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Frühe Diagnose und intensive Interventionen bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen
24. Mai 2012
Dr. Ronnie GundelfingerZentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Universität Zürich
Das Autismus Projekt Zürich
• Zuverlässige Diagnostik • Beratung von Eltern bzgl. Behandlungs- und
Fördermöglichkeiten• Ein intensives, verhaltenstherapeutisches
Frühförderprogramm• Gruppentherapie für Kinder mit AS unter Einbezug
von Geschwistern und Eltern• Konsiliartätigkeit für die Schule der Stiftung Kind +
Autismus• Weiterbildungsangebote für Pädiater, Psychiater,
Heilpädagogen,Logopädinnen• Enge Zusammenarbeit mit dem Elternverein • 2010 etwa 180 Neuanmeldungen
Das Autismus Projekt Zürich
Lic. phil. Bettina JennyLic. phil. Edith HörlerLic. phil. Philippe GoetschelLic. phil. Tanja SchenkerLic. phil. Erika StüssiLic. phil. Nadja StuderLic. phil. Katja WichserLic. phil. Camille SchärLic. phil. Michèle EiholzerDr. Gudrun SchneiderViele studentische MitarbeiterinnenEva SupriadiDr. Ronnie GundelfingerProf. Susanne Walitza
Diagnose
Kategoriale <-> Dimensionale Diagnose
Psychiatrische Diagnose
• Keine messbaren Veränderungen• Beobachtbare Verhaltensauffälligkeiten
• Keine Biomarker
Zeitpunkt der Diagnose
Australische Studie
Erste Sorgen der Eltern 13 Mt.Erster Kontakt zu Fachperson 28 Mt.Diagnose 48 Mt.
Auffälligkeiten in der Eltern-Kind Interaktion
• Akkustisch: – Wenig Reaktion auf elterliche Stimme– Keine Reaktion auf Namensnennung– Wenig präverbale Laute
• Visuell:– Fehlender oder auffälliger Blickkontakt
• Taktil:– Ungewöhnliche Reaktion auf Körperkontakt
Verdachtssymptome im 1. Lebensjahr
• Verzögerte Sprachentwicklung• Kein gemeinsames Interesse an der Welt
=joint attention– Kein Zeigen auf interessante Gegenstände– Kein Bringen von Objekten, um sie zu zeigen– Kein Orientieren am Gesicht der Eltern– Kein gemeinsames Betrachten von Bildern
• Kein imitierendes Spielen• Wenig oder ungewöhnliche nonverbale
Kommunikation• Verlust von sprachlichen oder sozialen
Fähigkeiten
Verdachtssymptome im 2. Lebensjahr
• Wenig Interesse an anderen Kindern
• Fehlende oder ungewöhnliche Sprache
• Eingeschränktes und repetitives Spielverhalten
• Wenig Interesse an Bilderbüchern und Geschichten
• Faszination für rotierend oder glitzernde Objekte
• Ungewöhnliche Hand- oder Körperbewegungen
• Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Geräusche, Gerüche oder Berührung
Verdachtssymptome nach dem 2. Lebensjahr
Das 1. Lebensjahr – genauer betrachtet
Zwischen dem 6. und dem 12. Monat nimmt bei nicht autistischen Kindern das gezielte soziale und kommunikative Verhalten kontinuierlich zu, während es bei autistischen Kindern stagniert oder sogar abnimmt
(v.a. Blickkontakt, soziales Lächeln).
Das 1. Lebensjahr – genauer betrachtet
2 neue Studien mit high-risk Kindern (Geschwister von Kindern mit autistischer
Störung)
Im Alter von 6 Monaten• können Fachpersonen keinen Unterschied
zwischen den später autistischen und den später nicht autistischen Kindern erkennen.
• Unterscheiden die Sorgen der Eltern nicht zwischen den später autistischen und den später nicht autistischen Kindern.
Das 1. Lebensjahr – genauer betrachtet
• Studie mit 13 Geschwistern, die später eine ASS Diagnose bekommen
– Mit 6 Monaten 1 Kind mit Verdacht– Mit 12 Monaten 5 Kinder mit Verdacht– Mit 18 Monaten 3 Kinder mit Diagnose, alle
anderen mit Verdacht
– Mit 24 Monaten 8 Kinder mit Diagnose– Mit 36 Monaten alle Kinder mit Diagnose
Das 1. Lebensjahr – noch genauer betrachtet
Auf der Suche nach einem noch früheren Marker
• Das Blickverhalten unterscheidet Kinder mit ASS von Kontrollen und von Kindern mit geistiger Behinderung schon ab dem 3. Monat
• Kinder mit ASS schauen weniger auf die Augen, mehr auf den Mund und auf Objekte als Kontrollen
• Je häufiger die Kinder auf den Mund und je seltener auf die Augen schauen, desto ausgeprägter sind autistische Symptome mit 24 Monaten.
Diagnostische Instrumente
• Screening– CHAT, Checklist for Autism in Toddlers– M-CHAT, Modified CHAT – FSK, Fragebogen für Soziales Verhalten und
Kommunikation
• Interview– ADI-R, Autism Diagnostic Interview – Revised
• Spiel- und Interaktionsbeobachtung– ADOS, Autism Diagnostic Observation Scale– ADEC, Autism Detection in Early Childhood
Dr. Ronnie Gundelfinger, Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universität Zürich
ADI
ADOS
Differentialdiagnose
• Geistige Behinderung (mit autistischen Zügen?)
• Schwere Sprachentwicklungsstörung
• Deprivation (rumänische Adoptionskinder)
Dr. Ronnie Gundelfinger, Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universität Zürich
Häufigkeit von A-S-S bei Kindern und Jugendlichen
mit Geistiger Behinderung
N= 825 56 % Leichte GB, 44 % mittlere/schwere GB
• ADI-R: leichte GB 11.3 % FA mittlere/schwere GB 21.5 % FA
• ADOS-G: leichte GB 5.8 % FA 4.4.% AA
mittlere/schwere GB 25.6 %
FA 6.6 % AA
• DSM-IV: leichte GB 3.0 % FA 6.3 % AA
mittlere/schwere GB 16.1 % FA
9.9 % AA
Autismus: Verlauf von 2 bis 9 Jahren
Catherine Lord et al. Arch Gen Psychiatry,63:694-701, 2006
• 192 Kinder (2-3 J) wurden wegen V.a. Autismus untersucht:– 49 % frühkindlicher Autismus– 27 % atypischer Autismus – 24 % keine Autismus Spektrum Diagnose
• Mit 9 Jahren– 58 % frühkindlicher Autismus– 20 % atypischer Autismus – 22% keine Autismus Spektrum Diagnose
– Nur 1 von 84 Kindern mit frühkindl. Autismus und 10 % der Kinder mit atypischem Autismus erhielten mit 9 J keine Autismus Spektrum Diagnose
Intervening in Infancy: Implications for ASD
Wallace and Rogers, J Child Psychiatry and Psychology, 2010
Frühe Interventionen nicht nur bei ASS, sondernz.B. auch bei extremenen Frühgeburten oder sozialem high risk.
Wichtige Faktoren für Erfolg:ElternbeteiligungIndividuelles ProgrammBreites FörderprogrammFrüh, intensiv, lang
Sensitivity : Das Kind verstehenResponsivity: Adäquat auf das Kind reagieren
Early behavioural intervention, brain plasticity and the prevention of ASDGeraldine Dawson, Developement and Psychopathology, 2008
Fehlende soziale Motivation führt zu fehlenden sozialenErfahrungen.
Diese Kinder vermeiden oft Kontakt, zeigen wenigexploratorisches Verhalten und wenig funktionale Spiel,was das Lernen stark beeinträchtigt.
Tierstudien zeigen, dass „early enrichment“ auch bei genetischen Störungen einen deutlichen Effekt hat.
Soziales und kognitives „enrichment“ !!
Early behavioural intervention, brain plasticity and the prevention of ASD
Geraldine Dawson, Development and Psychopthology, 2008
Zentrale Aspekte der FörderungUmfassendes Förderprogramm (Imitation, Sprache,
Spiel, soziale Interaktion, Bewegung, Alltagsfertigkeiten)
Programm folgt entwicklungspsychologischen RegelnGeeignete LernmethodenGradueller Übergang von hoch strukturierter zu
natürlicher LernumgebungIntensität (25 h/w für mindestens 2 Jahre)Beginn zwischen 2 und 4 JahrenQualifizierte TherapeutenSupervison
Intensive Frühförderprogramme
•Verhaltenstherapeutisch orientiert:– Applied Behavioral Analysis (ABA)– UCLA – Modell (Lovaas)– Verbal Behavior (Carbone)– ………
•Andere:– Mifne (Alonim)– Floor Time (Greenspan und Wieder)– PLAY (Solomon)– Option (Kaufmann)– RDI (Gutstein)
Dr. Ronnie Gundelfinger, Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universität Zürich
ABA
Applied Behavioral Analysis
= Angewandte Verhaltensanalyse
Ist ABA gleich VT?
Anwendungsgebiete: ABA
Organisations-ManagementVerkehrssicherheitbehaviorale Grundlagenforschung…
VT: klinisch, pädagogisch
Ist ABA gleich VT?
Methoden:VT
ABA: Operante Methoden
Kognitive Verfahren, andere wiss. bewährte Verfahren
Indikation ABA
• StörungsbildGrundsätzlich keine Einschränkungen
• Alter Grundsätzlich keine Einschränkungen
Hauptmerkmale von ABA bei Autismus
• Applied Behavior Analysis (Angewandte Verhaltensanalyse)
• Eltern mit einbezogen• Methodische Grundlage:
Operante KonditionierungKonzentration auf positive Verstärkung (Belohnung)
• Hoch strukturiert: in Einzelschritte unterteilte Lerneinheiten
Konzept der FIVTI in Zürich
• Frühe intensive verhaltenstherapeutische Intervention– 1:1 Betreuung– Zeitaufwand (25-35 Stunden pro Woche)– 2-3 Jahre
• Methodische Grundlage: Prinzipien der ABA• Anlehnung an Lovaas-Curriculum• Individuell auf Kind und Familie angepasst• Eltern miteinbezogen• Supervidiert durch Lovaas-Institute• Evaluation der Therapiefortschritte
Autismus-Projekt ZKJP Zürich
Förderbereiche
• Sprache und Kommunikation– (Non)verbale Kommunikation, Wortschatz,
Satzstrukturen, Artikulation• Kognitive Konzepte• Soziale Fertigkeiten und Spiel, Interaktion
– Imitation, Spiel alleine, Spiel mit anderen, versch. soziale und emotionale Kompetenzen
• Vorschulfertigkeiten/Schulvorbereitung• Selbsthilfe• Motorik
Autismus-Projekt ZKJP Zürich
Systematic review of early intensive behavioural intervention for children with
autismHowlin, Magiati and Charman, Am.J. of Int. and Devel.
Disabilties 2009
There is little question that EIBI is highly effective forsome children. However gains are not universal andsome children make only modest progress, sometimesafter extremely lenghty periods in treatment.
Die zentrale Frage heisst also:
Für welche Kinder (für welche Eltern?) wirkt EIBI am besten?
Gibt es Kinder (Eltern?), für die eine andere Intervention geeigneter ist?
Vergleich von elternbasierten Therapieverfahren bei Kindern mit ASS
Kamp-Becker, 2011, homepage Frankfurt
Keine Intervention kann für sich den Anspruch erheben, dass eine vollständige Normalisierung der Entwicklung erreicht werden kann.
Keine Intervention kann für sich den Anspruch erheben, dass für jedes Kind der Besuch der Regelschuleerreichbar, sinnvoll und hilfreich ist.
Keine Evidenz, dass mehr und länger immer besser ist.
Verhaltenstherapeutische Interventionen mit engemEinbezug der Eltern = best practice !!
Alexander
• Geb. 28.12.2002• Eltern
– Km Russin, Kv Schweizer• Diagnose
– F84.0: Frühkindlicher Autismus– Tiefe Intelligenz (testpsychologisch)
• Verlauf – Oktober 06 FIVTI-Start – Oktober 07-Juni 09 schrittweiser Aufbau des Pensums
im KIGAParalleler Abbau FIVTI
– Integration in Regelklasse Sommer 09• Untersuchungsbericht Januar 10
– Wechsel der Diagnose: F84.1 Atypischer Autismus– Hohe Intelligenz (testpsychologisch)
Grenzen von ABA, EIBI, FIVTI
• ?????????
Grenzen von ABA, EIBI, FIVTI
Viele !!!!!!
• Grenzen des Kindes• Grenzen der Eltern• Grenzen der Therapeutinnen• Grenzen des Versorgungssystems
PLAY
Floortime
DIR Developmental, Individual Difference, Relationship-based
Stanley Greenspan, Serena Wieder
PLAY Play and Language for Autistic Youngsters
Richard Solomon
DIR und PLAY
Meet them where they are and take them where they need to go !
DIR
6 Entwicklungsstufen
• Selbstregulation und gemeinsame Aufmerksamkeit• Engagement• Zwei-Weg-Kommunikation• Komplexe Zwei-Weg-Kommunikation• Gemeinsame Bedeutung und Symbolspiel• Emotionales Denken
Cues
• Cues sind das zentrale Element der Beobachtung (verbal oder häufig nonverbal). Sie zeigen, was das Kind will.
• Ein Cue zeigt, ob das Kind an einer Interaktion Spass hat, sie toleriert oder ablehnt.
• Wenn man den Cues gegenüber empfindsam und aufmerksam ist, entdeckt man die Absichten des Kindes.
• Cues leiten die Interaktion und die Kreisläufe der Interaktion. Dadurch bleibt man kontingent, d.h. das eigene Handeln passt wirklich zum Kind in dieser Situation.
Circles of Communication
• Die basale Einheit von Kommunikation und Engagement• Responsiveness =Dauer des Engagements• Perseveration = Dauer des Non-Engagements• Kreise öffnen (Initiieren) und schliessen (Antworten)
• Beispiele: • Das Kind rufen (Öffnen), das Kind wendet sich zu
(Schliessen)• Dem Kind ein Spielzeug wegnehmen (Öffnen), das Kind
wird böse (Schliessen des 1.Kreises) und nimmt es zurück (Schliessen des 2. Kreises)
• Das Ziel der Intervention ist, die Anzahl und die Qualität miteinander verbundener Kreise zu erhöhen und dadurch das Kind auf die nächste Funktionsstufe zu bringen.
The Transporters
The Transporters Simon Baron-Cohen
8 Fahrzeuge
15 Episoden
3 Arten von Quizfragen:Gesichter zu Gesichtern zuordnenGesichter zu Emotionen zuordnenSituationen zu Gesichtern zuordnen
Begleitheft mit Hinweisen, wie die DVDvertieft genutzt werden kann
The Transporters – Die Studie
Enhancing Emotion Recognition in Children with AutismSpectrum Conditions: An Intervention Using AnimatedVehicles with Real Emotional Faces. Ofer Golan, Simon Baron-Cohen et al.J Autism and Developmental Disorders (2010) 40;269-279
20 Interventionskinder mit ASC (4 – 7 J, BPVS 98)18 Kontrollkinder mit ASC18 neurotypische Kontrollkinder
4 Wochen lang an Werktagen mindestens 3 Episoden
Test zur Emotionserkennung vorher und nachher
Resultate
Vor der InterventionNeurotypische Kinder in allen Aufgaben signifikantbesser als die ASS Kinder
Nach der InterventionNeurotypische und ASS Kontrollkinder unverändert
ASS InterventionskinderBeim Emotionalen Vokabular knapp unter Neurotyp.Bei den matching Aufgaben knapp über Neurotyp.
Kein Zusammenhang zwischen Anzahl gesehener Episoden (mind. 3/d) und Fortschritt
Resultate
– Bölte: Autismus
– Poustka et al: Autistische Störungen. Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie
– Noterdaeme: Autismus Spektrum Störungen
– Richman: Wie erziehe ich ein autistisches Kind?
– Schirmer: Elternleitfaden Autismus
– Maurice: Ich würde euch so gern verstehen!
– Moore: Sam, George und ein ganz gewöhnlicher Montag.
Literatur
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