vortrag astti bern 9. oktober 2015 · der einen seite der talentierte Übersetzer und auf der...
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Vortrag ASTTI Bern – 9. Oktober 2015
Liebe Übersetzerkolleginnen und -kollegen
Zuerst möchte ich mich herzlich beim Organisationskomitee für
die Einladung zum heutigen Vortrag bedanken. Das war ein
mutiger Schritt, denn Vorträge sind nun mal bei mir nicht an der
Tagesordnung.
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Auch habe ich meinen Vortrag nicht „gegendert“, weil mir der
„Übersetzende“ einfach weniger leicht über die Lippen kommt als
der „Übersetzer“. Gemeint sind aber trotzdem immer Übersetzer
und Übersetzerinnen, also ÜbersetzerInnen.
Aber nun zum Thema:
Wie erreicht man eine effiziente Zusammenarbeit von internen und
externen Übersetzenden?
Bei Pictet gibt es seit bald 27 Jahren einen Sprachendienst.
Am Anfang bewältigten zwei interne Übersetzer ein
Tagesvolumen von rund 8 Standardseiten.
Heute leistet dieses Team, das sich aus 7 internen Übersetzern
und einer Juristin zusammensetzt, zusammen mit rund 50
Freelancern ein durchschnittliches Tagesvolumen von über 100
Übersetzungsstunden. Darin enthalten sind rund 10% Editing-
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Arbeit. Zur Erleichterung der Arbeit und Sicherstellung der
Kohärenz arbeiten wir seit 17 Jahren mit TRADOS.
Vor etwas mehr als 15 Jahren, als die erste Website entwickelt
und die ersten Anlagefonds zum Verkauf angeboten wurden,
nahmen die Übersetzungsaufträge rasant zu. Die Ausgangssprache
Französisch wurde um die Ausgangssprache Englisch ergänzt.
Dieses ganze Volumen musste zur überschaubaren Bearbeitung
zentralisiert werden. Dazu entwickelten wir einen eigenen
Workflow. In diesem Prozess stellten wir uns als Unternehmen im
Unternehmen auf. Dies bedeutet, dass bei uns alle Abläufe mess-
und vergleichbar sind. Dank dieser Standardisierung können wir
jeden Morgen als Erstes den aktuellen Arbeitsaufwand
einschätzen und auf Wunsch sofort einen Kostenvoranschlag
machen. Ein weiterer Vorteil unseres Workflows ist, dass die
Übersetzungen mit einem Klick an die externen Übersetzer
vergeben werden können.
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In unserem Unternehmen gibt es wie in jedem anderen
Unternehmen eine Auftrags- bzw. Produktionskette, die bei uns
folgendermassen aussieht.
Wir erhalten einen Übersetzungsauftrag. Dieser wird entweder
von einem internen oder einem externen Übersetzer ausgeführt.
Ein zweiter Übersetzer und/oder eine Fachperson, z.B. ein
Ökonom oder ein Jurist, liest die Übersetzung durch und bringt wo
nötig Korrekturvorschläge an, die der Übersetzer übernimmt,
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wenn er damit einverstanden ist. Mit diesem 4-Augenprinzip und
manchmal sogar 6-Augenprinzip sichern wir die Qualität der
Übersetzung.
Geht die Übersetzung in Druck, wird das Gut zum Druck vom
internen oder externen Übersetzer gegeben. Sie sehen also, wir
haben volles Vertrauen in unsere langjährig mit uns
zusammenarbeitenden Übersetzer. Sie sind wie die internen
Übersetzer für die Endprüfung der Übersetzung verantwortlich.
Die Rechnung, die wir anschliessend erhalten, wird natürlich
bezahlt, aber nicht nur. Sie dient auch der analytischen
Kostenzuweisung an die verschiedenen Business Lines.
Wir verstehen uns aber - im Gegensatz zur weit verbreiteten
Meinung - nicht so sehr als Kostenzentrum, sondern eher als
Dienstleistungserbringer. So im Stil, ohne uns geht vieles nicht.
Wir haben rund 570 interne Kunden, die uns regelmässig
Übersetzungsaufträge in 7 Zielsprachen und etwas weniger
regelmässig in rund 10 weiteren Zielsprachen erteilen. Die
Zieltexte sind in den meisten Fällen für externe Kunden bestimmt.
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Wie aber sieht unsere Zusammenarbeit zwischen internen und
externen Übersetzenden aus?
Die Auftragsabwicklung erfolgt wie bereits erwähnt immer auf die
gleiche Art über unseren Workflow. Wird der Auftrag extern
vergeben, erhält der Übersetzer, wenn möglich, eine TRADOS-
Vorübersetzung und natürlich auch eine Lieferfrist, die unbedingt
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einzuhalten ist. Die Einhaltung der Lieferfrist ist nämlich, wie Sie
alle wissen, zu einem entscheidenden Qualitätsmerkmal
geworden. Das Werk des externen Übersetzers wird bei uns
intern von einem zweiten Übersetzer und/oder einer Fachperson
auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft. Zum Schluss erhält
der externe Übersetzer ein Feedback von uns. Der externe
Übersetzer stellt die Übersetzung fertig, indem er unsere
Korrekturvorschläge berücksichtigt und uns sein xliff-File sendet.
Dieses Vorgehen hat den grossen Vorteil, dass der externe
Übersetzer unter den gleichen Voraussetzungen arbeiten kann
wie der interne Übersetzer und unsere Translation Memories
immer auf beiden Seiten auf dem gleichen Stand sind. Natürlich
müssen unsere externen Übersetzer mit dem gleichen CAT-Tool
arbeiten wie wir.
Sie können sicher leicht verstehen, dass wir unsere externen
Übersetzer sehr sorgfältig auswählen, weil wir sie ja gleich
einsetzen wollen wie unsere internen Übersetzer.
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Sehr wichtig ist uns auch die direkte Zusammenarbeit mit
unseren externen Übersetzern. Wenn es Unklarheiten im
Ausgangstext gibt, können unsere externen Übersetzer direkt mit
den internen Übersetzern und in manchen Fällen sogar direkt mit
dem Autor Rücksprache nehmen. Also nicht mit einem
Projektmanager, wie das bei Übersetzungsagenturen oft der Fall
ist. Wir legen, wie Sie wohl bereits verstanden haben, grossen
Wert auf straffe Abläufe.
Natürlich arbeiten wir bei den weniger geläufigen Zielsprachen
und im Falle von Sonderaufträgen (z.B. E-Learning oder KIIDS)
auch mit ein paar wenigen Agenturen zusammen. Grundsätzlich
gilt: Wenn immer wir intern keinen Mehrwert erzeugen
können oder das Auftragsvolumen zu gross wird, sourcen wir
out. In jeder Situation suchen wir jedoch die beste und
effizienteste Lösung. So vergeben wir beispielsweise bei Bedarf
für die intern vorhandenen Zielsprachen eher einen grossen als
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fünf kleine Aufträge extern, um den Zeitaufwand für die
Auftragsverwaltung möglichst gering zu halten.
Wie aber motivieren wir unsere externen Übersetzer?
Sicher einmal,
- indem wir kollegiale Beziehungen pflegen und
- regelmässig Aufträge erteilen, aber vor allem auch
- gebührende Honorare bezahlen und
- wenn möglich einmal im Jahr ein Treffen vereinbaren
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Regelmässige Aufträge erlauben dem externen Übersetzer eine
bessere Arbeitsplanung. Eine wichtige, wenn nicht gar
ausschlaggebende Rolle bei der Motivierung der externen
Übersetzer spielt sicher das Honorar. Wir wollen dem Übersetzer
als Zeichen der Wertschätzung einen gebührenden Preis für seine
Arbeit bezahlen. Was sich gebührt, dürfen Sie selber entscheiden.
Ich habe hier auf meiner Folie ein Szenario mit verschiedenen
Preisen dargestellt und ausgerechnet, was ein Übersetzer in
einem Jahr mit den drei verschiedenen Zeilenpreisen verdienen
würde. Die Spanne reicht von CHF 67 680 bis CHF 203 040. Diese
Zahlen entsprechen natürlich dem Umsatz, nicht dem Reingewinn.
In diesem Szenario sind 4 Wochen Ferien und eine Woche
Weiterbildung mit einberechnet. Bei CHF 1.60 handelt es sich um
einen von einer Westschweizer Agentur bezahlten Zeilenpreis,
wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren konnten. Bei EUR 0,05
das Wort hingegen handelt es sich um den niedrigsten Preis, der
uns in jüngster Vergangenheit von einem jungen Übersetzer aus
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einem südeuropäischen Land berechnet wurde und vielleicht
nicht ganz so unangemessen war. Es gibt eben auch bei
ausgebildeten Übersetzern Qualitätsunterschiede. Doch sind wir
bei motivierten jungen Übersetzern auch gerne bereit, etwas
mehr Zeit für das Durchlesen und Korrigieren aufzuwenden.
Beim Austausch unter Übersetzern sehen wir noch
Verbesserungspotenzial. Beispielsweise organisieren wir seit zwei
Jahren eine eintägige Schulung, zu der wir unsere Senior-
Übersetzer einladen, damit wir uns in anregender Atmosphäre
gegenseitig austauschen und dabei noch etwas lernen können.
Auf der Seite der externen Übersetzer würden wir uns wünschen,
dass immer mehr Übersetzer im Tandem arbeiten würden. Wir
haben bereits Anfragen für Übernacht-Übersetzungen und die
würden wir dann gerne outsourcen. Zu zweit wären solche
Übersetzungen von 18.00 bis 22.00 Uhr (rund 8 Standardseiten)
bestimmt zu schaffen.
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Für das Tandem gibt es aber noch andere gute Gründe. Wenn wir
unseren Beruf weiterhin als gebührend bezahlte Fachpersonen
ausüben wollen, müssen wir uns dem Markt anpassen und dabei
gleichzeitig unsere Stellung behaupten – und durch gezielte
Zusammenarbeit stärken. Die Zeiten ändern sich ja, wie wir alle
wissen und immer wieder feststellen.
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Vor gut 10 Jahren als ich zusammen mit meinem Kollegen Holger
Albrecht einen Vortrag an der Jahreskonferenz der ASTTI hielt,
fragte uns eine Person im Raum, wie man Kunden finden kann.
Damals hatte man oft den Eindruck, dass es so etwas wie ein
Spinnennetz zwischen dem Übersetzer und dem Kunden gab. Auf
der einen Seite der talentierte Übersetzer und auf der anderen
Seite der unsichtbare Kunde.
Heute aber, liebe Übersetzerkolleginnen und -kollegen, gibt es
einen Markt und Übersetzungsunternehmen mit einem
Verkaufsdirektor, der die Aufgabe hat, Kunden zu finden.
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Laut einer Studie der amerikanischen Beratungsfirma Common
Sense Advisory belief sich der weltweite Übersetzungsmarkt im
Jahr 2013 auf 35 Milliarden USD, rund 43% davon entfielen auf
Europa, 40% auf die USA, 12% auf Asien und 5% auf den Rest der
Welti.
Wir bekommen wenn nicht täglich, so doch regelmässig Angebote
von Agenturen aus verschiedensten Ländern, vor allem aber aus
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dem angelsächsischen Raum. Diese oft vergleichsweise stärker auf
Sprachtechnologie ausgerichteten Grossunternehmen
interessieren sich für die maschinelle Übersetzung, aber nicht nur.
Sie wollen einen möglichst grossen Anteil am Übersetzungsmarkt
gewinnen und sind auch gerne bereit, gefüllte Datenbanken zu
übernehmen.
Was also hat sich in den letzten 25 Jahren verändert?
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Das Volumen, das Tempo und der Druck. Den Druck gibt es in
verschiedenen Ausführungen: Zeitdruck, Kostendruck usw. Auch
der Einsatz von CAT-Tools ist in den letzten 25 Jahren stark
gestiegen, was nicht wirklich erstaunt.
Doch wie können wir uns in diesem Umfeld behaupten?
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Wir Übersetzer müssen uns einen Marktanteil sichern. Noch kann
kein Computer eine anspruchsvolle Qualitätsübersetzung
erstellen. Doch müssen wir auch schneller reagieren und
grössere Volumen bearbeiten können. Dies erfordert Offenheit
gegenüber neuen Technologien und vor allem eine engere
Zusammenarbeit unter Übersetzern, auch unter Freelance-
Übersetzern.
Von zentraler Bedeutung ist auch die Förderung junger Talente,
damit die Übersetzung ein begehrenswerter Beruf bleibt. Und was
heute mehr denn je auf allen Ebenen verlangt wird, auch von
Übersetzern, ist „entrepreneurial excellence“. In unserem Falle
würde ich darunter in einem ersten Schritt vor allem proaktive
Lösungen wie die vermehrte Zusammenarbeit und Vernetzung
unter Übersetzern, auch Freischaffenden, verstehen. Dies im
Hinblick auf das Kommende.
So erhielt ich etwa vor ein paar Wochen folgende E-Mail, direkt
von Lionbridge: Lionbridge named No 1 Language Service
Provider for the fourth year in a row on Common Sense
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Advisory’s list of Top 100 Language Service Providers.
Their estimates put the outsourceable language services
market to be somewhere around $ 38 billion and growing
strong (against $ 5+ billion in 2005)ii.
Und Ende September eine weitere E-Mail von SDL mit folgendem
Slogan: Wir sprechen Finance! Globaler Finanzdienstleister
löst Übersetzungsprobleme und erreicht
Kosteneinsparungen von 40%.
Das Übersetzungsvolumen hat sich demnach in den letzten zehn
Jahren um über 700% vergrössert. Es braucht also durchaus die
maschinelle Übersetzung zur Bewältigung dieses Volumens. Es
werden auch Plattformen zur übersichtlichen und
kosteneffizienteren Verwaltung dieser Aufträge benötigt. Dabei
gilt zu beachten, dass sich die letztgenannten Schätzungen von
Common Sense Advisory nicht auf den Übersetzungsmarkt,
sondern auf den Markt für „outsourceable language services“
beziehen. Vielleicht sind darin ja auch Online-Plattformen zur
Automatisierung des Übersetzungsprozesses enthalten, die
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bekanntlich nicht nur Funktionalitäten, sondern auch einen Preis
haben.
Wo aber bleibt der Übersetzer in diesem neuen Umfeld?
Wie bereits erwähnt, wäre eine vermehrte Zusammenarbeit der
externen Übersetzer im Tandem wünschenswert. Zum einen
weil man sich zu zweit stärker fühlt und kritisch-komplementär
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arbeiten kann, was sich positiv auf die Qualität der Übersetzung
auswirkt, und zum anderen weil das zunehmende Tempo dazu
führen könnte, dass der Kunde, also auch wir, von den externen
Übersetzern in absehbarer Zukunft lieferfertige, d.h. nach dem
4-Augenprinzip kontrollierte Übersetzungen verlangen könnte.
Tempo fordert ja normalerweise seinen Tribut.
Die Kreativität des Übersetzers ist und bleibt aber auch in
einem stark umkämpften Markt ein Mehrwert. Diesen einmaligen
Wettbewerbsvorteil müssen wir – unabhängig von dem jeweiligen
Fachgebiet - nutzen und geltend machen. Zur Verteidigung
unseres Marktanteils wird überdies die verstärkte Vernetzung
und Zusammenarbeit zwischen Freelancern wie zwischen
externen und internen Übersetzern eine zentrale Rolle spielen.
Zum Glück befasst sich unser Berufsverband bereits mit dieser
dringlichen Problematik.
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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Und jetzt vielleicht noch ein paar Minuten für Fragen.
i E-Mail vom 13.1.2015 von Les Langues du Monde Traductions an A. Waser ii E-Mail vom 31.7.2015 von Lionbridge an A. Waser
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