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MÜNCHNER PHILHARMONIKER
SPIELFELD KLASSIK
John Adams
»The Chairman Dances«
BEGLEITMATERIAL ZUM 2. JUGENDKONZERT DER
SAISON 2019/20
Donnerstag, 26. März 2020, 18:30 Uhr
Philharmonie im Gasteig
JOHN ADAMS
- geboren am 15. Februar 1947 in Worcester, Massachusetts
(USA)
- einer der meist gespielten und populärsten zeitgenössischen
Komponisten der USA
- wichtige Werke: die Opern »Nixon in China« und »The Death
of Klinghoffer«, Orchesterwerke wie »On the Transmigration of
Souls«, »Harmonielehre«, »The Chairman Dances« und »Short
Ride in a Fast Machine«, Oratorium »The Gospel According to
the Other Mary«
»Zwei Dinge begeistern mich an Johns Musik besonders.
Erstens, dass sie sich immer vorwärts durch den Raum zu
bewegen scheint, sodass ich mir beim Hören vorstelle, ziemlich
schnell dicht über dem Boden in einem Leichtflugzeug zu
fliegen. Zweitens die Mischung aus Ekstase und Trauer, die es
in fast allen seiner besten Stücke gibt.«
(Sir Simon Rattle über John Adams)
»Um Komponist zu sein, muss man über ein großes Maß an Zeit
verfügen, die man alleine verbringt. Das ist nicht so, wie zum
Beispiel beim Architekten. Ich habe mal ein Gespräch mit Frank
O. Gehry geführt, einem der bekanntesten Architekten der
Welt, und wir sprachen über den kreativen Prozess. Und
offensichtlich hat auch er seine kreativen Momente, wenn er
alleine ist. Aber um ein Gebäude zu realisieren arbeitet er dann
mit Hunderten von Leuten zusammen. Ich muss aber meine
gesamte Arbeit ganz alleine machen. Deshalb tendieren
Komponisten auch dazu, ›schwierige Menschen‹ zu sein, also
zumindest etwas komplizierte Persönlichkeiten, eben weil sie
wirklich die ganze Zeit alleine sein müssen.«
(John Adams)
John Adams (© Deborah O'Grady)
BIOGRAPHIE
John Adams wurde 1947 in Worcester, Massachusetts, geboren
und wuchs in den New England-Staaten der USA auf. Von
seinem Vater lernte er, Klarinette zu spielen. Mit zehn Jahren
begann er zu komponieren und erlebte bereits als Teenager die
Aufführung eines seiner Orchesterwerke. Neben der klassischen
Ausrichtung seiner musikalischen Erziehung spielte er Klarinette
in Marching Bands, besuchte Jazz-Konzerte und hörte die
Beatles. An der renommierten Harvard University studierte er
Komposition bei Schönberg-Schüler Leon Kirchner, wo er zum
ersten Mal intensiv in Kontakt mit aktuellen Werken der
zeitgenössischen Musik kam. Die an der Universität gelehrte
strenge akademische Herangehensweise an Musik missfiel John
Adams. Ironisch merkte er an, in Harvard werde das
Komponieren als Ausdruck größter Qual und geringsten Spaßes
betrachtet.
Nach dem Ende seines Studiums im Jahr 1971 fuhr er mit
seiner Ehefrau in einem alten VW-Bus von der Ostküste quer
durch die USA nach Kalifornien, wo er eine Stelle als Dozent am
San Francisco Conservatory of Music fand. An der Westküste
traf John Adams auf eine wesentlich freiere und offenere
Musikszene. Hier lernte er auch die Mininmal Music von
Komponisten wie Terry Riley, Steve Reich und Philip Glass
kennen. John Adams übernahm Elemente der Minimal Music in
seine Kompositionen, erweiterte aber deren begrenzte
Ausdrucksmöglichkeiten durch leuchtende Klangfarben und
romantisch anmutende Steigerungsformen.
Von 1982 bis 1985 war John Adams »Composer in Residence«
des San Francisco Symphony Orchestra. Gemeinsam mit dem
Chefdirigenten Edo de Waart entwickelte er die erfolgreiche
Konzertreihe »New and Unusual Music«. Für das San Francisco
Symphony Orchestra komponierte er eine Reihe bedeutender
Orchesterwerke, wie z. B. »Harmonielehre«, mit dem ihm auch
der Durchbruch in Europa gelang. Mit dem Titel »Harmonie-
lehre« bezog sich John Adams auf das gleichnamige Lehrbuch
von Arnold Schönberg, und widerlegte mit seiner Komposition
auf ironische Weise dessen Ansichten.
1985 begann John Adams eine erfolgreiche Zusammenarbeit
mit dem Regisseur Peter Sellars, aus der eine Reihe von Opern-
Projekten hervorging, darunter »Nixon in China« (1987), »The
Death of Klinghoffer« (1991) und »Doctor Atomic« (2005).
1993 erhielt John Adams den Grawemeyer Award für sein
Violinkonzert und 2003 den Pulitzer Prize für »On the
Transmigration of Souls«, ein Kompositionsauftrag des New
York Philharmonic Orchestra zum Gedenken an die Opfer der
Anschläge vom 11. September 2001. 2003 veranstaltete das
Lincoln Center in New York ein zweimonatiges Festival zu Ehren
John Adams'. Noch nie zuvor stand in den USA ein einzelner
lebender Komponist im Mittelpunkt eines derart umfangreichen
Festivals. Zahlreiche Universitäten ernannten ihn zum Ehren-
doktor, darunter die Universitäten von Harvard und Yale sowie
die Juilliard School. Auch als Dirigent ist John Adams gefragt
und stand am Pult der Berliner Philharmoniker, des Königlichen
Concertgebouw Orchesters, des London Symphony Orchestra
und des Los Angeles Philharmonic.
John Adams lebt und arbeitet bis heute in Berkeley, in der Nähe
von San Francisco. Ähnlich wie Gustav Mahler hat er sich ein
kleines, vom Wald umgebenes Komponierhäuschen einge-
richtet, wo er in Ruhe arbeiten kann.
MINIMAL MUSIC
In den 1960er Jahren entwickelte sich in den USA ein neuer
Musikstil. In Anlehnung an die »Minimal Art« der bildenden
Kunst versuchten Komponisten wie Steve Reich, La Monte
Young, Philip Glass oder Terry Riley die musikalischen Elemente
ihrer Werke radikal zu reduzieren. Statt hyperkomplizierter
Formgebilde erfanden sie nun einfache, sich scheinbar
unendlich oft wiederholende Melodie- und Rhythmusmuster
(Pattern), die sich in kleinen Phasenverschiebungen
überlagerten. Sie schufen damit einen totalen Gegensatz zu den
immer komplexer werdenden Werken der musikalischen
Avantgarde. Die hypnotische Sogkraft der ständigen
Wiederholung und der daraus entstehende rhythmische Drive
der Minimal Music schlug sich später im Techno und in der
Looping-Technik nieder.
New Yorker Straßenproteste gegen die Aufführung von »The
Death of Klinghoffer«
POLITISCHER KOMPONIST?
Mit einer Reihe von Werken nimmt John Adams Bezug auf
aktuelle politische oder gesellschaftliche Fragen und
Begebenheiten. In »Nixon in China« setzt er sich satirisch mit
dem ersten Staatsbesuch eines amerikanischen Präsidenten in
der Volksrepublik China auseinander. Sein Violinkonzert
»Sheherazade.2« behandelt die Anstrengungen arabischer
Frauen, sich in einem patriarchalischen System zu behaupten.
In der Oper »Doctor Atomic« stehen die Wissenschaftler im
Mittelpunkt, die die Atombombe entwickelten. Mit »The Death
of Klinghoffer« – einer Oper, die die Entführung des Kreuz-
fahrtschiffes Achille Lauro im Jahr 1985 durch palästinensische
Terroristen und die Ermordung eines querschnittsgelähmten
jüdischen Passagiers zum Thema hat – geriet John Adams in
eine heftig geführte Kontroverse. Es wurden ihm Sympathie für
den Terrorismus sowie Antisemitismus vorgeworfen. Obwohl
John Adams immer wieder den Anschuldigungen widersprach,
werden Aufführungen von »The Death of Klinghoffer« bis heute
von Protesten begleitet. Trotz allem sieht sich John Adams nicht
als politischer Komponist, »aber es stört mich nicht, wenn man
mich einen engagierten Künstler nennt.«
THE CHAIRMAN DANCES
Im Februar 1972 reiste der amerikanische Präsident Richard
Nixon nach China. Zum ersten Mal seit der Gründung der
Volksrepublik 1949 betrat ein amerikanisches Staatsoberhaupt
chinesischen Boden. Dass es ausgerechnet Richard Nixon war,
der mit seinem Besuch die Verbesserung der diplomatischen
Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Staaten
einläutete, ist bemerkenswert. Denn Nixon war ein erbitterter
Gegner des Kommunismus. Mehrmals während seines
einwöchigen, und damit außergewöhnlich langen Staats-
besuchs, traf Nixon mit dem Vorsitzenden der chinesischen
Kommunistischen Partei, Mao Zedong, zusammen. Obwohl der
Staatsbesuch außer einigen Willensbekundungen ohne konkrete
politische Ergebnisse zu Ende ging, bezeichnete Nixon seine
China-Reise als eine »Woche, die die Welt veränderte«. Für die
Staatschefs war es in erster Linie eine großartige Inszenierung,
die beiden auch innenpolitisch den Rücken stärkte.
Richard Nixon trifft Mao Zedong in China 1972
Zehn Jahre nach Nixons China-Reise schlug der Regisseur Peter
Sellars John Adams vor, eine Oper über diesen Besuch zu
schreiben. John Adams reagierte zunächst mit Zurückhaltung.
Zum einem stand er Richard Nixons Politik sehr kritisch
gegenüber. Zum anderen bezweifelte er, dass ein weltpolitisches
Ereignis, das noch dazu gerade erst zehn Jahre zurücklag, ein
gutes Thema für eine Oper sein könnte. Zusammen mit der
Librettistin Alice Goodman überzeugte Sellars John Adams
allerdings mit dem Konzept, Nixons Staatsbesuch in China mehr
aus menschlicher statt aus politischer Sicht zu betrachten. Die
Oper könnte so zu einer satirischen Auseinandersetzung mit
modernen Helden-Mythen werden.
Als der erste Librettoentwurf zur Oper »Nixon in China« vorlag,
machte sich John Adams an die Arbeit. Eine Szene aus dem 3.
Akt inspirierte ihn sofort. In dieser Szene platzt Jiang Qing, die
Frau des Vorsitzenden Mao Zedong, in ein großes Staatsbankett
und stört das langweilige, formale Abendessen. Verführerisch
gekleidet, fordert sie ihren Mann zum Tanz auf. Das Orchester
stimmt einen Foxtrott an. Mao und seine Frau tanzen
gemeinsam und schwelgen dabei in Erinnerungen an die
Vergangenheit, als Jiang Qing noch eine bekannte
Filmschauspielerin war und Mao Zedong für die kommunistische
Revolution kämpfte.
Die Komposition des Tanzes diente John Adams als eine Art
Vorstudie zur Oper. Schon bald nach Fertigstellung des Foxtrotts
für Orchester hatte er jedoch Bedenken, ob er mit seiner Musik
den »richtigen Ton« der Oper getroffen hatte: »Mir wurde klar,
dass sie überhaupt nicht zur Oper passte – es war eine Parodie
darüber, wie in meiner Vorstellung chinesische Filmmusik der
dreißiger Jahre klang.« Daher beschloss er, den Tanz nicht in
die Oper zu integrieren. Weil er gerade dringend einen
Kompositionsauftrag des Milwaukee Symphony Orchestra
erfüllen musste, schickte er den Foxtrott unter dem Titel »The
Chairman Dances« (Der Vorsitzende tanzt) nach Milwaukee, wo
am 31. Januar 1986 die Uraufführung stattfand.
»The Chairman Dances« lässt sich in drei Abschnitte
unterteilen. Während der Mittelteil im langsamen Tempo steht,
sind die beiden Rahmenteil von einem schnellen rhythmischen
Impuls geprägt. Zu Beginn des Werks erklingen einfache
Tonrepetitionen, die allmählich durch weitere Instrumente und
Liegetöne angereichert werden. In nahezu allen Instrumenten
überwiegt der perkussive Klang, es sind vorrangig kurze Noten
in Staccato zu spielen. Vom simpel gestrickten Anfang bewegt
sich die Musik nach und nach hin zu Synkopen, harmonischen
Veränderungen und zu mehr Klangfarbenreichtum. Der Satz
verdichtet sich, die Lautstärke nimmt zu.
Dann verlangsamen sich plötzlich das Tempo und die
Klangdichte – die imaginäre Szenerie verändert sich. Jiang Qing
und Mao Zedong fühlen sich zurückversetzt in das China der
1930er Jahre, musikalisch eine Mischung aus amerikanischer
Filmmusik und typisch chinesischen Einfärbungen (Harfe, hohe
Streicher). Doch die ruhige Phase, in der der rhythmische
Impuls unterbrochen wird, ist nicht von langer Dauer. Zögerlich
nimmt das Orchester wieder an Fahrt auf, der unermüdliche
Drive in den Bässen wird fortgesetzt. Mehr Gewicht bekommen
nun langgezogene Melodielinien vor allem in den hohen
Stimmen. Zum Schluss dünnt sich der Orchestersatz aus, bis
nur noch Klavier und Schlagwerk übrig bleiben, die allmählich
verhallen.
Was als Nebenprodukt zur Oper »Nixon in China« entstand, ist
heute eines der meist gespielten Orchesterwerke von John
Adams. Außerdem wurde »The Chairman Dances« in den
Soundtrack zum Computerspiel »Civilization IV« und zum Film
»I Am Love« integriert.
HÖREN UND VERSTEHEN
Aufgabe 1
Zu Beginn von »The Chairman Dances« spielen die beiden
Piccoloflöten folgende Tonfolgen. Schreibe die Töne in nur einer
Notenzeile zusammen. Was fällt dir auf? Wie unterschiedet sich
der Gesamtklang von der einzeln gespielten Stimme?
Aufgabe 2
Folgende Elemente sind prägend für »The Chairman Dances«
und tauchen über das ganze Werk verteilt immer wieder auf.
- Pendelnoten (immer zwei Achtel einer Tonhöhe im Wechsel)
- Staccato, Pizzicato, Sforzato, Staccatissimo
- Stehende Klänge (mehrere Instrumente spielen gehaltenen
Ton)
Finde die Elemente in der Online-Partitur:
https://issuu.com/scoresondemand/docs/chairman_dances_237
00
Aufgabe 3
Erstelle selbst eine kleine Partitur im Stil der Minimal Music.
MUSIZIEREN UND VERSTEHEN
Als Mitspielsatz findest du auf den nächsten zwei Seiten den
Anfang von »The Chairman Dances« in einer vereinfachten
Form. Viel Spaß beim Musizieren!
Link-Empfehlungen:
Interview mit John Adams als Artist-in-Residence bei den
Berliner Philahrmonikern 2016/17:
https://www.youtube.com/watch?v=siKkyvpoMIM
Literatur:
Wolfgang Rathert / Berndt Ostendorf: Musik der USA – Kultur-
und musikgeschichtliche Streifzüge, Hofheim 2018
Marcus Imbsweiler: Eine Art Aufwärmtraining, Programm-
hefttext zu »The Chairman Dances«, veröffentlicht im
Programmheft zu den Konzerten der Münchner Philharmoniker
vom 15. + 17. Dez. 2012
Ulli Götte: Minimal Music – Geschichte, Ästhetik, Umfeld,
Wilhelmshaven 2000
www.earbox.com
Abbildungen:
1 John Adams, © Deborah O'Grady, www.earbox.com
2 New Yorker Straßenproteste gegen die Aufführung von »The
Death of Klinghoffer«, www.earbox.com
3 Richard Nixon trifft Mao Zedong in China 1972; wikimedia
commons
Autorin: Christine Möller
»The Chairman Dances«John Adams
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