essays on the history of mechanics – in memory of clifford ambrose truesdell and edoardo...

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Bundesingenieurkammer (Hrsg.): Inge-nieurbaukunst in Deutschland. Jahr-buch 2003/2004. Hamburg: Junius Ver-lag 2003. 200 S., zahlr. Abb. Kart., 30 ×24 cm. ISBN 3-88506-534-7. 2 39,90

Das zweite von der Bundesingenieur-kammer herausgegebene Jahrbuch ent-hält 25 kurzgefaßte Projektbeschreibun-gen, zwei Ingenieurportraits sowie sie-ben Beiträge, die unter „Geschichte,Forschung, Essays“ rubriziert sind;Schwerpunkt bildet dabei der Kon-struktive Ingenieurbau. Über die Hälfteder Beiträge sind von Fachjournalistenverfaßt, was sich auf die solide, leichtlesbare Darstellung des aktuellen Stan-des deutscher Ingenieurbaukunst posi-tiv auswirkt: Damit ist das Jahrbuch aufdem besten Weg, sich zu einem wichti-gen Forum für die Leistungen des deut-schen Ingenieurbaus für eine breitereÖffentlichkeit zu entwickeln.

Auf die Konstituenten der Inge-nieurbaukunst zielen Dietrich W. SchmidtsPortrait „Die Baukunst der Türme,Brücken, Tragwerke und der Begriff desÄsthetischen: Fritz Leonhardt (1909–1999)“, Wieland Ramms kulturhistori-scher Beitrag „Die Alte DirschauerWeichselbrücke – Mehr als nur eineBrücke“, Fritz Wenzels, Bernhard Illichsund Christoph Duppels Forschungsbe-richt über „Zerstörungsfreie Untersu-chungen am Baugefüge der Hagia Sophiain Istanbul“, Stefan Polónyis Reflektio-nen „Über die Ästhetik der Tragkon-struktionen“ und Werner Lorenz’ Essay„‚Das Schwierige hingegen, die Wirklich-keit‘ – Bildung und Ausbildung im Bau-ingenieurwesen im Umbruch“.

Schmidt zeichnet ein ausgewoge-nes aber durchaus kritisches Bild Leon-hardts, des Protagonisten deutscher In-genieurästhetik der Nachkriegszeit. Da-bei kommt der Autor zum Schluß, daßin Leonhardts Werk die komplexenkünstlerischen Mittel der über den prak-tischen Nutzzweck eines Bauwerks hin-ausweisenden Ausdruckswerte von Bau-kunst keine Resonanz finden (S. 123).

Fritz Wenzel, Bernhard Illich undChristoph Duppel zeigen am Beispielder zerstörungsfreien Untersuchung desinneren baulichen Zustandes der HagiaSophia in Istanbul, wie Bauingenieureder großen Herausforderung der Erhal-tung historisch bedeutsamer Bauwerkemethodisch begegnen.

Wie Leonhardt geht Polónyi vomKantschen Ästhetikbegriff aus, folgertaber, „daß die Ästhetik nur die Lehreder Wahrnehmung der Kunst und nichtdie Lehre der Kunst sein kann“ (S. 175).Polónyi begreift Architektur als Kunstder (begehbaren) Objekte, als Objekt-kunst; sie sei „das Ergebnis der subjekti-ven Wahrheitssuche des Baukünstlersunter Anwendung wissenschaftlicher,das heißt objektiver Methoden“ (S. 176).Er möchte deshalb seine Reflektionen446

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als Beitrag zur „Steigerung des Kunstge-nusses, des Tragwerkskunstgenusses“(S. 183) verstanden wissen.

Wieland Ramm erprobt die Krafthistorischen Denkens im KonstruktivenIngenieurbau am Beispiel des Schick-sals der 1857 fertiggestellten alten Dir-schauer Weichselbrücke. Er zeigt pla-stisch auf, daß dem Bauen auch eine hi-storische Dimension eingeschrieben ist.

Auch Werner Lorenz nutzt syste-matisch die ganze Schwungmasse histo-rischer Erkenntnis, um die tradiertenLeitbilder des Bauingenieurs herauszu-schälen und daraus Vorschläge eineszukunftsorientierten Bauingenieurstudi-ums abzuleiten, dessen Kernpunkte sichsignifikant von den üblichen Diplom-studiengängen unterscheidet: modularerStudienaufbau mit studienbegleitendenPrüfungen, interdisziplinäre Lehrveran-staltungen, konsequentes Projektstu-dium, Förderung eigenverantwortlichenLernens, Stärkung von Schlüsselquali-fikationen durch obligatorische fächer-übergreifende Module (z. B. Ingenieur-geschichte), englischsprachige Lehrver-anstaltungen und ein integriertes Aus-landssemester an einer Partnerhoch-schule im Masterstudium (S. 193).

Lehrreich ist auch das Portrait desIngenieurbüros Bollinger + Grohmannvon Peter Cachola Schmal, das belegt,wie unverkrampftes und selbstbewußtesIngenieurhandeln die noch immer viru-lente Animosität zwischen Architektund Bauingenieur souverän hinter sichläßt und zum Erfolg auch jenseits derGrenzen Deutschlands führt.

Den Abschluß des Jahrbuches for-muliert Hanns-Peter Ekardt mit seinerexemplarischen Analyse der gesellschaft-lichen Rahmenbedingungen der Bauin-genieurtätigkeit in der DDR mit Blickauf die Steuerung des Planungs- undBaugeschehens. Die heutige Situationsei dadurch gekennzeichnet, daß derPreiswettbewerb und die rechtliche Ri-sikosteuerung die professionelle Verant-wortung der Bauingenieure für die öf-fentliche Infrastruktur schmälere. Dar-aus leitet der Autor folgende Einsichtab: „Die Besonderheit des Bauens alsexperimenteller Praxis mit ihrer situati-ven Verschränkung von technischemAlltag und technischer Innovation ma-chen die professionelle Urteilskraftsowie die Fähigkeit und Bereitschaft zuprofessioneller Selbststeuerung zu einerunabdingbaren Voraussetzung einerfunktionsfähigen Infrastruktur – zumNutzen der kommenden Generationen“(S. 198). So könnte Ekardts Beitrag alsGrundstein zur Entwicklung von Strate-gien dienen, die der Normierung derBauingenieurarbeit auf der einen Seiteund der Anarchie des durch Preiswett-bewerb beherrschten Planungsmarktesauf der anderen Seite Einhalt gebieten.

Mit dem zweiten Jahrbuch zur In-genieurbaukunst in Deutschland ist es

der Bundesingenieurkammer, der Re-daktion, dem Beirat, den Autoren unddem Verlag gelungen, die operative undstrategische Seite des Ingenieurhandelnsso abzustimmen, fachspezifisch undgleichzeitig populär darzustellen, daßauch Leserinnen und Leser, die nichtder Profession der Bauingenieure an-gehören, daraus genußvoll Nutzen zie-hen können.

Karl-Eugen Kurrer, Berlin

Becchi, A., Corradi, M., Foce, F., Pede-monte, O. (Hrsg.): Towards a Historyof Construction – Dedicated to Edor-ardo Benvenuto. Basel/Boston/Berlin:Birkhäuser Verlag 2002. 796 S., zahlr.Bilder u. Tab. 17,0 × 30,5 cm. Geb. ISBN3-7643-6880-2. 68,- 2

Becchi, A., Corradi, M., Foce, F., Pede-monte, O. (Hrsg.): Essays on the Hi-story of Mechanics – In Memory ofClifford Ambrose Truesdell and Edo-ardo Benvenuto Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser Verlag2003. 256 S., zahlr. Bilder. 17,0 × 30,5 cm.Geb. ISBN 3-7643-1476-1. 44,94 2

„Technikgeschichte“ ist ein Begriff, dersich zusehends im allgemeinen Sprach-gebrauch verbreitet. Dennoch entziehensich Inhalt und Bedeutung noch allzuoftder Vorstellung derer, die damit inBerührung kommen oder sich damitauseinandersetzen wollen.

Die beiden Werke „Towards a Hi-story of Construction“ und „Essays onthe History of Mechanics“ der Herausge-ber Becchi, Corradi, Foce und Pedemontesollen hier Abhilfe schaffen. Sie präsen-tieren innerhalb eines Werkes das breiteSpektrum neuerer und gegenwärtigertechnikgeschichtlicher Forschung in denBereichen der Bautechnik und der Bau-mechanik. Der programmatische Titeldes ersten Bandes und Hauptwerkes(„Towards a History of Construction“)deutet einen Weg an, der seit langem vonwenigen, in den letzten Jahren vonimmer mehr Ingenieuren und Architek-ten propagiert wird: die Emanzipationder Geschichte der Bautechnik, Baukon-struktion und Baumechanik als eigen-ständige wissenschaftliche Disziplin. Soist das Werk auch zwei der bedeutend-sten Bereitern dieses Weges gewidmet,Edoardo Benvenuto (Bild 1), der 1998viel zu früh, mit knapp achtundfünfzigJahren verstarb und Clifford AmbroseTruesdell (Bild 2), dem eine bedeutendlängere Schaffensphase vergönnt warund dessen Tod wenig später, im Jahr2000, es um so mehr gebot, die vielfälti-gen Ergebnisse dieser Arbeit und derenFrüchte in Form neuer Forschungsergeb-nisse jüngerer Wissenschaftler einer brei-ten Öffentlichkeit vorzustellen.

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Ganz besonders für Benvenutound für Truesdell, für viele Engagiertenauf dem Gebiet der Bautechnik undihrer Geschichte, so auch für die Her-ausgeber, ging und geht es darum, einegenealogische, strukturierende und aufdiese Weise sämtliche Teilbereiche destechnischen Bauschaffens integrierendeDisziplin zu einer anerkannten Wissen-schaft zu erheben.

Für Ingenieure und besonders fürIngenieurstudenten bedeutet dies dieErweiterung der Curricula an denHochschulen um ein wissenschaftlichesFeld, in dem neben dem typischen Spe-zial- und Fachwissen auch Orientie-rungswissen vermittelt wird. Auf dieseWeise würden auch die Grundlagen fürdie Entwicklung einer generalistischenBetrachtungsweise geliefert werden,woraus wiederum eine neue Basis fürdas Selbstverständnis aller, und im be-sonderen der jungen Ingenieure er-wachsen könnte, – angesichts der fort-schreitenden Abwertung des Ingenieursund seiner Arbeit in der Gesellschaft –eine überfällige Notwendigkeit. Dasverzerrte Bild des Ingenieurberufes in-folge fortschreitender Formalisierung,Standardisierung und Normung, eineran sich äußerst kreativen, weil erfinde-rischen Tätigkeit einerseits, und die Ad-option bedeutender Resultate diesesSchaffens durch verwandte Berufsgrup-pen andererseits, scheint überhaupt nurkorrigierbar zu sein, wenn Traditionund Potential des Ingenieurberufes wie-der in den Zusammenhang mit denherausragenden Repräsentanten wieIsidorus von Milet, Joann WilhelmSchwedler oder Peter Rice und ihremWerk gebracht wird. Dies und die Stif-tung des übergeordneten historischenund auch des intellektuellen Zusam-menhangs ‚ingeniösen‘ Schaffens istAufgabe der Bautechnikgeschichte.

Für Architekten erwächst neben derklassischen, kunstgeschichtlich orientier-ten Bau- und Architekturgeschichte einefunktional-genealogisch ausgerichtete hi-storische Disziplin, die neue Aspekte undeine neue Orientierung im Feld zwischenkünstlerischer und erfinderisch geprägter

Gestaltung eröffnet. Darüber hinaus istdie Bautechnikgeschichte mit ihrergrundsätzlichen Fragestellung nach denMethoden und physikalischen Grundla-gen prädestiniert als Schnittstelle zwi-schen Architektur und Ingenieurwesen.

Wie für die Humangeschichte sogilt auch für die Technikgeschichte, daßdas, was mit dem Begriff ‚Geschichte‘ inZusammenhang gebracht wird, keinbloßes, enzyklopädisches und chrono-logisches Konglomerat von Fakten ist,sondern daß es sich dabei um ein Ar-chiv und Forum gleichermaßen handelt.Letzteres gilt insbesondere deshalb, weildie Inhalte der Technikgeschichte, näm-lich die Technik selbst, ausschließlichauf der Physis und der Physik beruhtund somit – im Gegensatz zur Human-oder Politikgeschichte – grundsätzlichunabhängig von menschlichen und zeit-lichen Einflüssen und deren Konstel-lationen ist. Technik kann beliebig, je-derzeit und an jedem Ort reproduziertwerden – oder anders gesagt – phy-sikalisch-technische Ideenansätze kön-nen immer wieder aufgenommen und inneuen Kontext gebracht und auf dieseWeise weitergeführt werden. Genausowie politische, künstlerische oder so-zialwissenschaftliche Themen aus derGeschichte erfordern auch technikhi-storische Fragestellungen genaue Analy-sen von Fakten und Zusammenhängen,die – weil stets mehr oder weniger frag-mentarisch überliefert – der Interpreta-tion bedürfen.

Entsprechend vielfältig sind dieBeiträge des knapp achthundert Seitenstarken ersten Bandes und des weniger alshalb so dicken zweiten Bandes. Die Her-ausgeber und Autoren zählen zu dennamhaftesten europäischen Wissenschaft-lern auf den Gebieten des Ingenieurwe-sens und der Bautechnikgeschichte.

Der erste Band nimmt hinsichtlichder Gliederung und AusgestaltungBezug auf Benvenutos Werk: Als Kapi-telüberschriften der fünf Abschnittewurden z. T. Titel von Schriften undBüchern aufgenommen und mit Illustra-tionen versehen, die er in seinen Vorle-sungen und Vorträgen verwendet hatte.Unter dem Thema „Strength of Mate-rials and Structural Mechanics“ werdenim ersten Abschnitt zum Teil Problemeder Statik und Festigkeitslehre mitSchwerpunkt Gewölbe, Pfeiler undMauerwerksbau behandelt, teils auchmit praktischem Bezug zur Thematik„Bauen im Bestand“. Es sind in diesemKapitel aber auch Essays mit philosophi-schen Fragestellungen enthalten wie„Hypothèse de recherche“ von Benve-nutos Weggefährten S. DiPasquale, oder„On certain emerging issues in structuralmechanics“ von L. Nunziante, in denenauch über Benvenutos Einstellung zurWissenschaft, Technik und ihren Be-griffswelten berichtet wird.

Der zweite Abschnitt „History ofApplied Mechanics“ ist thematisch straf-fer aufgebaut und beinhaltet Episoden ausdem Werden der angewandten Mechanik,Statik und Festig-keitslehre vom acht-

zehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart(K.-E. Kurrer: „De la statique classiquedes constructions a la statique sur ordina-teur“) oder über die Entwicklung der For-schung und Theorie von Stabilitätsproble-men (A. M. Sassi Perino: „Studies on theInstability Phenomenia between the 19thand the 20th Century:…“).

Im dritten Teil „Between Mechanicsand Architecture“ werden Fragestellun-gen aus dem Spannungsfeld zwischenMechanik und Architektur wieder untersehr verschieden Aspekten betrachtet, soz. B. als Bauwerksanalyse (C. Colla:„Types of masonry bridges in Great Bri-tain…“), oder unter dem Aspekt der sta-tischen Analyse (R. Gerhardt: „Reflec-tions on the graphical methods to staticalproblems“) und auch als Analyse derWerke namhafter Naturwissenschaftler,Ingenieure und Baumeister wie G. Gua-rini, A. Vierendeel oder G. Eiffel.

Teil vier ist E. Benvenuto gewid-met und umfaßt Themen, die den Mit-telpunkt seines Schaffens bezeichnen,wie etwa zur Geschichte der Mechanikund zur Gewölbestatik. Natürlich ent-stammen die einschlägigen Essays ausder Feder seiner Schüler wie M. Cor-radi, A. Becchi, F. Foce.

Der fünfte Teil trägt die Überschrift„Architecture and History“. Er setztsich aus einer ähnlichen Mischung vonThemen zusammen wie der dritte Teil„Between Mechanics and Architecture“,wobei es sicherlich denkbar gewesenwäre, diese beiden Teile unter einerÜberschrift zusammen zu fassen.

Der zweite Band „Essays on theHistory of Mechanics“ ist als sechsterTeil des Werkes zu sehen, aus dem u. a.wegen des Umfanges ein separates Buchgeworden ist.

Er wird eröffnet von Jacques Hey-man mit einer Würdigung der Forschun-gen C. A. Truesdells auf dem Gebiet derGeschichte der Theorie der Baumecha-nik und seiner Arbeit über LeonhardEuler (J. Heyman: „Truesdell and the Hi-story of the Theory of Structures“).

Heyman postuliert, daß im Bereichder physikalischen Wissenschaften eine

Bild 1. Edoardo Benvenuto (11. 12. 1940–27. 11. 1998)

Bild 2. Clifford Ambrose Truesdell (18. 2.1919–14. 1. 2000)

Hierarchie existiere, die von Mathemati-kern angeführt würde, und weiter überdie Physiker zu den Ingenieuren reiche.Grund hierfür sei es, daß die Mathematikmit ihren Denkmodellen immer eine Vor-reiterrolle gegenüber den übrigen, an-knüpfenden Naturwissenschaften undden Ingenieurwissenschaften inne hatte.So konnte – nach Heymans Worten –„nur ein der angewandten Mathematikverpflichteter Wissenschaftler wie Trues-dell und nicht ein professioneller Histori-ker eine so gründliche Analyse eines Wer-kes wie z. B. dem von Euler verfassen.“

Ein Beitrag von L. L. Bucciarelli be-schäftigt sich mit dem Umgang mit feh-lerbehafteten Theorien und Ansätzen inder Geschichte der Mechanik undstimmt dabei mit Benvenutos These über-ein, der in intellektuellen Sackgassenund Zweigwegen die Möglichkeit derAnregung für zukünftige Theorieansätzesieht (L. L. Bucarelli: „Coping with Errorin the History of Mechanics“). Karl-Eugen Kurrer schildert in einem dreißigSeiten umfassenden Aufsatz die Ent-wicklung des Verschiebungsgrößenver-fahrens, wobei er auch ausführlich aufverwandte Fragestellungen wie etwa die-jenige nach dem Anteil der Nebenspan-nungen im Fachwerk mit biegsteifenKnotenverbindungen und diverse Kon-struktionsansätze der Ingenieurbaupra-xis des 19.Jahrhunderts eingeht (K.-E.Kurrer: „The Development of the Defor-mation Method“). Santiago Huerta re-konstruiert die Ursprünge des freihändi-gen Gewölbebaus, also ohne den Einsatzeiner stützenden Schalung (S. Huerta:„The Mechanics of Timbrel Vaults: a Hi-storical Outline“). Als letztes Beispiel seiPatricia Radelet-de-Grave genannt, diesich dem Gewölbebau von der statischenSeite nähert, indem sie die Anwendungdes Kräfteparallelogramms als Basiskal-kül im siebzehnten und achtzehntenJahrhundert evaluiert (P. Radelet-deGrave: „The Use of a Particular Form ofthe Parallelogram Law of Forces for theBuilding of Vaults (1650–1750)“).

Nicht nur im Hinblick auf die An-zahl der Seiten stellen die beiden Bücherein umfangreiches Werk dar, sondernauch was den hochkonzentrierten Inhaltanbelangt, der die verschiedensten Epo-chen bautechnischen Schaffens seit demMittelalter umfaßt. Durch die Gliede-rung, die inhaltliche Geschlossenheitder Aufsätze, die teilweise mit Illustra-tionen oder Bildern ergänzt sind, unddurch die Vielfalt der Themen lädt es ge-rade zum Schmökern ein.

Die Essays des ersten Bandes sindteils in englischer teils in französischerSprache abgedruckt. Die Widmung anEdoardo Bevenuto mit Abdrucken vonBriefen und Zitaten bedeutet weitereTexte in italienischer Sprache. Es wer-den also umfangreiche Kenntnisse inverschiedenen Sprachen verlangt, dieden einen oder anderen vor der Lektüreabschrecken mögen. Leider hat mansich erst beim zweiten Band dazu ent-schlossen, alle Aufsätze in Englisch zupräsentieren. Dennoch bieten die bei-448

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den Bände für alle Interessenten derKonstruktions- und Bautechnikge-schichte einen Fundus, der den Facet-tenreichtum dieser neuen Disziplin ein-drucksvoll belegt und die Vorstellungschärft, was Inhalt und Wesen der Bau-technikgeschichte sein kann.

Dr.-Ing. Martin Trautz, Kelkheim

Stiglat, K.: Bauingenieure und ihrWerk. Berlin: Ernst & Sohn 2003. 502 S.,zahlr. Bilder. 21,0 × 28,5 cm. Geb. ISBN3-433-01665-8. 79,– 2

„Bauingenieure und ihr Werk“ vonKlaus Stiglat ist ein Buch, das Zeitge-schichte schreibt.

Hervorgegangen ist es aus 28 bio-graphischen Aufsätzen in der ZeitschriftBeton- und Stahlbetonbau. Nun alsBuch vorliegend, hat die Zusammen-schau einen völlig anderen Charakter:Überreich an Informationen und dochnotwendigerweise unvollständig, bietetes einen Überblick über die Entwick-lung des Bauwesens in Deutschland im20. Jahrhundert anhand von 99 Biogra-phien, die mehr sind, als nur wissen-schaftliche Kurzlebensläufe. Es sind ge-wissermaßen Lebens-“Werkberichte“.Seien es Gitterostberechnung, Gleitla-ger, Schalengleichungen, Spannverfah-ren, Schrägseilanordnungen, Faltwerke,„Kreuzwerke“ oder vorgespannte Stahl-fachwerkbinder: In jedem Lebenslaufsteht die jeweilige Person mit „ihrem“Problem in engem Zusammenhang mitanderen – Lehrern, Mitarbeitern, Bau-ausführenden, Behördenvertretern.

Für den aufmerksamen Leser bil-det sich ein Netzwerk heraus, das überdie handelnden Akteure die Vergangen-heit mit der Gegenwart verbindet undTheorien, Rechenansätze wie auch Bau-werke „lesbar“ macht.

Eigentlich enthält das Buch 100Biographien, denn sein Anlaß und seineMotivation wird durch denjenigen, deres konzeptionell entwickelt, herausgege-ben und trotz der Unterstützung vielerMitautoren in vielen Teilen auch nieder-geschrieben hat, nur allzu deutlich auto-biographisch begründet. Im Abschnitt„Nachwort – oder wie es dazu gekom-men ist“ (S. 491–495) verdeutlicht KlausStiglat am eigenen Lebenslauf, worum esihm geht bei diesem Buch. Am Begriff„Heimat“ und der Zeitenwende nach1945 macht er das Anliegen deutlich,den Zusammenhang zwischen Persönli-chem und Fachlichem herzustellen, zwi-schen Lebensleistung und Lebenssinn.

In den ersten beiden Kapiteln(S. 1–33) versucht Klaus Stiglat eineÜbersicht zu geben über die Entwick-lung der letzten 200 Jahre der Entwick-lung des Bauwesens, folgerichtig wirddas „Spannungsfeld“ in das der Inge-nieur gestellt ist, vor allem durch seineVerantwortung für das Bauwerk als„Tragwerk“ deutlich.

An Beispielen, wie dem im Jahre1999/2000 von der Öffentlichkeit fast un-

bemerkten Abriß der Teufelstal-Auto-bahnbrücke bei Erfurt von 1936 mit 130m Bogenöffnung, deren schlanke Trägermit den Erkenntnissen Franz Dischingersüber plastische Verformungen druckbean-spruchten Betons und den Langzeit-Be-tonprüfungen von Otto Graf verbundenwaren, wird verdeutlicht, daß mit einemBauwerk auch oft die Kenntnis des „stil-len“ Wissens, das in ihm steckt, verloren-geht. Das Festhalten erreichter Erkennt-nisse verbindet sich andererseits auch mitBewahren der Kenntnis der individuellenLebensleistungen von Ingenieuren.

Die letzten 150 Jahre führten zueiner Verwissenschaftlichung des Bau-wesens. Kapitel 2 versucht unter demTitel „Bauen und Forschen“, Leitgedan-ken zu diesem Thema zu entwickeln.Dazu werden die Abschnitte Brückenund Tiefbau, Geschoßbau, Schalen,Platten – Scheiben – Faltwerke, Vor-spannung, Sanierung, Rüstung und Fer-tigung, Normung, Planung und Abwick-lung sowie Statik behandelt und auf Zu-sammenhänge mit den nachfolgendenBiographien verwiesen. Trotz der er-wähnten Beispiele von Schalenkon-struktionen, frühen Stampfbetonbau-ten, Faltwerken und Raumfachwerkendominiert der Brückenbau als Themen-gegenstand – dies spiegelt sich auch inden nachfolgenden 450 Seiten, die dieBiographiensammlung enthalten, wider.

Das Reservoir der Konstruktionsbei-spiele reicht vom vorgespannten Zweige-lenkträger bei Alsleben 1927 (S. 121) überden Stuttgarter Fernsehturm von 1956und die Schrägseilbrücken der 60er Jahrebis hin zur Pasco-Kennewick- und Helge-land-Brücke (S. 407 u. 411), aber auchGroßsilos und Containmentbehältern(S. 161), das Olympiadach (S. 360) undGlaskonstruktionen aus gleichmaschigenFeldern mit vorgespannten Diagonalsei-len (S. 371).

Zentren der Entwicklung werdendeutlich. Neben den Technischen Hoch-schulen und Universitäten sind es vorallem die Ingenieurbüros und Unterneh-men; in den 1930er Jahren spielt die Or-ganisation Todt eine besondere Rolle.Für junge Leute ergaben sich in damali-ger Zeit vor allem beim Brückenbau der„Reichsautobahn“ faszinierende Aufga-ben. Fritz Leonhardt, Wolfhart Andrä,Louis Wintergerst sind Namen, diedamit verbunden sind. Die Luftfahrt-und Raketentechnik ist ein anderergroßer Impulsgeber. Friedrich WilhelmBornscheuer ist nach der Untersuchungder durch Beulversagen eingestürztenAutobahnbrücke bei Frankenthal imJahre 1940 Spezialist für Beulvorgänge,ab 1942 in der Statikgruppe an derRaketenentwicklung in Peenemünde(S. 91). Themen wie Behälter, Silos,Beulversagen, Schweißnähte, Vorspan-nungen, Schubversuche liefern bis 1945völlig neue theoretische und praktischeResultate. Die Erkenntnisse der Kriegs-zeit fließen ein in die Normung, in denWiederaufbau. Nur am Rande flackertimmer wieder der äußerst dramatischeHintergrund der Jahre 1939 bis 1945

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