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597
Philosophische FakultätInstitut für Philosophie
Lehrstuhl für Theoretische PhilosophieDr. Holm Bräuer
3. Erkenntnistheorie
598
599
Wissen
600
Albert weiß, wie man Posaune spielt.
Hans und Maria wissen, wie man Fahrrad fährt.
Helena weiß, wie man Rührei macht.
Praktisches Wissen (Wissen, wie)
601
Praktisches Wissen besteht in einer praktischen
Fertigkeit oder einem Können.
602
Es besitzt keinen „Inhalt“, d.h. es ist kein Wissen, dass
sich etwas so-und-so verhält.
603
Praktisches Wissen ist nicht Thema der
Erkenntnistheorie.
604
Der Detektiv weiß, dass der Gärtner der Mörder ist.
Maria wusste gestern nicht, dass heute schönes
Wetter sein wird. Jetzt weiß sie es.
Ich weiß, dass ich zwei Hände habe.
Propositionales Wissen (Wissen, dass)
605
S weiß, dass p.
606
Theoretisches Wissen ist immer ein Wissen, das einen
Inhalt hat. Man weiß, dass sich etwas so-und-so
verhält.
607
Der Gegenstand der Erkenntnistheorie ist das
propositionale Wissen.
Erkenntnis = propositionales Wissen
608
Albert weiß, wie eine Kiwi schmeckt.
Johanna weiß, wie es ist, wenn man einen
Sonnenbrand hat.
Wissen, wie etwas ist
609
Bei dieser Art von Wissen handelt es sich weder um
praktisches noch um propositionales Wissen.
610
Auf die Frage „Wie ist es denn, eine Kiwi zu essen?“
gibt es keine befriedigende Antwort, die es Albert
erübrigen würde, eine Kiwi zu kosten, um das zu
wissen.
611
Auch wenn man propositional von Kiwis alles weiß,
weiß man dennoch nicht, wie eine Kiwi schmeckt,
wenn man nie eine probiert hat.
Argument der Wissenslücke
612
Das Wissen, wie etwas ist, ist Gegenstand der
Philosophie des Geistes:
Qualiadebatte
613
Skeptizismus
Was ist Wissen?
Was ist Wahrheit?
Worin besteht Rechtfertigung?
614
Skeptizismus
615
616
Philosophische Skepsis vs.
Alltagsskepsis
617
Philosophische Skeptiker bestreiten oder bezweifeln,
dass wir Wissen über die Welt haben oder haben
können.
618
Sie haben Gründe für ihren Zweifel.
619
Sie argumentieren für ihre Position und machen
dabei bewusst bestimmte Voraussetzungen.
620
Sie erheben einen Allgemeinheitsanspruch.
621
Der philosophische Skeptiker stellt die Möglichkeit
des Wissens über die Welt grundsätzlich in Frage.
Er argumentiert für diesen Zweifel, begründet diesen
und ist sich der Voraussetzungen, die er dabei
eingeht, durchaus bewusst.
622
Sekundäre Qualitäten
623
Was in der Idee von Süß, Blau oder Warm ist, ist nur
eine gewisse Größe, Gestalt und Bewegung der
sinnlich nicht wahrnehmbaren Teilchen in den
Körpern selbst, die wir so benennen.
John Locke
624
Primäre QualitätenEigenschaften, die den Gegenständen als solchen
zukommen (Ausdehnung, Bewegung, Gestalt)
625
Sekundäre QualitätenEigenschaften, die von unseren kognitiven und
Wahrnehmungsfähigkeiten abhängig sind (Farbe,
Geschmack, Temperatur)
626
Fazit
Wir nehmen die Welt nicht so wahr, wie sie an sich
beschaffen ist!
627
Descartes´ Traumargument
628
René Descartes (1596 – 1650)
Descartes war Mathematiker und gilt als Gründer des
neuzeitlichen Rationalismus. Da er in einer Zeit lebte als
traditionelle Ideen hinterfragt wurden, suchte er nach
einer Methode, mit der man zu wahrer und gesicherter
Erkenntnis kommen konnte. Sein Problem und seine
Methode des systematischen Zweifels hatten einen
enormen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der
Philosophie, was ihn zu dem „Vater der Philosophie der
Neuzeit“ machte.
Diskurs über die Methode (1637); Meditationen über die erste Philosophie (1641); Prinzipien der Philosophie (1644)
629
Prämisse 1
Wenn ich weiß, dass ich jetzt eine Vorlesung halte,
dann weiß ich auch, dass ich jetzt nicht im Bett liege
und bloß träume, dass ich eine Vorlesung halte.
630
Prämisse 2
Ich weiß jetzt nicht, ob ich jetzt träume oder nicht.
631
Konklusion
Also weiß ich nicht, dass ich jetzt eine Vorlesung halte.
632
Prämisse 2
Ich weiß jetzt nicht, ob ich jetzt träume oder nicht.
Aber ich weiß doch, ob ich träume oder wach bin!
633
Prämisse 3
Um zu wissen, ob ich jetzt träume, müsste ich ein
Kriterium besitzen, das es mir erlaubt, Traum von
Wachheit zu unterscheiden.
634
Prämisse 4
Ich kann kein solches Kriterium besitzen.
… denn immer wenn ich meine, ein brauchbares Kriterium
anzuwenden, könnte es sein, dass ich bloß träume, dass ich ein
brauchbares Kriterium anwende!
635
Konklusion 2 - Prämisse 2
Ich weiß jetzt nicht, ob ich träume oder wach bin!
636
Descartes` Außenweltskepsis
637
638
I am plagued by doubts.
What if everything is an
illusion and nothing
exists? In that case, I
definitely overpaid for
my carpet.
Selections from the Allen Notebooks
639
Prämisse 1
Wenn ich etwas über irgendeinen Gegenstand der
Außenwelt weiß, dann weiß ich auch, dass es eine
Außenwelt gibt.
640
Prämisse 2
Ich kann nicht wissen, dass es eine Außenwelt gibt.
641
Konklusion
Ich kann über keinen Gegenstand der Außenwelt
etwas wissen.
642
Putnam´s Gehirne im Tank
643SS 2013 Einführung in die Theoretische Philosophie
Hilary Putnam (*1926)
Putnam ist ein einflussreicher amerikanischer
Philosoph, der vor allem bekannt ist wegen seiner
Arbeiten auf den Gebieten der
Wissenschaftstheorie, der Philosophie des Geistes
und des Pragmatismus.
Philosophical Papers (1972-1983); „The Meaning of ‚Meaning‘“ (1975); Reason, Truth, and History(1981); Representation and Reality (1988); Realism with a Human Face (1990)
644
645
Prämisse 1
Wenn ich irgendetwas über die Welt weiß, dann weiß
ich auch, dass ich kein Gehirn im Tank bin.
646
Prämisse 2
Ich kann nicht wissen, ob ich ein Gehirn im Tank bin.
647
Konklusion
Ich kann nichts über die Welt wissen.
648
Unsere epistemische Situation
649
Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass die
Welt um uns herum so beschaffen ist, wie wir sie
wahrnehmen.
650
Es ist durchaus möglich, dass uns einige oder die
meisten Aspekte unserer epistemischen Umgebung
intransparent sind.
651
Ein Träumer hat, während er träumt, nicht die
Möglichkeit festzustellen, ob er träumt oder wach ist.
652
Wir haben keine (direkte) Möglichkeit festzustellen, ob
unseren Vorstellungen tatsächlich Gegenstände
entsprechen oder nicht, d.h. wir können die Existenz
der Außenwelt nur annehmen, nicht beweisen.
653
Was ist Wissen?
654
Gestern wusste ich nicht, wie die traditionelle
Definition des Wissens lautet. Heute weiß ich es.
655
Wir können den Begriff des Wissens im Alltag
durchaus korrekt verwenden.
656
Wozu also diese Frage?
Was ist das eigentlich für eine Frage?
657
Begriffsanalyse*Notwendige und hinreichende Bedingungen
*auch: philosophische Analyse, reduktive Definition
658
Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet,
(b) männlich und
(c) die meisten Abende allein.
659
Es gibt Junggesellen, die ihre Abende nur selten allein
verbringen (Partylöwen).
Die dritte Bedingung ist nicht notwendig!
660
Notwendige Bedingungen… sind diejenigen Bedingungen, die für jedes
Exemplar des zu definierenden Begriffs erfüllt sind.
Von links nach rechts lesen!
661
Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet und
(b) männlich.
662
Es gibt unverheiratete, männliche Wesen, die keine
Junggesellen sind (Knaben).
Die beiden angeführten Merkmale sind zusammen nicht hinreichend!
663
Hinreichende Bedingungen… sind diejenigen Bedingungen, die gemeinsam
ausschließlich zu Exemplaren des zu definierenden
Begriffs führen.
Von rechts nach links lesen!
664
Sind die Bedingungen einzeln notwendig und
zusammen hinreichend, um den zu definierenden
Begriff zu bestimmen?
Ein Junggeselle ist (a) unverheiratet,
(b) männlich und
(c) im heiratsfähigem Alter.
Falls ja, dann liegt eine korrekte Begriffsanalyse vor.
665
Die traditionelle Analyse des
Wissensbegriffs
666
Platon
(427 v. Chr. – 348 v. Chr.)
Platon stammte aus einer adligen Familie. Unter
dem Einfluss von Sokrates begann er sich, der
Philosophie zuzuwenden und gründete um 386
v.Chr. in Athen seine eigene Schule, die Akademie.
Alle von Platon veröffentlichten Schriften sind
überliefert. Mit Ausnahme der Apologie (Die
Verteidigung des Sokrates) und einer Anzahl Briefen
bestehen sie aus Dialogen.
667
Wissen
=
wahre, gerechtfertigte Meinung
668
Wissen
=
wahre, gerechtfertigte Meinung
1
669
Wissen
=
wahre, gerechtfertigte Meinung
1 2
670
Wissen
=
wahre, gerechtfertigte Meinung
1 2 3
671
S weiß, dass p genau dann wenn:
(1) S glaubt, dass p;
(2) p ist wahr;
(3) S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p.
Ignoranz
Irrtum
Zufall
672
Hans weiß, dass Dresden südlich von Berlin liegt, aber
er glaubt es nicht.
Wissen ohne Überzeugung ist nicht möglich.
673
Das Haben einer Überzeugung ist eine notwendige
Bedingung für Wissen!
674
Hans weiß, dass Berlin südlich von Dresden liegt.
Falschheit und Wissen sind auch nicht miteinander vereinbar.
675
Die Wahrheit einer Überzeugung ist eine notwendige
Bedingung für Wissen!
Wissen ist faktiv.
676
Hans bekommt ein Säckchen mit Murmeln vorgesetzt.
Er soll nun sagen, wie viele Murmeln sich in dem
Säckchen befinden. Er rät und sagt „16“.
Jetzt wird das Säckchen geöffnet, wobei sich
herausstellt, dass es zufällig wirklich 16 Murmeln sind!
677
Wusste Hans, wie viele Murmeln im Säckchen sind?
678
Der Besitz einer wahren Überzeugung allein ist nicht
hinreichend für Wissen.
Zufällig wahre Überzeugungen stellen kein Wissen dar.
679
Wodurch unterscheiden sich zufällig wahre
Überzeugungen von Wissen?
680
[D]ie richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, solange sie
bleiben, und bewirken alles Gute; lange Zeit aber pflegen sie
nicht zu bleiben, sondern gehen davon aus der Seele des
Menschen, so dass sie doch nicht viel wert sind, bis man sie
bindet durch Aufweisen ihrer Begründung. ... Nachdem sie aber
gebunden werden, werden sie zuerst Erkenntnisse und dann
auch bleibend. Und deshalb nun ist Erkenntnis höher zu
schätzen als die richtige Vorstellung, und es unterscheidet sich
eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der richtigen
Vorstellung.
Platon: Menon 97e-98a
681
Hans weiß, dass es keine größte Primzahl gibt, kann
aber keinerlei Gründe vorbringen, die seine Ansicht
stützen.
Plausibel oder nicht?
682
Maria weiß, ob die Bibliothek sonntags geöffnet ist,
wenn sie eine verlässliche Informationsquelle besitzt,
auf die sie sich stützen kann.
683
Claudia weiß erst, ob sie schwanger ist, wenn sie
Evidenzen dafür hat.
684
Ein Mathematiker weiß erst dann, dass ein
mathematischer Satz wahr ist, wenn er ihn beweisen
kann.
685
Hans weiß nicht, wie viele Murmeln im Säckchen sind,
wenn er es nur rät.
686
Edmund Gettiers Problem
687
Edmund L. Gettier *1927
Amerikanischer Philosoph, der
bekannt und berühmt geworden ist
durch einen 3-seitigen Aufsatz:
“Is Justified True Belief Knowledge?”
(1963)
688
Müller und Schmidt
689
Schmidt und Müller bewerben sich auf dieselbe Stelle.
Schmidt hat aus glaubhafter Quelle erfahren, dass
sich die Firma für Müller entscheiden wird.
Außerdem hat er zufällig gesehen, dass Müller zehn
Münzen in seiner Hosentasche hat.
690
Schmidt bildet die gerechtfertigte Überzeugung:
„Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn
Münzen in der Hosentasche.“
691
Nun ereignen sich für Schmidt zwei unerwartete
Zufälle. Er selbst hat auch genau zehn Münzen in
seiner Hosentasche und er selbst, nicht Müller,
bekommt die Stelle.
692
Schmidt hat eine wahre Überzeugung.
„Derjenige, der die Stelle bekommen wird, hat zehn
Münzen in seiner Hosentasche.“
693
Seine Überzeugung ist zudem gerechtfertigt.
Glaubhafte Quelle, eigene Wahrnehmung, logisches
Schließen
694
Wusste Schmidt wirklich, was er glaubte?
695
Scheunenattrappen
696
Barney sieht bei einem Ausflug eine Scheune. Er hat
gute Augen und keinen Grund seiner Wahrnehmung
zu misstrauen. Weiterhin ist seine Wahrnehmung
korrekt: es handelt sich tatsächlich um eine Scheune.
Er kommt zu der Überzeugung, dass vor ihm eine
Scheune steht.
697
Angenommen, in der Gegend, in der sich Barney
gerade aufhält, wird – ohne dass er das wüsste – ein
Film gedreht. Daher stehen sehr viele täuschend echt
aussehende Scheunenattrappen herum.
Die von Barney gesehene Scheune ist zufällig die
einzige echte Scheune in dieser Gegend.
698
Weiß Barney, dass vor ihm eine Scheune steht?
699
Reaktionen
700
Internalistische Konzepte… halten Rechtfertigung für eine notwendige
Bedingung des Wissens. Sie versuchen, die Definition
des Wissens durch weitere Bedingungen zu ergänzen.
701
Externalistische Konzepte… halten Rechtfertigung nicht für eine notwendige
Bedingung des Wissens. Sie versuchen das
Charakteristikum des „nicht zufällig Wahrseins“ anders
zu bestimmen.
702
Die kausale Konzeption des
Wissens
703
Alvin I. Goldman *1938
Einflussreicher amerikanischer Philosoph mit
einem breiten Spektrum an Arbeiten auf den
Gebieten der Erkenntnistheorie und der
Philosophie des Geistes.
A Causal View of Knowing (1967), A Theory of Human Action (1970), „What is Justified Belief?“ (1979), Epistemology and Cognition (1986), Knowledge in a Social World (1999), SimulatingMinds (2006)
704
S weiß, dass p genau dann wenn:
(1) S glaubt, dass p;
(2) p ist wahr; und
(3) S´s Überzeugung wurde durch die Tatsache, dass
p, verursacht.
705
Probleme
706
Wenn ich einen Kessel auf die heiße Herdplatte stelle,
dann weiß ich, dass das Wasser kochen wird.
707
ZukunftZukünftige Tatsachen können keine Ursachen für
gegenwärtige Überzeugungen sein.
708
Luise bekommt am ganzen Körper kleine rote
Flecken. Dies verursacht in ihr die Überzeugung, dass
sie an Masern erkrankt ist.
Medizinisch gesehen handelt es sich bei den roten
Flecken um eine allergische Reaktion auf ihre
Masernerkrankung.
Weiß Luise, dass sie Masern hat?
709
DevianzDie Verursachung der Überzeugung muss von der
„richtigen Art“ sein.
710
Ich weiß, dass es in der Sahara keine Eisberge gibt.
711
Negative Tatsachen?Gibt es „negative Tatsachen“ ( wie das
Nichtvorhandensein von Eisbergen in der Sahara), die
die Ursache für meine Überzeugung sein können,
dass es keine Eisberge in der Sahara gibt?
712
Ich weiß, dass 7+5=12 ist.
713
Mathematisches Wissen?Welche Tatsachen könnten Ursache für
mathematisches Wissen sein?
714
Ich weiß, dass es vielleicht regnen wird.
715
Modales Wissen?Es hat nicht geregnet. Dass es hätte regnen können,
kann also nicht Ursache meiner Überzeugung sein.
716
Die reliabilistische Konzeption
des Wissens
717
Frank P. Ramsey (1903-1930)
Einflussreicher britischer Ökonom, Philosoph
und Mathematiker, der in kurzer Zeit einige
grundlegende Werke veröffentlicht hatte.
Befreundet mit Wittgenstein, Keynes u.a.
Truth and Probability (1926), A Mathemtical Theory of Saving (1928), Knowledge (1929), On a Problem of Formal Logic (1930), The Foundations of Mathematics (1931),
718
S weiß, dass p genau dann wenn:
(1) S glaubt, dass p,
(2) p wahr ist und
(3) S auf eine verlässliche Art und Weise zu seiner
Überzeugung p gelangt ist.
719
Die dritte Bedingung verlangt, dass die Überzeugung
durch eine verlässliche Methode zustande gekommen
sein muss.
Welche Methode ist verlässlich?
720
Wenn mir eine Wahrsagerin prophezeien würde, dass
ich den Hauptgewinn bei einer Tombola ziehe und
dies tatsächlich geschieht, dann kann man nicht
sagen, ich wusste, dass ich gewinnen werde.
721
Wenn die Wahrscheinlichkeit, mit einer Methode zu
einer wahren Überzeugung zu kommen, hoch ist,
dann gilt diese als verlässlich.
722
Anzahl der mit einer Methode
erworbenen wahren Meinungen
Anzahl der Anwendungen der
Methode
0 < < 1
723
Verlässlichkeit ist graduell. Die Grenze zwischen
verlässlichen Methoden und unverlässlichen
Methoden ist daher willkürlich und vage.
724
Die Verlässlichkeit einer Methode des
Meinungserwerbs ist relativ zu einem gegebenen
Zweck.
725
Wahrnehmung ohne technische
Hilfsmittel… ist eine verlässliche Methode, wenn man an
Informationen über mittelgroße Gegenstände in der
näheren Umgebung interessiert ist (z.B. ob jetzt ein
Stück Kreide vor mir liegt).
726
Wahrnehmung unter Zuhilfenahme
komplizierter Instrumente… ist eine verlässliche Methode, wenn es sich um
Gegenstände handelt, die nur durch den Gebrauch
eines technischen Instruments (Mikroskop, Teleskop)
wahrnehmbar sind.
727
Methoden des
Meinungserwerbs
728
WahrnehmungReliabel in Bezug auf Wissen von mittelgroßen
Gegenständen in unserer unmittelbaren
Handlungsumgebung
729
Wahrsagereinicht reliabel
730
Schlussfolgern aus wahren
Prämissenreliabel
731
Schlussfolgern aus falschen
Prämissennicht reliabel
732
Raten/Münze werfennicht reliabel
733
Expertenwissenreliabel in Bezug auf das entsprechende Fachgebiet
734
Alltagserfahrungreliabel in Bezug auf die entsprechenden
Alltagsthemen
735
Träumennicht reliabel
736
ZeugenbefragungReliabilität abhängig von Umständen (Glaubwürdigkeit
etc.)
737
Unbestimmtheit der Methode
738
739
Anna sieht ein Flugzeug in weiter Ferne vorbei fliegen.
Weiß sie, dass ein Flugzeug vorbei fliegt?
740
Welche Methode hat sie verwendet?
741
Visuelle Wahrnehmung
Visuelle Wahrnehmung bei klarer Sicht
Visuelle Wahrnehmung mit Augentropfen bei klarer Sicht
Sehr aufmerksame visuelle Wahrnehmung
742
Maximal Eingrenzung der MethodeSehr detaillierte Beschreibungen von Einzelfällen, die
keine probabilistischen Eigenschaften haben.
743
Minimale Eingrenzung der MethodeEventuell falsche Zuschreibungen von Wissen bzw.
Nichtwissen.
744
Kontextualismus
745
746
Erna ist Meteorologin. Sie sitzt am Freitag über ihren
meteorologischen Daten und wertet diese aus. Doch
dann schaut sie aus dem Fenster. Sie sieht die Form
der Wolken und kommt aufgrund dieser Beobachtung
zu der (wahren) Überzeugung, dass es am Samstag
regnen wird.
Weiß Erna, dass es am Samstag regnen wird?
747
Erna weiß, dass es regnet, wenn wir Erna als Laien-
Meteorologin betrachten.
Erna vermutet nur, dass es regnet, wenn wir Erna als
professionelle Meteorologin betrachten.
748
S weiß, dass p genau dann wenn:
(1) S glaubt, dass p,
(2) p ist wahr, und
(3) S die im gegebenen Kontext einschlägigen
Standards erfüllt.
749
Wodurch wird bestimmt, was die einschlägigen
Standards sind?
750
KonventionenStandards werden konventionell festgelegt. Es gibt
zum einen Konventionen, die die professionellen
Meteorologen untereinander teilen, zum anderen
Konventionen, die die meteorologischen Laien im
Alltag miteinander teilen.
751
Wodurch wird bestimmt, in welchem Kontext man
sich befindet?
Denk an Erna …
752
Wissen ist relativ zu einem Zuschreiber, d.h.
derjenigen Person, die beurteilen muss, in welchem
Kontext sich jemand befindet, wenn er eine
Überzeugung erwirbt.
Wissen ist betrachterrelativ.
753
Die Relativität des
Wissensbegriffs
754
Unter welchen Bedingungen gilt eine wahre
Überzeugung als Wissen?
755
VerlässlichkeitDie Beurteilung der Verlässlichkeit des
Meinungserwerbs hängt davon ab, wie detailliert wir
die verwendeten Methoden beschreiben.
756
StandardsDie Zuschreibung von Wissen ist abhängig von den
zugrundegelegten Standards. Welchen Standard wir
wählen, hängt davon ab, in welchem Kontext wir den
Wissenserwerb betrachten.
757
KontextDie Wahl des Kontexts ist nicht objektiv, sondern
perspektivengebunden.
758
Sollten wir den Versuch einer reduktiven Definition des
Wissensbegriffs ganz aufgeben?
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