu sein, darauf hinzuweisen, daß die Statistik nur von symptomatischem Charakter ist, wenn dies auch eine Binsenwahrheit zu sein scheint, aber Binsen- wahrheiten werden ja leider meist am ehesten vergessen. Die Gültigkeit der Statistik ist daher durchaus relativ und in jedem Falle abhängig von den gegebenen Voraussetzungen. So können gleiche Zahlen für gleiche Vorgänge, da sie ja nur deren Er- scheinungsformen, nicht aber deren Inhalt wiedergeben, in einer ge- bundenen oder gelenkten Wirtschaft etwas ganz anderes, unter Um- ständen sogar das Gegenteil von dem bedeuten, was sie in einer freien Wirtschaft besagen. Das ist natürlich bei der Bewertung statistischer Angaben zu berücksichtigen, da sonst die Ergebnisse, die man aus einer Diskussion solcher Angaben erhält, unbrauchbar sind und zu schweren Irrtümern, ja, wenn man sie zur Basis praktischen Handelns macht, zu verhängnisvollen Folgen führen können, was leider vielfach übersehen wird.

Während beispielsweise die statistisch festgestellte Abnahme der Arbeite losigkeit in einem System sich relativ frei regulierender wirtschaftlicher Beziehungen ein Zeichen seines wirtschaftlichen Auf- schwunges ist, kann die gleiche Erscheinungsform, d. h. die statistisch festgestellte Zunahme des Beschäftigungs umfanges in einer gelenkten oder gebundenen Wirtschaft ein Zeichen auch des Gegenteils

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sein, dann nämlich, wenn das festgestellte Symptom seiner Ver-

ursachung und seiner Wirkung nach nicht wirtschaftlicher, sondern nur technischer Kategorie ist.

Es ist natürlich richtig, daß eine zunehmende Divergenz zwischen

Ersparnis und Investition - und darum handelt es sich hier ja - zu einer Abnahme des Beschäftigungsniveaus führen wird, und man wird auch bei einer Wirtschaft, bei der die strukturellen Vorbe-

dingungen für einen totalen Gleichgewichtszustand vorhanden sind, durch irgendwelche Anregungen der normalen Wirtschaft einen Anstoß geben können, der diese zur Erreichung einer neuen Gleichgewichtslage aus sich heraus befähigt. Daß ein solcher Anstoß nur investitiver Natur im eigentlichen Sinne sein müßte, ist durchaus nicht erforderlich und folgt gerade auch bei Κ e y n e s nicht aus einer Erkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge, sondern wie wir noch im einzelnen erkennen werden, lediglich aus einem Schluß aus Symptomen und einer mechanistischen Umkehrung anderer Kau-

salzusammenhänge* Wenn aber solche Abweichungen zwischen Ersparnis und Investi-

tion, wie dies heute der Fall ist, als Dauerzustand auftreten, dann sind sie nicht die Ursache, sondern nur Symptom einer Krise, und zwar einer solchen struktu- rellen Charakters, bei der noch dazu eine verstärkte Liqui- dität durch außerwirtschaftliche Maßnahmen verursacht ist, dann ins- besondere, wenn die Höhe einer solchen Divergenz relativ konstant bleibt bzw. steigt. Diese Symptome verschwinden auch, wenn ihre Ur- sachen beseitigt werden, sie können aber mit nachhaltiger Wirkung niemals dadurch bekämpft werden, daß man nur sie selber zu beseitigen versucht, denn das würde auf die Dauer mit mathematischer Sicher- heit nur zu einer Verschlimmerung der Gesamtlage führen.

Es ist durchaus zutreffend, wenn Hermens in seiner kritischen

Betrachtung des Keynesschen Buches in dieser Hinsicht fest- stellt !) :

„Alle Theorie beiseite gelassen, besagt nicht der gesunde Menschen- verstand, daß, wenn die Gründe der industriellen Unrentabilität be-

seitigt werden, es weithin auch ihre Folgen, insbesondere die Arbeits-

losigkeit, sein werden?** Es ist ein weiteres Zeichen für das mangelhafte induktive Vorgehen

!) F. H. H e r m e n s , a. a. O.

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438 Albrecht Forstmann

Κ e y η θ s', daß er nur den Einfluß des Zinses auf die Grenzrenta- bilität betrachtet, vom Einfluß des Lohnes aber völlig -absieht, denn bestimmend sind doch nicht irgendwelche partielle Kosten- anteile, sondern bestimmend sind die Gesamt kosten. Auf diese Vernachlässigung des Lohneinflusses weist auch Weber hin 1) :

„Was hier auffällt ist zunächst, daß die Lohnfrage nicht die ge- ringste Bolle spielt. Die Lohnhöhe ist starr gegeben. Das ist für Κ e y η e s offenbar eine so große Selbstverständlichkeit, daß nicht einmal auf diese Voraussetzung für alle anderen Überlegungen beson- ders hingewiesen wird. In dem Geldbuch hat er noch mit besonderem Nachdruck betont, wie fatal sich Starrheit der Preisfaktoren, insbeson- dere starre Begrenzung der Lohnhöhe volkswirtschaftlich auswirkt. Da die direkten und indirekten Lohnverwendungen kaum weniger als 80% ausmachen, wäre doch der Schrecken, der von der sinkenden Grenz- leistungsfähigkeit des investierten Kapitals ausgehen soll, durch ver- hältnismäßig geringe Lohnsenkungen schon zu bannen."

Auch H e r m e n s kennzeichnet in seiner bereits genannten Ar- beit diese Mangelhaftigkeit des induktiven Vorgehens Keynes' mit Becht2):

„Nach Keynes ist für den Anreiz zur Investition neben dem Kapitalertrag nur die Zinshöhe entscheidend. Eines wird vergessen: daß für die Bentabilität von Neuinvestitionen sowohl die Anschaf- fungskosten der neuen Kapitalgüter wie auch später die laufenden Be- triebskosten die primäre Bedeutung haben. Nun aber sind Anschaf- fungs- wie Betriebskosten zu einem ganz großen Umfang Lohnkosten ; nehmen wir die „akkumulierte Lohnquote'*, so kommen wir in jeder einzelnen Volkswirtschaft im Durchschnitt auf über die Hälfte. Diese Kosten sind im Verlauf der Weltwirtschaftskrise als Folge unterlassener Anpassung an die Preissenkung überall gestiegen ; in England um etwa ein Fünftel. Soll das ohne Einfluß auf die Bentabilität von Neuinvesti- tionen gewesen sein? Überwiegen nicht vielmehr die Ausgaben auf Lohnkonto die auf Zinskonto erheblich?"

Man soll hier nicht etwa den naiven Einwand erheben, daß durch Senkung der Lohnkosten auch die Nachfrage gesenkt und damit der Produktion die Absatzmöglichkeiten, der Neuinvestition also die Vor- aussetzungen entzogen würden, denn es kommt hier ja nur auf die Größe der entsprechenden Elastizität an, derart, daß durch die Lohn-

*) A. W e b e r , a. a. O. S. 283. *) F. Η. Η e r m e η s , a. a. O.

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Arbeit oder Beschäftigung? 439

Senkung eine solche Anregung der Produktion erfolgen muß, daß die durch die Steigerung des Beschäftigungsumfanges bewirkte Erhöhung der Gesamtlohnsumme größer ist als die durch die Lohnsenkung be- wirkte Senkung, und diese Bedingung wird, von Ausnahmefällen abge- sehen, als erfüllt angesehen werden können, auf alle Fälle im Verlauf normaler Wirtschaftsentwicklung.

Wer glaubt, daß der Versuch, durch Lohnsenkung ein Mißverhält- nis zwischen Kosten und Preisen zu beseitigen, zu einem Wettlauf zwi- schen Löhnen und Preisen nach unten führen müßte, der berück- sichtigt die vorgenannten Tatsachen ebensowenig, wie er auch weiter- hin nicht den bestimmenden: Einfluß zeitlicher Divergenzen zwischen der Nachfragewirkung der Lohnzahlungen und der Angebotswirkung ihres produktiven Äquivalents sieht, und er erkennt schließlich ebenso- wenig den Einfluß der nichtlinearen Kostenabhängigkeit des Produk- tionsvolumens, wie er den Einfluß monetärer Momente innerwirt- schaftlicher wie innervalu tarischer Art sieht.

Die auf der - als konstant unterstellt, ireal zu bezeichnenden -

Bedingung eines den Gleichgewichtszins übersteigenden Marktzinses aufgebaute Theorie des kumulativen Preisfalls, wie sie Wicksell gibt x), gilt daher auch nur für einen - bei lediglich endogen beein- flußter Entwicklung unmöglichen - Ausnahmefall, dessen Unterstel- lung als Eegel auch die Unmöglichkeit jeglicher Konjunkturtheorie be- inhalten würde. Aber während Wicksell wenigstens die endogene Bremsung solcher Verhältnisse als Punktion insbesondere intervalu- t arischer Wirkungen erkennt, sieht Κ e y η e s auch hiervon ab und bildet aus der Beobachtung rein symptomatischer Er- scheinungen eine „allgemeine Theorie", deren rein sym- ptomatischen Charakter er ebensowenig zu erkennen scheint wie ihre rein exogene Basis. Eine solche irrtümliche Beurteilung kommt auch typisch in den Feststellungen Lautenbachs zum Ausdruck ?) :

„Die Weltkrise nach 1929 war das tragische Beispiel einer welt- weiten Lohn- und Preissenkung, sie ist ein furchtbarer experimenteller Gegenbeweis gegen die von der klassischen Theorie behauptete Wir- kung allgemeiner Lohnsenkungen.4

*

Hier verwechselt Lautenbach die Wirkung mit der Ursache und er erhebt gegen die klassische Theorie einen Vorwurf, der genau so unbegründet ist wie wenn man einen Hund tadeln würde, der einen

*) Vgl. K. W i c k s e 1 1 , Geldzins und Güterpreise, Jena 1898. *) W.Lautenbach, a. a. O. S. 62.

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440 AlbrechtForstmann

Maulkorb umgebunden hat, weil er den Einbrecher nicht gebissen hat. Die Voraussetzungen, die generell gegeben sein müssen, wenn ein

ausreichender Hang zur Investition bestehen soll, haben wir früher wie folgt formuliert x) :

„1. Innerwirtschaftlich ist erforderlich, daß die Gesamt- kosten der neuen Investitionen unterhalb der Grenzrentabilität liegen und auch bleiben.

2. Intervalutarisch gesehen müssen die Neninvestitionen standortsmäßig legitimiert sein, und das erfordert eine Orientie- rung entweder der Währungspolitik oder aber der Handelspoli- tik, u. U. auch einer entsprechenden Subventionspolitik an der mit den höchsten Kosten arbeitenden Neuinvestition, die noch zur Beseitigung der strukturellen Diskrepanz heranzuziehen ist."

Wenn die Ursache einer zur Kontraktion des wirtschaftlichen Kreislaufs führenden Divergenz zwischen Marktzins und Grenzrenta- bilität in einer aus außer wirtschaftlichen Veranlassungen resultie- renden Steigerung des Marktzinses gesehen wird, so scheint uns der Vorschlag einer gesunden Belebung des wirtschaftlichen Kreis* laufes durch planmäßige Investitionen, die nicht am System natür- licher Preisrelationen innerwirtschaftlicher und intervalutarischer Art orientiert sind, einigermaßen paradox zu sein. Eine planmäßige Len- kung der Investitionen kann daher niemals in einer solchen „plan- mäßige η* * Investition bestehen, denn das hieße Wirtschaft mit Technik verwechseln. Planmäßige Investition hätte ebenso wie planmäßige Produktion zwangsgenormten Konsum als Voraussetzung.

Wenn auch die gegenwärtige Strukturkrise gerade auch im Falle Deutschlands eine Investitionslenkung erforderlich macht, die in ihrem Ausmaße durch die Unmöglichkeit einer aktiven Eingliederung in den internationalen Handel bestimmt ist, so liegt die Begründung hierzu in keinem Punkte in den quantitativ ausgerichteten Ansich- ten Keynes', die wir als solche noch in unseren folgenden Betrach- tungen erkennen werden, sondern in der erforderlichen strukturelle]] Umstellung des Produktionsapparates zwecks Erzielung des Gleichge- wichtes zwischen Bedarf und Angebot auf höchstmöglichem Beschäf- tigungsniveau, begründet.

Wir haben auf diese Verhältnisse immer wieder und mit Nachdruck hingewiesen und ebenfalls von Anfang an betont, daß es in einem sol-

*) A. Forstmann, Über produktive und nichtinflatorische Kreditge- währung, a. a. O. S. 589.

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Arbeit oder Beschäftigung? 441

chen Falle gar keine Initialzündung geben kann, die Hoffnung darauf also, daß eine staatliche Wirtschaftsanregung zu einer solchen der na- türlichen Wirtschaft führen könnte, ein verhängnisvoller Irrtum sei x).

Betrachten wir nach diesen von Κ e y n e s als Abschweifungen bezeichneten Zusammenhängen die prinzipiellen Bestimmungsgründe des Beschäftigungsniveaus, so erkennen wir, daß dieses bestimmt wird, nicht wie Κ e y η e s sagt 2), „vom gegenwärtigen Verbrauch oder der gegenwärtigen Vorsorge für zukünftigen Verbrauch* ', sondern von den Erwartungen, die man hinsichtlich der zukünftigen Entwick- lung dieser Größen hegt. Bestände kein Unterschied zwischen der Er- wartung hinsichtlich der Gestaltung dieser Größen und diesen selber, so würde es weder eine Pehlproduktion noch eine Fehlinvestition geben. Auch hier sagt also Κ e y n e s das, was er auch mit seiner in mathe- matische Form gebrachten Abhängigkeit zwischen Angebot, Nach- frage und Beschäftigung: Ζ = φ(Ν) = D = f(N) sagt 3), nämlich daß das Angebot unabhängig vom Beschäftigungsumfang gleich der Nach- frage ist, daß also jedes Angebot sich seine Nachfrage schafft.

Es ist richtig, wenn Κ e y n e s feststellt, daß das Ziel aller wirt- schaftlichen Tätigkeit - direkt oder indirekt - letzten Endes immer der Verbrauch ist, es ist weiterhin auch durchaus richtig, wenn er sagt, daß eine Enthaltung vom Verbrauch, die nicht zu einer Investition führt (wenn er diese Möglichkeit auch kurz vorher als eine optische Täuschung bezeichnet hat) eine Verminderung des Beschäftigungsvo- lumens und damit eine Senkung des Einkommens verursachen kann. Es ist schließlich auch richtig, eine solche Erscheinung in einen gewissen kausalen Zusammenhang mit Störungserscheinungen konjunk- turellen Charakters zu bringen, und e? ist daher auch richtig, daß Stockungen konjunktureller Natur durch planmäßige Anregungen des- halb überwunden werden können, weil, wie wir feststellten, die struk- turellen Vorbedingungen hier erfüllt sind. Es ist aber auch bei konjunk- turellen Störungen unrichtig, nur in investitiven Maßnahmen deshalb das Allheilmittel sehen zu wollen, weil das Symptom sol- cher Störungen eine verstärkte Liquidität ist, denn gerade diese können leicht zu einem neuen Ungleichgewichtszustand Veranlassung geben, wenn sie in übermäßigem Ausmaße durchgeführt werden. Die Vorbö·

*) Vgl. A. Forstmann, Wege zu nationalsozialistischer Geld-, Kredit- und Währungspolitik, Berlin 1933; Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. O.

*) J . Μ. Κ e y n e s , a. a. Ο. S. 89. 8) J.M. Keynes, a.a.O. S. 21 und S. 25 Punkt 4.

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442 A 1 b r e c h t Forstmann

dingungen eines echten, d. h. dauerhaften Gleichgewichtszustandes be- dingt ein bestimmtes Verhältnis zwischen Produktion und Investition. Daß Κ e y η e s diese beiden Begriffe einfach in einen Topf tut, kenn- zeichnet ein bedauerliches Mißverständnis für die eigentlichen Pro- bleme.

Zwar erwähnt Keynes, daß „neue Kapitalinvestitionen..., die laufende Kapitaldesinvestition (d. h. den Verbrauch von Kapital- gütern durch Abnutzung und - soweit er in seinem Investitionsbegriff auch Eohstoffe usw. einschließt - deren Verbrauch, der Verf.) nur übersteigen (können), wenn eine Zunahme der zukünftigen Aus- gaben für den Verbrauch erwartet wird" x), und er stellt weiter auch richtig fest 2) :

„Jedesmal, wenn wir das heutige Gleichgewicht durch vermehrte Investition sichern, verschärfen wir die Schwierigkeit der Sicherung des Gleichgewichts von morgen." Aber er sieht diese Verhältnisse insbe- sondere bei seinen praktischen Schlußfolgerungen doch nur sehr be- dingt, insofern schon, als er die das Gleichgewicht rein quantitativ be- stimmenden Faktoren: Produktion und Investition definitionsgemäß einfach in einen Topf tut, Investition bei ihm also alles ist, was - außer Bargeld - nicht Verbrauch ist. Er beachtet aber insbesondere die Vor- aussetzungen auch eines quantitativen Gleichgewichts nicht nämlich die strukturellen Bedingtheiten, die das ganze Problem erst ausmachen, ja er berücksichtigt solche Zusammenhänge insbesondere bei seinen „praktischen" Vorschlägen nicht einmal implizite.

Die unglückliche Wahl des Investitionsbegriffes durch Keynes ergibt sich beispielsweise auch aus seiner folgenden Feststellung 3) :

„Vorausgesetzt, daß wir übereinstimmen, daß das Einkom- men gleich dem Wert der laufenden Produktion i s t (Sperrung von uns), daß die laufende Investition gleich dem Wert des Teils der laufenden Produktion ist, der nicht verbraucht wird (also nicht nur Investitionen im eigentlichen Sinne werden hiermit umfaßt, sondern auch nicht verkaufte Läger usw., der Verf.), und daß die Er- sparnis gleich dem Überschuß des Einkommens über den Verbrauch ist - was allgemein mit dem gesunden Menschenverstand und mit dem überlieferten Gebrauch der größten Mehrzahl der Ökonomen ver-

!) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. O. S. 90. *) J.M. Keynes, a.a.O. S. 90. η J. M. Κ e y η e s , a. a. 0. S. 55.

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Arbeit oder Beschäftigung? 443

einbar ist - folgt die Gleichheit der Ersparnis und der Investition mit Notwendigkeit. Kurz gesagt:

Einkommen = Wert der Produktion = Verbrauch + Investition, Ersparnis = Einkommen - Verbrauch, Darum: Ersparnis = Investition." Im Sinne dieser Definition wäre als „Investi-

tion" also auch der Fall anzusehen, daß mangels Absatzmöglichkeiten auf Lager produziert würde. Hier liegt also implizite der Versuch einer wirtschaftlichen Legitimierung einer jeden Pehlproduktion und einer jeden Fehlinvesti- tion vor; wenn dies natürlich auch nicht ausdrücklich gesagt wird - vielmehr auch gewisse Einschränkungen gemacht werden - , so be- rührt doch das alles nicht den eigentlichen Kern des Problems.

Man kann zwar auf diese Weise Beschäftigung schaffen, aber was soll mit den unverkäuflichen Lägern und den nicht ausnutz- baren Investitionen geschehen, und wie soll alle diese Be- schäftigung letzten Endes finanziert werden, wenn ihre Ergebnisse unverkäuflich und nicht ausnutzbar sind?!

Diese mechanistische Einstellung Κ e y n e s zu den Problemen, die sowohl in der Nichtabgrenzung zwischen Ersparnis und Investi- tion, wie auch in seiner Nichtabgrenzung zwischen Produktion und In- vestition zum Ausdruck kommt, wird besonders auch aus den folgenden Betrachtungen über das erkennbar werden, was er den „Multiplikator" und seinen Einfluß nennt. Gerade diese Deduktionen Keynes' wer- den leider denen besonders „plausibel" erscheinen, die die Zusammen- hänge in volkswirtschaftlicher Hinsicht kaum, in mathematischer Hin- sicht aber gar nicht zu übersehen vermögen, und darin liegt eine nicht zu gering zu bewertende Gefahr.

C. Einkommen, Verbrauch, Investition und Beschäftigung.

In seinen vorliegenden Betrachtungen stellt Keynes zunächst einmal allgemein fest, daß sich unter bestimmten Umständen bestimmte Verhältnisse feststellen lassen zwischen

1. dem Einkommen und der Investition und 2. der gesamten Beschäftigung und ihrem iüvestitiven Teil.

Solche Verhältnisse kennzeichnet Keynes durch die Bezeichnung „M ultiplikato r".

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444 Albrecht Forstmann

Hinsichtlich dieses Teils seiner Theorie meint Keynes1): „Dieser weitere Schritt ist ein untrennbarer Teil unserer Theorie

der Beschäftigung, da er bei einem gegebenen Hang zum Verbrauch eine genaue Beziehung zwischen der Gesamtbeschäftigung und dem Einkommen und dem Zinsfuß festlegt. " Wir möchten darüber hinaus feststellen, daß dieser Teil seiner Untersuchungen nicht nur „ein un- trennbarer Teil" seiner Theorie, sondern geradezu die Basis sei- ner Theorie der Beschäftigung ebenso wie auch die Basis seiner therapeutischen Vorschläge ist.

Der Ausgangspunkt seiner vorliegenden Betrachtungen sind Un- tersuchungen von Kahn2), von denen Keynes hier feststellt 3) ;

„Seine Beweisführung in diesem Aufsatz stützt sich auf die Grund- idee, daß, wenn der Hang zum Verbrauch unter verschiedenen vorge- stellten Umständen (zusammen mit gewissen anderen Bedingungen) als gegeben angenommen wird, und wir unterstellen, daß die Währungs- verwaltung oder eine andere öffentliche Behörde Schritte zur Förde- rung oder Verzögerung von Investition unternimmt, die Änderung in der Menge der Beschäftigung eine Funktion der Eeinänderung im Be- trage der Investition sein wird ; und seine Beweisführung zielte darauf, allgemeine Grundsätze zur Schätzung der tatsächlichen Mengenbezie- hungen zwischen einem Zuwachs der Eeininvestition und dem Zuwachs der mit ihr verbundenen Gesamtbeschäftigung niederzulegen."

Wir hatten bereits früher festgestellt, daß Keynes auf der Basis seiner prinzipiellen Art der „Grenzwert* '-Definition, den „Grenz- hang^zum Verbrauch" als die erste Ableitung dessen bezeichnet, was er den Hang zum Verbrauch nennt. Der Grenzhang zum Verbrauch ist also hiernach bestimmt zu

dCw

Keynes stellt weiter die Beziehung auf

AYW = ACW +AIW

die besagt, daß eine Änderung des Einkommens eine Änderung des Ver- brauchs und eine Änderung der Investition verursacht.

x) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 97. 2) Vgl. hierzu R. F. Κ a h η , The Relation of Home Investment to Unemploy-

ment, Economic Journal, Vol. XLI, No. 162, June 1931. 3) J. M. Keynes, a.a.O. S. 97.

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Arbeit oder Beschäftigung? 445

Er führt dann weiter den Ausdruck

ΔΙ»

ein, der besagt, daß eine Änderung in der Einkommens- höhe eine bestimmte Änderung in der Höhe der Investition ver- ursacht, die abhängig ist vom Verlauf der jeweiligen für Gw gül- tigen Bildkurve.

Er erhält dann durch Einsetzen des aus dieser Beziehung durch Umformung nach AIW sich ergebenden Ausdruck

AT ÄYw

in die Beziehung für Δ Yw aus

AYW = ACW+-^. und

AYw(l-^ = ACw

unter Durcheinanderwerfen von Differenzenquotienten und Differen- tialquotienten für den sog. „Grenzhang zum Verbrauch" den Ausdruck

dCw ̂ 1

d. h. es ist

diesen Ausdruck nennt Keynes den „Investitionsmulti- plikator".

Da der Multiplakator entsprechend seiner Abhängigkeit von

dG-_'Y (γ ,Λδ-ι dY^~[lw~{ÏW0~1)'

eine Funktion des Einkommens und des Verbrauches ist, ebenso wie auch der Einkommensverteilung, die ihrerseits ja den Verbrauch durch ihren Einfluß auf die Größe von δ bestimmt, so bedeutet das, daß eine Änderung der Einkommens höhe ebenso wie auch der Einkommens- verteilung - von anderen Einflüssen ganz abgesehen - zu einer Veränderung des „Grenzhanges zum Verbrauch" und damit zu einer Veränderung des „Multiplikators" führt. Dieser ist also keine feste Größe, sondern eine Variable, die ihrerseits wieder von verschiedenen Variablen abhängig ist. Er ist insbesondere, und hierauf müssen wir

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446 Albrecht Forstmann

hier mit allem Nachdruck hinweisen, keine Ursache, sondern nur der Ausdruck einer Folge der Einkommensverände- rung, d. h. er ist nicht kausaler, sondern nur sym- ptomatischer Natur.

Wenn Keynes daher vom Investitionsmultiplikator, wie et ihn abgeleitet hat, glaubt feststellen zu können *) :

w ι ( r λ m

2) *„ = cw + iw /

Δ Ya = ACW + ΔΙ. /

°w° - 71 ^^-rw

Jw yw Schaubild

„Er sagt uns, daß bei einem Zuwachs der Gesamtinvestition das Einkommen um einen Betrag zunehmen wird, der i-mal dem Zuwachs der Investition ist", so verwechselt er damit die Wirkung mit der Ur- sache.

Wir können uns die Zusammenhänge vielleicht am zweckmäßig- sten an Hand der graphischen Darstellung klarmachen, wie sie das Schaubild zeigt. Hier zeigt die Kurve 1 die Größe des Verbrauchs Cw

η J. Μ. Κ e y η β 8 , a. a. Ο. S. 98.

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Arbeit oder Beschäftigung? 447

als Funktion der Einkommensgröße Yw, und die Differenz zwischen der Kurve 2 und der Kurve 1 ergibt die Kurve 8, die ihrerseits die Größe desjenigen Teils des Einkommens als Funktion dieses Einkommens an- gibt, der nicht verbraucht, sondern der gespart wird und der hier als identisch mit der Investition angesehen wird.

Steigt nun also das Einkommen vom Wert Yw auf den Wert Y'w, d. h. ist die Zunahme des Einkommens gegeben zu

ay - y ν

so steigt der Verbrauch in dem betreffenden Gemeinwesen von Gw auf Cw', also um

AGW = Gw - Gw und die Ersparnis, die hier identisch mit der Investition angenommen ist, steigt dementsprechend «von Iw auf 1^, also um

Alw=l'w-Iw. Die Steigerung des Verbrauches ist also ebenso wie die Steigerung

der Investition eine Folge des gesteigerten Einkommens, d. h. die von Κ e y n e s oben angegebene Beziehung zwischen diesen Größen müßte unter Berücksichtigung des Kausalzusammenhanges lauten

AYw=tAGw + AIW und dementsprechend müßte allgemein die Investitionsänderung als Funktion der Einkommensänderung geschrieben werden

álw3=f(á7w), wobei der Doppelpfeil besagt, daß es sich hier um eine nicht umkehr- bare Funktion handelt. Wir können also sowohl den vorletzten Aus- druck für A Yw nicht einfach beliebig umformen, aber auch aus dem letztgenannten Ausdruck nicht durch Umformung nach AY^ eine Funktion von der Form

erhalten, ohne damit generell auch einen derartigen kausalen funktio- nalen Zusammenhang bestreiten zu wollen, nur läßt sich ein solcher nicht aus einerUmformung der vorletz- ten Kausalbeziehung nach A Yw erhalten, denn d«as hieße nichts anderes, als die Wirkungmit der Ursache verwechseln1).

*) Derartige „mcntumkehrbaren .Beziehungen sind bekanntlich in der Che-

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448 A 1 b τ e c ht Forstmann

Eine solche Umkehrbarkeit annehmen hieße hier unterstellen, daß alle diejenigen Voraussetzungen, die das eigentliche Problem erst aus- machen, als Folge erscheinungen automatisch erfüllt sein würden ; da das aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen der Fall ist, so heißt das, daß die angegebene Funktionalbeziehung nicht allgemein, sondern nur für einen Spezialfall umkehrbarist.

Im Verlauf der genannten Funktionalbeziehung ist kausal die Einkommenssteigerung die Ursache und die Investitionssteige- rung die Wirkung, d. h. bei einer Steigerung des Einkommens um AYW steigt die Investition um AIWt man kann aber nicht unter Zu-

grundelegung dieser Abhängigkeit sagen, daß man umgekehrt durch eine Steigerung der Investition um AIW eine Steigerung des Gesamt- einkommens um Δ Yw erhält, die &-mal so groß ist wie die Investitions-

steigerung, und hierbei auch automatisch ein echter und dauerhafter

Gleichgewichtszustand allgemeiner Art erreicht würde. Wir erkennen die Keynessche Schlußfolgerung am ein-

fachsten am praktischen Beispiel. Nehmen wir an, daß in einem Ge- meinwesen alle das gleiche Einkommen haben (das Durchschnittsein-

kommen) und alle den gleichen Betrag, und zwar 10% des Einkom- mens sparen, also nach Κ e y η e s investieren, so würde, wenn jeder zusätzlich 5$ EM. sparen würde - was den Prozentsatz der Ε r -

s ρ a r η i s praktisch nicht beeinflussen soll - , sein Einkommen da- durch um

Δ1 "1 - 0,9

d. h. also um 200 EM. steigen, was uns eine sehr beachtliche Verzin-

sung zu sein scheint. Die Umkehrung, die Κ e y n e s hier in kausaler Hinsicht vor-

nimmt, ist genau so unzulässig, wie wenn man aus der Tatsache, daß beim Autofahren das Tachometer eine der Geschwindigkeit des Autos

mie zur Kennzeichnung chemischer Reaktionen gebräuchlich. Wenn man hier ζ. Β. schreibt:

Na2COz + H2S0i =£ Na2SOi + Η 2O + CO2 so besagt das, daß, wenn man Soda mit Schwefelsäure behandelt, eine chemische Reaktion eintritt, als deren Ergebnis sich Glaubersalz, Wasser und Kohlendioxyd ergibt, daß man aber nicht umgekehrt aus einer Behandlung von Glaubersalz mit Wasser und Kohlendioxyd nun Soda und Schwefelsäure erhalten kann, d. h. hier gibt die eine Seite der Gleichung die Ursache und die andere die Wirkung an.

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Arbeit oder Beschäftigung? 449

entsprechend hohe Kilometerzahl anzeigt, nun schließen wollte, man brauche nur den Zeiger des Tachometers auf eine hohe Kilometerzahl zu stellen, um dem Auto dadurch eine entsprechend hohe Geschwindig- keit zu geben.

Wir bemerkten bereits, daß die Untersuchungen Keynes' auf solchen von Kahn aufgebaut sind. Dieser führt nun in seinen Unter- suchungen einen „Beschäftigungsmultiplikator"

ν-ΔΝ ~ÃN~2

ein, der besagt, daß eine durch vermehrte Investition veruraschte Stei- gerung des Beschäftigungsniveaus in der Investitionssphäre AN2 eine Steigerung des allgemeinen Beschäftigungsniveaus AN auf das k' -fache der partiellen Beschäftigungssteigerung in der Investitionssphäre ver- ursacht. Diese Beziehung ist sinnvoller als die von Κ e y η e s , bedingt aber ihrerseits, daß die Arbeitsintensität in allen Investitionsarten gleich und das Einkommen der Beschäftigungssteigerung propor- tional ist.

Κ e y n e s setzt nun einfach k = Je', also AYW _ AN AIW

~ AN2

und begründet dies mit der Behauptung, daß nor- malerweise

AYW _ AIW AN AN2

sei, d. h. er stellt fest, daß normalerweise das Verhältnis von Gesamt- einkommen zur Gesamtbeschäftigung gleich sei dem Verhältnis der Investition zur investitiven Beschäftigung. Der Fehler, den Keynes hier begeht, ist der, daß er zwei gänzlich verschiedene Kausal zu- sammenhänge derart miteinander in Verbindung bringt, daß er sie identifiziert, wobei er Wirkung und Ursache also in doppelter Hinsicht durcheinanderwirft, abgesehen davon, daß er sowohl die vorhandenen strukturellen Verhältnisse irgendwie berücksichtigt.

Eine solche Umkehrung von Kausalzusammenhängen und ihre un- begründete Identifizierung läßt sich am besten vielleicht durch fol- gendes Beispiel verdeutlichen:

Man kann bekanntlich einen Film von jemandem aufnehmen, der in der Badeanstalt vom Zehnmeterbrett ins Wasser springt, und man kann dann diesen Film auch rückwärts ablaufen lassen, so daß der

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 3. 29

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450 Albrecht Forstmann

Springer rückwärts aus dem Wasser auf das Zehnmeterbrett zu sprin- gen scheint, man kann aber dadurch noch nicht er- reichen, daß dieser Vorgang sich nun auch in der Wirklichkeit abspielt, den der rückwärtslaufende Film nur vortäuscht.

Die ganze hier vorgenommene Unterscheidung zwischen Ν und N2 erscheint uns aber auch im System der Keynesschen Defini- tionen deshalb wenig sinnvoll, weil nach Κ e y n e s ja alles das In- vestition darstellt, was nicht Konsum ist, so daß es hiernach über-

haupt nur investitive Beschäftigung geben kann, in diesem

Definitionssystem also N = N2

ex definitione ist, und dementsprechend die obigen formelmäßigen Be- ziehungen - definitionsgemäß wenigstens - keinen Platz zu finden vermögen.

Wenn man mit Aussicht auf Erfolg an die Lösung des quali- tativen Problems des totalen Gleichgewichts gehen will, - denn hierum handelt es sich hier ja - , dann kann die Basis eines solchen Versuchs nicht eine derartige mechanistische Umkehrung eines an- deren Kausalzusammenhanges sein, sondern dann muß das Problem zunächst einmal in seinen Ursachen, und zwar nicht nur

1. quantitativ, sondern auch 2. qualitativ

untersucht und hierbei sowohl eine Klärung in 1. innerwirtschaftlicher und 2. intervalutarischer

Hinsicht herbeigeführt werden. Wenn Keynes hier nur eine Sekundärwirkung prinzipiell fest-

gestellt haben würde, derart, daß eine Einkommenssteigerung eine durch Folgewirkungen gekennzeichnete vervielfachte Wirkung auf die Gesamtwirtschaft hat, so wäre das richtig, allerdings auch nicht neu gewesen. Sein Fehler liegt darin, daß er eine aus gänzlich anderen Kau- salzusammenhängen gewonnene, noch dazu rein quantitativ be- stimmte Beziehung behauptet und auch hierbei nur die Beschäftigung sieht, nicht aber auch untersucht, ob diese auch durch sinngemäßen Ausgleich der entsprechenden Ströme im wirtschaftlichen Kreislauf- vorgang wirtschaftlich als „Arbeit" legitimiert wird, d. h. er setzt die Erfüllung der das Problem erst ausmachenden qualitativen Bedingungen voraus, nimmt also eigentlich das an, was er der klassi-

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Arbeit oder Beschäftigung? 45J

sehen Theorie zum Vorwurf macht, nämlich daß sich jedes Angebot seine Nachfrage schaffe.

Es liegt uns natürlich gänzlich fern, behaupten zu wollen, daß eine Steigerung des Beschäftigungsumfanges in irgendeinem bestimmten Produktionszweig nicht zu einer Steigerung der Allgemeinbeschäftigung führen würde, die abhängig ist vom Grade der jeweiligen Bückwirkun- gen, und daß es sich hier nicht auch um „Arbeit" handeln könnte. I m Gegenteil müssen wir davor warnen, solche Ε ü c k wir k u ngen nicht in jeder Hinsicht zu be- rücksichtigen.

Wenn beispielsweise die Beschäftigtenzahl in irgendeinem Indu- striezweig 5% der Gesamtbeschäftigung beträgt und der durchschnitt- liche Eückwirkungsfaktor ist hier 0,8, so würde eine Einstel- lung dieser Beschäftigung - wenn man einmal von einer Umlagerung der Beschäftigung absieht - zu einem Eückgang der Gesamtbeschäftigung um 25% führen. Man darf diesen Schluß aber nun nicht einfach quantitativ umkehren, wenn man „A r b e i t" schaffen will. Wenn also bei einer Gesamtbe- schäftigung von 25 Millionen in einem bestimmten Herstellungszweige 5% also 1% Million beschäftigt sind, so würde eine Einstellung dieser Beschäftigung zu einem Eückgang der Gesamtbeschäftigung um 6% Millionen führen. Man kann aber nun nicht dadurch „A r b e i t" schaf- fen, daß man diese 6% Million Arbeitslose beschäftigt mit einer Tätig- keit, die nicht zu Gütern oder Investitionen führen, die ihre wirtschaft- liche Aktivlegititnation erst durch ihren normalen Absatz in* wirtschaftlichen Kreislaufvorgang erfahren ; das allein aber ist das eigentliche Problem.

Zwar mag die Einkleidung solcher Sekundärwirkungen in die von K e y n e s gewählte Form ebenso wie auch die Bezeichnungsart dem oberflächlichen Betrachter faszinierend erscheinen, aber das kann natür- lich nicht von der Verpflichtung einer exakten Analyse der Zusammen- hänge entbinden. Die hier zu beachtende vielfach mehr gefühlsmäßige Einstellung zu solchen Problemen, die meist nichts anderes ist als eine Ausrede für die eigene Unzulänglichkeit, kann allerdings eine Aufklä- rung nur erschweren. Ja man könnte es verstehen, wenn aus solchen Kreisen versucht werden würde, den klaren Sachverhalt durch Eedens- arten zu verdunkeln x).

1) Vgl. hierzu die typischerweise anonyme Kritik an der K e y υ e s - Kritik Webers, in: Die Deutsche Volkswirtschaft, 6. Jahrg., 1937, S. 326.

29*

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452 Albrecht Forstmann

Nach Keynes ist ja definitionsgemäß Investition alles das, was nicht verbrauch ist ; zu seinem Investitionsbegriff gehört also nicht nur die eigentliche Investition, also die Einrichtungen zur Erzeugung von Verbrauchsgütern - unmittelbar oder mittelbar - , die Produktions- stätten, sondern auch die durch sie erzeugten Produkte bis zu ihrefn Absatz als Verbrauchsgüter. Hiermit verwischt Keynes wichtige qualitative Bestimmungsgründe des Gleichgewichts insofern, als das richtige Verhältnis von Produktion und Investition bestimmend ist für ein dauerhaftes Gleichgewicht, soweit die einzelnen qualitativen Gleich- gewichtsvoraussetzungen hierbei erfüllt sind. Aber das ist wohl nur konsequent im Sinne der ganzen Keynesschen Betrachtungs- weise. Normalerweise aber wird auch in diesem Zusammenhang das als Investition angesehen, was zur Herstellung von Verbrauchsgütern mittelbar oder unmittelbar dient, ohne hierbei als Bestandteil in die Verbrauchsgüter einzugehen. Die Auffassung des Investitionsbegriffes in diesem Sinne scheint auch dem Begriff echter Ersparnis zu entspre- chen, also solcher, die nicht nur kurzfristige Depositen darstellen. Wir wollen in unseren folgenden Betrachtungen also den Investitionsbegriff auch so auffassen.

Betrachten wir die prinzipielle Möglichkeit der Erzeugung von Sekundärwirkungen durch eine Änderung in der Gütererzeugung, die zu einer Einkommenssteigerung führt, die ihrerseits ja die Vorausset- zung einer solchen Sekundärwirkung ist, so müssen wir feststellen, daß eine solche Eückwirkung einer partiellen Beschäftigungssteigerung auf das allgemeine Beschäftigungsniveau abhängig ist von

1. der Zahl der Mehrbeschäftigten und der hierdurch bedingten Einkommenssteigerung (insbesondere auch im Verhältnis zu dem von ihnen hergestellten Gütervolumen) und

2. dem Umfang und der Art der Eückwirkungen auf die Folge- industrien, die durch eine solche Mehrbeschäftigung und Ein- kommenssteigerung verursacht wird.

Hierbei ist natürlich, noch abgesehen von der Frage des Gleich- gewichtes, insbesondere des totalen Gleichgewichtes als anzustreben- der Dauerzustand.

Es ist generell nicht einzusehen, warum eine gleiche Beschäfti- gungssteigerung in der Produktion eine geringere Steigerung der Gesamtbeschäftigung verursachen soll, wie eine gleiche Steigerung der Beschäftigung in der Investitionssphäre, nur weil es dem Multi- plikator so gefällt. Und es ist weiter nicht einzusehen, warum eine

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Arbeit oder Beschäftigung? 453

Beschäftigungssteigerung in der Investitionssphäre eine stärkere An- fachung der Folgeindustrien verursachen soll, wie eine gleiche Be- schäftigungssteigerung in der Verbrauchsgüterindustrie, die ihrer- seits noch dazu viel eher die Tendenz einer Steigerung des Eealein- kommens - wenigstens zunächst - beinhaltet, als eine Steigerung der Investition, dies folgt sowohl aus dem Gesetz der zeitlichen Einkom- mensfolge 2), als auch aus der Tatsache, daß bei solchen Produktions- umwegen der mit Investitionen beschäftigte Teil der Beschäftigten von dem mit der Herstellung von Verbrauchsgütern beschäftigten mit- ernährt werden muß, soweit nicht entsprechende Vorräte zur Verfü- gung stehen. Das alles hat nicht das geringste mit dem Multiplikator und dem von ihm behaupteten besonderen Einfluß zu tun.

Man soll hier nicht etwa behaupten, daß eine Steigerung der Kon- sumgütererzeugung deshalb nicht das Eichtige sei, weil die Verteilung des Einkommens, wie sie sich aus der Bildkurve für Cw, also den „Hang zum Verbrauch* ' ergibt, keine Steigerung des Verbrauchs, son- dern nur eine solche der Investition erforderlich mache, denn dies wäre deshalb völlig abwegig, weil ja auch der Zweck der Investition letzten Endes nur die Herstellung von Verbrauchsgütern ist. Und wenn schon eine Steigerung der Verbrauchsgüterherstellung durch den vorhan- denen Produktionsapparat die Aufnahmekapazität bei Vollbe- schäftigung überschreiten würde, dann wäre natürlich die Erstel- lung neuer Verbrauchsgütererzeugungsstätten, also Investitionen erst recht sinnlos und könnte nur zu einer Eeduzierung des Produk- tionsvolumens pro Investitionseinheit führen - wenn man keine spä- tere Stillegung von Produktionsstätten annehmen wollte - d. h. man würde mit Eücksicht auf die nichtlineare Abhängigkeit zwischen Pro- duktionskosten und Produktionsvolumen die Produktionskosten pro Einheit der Erzeugung steigern, was prinzipiell betrachtet auf eine Senkung des Lebensstandards hinauslaufen würde, gleich wie eine solche monetär in Erscheinung träte.

Lautenbach stellt hierzu sehr richtig fest 2) : „Die Investitionsindustrie wird nicht unter dem Motto l'art pour

Tart betrieben; sie ist vielmehr die Ausrüsterin der Konsumgüter-

*) Vgl. O. v. Zwiedineck-Südenhorst, Die Arbeitslosigkeit und das Gesetz der zeitlichen Einkommensfolge, Weltwirtschaftliches Archiv, 34. Bd. (1931 II), S. 361 ff.

2) W. Lautenbach, Zur Zinstheorie von John Maynard Keynes, a. a. 0. S. 512.

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industrie. Ja das ist sogar im letzten Sinne allein ihre Aufgabe." Aber er zieht hier und auch in einer anderen Veröffentlichung *) über diese Fragen, die sich gegenüber der Keynesschen durch eine erheb- lich größere Klarheit der Darstellung und der Betrachtungsweise aus- zeichnet, nicht in dem erforderlichen Umfange die Konsequenz, daß das eigentliche Problem bei Störungen, die nicht durch anregende Maßnahmen zu einer Eigen heilung gebracht werden können, ledig- lich durch qualitative d. h. strukturelle Momente, gekennzeichnet ist, die das Problem bestimmen.

Im Falle einer konjunkturellen Beschäftigungs anregung werden investitive Maßnahmen, obgleich sie bei ganz präziser Be- trachtung allein nicht organisch im Sinne der erforderlichen struktu- rellen Gesamtentwicklung sind, deshalb im allgemeinen angewandt werden können, weil sie am bequemsten sind. Hier wirken sie ja auch nicht unmittelbar kausal, sondern nur stimulierend, d. h. hier handelt es sich im Gegensatz zu einer strukturellen Therapie, die ja ο r g a -

nischeEingriffe erfordert, wie wir dies weiter oben eingehend feststellten, lediglich um eine rein symptomatische Therapie, die hier ja nur Anregungs funktionen hat.

Im Falle einer strukturellen Störung aber sind Investitionen nicht deshalb erforderlich, weil aus rein quantitativen Momenten heraus also durch eine Beschäftigungssteigerung, die zu einer Ein- kommenssteigerung führt, eine entsprechend den Folgewirkungen ent- sprechende stärkere Beschäftigungssteigerung erreicht wird, sondern weil eine Umgestaltung der Struktur des Produktionsapparates ent- sprechend der die Strukturkrise kennzeichnenden strukturellen Dis- krepanzen erforderlich ist. Eine solche Umstellung aber erfordert nicht nur Neuinvestitionen, sondern auch das Ausscheiden an und für sich noch guter Anlagen, die aber aus strukturellen Gründen nicht mehr ausnutzbar sind. Es handelt sich also rein quantitativ um die Bein- investition - nicht im Sinne Keynes' - die sich ergibt als Diffe- renz zwischen der Neuinvestition und der durch die Strukturkrise bedingte Desinvestition - ebenfalls nicht im Sinne Keynes' - die nicht technisch, sondern wirtschaftlich bedingt ist. Diese Kein- investition kann natürlich auch an sich negative Werte annehmen.

Es ist weiter auch zu berücksichtigen, daß, wenn eine Steigerung des Beschäftigungsnivcaus zu einer verstärkten Einfuhr führt, für

1) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O.

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Arbeit oder Beschäftigung? 455

diesen Teil nicht nur keine zusätzliche Steigerung des inneren Be- schäftigungsniveaus eintritt, sondern daß es dann, wenn nicht eine äquivalente Exportsteigerung zu erreichen ist, oder sonst intervaluta- rische Ausgleichsmittel zur Verfügung stehen, und zwar in ausreichen- dem Maße zur Verfügung stehen, über die intervalutarischen Eück- wirkungen zu einer Steigerung des Preisniveaus und damit zu einer Senkung des Eealeinkommens mit entsprechenden Eückwirkungen auf die Ersparnisse kommen wird, woran auf die Dauer, weder Eingriffe in das Preisniveau noch solche in das Währungsniveau etwas zu ändern vermögen, denn beide sind ja nicht Ursachen son- dern nur Symptome; und der Versuch, ursächliche Zusammen- hänge durch eine Beeinflussung solcher Symptome verändern und bes- sern zu wollen, wäre nicht anders zu beurteileu wie der Versuch eines Arztes, das Fieber dadurch heilen zu wollen, daß er das Fieberthermo- meter auf Eis legt.

Zwar erwähnt Κ e y n e s solche intervalutarischen Momente, so- weit sie das Beschäftigungsniveau betreffen, wenn er sagt1):

„In einer offenen Wirtschaftsordnung mit Handelsbeziehungen zum Ausland wird ein Teil des Multiplikators der vermehrten Inve- stition der Beschäftigung in fremden Ländern zugute kommen, weil ein Teil des vermehrten Verbrauches die günstige Zahlungsbilanz un- seres eigenen Landes vermindern wird, so daß wir bei der bloßen Be- rücksichtigung der einheimischen Beschäftigung, im Gegensatz zur Weltbeschäftigung, die volle Zahl des Multiplikators vermindern müs- sen. Andererseits mag unser eigenes Land einen Teil dieses Abganges durch günstige Eückwirkungen zurückerlangen als Folge der durch den Multiplikator im fremden Land verursachten Zunahme in der wirtschaftlichen Tätigkeit." Aber Κ e y n e s vermag weder aus dieser Tatsache, noch auch aus anderen den Schluß zu ziehen, der sich hier naturnotwendig ergibt, nämlich den, daß sein „Multiplikator" auch quantitativ deshalb eine wenig brauchbare Größe ist, weil er Ausnah- men zuläßt, und eine mathematische Funktional- beziehung mit Ausnahmen ist eine contradic- tio in adjecto, denn man kann nun einmal bei der rechnerischen Behandlung von Problemen keine Vernachlässigungen vornehmen, die das eigentliche Problem erst ausmachen; das ist bei der rechnerischen Behajidlung wirtschaftlicher Probleme ebenso unzulässig wie bei der

*) J.M. Keynes, a.a.O. S. 102.

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Behandlung naturwissenschaftlicher Probleme. Und wenn Κ e y n e s daher wie hier die das Problem erst ausmachenden strukturellen Zu- sammenhänge bei der Aufstellung seiner Funktionalbeziehungen ver- nachlässigt, so ist das ebenso unzulässig, wie wenn man - um ein Bei- spiel aus der technischen Physik zu wählen - bei der Untersuchung von Phasenverzerrungen im Übertragungsgang der elektrischen Nach- richtenübermittlung längs Leitungen quasistationäre Verhältnisse un- terstellen wollte.

Ein weiteres Moment intervalutarischer Eückwirkungen, das ins- besondere für deutsche Verhältnisse von besonderer Bedeutung ist, berücksichtigt Keynes hingegen in seiner „allgemeinen*

* Theorie gar nicht, nämlich die Tatsache, daß unter bestimmten und leider nicht nur theoretischen, sondern überaus praktischen Voraussetzungen durch solche Eückwirkungen das, was man erreichen will, naturnot-

wendig und automatisch verhindert wird. Auf solche Tatsachen wurde auch von uns früher ausdrücklich hingewiesen *), ebenso ist auch von anderen gerade hierauf aufmerksam gemacht worden. So stellt bei-

spielsweise G r ä ν e 1 1 fest 2) : „Jede Stärkung des Binnenmarktes führt zu einer Produktionssteigerung, diese führt ihrerseits zu ver- mehrter Eohstoffeinfuhr. Die Mittel zur Bezahlung dieser Mehrein- fuhr sind aber nicht vorhanden. "

Auch Lautenbach weist hierauf hin, wenn er feststellt 3) :

„Der wirtschaftliche Prozeß kann sich mit- hin nur dann ohne bedenkliche Eeibungen und

Spannungen . . . abwickeln, . . . wenn Ausfuhr- waren im Wert der verbrauchten Auslandsgü- ter erzeugt und - das ist das Entscheidende -

im Ausland abgesetzt werden." Ebenso kennzeichnet auch Ε ö ρ k e diese Probleme auch noch

in anderer Hinsicht, wenn er feststellt 4) : „Die Wahrheit ist, daß die gegenwärtige Proportion von Binnen-

*) A. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. 0. S. 12 f.

2) W. G r ä ν e 1 1 , Der Zwang zur Ein- und Ausfuhr, Europa- Wirtschaft, 3. Jahrg., 1932, H. 3.

3) W. L a u t e η b a c h , a. a. υ. ». 2t>. 4) W. R ö ρ k e , German commercial Folicy, .London 1VM4; zitien οβΐΑ.υ»·

b i a t i , Die Krise und die deutsche Handelspolitik, Ztschr. f. Nat.-Ök., Bd. VI, Heft 3, 1935, S. 369.

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Arbeit oder Beschäftigung? 457

und Außenhandel keineswegs stark zugunsten des ersteren verändert werden kann, ohne daß die Grundlagen der wirtschaftlichen Struktur Deutschlands eine Erschütterung erleiden. Man darf auch nicht ver- gessen, daß gerade der zur Ausfuhr gelangende Teil der industriellen Erzeugung derjenige ist, der nach dem Gesetz der wachsenden Pro- duktivität die unbedingt notwendige Voraussetzung für die unver- minderte Aufrechterhaltung der industriellen Produktion selbst bildet. Auch deshalb, weil dieser Teil ja zur Bezahlung der Einfuhr der Eoh- stoffe und Halbfabrikate dient, die bei der Herstellung der Fertig- waren unentbehrlich sind.**

Es muß also eine strukturelle Umgestaltung des Produktions- apparates durchgeführt werden, entweder in Eichtung einer verstärk- ten Ausfuhrgütererzeugung zwecks Bezahlung der erforderlichen Koh- stoffeinfuhren, oder aber - wenn die objektiven Voraussetzungen hier- zu vorhanden sind - in Eichtung der Eigenherstellung solcher Eoh- stoffe. Auf solche strukturellen Umstellungsnotwendigkeiten wurde von uns ja wiederholt hingewissen *).

Unter dem Druck der am praktischen Geschehen gewonnenen Er- fahrungen ist man ja auch zu einem System von Maßnahmen gekom- men, die auf eine Umlagerung der produktiven Kräfte hinzielen, wie sie durch den neuen Vierjahresplan gekennzeichnet sind.

Es hieße aber aus der Not eine Tugend machen, wollte man eine solche Entwicklung, die verursacht ist durch den äußeren Zwang, unter dem wir leben, als wirtschaft- lich zweckmäßig oder gar erstrebenswert auch vom politischen Stand- punkte aus gesehen, betrachten, wie dies leider vielfach und insbeson- dere von Leuten geschieht, die glauben, in den Forderungen Friedrich Lists nach Förderung der nationalen Produktivkräfte eine Aktivlegi- timation für solche Ansichten gefunden zu haben, gefunden zu haben in einer Theorie und hieraus sich ergebenden praktischen Folgerungen, die man dann unter Verwechselung wirtschaftlicher und technischer Produktivität 2) und weil man ihren wahren Sinn offenbar nicht ver- standen hat, mehr schlagwortmäßig irrational als wirtschaftlich - und auch politisch - rational auszulegen sucht. Aber auch hier verderben Schlagworte die Wahrheit ebenso wie Falschgeld die Wirtschaft.

*) Vgl. A. Forstmann, Wege zu nationalsozialistischer Geld-, Kredit- und Währungspolitik, a. a. O. ; Der Kampf um den internationalen Handel, a. a. O.

2) Vgl. zu dieser Unterscheidung: A. Forstmann, Über produktive und nichtinflatorische Kreditgewährung, a. a. O. S. 543 f.

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458 Albrecht Forstmann

Bei der Beurteilung der Listschen Forderung nach Förderung der nationalen Produktivkräfte berücksichtigt man nämlich nicht, daß er eine solche Förderung der „Manufakturkraft*

* eines Landes nicht schlechthin gefordert hat, sondern daß er eine solche Förderung nur insoweit verlangt, als sie auch standortsmäßig legitimiert, also auch à la longue betrachtet, wirklich produktiv im wirtschaft- lichen Sinne ist, so beispielsweise, wenn er sagt *) :

„Im allgemeinen dürfte anzunehmen sein, daß da, wo eine Ge- werbeindustrie bei einem anfänglichen Schutz von 40 - 60% nicht auf- kommen und bei einem fortgesetzten Schutz von 20 - 30% sich nicht auf die Dauer behaupten kann, die Grundbedingungen der Manufaktur- kraft fehlen/4

Wer daher die Ansichten und Forderungen Friedrich Lists als eine zur Freihandelstheorie in diametralem Gegensatz stehende Schutzzoll- „Theorie" bezeichnet, der hat ihn entweder nicht gelesen oder nicht verstanden, denn für List ist, wie er selber sagt, „Schutzzoll der Weg, Freihandel das Ziel".

Wenn auch nicht behauptet werden soll, daß Κ e y n e s Einflüsse der hier gekennzeichneten Art nicht erkannt hätte, so hat er sie doch bei seinen Untersuchungen und den sich hieraus ergebenden Vorschlä-

gen staatlicher Investitionen nicht in dem erforderlichen Umfange be-

rücksichtigt und darauf allein kommt es hier an. Wenn die Politik weiterhin aus außer wirtschaftlichen Er-

wägungen heraus vom Wege wirtschaftlicher Zweckmäßig- keiten abzuweichen gewillt ist, so ist das einzig und allein ihre Sache und unterliegt ebensowenig dem Urteil und der Kritik der Wissen-

schaft, wie es deren Aufgabe sein kann, außer wirtschaftliche Maß- nahmen wirtschafte wissenschaftlich zu vertreten; ihr unterliegt nur die Feststellung der wirtschaftlichen Grenzen solchen Handelns, deren Überschreitung auch die Erreichung der

politischen Ziele auf die Dauer unmöglich ma- chen würde und die daher auch der Staatsmann als Wahrer der Gesamtinteressen der Nation zu beachten hat2). Gerade in der Nichtbeachtung oder doch zum mindesten nicht ausreichenden Berücksichtigung solcher Tatsachen

*) F. L i s t , Das nationale System der politischen Ökonomie, Neudruck, 2. Aufl., S. 421, Jena 1910.

*) Vgl. hierzu auch A. Forstmann, über den Unterschied der Auî-

gaben und Ziele von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, a. a. O.

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Arbeit oder Beschäftigung? 459

liegt auch, wie wir bereits feststellten, einer der grundsätzlichen Fehler der Keynesschen Untersuchungen.

Es ist weiter richtig, wenn Keynes meint, daß „Schwan- kungen im Betrag der Investition, die einen verhältnismäßig kleinen Teil des Volkseinkommens ausmachen, Schwankungen in der Ge- samtbeschäftigung und im Gesamteinkommen hervorbringen können (soweit mit ihnen eine entsprechende Steigerung des Gesamteinkom- mens verbunden ist d. V.), die in ihrer Ausdehnung so viel größer als sie selbst sind" 3), aber es ist völlig unrichtig, diese Tatsache in irgend- einen Zusammenhang mit dem „Investitionsmultiplikator, wie Key- nes ihn definiert und ableitet, und es ist weiter völlig unrichtig, solche Erscheinungen lediglich auf die Investition beschränken zu wollen. Wenn Keynes daher hier von einem „Gesetz" spricht, durch welches quantitative Aussagen darüber gemacht werden, in welchem Umfange eine Hebung der allgemeinen Beschäftigung durch eine Hebung des investitiven Teils des Beschäftigungsniveaus deshalb verursacht werden soll, weil Einkommen, Verbrauch und Ersparnis unter bestimmten Voraussetzungen in einem bestimmten Verhältnis stehen, so ist das ein ganz grundlegender Irrtum insofern, als hier durch Umkehrung eines nicht umkehrbaren Funktionalzusammen- hanges die Wirkung mit der Ursache verwechselt wird.

Logisch ist die Art, in der Keynes hier Schlüsse zieht, charakterisierbar durch die Denkmethodik jenes Mannes, der aus der empirisch gewonnenen Erkenntnis : Wenn draußen die Sonne scheint, so setze ich einen Strohhut auf, nunmehr glaubt deduzieren zu können: also muß ich einen Strohhut aufsetzen, damit draußen die Sonne scheint.

Es ist dies die gleiche Art von „Logik", die S c h a c h t auf seiner „Königsberger Kede" vom 18. August 1935 ebenso klar wie treffend durch die Feststellungen charakterisierte:

„Es gibt eine moderne Theorie, die der Meinung ist, daß man um so reicher werde, je mehr Geld man ausgäbe. Diese Art Volkswirte ist genau so einzuschätzen, wie in der Technik die Erfinder des Perpetuum mobile."

Eechnerisch - oder wenn man so will „mathematisch" - aber ist der Irrtum Keynes' gekennzeichnet durch die Umkeh- rung eines allgemein nichtumkehrbaren Funktionalzusammenhanges,

8) J. Μ. Κ e y n e s , a. a. O. S. 104.

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460 Albrecht Forstmann

also durch die Umkehrung eines formelmäßigen Kausalzusammen- hanges, bei dem auf der einen Seite der Gleichung eine Ursache und auf der anderen eine Wirkung steht. Und weiterhin übersieht Κ e y n e s bei der Aufstellung und Diskussion seines Multiplikators die Tatsache, daß es sich hier nicht um so einfache Funktionalzusam- menhänge handelt, wie er dies hier annimmt, sondern um erheblich kompliziertere, um Abhängigkeiten von verschiedenen Variablen, die ihrerseits wieder untereinander abhängig sind, von denen also nicht eine, die von einer anderen abhängig ist, als konstant angenommen werden kann, während man diese andere verändert, die ist ζ. Β. der Fall, wenn Κ e y n e s „die bestehende Geschicklichkeit und die Menge der verfügbaren Arbeitskraft, die bestehende Qualität und Menge der verfügbaren Ausrüstung, die bestehende Technik, den Grad der Kon- kurrenz, die Geschmacksrichtung und Gewohnheiten der Verbraucher, den Nachteil verschiedener Intensitäten der Arbeit und der Tätigkeit der Leitung und Organisation sowie den gesellschaftlichen Aufbau ein- schließlich der Kräfte, welche die Verteilung des Volkseinkommens bestimmen* *

l) voraussetzt. Vielleicht erklärt sich aus einer solchen Nichtberücksichtigung gegenseitig abhängiger Variabler auch die Ab- neigung Keynes' gegen die Anwendung der partiellen Differential- rechnung, die bekanntlich besonders geeignet ist, Vorgänge, die von verschiedenen Variablen abhängig sind, in Eichtung der einzelnen Variablen zu klären, wenn er meint, daß solche partiellen Differen- tiale „voraussetzen, daß sie alle verschwinden" 2); denn wenn sie alle verschwinden so können sie ja dem, dem sie unsympathisch sind, keine Probleme mehr aufgeben.

Diese Tatsachen sind deshalb besonders wichtig, weil es sich hier nicht um nebensächliche Betrachtungen im Eahmen seiner Gesamt- theorie handelt, sondern weil sie die Basis seiner ganzen Theorie der Beschäftigung und besonders die Basis seiner „praktischen*

* Vor- schläge bilden, weil also Keynes auf solchen unrichtigen Voraus- setzungen eine Kette von im wesentlichen folgerichtigen Schlüssen aufbaut, die aber naturgemäß wegen ihrer unrichtigen Voraussetzungen zu unrichtigen Eesultaten führen müssen, die dann, da Keynes die Konsequenzen hier auch zieht, den besten Beweis für die Eichtig- keit der vorliegenden Feststellungen bilden.

Wenn wir oben feststellten, daß eine Steigerung des partiel- }) J. Μ. Κ e y n e s , a. a. Ο. S. 205. 2) J. M. Κ e y n e s , a. a. Ο. S. 252.

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1 e η Beschäftigungsgrades im allgemeinen eine stärkere Steigerung des allgemeinen Beschäftigungsgrades verursacht, so ist da- mit natürlich noch nichts darüber gesagt, ob eine solche Steigerung des technischen Beschäftigungs umfanges auch eine Steigerung des wirtschaftlichenArbeitsgrades bedeu- tet. Dies setzt vielmehr voraus, daß auch die entsprechenden quali- tativen, strukturellen Bedingungen erfüllt sind, wie wir sie früher durch das Gesetz der fallenden Absatzintensität gekennzeichnet hatten, und die Κ e y η e s , wie wir immer wieder feststellten, bei seinen Betrach- tungen völlig vernachlässigte, obgleich sie erst das eigentliche Problem ausmachen.

Sind die zu erfüllenden strukturellen Voraussetzungen nicht ge- geben, so ist das durch eine solche Beschäftigungs-, nicht auch Arbeits- Steigerung verursachte „Gleichgewicht" kein echtes, sondern nur ein Pseudogleichgewicht, es hat nur die Fassade, nicht aber auch die innere Fundierung, die das wirkliche Gleichgewicht erst kennzeichnet; und wir verstehen nunmehr wohl auch, warum wir eingangs unserer Be- trachtungen feststellten, daß Κ e y n e s hier gegenüber der von ihm angegriffenen klassischen Theorie insofern einen prinzipiellen Fehler begeht, als er annimmt, daß bei Voll beschäftigung auch immer ein echtes Gleichgewicht erreichbar sei. Besonders klar werden wir dies auch dann noch erkennen, wenn wir die Schlußfolge- rungen betrachten, zu denen Κ e y n e s infolge seiner mechanisti- schen Betrachtungsweise bei der Anwendung seiner Erkenntnisse auf praktische Vorgänge kommt.

Da der Multiplikator, wie festgestellt, nichts anderes ist, wie die rein symptomatische Anzeige darüber, wie Einkommen, Verbrauch und Investition bei normaler und ungestörter Wirtschaftsentwicklung miteinander in Beziehung stehen, und er, wie Κ e y n e s ihn definiert, durch nichts anderes bestimmt ist, wie durch das, was er den „Grenz- hang zum Verbrauch" nennt, so besagt natürlich auch dieser nichts hinsichtlich des Einflusses einer partiellen Beschäftigungssteigerung auf die Gesamt beschäftigung. Die Meinung von Κ e y n e s , die, wie festgestellt, auf der unzulässigen Umkehrung eines gegebenen Kausal- zusammenhanges beruht, daß für

dCw

eine nur geringfügige Investitionsankurbelung zur Vollbeschäftigung führen müßte, während für

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dCw dYw

selbst große Schwankungen in der Investitionssphäre nur zu ganz geringen Schwankungen des allgemeinen Beschäftigungsniveaus füh- ren würden, ist daher auch unbegründet und zwar deshalb, weil nicht die 'Beschäftigungssteigerung, sondern nur die Einkommenssteigerung bestimmend ist für die Sekundärwirkungen.

Aber auch mit dieser von ihm aufgestellten Funktionalbeziehung setzt sich Κ e y n e s insofern in Widerspruch, als er meint *) :

„In Wirklichkeit scheint der Grenzhang zum Verbrauch irgend- wo zwischen diesen beiden äußeren Grenzen zu liegen, obschon viel näher der Einheit als dem Nullpunkt, mit der Folge, daß wir in einem gewissen Sinne die schlechteste von beiden Welten haben ; die Schwan- kungen in der Beschäftigung sind beträchtlich und gleichzeitig ist der für die Erzeugung von Vollbeschäftigung erforderliche Zuwachs in der Investition zu groß, um leicht gehandhabt zu werden."

Wenn Lautenbach gelegentlich einer Diskussion Haberler- scher Feststellungen meint, „die Annahme einer Verbrauchsquote von 1 ist a priori imaginär' *

2), so scheint uns dies einmal an sich un- zutreffend und ist weiterhin auch insofern unrichtig, als der Multipli- kator Keynes' nicht durch die Verbrauchs quote CwjYw, son- dern durch die Verbrauchsänderung dGwjdYw also das bestimmt wird, was Keynes den „Grenzhang zum Verbrauch " nennt; und wenn man für diesen den Wert 1 annimmt, wie Keynes dies ja auch sel- ber bei der Diskussion des Multiplikators tut, so ist es unter Berück- sichtigung der Art der Definition des Multiplikators und seiner Ab- hängigkeit von der Investitionssteigerung im Sinne der Keynes- sehen Betrachtungsweise durchaus richtig, festzustellen, daß für dCw/dYw = 1 die unendlich kleine Investitionssteigerung dlw aus- reicht, um Vollbeschäftigung zu erzielen.

Aber auch eine Verbrauchsquote von 1 ist durchaus nicht als „a priori imaginär" zu bezeichnen, denn wenn ein Gemeinwesen mehr verbraucht als sein Einkommen beträgt, wenn also eine Abnahme des Sozialproduktes stattfindet, das Gemeinwesen also von früheren Re- serven lebt, so ist die Verbrauchsquote wirtschaftlich gesehen sogar größer als 1.

*) J. M. Keynes, a.a.O. S. 101. -*) W. Lautenbach, Zur Zinsztheone von John Maynard Heynes, a. a. ü.

S. 510.

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Page 90: Arbeit oder Beschäftigung? Kritische Betrachtungen zu J. M. Keynes' „Allgemeiner Theorie der Beschäftigung“

Arbeit oder Beschäftigung? 463

Im ersteren Falle, d. h. für dCw _AGW dYw~AYw I1'

wäre dann bei einer Zunahme des Einkommens AGW = AYW

und bei einer Abnahme des Einkommens AGW = - AYw.

Im letztgenannten Falle, d. h. für

- >1

wäre dann der Verbrauch gegeben zu

also gleich der Differenz zwischen Einkommen und Desinvestition ( - Iw), d. h. Verbrauch vorhandener Keserven, die nicht ersetzbar sind.

Auch hier zeigt sich die unzweckmäßige Art der Definition der In- vestition durch Κ e y n e s , die ja alles umfaßt, was außer Bargeld nicht Konsum ist, die also nicht jene Posten wie Läger an Eohstoffen, Halb- und Fertigfabrikaten usw. umfaßt, die ausschlaggebend wichtig gerade für die hier interessierenden Untersuchungen von Ungleichge- wichtszuständen sind.

Wenn Lautenbach hier Verbrauchsquote und Verbrauchs- änderung nicht unterscheidet, so liegt dies vielleicht an seiner Art der Definition der Sekundärwirkung, denn er definiert seinen Sekundär- wirkungskoeffizienten - wenn man sich der Keynesschen Schreibweise bedient - zu 2)

wobei wir bemerken, daß dieser Sekundärwirkungskoeffizient Lau- tenbachs wenigstens insofern sinnvoller definiert ist als der Mul- tiplikator Keynes', als er nicht von der Beschäftigung, sondern vom Einkommen ausgeht. Allerdings berücksichtigt auch Lauten- b a c h u. a. nicht die Frage, ob eine solche Zunahme der Beschäfti- gung, die ihrerseits solche Sekundärwirkungen auslöst, auch wirt-

*) W. Lautenbach, Über Kredit und Produktion, a. a. O. S. 25.

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schaftlich als Arbeit legitimiert ist, d. h. ob die u r s ä c h 1 i c h e Be- schäftigungssteigerung dies ist, denn bei den Sekundärwirkungen ist dies im allgemeinen der Fall. Also auch hier ist das eigentliche Problem bestenfalls implizite als erfüllt angesehen. In diesem Sinne haben daher beide Arten der Sekundär wir- k ungs k ο e f f i zi en t en , der Keynessche Multipli- kator ebenso wie der L au tenbachsche Ausdruck mehr beschreibenden als erklärenden Wert, der die eigentliche Grundlage der Theorie ist1).

Dem Paradoxon, daß unter Berücksichtigung eines großen Wertes des Multiplikators und dementsprechendem Einfluß, in einem armen Gemeinwesen eine geringe Beschäftigungszunahme in der Investitions- sphäre zur Vollbeschäftigung führen müßte und das Κ e y η e s auch an sich anerkennt 2), versucht er dadurch zu entgehen, daß er hier eine sehr große Arbeitslosenzahl annimmt, die mit steigender Beschäfti- gung und demzufolge steigendem Einkommen immer mehr spart und somit den Multiplikator mit steigendem Beschäftigungsvolumen re- duziert. Abgesehen von dieser mechanistischen Betrachtungsweise und der einfachen Gleichsetzung von Beschäftigungs- und Einkommens- steigerung ist dem auch entgegenzuhalten, daß man, wenn man zu brauchbaren Vergleichen kommen will, auch gleiche Bedingungen an- nehmen muß, also auch bei einem Vergleich mit einem reichen Gemein- wesen relativ gleiche Arbeitslosenzahlen und deren Veränderung an- nehmen muß.

Gegen diese Keynessche Argumentation über die Abnahme des Multiplikators in einem armen Gemeinwesen mit großer Arbeits- losenzahl und steigendem Beschäftigungsumfang ist aber folgendes zu sagen :

Κ e y n e s meint, daß bei großer Arbeitslosenzahl und zuneh- mender Beschäftigung der Multiplikator und damit die Wirkungen jeder weiteren investitiven Beschäftigungseinheit deshalb abnähmen, weil aus dem nunmehr vergrößerten Einkommen ein immer geringerer Anteil als vorher verbraucht und ein immer größerer gespart werden würde, so daß also

»-('-£Γ *) Vgl. A. Forstmann, Über die Aufgaben deT theoretischen National-

ökonomie, a. a. O. ; siehe dort auch weitere Literatur. 2) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 106 f.

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deshalb abnähme, weil dCw/dYw mit zunehmendem Einkommen fällt.

Sehen wir von der Tatsache ab, daß eine Beschäftigungszunahme nur dann zu einer relativen Steigerung der Ersparnisse führen wird, wenn hierdurch eine Steigerung des Durchschnittseinkommens eintritt, das Keynesja bekanntlich bei der Bestimmung seines Hanges zum Verbrauch und damit auch seines Multiplikators nicht berücksichtigt, so ist die Folgerung Κ e y n e s an sich eine richtige Folgerung aus sei- ner rechnerischen Beziehung, wenn man annimmt, daß die Steige- rung des Gesamteinkommens - infolge proportionaler Steigerung des Durchschnittseinkommens - proportional wäre. Das würde aber andererseits auch bedeuten, daß, wenn man trotz zu- nehmender Beschäftigung das Durchschnitts- einkommen derart senken würde, daß das Ge- samteinkommen und «omit auch der Multipli- kator konstant bleibt, auch die anregenden Wirkungen jeder weiteren aufgewandten inve- stitivenBeschäftigungseinheitauf dieGesamt- b e s c h ä f t i gu η g unabhängig von der Verände- rung der Arbeitslosenzahl konstant bleiben müßte, oder, wenn man den Einfluß des Durch- schnittseinkommens berücksichtigte, sogar noch zunehmen müßte.

Unserer Ansicht nach wird allerdings einmal eine steigende Be- schäftigung bei gleichem Durchschnittseinkommen keine Verände- rung der Verbrauchsquote und auch keine Änderung des Grenzhanges zum Verbrauch verursachen und damit auch keine Änderung des Multiplikators bewirken, während andererseits ein abnehmendes Durchschnittseinkommen als Folge eines konstanten Gesamteinkom- men bei zunehmendem Beschäftigungsumfang nicht die sich aus der Keynesschen Beziehung ergebenden Folgen habe würde, d. h. sie wird nicht zu einer Steigerung der allgemeinen Nachfrage führen, die ja nur die Folge gesteigerten Einkommens ist, und sie wird daher auch nicht generell zu einer Steigerung des Beschäftigungsumfanges führen, die größer ist als die zusätzliche partielle Beschäftigungssteigerung, sondern nur zu einer Umlagerung der Nachfrage in Eichtung der Gü- ter mit unelastischem Bedarf. Ob hierdurch eine Steigerung des Be- schäftigungsniveaus verursacht wird, die stärker ist als die partielle Beschäftigungssteigerung ist abhängig vom Verhältnis der Arbeits-

Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 3. 30

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Intensitäten in den durch die Umlagerung betroffenen Produktions- zweigen.

Wir brauchen aber gar nicht einmal so weit zu gehen, denn die Schlußfolgerungen, die Κ e y n e s , wie oben angegeben, zieht, gel- ten nur für steigende Durchschnittseinkommen der Bezieher niedriger Einkommen vor allem. Denn wenn die Beschäf fcigungsmenge von bis- her Ντ von ihrem Einkommen beispielsweise drei Viertel verbrauchte und es tritt nunmehr eine Beschäftigungssteigerung derart ein, daß die

Beschäftigungsmenge auf den Wert N2 ansteigt, wobei die einzelnen Beschäftigten denselben Lohn erhalten wie vorher, so ist nicht einzu- sehen, warum nun infolge des gestiegenen Gesamt einkommens eine Änderung der Einkommensverwendung bei den einzelnen Be-

schäftigten eintreten sollte, denn von ihnen erhält ja jeder einzelne nach wie vor das gleiche Einkommen. Außerdem nimmt ja Κ e y - η e s auch an, daß der Hang zum Verbrauch sich nicht ändere. Bleibt also unter Berücksichtigung gleicher Einkommensverteilung das Durch- schnittseinkommen konstant, wie es dann der Fall ist, wenn, wie an-

gegeben, das Beschäftigungsniveau bei gleichbleibendem Lohn jedes einzelnen Beschäftigten von Nx auf N2 ansteigt, und ist hierbei für die

Beschäftigungsmenge N± bzw. N2 der Verbrauch G1 bzw. G2, so ist

dC1 _ ΔΟ _ dC2 _ ~dT

~ ΊΫ

" ΊΫ x ~ 2

d. h. bei steigendem Gesamteinkommen aber

gleichem Durchschnittseinkommen, also glei- chem Lohn pro Beschäftigten bleibt bei Stei-

gerung des Beschäftigungsumfanges der „M u 1 -

t i ρ 1 i k a t ο r" konstant, ja es besteht sogar prinzipiell die Möglichkeit einer Zunahme des Multiplikators mit Kücksicht darauf, daß die Zunahme des Gesamteinkommens hier ja vornehmlich auf einer Steigerung der niedrigen Einkommen beruht. Die angegebene Behauptung Keynes' vom fallenden Wert des Multiplikators in einem solchen Falle ist also unrichtig, und die von Keynes hier als paradox zugegebenen Verhältnisse bleiben bestehen. Nur dann könnte eine Eeduzierung des Wertes des „Multiplikators" im angegebenen Sinne eintreten, wenn mit der Zunahme der Beschäftigungssteigerung eine gleiche Steige- rung des Durchschnittseinkommens parallel gehen würde, oder wenn - · unter Berücksichtigung der nichtlinearen Abhängigkeit zwischen

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Arbeit oder Beschäftigung? 467

Produktionskosten und Produktionsvolumen - eine entsprechende Senkung des Preisniveaus der Lohngüter eintreten würde.

Passen wir unsere Betrachtungen über diesen Punkt, also über die Wirkungen einer Beschäftigungssteigerung in einem armen Ge- meinwesen mit großer Arbeitslosenzahl und steigendem Beschäfti- gungsumfang unter Berücksichtigung der Keynesschen Voraus- setzungen kurz zusammen, so können wir feststellen, daß eine Deduk^ tion der sich aus diesen Punktionalbeziehungen ergebenden Wirkungen zu der ,, Erkenntnis" führen muß, daß die Sekundärwirkungen einer Beschäftigungssteigerung um so größer sein müssen, je mehr man ihre Voraussetzungen - die ja einzig und allein durch die Einkommens'- steigerung und ihre Rückwirkungen gekennzeichnet sind - reduziert. Auch hieraus ist wohl zu erkennen, was von der Art und Ableitung des Multiplikators im Eahmen der Keynesschen Betrachtungsweise zu halten ist.

Κ e y n e s konstruiert dann noch einen Zusammenhang zwi- schen Vollbeschäftigung und Preisniveau 1) :

„Wenn die Vollbeschäftigung erreicht ist, wird irgendwelcher Versuch, die Investition noch weiter zu vermehren, eine Neigung der Preise erzeugen, grenzenlos und unabhängig vom Grenzhang zum Verbrauch zu steigen, das heißt, wir werden einen Zustand wahrer Inflation erreicht haben. Bis zu diesem Punkt werden jedoch steigende Preise mit einem zunehmenden Gesamtrealeinkommen verbunden sein", was bedeuten würde, daß die Einkommen stärker steigen ak die Preise. Als Begründung dieser Behauptung bezeichnet Keynes die folgenden Feststellungen 2) :

„Wenn eine weitere Zunahme in der wirksamen Nachfrage keine weitere Zunahme in der Produktion hervorruft und ausschließlich auf eine Zunahme in der Lohneinheit im vollen Verhältnis zur Zunahme in der wirksamen Nachfrage wirkt, haben wir einen Zustand erreicht, der zutreffend als ein Zustand wahrer Inflation bezeichnet werden könnte. Bis zu diesem Punkt ist die Wirkung der geldlichen Ausdeh- nung völlig eine Frage des Grades, und es gibt keinen früheren Punkt, an dem wir eine bestimmte Linie ziehen und erklären können, daß Zu- stände der Inflation eingesetzt haben. Jede frühere Zunahme in der Geldmenge wird wahrscheinlich, insofern sie die wirksame Nachfrage

x) J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 101. η J. M. Keynes, a.a.O. S. 256.

30*

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vermehrt, teilweise durch eine Vermehrung der Kosteneinheit und teilweise durch eine Vermehrung der Produktion wirken. "

Wenn Κ e y n e s hier meint, daß eine steigende Nachfrage ohne Produktionssteigerung zu einer Inflation führen müßte, so ist dies eine Frage, die mit der Vollbeschäftigung überhaupt nichts zu tun hat, sie setzt voraus, daß in steigendem Maße unproduktive oder nicht reproduktive Vorhaben mit Krediten durchgeführt werden, d. h. es ist einzig und allein eine Frage der betriebe- nen Kreditpolitik.

Wenn bei Vollbeschäftigung eine verstärkte Investition oder auch eine solche der Produktion durchgeführt werden soll, so bedingt dies zunächst einmal als objektive Voraussetzung, daß entweder

1. Arbeiter von der Herstellung anderer a) Verbrauchsgüter oder b) Investitionen wegengagiert werden, oder daß

2. ein technischer Fortschritt Arbeitskräfte zu neuer Beschäfti- gung freimacht, oder daß

3. Arbeitskräfte aus dem Auslande herangezogen werden. Daß ein solcher Vorgang unter allen Umständen zu Preissteige-

rungen führen m ü ß t e ist unrichtig und erst recht ist es unrichtig behaupten zu wollen, daß er zu einer Entwicklung inflationistischen Charakters führen müßte, denn eine solche ist einzig und allein eine Folge expansiver Kreditpolitik, die eine Einkommenssteigerung ver- ursacht, die stärker ist als die· Steigerung des Gütervolumens *).

Bei unbeeinflußter Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung in innerwirtschaftlicher und intervalutarischer Hinsicht erfolgt die Bremsung einer Abweichung vom Gleichgewicht weg aus der Gestal- tung der wirtschaftlichen Entwicklung selber heraus, womit nicht be- stritten werden soll, daß infolge der vorhandenen Trägheitsmomente Abweichungen vom Gleichgewicht zwischenzeitlicher Art damit ver- bunden sein können, nur wird hierdurch keine Entwicklung inflatio- nistischen Charakters verursacht, sondern eine solche ist ledig- lich eine Frage der betriebenen Kreditpolitik. Eine Veränderung des Eealeinkommens aber ist lediglich eine Folge der Veränderung des Verhältnisses von Einkommensvolumen zu Gütervolumen und, so- weit nicht besondere exogene Einflüsse vorhanden sind, eine Frage

x) Vgl. hierzu auch A. Forstmann, Über produktive und nichtinflato- rieche Kreditgewährung, a. a. 0., insbesondere S. 559 ff.

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der technischen Veränderung des Produktionsverfahrens, also ab- hängig davon, ob ein technischer Fortschritt oder ein technischer Eückschritt vorliegt, der auch gekennzeichnet sein kann durch das Moment der degressiven bzw. progressiven Kosten.

Nur dann werden solche bei freier wirtschaftlicher Entwicklung relativ automatisch wirkenden Bremskräfte nicht wirksam werden kön- nen, wenn die Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung in irgend- einer Weise durch außerwirtschaftliche Kräfte bestimmt wird. Dann aber ist die Frage einer eventuellen inflationistischen Entwicklung, in der die eintretende Senkung des Lebensstandards monetär in Erschei- nung tritt, eine solche der Finanzierung.

Hier wird nämlich die Finanzierung außerwirtschaftlicher Vor- haben nicht auf dem normalen Wege der Beanspruchung des Kapital- marktes möglich sein, da die Voraussetzungen hierfür, die durch aus- reichend günstige Erwartungen hinsichtlich der Rentabilität gekenn- zeichnet sind, nicht vorhanden sind. Hier wird dann „eine weitere Zu- nahme in der wirksamen Nachfrage keine weitere Zunahme in der Pro- duktion hervorrufen* ' und daher letzten Endes unabhängig von der Art der Finanzierung zu einer Senkung des Lebensstandards führen müssen, die bei kreditärer Finanzierung solcher Vorhaben durch eine Entwicklung inflationistischer Natur in Erscheinung tritt, womit nichts über die relative Zweckmäßigkeit der einzelnen Finanzierungs- arten gesagt sein soll. Es ist bei kreditärer Finanzierung natürlich für die endgültigen Wirkungen völlig gleichgültig, auf wel- chem Wege und in welcher Form und Verschachtelung solche Kredite praktisch in Erscheinung treten, denn die endgültigen Folgen können hierdurch nicht geändert werden. Die als Folge sol- cher Maßnahmen schließlich unvermeidbare inflationistische Ent- wicklung hat natürlich nichts mit Vollbeschäftigung zu tun, sondern ist lediglich bedingt durch die Veränderung des Verhältnisses von produktiver bzw. reproduktiver Beschäftigung zur unproduktiven Be- schäftigung, soweit solche mit Krediten finanziert wird, denn hier- durch tritt dann die in allen Fällen sich ergebende Senkung des Lebensstandards monetär eben als In- flation in Erscheinung.

Die Liquidisierung der Wirtschaft, die als Vorstufe solcher Ent- wicklung sich ergeben wird und die sich meist auch in einer Zunahme der Kreditoren bei den Großbanken zeigt, eine Zunahme, die im ein- zelnen Falle meist ein Zeichen der Kapitalbildung, im Falle konjunk-

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tureller Entwicklung ein Zeichen der Bedarfssättigung ist, ist in einem solchen Falle ein Zeichen des Verzehrs von Eeserven, der mit künst- licher Kaufkraft finanziert ist.

Wir haben eine solche Entwicklung im Kriege und in der Nach- kriegszeit in ihren Folgen ja in aller Deutlichkeit erleben können, denn auch im Kriege wurden alle vorhandenen Eeserven zu - wirtschaft- lich gesehen - konsumtiven Zwecken verbraucht und solche Vor- gänge wurden durch Schaffung künstlicher Kaufkraft finanziert, die dann durch „Konsolidierung" zwar zunächst als kinetische Kaufkraft unwirksam gemacht wurde, durch die aber die Wirkungen nur zeit- lich verschoben werden konnten um dann später in bekannter Weise als Inflation in Erscheinung zu treten. Ob man das, was man e r - lebte allerdings auch in seinen inneren Zusammenhängen und Ver- ursachungen erkannte um daraus für die Zukunft zu lernen das ist die Frage auf die es ankommt, denn wenn die wirtschaftlichen Eeserven eines Gemeinwesens schon im Frieden verbraucht werden, dann ist in einem eventuellen Kriegsfalle nichts mehr vorhanden, auf das man zurückgreifen könnte1).

Die geistige Verfassung der sogenannten „Praktiker* * allerdings hat, wie die Geschichte zeigt, in solchen Fällen kaum eine Wandlung erfahren, wie dies auch Κ e y η e s feststellt 2) :

„Die Kriegszeit war ferner gekennzeichnet durch ein außerordent- lich starres Festhalten der ,gesunden' Finanzleute an der Vorstellung eines ,gesamten Bankgeldvolumens*. Man glaubte ... zu jener Zeit ganz allgemein, daß die Inflation vermieden werden würde, wenn alte Damen, die seit Jahren Geld in Gestalt fester Depositen bei ihren Ban- ken gehabt hatten, veranlaßt werden könnten, diese aus patriotischen Gründen dem Schatzamt im Austausch gegen Kriegsanleihe zu über- lassen; denn auf diese Weise würde jede Erhöhung des gesamten Bank- geldvolumens vermieden werden.'*

Aber auch in solchen Irrtümern ist man dann vielfach nicht kon- sequent, dann nämlich nicht, wenn man die „Konsolidierung** solcher liquiden Gelder dadurch wieder aufhebt, daß man eine neue Liquidi- sierung auf dem Wege der offenen Marktpolitik ermöglicht.

Alle solche Vorgänge können natürlich letzten Endes nicht da- durch in ihren Wirkungen aufgehoben werden, daß man ihre Sym- ptome zu manipulieren versucht, denn eine solche Manipulierung be-

*) Vgl. hierzu auch J. Jessen, a. a. 0. «) J. Μ. Κ e y η e s , Vom Gelde, a. a. 0. S. 439.

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*) Vgl. Α. Forstmann, Der Kampf um den internationalen Handel, a.a.O. S.5.

) vgl. hierzu auch A. Forstmann, Über die Aufgaben der theoretischen Nationalökonomie, a. a. O., und Über den Unterschied der Aufgaben und Ziele von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, a. a. O.

Arbeit oder Beschäftigung? 47 J

dingt ja nicht eine natürliche Entwicklung, sondern ist lediglich eine Frage der Macht, während eine kausale Beeinflussung eine Frage des Verstandes ist, die die Erkenntnis der Zusammenhänge voraussetzt. Eine Bekämpfung der Symptome ist deshalb natürlich auch leicht, weil man sie sehen kann, während eine Erkenntnis der Ursachen zum Nachdenken verpflichtet, und das ist nicht jedermanns Sache und es scheint denen am allerwenigsten zu liegen, die glauben, in der Tatsache, daß sie als „Praktiker* * einige privat wirtschaft- liche Erfolge aufzuweisen haben, eine Aktivlegitimation zu ν ο 1 k s - wirtschaftlichem Handeln sehen zu können, während im allgemeinen das Gegenteil als Eegel gesetzt werden kann. Ja, wir müssen auch hier, wie schon früher *), feststellen, daß das, was wir heute überall auf der Welt erleben nichts anderes ist, als eine kaum überbietbare Bankerott- erklärung der Methode, volkswirtschaftliche Probleme größten Aus- maßes aus der Froschperspektive privatwirtschaftlicher „Erfahrung* '

und schablonenhafter kaufmännischer und banktechnischer Eoutine lösen zu wollen 2).

Wir hatten oben festgestellt, daß eine Entwicklung „inflationi- stischen** Charakters ebensowenig eine Folge der Vollbeschäftigung, wie überhaupt eine solche güterseitiger Vorgänge an sich ist. In seiner Begründung geht daher Κ e y n e s auch nicht auf Vollbeschäftigung ein, sondern, wie wir sahen, nur auf das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, wobei er allerdings auch hier die Wirkung mit der Ursache verwechselt, denn er müßte aus seiner Betrachtung den Schluß ziehen, daß solche Divergenzen zwischen Angebot und Nachfrage nur dann eintreten können, wenn entweder die Produktion oder die Investition ohne Berücksichtigung der Gestaltung der Nachfragestruktur aus- gedehnt worden wäre, wie es beispielsweise dann der Fall sein würde, wenn man das gesamte Beschäftigungsniveau durch eine lediglich am Symptom des Multiplikators also quantitativ orientierte In- vestitionssteigerung glaubt heben zu können, um hierdurch einen dauerhaften Gleichgewichtszustand zu erhalten. Aber das würde auch ohne Vollbeschäftigung der Fall sein, ohne dadurch eine Inflation be- dingen zu müssen, wenn nicht, wie gesagt, Vorgänge kreditärer Natur

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die durch solche Maßnahmen auf alle Fälle bedingte Senkung des Lebensstandards auf dem Wege der Inflation erzwängen.

Unsere voraufgegangenen Feststellungen zeigten schon in aus- reichender Deutlichkeit, was von dem „Multiplikator" und seinem Einfluß, wie Κ e y n e s ihn definiert und abgeleitet hat, zu halten ist ; diese Erkenntnisse aber werden noch deutlicher und widerspruchs- freier, wenn man sich die „prakti sehen* *

Folgerungen ansieht, zu de- nen Κ e y n e s auf der Basis solcher Überlegungen kommt und auch kommen muß.

D. Arbeit oder Beschäftigung. Wenn wir gerade die vorliegenden Betrachtungen durch die un-

seren Gesamtuntersuchungen überschriebene Gegenüberstellung kenn- zeichnen, so geschieht dies deshalb, weil in ihnen die mechanistische Betrachtungsweise Κ e y n e s und seine durch die Verwechselung der Wirkung mit den Ursachen gekennzeichneten Prämissen am besten und prägnantesten auch für diejenigen in Erscheinung treten, die die Zusammenhänge selber nicht in genügender Deutlichkeit und Klarheit zu übersehen vermögen.

Wenn man hier einwenden wollte, daß Keynes mit solchen Feststellungen, wie wir sie nachfolgend noch zu betrachten haben, nur gewisse theoretische Irrtümer - insbesondere solche geldtheoretischer Natur - habe ironisieren wollen, so scheint uns eine solche Ansicht durch nichts begründet, wenigstens nicht im Prinzip. Vielmehr erge- ben sich die hier von Keynes gezogenen Folgerungen notwendig aus seinen ganzen vorhergehenden Deduktionen, was ernsthaft kaum bestritten werden dürfte. Wer das nicht zu erkennen oder zu verstehen vermag, der hat die Ausführungen Keynes zumindest nicht auf- merksam genug gelesen.

Aber auch dann, wenn man die Ergebnisse, zu denen Keynes hier auf Grund seiner voraufgegangenen Untersuchungen kommt - und auch kommen muß, als „Überspitzungen*

* bezeichnet, die Keynes als solche durchaus erkannt hätte - , ob letzteres richtig ist, soll hier nicht geprüft werden - , so zeigt dies doch nur, daß die theoretischen Grundlagen, die zu solchen Ergebnissen zu führen ver- mögen, unrichtig sein müssen.

Daß Keynes solche Schlußfolgerungen, wie wir sie bei unseren folgenden Betrachtungen

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noch kennenlernen werden, selber zieht, ent- hebt uns der Mühe, sie von uns aus ziehen zu müssen und entbindet uns in dieser Hinsicht auch von der Notwendigkeit des Beweises, daß man auf der Basis der von Key n'es gegebenen theoretischen Grundlagen zu solchen Schluß- folgerungen kommen muß, da Keynes diesen Beweis hier selber mit anerkennenswerter Kon- sequenz zieht.

Wir möchten es an dieser Stelle nicht unterlassen, eine solche rücksichtslose Konsequenz, die sich auch an anderen Stellen seiner Untersuchungen zeigt, ausdrücklichst anzuerkennen, denn in ihr liegt zweifellos Größe, die mit manchem versöhnt, mit dem man nicht ein- verstanden zu sein vermag.

Auch wenn man meint, Keynes habe mit solchen Folgerungen wie er sie hier zieht, nur sagen wollen, es sei besser, überhaupt etwas zu tun als gar nichts zu unternehmen, berührt dies nicht das eigentliche Problem, denn selbst wenn man diese Annahme als richtig unterstellt, wäre sie - wie wir früher im einzelnen nachwiesen - nur in gewissen Grenzen zutreffend für konjunkturelle Störungen, niemals aber für solche struktureller Natur, denn hier müssen kau- sal therapeutische Maßnahmen ergriffen werden, lediglich solche sti- mulierender Natur können den endgültigen Zustand jedoch immer nur verschlimmern. Im Falle struktureller Störungen ist es da- her auch prinzipiell falsch, zu sagen, daß es besser sei irgend etwas zu tun als gar nichts. Hier muß man vielmehr feststellen, daß unge- legte Eier besser sind als faule.

Keynes meint hier zunächst l) : „Wenn es unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt, ist der Grenznach-

teil der Arbeit notwendigerweise niedriger als der Nutzen des Grenz- erzeugnisses. Er mag in der Tat viel niedriger sein. Für einen Men- schen, der lange arbeitslos war, mag irgendein Maß von Arbeit, statt Nachteil einzuschließen, einen positiven Nutzen haben.**

Hieraus schließt dann Keynes, ohne daß es uns möglich wäre, sowohl einen logischen Zusammenhang hiermit, wie auch eine logische Erkenntnis innerhalb dieser Schlußfolgerung selber erkennen zu kön- nen 2) :

*) J. Μ. Κ e y η e s , Allgemeine Theorie, a. a. 0. S. 109 f. 2) J.M. Keynes, a* a. O. S. 110.

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„Wenn das stimmt, zeigt die obige Beweisführung, wie , verlust- hafte' Anleiheausgaben das Gemeinwesen im Endergebnis trotzdem bereichern können. Das Bauen von Pyramiden, Erdbeben, selbst Kriege mögen dazu dienen, den Eeichtum zu vermehren*4 (Sperrung von uns).

Diese Art von „Gedanken" müssen natürlich zu der „Erkenntnis" führen, daß jede Art von Katastrophen, seien es Kriege, Erdbeben oder Feuersbrünste, das begrüßenswerteste, weil einfachste Mittel seien, um nicht nur bei einer vorhandenen großen Arbeitslosigkeit Vollbeschäftigung zu erreichen, sondern die auch „dazu dienen, den Eeichtum zu vermehren". Es wäre natürlich besser, eine Peuersbrunst zu entfachen als einen Krieg zu entfesseln, denn durch einen solchen würde man die Vorteile der durch ihn ja nach Κ e y n e s verursachten Eeichtumssteigerung auch dem Gegner bringen, wenngleich uns aus den Erfahrungen des letzten Krieges doch etwas anderes in Erinnerung geblieben ist.

Aber Κ e y n e s hat ja nicht nur solche gefährlichen Mittel, um sowohl Vollbeschäftigung zu erreichen, wie auch das Eealeinkommen und den Kapitalreichtum zu vermehren, sondern auch einfachere und weniger gefährliche, so, wenn er den Vorschlag macht x) :

„Wenn das Schatzamt alte Flaschen mit Banknoten füllen und sie in geeignete Tiefen in verlassenen Kohlenbergwerken vergraben würde, sie dann bis zur Oberfläche mit städtischem Kehrricht füllen würde und es dem privaten Unternehmungsgeist nach den erprobten Grundsätzen des laisser-faire überlassen würde, die Noten wie- der auszugraben (wobei das Eecht also zu tun, natürlich durch Offer- ten für die Pacht des Grundstückes, in dem die Noten liegen, zu er- werben wäre), brauchte es keine Arbeitslosigkeit mehr zu geben, und mit Hilfe der Eückwirkungen würde das Eealeinkommen des Gemeinwesens wie auch sein Κ a ρ i t a 1 r e i c h t u m wahrscheinlich viel größer als jetzt werden"

(Sperrung von uns). Warum aber dann erst ein so umständliches Verfahren, wozu ein

solches kindliches Versteckspiel ? ! Sollen die Arbeiter nur deshalb die

anonymen Forderungslegitimationen an das vorhandene Sozial-

produkt erst mühselig aus der Erde buddeln, damit sie eine „Be- schäftigung" haben, oder glaubt Κ e y n e s wirklich ernsthaft daran,

η J. Μ. Κ e y n e s , a. a. 0. S. 110.

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daß auf solche Weise „Arbeit" geleistet würde, also eine Vermeh- rung des vorhandenen Sozialproduktes stattfände ?

Warum gibt man den Arbeitern denn dann nicht lieber gleich die Noten, sondern verdeckt den Vorgang - wenigstens für den Laien - dadurch, daß man einen Pacht- und einen Beschäftigungs- vorgang dazwischen schiebt, oder ist dies lediglich durch den Multi- plikator bedingt ?

Wenn Κ e y n e s hier meint, daß „durch die Bückwirkungen" eine Vermehrung des Kapitalreichtums einträte, so verwechselt er in durchaus typischer Weise eine reine Anregungs funktion, die ja auch in einer unproduktiven oder nicht reproduktiven Beschäftigungs- beschaffung liegen kann - wie sie als reine Symptomal thérapie bei einer konjunkturellen Störung als Stimulanz durchaus geeignet sein kann, weil hier ja die strukturellen Vorbedingungen erfüllt sind, mit einer bei strukturellen Störungen allein möglichen Kausal thérapie, die weder an einem aus anderen Kausal- zusammenhängen abgeleiteten Multiplikator noch überhaupt nur quan- titativ orientiert sein darf, sondern die rein qualitativ bestimmt sein muß.

Daß bei dem Keynesschen Buddelvorschlag in seiner Grund- lage ein rein inflationistischer Vorgang vorliegt, der weder das Eeal- einkommen steigert, noch den Kapitalreichtum vermehrt, kann doch wohl kaum bezweifelt werden; denn das Ausbuddeln der alten Fla- schen kann doch auch vom größten Optimisten nicht als eine Steige- rung des Sozialproduktes bezeichnet werden, die ihrerseits einzig und allein die Grundlage einer Steigerung des Eealeinkommens und einer Vermehrung des Kapitalreichtums sein könnte. Es liegt hier doch nichts anderes vor, als eine durch das Mittel einer besonderen Art der Verteilung von Banknoten organisierte Veränderung der Ver- teilung des an sich schon vorhandenen Sozialproduktes, ohne daß dies irgendwie vermehrt würde, - im Gegenteil!

Und da behauptet dann Key η es noch1): „Die Analogie zwi- schen diesem Notbehelf und den Goldgruben der wirklichen Welt ist vollständig" 2). Mit einer solchen Verwechselung der Form mit dem

η J. Μ. Κ e y η e s , a. a. Ο. S. 110. *) Wir bestreiten nicht, daß hier eine gewisse Ironisierung geldtheoretischer

Ansichten vorliegt, aber diese Tatsache berechtigt noch nicht zu der Behauptung, daß alle hier betrachteten Feststellungen Keynes' lediglich ironisch zu werten seien ; sie sind vielmehr, wie bei ausreichender Aufmerksamkeit unschwer zu

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Inhalt kann er aber doch kaum mehr beweisen, als daß ihm der Unterschied zwischen der nur zirkulatorischen Befriedigungsmöglich- keit bei Banknoten und der sowohl zirkulatorischen als auch realen Befriedigungsmöglichkeit bei Gold wenigstens im Augenblick nicht gegenwärtig zu sein scheint. Wir empfehlen ihm hier doch einmal entsprechende Versuche hinsichtlich der Wirkungen beider Mittel im intervalutarischen Verkehr zu machen.

Schließlich meint Κ e y η e s noch x) : „Das alte Ägypten war doppelt glücklich und verdankte seinen

sagenhaften Eeichtum zweifellos dem Umstand, daß es zwei Tätig- keiten besaß, nämlich sowohl das Bauen von Pyramiden als auch das Suchen nach kostbaren Metallen, deren Früchte, da sie den Bedürf- nissen der Menschheit durch Verbrauch nicht dienen konnten, mit dem Überfluß nicht schal wurden."

Vielleicht wäre das alte Ägypten dreifach glücklich gewesen, wenn es schon damals die Untersuchungen Keynes' gekannt hätte, denn dann hätte es ja mit Eücksichfc auf die absolute Analogie zwischen Goldbergwerken und versteckten alten Flaschen nur nach solchen buddeln zu lassen brauchen und hätte hierbei noch den Vorteil gegen- über dem Goldvorkommen, daß es stets wußte, wo sich die alten Flaschen befanden.

Wir vermögen uns allerdings hier nur den Feststellungen an- zuschließen, die Herrn en s in seiner Kritik des Keynesschen Buches in die Worte faßt 2) :

„Seit wann berichtet uns die Wirtschafts- geschichte, daß die armen ägyptischen Bauern, die für eine Hand voll Eeis an den Pyramiden fronen mußten, dadurch reich geworden seien?"

Katastrophen oder nutzlose, weil unproduktive Beschäftigung, das sind die Mittel, die Keynes empfiehlt, um nicht nur die Arbeitslosigkeit zu überwinden, sondern um auch zu einer Steigerung des Ε eal ein ko mm en s und des Kapitalreichtums zu kommen.

Wenn diese Gedanken richtig wären, wie dankbar müßten ihm

erkennen ist, das logische und naturnotwendige Ergebnis der ganzen vorhergehenden Deduktionen.

*) J.M. Keynes, a.a.O. S. 111. 2) F. H. H e r m e n s , Der neue Keynes, Der österreichische Volkswirt,

Wien, 28. Jahrg. (1936 II), S. 939.

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die Staatsmänner der Erde sein, daß er ihnen solche gleich einfachen wie auch gründlichen und nützlichen Mittel gezeigt hat, das An- genehme der Beseitigung der Arbeitslosigkeit mit dem Nützlichen einer Eeichtumssteigerung zu verbinden, indem man entweder einen Krieg oder eine Feuersbrunst entfesselt oder aber auf eine etwas weniger gefährliche Art Banknoten in alte Flaschen versteckt und danach buddeln läßt.

Wie dankbar und zufrieden aber müßten sich dann allerdings auch angesichts einer solchen Theorie - wie Κ e y η e s meint - x) „deutsche Ökonomen fühlen, nachdem sie während all dieser Jahre ohne eine solche gelebt haben".

Uns will es allerdings, wenn wir unsere ganzen Betrachtungen überblicken, scheinen, als ob Κ e y n e s sich hier doch wohl ein wenig geirrt, dafür aber an einer anderen Stelle seines Buches um so mehr Eecht hat, nämlich dort, wo er meint2) :

„Es ist erstaunlich, was für einfältige Sachen man vorübergehend glauben kann, wTenn man zu lange für sich allein denkt, besonders in der Wirtschaft slehre."

Betrachten wir kurz die Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, wenn eine von Κ e y n e s behauptete Steigerung des Eealeinkommens oder eine Vermehrung des Kapitalreichtums gegeben sein soll. Eine Steigerung des Eealeinkommens findet immer dann statt, wenn das Sozialprodukt steigt, d. h. wenn diejenige Gütermenge steigt, die nach Menge und struktureller Zusammensetzung dem Bedarf kon- gruent ist. Eine Steigerung des Lebensstandards ist dann vorhanden, wenn eine solche Steigerung mit gleichbleibender oder sinkender Ar- beitsleistung verbunden ist. Dies setzt voraus entweder eine

1. besser organisierte Arbeitsmethodik oder 2. technischen Fortschritt. Der erstgenannte Fall ist besonders gekennzeichnet durch die Er-

reichung des Befcriebsoptimums, das mit steigendem technischem Fort- schritt sich auf immer höhere Werte des Produktionsvolumens ver- schiebt.

Die Durchführung von Vorhaben, die nicht der unmittelbaren Bedarfsbefriedigung dienen, erfordert das, was man „Kapital" zu nennen pflegt, aus dem die mit solchen Vorhaben Beschäftigten mangels eigener verwendbarer Produktion ihre Bedürfnisse befriedigen

x) J. Μ. Κ e y n e s , a. a. Ο. S. IX. *) J.M. Keynes, a.a.O. S. Vif.

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können. Solches Kapital aber ist nichts anderes als entweder auf- gespeicherte Eeserven von Verbrauchsgütern, in gewissem Umfange auch Eohstoffe usw. hierzu, oder solche unmittelbar aus der Produk- tion hervorgehenden Güter. In ersterem Falle ist das betreffende Kapital bereits früher gebildet worden, in letzterem Falle wird es unmittelbar gebildet, man lebt hier also gewissermaßen ,,νοη der Hand in den Mund".

Diese Unterhaltsversorgung einer Beschäftigtenzahl, die nicht mit der Herstellung unmittelbar verfügbarer Verbrauchsgüter beschäftigt ist, durch die Inanspruchnahme des nicht beanspruchten Ergebnisses früherer Arbeit, wie dies Böhm-Bawerk in seiner Theorie der „Produktionsumwege" herausgearbeitet hat1), oder durch unmittelbare Inanspruchnahme des Ergebnisses gegenwärtiger Arbeit anderer, die diese nicht selber konsumieren - wenn solche „Eeserven'

* früherer Arbeit nicht zur Verfügung stehen - , wird dann später durch das Herstellungsergebnis solcher langfristigen Vorhaben wieder wirtschaft- lich kompensiert, wenn solche Vorhaben produktiven oder reproduktiven Charakters sind; d. h. in einem solchen Falle handelt es sich, wenn man das Geld einmal wegdenkt, um einen Tauschvorgang mit zeitlich divergierender Leistung und

Gegenleistung, ein Vorgang, der in der Geldwirtschaft als gesun- der Kredit Vorgang erscheint.

Sind nun aber die Ergebnisse solcher Vorhaben, die zur Unter- haltung der mit ihnen Beschäftigten durch das Arbeitsergebnis anderer geführt haben, weder produktiv noch reproduktiv, so wird eine solche Unterhaltung zu einer endgültigen und damit echten Alimentie- r u η g. Die Kosten solcher Vorhaben, wie sie beispielsweise durch „un- produktive staatliche Investitionen", also Vorhaben mit wirtschaft- lich konsumtivem Charakter gekennzeichnet sind, müssen also vom

produktiven Teil der Wirtschaft getragen werden; bei ihnen ist also keine Arbeit geleistet, sondern nur Beschäftigung ausgeführt worden.

Wer das natürlich nicht zu verstehen vermag und daher auch zu bestreiten versucht, der wird kaum zu einer Beurteilung und erst recht nicht zu einer Lösung des eigentlichen Problems kommen können, da er schon in der Erkenntnis der Voraussetzungen versagt. Dies liegt

*) Vgl. hierzu auch die wiederholt erwähnte Theorie der Ausreifezeiten von W. Ε u c k e η , a. a. O.

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wohl daran, daß man sich durch die im allgemeinen vorhandene Wirtschaftlichkeit der Sekundärwirkungen über die U η Wirtschaftlichkeit der verursachenden Maßnahmen hinwegtäuschen läßt. Eine solche Vernachlässigung des Einflusses der Primärmaßnahmen ist aber nur dann möglich, wenn sie keine kausale, sondern nur stimulierende Funktionen erfüllen und demzufolge im Rahmen der Gesamtentwicklung entsprechend klein bleiben. Ist das aber nicht der Fall, so führen solche unproduktiven oder nicht re- produktiven Maßnahmen nur zu einer veränderten Verteilung eines gegebenen Sozialproduktes, d. h. einer entsprechenden Senkung des Lebensstandards der mit produktiven Vorhaben Beschäftigten.

Man ist in der Unfähigkeit, solche Tatsachen zu erkennen, aber nicht einmal immer konsequent. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn man einerseits in oben genannten Irrtümern befangen ist, also bestreitet, daß die produktiv Tätigen die Kosten für unproduktive Vorhaben tragen müßten, andererseits aber durchaus richtig erkennt, daß die Durchführung solcher unwirtschaftlicher Vorhaben und ihre Finanzierung auf dem Kreditwege das Entstehen einer inflationisti- schen Entwicklung beinhaltet, in der sich ja nur die Tatsache dokumen- tiert, daß die Kosten solcher Vorhaben nichtwirtschaftlicher Art von der übrigen gesunden Wirtschaft getragen werden müssen, was sich naturgemäß in einer Senkung des Lebensstandards äußern muß, der dann eben als Senkung des Realeinkommens hier in Form einer In- flation in Erscheinung tritt. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Wir- kungen ist es natürlich gleichgültig, ob man Arbeitslosenunterstützung zahlt oder für gleiche Beträge unproduktive Vorhaben ausführen läßt, das gilt ebenso hinsichtlich der 8ekundärwirkungen, die in beiden Fällen vorhanden und bei gleicher Einkommensgestaltung im einzelnen auch gleich sein werden.

Wenn Vorhaben ausgeführt werden sollen, die den Kapitalreich- tum und das Realeinkommen vermehren sollen, so ist dies nur bei solchen der Fall, für die die oben angegebenen Voraussetzungen zu- treffen, d. h. wenn solche „Investitionen4 * die Vergrößerung des Sozial- produktes insgesamt gesehen möglich machen, daß also auch nicht, wie es bei den strukturell bedingten intervalutarischen Rückwirkungen der Fall ist, eine gesteigerte Erzeugung ihre Voraussetzungen auto- matisch abbremst.

Sind die Vorhaben nicht produktiven oder nicht reproduktiven Charakters, so wird auch eine normale Finaiizierung nicht möglich

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sein, weil solche Vorhaben nicht rentabel sind, sondern einfach nur einen Konsum darstellen. Sie erfolgt entweder durch

1. Kaufkraft Schöpfung, 2. Anleihen, 3. Steuern,

wobei man versuchen wird, die erst ere Art der sogenannten „Vor- finanzierung" durch Anleihen oder Steuern zu „konsolidieren* ' bzw. ab- zudecken.

Was hier hinsichtlich der Kompensation einer solchen Vorfinan- zierung durch Steuern zu sagen ist, läßt sich kurz durch die Pest- stellungen Lautenbachs ausdrücken x) :

„Müßte man aber in großem Stil neue Steuern einführen oder bestehende Steuern erhöhen, um die schwebende Schuld herab- zudrücken und die Gefahr der Überliquidisierung der Wirtschaft zu bannen, so könnte unter Umständen der wohlgemeinte Versuch, künf- tigen kritischen Entwicklungen vorzubeugen, alsbald selbst eine Krise erzwingen."

Und das gilt sinngemäß auch für den Versuch einer „Konsoli- dierung" solcher Vorfinanzierung durch Anleihen, soweit man über- haupt damit Erfolg zu haben vermag.

Es ist, wie wir bereits feststellten, einer der primitivsten Irrtümer sogenannter „Praktiker", anzunehmen, daß eine Kreditausweitung dann immer gefahrlos sei, wenn die „Konsolidierung" also die Ab- deckung oder die Umwandlung in Pestanlagen gewährleistet sei. Dieser Irrtum beruht auf der weiterhin unrichtigen Annahme, daß jede Kon- solidierungsmöglichkeit einzig und allein nur von der natürlichen Kapitalbildung abhängig sei. Solche Annahme aber ist nur dann richtig, wenn die Kredite, die durch solche „Konsolidierung" ab- gedeckt werden sollen, auch tatsächlich „Kapital" Charakter haben und nicht nur Konsumtivkredite sind. In diesem Falle würden die genannten Grundsätze der „Praktiker" denen jenes Mannes gleichen, der dadurch seine Schulden los zu werden wähnte, daß er sie prolon- gieren ließ.

Es ist selbstverständlich, daß die Deckung der Kosten staatlicher Maßnahmen gleich ob durch Steuern oder auf dem Wege der Anleihen das disponible Beineinkommen des Gemeinwesens und damit auch die Möglichkeit der Ersparnisbildung reduzieren, also die finanziellen Vor-

*) W. L a u t e η b a c h , a. a. O. S. 29.

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aussetzungen wirtschaftlicher Investitionen, wie sie die er- forderliche Umlagerung der produktiven Kräfte integrierend bedingt, entsprechend verschlechtern. Das Schwinden der wirtschaftlichen Kräfte als Kennzeichen eines krisenhaften Zustandes der Wirtschaft, kann aber nicht dadurch beseitigt werden, daß man diese Schwindsucht durch Steuern, Lasten und ähnlich wirkende Mittel zu einer galop- pierenden macht.

Nur insoweit kann eine Verteilung der Kosten für unwirtschaft- liche Vorhaben auf dem Anleihewege über einen längeren Zeitraum erreicht werden, als hierdurch nicht die Grenzsteuerkraft überschritten wird. In allen Fällen aber ist die letztliche Folge solcher Maßnahmen eine Senkung des Lebensstandards, die, wenn man sie auch auf kurze Zeit vielleicht auszuschalten vermag - solange man nämlich auf frühere Eeserven zurückgreifen kann - dann um so stärker in Er- scheinung treten wird, je länger man sie aufzuhalten vermochte. Ebensowenig wie man als einzelner dadurch etwas für die Zukunft erreichen kann, daß man einen hohen Lebensstandard nur durch Ab- hebungen von einem noch vorhandenen Sparbestand finanziert, ebenso- wenig kann ein Gemeinwesen dadurch etwas für die Zukunft leisten, daß es einen durch nichts gerechtfertigten hohen Lebensstandard da- durch auf eine gewisse Zeit noch aufrechterhalten kann, daß es seine noch vorhandenen Eeserven aufzehrt, d. h. die objektiven Produk- tionsvoraussetzungen, die integrierende Vorbedingung jeder Möglich- keit eines Wirtschaftens sind, verbraucht.

Wenn ein solcher Verbrauch objektiver Produkt ions Voraussetzun- gen, die insgesamt das darstellen, was man „Kapital" nennt, nicht dazu benutzt wird, Einrichtungen zu schaffen, und überhaupt alle Maßnah- men zu treffen, deren praktisches Ergebnis der mindestens voll- ständige Ersatz eines solchen Verbrauches ist 1), so wird ein der- artiges Verfahren - auch wenn es in seinen endgültigen Wirkungen dem Laien zunächst noch durch eine wirtschaftliche Scheinblüte ver- borgen bleiben sollte - schließlich zu einem völligen Zusammenbruch jedes Wirt schaf tens führen müssen, dessen Effektuierung in zeitlicher Hinsicht abhängig ist von der Höhe der anfangs vorhandenen Produk- tionsvoraussetzungen und dem Grade, in dem ihr Verbrauch fortlau- fend ersetzt werden kann 2).

*) Die hier interessierenden Zusammenhänge hat Eucken in seiner wiederholt angegebenen Theorie der Ausreifezeiten eingehend untersucht.

■) Vgl. hierzu auch J. Jessen, a. a. 0. Finanzarchiv. N. F. 5. Heft 3. 31

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Der Zeitraum, nach dessen Ablauf ein solcher Zustand eintreten wird, weil er eintreten muß, ist dann bei Unterstellung eines kontinuier- lichen Verlaufs einer solchen Entwicklung gegeben zu

wobei ρ das Verhältnis der anfangs vorhandenen zu den in der jeweils betrachteten Periode verbrauchten Produktionsvoraussetzungen und η den verhältnismäßigen Ersatz eines solchen Verbrauches bedeutet. Hierbei ist dann t die Anzahl der betrachteten Perioden, bei jährlicher Periodenwahl also der Jahre, nach deren Ablauf der angegebene Zu- stand eintreten wird. Wir verweisen hier auch auf das, was wir eingangs unserer Betrachtungen über den Bedingungszusammenhang zwischen Lebensstandard, Bevölkerungskapazität und Gütervolumen gesagt haben.

Den Ausdruck 1 - η könnte man als Gegenstück zum Investi- tionsmultiplikator als den „Pleitenmultiplikator" bezeichnen.

Die objektiven Produktionsvoraussetzungen, die hier interessieren, sind in erster Linie Eohstoffe und innervalutarische Forderungslegiti- mationen auf solche, denn vorhandene Produktionsmittel, die ja auch in diese Kategorie gehören, können auch nur ausgenutzt werden, wenn die erstgenannte Art vorhanden ist. Wenn ein solcher Verbrauch ob- jektiver Produktionsvoraussetzungen erst soweit vorgeschritten ist, daß hierzu ein angesichts der Wirtschaftsstruktur integrierend erfor- derlicher intervalutarischer Kapitalbesitz in Anspruch genommen wird, so lassen sich die statistischen Unterlagen, die die oben angegebene formelmäßige Berechnung erfordert, verhältnismäßig einfach erfassen.

Es ist eine der verhängnisvollsten Unterlassungen der Keynes- sehen Untersuchungen, solche grundsätzlichen Zusammenhänge in seiner Theorie gar nicht berücksichtigt zu haben. - Oder sollte eine solche Berücksichtigung in seiner Fest- stellung liegen: „In the long run we are all dead?"

Beschäftigung kann man zwar auf solche Weise schaffen, und wenn Κ e y n e s nur diese meinen würde, dann hätte er recht, aber offenbar ist dies nicht der Fall, denn er behauptet ja eine Steige- rung des [Realeinkommens ebenso wie auch des Kapitalreichtums.

Arbeit aber, die allein eine Steigerung des Eealeinkommens ebenso wie auch des Kapitalreichtums zu bringen vermöchte, kann man auf diese Weise nicht schaffen. Die ganze Keynessche

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Theorie, wie er sie hier am praktischen Ergebnis zeigt, kann man daher am treffendsten durch die Feststellungen Spenglers charakteri- sieren x) :

„Da ist das Schlagwort der Abschaffung' der Arbeitslosigkeit, der Arbeitsbeschaffung' - von überflüssiger und zweckloser Arbeit nämlich, da es notwendige, ertragreiche und zweckvolle unter diesen Bedingungen nicht mehr gibt - , und niemand sagt sich, daß die Kosten dieser Produktion ohne Absatz, dieser Potemkinschen Dörfer in einer Wirtschaftswüste, wieder durch den Steuerbolschewismus einschließlich der Herstellung fiktiver Zahlungsmittel von den Besten des gesunden Bauerntums und der städtischen Gesellschaft eingetrie- ben werden müssen."

Es ist Κ e y n e s vorbehalten geblieben, die hier gekennzeich- neten Gedanken in die Form einer „wirtschaftlichen Theorie" zu fassen; sie hat - wenigstens in ihrem hier untersuchten Teil - für die praktische Wirtschaft kaum eine andere Bedeutung, wie es für die Technik das Perpetuum mobile hat.

Angesichts dieser Tatsachen können wir nur der Hoffnung Aus- druck verleihen, daß die praktischen Folgen dieser „All- gemeinen" Theorie der Beschäftigung als solcher, mit denen wir uns hier im einzelnen beschäftigt haben, auf die Sensation beschränkt bleiben, die ihr Erscheinen verursacht hat.

IV.' Schlußwort.

Überblicken wir rückschauend unsere Betrachtungen und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse, so können wir zusammenfassend etwa folgendes feststellen, wobei wir auch hier nochmals bemerken möchten, daß sich unsere Feststellungen vornehmlich auf jenen Teil der Keynesschen Untersuchungen beziehen, die die Theorie der Beschäftigung als solche betreffen:

Κ e y ne s ist der Ansicht, neue wirtschaftstneoretische Zusammen- hänge entdeckt und neue Erkenntnisse gewonnen zu haben, welche sich von denen der Klassiker der theoretischen Nationalökonomie grundsätzlich unterscheiden. Der wesentlichste Vorwurf, den Key- η e s der klassischen Nationalökonomie, die bei ihm im übrigen eine völlig Undefinierte Summation einer Vielzahl von Lehrmeinungen dar-

*) 0. S p e n g 1 e r . a. a. O. S. 127 f. 31·

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stellt, macht, ist der, sie habe angenommen, daß im Gleichgewichts- zustand immer Vollbeschäftigung herrsche. Dies ist abgesehen von der Unrichtigkeit einer solchen Behauptung auch deshalb eine durchaus schiefe Darstellung und unrichtige Betrachtungsweise, weil die Klassi- ker nicht Ungleichgewichtszustände als solche untersucht haben, son- dern nur die Kräfte und Tendenzen, die zum Gleichgewicht, und zwar zum totalen Gleichgewicht strebten. Ihre Theorie war damit im wesentlichen durch Betrachtungen der „long-run* '-Entwicklung ge- kennzeichnet, während Κ e y n e s vor allem die zwischenzeitlichen Veränderungen betrachtet, also nur die „short -run* '-Entwicklung sieht, die er aber, - und hierin besteht auch sein grundsätzlichster Feh- ler - in durchaus unzulässiger Weise verallgemeinert. Die Kritik der klassischen Nationalökonomie durch Κ e y n e s - ebenso wie auch durch seinen Interpreten und Verteidiger Lautenbach - ist da- her auch völlig unbegründet und beruht im wesentlichen auf einer unzureichenden Abgrenzung der Probleme.

Der prinzipielle Fehler aber, den Κ e y n e s bei seinen Unter- suchungen macht, ist zunächst der, daß er Vorgänge, die exogen, d. h. außer wirtschaftlich verursacht sind, zur Basis einer „Theorie** wirtschaftlicher Zusammenhänge und Entwicklungsbedin- gungen zu machen versucht. Der Ausgangspunkt seiner unrichtigen Betrachtungen liegt also schon vornehmlich in den Prämissen, die vor allem auch durch eine völlig unrichtige Betrachtung der Ursachen und Zusammenhänge der augenblicklichen Strukturkrise gekennzeichnet ist, zu der Keynes vielleicht durch die Betrachtung der Symptome der englischen Krise verführt wird.

Der von Keynes betrachtete Zustand ist kein solcher wirt- schaftlicher Entwicklungsnotwendigkeiten, sondern es ist ein außer- wirtschaftlich bedingter Ausnahme zustand, und gerade dadurch, daß er einen solchen Ausnahmezustand im Eahmen einer Theorie wirt- schaftlich bestimmter Zusammenhänge zu erfassen versucht, kommt er nicht nur zu völlig abwegigen wirtschaftlichen Konzeptionen, son- dern er vermag auch weder den Ausnahmezustand zu erklären, noch Mittel zu seiner Beseitigung anzugeben, die wirtschaftlicher Zielsetzung entsprechen, sondern seine Therapie ist ebenso wie seine Diagnostik lediglich an Symptomen orientiert. Er liefert somit bestenfalls eine Beschreibung des betrachteten Ausnahmezustandes, ohne diesen aber erklären zu können; und er kommt schließlich auch zu einer durchaus willkürlichen Vermengung wissenschaftlicher und politischer Gesichts-

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punkte, deren Unrichtigkeit und Bedenklichkeit wir bereits früher im Prinzip aufzuzeigen versuchten *).

Wenn Lautenbach die Vorwürfe, die Κ e y n e s in dieser Hinsicht von seinen Kritikern gemacht werden, in die Worte faßt *) :

„Man warnt vor Κ e y n e s als vor einem falschen Propheten, der nichts weiter tue, als daß er die Analyse einer einmaligen und zufälligen historischen Situation zum ökonomischen Entwicklungsgesetz ver- allgemeinere4 ', so können wir nicht nur diesem gegenüber Keynes erhobenen Vorwurf zustimmen, sondern auch jenem, der Keynes, wie Lautenbach es ausdrückt, „unvollständige Induktion, un- saubere Begriffsbildung und Begriffsmischungen'* vorwirft. Wir hatten insbesondere in letzterem Punkte nachgewiesen, daß Lautenbach hier mehr zu entschuldigen versucht, als Keynes selber zugibt.

Gegenüber seiner letzten Veröffentlichung „Vom Gelde" hat Keynes eine grundsätzliche und nicht immer glückliche Wandlung seines Begriffssystems vorgenommen, wobei er in der Anwendung dieser Begriffe auch nicht immer konsequent ist. Im Vorwort zu seinem Buch „Vom Gelde" gab Keynes bereits eine gewisse Unsystematik der Darstellung zu, die sich in seinem hier interessierenden Buch zu einer ziemlich ausgesprochenen Unklarheit und teilweise auch In- homogenität - nicht immer nur der Darstellung - ausgewachsen hat, die durchaus den Charakter einer Veröffentlichung nicht genügend ausgereiften Gedankengutes macht, wie man sie von einem ernst- haften Forscher eigentlich nicht erwarten sollte.

Der Fehler in den Ausgangspunkten, insbesondere auch der wirt- schaftspolitischen Betrachtungen Keynes', ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß er ein rein qualitatives Problem zu einem solchen rein quantitativer Natur gemacht hat. Die das eigent- liche Problem erst ausmachenden qualitativen Gesichtspunkte, d. h. die strukturelle Zusammensetzung des Produktionsapparates und der Nachfrage unter Berücksichtigung ihrer gegenseitigen Bedingtheiten berücksichtigt Keynes ebensowenig, wie intervalutarische Momente, obgleich sie von bestimmendem Einfluß auf die Beurteilung und Lö- sung des Problems sind. Diese Nichtberücksichtigung bestimmender Voraussetzungen würde bestenfalls bedeuten, daß Keynes sie im-

*) Über den Unterschied der Aufgaben und Ziele von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, a. a. 0.

x) W. Lautenbach, a. a. O. S. 58.

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plizite als erfüllt ansieht, die praktischen Folgerungen aber, die er aus seinen Überlegungen zieht, zeigen, daß dies nicht der Fall ist.

Seine Deduktionen basieren insbesondere auf einer völligen Ver- kennung der Verschiedenartigkeit struktureller und kon- junktureller Erscheinungen, ohne aber auch hier zu einer klaren Theorie der Konjunktur kommen zu können, und er kommt auf dieser Basis zu Vorschlägen, die nichts anderes sind wie eine Verwechselung von Technik mit Wirtschaft und von Beschäftigung mit Arbeit, wie dies am klarsten in den Folgerungen zum Ausdruck kommt, zu denen Κ e y n e s auf Grund seiner Annahmen kommt und auch naturgemäß kommen muß. Gerade das, was Keynes den Klassi- kern zum Vorwurf macht, sie hätten angenom- men, daß sich jedes Angebot auch seine Nach- frage schaffe, ist nicht nur in den formelmäßi- gen Funktionalzusammenhängen enthalten, die er angibt, sondern es ist die eigentliche Basis seiner ganzen Betrachtungen wir t s c h a ft s t h er a -

peutischer Art. Die Theorie Keynes wird auf diese Weise eine solche des

Gegenwartsgleichgewichtes ohne Eücksicht auf das Gleichgewicht in der Zukunft, d. h. er glaubt auf der Basis einer Ver-

wechselung der Symptome mit den Ursachen an- nehmen zu können, daß bei Vollbeschäftigung - die als wirtschaftspolitisches Ziel nicht wirt- schaftlicher, sondern sozialer Zielsetzung ent-

spricht - , auch immer ein echter und dauernder

Gleichgewichtszustand erreicht werden müßte, und das ist gegenüber der nur unvollständigen Theorie der Klassiker - , und zwar unvollständig in einem Punkte, der im all-

gemeinen als Ausnahmezustand gelten kann - ein grundsätz- licher Fehler.

Wenn wir hier die Keynessche Theorie, soweit sie sich mit der Beschäftigung und der Beschäftigungsbeschaffung befaßt, unter betonter Herausstellung der wesentlichsten Gesichtspunkte und in einer manchmal vielleicht etwas scharf erscheinenden Formulierung behandelt haben, so schien uns dies deshalb besonders erforderlich, weil auch Keynes seine Formulierungen mit teilweise sehr großer Schärfe und starken Überspitzungen gemacht hat. Wenn man ihm hierbei vielleicht auch nicht immer in allen Punkten voll gerecht

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werden sollte, so liegt dies an seiner völlig unklaren und inhomogenen Darstellungsweise.

Wie wir bereits eingangs unserer Betrachtungen erwähnten, wol- len wir hier keinesfalls ein Gesamturteil über alle von ihm behandelten Probleme, weder im guten noch im schlechten, fällen. Wir möchten vielmehr abschließend feststellen, daß sowohl seine früheren Unter- suchungen, auf die wir ja verschiedentlich verwiesen, wie auch seine vorliegenden, mit denen wir uns ja in ihrem auf die Beschäftigung Bezug habenden Teil eingehend befaßt haben, eine Eeihe zweifellos sehr fruchtbarer Anregungen bieten - auch wenn es sich, wie bei seinen vorliegend betrachteten Untersuchungen vielfach um Fehler handelt, aus denen man ja bekanntlich am meisten lernt, - die zu weiterem Nachdenken anregen und die es in jeder Weise lohnend er- scheinen lassen, sich mit ihnen weiterhin gründlich auseinander- zusetzen, und die gewiß auch für die weitere Forschung mit Erfolg nutzbar gemacht werden können. Dies wäre zweifellos in noch größe- rem Umfange der Fall gewesen, wenn Κ e y n e s seine Gedanken erst etwas mehr hätte zur Ausreife gelangen lassen, ehe er sie in der vor- liegenden unklaren und, wie wir bei unseren Betrachtungen erkann- ten, oft sehr widerspruchsvollen und nicht immer fehlerfreien Form zur Darstellung gebracht hätte.

Wir wissen uns frei von dem Vorwurf einer lediglich dogmatisch bestimmten Ablehnung der Keynesschen Ansichten, denn wir haben in früheren Veröffentlichungen insbesondere seinen geldtheoreti- schen und geldpolitischen Ansichten zugestimmt und erkennen die auf diesem Gebiet gerade durch Κ e y n e s gebrachten Fortschritte auch heute durchaus an. Wir wissen uns auch frei von einer blinden An- erkennung der wirtschafts politischen Ansichten der Klassiker der theoretischen Nationalökonomie, die aber heute leider immer noch mit ihren wirtschafts theoretischen Erkenntnissen in einen Topf geworfen werden. Wir lehnen es daher aber auch als eine durch- aus unwissenschaftliche Methode ab, Eingriffe Wirtschaft politi- scher Natur, die einer außer wirtschaftlichen Zielsetzung ent- sprechen, wirtschaftstheoretisch als einer wirtschaft- lichen Zielsetzung entsprechend zu bezeichnen ; und auch des- halb widersprechen wir den vorliegend betrachteten Untersuchungen Κ e y n e s , weil er unter der Fiktion wirtschaftlicher Zielsetzung eine durchaus außerwirtschaftlich bestimmte Zielsetzung wirtschaft- lich zu legitimieren versucht, und hierbei weiterhin nicht die Grenzen

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wirtschaftlicher Art berücksichtigt, die eine solche Zielsetzung auch außerwirtschaftlich erst zu legitimieren vermöchten.

Durch eine derartige Methode völliger Verwischung und Ver- kennung der Unterschiede zwischen außerwirtschaftlichen und wirt- schaftlichen Zusammenhängen und Verursachungen ebenso wie der Unterschiede der Aufgaben und Ziele von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, wie sie die Keynesschen Untersuchungen leider in ziemlich weitem Umfange kennzeichnet, soweit das uns hier interessierende Problem in Frage steht, ist aber nicht nur eine Dis- kreditierung der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung bedingt, die deshalb besonders schwerwiegend ist, weil sie durch einen Mann von der Bedeutung Keynes' verursacht ist, sondern es wird damit auch dem Halbwissen und dadurch ebenso dem wirtschaftswissenschaftlichen wie auch dem wirtschaftspolitischen Dilettantismus in bedauerlichem Umfange Vorschub geleistet, wie er - sowohl „charakterlich" als auch „wissenschaftlich" - seinen typischen Ausdruck in der wirt- schaftsmystischen Eichtung und ihrem Epigonentum l) findet. Auch diese Tatsachen mögen unsere teilweise scharfe Formulierung recht- fertigen.

*) Vgl. hierzu A. Forstmann, Über die Aufgaben der theoretischen Nationalökonomie, a. a. 0.

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