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Post on 25-Jan-2020
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Ist die Bibel Gottes Wort?
Matthias Zeindler
1. Der aktuelle Ernstfall: «Ehe für alle»
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Erklärung «Habt ihr nicht gelesen…?»:
Amtshandlungen für gleichgeschlechtliche Paare sind gegen «das
klare Zeugnis der Schrift».
Replik «Die Liebe hat den langen Atem»:
«Wir verwerfen deshalb jede falsche Lehre, welche subjektive,
partikulare menschliche Erkenntnis für absolut erklärt oder in
exklusiver Weise Wahrheit (z.B. Bibeltreue) für sich vereinnahmt.»
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Unbestritten:
Autorität, Verbindlichkeit der Bibel für die Kirche und den christlichen
Glauben.
Umstritten:
Wie ist die Autorität und Verbindlichkeit der Bibel zu verstehen?
Ist verbindlich der Wortlaut der Texte oder ihr «Geist»?
Spricht Gott durch dieses Buch?
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Die besondere Verlegenheit
der reformatorischen Kirchen:
sola scriptura (allein die Schrift)
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2. Probleme mit der «Heiligen Schrift»
a. Autoritätsproblem:
Wird nicht die menschliche
Autonomie in Frage gestellt?
Das freie, kritische Denken?
Und damit der Kern der
neuzeitlichen Freiheit?
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b. Problem der Historizität:
Wie kann ein altes Buch heute noch die Grundlage für einen
zeitgemässen Glauben sein?
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c. Problem des Inhalts:
Die Bibel enthält Widersprüche und Grausamkeiten. Wie können
solche Texte Autorität beanspruchen?
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d. Problem der Exklusivität:
Fast alle Religionen
haben ihre heiligen Schriften
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3. Zur Bedeutung der Bibel
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• Meistübersetztes Buch der Welt: 692 Gesamtübersetzungen, 1547
Neues Testament, 1123 Teilübersetzungen
• Meistverkauftes Buch der Welt
• Für alle christlichen Kirchen Grundlage des Glaubens und Zentrum
des Gottesdienstes
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Warum diese Bedeutung? Vielfältige Antworten – oder 6x Ja und
Nein:
a. Ein wichtiges Zeugnis der Vergangenheit
b. Ein literarischer Klassiker
c. Ein wichtiges religiöses Zeugnis
d. Ein vom Heiligen Geist inspiriertes Buch
e. Irrtumsfreie Wahrheit
f. Gottes Wort an die Menschen
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4. Bibel – Heilige Schrift – Gottes Wort
Bibel:
Sammlung von religiösen Texten, entstanden zwischen 1000 v.Chr.
und 120 n.Chr.
Altes Testament (vor Jesus): 39 Bücher
Neues Testament (nach Jesus): 27 Bücher
Einzelne Bücher haben langen Entstehungsprozess und viele Autoren.
Zu vielen Texten gibt es Parallelen in den umliegenden Kulturen.
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Heilige Schrift:
Das Buch der Kirche und des Glaubens, aus dem Christenmenschen
Begründung des Vertrauens auf Gott erwarten.
Primärer Ort der Bibel als Heilige Schrift: der Gottesdienst:
Im Gottesdienst wird auf die Bibel gehört mit der Erwartung, dass sie
uns heute etwas über Gott, die Welt und uns selbst zu sagen hat.
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Die Bibel, als Heilige Schrift verstanden, wird im Gottesdienst
ausgelegt (gepredigt) auf heutiges Leben hin.
Von der Bibel als Heiliger Schrift erhoffe ich mir Erhellung und
Orientierung meines Lebens.
Dass die Bibel antike Literatur ist, weiss ich.
Dass die Bibel Heilige Schrift sein kann, glaube ich.
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Wort Gottes:
Wort Gottes werden Texte der Bibel, wo Gott durch sie Menschen zu
Glaube, Liebe und Hoffnung erweckt.
Die Bibel ist nicht Wort Gottes. Gott lässt sie je und je zu seinem Wort
werden, wo er durch sie zu Menschen spricht.
Auch dass die Bibel Wort Gottes werden kann, muss ich glauben.
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5. Der redende Gott
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Was berechtigt zum Glauben, die Bibel könne Wort Gottes werden?
Die Bibel selbst!
(methodische Zwischenbemerkung: theologische Aussagen müssen
biblisch fundiert sein. Auch Aussagen über die Bibel.)
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Aussagen der Bibel über Gott:
• Gott ist: «Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott.» (Ps.
14,1)
• Gott ist gegenwärtig: «Der Herr der Heerscharen ist mit uns.» (Ps.
46,8)
• Gott hält Gemeinschaft: «An jenem Tag schloss der Herr einen
Bund mit Abram.» (Gen. 15,18)
• Gott spricht: «Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.» (Jes.
40,1)
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Neues Testament:
der auferstandene Jesus
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Der auferstandene Jesus: der gegenwärtige Christus
«Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin
ich mitten unter ihnen.» (Matth. 18,20)
«Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.» (Matth. 28,20)
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Biblische Texte sprechen davon, wie Menschen Gott einst erfahren
haben. Damit sprechen sie davon, wer Gott heute für uns ist.
Biblische Texte sprechen davon, wie Menschen den auferstandenen
Jesus erfahren haben. Damit sprechen sie davon, wer der Auferstan-
dene heute für uns ist.
Durch biblische Texte kann sich ereignen, wovon diese sprechen:
Menschen finden Gemeinschaft mit Gott.
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Biblische Texte helfen uns erkennen, wer Gott ist.
Biblische Texte helfen uns erkennen, was es heisst, mit Gott zu leben.
Biblische Texte helfen uns erkennen, was wir von Gott erwarten dürfen.
Biblische Texte helfen uns erkennen, wie wir handeln sollen.
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Wo Menschen erkennen und erfahren …
… wer Gott ist – nämlich ein menschenfreundlicher Gott
… was die Welt ist – nämlich Schöpfung eines guten Gottes
… was der Mensch ist – nämlich bestimmt zum Partner Gottes …
… dort können Glaube (Vertrauen), Liebe, Hoffnung entstehen.
Wo dies geschieht, haben wir Anlass zu glauben, dass Gott
«gesprochen» hat.
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Nochmals:
Wort Gottes werden Texte der Bibel, wo Gott durch sie Menschen zu
Glaube, Liebe und Hoffnung erweckt.
Weil dies immer wieder geschieht, vertrauen Menschen, dass die Bibel
immer wieder Wort Gottes werden kann.
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6. Konsequenzen für das Bibelverständnis
a. Die Bibel – ein menschliches Buch
Biblische Texte sind von Menschen zu einer bestimmten Zeit für eine
bestimmte Situation im Rahmen eines bestimmten Weltbildes verfasst
worden.
→ Das Weltbild der Bibel ist nicht mehr das unsrige (Bsp. Schöpfungs-
geschichten)
→ Texte sind aus ihrem Kontext heraus zu verstehen (Bsp. Gewalt-
texte)
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Biblische Texte sind in langen Sammlungs- und Redaktionsprozessen
entstanden.
→ Widersprüche durch Zusammenstellung verschiedener Texte.
→ vier Evangelien: vier «Predigten» für vier verschiedene Gemeinden.
Die Antike hatte ein anderes Verständnis von Autorschaft.
→ Psalmen «Davids»
→ Paulusbriefe (Röm., 1./2. Kor., Gal., Phil., 1. Thess., Phlm);
Deuteropaulinen (Eph., Kol., 2. Thess., 1./2. Tim., Tit.)
→ weitere Zuschreibungen (Jak., 1./2. Petr., Jud.)
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b. Die Bibel – historisch-kritisch zu interpretieren
Historisch-kritische Interpretation: die übliche Methodik für das
Verstehen alter Texte.
Traditionelle Methodenschritte: Textkritik, Literarkritik, Formgeschichte,
Redaktionsgeschichte.
Neuere Methodenschritte: materialistische, sozialgeschichtliche,
strukturalistische, psychologische, feministische, postkolonialistische
etc. Zugänge.
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Historische Interpretation erklärt die Bedeutung der Texte damals.
Sie bewahrt vor vorschneller Aneignung fremder Texte.
Verstehen der Texte bedingt einen weiteren
Schritt: die Übersetzung ins Heute.
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c. An die Bibel glauben?
Christenmenschen glauben nicht an die Bibel (bzw. die Heilige Schrift).
Christenmenschen glauben an Gott, wie er in der Bibel bezeugt wird.
7. Autorität der Heiligen
Schrift?
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Nochmals: Für alle Kirchen ist die Bibel Grundlage des Glaubens –
und insofern Autorität.
Keine äusserliche Autorität …
… aufgrund einer Theorie über die Bibel (z.B. Inspirationslehre)
… weil die Kirche es behauptet
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… sondern innere Autorität:
Autorität der Texte selbst
Schriftlehre der altprotestantischen Orthodoxie (17./18. Jh.):
efficacia scripturae – Eigenwirksamkeit der Schrift
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Die Bibel bezeugt einen befreienden, liebenden Gott
→ das Verstehen der Bibel soll befreiend sein.
Die Bibel bezeugt einen befreienden, liebenden Gott
→ die Bibel soll von freien Menschen gelesen werden.
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Autorität der Heiligen Schrift
Die Autorität und Verbindlichkeit der Heiligen Schrift ist keine andere
als die des darin bezeugten Gottes.
Die Autorität der Heiligen Schrift ist befreiende Autorität, Autorität, die
Menschen in die Freiheit führt.
Die Autorität der Heiligen Schrift ist überzeugende, einladende
Autorität, zu der Menschen ihr freies Ja sprechen können.
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Autorität der Bibel
Die Autorität der Heiligen Schrift bleibt die Autorität Gottes, sie wird
nicht zur Autorität eines Buches. (Kein «papierender Papst»)
Die Autorität der Heiligen Schrift ist freie Autorität, die sich ereignet
«wo und wann immer es Gott gefällt» (Augsburger Bekenntnis, 1530).
Die Autorität der Heiligen Schrift kann deshalb nicht von Menschen für
ihre Zwecke in Anspruch genommen werden.
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Autorität der Bibel
Die Autorität der Heiligen Schrift ist wahre Autorität, weil sie Menschen
im Innersten verändern kann.
Die Autorität der Heiligen Schrift ist wahre Autorität, weil sie ohne
Zwang, sondern durch die Kraft der Überzeugung wirkt.
Die Autorität der Heiligen Schrift ist wahre Autorität, weil sie Menschen
nicht knechtet, sondern erst wirklich frei macht.
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8. Wie die Bibel lesen?
Die Bibel ist ein menschliches Buch:
ein altes, fremdes Buch
→ Die Bibel soll historisch gelesen werden.
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Die Bibel ist ein menschliches Buch:
ein altes, fremdes Buch
→ Die Bibel soll kritisch gelesen werden.
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Die Bibel ist ein vielfältiges Buch:
aus einem langen Zeitraum, mit unterschiedlichen «Stimmen»
→ Die Bibel soll in ganzer Breite werden.
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Die Bibel ist ein Buch, das einen lebendigen Gott bezeugt:
einen in der Welt gegenwärtigen, die Menschen (kritisch und
solidarisch) begleitenden Gott
→ Die Bibel soll so gelesen werden, dass man diesen Anspruch
ernst nimmt.
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Die Bibel ist ein Buch, das einen lebendigen Gott bezeugt:
einen in der Welt gegenwärtigen, die Menschen (kritisch und
solidarisch) begleitenden Gott
→ Die Bibel muss im Horizont der heutigen Welt ausgelegt,
interpretiert werden.
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Die Bibel ist das Buch einer Gemeinschaft:
der Kirche (in ihren vielfältigen Ausprägungen)
Die Bibel soll gemeinsam gelesen werden.
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Die Bibel ist ein Buch der weltweiten Kirche
→ Die Bibel soll interkulturell gelesen werden.
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Beispiel: «Through the Eyes of Another»
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Prozessablauf:
• 120 kirchliche Gruppen aus über 25 Ländern
• Alle lesen «Jesus und die Samaritanerin» (Joh. 4)
• Lektüre in der Gruppe, Bericht
• Kontakt zu Partnergruppe
• Erneute Lektüre des Bibeltextes «mit den Augen der Andern»
• Reaktion auf Response der Partnergruppe
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9. Ein Buch, das verändert
Aufbrüche in der Kirche immer Wiederentdeckungen der Bibel:
• Augustin, Reformatoren (Luther, Zwingli, Calvin etc.): Paulus
• Franziskus: Jesus der Evangelien
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• Karl Barth
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«Die neue Welt in der Bibel» (1916)
«Wir werden in ihr [der Bibel] immer gerade so viel finden, als wir
suchen: Grosses und Göttliches, wenn wir Grosses und Göttliches
suchen, Nichtiges und ‹Historisches›, wenn wir Nichtiges und ‹Histori-
sches› suchen – überhaupt nichts, wenn wir überhaupt nichts suchen.»
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«Die heilige Schrift legt sich selbst aus, aller unserer menschlichen
Beschränktheit zum Trotz. Wir müssen es nur wagen, diesem Trieb,
diesem Geist, diesem Strom, der in der Bibel selbst ist, zu folgen, über
uns selbst hinauszuwachsen und nach der höchsten Antwort zu
suchen.»
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«Wollen wir uns auf ‹Gott› einlassen? Wagen wir es, dahin zu stehen,
wohin wir da offenbar geführt werden? Das wäre also ‹Glauben›! Eine
neue Welt ragt da in unsre gewöhnliche, alte Welt hinein.»
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