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Staatswirtschaftliche Allokationspolitik I (Grundlagenkurs)
von Prof. Dr. Heinz Grossekettler
(aktualisiert von PD Dr. Pickhardt)
Institut für Finanzwissenschaft Wilmergasse 6-8 48143 Münster
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Technische Vorbemerkungen zur Vorlesung „Staatswirtschaftliche Allokationspolitik I“
(1) Hörerkreis Die Veranstaltung ist für Hörer aller Studiengänge offen. Insbesondere wird sie für Betriebs- und Volkswirte nach neuer und alter Diplom-PO im Hauptstudium, für Bachelor-Studierende des Moduls „Angewandte Wirtschaftsforschung“ (VWL u. BWL) sowie für die Wirtschaftspolitiker angeboten.
(2) Abschluss und Creditpointvergabe Die Vorlesung wird mit der „Klausur Grundlagen der staatswirtschaftlichen Allok ation “ abgeschlossen, die vom Prüfungsamt der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät organisiert wird. Ort und Zeit werden durch Aushang bekannt gegeben. Zur Teilnahme an der Klausur ist eine Anmeldung erforderlich, die für alle Studierende am Prüfungsamt der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu einem zentral organisierten Termin zu erfolgen hat. Für prüfungsrechtliche Fragen zuständig sind a) das Prüfungsamt der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (für Studierende der Volks- und
Betriebswirtschaftslehre),
b) das Prüfungsamt der Philosophischen Fakultät sowie das Institut für ökonomische Bildung (für Studierende des Magisterstudiengangs mit dem Nebenfach Wirtschaftspolitik),
Chart 0
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Technische Vorbemerkungen zur Vorlesung „Staatswirtschaftliche Allokationspolitik I“
(3) Begleitmaterial
Die Charts stehen im Internet zum Download zur Verfügung
http://www.wiwi.uni-muenster.de/iff1/studieren/vorlesungen-allo.html.
(4) Begleit-Tutorien Vorbereitende Tutorien für die Klausur Staatswirtschaftliche Allokation II werden angeboten, deren Besuch keine Pflicht ist. Es wird sehr empfohlen, diese Veranstaltungen zu besuchen. Zeit und Ort sind bereits auf der Homepage des Instituts bekannt gegeben worden. Tutorien für die Klausur Staatswirtschaftliche Allokation I werden NICHT angeboten.
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen, Quellen und Materialien
1. Pflichtlektüre
(1) H. Grossekettler, Beitrag „Öffentliche Finanzen“, in: D. Bender et al. (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und -politik, 2 Bde, 9., überarb. Aufl., München 2007, 1. Bd., S. 669 – 721 (2) D. Brümmerhoff, Finanzwissenschaft, aktuelle Auflage 2. Ergänzende Lehrbücher (1) C. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie. Eine Einführung in die
Finanzwissenschaft, aktuelle Auflage (2) H. Zimmermann - K-D. Henke, Finanzwissenschaft, aktuelle Auflage
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen, Quellen und Materialien
3. Ausgewählte Sammelwerke, Festschriften und Übersichtsartikel (1) Handbuch der Finanzwissenschaft, - 1. Aufl. (hrsg. v. W. Gerloff u. F. Meisel), 3 Bände, Tübingen 1926, 1927 und 1929; - 2. Aufl. (hrsg. v. W. Gerloff und F. Neumark), 4 Bände, Tübingen 1952, 1956, 1956 und 1965; - 3. Aufl. (hrsg. v. F. Neumark), 4 Bände, Tübingen 1977, 1980, 1981 und 1983
(2) Einschlägige Artikel im Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), im
Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (HdSW) und im Handwörterbuch der Staatswissenschaften (HdStW).
(3) H. Haller - L. Kullmer - C. S. Shoup - H. Timm (Hrsg.), Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus. Fritz Neumark zum 70. Geburtstag, Tübingen 1970.
(4) R. A. Musgrave - A. T. Peacock (Hrsg.), Classics in the Theory of Public Finance, London/New York 1958.
(5) H. C. Recktenwald (Hrsg.), Finanztheorie, 2. Aufl., Köln - Berlin 1970.
(6) Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten (erscheinen unregelmäßig)
(7) Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Gutachten (erscheinen unregelmäßig)
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen, Quellen und Materialien
4. Ausgewählte Periodika (1) FinanzArchiv
(2) International Tax and Public Finance
(3) Journal of Public Economics
(4) Journal of Public Economic Theory
(5) Public Choice
(6) Public Finance
(7) Public Finance Quarterly
(8+) American Economic Review, Journal of Economic Literature, Journal of Economic Perspectives
(9+) Journal of Political Economy
(10+) Wirtschaftsdienst
. + Diese Zeitschriften sind zwar keine finanzwissenschaftlichen Periodika, enthalten aber regelmäßig
finanzwissenschaftliche Beiträge.
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen,
Quellen und Materialien
5. Ausgewählte Quellen für statistische Daten (1) Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): - Finanzbericht (jährlich) - Subventionsbericht (jährlich) (2) Deutsche Bundesbank (Hrsg.): - Geschäftsbericht (jährlich) - Monatsbericht (monatlich) (3) Deutscher Städtetag (Hrsg.): - Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden (jährlich) (4) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Jahresgutachten (jährlich) - Sondergutachten (bei bestimmten Anlässen)
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen, Quellen und Materialien
(5) Statistisches Bundesamt (Hrsg.): - Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (jährlich) - Lange Reihen zur Wirtschaftsentwicklung (zweijährlich) - Fachserien, und zwar
Fachserie 13: Sozialleistungen (unterteilt in weitere Reihen, die jährlich erscheinen)
Fachserie 14: Finanzen und Steuern
Reihe 1: Haushaltsansätze (jährlich) Reihe 2: Vierteljahreszahlen zur öffentlichen Finanzwirtschaft (vierteljährlich) Reihe 3: Rechnungsergebnisse (weiter unterteilt/jährlich) Reihe 4: Steuerhaushalt (vierteljährlich) Reihe 5: Schulden der öffentlichen Haushalte (jährlich) Reihe 6: Personal des öffentliche Dienstes (jährlich) Reihe 7: Einkommen- und Vermögensteuern (weiter unterteilt/meist dreijährlich) Reihe 8: Umsatzsteuern (zweijährlich) Reihe 9: Verbrauchsteuern (weiter unterteilt/verschiedene Abstände) Reihe 10: Realsteuern (verschiedene Abstände)
Fachserie 18: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Reihe 1: Konten und Standardtabellen (jährlich) Reihe 2: Input-Output-Tabellen (jährlich) Reihe S. Sonderbeiträge (unregelmäßig)
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Überblick über wichtige finanzwissenschaftliche Publikationen, Quellen und Materialien
(6) Literatur zur Finanzstatistik: - E. Freund, Haushaltsstatistik, HdF 1, S. 587-609 - N. Fuss, Steuerstatistik, HdF 1, S. 611-648 - G. Hedtkamp, Internationale Finanz- und Steuerbelastungsvergleiche, HdF 1, S. 649-683 (7) Europäische Zentralbank (Hrsg.): - Jahresbericht (jährlich) - Monatsbericht (monatlich) (8) Eurostat (Hrsg.): - Eurostat Jahrbuch (jährlich) - diverse Datenbanken (z.B. New Cronos; enthält v.a. makroökonomische Datensätze) (9) Europäische Kommission (Hrsg.): - Quarterly Report in the EU area - European Economy (Economic & Occasional Papers) (10) Internetquellen:
- http://www.epp.eurostat.ec.europa.eu - http://www.ecb.eu/ - www.bundesfinanzministerium.de - www.bundesfinanzministerium.de/BMF-Wir-ueber-uns/Wissenschaftlicher-Beirat-.560.htm
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Informationen zur Vorlesung
(Aktuelles, alte Klausuren, etc.)
http://www.wiwi.uni-muenster.de/iff1/
Informationen zum Dozenten
http://pickhardt.com
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Gliederung STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
1.0 Grundbegriffe und Grundprobleme
1.1 Stilisierte Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
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Grundbegriffe
• Als Finanzwissenschaft (public finance, finances publiques) oder Staatswirtschaftslehre (public economics, économie publique) bezeichnet man heute
o die Summe aller Aussagen darüber, welche ökonomischen Aufgaben der Staat in einer Wirtschaft
o mit Hilfe von Ausgaben und Einnahmen und Regeln für deren Planung und Kontrolle
erfüllt (positive Analyse) oder
erfüllen sollte (normative Analyse).
• Wichtige finanzwissenschaftliche Begriffe sind:
o Finanztheorie:
� theoretische Begründung, Erklärung und Wirkungsanalyse der Staatstätigkeit
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o theoretische Finanzpolitik:
� theoriegestützte Untersuchungen zu den Einsatzmöglichkeiten von Instrumenten
o finanzwirtschaftliche Prozesspolitik:
� die durch Haushaltspläne festzulegenden Ausgaben
o finanzwirtschaftliche Ordnungspolitik:
� die durch materielle Gesetze festzulegenden Einnahmen und Ausgaben sowie
� Planungs- und Kontrollvorschriften
o Finanzverfassung:
� i.e.S. Art. 104a bis 115 GG
� i.w.S. Bestand an Haushalts- und Finanzgesetzen
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Der Staat unterscheidet sich von anderen Wirtschaftssubjekten dadurch, dass er über ein
legitimes Machtmonopol verfügt und somit Zwang ausüben kann.
o In ökonomischer Sicht bedeutet dies für die Wirtschaftssubjekte, dass sie gezwungen
werden können, bestimmten Verbänden anzugehören und Zwangsabgaben zu leisten.
o Dies befähigt den Staat dazu, Aufgaben zu übernehmen, die auf Märkten nicht erfüllt
werden können, weil dort nur privatrechtliche und damit zwangsfreie Interaktionen
stattfinden.
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Grundprobleme
Ziele der Staatstätigkeit
• Die Einsatzfelder für das staatliche Zwangsmonopol und damit auch die Ziele der öffentlichen
Finanzwirtschaft unterteilt man in die Bereiche der Allokations-, der Distributions- und der
Stabilisierungspolitik.
o Allokationspolitik
Allokation von Faktoren bedeutet deren Zuordnung zur Produktion von Gütern.
In diesen Bereich fällt die staatliche Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen (z.B.
Sicherheit, Infrastrukturen, Grundlagenforschung, etc.) aufgrund von Marktversagen.
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o Distributionspolitik
Hier geht es um eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen zwischen Personen
oder im Raum.
Der Staat sollte vor allem das Ziel verfolgen, durch den Einsatz von Zwang das
Zustandekommen von Versicherungsmärkten zu organisieren, die ohne ihn wegen zu
hoher Transaktionskosten nicht entstehen würden oder in ihrer Entwicklung behindert
wären, obwohl ein entsprechendes Versicherungsbedürfnis bei den Bürgern vorhanden ist
oder jedenfalls in ihrem wohlverstandenen Interesse läge.
Die beim Eintritt der Versicherungsfälle fließenden Zahlungen nehmen ex post die Gestalt
von Transferzahlungen an, d.h. von Zahlungen, denen – anders als bei
Transformationszahlungen – in der gleichen Periode keine Gegenleistung gegenübersteht.
Transferzahlungen des Staates an die Privaten (insbesondere Sozialtransfers) bzw. der
Privaten an den Staat (insbesondere Steuern) sind darüber hinaus auch geeignet,
Korrekturen der Einkommens- und Vermögensverteilung vorzunehmen, die sich nicht mit
Versicherungsbedürfnissen erklären lassen, sonder bestimmten
Gerechtigkeitsvorstellungen entspringen.
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o Stabilisierungspolitik
Die staatliche Stabilisierungspolitik umfasst lediglich denjenigen Teil der
Stabilisierungspolitik, den der Staat mit fiskalpolitischen Mitteln betreibt, also mit Hilfe von
Ausgaben und Einnahmen und deren Saldo (Budgetüberschuss oder -defizit).
Der Staat sollte das Ziel verfolgen, mit Hilfe seiner Zwangsmittel für eine
Einkommensumverteilung zwischen verschiedenen Zeitperioden zu sorgen.
Wenn beispielsweise die Ist-Werte der Zielvariablen aufgrund nachfrageseitiger Störungen
in gravierender Weise von ihren Soll-Werten abweichen, sollte die Gesamtnachfrage in
antizyklischer Weise beeinflusst und nach einer Stabilisierung der Erwartungen gestrebt
werden.
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Allerdings ist fraglich:
• Ob diese Ziele der Finanzpolitik auch das tatsächliche Handeln des Staates prägen und
• ob der Staat in der Realität überhaupt in der Lage ist, Ziele zu erfüllen, die das System der
Märkte nur unvollkommen realisiert würde.
Neben einem Marktversagen kann es nämlich auch ein Staatsversagen geben.
Unter welchen Umständen mit Staatsversagen zu rechnen ist, analysiert die Ökonomische
Theorie der Politik (ÖTP), insbesondere der „Public Choice“ Ansatz.
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Träger der Staatstätigkeit
Bisher wurde undifferenziert vom „Staat“ als handelndem Subjekt gesprochen. In der Realität muss
der Staat jedoch als Summe aller Zwangsverbände und der von ihnen unterhaltenen öffentlichen
Haushalte begriffen werden.
Verbände sind Vereinigungen von Personen, die sich zur Artikulation und Durchsetzung
gemeinsamer Interessen zusammengefunden haben und deren Zusammenschluss normalerweise
auf Dauer angelegt und körperschaftlich verfasst ist, d.h. die im Innenverhältnis demokratisch
organisiert und im Außenverhältnis rechtsfähig sind.
Der moderne demokratische Staat ist ein Verband in diesem Sinne. Er zeichnet sich aber durch eine
Reihe von Besonderheiten aus:
− Er ist ein Zwangsverband, dem man in der Regel kraft Geburt angehört und der über ein räumlich begrenztes
Machtmonopol verfügt.
− Er ist „auf ewig“ angelegt, was zur Folge hat, dass er nach außen zeitlich unbegrenzte internationale Verträge
schließen kann, während im Innenverhältnis intergenerative Fürsorgepflichten und Gerechtigkeitsprobleme
entstehen.
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− Die Verbandsmitglieder (das Volk) sind so zahlreich, dass formelle Regeln des Zusammenlebens erforderlich
sind und dass – insbesondere in Bundesstaaten – eine Vielzahl von öffentlichen Haushalten existiert, die zum
Teil ebenfalls einen körperschaftlichen Charakter haben, zum Teil aber auch in anderer Form in Erscheinung
treten.
− Es gibt – sieht man einmal vom grundgesetzlichen Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre ab – in
rechtlicher Hinsicht keine von Raum und Zeit unabhängige Grenze, die in einer Volkswirtschaft die
Staatswirtschaft und die Wirtschaft der Privatrechtsgesellschaft (die Marktwirtschaft im engeren Sinn)
voneinander scheidet.
− Stattdessen verfügen Teile der öffentlichen Haushalte – die Gebietskörperschaften – über eine prinzipielle
Allzuständigkeit. Dies führt aus ökonomischer Sicht zu Forderungen nach einer Finanzverfassung, welche die
Kompetenzen des Staates so begrenzt, dass er auf die Verrichtung jener Aufgaben verwiesen wird, die er
besser als die Privatrechtsgesellschaft erledigen kann, d.h. auf seine Kernkompetenzen.
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Die vorstehende Charakterisierung des Staates ist nicht auf die Entstehung des Staates
eingegangen.
Das war nicht erforderlich, weil es im Rahmen der ökonomischen Betrachtung nur um die
wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der Staatenbildung und die dem Staat zufallenden Aufgaben geht.
Ist dauerhafte Vorteilhaftigkeit möglichst für alle gegeben, kann man sich den Staat – unabhängig
von der tatsächlichen Geschichte eines konkreten Staates – als durch einen Als-ob-Vertrag
entstandenen vorstellen, der immer wieder dadurch erneuert wird, dass das Staatsvolk nicht
emigriert.
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• Ein Staat umfasst in der Regel viele öffentliche Haushalte.
o Gebietskörperschaften (Vielzweck-Zwangskörperschaften; Generalkörperschaften),
o Spezialkörperschaften (Zwangsgenossenschaften; Para- oder Hilfsfisci),
� z.B. Wasserverbände, Industrie- und Handelskammern oder auch die
Sozialversicherung
� Zwecke werden per Gesetz festgelegt bzw. geändert
o Anstalten (wie etwa die meisten Landesbanken) und
o Stiftungen (z.B. Stiftung Warentest)
� sind einem bestimmten Zweck gewidmet;
� keine Mitglieder
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Instrumente der Staatstätigkeit
Die Finanzverfassung i.w.S. legt fest, welche Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenkompetenzen
die einzelnen Verbände innerhalb der öffentlichen Finanzwirtschaft haben, d.h. wie groß ihre
Finanzhoheit ist.
Die laufende Wahrnehmung dieser Finanzhoheit schlägt sich meist in getrennten Entscheidungen
über Ausgaben und Einnahmen nieder.
Diese Trennung ist Ausdruck der Tatsache, dass der Staat seine Leistungen in der Regel nicht
verkauft, sondern dass er Ausgaben tätigt, um für seine Bürger Sachleistungen bereitzustellen, und
dass er einen Großteil der Leistungen über Steuern finanziert, die ex definitione unabhängig von
einer konkreten Gegenleistung gezahlt werden müssen.
• Die öffentlichen Ausgaben unterteilt man in Transformations- und Transferzahlungen.
o Transformationszahlungen liegen vor, wenn der Staat – wie bei den Gehaltszahlungen an
die öffentlich Bediensteten oder beim Einkauf von Material – in der gleichen Periode eine
Gegenleistung enthält.
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o Die übrigen Ausgaben sind Transferzahlungen (insbesondere Subventionen sowie
Sozialtransfers in der Form von Renten oder Pensionen).
• Die öffentlichen Einnahmen bestehen vor allem aus Steuern, Entgeltabgaben (Gebühren und
Beiträgen) und Krediteinnahmen.
o Daneben gibt es Erwerbseinkünfte und freiwillige Übertragungen.
o Gebühren, Beiträge und Erwerbseinkünfte setzen eine staatliche Gegenleistung voraus
und vermitteln dem Staat somit keine Dispositionsfreiheit
o Steuern sind Zwangsabgaben ohne spezielle Gegenleistung, die dem Staat ebenso wie
eine Kreditaufnahme Dispositionsfreiheit verschaffen
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Im Rahmen der finanzwirtschaftlichen Ordnungspolitik werden auch finanzwirtschaftliche
Entscheidungen gefällt, die sich nicht in Ausgaben und Einnahmen niederschlagen.
Sie betreffen vor allem die Regeln
o für die Abgrenzung des staatswirtschaftlichen Teils einer Volkswirtschaft vom
marktwirtschaftlichen,
o für die Aufgaben- und Einnahmenverteilung unter den öffentlichen Haushalten sowie
o für die Planung und Kontrolle öffentlicher Ausgaben und Einnahmen (Finanzverfassung im
engeren Sinn, Finanzausgleichsgesetzte, Haushaltsordnungen, Abgabeordnung).
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Gliederung
STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
1.0 Grundbegriffe und Grundprobleme
1.1 Stilisierte Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
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Die konkrete Entstehungsgeschichte des Staates als Institution ist bis heute umstritten.
• als Garant von Eigentumsrechten (Rechtsschutzstaat)
• durch Übernahme von Kernaufgaben im Allokationsbereich (Leistungsstaat).
DOUGLAS C. NORTH (1988, S. 78 - 93) betont beispielsweise, dass Änderungen der
Knappheitsverhältnisse und daraus resultierende Variationen der Eigentumsrechte die
entscheidende Rolle gespielt haben:
• Der Übergang zur Agrarwirtschaft fand statt, als die Grenzträge der Jagd- und Sammelarbeit
die Grenzträge der Bodenbewirtschaftung und Herdenhaltung unterschritten.
• Dies trat ein, als sich fallende Grenzerträge bemerkbar machten, weil die guten Jagdgebiete
überjagt wurden und ein Ausweichen von neuen Sippen oder Stämmen, die im Zuge der
Bevölkerungsvermehrung entstanden waren, auf noch menschenleere Gebiete wegen deren
Unwirtlichkeit mit einem Absinken der Grenzproduktivität der Arbeit verbunden war.
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• Der Übergang zur Agrarwirtschaft vollzog sich zögerlich:
o Es winkten zwar hohe Belohnungen; es fehlte aber eine soziotechnische Erfindung in
Form eines differenzierten Eigentumsrechts, das vor allem auch Bodeneigentum und
neben dem Gebrauchsrecht von Sachen (usus) sowie dem Veräußerungs-, Verleihungs-,
Veränderungs- und Vernichtungsrecht (abusus) auch das Recht an den Erträgen (usus
fructus) umfasst.
o Anders kann nicht garantiert werden, dass der, welcher sät, auch erntet und dass der,
welcher eine Herde hält, nicht nur Anrecht auf die Stammzahl von Häuptern (das
Stammkapital [caput = Haupt]), sondern auch auf den Zuwachs hat, den man bei einer
Viehzählung (census) feststellen kann (die Zinsen).
o Hinzu kommt, dass mit dem Ertragsrecht eine Pflicht der Haftung für eingegangene
Verträge kombiniert werden muss, denn anders ist nicht sicherzustellen, dass gemeinsam
erbrachte Vorleistungen ex post zur ex ante vereinbarten Ertragsteilung führen und dass
Verträge über zeitlich versetzte Leistungen und Gegenleistungen eingehalten werden.
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Die Entwicklung der Eigentumsrechte zeigt, dass es Vorteile gibt, die nur in staatlich verfassten
Gemeinwesen voll realisiert werden können:
• Damit Preise im weitesten Sinn für die Nutzung von Gütern gezahlt werden, müssen
Nichtzahler ausgeschlossen (exkludiert) werden.
• Hierbei können Probleme auftreten, die mit privatrechtlichen Mitteln nicht lösbar sind, wohl aber
mit Hilfe des Einsatzes hoheitlichen Zwangs.
Beispiel:
• Tennisanlagen können von einem Klub bereitgestellt werden, der Nichtmitglieder mit Hilfe des
Privatrechts von der Nutzung seiner Anlage ausschließen und mittels dieser Exklusionsdrohung
Spielwillige zum Beitritt und zur Mitfinanzierung „zwingen“ kann. Deshalb brauchen solche
Anlagen nicht vom Staat bereitgestellt zu werden.
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• Bei Deichen muss man anders verfahren: Verweigert ein Deichhinterlieger einen Beitrag, wird
er trotzdem vom Deich geschützt. Dem kann der Staat begegnen, indem er aufgrund einer
Vorteilsvermutung einen Zwangsbeitrag von der Gruppe der Hinterlieger ergebt, wie das heute
in Deichverbänden geschieht und wie man es von den Anliegerbeiträgen der Eigentümer von
Häusern gewohnt ist.
Ähnliche Aufgaben verlangen ebenfalls nach einem Herrschaftsverband:
• Polizeiaufgaben (innere Sicherheit)
• Verteidigungsanlagen, koordinierte Führung von Streitkräften (äußere Sicherheit)
Die erste Aufgabe, die Staaten in der Geschichte verrichtet haben, war also die
transaktionskostengünstige Erfüllung der Allokationsfunktion in Bezug auf Kollektivgüter mit
Ausschlussproblemen.
Zusammen mit der Entstehung des Münzgeldes im 7. Jahrhundert v.Chr. entwickelten sich aber
auch relativ differenzierte Marktwirtschaften vor allem die Athens und Roms. Hier brauchte man
neben dem Gewohnheitsrecht auch eine staatliche Rechtsgarantie, das Kollektivgut „institutionelle
Infrastruktur“.
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Die Vorstellung des Flächenstaates ist erst später entstanden, die Idee des Nationalstaates sogar
erst mit Beginn der Neuzeit (ZIPPELIUS, 1994, S. 64 - 71).
• Ökonomisch gesehen stellt die Bildung von Flächenstaaten die Zusammenfassung mehrerer
Spezial-Zwangsgenossenschaften zu einer Vielzweck-Zwangsgenossenschaft dar, die
vorgenommen wird, um Verwaltungsverbundvorteile aus einer solchen Zusammenfassung
wahrnehmen zu können.
• Die Möglichkeit einer systematischen Infrastrukturentwicklung innerhalb eines durch ein
stehendes Heer geschützten Gebiets waren hier ebenso treibende Kräfte wie später die
Entwicklung einer (Investitionssicherheit vermittelnden) Verfassung und (noch später) die
Vorteile der Kontrolle der Vielzweckgenossenschaft „Staat“ durch einheitliche demokratische
Kontrollorgane.
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Anders als die Allokationsaufgaben haben Distributionsaufgaben- und Stabilisierungsaufgaben also
nicht zur Gründung von Staaten geführt.
• Stabilisierungsaufgaben im modernen Sinn – speziell in antizyklischer keynesianischer Form –
wurden dagegen erst in den 30er Jahren unsers Jahrhunderts bewusst übernommen und
gehören in Deutschland seit der Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes
(1967) und der Finanzverfassung von 1969 zu den gesetzlichen Aufgaben des Staates.
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Geschichte der Finanzwissenschaft
Mit der Zeit der Kameralisten beginnt in Deutschland die Nationalökonomie als
Universitätswissenschaft und gleichzeitig die Finanzwissenschaft.
o Da Deutschland damals ein unterentwickeltes Land mit vielen Fürsten war, die
untereinander um bewegliche Produktionsfaktoren konkurrierten, mit deren Hilfe sie die
Erträge der unbeweglichen Produktionsfaktoren steigern und ihre Camera (=
Schatzkammer) füllen wollten, entwickelten Kameralisten wie VEIT LUDWIG V.
SECKENDORFF (1626 - 1692) JOHANN BECHER (1635 - 1682), JOHANN HEINRICH GOTTFRIED
V. JUSTI (1720 - 1771, JOSEPH V. SONNENFELS (1733 - 1817) und JOHANN HEINRICH JUNG-
STILLING (1740 - 1817) unmittelbar anwendbar Lehrsätze zur Entwicklungspolitik.
In der Klassik – wichtige Vertreter sind THOMAS ROBERT MALTUS (1766-1834), JOHN STEWART MILL
(1806-1873), DAVID RICARDO (1772-1832), JEAN BAPTISTE SAY (1767-1832), und ADAM SMITH (1723-
1790) – wurden die Grundlagen des ökonomischen Liberalismus gelegt. Die Rolle des Staates in der
Ökonomie wird aber nur von SMITH ausführlich behandelt.
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• SMITH weist dem Staat in seinem „Wohlstand der Nationen“ (1776) die Rolle zu, alle Aufgaben
zu lösen, die zwar im allgemeinen Interesse liegen, aber nicht profitabel sind und folglich von
privaten Unternehmern nicht verrichtet werden. Dieser klassischen Interventionsformel
entspricht auch das heutige Verständnis der Staatsaufgaben.
• Als Besteuerungsgrundsätze fordert SMITH, dass eine Steuer bestimmt sein sollte, dass die
Zensiten gleichmäßig behandelt werden müssten und dass man mit dem Streben nach
Wohlfreiheit und Bequemlichkeit auch auf Transaktionskosten der Besteuerung in Form von
Erhebungs- und Entrichtungskosten bei Schonung der Privatsphäre geachtet werden müsste.
Als Blütezeit der deutschen Finanzwissenschaft bezeichnet man die Zeit der Ende des vorigen
Jahrhunderts entstandenen großen Lehrbücher von LORENZ V. STEIN (1815 - 1890), ALBERT SCHÄFLE
(1831 - 1903) und ADOLPH WAGNER (1835 - 1917), der ersten systematischen Darstellung der
gesamten Finanzwissenschaft.
• Diese Epoche ist jedoch weitgehend von der Historischen Schule geprägt, die die
Vorstellungen der britischen Klassik explizit ablehnt.
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• Hinzu treten die Einführung der Grenznutzenlehre in die Finanzwissenschaft durch EMIL SAX
(1845 - 1927) und die Untersuchungen zum Einkommensbegriff und zu den Grundlagen der
Ausgestaltung der Einkommenssteuer durch GEORG V. SCHANZ (1835 - 1931).
Die Epoche ist nach der deutschen Finanzwissenschaft benannt, weil es seinerzeit nirgendwo sonst
auf der Welt eine solch intensive Beschäftigung mit den Aufgaben des Staates gab.
• Die Erklärung dafür liegt auch darin, dass Deutschland im 19. Jahrhundert anders als England
die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Entwicklung zum Industriestaat erst schaffen
musste.
• Dabei ging es nicht nur um die Voraussetzung in Gestalt der materiellen Infrastruktur (z.B.
Verkehrseinrichtungen), sondern auch um die in Gestalt der Ausbildungsinfrastruktur und der
institutionellen Infrastruktur.
o Die Lehrbücher waren deshalb – ganz im Sinne der Historischen Schule – sehr stark von
entwicklungsgeschichtlichen und juristischen Überlegungen geprägt.
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Die Zeit einer Reökonomisierung setzte in der deutschen Finanzwissenschaft etwa in den 30er
Jahren dieses Jahrhunderts ein und führte – vor allem als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise und
die 1936 erschienene „General Theory“ von JOHN MAYNARD KEYNES (1883 - 1946) – dazu, dass
entwicklungsgeschichtliches und juristischen Denken zurückdrängt und die volkswirtschaftliche
Theorie (Neoklassik) wieder stärker betont wurde.
• Es kam zu einem Ausbau der Lehre vom sogenannten Marktversagen als Grundlage der
Staatswirtschaft (Moderne Theorie Öffentlicher Güter (PAUL A. SAMUELSON 1954, RICHARD A.
MUSGRAVE 1957, 1959), vgl. hierzu PICKHARDT 2006).
• zur Entwicklung einer Optimalsteuertheorie, die auf der allgemeinen Gleichgewichtstheorie
aufbaut – in KNUT WICKSELL (1851 - 1926) aber schon einen bemerkenswerten Vorläufer hatte
–,
• zur Entwicklung zur Konzeption der Stabilitäts- und Stabilisierungspolitik sowie neuer Formen
der Besteuerung (z.B. Mehrwertsteuer, integrierte Körperschaftssteuer, negative
Einkommensteuer, persönliche Ausgabensteuer) und
• zur Entwicklung einer positiven Theorie der politischen Willensbildung und der Integration
zwischen dem staatswirtschaftlichen und dem marktwirtschaftlichen Teil der Volkswirtschaft
(Ökonomische Theorie der Politik; Public Choice Ansatz von JAMES M. BUCHANAN).
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• In Deutschland hatte die Finanzwissenschaft ab 1933 und bis in die Nachkriegsjahre vor allem
unter der Flucht oder Emigration führender Finanzwissenschaftler zu leiden (vgl. Hagemann
2002).
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist vor allem das gewandelte Staatsverständnis von Interesse:
• Kameralistik / Historische Schule
o Staat wird als wohlwollender Vater und Entwicklungshelfer gesehen (positiv)
• Neoklassik / Reökonomisierung
o Staat wird als ein auf Paretoeffizienz bedachter, wohlwollender sozialer Planer gesehen (positiv)
• Public Choice / Ökonomische Theorie der Politik
o Staat wird als von Interessengruppen und Ideologen beherrscht gesehen, der nur dann gemeinwohlfördernd handelt, wenn es verfassungsmäßige Schranken gibt
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Literaturhinweise zum 1. Kapitel
(1) E.v. Beckerath : Die neuere Geschichte der deutschen Finanzwissenschaft (seit 1800), in: HdF, 2. Aufl., Bd. I, S. 416 ff.
(2) H. Grossekettler : Öffentliche Finanzen, Vahlens Kompendium, S. 563 - 717.
(3) K. Häuser : Abriß der geschichtlichen Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft, in: HdF, 3. Aufl., Bd. I., S. 3 ff.
(4) H. Hagemann : Zur Emigration deutschsprachiger Finanzwissenschaftler nach 1933, in: Barens, I. und Pickhardt, M. (Hrsg.), Die Rolle des Staates in der Ökonomie, Marburg.
(5) J. Helbling : Ökologie und Politik in nicht-staatlichen Gesellschaften, oder: Wie steht es mit der Naturverbundenheit sogenannter Naturvölker, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44. Jg. (1992), S. 203 - 225.
(6) R. Herzog : Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988.
(7) W. Koch : Artikel „Finanzwissenschaft I: Geschichte“, in: HdWW, Bd. III, S. 212 ff.
(8) H. Kummer : Evolutionary Transformations of Possesive Behavior, in: F.W. Rudmin, Hg., To have possessions: A handbook on ownership and property, Journal of Social Behavior and Personality (Special Issue), Vol. 6 (1991), S. 75 - 89.
(9) F.K. Mann : Abriß einer Geschichte der Finanzwissenschaft, in: HdF, 3. Aufl., Bd. I, S. 77 ff.
(10) D.C. North : Theorie des institutionellen Wandels. Eine neue Sicht der Wirtschaftsgeschichte, Tübingen, 1988.
(11) M. Pickhardt : Fifty Years after Samuelson`s ‘The Pure Theory of Public Expenditure’: What are we left with?, in: Journal of the History of Economic Thought, 28, pp. 439-460.
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Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.1.1 Individual- und Kollektivgüter
2.1.2 Ermittlung der Nachfrage nach Individual- und Kollektivgütern bei vollständiger Information
2.1.3 Folgen von Informationsmängeln und Exklusionsproblemen
2.1.4 Bereitstellungsregeln für eine ordnungskonforme Versorgung mit Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
40
Definition und Formen des Marktversagens
Von Marktversagen spricht man, wenn es Koordinationsmängel gibt, die als systematische Ursachen
dafür betrachtet werden können,
o dass die Entstehung bestimmter Märkte verhindert wird oder
o dass realisierte Gleichgewichte verzerrt oder instabil sind oder
o dass Gleichgewichte überhaupt nicht erreicht werden.
Marktversagen kann in überwiegend nachfragebedingter oder überwiegend angebotsbedingter Form
auftreten und sich als allokativer , distributiver oder stabilitätspolitischer Mangel manifestieren.
Im Einzelnen kann man folgende Formen des Marktversagens unterscheiden:
41
(1) Allokative Mängel auf existierenden Märkten resultieren aus Instabilitäten bei
• Markträumungs-,
• Renditenormalisierungs-,
• Übermachterosions-,
• Produktfortschritts- oder
• Verfahrensfortschrittsprozessen.
Auf nahezu allen Märkten auftretende Hauptformen sind dauerhafte Übermachtpositionen.
Dauerhafte Übermachtpositionen sind meist angebotsseitig bedingt und äußern sich in Formen von
natürlichen und künstlichen Monopolen sowie sonstigen Wettbewerbsbeschränkungen, die
Ansatzpunkte der Wettbewerbspolitik sind.
• Natürliche Monopole stellen gleichzeitig Sonderformen von Klubkollektivgütern dar.
Neben dieser generell beobachtbaren Tendenz zu einer Funktionsstörung gibt es vor allem auf
Arbeits-, Kapital-, Standort- und Devisenmärkten Fehlfunktionstendenzen, die jeweils spezifischer Art
sind.
42
Allokative Mängel aufgrund des Fehlens oder der Feh lentwicklung von Märkten ergeben
sich als überwiegend nachfrageseitig bedingte Ansatzpunkte der finanzwirtschaftlichen
Allokationspolitik
• aufgrund des Fehlens von Märkten für Kollektivgüter bzw. öffentliche Güter .
• aufgrund des Fehlens von Märkten für konsum- oder produktionsbedingte Kuppelprodukte,
die sich in Form von externen Effekten bemerkbar machen, und
• aufgrund von Entscheidungsmängeln, die aus menschlichen Dispositionen resultieren,
welche vor allem zu mangelnder Vorsorge für weit in der Zukunft liegende Bedürfnisse oder
zu Sorglosigkeit im Umgang mit Ereignissen mit kleinen Eintrittswahrscheinlichkeiten führen
und damit auch zu einer Fehlentwicklung von Märkten für meritorische bzw.
demeritorische Güter .
43
(2) Distributives Marktversagen ergibt sich vor allem auf Versicherungsmärkten. Hier können
• Moral-Hazard-Effekte und/oder
• Adverse-Selection-Effekte und/oder
• Kumulationseffekte
auftreten, die so stark sind, dass Märkte nicht entstehen oder Gleichgewichte verzerrt sind. Dies ist einer der Ansatzpunkte der finanzwirtschaftlichen Distributi onspolitik .
(3) Stabilitätsbedingte Mängel ergeben sich als Folgen von makroökonomischen
Ungleichgewichten
• auf dem Kapitalmarkt (Zinssätze, die nicht zu einem Ausgleich von I und S führen) und
• auf dem Devisenmarkt (Wechselkurse, die nicht zu einem Ausgleich von X einerseits sowie
M, U und P andererseits führen).
Dies ist ein Ansatzpunkt der finanzwirtschaftlichen Stabilisieru ngspolitik , d.h. des Abgehens von der Regel des jährlichen Budgetausgleichs.
44
Marktversagen bei der Bereitstellung von
Kollektivgütern / öffentlichen Gütern
Im Folgenden gilt es zu klären, warum der Staat bestimmte Güter und Dienstleistungen bereitstellen
sollte (normative Rechtfertigung). Hierzu müssen wir uns zunächst etwas näher mit den
Konsumeigenschaften von Kollektivgütern bzw. öffentlichen Gütern befassen.
Vorbemerkung:
In der frühen Entwicklungsphase der Theorie öffentlicher Güter wurde eine Vielzahl unterschiedlicher
Begriffe verwendet (z.B. soziale Güter, Kollektivgüter, öffentliche Güter).
Im Laufe der Zeit hat sich international aber der Begriff „öffentliche Güter“ (public goods) durchgesetzt.
Allerdings ist diese Bezeichnung nicht immer treffend und sollte eigentlich für solche Güter reserviert
bleiben, die tatsächlich über öffentliche Budgets bereitgestellt werden (vgl. Pickhardt 2003, 2006).
45
Die Beantwortung der Frage, welche Güter der Staat bereitstellen sollte, erfolgt im Rahmen der
Theorie öffentlicher Güter anhand von zwei Kriterien:
• Rivalität im Konsum und
• Ausschließbarkeit vom Konsum (Exkludierbarkeit).
(1) Rivalität im Konsum gibt Antwort auf die Frage, ob ein Konsument 1 einen weiteren
Konsumenten bei der Nutzung eines Gutes als störend betrachtet oder nicht
Beispiel 1: Wenn ich hungrig bin und nur ein Brötchen zur Verfügung habe, werde ich es als
störend empfinden, wenn ein zweiter Konsument mir dieses Brötchen wegessen will. Ich werde ihn
als einen "Rivalen" betrachten, als jemand, mit dem ich in Konkurrenz um die Nutzung des Gutes
"Brötchen" stehe. Der Konsum ist "rivalisierend".
46
Beispiel 2: Wenn ich ein Fernsehprogramm betrachte, stört es mich nicht im Geringsten, wenn sich
jemand im Nachbarhaus das gleiche Programm anschaut. Der Konsum ist "nichtrivalisierend".
Beachte: Im Beispiel 1 erfolgt der Konsum durch „essen“ und im Beispiel 2 durch „sehen“ (vgl.
hierzu Pickhardt 2003, S. 169-171).
Formal wird Rivalität im Konsum ausgedrückt als (vgl. auch Brümmerhoff, S. 79-84):
[1] X = x1 + x2 + … xi + … xn
wobei x1 , x2 , xi die von den Konsumenten 1, 2, i jeweils konsumierte Menge des Gutes x darstellen, n die
Anzahl der Konsumenten angibt und X die insgesamt konsumierte Menge repräsentiert.
Die zu einem bestimmten Zeitpunkt insgesamt konsumi erte Menge eines Gutes X ergibt
sich aus der Summe, der von den n Individuen zu die sem Zeitpunkt konsumierten Mengen
x1, x2, …
47
Nichtrivalität im Konsum wird ausgedrückt als:
[2] X = x1 = x2 = … xi = … xn
wobei x1 , x2 , xi die von den Konsumenten 1, 2, i jeweils konsumierte Menge des Gutes x darstellen, n die
Anzahl der Konsumenten angibt und X die insgesamt konsumierte Menge repräsentiert.
Die insgesamt konsumierte Menge X kann simultan von zwei oder mehr Individuen
konsumiert werden.
Die formale Darstellung geht auf Samuelson (1954) zurück und ist maßgeblich für die Herleitung
der Pareto-optimalen Bereitstellungsmenge reiner Kollektivgüter / öffentlicher Güter (analytisch
und graphisch).
48
(2) Ausschließbarkeit vom Konsum (privatrechtlichen Exkludierbarkeit ε) gibt Antwort auf die Frage,
ob es auch angesichts der damit verbundener Transaktionskosten – hier von Exklusionskosten
wie etwa für Kassiereinrichtungen – wirtschaftlich vernünftig erscheint, das sogenannte
Exklusionsprinzip (auch Preisausschlussprinzip) anzuwenden.
• Wie Sie schon wissen, lautet dieses Prinzip: "Wer ein Gut nutzen will, soll auch einen
Finanzierungsbeitrag leisten; wer diesen verweigert, soll von der Nutzung ausgeschlossen
(exkludiert) werden!"
• Die Exklusion ist nun – betrachtet man zunächst einmal nur privatrechtliche Mittel –
manchmal leicht und preiswert, in anderen Fällen dagegen schwer und kostspielig.
Manchmal sogar technisch unmöglich, weil es an einer Ausschlußtechnologie fehlt.
49
Beispiel 1: Ein Lebensmittelhändler will seine Waren verkaufen. Das normale Eigentumsrecht
gestattet es ihm, alle von der Nutzung der Lebensmittel auszuschließen, die den Kaufpreis nicht
entrichten wollen. Er benötigt zur Durchsetzung dieses Rechts zwar Kassiereinrichtungen und
Diebstahlsicherungen und hat deshalb bestimmte Exklusionskosten; diese sind im Verhältnis zum
Umsatz jedoch geringfügig: Die Exklusion ist also leicht, und die Exklusionskosten sind
wirtschaftlich vertretbar.
Beispiel 2: Der Erbauer eines Deichs A, der außer dem Grundstück von A auch das eines
Nachbarn schützt, verlangt von dem Nachbarn einen Finanzierungsbeitrag. Dieser behauptet
jedoch, kein Interesse an dem Deich zu haben, und verweigert die Zahlung. Was soll der Erbauer
des Deiches nun machen, um das Exklusionsprinzip durchzusetzen? Auf der Basis des normalen
Eigentumsrechts – d.h. ohne spezielle Arrangements des Gesetzgebers – ist es praktisch kaum
möglich, für die vom Deich ausgehende Schutzwirkung einen Preis zu verlangen und
durchzusetzen.
50
Grobeinteilung der Kollektivgüter bzw. öffentlichen Güter
1. Teilräume des Güterraums
Rivalität ∂ Ausschließbarkeit (privatrechtlichen Exkludierbarkeit) ε
0 1
0 (1) Pure Kollektivgüter / Reine öffentliche Güter
(z.B. Deiche)
(2) Klubkollektivgüter / Klubgüter (z.B. Tennisanlagen)
1
(3) Quasikollektivgüter / Unreine öffentliche Güter
(z.B. Fischbestände in Flüssen und Seen)
(4) Individualgüter / Reine private Güter
(z.B. Lebensmittel)
51
Grobeinteilung der Kollektivgüter 2. Beispiele (1) Pure Kollektivgüter / Reine öffentliche Güter : Deiche, Küstenbefeuerung, Verteidigung.
- Der Schutz eines weiteren Siedlers, das Leiten eines weiteren Schiffes, das Verteidigen eines weiteren Bürgers (oder allgemein: das Benutzen eines Nutzungspotentials durch einen weiteren Nutzer) wird von den bisherigen Siedlern, Schiffseignern, Bürgern (Nutzern) nicht als störend empfunden, weil ihnen dadurch keine Einbußen (d.h. Kosten) entstehen. (ρ = 0)
- Das Ausschließen eines Siedlers, Schiffseigners, Bürgers (Nutzers) wäre technisch nicht möglich oder jedenfalls mit unvertretbar hohen Exklusionskosten verbunden. (ε = 0)
(2) Quasikollektivgüter / Unreine öffentliche Güter (auch: „Allmendegut“): überfüllte innerstädtische
Straßen, überfüllte Badestrände, überfischte Meere.
- Ein weiteres Auto, ein weiterer Badegast, ein weiterer Fischdampfer (oder allgemein: das Nutzen des Nutzungspotentials durch einen weiteren Nutzer) wird von den schon vorhandenen Autofahrern, Badegästen, Fischern (Nutzern) als störend empfunden, weil sie Einschränkungen (d.h. Kosten) irgendeiner Art in Kauf nehmen müssen. (ρ = 1)
- Das Ausschließen eines Autos, Badegastes oder Fischers (Nutzers) ist gleichwohl nicht möglich, weil die Exklusionskosten zu hoch wären (wie z.B. bis vor kurzem bei der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren in Städten) oder weil Freiheiten aufgegeben werden müssten (wie etwa die Allgemeinzugänglichkeit der Strände oder die Freiheit der Meere), auf die man nicht verzichten möchte, weil man sie höher bewertet als die Überfüllungskosten. (ε = 0)
52
(3) Klubkollektivgüter / Klubgüter (auch: „Mautgut“): nicht überfüllte Tennisanlagen, Programme der Fernsehanstalten, Branchenforschungsinstitute mit freien Kapazitäten.
- Das Spielen eines weiteren Spielerpaares, das Einschalten eines weiteren Fernsehgerätes,
die Versorgung eines weiteren Branchenmitglieds mit branchenrelevanten Forschungsergebnissen (kurz: das Nutzen des Nutzungspotentials durch einen weiteren Nutzer) wird von den schon vorhandenen Nutzern mangels Beeinträchtigung nicht als störend empfunden. (ρ = 0)
- Das Ausschließen eines Spielers, Fernsehers, Branchenmitglieds (Nutzers) ist möglich, so dass man z.B. Mitglieder eines Klubs im weitesten Sinne (also z.B. auch eines wirtschaftlichen Vereins oder einer Genossenschaft) von Nichtmitgliedern unterscheiden und letztere exkludieren kann. (ε = 1)
(4) Individualgüter / private Güter . Verbrauchsgüter wie z.B. Lebensmittel; höchstpersönliche Gebrauchsgüter wie z.B. ein eigenes Zimmer oder Füllfederhalter;
- Ein weiterer Nutzer oder Benutzer würde die eigene simultane Nutzung verhindern. Deshalb
gilt ρ = 1.
- Ein Ausschließen Nichtberechtigter ist ohne größere rechtliche und/oder technische Schwierigkeiten zu vertretbaren Kosten möglich. Daher ε = 1.
53
Nahe liegende Bereitstellungsempfehlungen
� Prototypische Kollektivgüter : kollektive Beschlussfassung über Bereitstellungsmenge und -qualität (z.B. Deichlänge und -qualität) + Zwangsfinanzierung durch alle objektiv Begünstigten zur Verhinderung des Schwarzfahrens (z.B. durch alle Hinterlieger eines Deiches).
� Quasikollektivgüter : kollektive Beschlussfassung über Bereitstellungsmenge und -qualität (z.B. Länge und Qualität des innerstädtischen Straßennetzes) + Zwangsfinanzierung durch alle objektiv Begünstigten zur Verhinderung des Schwarzfahrens (z.B. durch die ortsansässigen Autofahrer und – nach einem niedrigeren Tarif – die sonstigen Gemeindebürger).
� Klubkollektivgüter : kollektive Beschlussfassung über Bereitstellungsmenge und -qualität (z.B. Länge und Qualität des ausgestrahlten Fernsehprogramms) + Monatsbeiträge der Mitglieder, verbunden mit dem Recht der gebührenfreien Nutzung. Ein solcher Beitrag ist erforderlich, damit das Klubkollektivgut, das ein sog. Optionsgut ist (d.h. ein Gut, das man nutzen kann, aber nicht nutzen muss, auf dessen Nutzung man also nur eine Option hat) finanziert werden kann; die Freiheit von laufenden Nutzungsgebühren soll dagegen verhindern, dass jemand von den Benutzungsgebühren davon abgehalten wird, sein Fernsehgerät einzuschalten, obwohl hierdurch in der Volkswirtschaft keine zusätzlichen Kosten anfielen, Nutzen also kostenlos erzeugbar wäre.
� Individualgüter : individuelle Beschlussfassung über Nachfragemenge und -qualität + Feststellung der Opportunitätskosten (Schattenpreise).
54
Zusammenfassung :
• Mit Hilfe der Klassifikationskriterien Rivalität im Konsum und Ausschließbarkeit vom Konsum ist
es möglich, unterschiedliche Arten von Kollektivgütern / öffentlichen Gütern zu unterscheiden und
gegen Individualgüter / private Güter abzugrenzen.
• Allen Kollektivgütern / öffentlichen Gütern ist gemeinsam, dass die Beschlussfassung über
Versorgungsmenge und -qualität vom Kollektiv der Betroffenen gefällt werden muss.
• Deshalb ist bei Kollektivgütern / öffentlichen Gütern eine Verbandsbildung erforderlich, die zur
Folge hat, dass die Verbandsmitglieder ihre Nachfrage über das Management dieser
Beschaffungsagentur gemeinsam geltend machen.
55
Verbände als Beschaffungsagenturen
Damit die eben besprochenen Bereitstellungsempfehlungen realisiert werden können, müssen diejenigen, die ein Kollektivgut gemeinsam nutzen wollen, zu einem Nachfrageverband zusammengefasst werden, der als Beschaffungsagentur auftritt. Damit ergibt sich die folgende Art der Nachfrageorganisation:
Anbieter des Kollektivgutes(z.B. Firmen, die Anlagen bauen und warten)
Nachfrageverband i
Weitere Nachfrageverbände und eventuell auch Einzelnachfrager.
Verbands-management
Verbandsmitglieder
Legende:
= Marktbeziehungen in Form von Kauf-, Werk- oder Dienstleistungsverträgen
- - - - - = interne Verbandsbeziehungen in Form der Wahrnehmung von Führungs- und Mitgliederrechten
56
• Wie die Finanzierung erfolgen sollte, hängt dagegen von der Art des Kollektivguts / öffentlichen
Gutes ab:
o Bei Klubkollektivgütern sind freiwillige Zahlungen möglich;
o bei reinen Kollektivgütern und Quasikollektivgütern bzw. bei reinen öffentlichen und unreinen
öffentlichen Gütern benötigt man dagegen zur Verhinderung des Schwarz- oder
Trittbrettfahrens bestimmte Formen einer Zwangsfinanzierung.
o Da solche Möglichkeiten nur dem Gewaltmonopol "Staat" zur Verfügung stehen, sollte ein
öffentlich-rechtlicher Verband bei diesen Gütern als Organisator der kollektiven Nachfrage
und damit als Beschaffungsagentur auftreten.
• Die hinter diesen Bereitstellungs- und Finanzierungsregeln stehende Norm lautet: Versuche, ein
Pareto-optimum zu realisieren, d.h., nutze alle Chancen, den Nutzen wenigstens irgendeiner
Person A zu erhöhen, ohne dadurch den Nutzen irgendeiner anderen Person zu vermindern.
• Wie man die Pareto-optimale Bereitstellungsmenge für Güter ermittelt, die entweder rival oder
nichtrival konsumiert werden, wird im nächsten Abschnitt erläutert.
57
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.1.1 Individual- und Kollektivgüter
2.1.2 Ermittlung der Nachfrage nach Individual- und Kollektivgütern bei vollständiger Information
2.1.3 Folgen von Informationsmängeln und Exklusionsproblemen
2.1.4 Bereitstellungsregeln für eine ordnungskonforme Versorgung mit Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
58
Ermittlung der Nachfrage nach Individual- und
Kollektivgütern bei vollständiger Information
In diesem Abschnitt wollen wir uns klarmachen, was der grundlegende Unterschied zwischen den
langfristigen Gleichgewichten auf Individualgütermärkten einerseits und „Zwangs- oder
Klubkollektivgütermärkten“ andererseits ist.
• Dazu gehen wir in einem ersten Schritt davon aus, dass wir gleichsam in die Menschen
hineinsehen und somit den wahren Verlauf von Nachfragekurven ermitteln können.
• Da die Probleme, die uns in diesem Abschnitt interessieren, Probleme auf der Nachfrageseite
der jeweiligen Märkte sind, unterstellen wir der Einfachheit halber auf der Angebotsseite eine
problemfreie Organisationsform, nämlich vollständige Konkurrenz mit identisch vermehrbaren
Betrieben.
59
• Unter diesen Umständen existiert eine langfristige Angebotskurve, die in Höhe der langfristigen
Preisuntergrenze parallel zur Mengenachse verläuft: Alle Betriebe produzieren im
Betriebsoptimum, und da der Preis den totalen Stückkosten entspricht, werden weder Gewinne
noch Verluste gemacht.
Fragen wir uns nun zuerst, wie wir zur Marktnachfrage für ein Individualgut bzw. einem privaten Gut
wie z.B. Brötchen gelangen.
• Da wir vollständige Information unterstellen, ist das gleichbedeutend damit, dass uns die
wahren individuellen Nachfragekurven bekannt sind.
• Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass es nur zwei Nachfrager gibt – die Nachfrager vom
Typ A und vom Typ B, die stellvertretend für viele andere betrachtet werden –, so erhalten wir
auf diese Weise zwei individuelle Nachfragekurven, die Kurven DA und DB.
60
Ermittlung der Marktnachfragekurve bei Individual- sowie Klub- und Zwangskollektivgütern (Bowen-Modell)1
p
y
p1
pGG
DG
yG
S
DB
DA
yAyA
Individualgut(Horizontaladdition)
. 1 Zur Darstellungstechnik vgl. H. R. Bowen: Toward Social Economy, New York 1948, S. 177.
61
Aus den individuellen Nachfragekurven können wir die Marktnachfragekurve ermitteln:
• D.h. wir fragen uns, welche Menge fragen die Konsumenten zum herrschenden Marktpreis pG
nach. Die Summe dieser individuell nachgefragten Mengen ergibt die Menge, die auf der
Marktnachfragekurve zum vorgegebenen Preis gehört.
• Oder geometrisch ausgedruckt: Wir ermitteln die Marktnachfragekurve auf dem Wege der
Horizontaladdition .
• Es wird sich zeigen, dass allein die Rivalität im Konsum zur Horizontaladdition der individuellen
Nachfragekurven führt.
62
Wenden wir uns nun der Technik der Ermittlung der Marktnachfragekurve für Kollektivgüter zu.
Auch für Kollektivgüter bzw. öffentliche Güter gibt es individuelle Nachfragekurven:
• Bezüglich der Existenz von individuellen Nachfragekurven gibt es also keinen Unterschied
zwischen Individual- und Kollektivgütern. Wo liegt dieser nun aber?
• Der Unterschied liegt darin, dass rationale und eigennützlich orientierte Individuen ihre
Präferenzen für Kollektivgüter bzw. öffentliche Güter nicht freiwillig offenbaren werden.
• Der Unterschied folgt aus dem Tatbestand der Nichtrivalität im Konsum.
• Ferner ergibt sich aus der Nichtrivaliät im Konsum auch ein zentraler Unterschied bei der
Ermittlung der Marktnachfragekurve für Kollektivgüter bzw. öffentliche Güter.
63
Ermittlung der Marktnachfragekurve bei Individual- sowie Klub- und Zwangskollektivgütern (Bowen-Modell)1
P
x
pG
DG
S
DB
DA
x1
pA
pA
Kollektivgut(Vertikaladdition)
G
xG
DG
pB
. 1 Zur Darstellungstechnik vgl. H. R. Bowen: Toward Social Economy, New York 1948, S. 177.
64
Aus der Nichtrivalität ergibt sich ja, dass z.B. ein Fernsehprogramm für A auch ein Fernsehprogramm
für B ist.
Die gleiche (identische) Angebotsmenge stiftet also beiden simultan einen Nutzen. Deshalb kann man
sie auch sowohl an A als auch an B "verkaufen".
Der Gesamtpreis, den man für eine Mengeneinheit erzielen kann, ergibt sich folglich als Summe der
Preise, die A und B für vorgegebene Mengen jeweils einzeln zu zahlen bereit sind.
Oder anders und mit Verweis auf den geometrischen Aspekt ausgedrückt:
Die Marktnachfragekurve, die ja zeigt, welche Gesamtpreise und Mengen einander zugeordnet
sind, ergibt sich bei Kollektivgütern auf dem Wege der Vertikaladdition der individuellen Preise, die
bei vorgegebener Angebotsmenge von den Mitgliedern des Kollektivs verlangt werden können.
65
Beispiele für die rechnerische Ermittlung der Marktnachfragekurve bei Individual- und Kollektivgütern
1. Gegeben sind zwei individuelle (inverse ) Nachfr agefunktionen ( Marshall):
I
II
N : p 4 x und
N : p 8 0,5x.
= −= −
2. Horizontaladdition bei Individualgütern:
Für alternative p-Werte werden die x-Werte der individuellen Nachfragefunktion addiert. Zur
Bestimmung der Funktionsvorschrift der Marktnachfragekurve werden die sich daraus ergebenen
Punktkoordinaten anschließend in die allgemeine Geradengleichung eingesetzt. Die aus
unterschiedlichen Prohibitivpreisen resultierenden „Verlaufsbrüche“ sind zu beachten.
66
Horizontaladdition bei Individualgütern
NI: p = 4 – x NII: p = 8 – 0,5x
K‘ C pC
p
x
4
8
NGesamt
Abschnitt a
INAbschnitt b
16
20
4
8
IIN
b
67
Abschnitt a: Sämtliche p-Werte zwischen den beiden Prohibitivpreisen (4 p 8≤ ≤ ); in diesem Abschnitt ist lediglich die individuelle Nachfragefunktion II zu beachten. Sie ist hier mit der Marktnachfragefunktion identisch.
Abschnitt b: Sämtliche p-Werte zwischen dem Prohibitivpreis der Nachfragefunktion I und der Abszisse (0 p 4≤ ≤ ); hier sind beide individuellen Nachfragefunktionen relevant.
Für p = 4 gilt: I II
Gesamtx 0 x 8 x 8= ∧ = ⇒ = .
Für p = 0 gilt: I IIGesamtx 4 x 16 x 20= ∧ = ⇒ = .
Durch Einsetzen der beiden Wertepaare (( 8,4) und (20,0)) in die allgemeine Geradengleichung (p = a – bx) ergeben sich die beiden Gleichungen:
4 a 8b
0 a 20b -
4 12b b 1 3
4 a 8 3 a 20 3
p 20 3 1 3 x.
= −= −
= ⇒ = ∧= − ⇒ =
= −
68
Damit ergibt sich die folgende abschnittsweise definierte Funktion:
Gesamt 8 1 2 x für alle 0 x 8 bzw. 4 p 8N : p
20 3 1 3 x für alle 8 x 20 bzw. 0 p 4.
− ≤ ≤ ≤ ≤= − ≤ ≤ ≤ ≤
Aus dem Ergebnis wird ersichtlich, dass die Horizontaladdition wesentlich rascher und einfacher über die paarweise Addition der Steigungs- und Lageparameter der individuellen (inversen) Nachfragefunktionen möglich ist, wenn diese (wieder) nach x aufgelöst sind (Walras): NI: p = 4 – x → x = 4 – p NII: p = 8 – 0,5x → x = 16 - 2p NG: x = 20 - 3p ∀ 0 ≤ p ≤ 4 → p = 20/3 – 1/3 x ∀ 8 ≤ x ≤ 20
69
Vertikaladdition bei Kollektivgütern
NI: p = 4 – x NII: p = 8 – 0,5x
K‘ C
pC
p
x
4
NGesamt
Abschnitt a
IN
Abschnitt b
16
4
8
IIN
12
6
70
Für alternative p-Werte werden die p-Werte der individuellen Nachfragefunktion addiert. Zur Bestimmung der Funktionsvorschrift der Marktnachfragekurve werden die sich daraus ergebenen Punktkoordinaten anschließend in die allgemeine Geradengleichung eingesetzt. Die aus unterschiedlichen Sättigungsmengen resultierenden „Verlaufsbrüche“ sind zu beachten. Abschnitt a: Sämtliche x-Werte zwischen den beiden Sättigungsmengen (4 x 16≤ ≤ ); in diesem Abschnitt ist lediglich die individuelle Nachfragefunktion II zu beachten. Sie ist hier mit der Marktnachfragefunktion identisch.
Abschnitt b: Sämtliche x-Werte zwischen der Sättigungsmenge der Nachfragefunktion I und der Ordinate (0 x 4≤ ≤ ); hier sind beide individuellen Nachfragefunktionen relevant. Für x = 4 gilt: I II
Gesamtp 0 p 6 p 6= ∧ = ⇒ = .
Für x = 0 gilt: I IIGesamtp 4 p 8 p 12= ∧ = ⇒ = .
Durch Einsetzen der beiden Wertepaare (( 4,6) und (0,12)) in die allgemeine Geradengleichung (p = a – bx) ergeben sich die beiden Gleichungen:
6 a 4b
12 a -
6 4b b 3 2
p 12 3 2x.
= −=
= ⇒ =
= −
71
Damit ergibt sich die folgende abschnittsweise definierte Funktion:
Gesamt 12 3 2 x für alle 0 x 4N : p
8 1 2x für alle 4 x 16.
− ≤ ≤= − ≤ ≤
Aus dem Ergebnis wird ersichtlich, dass die Vertikaladdition wesentlich rascher und einfacher über die paarweise Addition der Steigungs- und Lageparameter der individuellen Nachfragefunktionen möglich ist.
I
II
N : p 4 x und
N : p 8 0,5x.
= −= −
NG: p = 12 – 1,5x ∀ 0 ≤ x ≤ 4
72
Wir merken uns also: Sind die Nachfrager ehrlich, so könnte man
o auf einem Markt für ein Individualgut einen Preis vorgeben und fragen, wie viele Mengeneinheiten
zu dem Preis verlangt werden (Horizontaladdition), und
o auf einem Markt für ein Kollektivgut eine Menge vorgeben und fragen, wie groß die
Zahlungsbereitschaften (Nachfragepreis) der einzelnen Mitglieder jeweils sind, um aus der Addition
der Individualpreise dann den Gesamtnachfragepreis des Kollektivs zu ermitteln (Vertikaladdition).
Problem :
• Bei Individualgütern (privaten Gütern) bleibt den Konsumenten nichts anderes übrig, als zum
herrschenden (Markt-)Preis ihre Präferenzen zu offenbaren (kaufen oder stehen lassen), da
sie sonst die Güter nicht konsumieren können.
• Bei öffentlichen Gütern lässt sich spieltheoretisch zeigen, dass rationale und eigennutz-
maximierende Individuen ihre Präferenzen nicht freiwillig offenbaren werden. Daher wird die
Herleitung einer Nachfragekurve für öffentliche Güter nicht gelingen.
73
Marktgleichgewicht
Das Marktgleichgewicht ergibt sich – geometrisch gesprochen – bekanntlich im Schnittpunkt von
Angebots- und Nachfragekurve und analytisch durch gleichsetzen von Angebots- und
Nachfragefunktion und auflösen nach der Menge X (dann einsetzen von X* in eine der Funktionen zur
Ermittlung von p*).
Was wird gesamtwirtschaftlich in solch einem Gleichgewicht erreicht?
Nun, im Falle des Individualgutes gilt für den Angebotspreis langfristig ja die Gleichung:
PA = G K = D K
Für den Nachfragepreis gilt dagegen, dass er ein Maß für den Grenznutzen ist, den das Gut beim
letzten zum Zuge kommenden Nachfrager stiftet. Also:
pN = G N
74
Für das Gleichgewicht (pA = pN ) folgt:
G K = G N
Grenznutzen und Grenzkosten sind also zum Ausgleich gebracht worden. Damit ist aber auch der
Nettonutzen NN in der Volkswirtschaft maximiert worden, denn aus
NN = B N - T K
(NN = Nettonutzen, BN = Bruttonutzen, TK = Totalkosten)
folgt für NN' = 0:
0 = GN - GK,
GK = GN
75
Auf einem „ Kollektivgütermarkt “ gilt für den Angebotspreis wiederum:
pA = G K = D K
Für den Nachfragepreis des Beschaffungskollektiv erhält man hier aber:
Ngp = Σ pi = Σ GNi
Hieraus ergibt sich für pA = pN :
G K = ΣΣΣΣ GN i
76
• Während auf einem Individualgütermarkt also ein Gleichgewicht zwischen dem Grenznutzen des
letzten bedienten Nachfragers und den Grenzkosten erreicht werden soll,
• sollte auf einem „Kollektivgütermarkt“ ein Gleichgewicht zwischen den Grenzkosten und der
Summe der Grenznutzen realisiert werden, welche die Mitglieder des Nachfragerkollektiv jeweils
empfinden. Auch dies ist wieder ein Nutzenmaximum.
Wir merken uns folglich:
o Bei Individualgütern (privaten Gütern) ist ein Nutzenmaximum erreicht, wenn für jeden Nachfrager
die Gleichheit von Grenzkosten und Grenznutzen realisiert wird, d.h. alle zahlen den gleichen
Preis, konsumieren aber bei unterschiedlichen Präferenzen unterschiedliche Mengen, eben in der
Weise, dass für jeden individuell GK = GN gilt.
77
o Bei Kollektivgütern (öffentlichen Gütern) ist der Nutzen maximal, wenn die Grenzkosten der
Grenznutzensumme des Verwenderkollektivs entsprechen, d.h. alle konsumieren die gleiche
(identische) Menge des Kollektivgutes, zahlen dafür aber bei unterschiedlichen Präferenzen
unterschiedliche Preise, eben in der Weise, dass die Summe der individuellen Preise gerade den
Grenzkosten dieser Bereitstellungsmenge entspricht.
Die Optimalitätsregeln "GK = GN" (Individualgüter) bzw. "GK = Σ GNi" (Kollektivgüter) wurden hier aus
einer Partialbetrachtung von Märkten für Individual- bzw. Kollektivgüter abgeleitet.
Partialbetrachtung meint hier, dass ein Markt isoliert von anderen Märkten betrachtet wurde, also
mögliche Rückwirkungen der Veränderungen auf dem betrachteten Markt, über den Weg anderer
nicht betrachteter Märkte, ausgeschlossen wurden.
78
Im Rahmen der Totalanalyse einer Volkswirtschaft betrachtet man mehrere Märkte gleichzeitig (z.B.
einen Markt für Individualgüter und einen für Kollektivgüter) und zieht somit die möglichen
Rückwirkungen, die durch Anpassungsprozesse auf den Märkten entstehen können, mit in die
Analyse ein.
In Bezug auf Kollektivgüter (öffentliche Güter) hat ERIC LINDAHL (1919) das erste partialanalytische
Modell für die Allokation öffentlicher Güter entwickelt.
Das erste totalanalytische Modell geht auf PAUL A. SAMUELSON (1954) zurück.
Sowohl das Lindahl- als auch das Samuelson-Modell gehören inzwischen zum finanzwissen-
schaftlichen Lehrstandard (vgl. Brümmerhoff S. 79-96). Daher gehe ich im Folgenden kurz auf diese
Modelle ein.
79
Das Lindahl-Modell (vgl. Brümmerhoff S. 86-88)
Im Lindahl-Modell übernimmt der Staat die Rolle eines Auktionators (in Analogie zum Walrasianischen
Auktionator des vollkommenen Marktes).
• Im Modell werden zwei Haushalte (Individuen) betrachtet.
• Der Staat (Auktionator) schlägt den beiden Haushalten bestimmte Steueranteile zur
Finanzierung des öffentlichen Gutes Y vor, z.B. α und 1-α, wobei die Steueranteile
zwischen 0 und 1 variieren können
• Damit ist auch sichergestellt, dass sich beide Anteile stets zu 1 ergänzen: α + 1-α = 1, ∀ 0
≤ α ≤ 1 und somit das Gut stets finanziert werden kann, wenn die Grenzkosten der
Bereitstellung gleich 1 gesetzt werden.
• Die Haushalte (Individuen) teilen dem Staat (Auktionator) dann mit welche Menge des
öffentlichen Gutes Y bei diesem Finanzierungs- bzw. Steueranteil (Lindahl-Preis)
gewünscht wird.
80
• Falls die Haushalte bei gegebenem Finanzierungsanteil unterschiedliche Mengen des
öffentlichen Gutes wünschen, ruft der Staat (Auktionator) neue individuelle
Finanzierungsanteile aus.
o Der Finanzierungsanteil des Haushaltes, der die höhere Menge wünscht, wird erhöht.
o Der Finanzierungsanteil des Haushaltes, der die geringere Menge wünscht, wird
entsprechend gesenkt.
• Dieser Anpassungsprozess wird vom Auktionator (Staat) solange wiederholt bis beide
Haushalte (Individuen) zum ausgerufenen Finanzierungsanteil die gleiche Menge des
öffentlichen Gutes wünschen.
• In diesem Fall ist ein Gleichgewicht erreicht (in Analogie zum Marktgleichgewicht bei
privaten Gütern).
• Der Staat bietet die gewünschte Menge des öffentlichen Gutes an und erhebt die zur
Finanzierung dieser Bereitstellungsmenge notwendigen Steuern (Lindahl-Preise).
• Das Lindahl-Modell lässt sich anhand der folgenden Graphik darstellen.
82
Bemerkungen zur Graphik :
• Der Finanzierungsanteil der Person (Haushalt) 1, α , wird von 1O aus gemessen,
entsprechend der Finanzierungsanteil von Person (Haushalt) 2 von 2O aus.
• Das Lindahl-Gleichgewicht ergibt sich im Schnittpunkt der beiden Nachfragefunktionen.
Ergebnisse:
1. Im Lindahl-Modell werden die Finanzierungsanteile der einzelnen Personen endogen bestimmt
und bemessen sich nach den individuellen Zahlungsbereitschaften für die gleichgewichtige
Menge.
2. Das Lindahl-Gleichgewicht ist von der (anfänglichen) Einkommensverteilung abhängig, eine
andere Verteilung führt zu einem anderen Gleichgewicht.
83
3. Der Lindahl-Mechanismus stellt ein Analogon zum Marktmechanismus für private Güter dar:
� bei privaten Gütern:
Individuen passen sich mit Menge an Gleichgewichtspreis an.
� bei öffentlichen Gütern:
Individuen passen sich mit Zahlungsbereitschaft an gleichgewichtige Menge an.
4. Lindahl-Gleichgewichte sind pareto-optimal:
( )GRS GRS MC MC MC1 2 1+ = ⋅ + − ⋅ =α α
Jedes Lindahl-Gleichgewicht ist ein Pareto-Optimum und zu jedem Pareto-Optimum gibt es
umgekehrt eine Verteilung der Einkommen, so dass dieses Pareto-Optimum durch ein Lindahl-
Gleichgewicht implementiert wird.
84
Problem
• Die Problematik des Lindahl-Mechanismus besteht darin, dass der Staat die wahren
Zahlungsbereitschaften nicht kennt, um Lindahl-Preise festlegen zu können.
• Es wird nämlich im Modell implizit angenommen, dass die Individuen stets die Wahrheit sagen
und somit bei einem ausgerufenen Lindahl-Preis auch die wahre Menge angegeben, die sie zu
diesem Lindahl-Preis konsumieren möchten.
• Es lässt sich aber graphisch oder spieltheoretisch (Gefangenendilemma) zeigen, dass die
Individuen einen Anreiz haben, ihre Zahlungsbereitschaft zu verschleiern und sich als
Trittbrettfahrer zu verhalten.
• Als Trittbrettfahrer kommen sie sozusagen kostenlos in den Genuss des öffentlichen Gutes,
falls eine positive Menge überhaupt bereitgestellt wird.
• Da sich aber alle rational und eigennützig orientierten Individuen so verhalten werden, ist aus
theoretischer Sicht nicht mit der freiwilligen Bereitstellung öffentlicher Güter zu rechnen.
85
Das Samuelson-Modell (vgl. Brümmerhoff S. 80-82, Pickhardt 2006)
Wir betrachten im Folgenden eine Ökonomie mit
• 2 Konsumenten, 2,1=i
• 2 Gütern: ein öffentliches Gut der Menge y und ein privates Gut der Menge 21 xxx += .
Die Konsumenten besitzen die Nutzenfunktionen
),( iii xyuu = , 2,1=i ,
wobei ix die vom Haushalt i (individuell) konsumierte Menge des privaten Gutes bezeichnet, und y
die (Gesamt-)Menge des öffentlichen Gutes, die von allen Konsumenten im gleichen Umfang
genutzt wird.
86
Die Produktionsmöglichkeiten werden durch die Transformationsfunktion
0=)y,x(F
beschrieben.
• Eine wohlfahrtsoptimale Allokation nach dem Pareto-Kriterium erfordert, dass ein Zustand
erreicht ist, bei dem es durch eine Reallokation der Güter nicht mehr möglich ist, den Nutzen
eines Konsumenten zu erhöhen, ohne dass der Nutzen eines anderen Konsumenten sinkt.
• Um einen pareto-optimalen Zustand in einem Zwei-Personen-Fall zu erreichen, muss also der
Nutzen eines Konsumenten (etwa 1) maximiert werden und der des anderen (etwa 2), auf
einem bestimmten Niveau (konstant) gehalten werden, etwa auf dem Niveau 2u .
87
Zu lösen ist das Maximierungsproblem (eines Sozialen Planers):
maxx y1,
),( 11 xyu
NB: 222 ),( uxyu =
0),( =yxF
xxx =+ 21
021 ≥y,x,x
Aus den Bedingungen 1. Ordnung ergibt sich:
x
Fy
F
x
uy
u
x
uy
u
∂∂∂∂
=
∂∂∂∂
+
∂∂∂∂
2
2
2
1
1
1
bzw. GRS GRTi
i
=∑ (Samuelson-Regel )
88
Die Samuelson-Regel (Samuelson-Bedingung) besagt, dass die Summe der Grenzraten der
Substitution zwischen privatem und öffentlichem Gut (über alle Konsumenten i ) mit der Grenzrate
der Transformation von x und y in der Produktion übereinstimmen muss.
Zum Vergleich: Bei privaten Gütern gilt:: GRTGRSi = für alle i Konsumenten.
Bemerkung:
• Es gibt nicht nur eine pareto-optimale Allokation, sondern unendlich viele in Abhängigkeit des
Nutzenniveaus 2u , das Person 2 garantiert wird.
Dies verdeutlicht die graphische Veranschaulichung des Samuelson-Modells und seiner Lösung:
90
Erläuterung (Konstruktionsschritte):
1. In (I) ist die Transformationskurve F gegeben und
2. es wird zudem eine Indifferenzkurve für den 2. Konsumenten eingetragen ( 2u ) und konstant
gehalten.
3. Nun kann in (I) zu jeder Menge des öffentlichen Gutes (y) die von Konsument 2 nachgefragte
Menge des privaten Gutes (x2) bestimmt werden (Ordinatenwert).
4. In (II) ergibt sich die Kurve der Konsummöglichkeiten des Konsumenten 1 für das private Gut
( )(1 yx ) als Differenz zwischen Transformationsfunktion und Indifferenzkurve 2u in (I).
5. Nutzenmaximierung für Konsument 1 führt zu *1
* , xy , der Konsum des privaten Gutes von
Konsument 2 ergibt sich als ** xxx 12 −= .
Aber: Wird 2u variiert, stellt sich eine andere pareto-optimale Allokation ein.
91
• Das Pareto-Optimum ist also nicht unabhängig von der Verteilung der Nutzenniveaus auf die
beiden Konsumenten.
• In einem Modell mit expliziter Produktion privater und öffentlicher Güter (mit Hilfe einer
Produktionsfunktion für beide Güter und spezifizierten Produktionsfaktoren) würde dies der
(alternativen) Verteilung der Anfangsausstattungen (mit Produktionsfaktoren) auf die
Konsumenten entsprechen.
• Zu jeder gewünschten Verteilung der Nutzen gibt es jedoch eine effiziente Allokation der Güter,
die pareto-effiziente eben.
• Das bedeutet, dass die Frage der Verteilung der Güter auf die Konsumenten von dem Problem
ihrer effizienten Allokation getrennt werden kann (d.h. hier ist die Reduktion von Ungleichheit
nicht mit Effizienzverlusten verbunden.)
92
Zusammenfassung :
• Liegen vollständige Informationen vor (bzw. äußern die Individuen ihre wahren Präferenzen)
lassen sich auch für öffentliche Güter aggregierte Nachfragefunktionen herleiten.
• Allerdings erfolgt die Addition der individuellen Nachfragefunktionen aufgrund der Nichtrivalität
im Konsum vertikal (über die Preisachse) und nicht horizontal (über die Mengenachse), wie
bei privaten Gütern.
• Lindahl hat als erster in einem partialanalytischen Modell gezeigt wie öffentliche Güter pareto-
optimal bereitgestellt werden können.
• Samuelson hat dies als erster in einem totalanalytischen Modell gezeigt und auf diese Weise
die Samuelson-Bedingung hergeleitet.
• Damit ist klar, dass eine parteo-optimale Lösung des Bereitstellungsproblems für öffentliche
Güter existiert.
• Allerdings wird es in der Praxis aus theoretischer Sicht nicht zur freiwilligen
Präferenzoffenbarung für öffentliche Güter kommen.
93
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.1.1 Individual- und Kollektivgüter
2.1.2 Ermittlung der Nachfrage nach Individual- und Kollektivgütern bei vollständiger Information
2.1.3 Folgen von Informationsmängeln und Exklusionsproblemen
2.1.4 Bereitstellungsregeln für eine ordnungskonforme Versorgung mit Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
94
Lässt man die (heuristische) Annahme der vollständigen Information fallen und berücksichtigt man
gleichzeitig, dass bei vielen Kollektivgütern nicht exkludiert werden kann oder soll (Nichtanwendung
des Preisausschlußprinzips), so werden zwei Arten von Zusatzproblemen sichtbar:
* Lernprozesse, die auf Individualgütermärkten eine Anpassung von Präferenzen für neue Güter und
das richtige Einschätzen des Nutzens von Qualitätsveränderungen und Erfahrungsgütern
ermöglichen, werden auf Kollektivgütermärkten verhindert oder doch wenigstens erschwert.
* Ein technisch bedingter oder freiwilliger Verzicht auf die Anwendung des Exklusionsprinzips
(Preisausschlussprinzips) hat zur Folge, dass der Zwang entfällt offenzulegen, welchen Wert der
individuelle Grenznutzen einer nachgefragten Menge hat, und dass aufgrund eines strategischen
Verhaltens eine zu geringe oder überhaupt keine Zahlungsbereitschaft geäußert wird. Hieraus
folgt, dass die Individuen i.d.R. ohne staatliche Hilfe nicht das erreichen, was sie eigentlich
erreichen wollen.
95
Zunächst zum Lernproblem.
• Auf Individualgütermärkten gibt es gleichsam einen "eingebauten" Lernmechanismus, der dafür
sorgt, dass sich Informationen über Güter und ihre Qualitäten rasch und relativ zuverlässig
ausbreiten.
o Grob gesprochen, liegt das daran, dass wir alle ständig Konsumexperimente durchführen
und unsere Mitmenschen bei ihren Experimenten beobachten. Bewertet man den Ausgang
eines eigenen oder beobachteten Experiments positiv, bleibt man bei einem solchermaßen
erprobten Verhalten oder nimmt es an; anderenfalls ändert man bei einem zweiten Kauf sein
Verhalten und imitiert andere, die bessere Erfahrungen gemacht haben.
o Dieses Experimentieren ist gut möglich, weil Individualgüter entweder häufig wiedergekauft
werden (kurzlebige Verbrauchsgüter) oder weil es doch wenigstens genügend andere
Konsumenten gibt, deren Erfahrungen mit langlebigen Gebrauchsgütern man erfragen und
beobachten kann und die sich auch in Testzeitschriften mitteilen lassen.
96
Anders verhält es sich bei puren Kollektivgütern wie z.B. der Verteidigung.
o Hier müssen wir uns alle auf eine Verteidigungskonzeption und eine Bundeswehr mit einer
bestimmten Stärke und Qualität einigen.
o Im Anschluss daran machen wir zwar auch Erfahrungen; es gibt aber niemanden, der
konkurrierende Konsumexperimente vornimmt und dessen Erfolge wir mit unseren
Erfahrungen vergleichen könnten.
• Mit anderen Worten: Während man auf Individualgütermärkten ständig viele reale Experimente
beobachten kann, die von anderen vorgenommen werden und uns Informationen vermitteln,
können wir jedenfalls bei nationalen Kollektivgütern über die Wirkungen andersartiger
Verhaltensweisen nur spekulieren; das relativ verlässliche Realexperiment wird hier also durch
relativ unzuverlässige Gedankenexperimente ersetzt.
• Bei regionalen Kollektivgütern gibt es dagegen eine Möglichkeit, sich an den Zustand bei
Individualgütern anzunähern: die föderalistische Organisation eines Staates, die Bildung eines
Bundesstaates also, in dem verschiedene Regionen unterschiedliche Problemlösungen (z.B. für
die Ausgestaltung des Bildungswesens) ausprobieren und aus den unterschiedlichen Erfolgen
lernen können.
97
Nun zur Exklusionsproblematik.
Wendet man bei einem sogenannten Errichtungsgut, das erst noch hergestellt werden muss, das
Exklusionsprinzip nicht an, ergibt sich das so genannte Trittbrett- oder Schwarzfahrerproblem:
• Da man weiß, dass man mangels Exklusion auch dann in den Genuss des fraglichen Gutes
kommen wird, wenn man keinen eigenen Beitrag zur Bereitstellung leistet, ist man stets versucht,
solch einem Beitrag auszuweichen.
o obwohl man die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die daraus für einen selbst
resultierenden Lohnerhöhungen schätzt, tritt man nicht in die Gewerkschaft ein, und
o obwohl man für studentische Selbstverwaltung ist, arbeitet man selbst doch nicht mit.
Die Folge ist oft, dass die Versorgung mit solch einem Gut unterbleibt, oder gehemmt wird.
98
• Die vorstehenden Beispiele bezogen sich auf Kollektivgüter in Form von gemeinschaftlich
genutzten Anlagen oder Dienstleistungen, die es nicht von Natur aus gibt, sondern die erst
produziert werden müssen. Wir nennen sie Errichtungsgüter.
• Das Trittbrettfahrerproblem tritt aber auch bei Gütern auf, die wie eine Allmende, ein
Fischbestand oder eine Ozonschutzschicht von Natur aus da sind, von den Menschen ohne
Exklusion im Wege einer Nutzungsordnung aber übernutzt würden. Solche Güter nennen wir
Schutzgüter.
Alle angeführten Beispiele zeigen: Das Problem ist relevant, auch wenn es durch Moral z.T. im Zaume
gehalten werden kann.
Wenn wir über externe Effekte sprechen – das sind Effekte, die sich daraus ergeben, dass ein
Kollektivgut als Kuppelprodukt eines Individualgutes auftritt – werden wir außerdem sehen, dass diese
Problematik sogar noch sehr viel umfassender ist, als es die Beispiele jetzt andeuten, und dass damit
z.B. die Umweltschutzprobleme zusammenhängen.
99
Machen Sie sich bitte klar, wieso es zur Schwarzfahrerproblematik kommt und welche Funktionen das
Exklusionsprinzip (Preisausschlussprinzip) sonst ganz zwanglos erfüllt. Ein Vergleich mit
Individualgütern, bei denen es angewendet wird, zeigt uns, dass es sich hier um zwei Funktionen
handelt:
• Wer in den exklusiven Besitz eines Individualgutes gelangen will, muss sich das Nutzungsrecht
kaufen und ist damit gezwungen zu zeigen, was ihm dieses Recht wert ist. Das Exklusionsprinzip
erfüllt hier also eine Informationsfunktion: Es zwingt zur Offenlegung des €-Wertes des
Güternutzens und ermöglicht damit die Ermittlung der richtigen Bereitstellungsmenge (für die ja
die Grenzkosten dem Grenznutzen gleichen sollen).
• Wer ein Individualgut zur exklusiven Nutzung kauft, muss natürlich auch den Preis zahlen. Damit
ermöglicht das Exklusionsprinzip gleichzeitig die Finanzierung der Bereitstellungsmengen, und
diese Finanzierungsfunktion ist es, die dafür sorgt, dass die Produktionsfaktoren in die
Herstellung des in Rede stehenden Gutes wandern.
100
Was bei Individualgütern und Anwendung des Exklusionsprinzips so zwanglos vonstatten geht, dass
es übertrieben erscheint, die beiden Funktionen herauszuarbeiten, kann bei Kollektivgütern und
Nichtanwendung des Prinzips nun zu einem erheblichen Problem werden:
o Da der Nutzenoffenbarungszwang entfällt, wenn man nicht exkludiert, wird die
Informationsfunktion nicht erfüllt, und da der Finanzierungszwang entfällt, wird auch die
Finanzierungsfunktion nicht mehr erfüllt. Für die auf diese Weise nicht mehr erfüllten Aufgaben
muss man deshalb Ersatzlösungen finden.
Aus der Exklusionsproblematik folgt, dass für Kollektivgüter besondere Formen der Organisation von
Willensbildungsprozessen gefunden werden müssen, Organisationsformen, die zu einer möglichst
guten Entscheidung über die bereitzustellenden Mengen von Kollektivgütern und ihre Finanzierung
führen.
101
Hier gibt es mehrere Vorschlage, von denen vorerst aber nur zwei halbwegs praktikabel sind: die auf
den schwedischen Nationalökonomen Knut Wicksell zurückgehende und von J.M. Buchanan
verfeinerte Einstimmigkeitsmethode* und die Repräsentationsmethode. (Beide Bezeichnungen sind in
der Literatur so nicht üblich.)
Zunächst zur Einstimmigkeitsmethode. Hier zerlegt man das Problem der Entscheidung über die
Menge und die Finanzierung eines Kollektivguts in zwei Schritte:
(1) In einem ersten Schritt wird eine Finanzverfassung beschlossen, in der festgelegt wird, wie die
Beschaffungskompetenzen in einer Volkswirtschaft verteilt werden sollen und in welcher Weise die
Kosten von Kollektivgütern in den jeweiligen Beschaffungsverbänden auf die Kollektivmitglieder
umgelegt werden sollen. Wir werden später besprechen, welche Regeln dabei beachtet werden
sollten. Vorerst kommt es nur darauf an, dass wir davon ausgehen können, dass es für jedes
* Vgl. hierzu J.M. Buchanan: Public Finance in Democratic Process. Fiscal Institutions and Individual Choice. Chapel Hill 1967, S. 292 f.
102
Kollektivgut eine Kostenumlageregel gibt und dass sich folglich jedes Verbandsmitglied
ausrechnen kann, welchen Teil der Gesamtkosten es zu tragen hat.
(2) In einem zweiten Schritt wird dann auf der Basis der vorgegebenen Finanzverfassung und damit
auch eines vorgegebenen Finanzierungsmodus darüber abgestimmt, wie groß die
Bereitstellungsmenge bei einem konkreten Projekt sein soll.
Bei einer solchen Abstimmung müssen die geschätzten Projektkosten (und zwar Gesamt- und
Grenzkosten) als Abstimmungsunterlagen vorgelegt werden. Auf der Basis dieser Schätzungen und
des Finanzierungsmodus kann sich wie gesagt jedes Kollektivmitglied ausrechnen, wie hoch sein
persönlicher Individualpreis für eine zusätzliche Mengeneinheit wäre (also z.B. für zusätzliches
Fernsehprogramm der Sparte x pro Tag).
103
Wichtig ist nun, dass die Abstimmung über die Kollektivgutmenge (und -qualität) Einstimmigkeit
erfordert. Dies hat im Prinzip zur Folge, dass sich Lügen nicht lohnt:
• Stimme ich für eine Menge, die – gemessen an meinen nur mir bekannten wirklichen Präferenzen
– zu klein ist (d.h. lehne ich eine "eigentlich richtige" größere Menge ab), so wird aufgrund des
Erfordernisses der Einstimmigkeit auch nur eine "zu kleine" Menge bereitgestellt.
o Ich kann also nicht hoffen, durch Vertuschung (eines Teils) meines Interesses irgendetwas
zu gewinnen (was ja z.B. möglich gewesen wäre, wenn diejenigen, die für kleinere Mengen
stimmen, weniger zahlen müssten).
o Geht man bei der Abstimmung nun schrittweise von einer kleineren Menge aus zu einer
größeren vor, können sich alle Kollektivmitglieder bei jedem Schritt fragen, ob die
Vergrößerung per Saldo mit einem positiven Nettonutzen verbunden ist.
o Erst dann, wenn jemand der Meinung ist, dass seine Finanzierungslast beim in Rede
stehenden Schritt größer wäre als der Bruttonutzen aus der zusätzlichen Gütereinheit, bricht
der Aufsteigerungsprozess ab.
104
o Bei dem gegebenen Finanzierungsmodus ist nun ein Paretooptimum erreicht; ein anderer
Modus würde vielleicht zu anderen Mengenentscheidungen führen, aber die Möglichkeit
eines Moduswechsels würde wiederum zu strategischen Überlegungen Anlass geben und
darf deshalb überhaupt nicht in Betracht gezogen werden.
o Man kann folglich sagen, dass die Einstimmigkeitsmethode zu einem finanzierungstechnisch
beschränkten Paretooptimum führt†.
Beachten Sie bitte, dass ich die Einstimmigkeitsmethode hier so dargestellt habe, als ob direkte
Demokratie herrschte. Das ist aber nicht unbedingt erforderlich. Im Gegenteil: Es kann sogar Vorteile
haben, wenn Abgeordnete nach der Einstimmigkeitsmethode für diejenigen abstimmen, die sie
repräsentieren. Man muss aber darauf achten, dass die Abgeordneten in einer Schiedsrichterpostition
sind, also z.B. nicht von den Anbietern von Gütern "bestochen" werden können, um die (angebliche)
"Nachfrage der Gesellschaft" zu vergrößern.
† Die Einstimmigkeitsmethode gehört zu einer Gruppe von Abstimnungsprozessen, die man als "walrasianisch" oder "auktionatorgebunden" bezeichnet. Weitere Prozesse
dieser Art findet man in D.C. Mueller: Public Choice, Cambridge/Mass. u.a.O. 1979, S. 21 ff. und S. 72 ff.
105
Die Repräsentationsmethode , die wir nun besprechen wollen, erinnert vom Wort her an unsere
normalen politischen Prozesse, ist der Sache nach aber doch recht weit von diesen entfernt.
Der Kerngedanke dieser Methode besteht darin, dass Repräsentanten der verschiedenen Teilgruppen
eines Kollektivs die individuellen Nachfragekurven der von ihnen Repräsentierten schätzen und
hieraus die Marktnachfragekurve des Kollektivs ermitteln sollen, ohne dass vorher eine
Finanzverfassung mit zweckmäßigen Tarifierungsregeln eingeführt und Einstimmigkeit verlangt wird
(obwohl so etwas getan werden könnte).
• Das Problem der Lüge soll hier also durch Einführung eines (möglichst) ehrlichen Maklers gelöst
werden.
Dabei soll die Situation so gestaltet werden, dass der moralische Druck in Richtung auf ein ehrliches
Schätzverhalten der Repräsentanten möglichst groß ist (Wunschgestalt des gemeinwohlverpflichteten
Abgeordneten).
106
Nehmen wir zunächst einmal an, es gelänge, solch ein selbstlos ehrliches Verhalten zu erzeugen;
• Welche Probleme müssten die Abgeordneten dann eigentlich lösen?
Die Antwort auf diese Frage verdeutlicht, wie schwierig das Problem der "richtigen"
Kollektivgüterbereitstellung objektiv ist, wenn es durch Abgeordnete gelöst werden soll.
Die bestmögliche Lösung wird in Chart 7 allgemein und in Chart 8 anhand eines speziellen Beispiels
gezeigt.
107
Ablaufdiagramm zur Repräsentationsmethode
START
1. Versuchen Sie, sich in die Lage einesrepräsentativen Wählers zu versetzen.
2. Ermitteln Sie auf intuitivem Wege, welchenPreis Sie für eine Einheit des betrachtetenGutes höchstens zahlen würden, wenn Sie xMengeneinheiten konsumieren wollten.Orientieren Sie sich dabei - wenn möglich - anPreisen gehandelter Güter ähnlicher Art.Erhöhen Sie x schrittweise bis zur Obergrenzedes Ihnen relevant erscheinenden Bereichs.
3. Tragen Sie die geschätzten Preis-Mengen-Kombinationen in ein Diagramm ein undermitteln Sie mit Hilfe einerRegressionsrechnung die zugehörigeindividuelle Nachfragekurve.
4.Erscheint Ihnen die geschätzte
individuelle Nachfragekurve intuitivrichtig?
4a Korrigieren Sie die KurveNein
Ja
108
Ablaufdiagramm zur Repräsentationsmethode
5. Ermitteln Sie die Marktnachfragekurve desKollektivs durch Multiplikation der pi-Gleichung(d. h. der individuellen Nachfragekurve) mitder Zahl der Konsumenten.
6. Ermitteln Sie die langfristigen Stückkosten fürdas betrachtete Gut oder seinenBeschaffungspreis .
7. Setzen Sie die langfristigen Kosten pro Stückin die Marktnachfragekurve ein undberechnen Sie die effiziente Bereitstellungs-menge sowie die zugehörige Finanzierung.
Ja
Ende
109
Beispielaufgabe zur Repräsentationsmethode
(1) PROBLEMSTELLUNG: Angenommen, in einer Kleinstadt soll ein kommunales Fernsehen eingerichtet und durch Klubbeiträge finanziert werden. Zu klären ist, wie lange gesendet werden soll und wie hoch die Finanzierungsbeiträge sein sollen. Angenommen, man sei sich einig, � dass die optimale Sendedauer in einem Bereich zwischen einer und sieben Sendungen von je
einer halben Stunde pro Woche liege,
� dass zur Finanzierung alle Bürger herangezogen werden sollen, die einen Fernsehapparat besitzen, denn der Kauf solch eines Geräts wird als Beitritt zu einem Klub gewertet (GEZ!), und
� dass diese 10.000 Bürger gleich hohe Beiträge zahlen sollen, weil man in Bezug auf das
Kommunalfernsehen eine Gleichverteilung des Nutzens vermutet. Ermitteln Sie die optimale Lösung gemäß Chart 7!
110
Beispielaufgabe zur Repräsentationsmethode
(2) LÖSUNG: Schritt 1 und 2: Schätzung einer Wertetabelle, welche die Präferenzen eines repräsentativen Bürgers widerspiegelt x = Sendungen pro Woche. pi = individueller Nachfragepreis pro Sendung; zum Vergleich herangezogene Ausgaben für ein
privates Gut: Nachfragepreise (in €) für eine lokale Tageszeitung mit x Ausgaben pro Woche. x pi 1 2,- 2 1,50 3 1,20 4 1,- 5 0,85 6 0,75 7 0,65 Schritt 3 und 4: Ermittlung der individuellen Nachfragekurve eines repräsentativen Bürgers (Chart 8.2)
111
Beispielaufgabe zur Repräsentationsmethode
2
1
1 2 9876543
Pi
X
Zusätzliche Fernsehsendungen haben bei entsprechender Programmgestaltung einen positiven, aber abnehmenden Grenznutzen. Eine plausible Nachfragekurve müsste diese Eigenschaft widerspiegeln. Wählt man für den Regressionsansatz eine Funktion der Form pi = a x
b, müsste b
zwischen -1 und 0 liegen. Aus den vorstehenden Daten ergibt sich:
112
Pi = 2,1356 x-0,576 ; R2 =0,983
Diese Funktion hat plausible Eigenschaften und stellt eine sehr gute Anpassung an die Punktwolke dar.
Bei ihrer intuitiven Kontrolle (Schritt 4a) muss man versuchen, gedanklich zu simulieren, wie wohl die Zahlungsbereitschaftsermittlung nach einer Methode ausgegangen wäre, die in der Literatur „Methode der kontingenten Bewertung“ heißt. Hierbei stellt man einer repräsentativen Stichprobe potenzieller Nutzer eines Kollektivgutes in einem strukturierten Interview die Frage nach ihrer persönlichen Zahlungsbereitschaft und versichert ihnen dabei, � dass ihre Antworten keine persönlichen Konsequenzen für eventuelle Beitragsforderungen haben
werden, � dass sie aber gleichwohl politisch relevant sein werden.‡
‡ Vgl. hierzu: R.T. Carson (1999): Contingent Valuation: A User’s Guide, UCSD Economic Discussion Papers 99, University of California at San Diego.
113
Beispielaufgabe zur Repräsentationsmethode
Schritt 5: Ermittlung der kollektiven Nachfragekurve der Gemeinde (= Marktnachfragekurve) n = 10.000
p = pi n = 2,1356 x-0,576 · 10.000 = 21.356 x-0,576 Schritt 6 und 7: Ermittlung der Kosten einer Fernsehstation pro Woche
K = 14.000 x
=Woche
SendungenSendungWoche
*€€
Eine proportionale Kostenfunktion erscheint nicht unplausibel, da im wesentlichen sprungfixe Kosten anfallen. Die Kostenfunktion ist natürlich nur für ganzzahlige x-Werte definiert.
LGK = LDK = XK = 14.000
. 1
114
Beispielaufgabe zur Repräsentationsmethode
Schritt 8: Ermittlung von xopt und pi
LDK = p 14.000 = 21.356 x-0,576
x = 576,01
356.21000.14 −
= 2,08
x = 2,08 ist nicht realisierbar (Ganzzahligkeitsbedingung). Deshalb wird als nächstliegender Wert x = 2 verwendet. Für x = 2 ergibt sich als Nachfragepreis aus der Marktnachfragekurve:
p = 21.356 * 2-0,576 = 14.326 Bei x = 2 entspricht dies einem Beitragsaufkommen von 2 · 14.326 = 28.652 € pro Woche. Zur Finanzierung der Kosten reicht allerdings ein Beitragsvolumen von 28.000 € (2* 14.000) bzw. 2,80 € (28.000/10.000) pro Fernsehempfänger und Woche aus.
115
Fazit: Zu empfehlen ist daher der Einkauf von Programmkapazitäten für zwei Sendungen pro Woche. Als Finanzierungsbeitrag sollten 2,80 € pro Fernsehempfänger erhoben werden.
Achtung:
• Dieser Beitrag ist kein Klubbeitrag i.e.S., weil die Unterstellung „Jeder Besitzer eines
Fernsehgeräts will Klubmitglied sein" nicht zu stimmen braucht und weil deshalb ein Element des Zwangs ins Spiel kommt.
• Selbst wenn durch die Repräsentationsmethode eine gute Annäherung an die wahren Präferenzen erreicht wird, lässt sich streng genommen „nur“ die quasi optimale Bereitstellungsmenge ermitteln.
• Das Finanzierungsproblem bleibt letztendlich ungelöst, denn entweder muss Zwang angewendet werden (GEZ-Gebühren; Steuern) oder es muss eben doch ein Preisausschluss angewendet werden (Decoder-Lösung).
116
Zusammenfassung und weitere Literatur
• Gibt man die Annahme vollständiger Informationen auf, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Herleitung von Nachfragekurven für öffentliche Güter bzw. Kollektivgüter.
• Rationale und Eigennutz maximierende Individuen werden ihre wahren Präferenzen für
öffentliche Güter nicht freiwillig offenbaren.
• Es kommt daher zu einer suboptimalen Bereitstellung (d.h. falsche Menge) öffentlicher Güter, insbesondere zur Nichtbereitstellung öffentlicher Güter (d.h. Menge = 0).
• Aus spieltheoretischer Sicht handelt es sich um ein Gefangendilemma.
• Ferner geht die Informations- und Finanzierungsfunktion des Preisausschlussprinzips verloren,
wenn das Preisausschlussprinzip nicht angewendet werden sollte bzw. nicht angewendet werden kann.
• In der Praxis müssen daher Methoden entwickelt werden, die eine möglichst gute Annäherung
an eine pareto-optimale Bereitstellung öffentlicher Güter erlauben.
117
• Alle bisher entwickelten Methoden sind mit unterschiedlichen Mängeln behaftet.
• Exemplarisch wurden zwei Methoden vorgestellt, d.h. die Einstimmigkeitsregel (Wicksell) und
die Repräsentationsmethode (vgl. hierzu auch den Klubgüteransatz von Buchanan). Weitere Methoden und Modelle finden Sie in Brümmerhoff, Kapitel 5, Seiten 108-134.
• Insbesondere das Medianwählermodell sowie Arrows Paradox sind hier von Interesse.
118
Gliederung – S TAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.1.1 Individual- und Kollektivgüter
2.1.2 Ermittlung der Nachfrage nach Individual- und Kollektivgütern bei vollständiger Information
2.1.3 Folgen von Informationsmängeln und Exklusionsproblemen
2.1.4 Bereitstellungsregeln für eine ordnungskonforme Versorgung mit Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
119
Trotz der Schwierigkeiten, die – wie wir im Unterabschnitt 2.1.3 gesehen haben – mit der
Versorgung mit Kollektivgütern verbunden sind, muss man das Problem so gut wie möglich zu lösen
versuchen. Eine möglichst demokratische und gleichzeitig ökonomische Lösung kann man finden,
wenn man die im Folgenden zu besprechenden Bereitstellungsregeln beachtet.
Was man unter einer Bereitstellungsregel versteht, haben wir im Unterabschnitt 2.1.1 bereits
definiert: Solch eine Regel ist ein Prinzip das klärt, in welcher Art und Weise die
Bereitstellungskompetenz auf Verbände verschiedener Art verteilt und wie sie wahrgenommen werden
soll. Die Bereitstellungskompetenz umfasst dabei
• erstens das Recht, darüber entscheiden zu dürfen, in welcher Menge und Qualität ein bestimmtes
Gut nachgefragt und welche Gesamtfinanzierungslast damit in Kauf genommen werden soll
(Bedarfsformulierungsrecht), und
• zweitens das Recht zu Entscheidungen darüber, nach welchem Tarif die Finanzierungslast
umgelegt werden soll (Lastverteilungsrecht).
120
Bereitstellungsregeln umfassen folglich Bedarfsformulierungs- und Lastverteilungsregeln. Wir wollen
ihre Erläuterung damit beginnen, dass wir fragen, wie man Verbandstypen festlegen sollte, denen das
Beschaffungsrecht für eine bestimmte Art von Kollektivgütern übertragen wird.
Hierzu wollen wir von der Erfahrungstatsache ausgehen, dass Versorgungsverbände für Kollektivgüter
gegründet werden, um Gruppenersparnisse im Konsum realisieren zu können. Was unter solchen
Verbänden zu verstehen ist, soll anhand von Chart 9 verdeutlicht werden.
Hier wird dargestellt, dass ein Versorgungsverband ein Intermediär ist, der auf einem
Beschaffungsmarkt oder (in Ausnahmefällen) in einem eigenen Unternehmen eine bestimmte,
qualitativ und quantitativ festgelegte Menge q eines Kollektivgutes (z.B. einer Anlage mit
verschiedenen Tennisplätzen) beschafft und sie seinen Verbandsmitgliedern zur Nutzung zur
Verfügung stellt.
121
Die Bereitstellungsgarantie von Versorgungsverbänden: q- und x-Menge
Beschaf-fungsmarktoder inte-griertes Herstel-lungsunter-nehmen
Versorgungs-verband
Marktbeziehung
als Regelverhältnis
Gestaltung nach
Kriterien derKollektivgütertheorie
Mitgliedschafts-
beziehung
Beschaffung/Herstellung der q-Menge
Bereitstellung von x-Mengen;i
Σ x = nxi
X1X2
X3
Xn
Gestaltung nach
Kaufen-oder- Selbermachen-Kriterien
Ver-bands-mit-glieder
LEGENDE:
q-Menge = Leistungen, die der Verband beschaffen/herstellen muß, um seiner Rolle als Versorgungsgarant gerecht werden zu können.
x-Menge = Versorgungsgarantie, die der Verband einem individuellen Mitglied gegenüber abgibt.
x-Menge = Durchschnitt der x -Mengen
Bei einem Rivalitätsgrad < 1 gilt, daß q < nx(Subadditivität).
i
i
der n Verbandsmitglieder =
ρ
x Σ in1
122
An sich wäre es nun denkbar, dass man für jede Art von Kollektivgut einen Spezialverband mit
Spezialrechten konstruiert. Dies wäre jedoch institutionenökonomisch sehr aufwendig.
Deshalb hat man in allen Volkswirtschaften bestimmte Verbandstypen geschaffen, die sich durch ganz
bestimmte Rechtsbündel – die Verbandkompetenz – auszeichnen. Die ökonomischen Eigenarten
dieses Verbandsorganisationsrechts kann man mit Hilfe einer Variablen beschreiben, die
Extensionniveau heißt.
Das Extensionsniveau e ist definiert als eine Ordnungszahl für Typen von Versorgungsverbänden.
Geordnet werden diese Verbände danach, welche Exklusionstechniken und damit auch
Organisations- und Finanzierungsmittel ihnen zur Verfügung stehen, worauf sich also die
Wahlmöglichkeiten beim Festlegen von Finanzierungsstrukturen "erstrecken" (extendere).
123
Sagt man, ein Verband habe das Extensionsniveau 2, so bedeutet dies demnach, dass die
Verbandskompetenz in Bezug auf Finanzierungsfragen – die so genannte Finanzierungskompetenz –
den Kompetenzen des Ordnungstyps 2 entspricht, und zwar unabhängig von der rechtlichen
Bezeichnung des Verbandes und denjenigen rechtlichen Fragen, die andere Sachverhalte betreffen.
Die Menge der Werte, die das Extensionsniveau e annehmen kann, bildet nach der eben
besprochenen Definition eine Klassifikationsvariable für Verbandstypen. Diese Variable zeigt dem
Ökonomen,
• welche Möglichkeiten der Zuweisung von Beschaffungs- und Lastverteilungskompetenzen es
gemäß dem geltenden Verbandsorganisationsrecht gibt und
• wie ökonomische Überlegungen zur Zuordnung von Lastverteilungsrechten rechtlich umgesetzt
werden können.
124
Sukzessivkategorienskala des Extensionsniveaus e
e-Wert
Bezeichnung des Verbandes in der Rechtssprache und Beschreibung seiner
Bereitstellungskompetenz 0 1
2
Individualniveau: Die Bereitstellung wird von jedem einzelnen Nachfrager für sich selbst vorgenommen. Der individuelle Nachfrager stellt dabei einen "unechten Verband" dar und ist Träger der Eigentumsrechte an dem erworbenen Gut. Er kann deshalb alle anderen Wirtschaftssubjekte von der Nutzung ausschließen. Als Quasi-Finanzierungsinstrumente stehen einem Individuum Schattenpreise in der Höhe der Opportunitätskosten zur Verfügung, die es in seiner Rolle als Verbandsführung von sich selbst in seiner Zweitrolle als Vereinsmitglied erhebt. Vereins- bzw. Genossenschaftsniveau: Die Bereitstellung erfolgt durch einen (privaten) Verein, der Träger der Eigentumsrechte an dem erworbenen Gut ist und Nichtmitglieder mit Hilfe von privatrechtlichen Mitteln von der Nutzung des Gutes ausschließen kann. Als Finanzierungsinstrumente stehen dem Verein freiwillige Gebühren und Beiträge zur Verfügung. Ersetzt ein Verein den Einkauf von Vorleistungen durch Formen des Selbermachens, liegt ein „Verein mit Unternehmen“ und damit eine Genossenschaft vor. Zwangsvereins- bzw. Zwangsgenossenschaftsniveau: Die Bereitstellung erfolgt durch eine öffentliche Körperschaft "unterhalb" des Niveaus der Gebietskörperschaften, die Realkörperschaft (also Liegenschaftskörperschaft wie eine Jagdgenossenschaft oder ein Wasserverband oder Betriebskörperschaft wie eine IHK) sein kann oder auch eine Personalkörperschaft wie etwa eine Handwerks- oder eine Ärztekammer. Diese Körperschaft ist Träger der Eigentumsrechte und verlangt von den Zwangsmitgliedern Zwangsabgaben. Das ist gleichbedeutend mit einem "Zutrittsverbot" für diejenigen, welche diese Abgaben nicht zahlen wollen, und bedeutet, dass der Verband Nichtmitglieder mit Hilfe des öffentlichen Rechts von der (dauerhaften) Nutzung seines Gutes (seiner "Infrastruktur") ausschließen kann. Die Zwangsabgaben sind Entgelte in der Form von Zwangsgebühren und Zwangsbeiträgen. Daneben stehen die Finanzierungsinstrumente von Vereinen zur Verfügung. Ersetzt ein Zwangsverein den Einkauf von Vorleistungen durch Formen des Selbermachens, liegt eine Zwangsgenossenschaft vor.
125
Sukzessivkategorienskala des Extensionsniveaus e
e-Wert Bezeichnung des Verbandes in der Rechtssprache und Beschreibung seiner Bereitstellungskompetenz
3
e>3
Kommunalniveau: Die Bereitstellung erfolgt durch eine Gebietskörperschaft im kommunalen Raum (also z.B. eine kreisfreie Stadt) oder eine Verbandskörperschaft im kommunalen Raum wie z.B. einen kommunalen Zweckverband. Diese Körperschaft ist Träger der Eigentumsrechte. Analog zur Zwangsgenossenschaft kann eine Kommune Zwangsabgaben erheben und zahlungsunwillige Nichtmitglieder per Ansiedlungsverbot von einer (dauerhaften) Infrastrukturnutzung ausschließen. Über die Finanzierungsinstrumente von Zwangsgenossenschaften hinaus gehört die Möglichkeit des Erhebens von Kommunalsteuern zur Bereitstellungskompetenz.
Landes- (4), Bundes- (5), Staatengemeinschafts- (6) oder Weltniveau (7): Die Bereitstellung erfolgt durch eine Körperschaft höherer Ordnung. Diese ist Träger der Eigentumsrechte und kann diejenigen, die keine Zwangsabgaben zahlen wollen, analog zur Gemeinde mit einem Ansiedlungsverbot belegen und sie auf diese Weise von einer (dauerhaften) Infrastrukturnutzung ausschließen. Die Finanzierungskompetenz ist im Vergleich zu Kommunen um zusätzliche Steuerarten erweitert, und der räumliche Einzugsbereich hat i.d.R. einen größeren Umfang.
126
Nach der Vorstellung der verschiedenen Verbandstypen wollen wir uns nun fragen, was „vermehrt“
wird, wenn man von einem niedrigeren zu einem höheren Extensionsniveau aufsteigt. Die Antwort auf
diese Frage lautet:
• Geht man von einem niedrigeren zu einem höheren e-Wert über, verändern sich zwei Größen:
o die Mächtigkeit der Finanzierungsmöglichkeiten des Verbandes, d.h. seine
Finanzierungskompetenz, und
o der Verdünnungsgrad von Eigentumsrechten der Verbandsmitglieder.
Zunächst zur Mächtigkeit der Finanzierungsmöglichkeiten bei verschiedenen Extensionsniveaus, also
zur Finanzierungskompetenz eines Verbandes.
• Diese Maßzahl gibt eine Antwort auf die Frage, über welche Alternativen zur Finanzierung eines
Gutes ein Verband verfügt. Solche Alternativen wären z.B. die Finanzierung über freiwillige oder
Zwangsbeiträge oder über Steuern.
127
• In Bezug auf die Mächtigkeit der Finanzierungsmöglichkeiten kann man sagen, dass ein höheres
Extensionsniveau ex definitione mit einem Mehr an Finanzierungsmöglichkeiten verbunden ist als
ein niedrigeres.
Aus den vorstehenden Definitionen folgt, dass Verbänden mit einem höheren Extensionsniveau mehr
Finanzierungsmöglichkeiten offenstehen als Verbänden mit einem niedrigeren.
• Vereine können dagegen neben echten Preisen, die in Form von laufenden Nutzungsgebühren
erhoben werden, auch freiwillige Beiträge erheben, die mengenunabhängig sind. Diese Beiträge
sind das mächtigste Finanzierungsmittel von Vereinen.
• Zwangsgenossenschaften steht zusätzlich das Mittel der Zwangsbeiträge offen.
128
• Kommunen können darüber hinaus auch Gemeindesteuern, Länder Ländersteuern erheben usw.
In einem föderalistisch organisierten Staat wie Deutschland verfügen die einzelnen Ebenen dabei
über jeweils spezifische Steuersysteme.
Insgesamt sieht man: Je höher man im Extensionsniveau steigt, desto weiter erstreckt sich das
Spektrum der verfügbaren Finanzierungsmöglichkeiten und desto höher ist der Rang derjenigen
Finanzierungsart, die gerade noch verfügbar ist, d.h. der Rang des mächtigsten Finanzierungsmittels
und damit auch die Finanzierungskompetenz.
Nun zum Verdünnungsgrad von Eigentumsrechten.
• Dieser steigt bei einer Erhöhung des Extensionsniveaus für ein gegebenes Gut aus der Sicht
eines typischen Verbandsmitglieds an, weil dann bei Bereitstellungs- und
Finanzierungsentscheidungen, mehr Menschen mitwirken müssen oder können, deren
Interessen sich von den Interessen des betrachteten Verbandsmitglieds unterscheiden können.
129
• Man kann daher auch sagen, dass ein steigendes Extensionsniveau bei einem gegebenen Gut
und typisierender Betrachtungsweise die Abnahme der Chance eines Verbandsmitglieds anzeigt,
seinen Willen in Bezug auf die Wahrnehmung der Eigentumsrechte durchsetzen zu können.
• Da Willensbildungsprozesse unter diesen Umständen mit steigendem Extensionsniveau
schwieriger werden, kann man außerdem sagen, dass mit steigendem Extensionsniveau auch
die Konsensbildungskosten (Willensbildungskosten) steigen werden.
• Bei dem unechten Verband "(natürliches) Individuum" hat der Verdünnungsgrad der
Eigentumsrechte den Wert Null, denn ein Individuum hat als Träger der Eigentumsrechte kein
weiteres "Mitglied", das bei der Wahrnehmung dieser Rechte mitbestimmen darf. Es entscheidet
im vollen Sinne des Wortes autonom und verfügt über alle Usus-, Usus fructus- und
Abususrechte.
130
• Bei den echten Verbänden (e > 0) haben die Mitglieder dagegen oft nur Ususrechte, und diese
Gebrauchsrechte werden noch dazu über eine Ordnung definiert, die kollektiv beschlossen
werden muss. Alle anderen Eigentumsrechte liegen meist beim Verband.
• Bei den höheren Extensionsniveaus kann man aufgrund von Messproblemen nur noch angeben,
ob sie dem Wert Null qualitativ näher oder ferner stehen, nicht aber wie nahe sie diesem Wert –
quantitativ gesehen – kommen.
• Deshalb heißt die Skala für das Extensionsniveau auch "Sukzessivkategorienskala". Sie ist eine
Ordinalskala für aufeinander folgende Kategorien, hier Verbandstypen§.
§ Zur Definition solcher Skalen vgl. H. Grossekettler: Wie valide sind Fortschrittsindikatoren?, in: JbfSozWis, Bd. 29 (1978), S. 223 - 254, hier S. 249.
131
Können wir aus der Unterscheidung verschiedener Extensionsniveaus schon eine Bereitstellungsregel
für die Lokalisation der Bedarfsformulierungskompetenz bei Kollektivgütern ableiten?
Die Antwort lautet:
• Ja, Kollektivgüter sollten stets auf einem Extensionsniveau bereitgestellt werden, das so niedrig
ist, dass die zur Anwendung des Exklusionsprinzips erforderliche Finanzierungskompetenz
gerade noch vorhanden ist.
• Für die Zuordnung der Bedarfsformulierungskompetenz sollte mit anderen Worten also das
Subsidiaritätsprinzip gelten. Hierfür gibt es mehrere Gründe:
(1) Der erste Grund hat etwas mit der Wünschbarkeit von Lernprozessen zu tun: Je niedriger das
Extensionsniveau ist, desto mehr Bereitstellungsverbände gibt es und desto eher ist es möglich,
dass diese Verbände in einem Wettbewerb zueinander stehen und das sie etwas voneinander
lernen können (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren).
132
(2) Wie angeführt, steigen mit steigendem Extensionsniveau auch die Konsensfindungskosten. Auch
deshalb ist es sinnvoll, das Subsidiaritätsprinzip zu befolgen.
(3) Je höher das Extensionsniveau, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei Abstimmungen
über Bereitstellungsfragen auch Bürger mitstimmen dürfen, die zwar vielleicht an den Kosten
beteiligt sind, aus dem Gut aber keinen Nutzen ziehen. Dies würde den Willenbildungsprozess
verfälschen.
(4) Je höher das Extensionsniveau, desto eher wird es dazu kommen, dass es Teilgruppen in einem
Verband gibt, die mit einer gefällten Entscheidung nicht einverstanden sind und sich folglich
frustriert fühlen (→ Auftreten von so genannten Frustrationskosten).
133
Aus den vorstehenden Gründen folgt, dass man die Bedarfsformulierungsrechte zwar faktisch
unterschiedlichen Verbänden zuordnen kann, dass es aber jeweils ein und nur ein legitimes
Extensionsniveau gibt: dasjenige, welches die Realisation des Exklusionsprinzips ermöglicht und
gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip genügt.
Weil es zu jedem Individual- und Kollektivgut ein und nur ein legitimes Extensionsniveau gibt, kann
man das legitime Extensionsniveau auch zur Güterklassifikation benutzen, indem man Kollektivgüter
unterschiedlicher Ordnung unterscheidet (wobei die Ordnungszahl dem e-Wert des zugehören
Verbandes entspricht):
Güter mit einem Extensionsniveau in Höhe von e = O sind Individualgüter (oder unechte
Kollektivgüter), Güter mit e = 1 Vereinsgüter, Güter mit e = 2 Zwangsgenossenschaftsgüter, mit e = 3
Kommunalgüter usw.
134
Klassifikation von Gütern nach ihrem legitimen Extensionsniveau
legitimes Extensionsniveau e Rivalitäts-
grad ρρρρ
Exkludierbarkeits-grad εεεε
Güterart
0 Individuen 1 1 Individualgut
1 Vereine und Genossenschaften 0 1 Vereinsgut
2 Zwangsvereine und Zwangsgenossenschaften 0 0 Zwangsvereinsgut
3 Gemeinden 0 0 Kommunalgut
4 Bundesländer 0 0 Landesgut
5 Bund 0 0 Bundesgut
6 supranationale Organisationen 0 0
7 Weltstaat 0 0 supranationales bzw.
weltweites Kollektivgut
Sowohl der Rivalitätsgrad als auch der Exkludierbarkeitsgrad können Zwischenwerte im Bereich zwischen 0 und 1 annehmen.
Beispiel eines Zwischenwerts beim Exkludierbarkeitsgrad: externe Effekte. Beispiel eines Zwischenwerts beim Rivalitätsgrad: Überfüllungserscheinungen.
135
Wenn es Gründe dafür gibt, dass (Zwangs-)Vereine – wie beim Vorliegen natürlicher Monopole auf
Zuliefermärkten – vom Kaufen zum Selbermachen übergehen (d. h. Produktionsunternehmen
integrieren), entstehen Genossenschaftsformen: (Privatrechts-)Genossenschaft bzw.
Zwangsgenossenschaft.
• Individualgüter sind zum einen alle Verbrauchsgüter und zum anderen jene Gebrauchsgüter,
die man nicht mit anderen teilen möchte und bei deren Bereitstellung sich durch
Gruppenbildung keine Ersparnisse erzielen lassen.
• Vereins- oder Klubkollektivgüter sind dagegen alle jene Güter, bei denen Gruppenvorteile zu
fühlbaren Kostenersparnissen bei den einzelnen Mitgliedern führen und bei denen gleichzeitig
eine privatrechtliche Exklusion und damit eine Finanzierung über freiwillige Gebühren und
Beiträge möglich ist.
136
• Zwangsvereinsgüter teilen mit Klubkollektivgütern die Gruppenersparnisse, die sich bei dem
jeweiligen Gut erzielen lassen. Sie benötigen aber einen Beitritts- und Beitragszwang zur
Realisierung des Exklusionsprinzips und müssen somit auch über Zwangsbeiträge finanziert
werden.
• Kommunalgüter gleichen Zwangsvereinsgütern, zeichnen sich aber dadurch aus, dass sich
über eine Zusammenlegung von Verwaltungen mehrerer dieser Güter mit einem jeweils nahezu
identischen Nutzerkreis Verwaltungsverbund- und Kontrollvorteile erzielen lassen (Beispiel:
Zusammenfassung aller kommunalen Straßeninfrastrukturgüter und Zuschnitt dieses Netzes
auf den Flächennutzungsplan; Planung und Kontrolle über den Stadt- bzw. Gemeinderat).
Da Kommunen für ihr Gebiet über die Alllzuständigkeit verfügen, müssen ihn für unerwartete
neue Aufgaben (anders als für bereits bekannte) als Zwangsfinanzierungsmittel außerdem
(noch) ungebundene Kommunalsteuern zur Verfügung stehen. An sich benötigen Kommunen
auch nur Zwangsbeiträge. Für die Erstfinanzierung von neuen Aufgaben sind allerdings Steuern
erforderlich.
137
• Landesgüter und Bundesgüter weisen analoge Eigenschaften wie Kommunalgüter auf,
unterscheiden sich von diesen aber dadurch, dass sich die Verwaltungsverbund- und
Kontrollvorteile landes- bzw. bundesweit ergeben und die einschlägigen Steuern landes- bzw.
bundesweit erhoben werden müssen.
Die erste Regel, die wir für die Bereitstellung von Kollektivgütern und hier speziell für die
Zuordnung des Bedarfsformulierungsrechts aufstellen können, lautete somit:
• Wende das Subsidiaritätsprinzip an und suche für jedes Gut dasjenige Extensionsniveau, bei
dem die Finanzierungskompetenz einerseits hinreichend zur Realisierung des richtigen Tarifs
und die Verwässerung der Eigentumsrechte andererseits minimal ist. Dieses Extensionsniveau
kann als legitim betrachtet werden.
Nun wollen wir eine zweite Bereitstellungsregel kennen lernen. Sie lautet: Beachte das
Kongruenzprinzip .
138
Das Kongruenzprinzip
Das Kongruenzprinzip zielt darauf ab, die Versorgung mit einem Gut so zu gestalten, dass
Entscheidungsbefugnis, Nutzen und Kosten in einer Weise zusammen fallen, die der Situation bei
den meisten Individualgütern möglichst nahe kommt: Wer Brot kauft, fällt selbst die Entscheidung
dafür (Selbstverwaltung), hat den Nutzen davon (Selbsthilfe i. S. einer Förderung der eigenen
Wohlfahrt) und muss die Kosten tragen (Selbstverantwortung). Im Sinne dieser Zielsetzung verlangt
das Kongruenzprinzip zweierlei:
Der Kreis der Nutzenempfänger soll sich mit dem Kreis der Kostenträger decken, d.h.
• niemand soll Nutzen empfangen, ohne an den Kosten beteiligt zu sein (d.h. Exklusion von
Zahlungsunwilligen), und
139
• niemand soll Kosten tragen müssen, ohne am Nutzen zu partizipieren (d.h. Vermeidung
externer Kosten).
Diese Forderung nach ausschließlicher Selbsthilfe und vollständiger Selbstverantwortung nennt
man Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (benefit principle).
∗ Der Kreis derjenigen, die Versorgungsentscheidungen unterworfen sind, soll das Recht haben,
über Wahlen direkt diejenigen kontrollieren zu können, die Versorgungsentscheidungen fällen,
und zwar so,
o dass die Entscheider für den Nutzen und die Kosten verantwortlich gemacht (und so zu
einer wohlabgewogenen Entscheidung gedrängt) werden,
o dass also nicht bei einer Wahl 1 nur der Nutzen eine Rolle spielt und bei einer Wahl 2 nur
die Kosten relevant sind.
Diese Forderung nach Selbstverwaltung heißt Prinzip der ungeteilten demokratischen Nutzen-
Kosten-Verantwortung.
140
Beispiele zum Kongruenzprinzip
1. Kongruenzbeispiel: Ein Land baut (Land-) Straßen, die (nahezu) ausschließlich von
Landesbewohnern genutzt werden (� Landesbewohner haben den Nutzen, tragen die Kosten
und kontrollieren die Beschaffungs- und Lastverteilungsentscheidung über Landtagswahlen).
2. Inkongruenzbeispiel (1): Bund verpflichtet Kommunen zur Bereitstellung von
Kindergartenplätze [� Nutzenträger: Familien mit Kindergartenkinder, Kostenträger: Bürger
der jeweiligen Kommunen; Kontrolle über zwei Arten von Wahlen, die nicht zu Kosten-Nutzen-
Abwägungen führen, nämlich Bundestagswahlen einerseits (Kontrolle der Entscheidung zur
Nutzenbereitstellung) und Kommunalwahlen andererseits (Kontrolle der Entscheidung zur
Kostenhöhe und -umlage)].
Fazit: Sowohl das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz als auch das der ungeteilten
demokratischen Nutzen-Kosten-Verantwortung sind verletzt.
141
3. Inkongruenzbeispiel (2): Finanzierung des Individualguts „Arzneimittel“ [�Nutzenempfänger =
Patient; Kostenträger = Krankenkasse; Versorgungsentscheider = Arzt, der von den Patienten
gar nicht und von der Krankenkasse nur unvollkommen kontrolliert wird].
Fazit: Verletzung des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz und Verletzung des
Selbstverwaltungsprinzips der ungeteilten demokratischen Nutzen-Kosten-Kontrolle.
Die dritte Bereitstellungsregel ist eine Lastverteilungsregel , die nur bei echten Verbänden eine
Rolle spielt. Sie beschreibt, wie Gebühren, Beiträge, Zwangsbeiträge und Steuern eingesetzt werden
sollten.
Zunächst zu den Gebühren. Die Juristen benutzen das Wort Gebühren so, dass sie damit den
Gegenwert für Leistungen kennzeichnen, die einem einzelnen Nutzer – wie etwa ein
Museumsbesuch – zugerechnet werden können und im Beispiel dann zu einer Eintrittsgebühr
führen.
142
Aus ökonomischer Sicht kommt es jedoch nicht auf diese Zurechnung an, sondern auf den
Faktorverzehr oder sonstige Formen von Grenzkosten, die mit einem Nutzungsakt kausal verknüpft
sind. Ein Beispiel für eine Faktorverzehrsgebühr wäre eine Gebühr dafür, dass man aus einem
Stromnetz eine bestimmte Menge Strom entnimmt.
Solch eine Entnahme lässt sich messen; schaltet man einen Elektroherd etwa für eine Stunde ein,
so stellt der zusätzliche Stromverbrauch Grenzkosten in einem ganz normalen Sinne dar. Solche
Grenzkosten sollen mit Hilfe einer Faktorverzehrsgebühr abgegolten werden.
Bei überfüllbaren Kollektivgütern gibt es aber noch eine andere Form von Grenzkosten: die
sogenannten Überfüllungskosten (congestion costs).
Hiermit sind Qualitätseinbussen bei der Nutzung von Anlagen oder Netzen gemeint, die auftreten,
wenn die Nutzung eines Straßen- oder Telefonnetzes oder einer Tennisanlage zu bestimmten Zeiten
so stark nachgefragt wird, dass der an sich versprochene Qualitätsstandard (also eine bestimmt
143
Durchschnittsgeschwindigkeit, eine bestimmte Verbindungswahrscheinlichkeit oder eine Höchst-
Wartedauer) nicht eingehalten werden kann.
Sind die Qualitätseinbussen erheblich, empfiehlt es sich, den Mitgliedern einschlägiger Verbände
eine Rationierungsbebühr vorzuschlagen, welche die Aufgabe hat, diejenigen Mitglieder, die ihre
Nutzung zeitlich verschieben könne, auf eine Nutzungszeit zu verdrängen, in der keine Überfüllung
eintritt.
Rentner können auf diese Art und Weise z.B. dazu angehalten werden, nicht ausgerechnet in der
Rush-hour zum Einkauf in die Stadt zu fahren, nicht an Geschäftszeiten gebundene
Telefongespräche werden in die Abendstunden verlegt, und Hausfrauen nutzen eine Tennisanlage
dann vielleicht lieber morgens und nicht gerade dann, wenn auch die Berufstätigen spielen wollen.
Es wäre aber falsch, in Zeiten einer Nichtüberfüllung (z.B. bei einer n ächtlichen
Autobahnnutzung) eine Gebühr zu erheben: Dann würde n Nutzer abgedrängt, obwohl ihrem
Grenznutzen keine Grenzkosten gegenüberstünden. (aktuelle Autobahnm aut !!!)
144
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich eine Lastverteilungsrege als 3. Bereitstellungsregel,
welche dem Ökonomen sagt, unter welchen Umständen er die Finanzierungsinstrumente
„Gebühren“, „Beiträge“ und „Steuern“ anwenden sollte:
Im Rahmen der Finanzierung von Kollektivgütern bzw. Öffentlichen Gütern
� sollten Gebühren genutzt werden, um Grenzkosten in Form von Faktorverzehrs- bzw.
Rationierungskosten abzudecken, während
� Beiträge einer Umlagefinanzierung der Restkosten dienen sollten. Beiträge sind somit
Optionspreise, welche das Recht verschaffen, ein Kollektivgut zu Grenznutzungskosten-
Gebühren nutzen zu dürfen.
145
� Steuern sollten für reine Kollektivgüter bzw. öffentliche Güter verwendet werden, d.h. solche bei
denen Nichtrivalität im Konsum vorliegt und ein Preisausschluss nicht angewendet werden kann.
Wir haben bisher drei Regeln für die Kollektivgüterbereitstellung kennen gelernt:
• die Regel, dass das Bedarfsformulierungsrecht einem Verband zugeteilt werden sollte, der über
eine Finanzierungskompetenz verfügt, welche die Realisation des Exklusionsprinzips
ermöglicht, die gleichzeitig aber auch dem Subsidiaritätsprinzip genügt (Regel 1 ), und
• der dem Kongruenzprinzip genügt (Regel 2 ), sowie
• eine Lastverteilungsregel für die Verwendung von Gebühren, Beiträgen, Zwangsbeiträgen und
Steuern (Regel 3 ).
Jetzt fehlt noch eine Regel 4 dafür, wie die ordnungsökonomisch sinnvolle Bedarfsformulierung und
Lastverteilung über einen verbandsinternen Willensbildungsprozess herbeigeführt werden kann.
146
Diese Willensbildungsregel verweist auf die Einstimmigkeits- bzw. die Repräsentationsmethode zur
Organisation von Willensbildungsprozessen.
Die folgenden Willensbildungsregeln setzen voraus,
• dass das Bedarfsformulierungsrecht von einem Verband wahrgenommen wird, der gerade noch
über diejenige Finanzierungskompetenz verfügt, die zur Realisation des Exklusionsprinzips mit
privat- oder öffentlich-rechtlichen Mitteln erforderlich ist (Subsidiaritätsprinzip), und
• dessen Mitgliederzusammensetzung und Kontrollrechte dem Kongruenzprinzip genügen,
• dass eine Lastverteilung angestrebt wird, welche zu einer ordnungsökonomisch richtigen
Verwendung von Gebühren, Beiträgen, Zwangsbeiträgen und Steuern führt, und
• dass zur Umsetzung der ordnungsökonomisch richtigen Lastverteilung von der Einstimmigkeits-
oder Repräsentationsmethode Gebrauch gemacht werden soll.
147
Unter diesen Voraussetzungen ist es sinnvoll, die Entscheidung über die Bedarfskonkretisierung
(und damit auch über die Höhe der Finanzierungslast) mit der Entscheidung über die Lastverteilung
zu koppeln und die folgenden Willensbildungsregeln zu befolgen:
• Die Verbandsführung bereitet alle Bereitstellungsvorschläge so vor, dass die Gesamtkosten
eines Vorschlags und die Kostenumlage über Gebühren, Beiträge und Zwangsbeiträge so
ausgewiesen werden, dass jedes Mitglied weiß, welche Arten von Entgeltzahlungen anfallen
und was auf es persönlich zukommen würde, wenn es oder sein Repräsentant einem
Vorschlag zustimmte.
• Verlangt man zusätzlich, dass Bereitstellungsentscheidungen von den Mitgliedern bzw.
Repräsentanten einstimmig gefällt werden (d.h. dass jeder Stimmberechtigte ein Veto hat) und
stimmt man der Reihe nach über alternative Bereitstellungsmaßnahmen mit wachsenden
Kosten pro Mitglied ab, stellt sich eine Bereitstellungsentscheidung aus der
Mitgliederperspektive wie eine Einkaufsentscheidung über ein Individualgut dar:
Entweder man stimmt einer Maßnahme zu und gesteht damit gleichzeitig ein, dass der
individuell erwartete Nutzen wenigstens den individuell anfallenden Kosten entspricht, oder man
lehnt ab und muss damit auch auf den Nettonutzenzuwachs verzichten. Letzteres ist aus der
148
Sicht eines fairen Mitglieds/Repräsentanten nur sinnvoll, wenn der Zuwachs negativ ist.
• Einstimmigkeitsentscheidungen sind kostspielig und anfällig gegen Erpressungstaktiken von
Mitgliedern/Repräsentanten, die versuchen, sich ihre Zustimmung abkaufen zu lassen, obwohl
der Nettonutzen auch ohne einen Stimmenkaufbetrag bereits positiv wäre.
• Deshalb sollen sie nur in eingeschränkter Form (Forderung einer qualifizierten Mehrheit) und
nur in besonders wichtigen Fällen angewandt werden.
• Normalerweise sollte man nach einem direkt-demokratischen (Vereine) oder über
Repräsentanten (Abgeordnete) vermittelten (Zwangsvereine, Gebietskörperschaften)
Mehrheitsverfahren mit einem Ja-Nein-Modus abstimmen und akzeptieren, dass dies i.d.R. zur
Folge hat, dass sich in einem Verband die Nutzenvorstellung de s Medianwählers
durchsetzt .
→ Medianwählertheorem (Brümmerhoff S. 112-114)
Das Gleichgewicht bei der Mehrheitswahl wird von den Präferenzen des
Medianwählers bestimmt.
149
Es ist unmittelbar ersichtlich, dass die Bedarfsformulierungs-, Lastverteilungs- und
Willensbildungsregeln in der Realität vielfach nicht eingehalten werden.
Gleichwohl haben sie auch unter den heutigen politischen Rahmenbedingungen ihre Bedeutung:
• Sie können eine Maßstabsfunktion übernehmen, denn je ähnlicher eine tatsächliche Form der
Bereitstellung der regelgerechten ist, desto geringer sind die Zusatzlasten aus
Bereitstellungsfehlentscheidungen; und
• sie können eine Vorbildfunktion übernehmen, die darauf hinwirkt, die tatsächlichen
Bereitstellungsformen den regelgerechten möglichst ähnlich werden zu lassen. Man kann z.B.
dafür sorgen, dass die zukünftige Verkehrsinfrastruktur verstärkt über Beiträge und Gebühren
finanziert wird oder dass Steuern in einem Bundesstaat länderweise festgelegt werden können
und damit Globalbeiträgen für die Länderinfrastruktur gleichen.
150
Unterschiede zwischen Norm und Realität
Wie bereits angemerkt, wird eine für den Allokationsbereich sehr zweckmäßige
Äquivalenzfinanzierung in der Realität normalerweise nicht angewandt. Diese und sonstige
Unterschiede zwischen Norm und Realität sollen nun stichwortartig herausgearbeitet werden. Ich
dabei nach den einzelnen Regeln vor.
(1) Subsidiaritätsprinzip
Viele Vereinsgüter werden von Kommunen bereitgestellt.
• Beispiele: Schwimmbäder, Museen, Theater
• Verbundvorteile? -> Einsparung der Erhebungs- und Entrichtungskosten für getrennte Beiträge
und getrennte Kontrollen durch die Bürger/Einsparung von Transaktionskosten für
Ausgleichszahlungen für positive externe Effekte (Jugenderziehung/Weitergabe von
Traditionsgut/Förderung der Avantgarde).
• Teilweise nicht unerhebliche Effekte bedenklicher Art:
151
o Unerwünschte Distributionswirkungen: Verbilligter Theater- und Museumsbesuch kommt
hauptsächlich Besserverdienern zu Gute.
o Theater lösen sich vom Geschmack des Normalpublikums.
o Tourneetheater werden in Deutschland in ihrer Entwicklung erheblich behindert, obwohl
die Aufführungsqualität in der Regel größer als in den Stadttheatern ist.
(2) Kongruenzprinzip
• Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz wird wegen Steuerfinanzierung vielfach nicht
eingehalten.
• Das Prinzip der ungeteilten Nutzen-Kosten-Verantwortung wird wegen
Gemeinschaftsfinanzierungen und Aufteilung von Entscheidungskompetenzen oft ebenfalls
nicht eingehalten.
152
(3) Lastverteilungsprinzip
Das Prinzip der Umlage der Finanzierungslast über ökonomisch ermittelte Gebühren und
Beiträge bzw. Zwangsbeiträge wird
• wegen Steuerfinanzierung oder
• wegen der Anwendung von Beiträgen und Gebühren auf der Basis der juristischen Definitionen
vielfach nicht eingehalten.
(4) Willenbildungsregeln
• Vor allem in Gebietskörperschaften gibt es keine Informationen über die Lasten, welche auf
einen einzelnen Bürger entfallen (bei Steuerfinanzierung wegen Non-Affektation auch nicht
möglich).
153
• Wegen des Kanzlerprinzips, das außer in Hamburg bei Bund und Ländern gültig ist, gibt es
auch keine Wahl der Minister/Senatoren durch das Parlament, d.h. keine unmittelbare
persönliche Verantwortung für eine Nutzen-Kosten-Bilanz.
Zum Schluss des Abschnitts über Bereitstellungsregeln soll nun noch als 5. Regel eine Regel für die
Zuordnung von wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen, Mitteln und Trägern besprochen werden,
die weit über den Bereich von Regeln für die Kollektivgüterbereitstellung hinausgeht.
Diese so genannte ZMT-Regel ist in Teilen auch für die Kollektivgüterbereitstellung relevant und wird
in Chart 13 erläutert.
154
Die Ziel-Mittel-Träger-Regel (ZMT-Regel)
Die ZMT-Regel ist eine Organisationsregel, deren Anwendungsbereich über den Bereich der
Bereitstellung von Kollektivgütern hinausreicht. Sie soll Dosierungs-, Kompetenz- und
Loyalitätskonflikte in Fällen vermeiden, in denen mehrere, nicht völlig harmonische Ziele realisiert
werden sollen, in denen also z.B. Bereitstellungsaufgaben für mehrere Arten von Kollektivgütern
verteilt werden sollen. Die Regel verlangt,
� dass jedem Ziel wenigstens ein nicht auch zur Realisation konfligierender Ziele eingesetztes
Mittel zugeordnet wird, denn anderenfalls können Dosierungskonflikte entstehen (ein bestimmter
Zinssatz kann z.B. dem Vollbeschäftigungsziel dienen, gleichzeitig aber das Erreichen des
außenwirtschaftlichen Gleichgewichts verhindern, weil hierzu ein anderer Zinssatz erforderlich
gewesen wäre);
� dass jeder Ziel-Mittel-Kombination ein und nur ein Träger zugeordnet wird, denn anderenfalls
könnten Kompetenzkonflikte entstehen (sind zwei Träger gemeinsam für ein Ziel verantwortlich,
schieben sie sich oft gegenseitig die Verantwortung für Fehler zu; ist der Einsatz ein und
desselben Mittels auf verschiedene Träger verteilt, kann es zu Abstimmungsproblemen und
Trittbrettfahrerhaltungen kommen);
155
� dass ein und demselben Träger nur solche Ziel-Mittel-Kombinationen übertragen werden, die
miteinander kompatibel sind, d.h. die bei der Führung des Trägers keine Loyalitätskonflikte zur
Folge haben; solche Konflikte oder eine Widerspruchsunterdrückung würden z.B. auftreten, wenn
man den Umweltschutz einer Abteilung im Verkehrsministerium übertrüge, statt ihm über ein
eigenes Ministerium eine Stimme im Kabinett zu verleihen;
156
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen) 2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer
Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
157
2.2 REGELN FÜR DIE HERSTELLUNG VON GÜTERN
(SELBERMACHEN ODER KAUFEN)
Bisher haben wir uns mit den Fragen beschäftigt, die bei der Bereitstellung von Gütern durch einen
Verband anfallen. In Chart 9 sind diese Fragen als Beziehungen zwischen dem Versorgungsverband
und seinen Mitgliedern gekennzeichnet. Sie sollten nach den Kriterien der Kollektivgütertheorie
gestaltet werden.
• Nun wenden wir uns den Problemen zu, vor denen ein Versorgungsverband steht, wenn er die
Frage entscheiden soll, ob er ein Kollektivgut oder Teile davon auf einem Markt kaufen oder ob
er es selber in dem Sinn herstellen soll, dass er Anlagen errichtet und/oder betreibt.
Speziell mit Blick auf den Staat stellen wir somit die Frage, welche Kriterien dafür sprechen könnten,
dass der Staat – verstanden als Summe aller Zwangsverbände – nicht nur als Versorgungsverband
auftritt und einschlägige Leistungen einkauft, sondern dass er die Rolle eines Herstellers oder
Betreibers übernimmt und damit Tätigkeiten verrichtet, die im Prinzip ein privater Unternehmer
gegen Entgelt verrichten könnte (sogenanntes Popitz-Kriterium). Wir befinden uns nunmehr also auf
der linken Seite von Chart 9.
158
Zur Erläuterung der Antwort beginne ich mit einem Beispiel, in dem es sich im Zuge einer
Privatisierung als zweckmäßig erwiesen hat, dass Tätigkeiten aus einer Verwaltung ausgegliedert
und auf private Unternehmen verlagert worden sind.
Es handelt sich um das so genannte „Busmodell Itzehoe“ (vgl. FAZ Nr. 28 vom 03.02.1987, S. 14):
• In Itzehoe wird der Busnahverkehr (ein Klubkollektiv) seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr von
einem Gemeindeunternehmen – den Stadtwerken – betrieben (= erstellt), sondern von
demjenigen Privatunternehmer, der den geringsten öffentlichen Zuschuss fordert. Man hat damit
gute Erfahrungen gemacht: Der Kostendeckungsgrad ist deutlich höher als bei öffentlicher
Erstellung oder privater Erstellung mit garantiertem Kostenersatz.
159
Die Bereitstellungsgarantie von Versorgungsverbände n: q- und x-Menge
Beschaf-fungsmarktoder inte-griertes Herstel-lungsunter-nehmen
Versorgungs-verband
Marktbeziehung
als Regelverhältnis
Gestaltung nach
Kriterien derKollektivgütertheorie
Mitgliedschafts-
beziehung
Beschaffung/Herstellung der q-Menge
Bereitstellung von x-Mengen;i
Σ x = nxi
X1X2
X3
Xn
Gestaltung nach
Kaufen-oder- Selbermachen-Kriterien
Ver-bands-mit-glieder
LEGENDE:
q-Menge = Leistungen, die der Verband beschaffen/herstellen muß, um seiner Rolle als Versorgungsgarant gerecht werden zu können.
x-Menge = Versorgungsgarantie, die der Verband einem individuellen Mitglied gegenüber abgibt.
x-Menge = Durchschnitt der x -Mengen
Bei einem Rivalitätsgrad < 1 gilt, daß q < nx(Subadditivität).
i
i
der n Verbandsmitglieder =
ρ
x Σ in1
160
Eine Regel für die Zuordnung von Herstellungskompet enzen
Was lässt sich aus diesem Beispiel ableiten? Nun, zunächst einmal folgt, dass Bereitstellen nicht
Herstellen impliziert. Angesichts der Tatsache, dass der Staat nur dann tätig werden sollte, wenn es
ein Marktversagen zu heilen gilt, folgt weiterhin, dass der Staat besondere Gründe vorweisen können
sollte, wenn er unternehmerisch tätig werden will.
• Eine Stadt sollte also z.B. eine besondere Begründung vorlegen können, wenn sie selbst als
Betreiberin eines Stadttheaters auftritt oder als Betreiberin eines Schwimmbades, einer
Wohnungsbaugesellschaft oder von Schulen.
Was sind dies für Gründe? Die Antwort, auf diese Frage, die in der betriebswirtschaftlichen Literatur
als Make-or-buy-Frage bezeichnet wird, lautet:
161
• Aus volkswirtschaftlicher Sicht sollten die Herstellungskompetenzen so zugeordnet werden, dass
die Summe aus drei Arten von Kosten minimiert wird, nämlich den Produktionskosten i.e.S., den
Transaktionskosten und den sogenannten Verfahrenspräferenzkosten.
• Außerdem sollte vermieden werden, dass sich der Staat einem Angebotsmonopol aussetzt; die
Unmöglichkeit jeglicher Art von Wettbewerb ist deshalb ein weiteres Argument für eine
Selbstherstellung.
Transaktionskosten nennen wir all jene Nebenkosten, die der Absicherung einer vertragskonformen
Ausführung von Tätigkeiten dienen und die in einer Welt vollkommener Information entfielen.
Wenn diese Kosten des Aussuchens von Lieferanten, des Aushandelns von Verträgen, der
Überwachung der Qualität der Leistung und der Absicherung gegen Lieferengpässe oder gegen die
Nichtverfügbarkeit von Leistungen nicht höher sind als die Nachteile einer Selbstherstellung, so ist
dem Fremdbezug oder einer Kooperationsform "zwischen" Eigen- und Fremdbezug der Vorzug zu
geben, also der Vertragsproduktion oder dem "Franchising" (Vertragsvertrieb).
162
Hauptnachteil ist meist der Verzicht auf die Realisation von Kostendegressionseffekten.
Würde das Bauamt der Stadt Münster selbst eine Musikhalle planen, dann wäre das eine Aufgabe, die
dieses Amt noch nie übernommen hat und mit der es keinerlei Erfahrungen hat. Spezialisierte
Planungs- und Ingenieurbüros wären dem Bauamt bei diesem Vorhaben um Längen überlegen.
Für die Eigenfertigung sprechen im Zweifel also vor allem die Argumente einer geringen
Kostendegression bei Spezialisten einerseits und hohe Transaktionskosten andererseits.
Über den Transaktionskostenansatz hinaus, kann man beim Staat aber noch ein zweites Argument
zum Selbermachen anführen:
• Die Tatsache, dass es Kosten der Herstellung von Rechtsstaatlichkeit gibt, für die sich in der
Literatur immer mehr der Name Verfahrenspräferenzkosten einbürgert. Von solchen Kosten
sprechen wir immer dann, wenn es Gründe gibt, statt einer unternehmerischen (also
163
erfolgsorientierten) eine verwaltungsmäßige (also regelorientierte) Aufgabenverrichtung zu
bevorzugen.
Sie treten vor allem dort auf, wo der Staat hoheitlichen Zwang einsetzen darf: Die Leistungen der
Polizei sollen den Vorschriften des öffentlichen Rechts entsprechen und die der Bundeswehr oder der
Finanzverwaltung ebenfalls.
Dies fordern wir, obwohl es nicht unwahrscheinlich ist, dass unternehmerisch geführte Ordnungskräfte
bzw. Söldnerarmeen bzw. Steuereintreibungsgesellschaften (Steuerpächter) kostengünstiger Ordnung
bzw. Verteidigung bzw. Steuereinnahmen produzieren könnten, wenn man bei den "Kosten" nicht an
die Gefahren denkt, die mit einem "Staat im Staate" verbunden sein können.
Ähnlich verhält es sich, wenn es um Entscheidungen darüber geht, wie ein Flächennutzungsplan
aufgestellt und wo z.B. gefährliche Anlagen platziert werden sollten, oder wenn entschieden werden
muss, wer ein knappes Transplantat erhält. Die meisten Bürger wollen nicht, dass solche
164
Entscheidungen über das Ausloben von Subventionen an diejenigen erfolgt, welche gefährliche
Anlagen in ihrer Nachbarschaft dulden, bzw. über eine Versteigerung von Transplantaten.
Der Vergleich von Produktions-, Transaktions- und Verfahrenspräferenzkosten liefert die
Hauptargumente zur Beantwortung der Frage, was der Staat selber herstellen soll.
In der öffentlichen Diskussion von Privatisierungsproblemen werden diese Gesichtspunkte aber meist
nicht sauber herausgearbeitet, und auch in der Fachliteratur findet nicht selten eine Vermengung mit
den völlig anders gearteten Problemen der Bereitstellung von Kollektivgütern, oder mit Fragen von
externen Effekten und paternalistischen Überlegungen statt.
Man muss allerdings auch zugestehen, dass es in diesem Zusammenhang noch viele offene Fragen
gibt, vor allem solche, welche die Gestaltung von Verwaltungsstrukturen betreffen.
Hinzu kommt, dass es Fälle gibt, in denen es sich anbietet, Bereit- und Herstellung aufgrund der
Unmöglichkeit von Wettbewerb miteinander zu verknüpfen: z. B. natürlichen Monopole.
165
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.3.1 Natürliche Monopole
2.3.2 Externe Effekte
2.3.3 Meritorische und demeritorische Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
166
2.3 REGELN FÜR DIE BESEITIGUNG VON MARKTVERSAGEN IN FORM NATÜRLICHER MONOPOLE, EXTERNER
EFFEKTE SOWIE MERITORISCHER UND DEMERITORISCHER GÜTER (INFORMATIONSASYMMETRIEN)
2.3.1 Natürliche Monopole
Der Begriff des „natürlichen Monopols“ soll anhand von Chart 14 erläutert werden. Wir sehen hier ein
Kurvenmuster, das typischerweise dann entsteht,
� wenn ein Gut mit einem sehr hohen Fixkostenanteil produziert wird (sinkende Durchschnittskosten)
und
� wenn das Produkt gleichzeitig transportkostenempfindlich und/oder nicht lagerfähig ist oder sonstige
Gründe dazu führen, dass die Nachfrage eines Unternehmens regional beschränkt ist.
167
Charakteristisch für ein natürliches Monopol (jedenfalls i.e.S ) ist nun, dass die eben genannten
Gründe so ausgeprägt sind, dass die regionale Nachfrage von einem einzigen Unternehmen
kostengünstiger als von mehren Unternehmen befriedi gt werden kann , weil das Minimum der
Stückkostenkurve eines optimal dimensionierten Unternehmens im Extremfall außerhalb des
Nachfrageraums liegt (dessen Grenze die Nachfragekurve ist).
Bei einem "normalen" (künstlichen) Monopol liegt die Optimalmenge dagegen innerhalb des
Nachfrageraums; deshalb wäre an sich Platz für mehrere Anbieter.
In Chart 14 ist der klassische Fall eines natürlichen Monopols dargestellt, in dem ein fiktives
Betriebsoptimum sogar größer als die Sättigungsmenge xS wäre.
Hinreichend wäre allerdings schon eine Subadditivität der Kosten , die so ausgeprägt ist, dass ein
zweites Unternehmen bei einem Markt eintritt sehr viel höhere Kosten als das erste in Kauf nehmen
müsste.
168
Das Problem der natürlichen Monopole
P, DK, K’, D, E’
C
DK
K’
D
E’
B
X
A
A’
XSXC XB XA
PC
PB
PA
Xop t
169
Bei problematischen natürlichen Monopolen tritt ein weiteres Charakteristikum hinzu:
Ihre Märkte sind nicht bestreitbar , d.h. sie sind aufgrund von Barrieren gegen potentielle Konkurrenz
geschützt. Bestreitbarkeit hängt sehr stark davon ab, ob die Fixkosten versunkene Kosten sind oder
nicht (Beispiele: Schienennetz versus Lokomotiven).
In einer Situation der Nichtbestreitbarkeit, der man z.B. bei der Übermittlung von Nachrichten (Post),
im schienengebundenen Nah- und Fernverkehr (Bahnen aller Art) und bei den kommunalen
Versorgungsunternehmen (Gas, Wasser. Strom) nahekommt, ist es unmöglich, die Angebotsregel p =
DK = K' zu befolgen, weil ein solcher Punkt nicht existiert.
Damit sind mit natürlichen Monopolen folgende Allokationsprobleme verbunden:
170
(1) Ein privates Unternehmen hätte ohne Missbrauchsaufsicht einen starken Anreiz, XA auszubringen,
dabei aber von jedem Nachfrager Preise in Abhängigkeit von der individuellen Preiselastizität zu
fordern, d.h. eine möglichst vollständige Preisdifferenzierung nach der Menge zu betreiben.
Preisdifferenzierung ist, wenn sie sich ohne hohe Differenzierungskosten durc hführen lässt ,
nämlich diejenige Strategie, mit der ein Monopolist die höchsten Gewinne erzielen kann. Dass
man damit höhere Deckungsbeiträge als mit Cournot-Einheitspreisen erreicht, zeigt Chart 15:
Der Cournot-Einheitspreis ist hier AGOF = , die Cournot-Menge OA . Den Deckungsbeitrag erhält
man als Rechteck OAGF, vermindert um die aufsummierten Grenzkosten und damit die Fläche
unter K' bis zur Cournot-Menge (diese Fläche ist OADC). Die Deckungsbeitragsfläche ist somit
CDGF.
171
Exkurs: Vorzugswürdigkeit von Preisdifferenzierung aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht
H
F
PK
C
0 A B
E
G
D
X
K’
P, K’, D, E’
E’
172
Bei vollständiger Preisdifferenzierung wird die Menge dagegen bis auf AB ausgedehnt. Dadurch
steigen die Einnahmen bis auf OBEH und die aufsummierten Grenzkosten auf OBEC. Der
Deckungsbeitrag nimmt dann aber den Wert CEH an und ist somit um die Summe der Fläche der
Dreiecke DEG und FGH größer als der Deckungsbeitrag beim Cournot-Einheitspreis.
Dass ein Monopolist seine Menge bei Preisdifferenzierung bis auf OB (das in Chart 14 der Menge
xA entspricht) ausdehnt, ist an sich wünschenswert, weil bei dieser Menge die Grenzkosten der
Grenzzahlungsbereitschaft und damit dem Grenznutzen entsprechen. Leider sind mit der
Preisdifferenzierung im Vergleich zum Konkurrenz-Ei nheitspreis p K aber auch
unerwünschte Effekte verbunden:
• Es findet eine massive Einkommensumverteilung zugunsten des Monopolisten statt, die von
negativ den Betroffenen erfahrungsgemäß als zutiefst ungerecht empfunden wird und kaum
korrigierbar ist.
• In der Praxis ist eine vollständige Preisdifferenzierung jedoch faktisch nicht möglich.
173
(2) Ist die Strategie der Preisdifferenzierung nicht möglich oder angesichts der Differenzierungskosten
nicht lohnend, würde ein unreguliertes Privatunternehmen versuchen, seinen Cournotpunkt zu
finden und zu realisieren und in Chart 14 damit die ineffiziente (weil zu kleine) Menge x C
ausbringen und den überhöhten Ausbeutungspreis pC verlangen. In diesem Fall würde die
Produktionskapazität gleichsam verschenken, denn es gibt ja sehr viele Nachfrager, die bereit
wären, einen Preis in Höhe der geringen Grenzkosten zu zahlen, trotzdem aber nicht zum Konsum
zugelassen werden. Dies zeigt, dass die Forderung eines einheitlichen Cournotpreises ebenfalls
nicht wünschenswert sein kann.
(3) Man kann solche Unternehmen nun aber natürlich auch in Gemeineigentum überführen oder
einer besonderen Aufsichtsbehörde unterstellen und verlangen, dass ein gemeinwirtschaftlicher
Preis in Höhe von p B gefordert wird, der gerade die Durchschnittskosten deckt und
Normalverzinsung garantiert. (Durchschnittskostenpr eisregulierung)
In solch einem Fall wird jedoch immer noch eine ineffizient kleine Menge – nämlich xB –
ausgebracht. Außerdem werden Nachfrager vom Konsum ausgeschlossen, die bereit gewesen
174
wären, einen Finanzierungsbeitrag in Höhe der Grenznutzungskosten zu leisten. Die vorhandene
Kapazität wird also zwar besser, aber immer noch nicht optimal ausgelastet.
Außerdem besteht für die Manager ein Anreiz, Stellenvermehrungswünschen der Beschäftigten
und Wünschen nach einer "ruhigen Gangart" gegenüber nachgiebig zu sein und verdienten
Politikern Pfründe zu verschaffen, um damit zu erreichen, dass sie bei ihren Untergebenen und bei
der Aufsichtsbehörde beliebt sind und ein ruhiges Leben führen können. Das ist für sie
ungefährlich, denn da Kostendeckung garantiert wird, können die aus einer solchen Politik
resultierenden Verschiebungen der Durchschnittskostenkurve nach ob en ja durch erlaubte
Preiserhöhungen wieder ausgeglichen werden.
Es deutet manches darauf hin, dass solche Kostensteigerungen schließlich zu Preisen
führen, die über den Cournotpreisen liegen, welche unregulierte private Monopole gefordert
hätten (Bürokratieproblematik).
175
Deshalb sind die natürlichen Monopole heute Gegenstand einer Privatisierungs- und/oder
Deregulierungsdiskussion**.
Eine Variante des Setzens von Durchschnittskostenpreisen besteht für Unternehmen, die über
natürliche Monopole für mehrere Güter verfügen, also z.B. für Stadtwerke, die Gas, Wasser, Strom
und Nahverkehrsleistungen anbieten.
Diese Unternehmen können entscheiden, wie weit sie bei den einzelnen Gütern von den
Grenzkostenpreisen abweichen wollen, und sie können auch eine so genannte
Quersubventionierung betreiben.
** Vgl. hierzu H. Grossekettler, Deregulierung und Privatisierung. Modeströmung, überfällige Korrektur oder ordnungspolitische Daueraufgabe?, Beitrag Nr. 108 der
Volkswirtschaftlichen Diskussionsbeiträge der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster 1988, bzw. WiSt-Aufsatz (s. Literaturverzeichnis).
176
Die nach ihrem Erfinder benannte Ramsey-Preis-Regel empfiehlt für solch einen Fall, die
Aufschläge auf die Grenzkosten umgekehrt proportional zu den Nachfrageelastizitäten zu
gestalten, weil die Abweichungen von den wohlfahrtsoptimalen Mengen dann am geringsten sind.
Anders formuliert läuft das aber auf die Forderung hinaus, das Gut am stärksten zu überteuern,
das von den Nachfragern als das notwendigste empfunden wird und bei dem sie deshalb
notgedrungen auch hohe Preise akzeptieren, ohne ihre Nachfragemenge stark zu verringern.
Dies verdeutlicht die Fragwürdigkeit einer solchen Preisdifferenzierungsregel, zumal das Problem
der Nachlässigkeit in Bezug auf die Kosten auch bei einer solchen Art von Quersubventionierung
in einem nicht unerheblichen Ausmaß bestehen bleibt.
177
(5) Schließlich kann man auch einen Preis in Höhe von p A fordern . Dieser Preis ist ein Preis in Höhe
der Grenzkosten und die damit verbundene Menge xA ist deshalb effizient
(Grenzkostenpreisregulierung ).
Die Grenzkosten liegen aber unterhalb der Durchschnittskosten, so dass das Unternehmen bei
Grenzkostenpreisen einen Verlust in Höhe der Fixkosten erwirtschaftet.
Man könnte dann entweder über einen gespaltenen Tarif vom "Klub der Nachfrager" (z.B. nach
Gas) einen Optionspreis zur Deckung der Fixkosten verlangen, oder man könnte die fehlende
Fixkostendeckung auch über Subventionen erreichen , die aus allgemeinen Steuermitteln
stammen.
Das würde aber bedeuten, dass Nichtbegünstigte den Konsum von Begünstigten finanzieren
müssen und dass es zu völlig undurchsichtigen Umverteilungseffekten kommt und ein Verstoß
gegen das Kongruenzprinzip vorliegt.
178
Außerdem würde die Subventionsabhängigkeit der Anbieter dazu führen, dass diese nicht auf die
Fixkosten achten (die werden ja ersetzt), sondern vorrangig auf gute Beziehungen zu den
Behörden, die für die Aufsicht und die Subventionszahlung zuständig sind. Solche Verfilzungen
haben sich bisher stets als außerordentlich misslich erwiesen und sind typisch für den
Gesamtbereich regulierter Unternehmen.
Insgesamt wird man aufgrund unserer bisherigen Überlegungen damit sagen können, dass die
optimale Organisationsform bei natürlichen Monopolen darin besteht, einen "Klub der Nachfrager" zu
gründen und diesem die Aufsicht über ein privates Unternehmen zu übertragen, das annähernd
optimale Grenzkosten- und Optionspreise (und damit einen gespaltenen Tarif) erhebt. Eine auf einen
solchen Verein mit Unternehmen zugeschnittene Rechtsform ist die der Genossenschaft .
Beispiele für solche Genossenschaften sind Fernheizungs- und Elektrizitätsgenossenschaften, etc.
179
In manchen Fällen gibt es zu unseren Überlegungen aber auch noch eine radikale Alternative: Wir sind
bisher davon ausgegangen, dass das natürliche Monopol als Unternehmen eine Einheit darstellt, die
nicht zerschlagen werden kann oder soll. In vielen Fällen kann man den Monopolisten aber zwingen,
Konkurrenten auf sein eigenes Netz zu lassen.
Da der Zugang zu diesem Netz eine Vorbedingung für das Entstehen von Wettbewerb auf dem Netz
ist, bezeichnet man es als eine „essential facility“. So achtet die Bundesnetzagentur bei uns z.B.
darauf, dass Netzeigentümer wie die Bahn oder Stromgesellschaften ihre „essential facilities„ gegen
ein angemessenes Entgelt für Konkurrenten öffnet.
Eine noch radikalere Alternative besteht darin zu fragen, ob man den Fixkostenblock nicht
ausgliedern kann. Das wird in manchen Fällen durchaus möglich sein. Bei Eisenbahnen könnte man
z.B. das Schienennetz ausgrenzen.
Es ließe sich als Kollektivgut von Transportgesellschaften begreifen, die Wettbewerb auf der Schiene
betreibt. Sieht man von hoheitsrechtlichen Eingriffen beim Bau zunächst einmal ab, könnte es als
solches in vereins- oder genossenschaftsmäßiger Form organisiert werden.
180
Ähnliches wäre für Gas-, Pipeline- und Elektrizitätsunternehmen denkbar. Für die lokale
Stromversorgung könnte z.B. ein Verein der Endverbraucher gegründet werden, der das lokale
Versorgungsnetz bereitstellt und das Netz entweder auf Zeit ausschreibt (Betreiberlösung) oder es von
einem integrierten Selbstversorgungsunternehmen betreiben lässt (Genossenschaftslösung).
Zum Schluss der Diskussion natürlicher Monopole soll auf zwei Spezialprobleme eingegangen
werden, die oft im Zusammenhang mit solchen Monopolen auftreten, es aber nicht müssen:
sogenannte Mischkalkulationsprobleme und sogenannte Spitzenbelastungsproblem e.
Mischkalkulationsprobleme
Von Mischkalkulationsproblemen spricht man, wenn Unternehmen – seien es nun private oder
öffentliche – eine sogenannte Mischkalkulation betreiben und Stückverluste bei einem Produkt 1 durch
Stückgewinne bei einem Produkt 2 ausgleichen.
181
Beispiele:
Die Post sollte in ihrer früheren Struktur als Bundespost mit Gewinnen aus dem Telefondienst Verluste
aus der Beförderung von Zeitschriften decken;
Stadtwerke der Kommune x sollen mit ihrem Gewinn aus der Elektrizitätsversorgung Verluste bei
Straßenbahnen und Bussen decken.
Besteht kein rechtlich abgesichertes Monopol, lockt der Wettbewerb in solchen Fällen meistens
Neulinge an, die ihr Sortiment auf die gewinnbringenden "Rosinen" beschränken wollen.
Der Staat könnte aber aufgrund eines verfassungsmäßigen Auftrages (z.B. Gewährleistung
einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet) einen bestimmten Einheitspreis („Briefmarke“)
flächendeckend realisieren wollen, d.h. ein Standardbrief wird zum gleichen Preis gleich schnell mit
Gewinn innerhalb von Münster befördert und ggf. mit Verlust nach Greifswald. (Monopol gleich Gewinn
und Verlust intern durch Mischkalkulation aus; Rosinenpicken macht diesen Ausgleich unmöglich).
182
Spitzenbelastungsprobleme
Es gibt Situationen, in denen verschiedene Nachfragergruppen die gleiche Produktionskapazität zu
unterschiedlichen Zeiten verschieden stark nutzen.
Denken Sie an die Nutzung der Vermietungskapazität von Ferienorten in der Vor-, Haupt- und
Nachsaison, an die Nutzung des Telefonnetzes während der Geschäfts- bzw. Nichtgeschäftszeit oder
an die Nutzung der Stromerzeugungskapazität der Elektrizitätswerke während der Tages- bzw.
Nachtzeit.
Die sich hieraus bei der Preisbildung und bei der Kapazitätsplanung ergebenden Probleme sind als
"Spitzenbelastungsprobleme" bekannt.
183
Typisch für solche Fälle ist es, dass die Nachfrage nach einem festen zeitlichen Muster schwankt. Man
findet das häufig bei natürlichen Monopolen, und deshalb wollen wir das Problem auch an dieser Stelle
der Vorlesung behandeln.
Da es aber nicht denknotwendig an natürliche Monopole geknüpft ist und bei guter Teilbarkeit der
Kapazitäten ein interessanter Spezialfall sichtbar wird, gehen wir davon aus, dass die langfristige
Durchschnitts- und Grenzkostenkurve nicht fällt, sondern z.B. horizontal verläuft.
Das bedeutet, dass Konkurrenz trotz Ausschöpfung aller Kostendegressionsvorteile möglich ist, dass δ
folglich den Wert 1 hat und dass man zur Befriedigung der Marktnachfrage eine Vielzahl optimal
dimensionierbaren Betrieben benötigt (Beispiel: Angebot an Fremdenzimmern in Ferienorten).
Wie sollten in solchen Fälle die Preise aus volkswirtschaftlicher Sicht gebildet werden und welche
Kapazität sollte realisiert werden? Führt der Markt zu einer effizienten Lösung oder bedarf es
besonderer Arrangements?
184
Die Tatsache, dass verschiedene Nachfrager die gleiche Kapazität nutzen, zeigt, dass hier ein
Anwendungsfall der Kollektivgütertheorie vorliegt:
Es kann zwar problemlos exkludiert werden und es gilt auch δ = 1, aber die Kapazität für die Vor- bzw.
Nachsaison ist ein Kuppelprodukt der Kapazität der Hauptsaison.
Und damit existieren Gruppenersparnisse bei der Nutzung der gemeinsamen Bedienungskapazität. Es
erheben sich nun die Fragen, wie bepreist werden sollte, wie hoch die richtige Kapazität ist und ob
irgendeine Form von Marktversagen vorliegt, welches durch den Staat korrigiert werden müsste.
185
Preisbildung und Kapazitätsplanung beim Auftreten v on Spitzenbelastungsproblemen
P, D
G
B
X
A
DG
XGXA
PS
DS
DN
SP`S
P`N
PN
d
d
186
Die Lösung ist in Chart 16 für den einfachsten aller denkbaren Fälle dargestellt:
DS ist hier die Spitzen-, DN die Normalnachfragekurve. S ist die langfristige Angebotskurve. Sie soll in
unserem einfachsten Fall – und der Fremdenzimmerfall ist solch ein Beispielfall – horizontal verlaufen,
d.h. S entspricht sowohl den langfristigen Grenzkosten (Kapazitätsgrenzkosten) als auch den
langfristigen Durchschnittskosten.
Erste Frage: Wie verläuft die Gesamtnachfragekurve? Antwort: Da die gleiche Kapazität mehrfach
genutzt wird, muss die Zahlungsbereitschaft aller Nutzer vertikal addiert werden. Das führt zur
Gesamtnachfragekurve DG, die – wie üblich – geknickt ist.
Zweite Frage: Wie groß ist die gesamtwirtschaftlich richtige Kapazität?
187
Antwort:
Angenommen, zunächst sei die Kapazität xA realisiert. Dann kann man von den Normalnachfragern
den Preis p’N verlangen und muss das auch, weil sonst eine Überfüllung einträte.
Von den Spitzennachfragern in der Hauptsaison kann und muss man zusätzlich p’S verlangen. p’S und
p’N zusammen ergeben den Gesamtpreis pro Jahr. Offensichtlich ist dieser höher als der
Durchschnittskostenpreis, der von der Angebotskurve S angezeigt wird.
Es werden also Gewinne gemacht.
Auf einem normalen Markt führt dies zu einem Kapazitätsausbau. Deshalb betrachten wir nun die
größere Menge xG. Hier ist der Normalnachfragepreis pN und der Spitzennachfragepreis pS, beide
addieren sich zum Durchschnittskostenpreis, der von S angezeigt wird. Hier wird also gerade
Kostendeckung erreicht. xG ist mithin die Gleichgewichtsmenge.
188
Gesamtergebnis: Sind die Kapazitäten gut teilbar und herrscht Konkurrenz, sorgt der Markt
automatisch dafür,
� dass in jeder Periode ein Preis in Höhe der Grenzkosten gezahlt wird, der angesichts der hierdurch
abgewendeten Überfüllung optimal ist, und
� dass die Kapazitäten so gewählt werden, dass die Optimalregel Gesamtpreis = Grenzkosten =
Durchschnittskosten erfüllt ist.
Ein Sonderarrangement ist also nicht erforderlich. Dieses müsste nur dann getroffen werden, wenn
das Spitzenbelastungsproblem in Kombination mit dem Problem der natürlichen Monopole aufträte.
Gleichzeitig sehen wir in unserem Beispielfall auch, dass es bei einer solchen zeitlich schwankenden
Nachfrage richtig ist, dass man vom normalerweise erwünschten Einheitspreisprinzip abgeht und
differenzierte Preise fordert:
189
Die Nachfrager in der Spitzenbelastungszeit müssen pS zahlen, während die Nachfrager in der
Normalbelastungszeit mit pN belastet werden. pS und pN addieren sich zum Preis p, der
Normalverzinsung garantiert.
Beim Übergang von einem Einheitspreis zu dieser Preisstruktur besteht für die Nachfrager außerdem
ein Anreiz, von der Spitzen- in die Normalbelastungszeit zu wechseln und damit für eine
gleichmäßigere Kapazitätsauslastung zu sorgen.
(Die in Chart 16 dargestellten Nachfragekurven gelten für Zeitpunkte nach dieser Anpassung des
Nachfragerverhaltens, zeigen mit DS also z.B. die wenig saisonflexible Nachfrage von Urlaubern mit
Schulkindern und mit DN die saisonflexible Nachfrager der Urlauber ohne Schulkinder).
Die Preisdifferenzierung hat hier nicht die Funktion, die Nachfrager auszubeuten, sondern soll für eine
bessere Kapazitätsauslastung sorgen.
190
Sie berücksichtigt außerdem, dass der Aufenthalt in einem Kurort außerhalb der Saison ökonomisch
ein anderes Gut ist als innerhalb der Saison (zeitliche Marktabgrenzung!); dass aber verschiedene
Güter unterschiedliche Preise haben, ist nur normal.
Weiterführende Literatur: M.W. GELLERSEN - S.P. GROSKOPF, Public Utility Pricing, Investment, and Reliability under Uncertainty: A Review, in: Publ.FinQuart, Vol. 8 (1980), S. 447 ff. H.-M. SCHNELLHAAß: Peak-Load-Pricing: Allgemeine Grundsatze, in: WiSt, 7. Jg. (1978), S. 463 - 469.
A.LERCH: Peak-Load-Pricing. Preisbildung bei periodisch schwankender Nachfrage, in: WiSt, 27. Jg. (1998), S. 539 - 541.
191
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.3.1 Natürliche Monopole
2.3.2 Externe Effekte
2.3.3 Meritorische und demeritorische Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
192
2.3.2 Externe Effekte
Begriffskonkretisierung
• Der Begriff „externe Effekte“ ist ihnen in ihrem bisherigen Studium vermutlich schon mehrfach
begegnet, ohne gründlich diskutiert zu werden.
• Definition:
Als externe Effekte bezeichnet man Kosten oder Nutzen ,
die durch die Produktion oder den Konsum von Gütern verursacht werden und
die bei unbeteiligten Wirtschaftssubjekten außerhalb des Marktes anfallen,
ohne dass diese für die entstanden Kosten entschädigt würden bzw.
für die empfangenen Nutzen einen Preis bezahlen müssten.
193
Externe Effekte oder Externalitäten lassen sich also insbesondere durch zwei Merkmale
charakterisieren:
1. Es müssen von einzelwirtschaftlichen Aktivitäten (Konsum oder Produktion) auf den
Märkten Wirkungen auf die Wirtschaftssubjekte außerhalb des Marktes ausgehen (d.h.
auf unbeteiligte Dritte).
2. Diese Wirkungen werden nicht über den Markt entschädigt oder abgegolten (d.h. es
liegt eine Form von Marktversagen vor).
194
Externe Effekte unterschiedlicher Art: Gesamtüberblick 1. Reale (oder auch technologische) externe Effekte des Konsums oder der Produktion
= Auswirkungen des Güter- oder Faktoreinsatzes von A auf den Nutzen oder Gewinn von B, die vom Preissystem nicht erfasst werden (Beispiel: Nutzeneinbuße des B aufgrund von entgeltfreier Umweltverschmutzung des A).
Diese Definition externer Effekte kann als marktwirtschaftlich bezeichnet werden, weil sie auf Korrekturen des Hauptkoordinationsmechanismus von Marktwirtschaften ─ des Preissystems ─ zielt und „extern“ als „außerhalb des Preismechanismus“ auffasst. A und/oder B können Individuen oder Kollektive (Verbände) sein.
2. Monetäre (oder pekuniäre) externe Effekte
= Auswirkungen von Entscheidungen des A auf die Einkommensverteilung zwischen A und B oder B und C, die zwar vom Preissystem erfasst werden und Ausdruck der allgemeinen Interdependenz sind, an denen B und/oder C aber nicht beteiligt waren, obwohl sie betroffen sind (Beispiel: Gewinneinbuße des B aufgrund einer Veränderung der Nachfragestruktur des A).
195
Externe Effekte unterschiedlicher Art: Gesamtüberblick
Hauptunterschiede zwischen den verschiedenen Typen von externen Effekten
TYP VON EXTERNEN EFFEKTEN CHARAKTERISTIKUM INTERNALISIERUNG ERFORDERLICH?
reale externe Effekte Preissystem versagt als Steuerungsinstrument
Ja, wenn Verzerrung schwerwiegend
pekuniäre externe Effekte Handlungen führen zu einer Einkommensumverteilung, die bei einer Einstimmigkeitsregel nicht akzeptiert worden wäre
Normalerweise nicht, weil pe-kuniäre Anreize „das“ Steuerungsmittel von Marktwirtschaften sind; Ausnahme: soziale Überforderung durch raschen Strukturwandel
196
Wenn nichts anderes gesagt wird, verwende ich das W ort "externe Effekte" im Folgenden
immer im Sinne der ersten Definition.
Solche externen Effekte kann man von zwei Standpunkten aus betrachten: von dem eines Senders
(Verursachers) und von dem eines Empfängers (Begünstigte bzw. Benachteiligte).
• Stellt man sich auf den Standpunkt eines Wirtschaftssubjekts, das als Sender (Verursacher)
fungiert, schaut man auf die Entstehung. Dann erscheinen uns externe Effekte als
Kuppelprodukte der Produktion oder des Konsums von Gütern, die aufgrund des Fehlens
von Spezialmärkten preislich nicht entgolten werden, und zwar unabhängig davon, ob diese
Güter Individual- oder Kollektivgüter sind.
197
• Man kann aber auch auf die Seite des Empfängers (Begünstigte bzw. Benachteiligte) schauen.
Dann interessieren uns die Wirkungen und externe Effekte erscheinen uns nun als
Auswirkungen der autonomen Entscheidungen eines Wir tschaftssubjektes B hinsichtlich
der Produktion oder des Konsums der Menge eines Gutes x auf ein Wirtschaftssubjekt A , die
preislich nicht abgegolten werden. Es sind also Entscheidungen, von denen A zwar betroffen ist,
an denen es aber deshalb nicht beteiligt ist, weil Märkte fehlen, welche dafür sorgen, dass B die
Wünsche des A in Form von Preissignalen spürt.
Sowohl auf der Seite der Empfänger als auch auf der Seite der Sender kann man danach
unterscheiden, ob die Entstehung bzw. Wirkung im Konsum- oder im Produktionsbereich liegt. Da eine
Sendung immer einen Sender und einen Empfänger haben muss, sind diese beiden
Unterscheidungen kombinierbar. Tut man dies, entsteht Chart 18, der das Konzept der externen
Effekte anhand einiger Beispiele verdeutlicht, die ich zum großen Teil von Peters übernommen habe††.
†† Vgl. A. Peters: Ökonomische Kriterien für eine Aufgabengestaltung in der Marktwirtschaft. Eine deskriptive und normative Betrachtung für den Allokationsbereich, Frankfurt
u.a.O. 1985, S. 201.
198
Beispiele für reale externe Effekte
Aussendungsbereich Empfangsbereich
Produktion Konsum
1. Produktion
1.1 Externe Nachteile Flussverunreinigung durch Abwässer eines Chemiewerkes
Flussverunreinigung durch Abwässer eines Chemiewerkes
⇓⇓⇓⇓ ⇓⇓⇓⇓ Verringerung der Fangergebnis-
se für ansässiges Fischereigewerbe
Das Baden im Fluss wird für Anwohner unmöglich
1.2 Externe Vorteile (vorhandener) Staudamm eines Elektrizitätswerks
(vorhandener) Staudamm eines Elektrizitätswerks
⇓⇓⇓⇓ ⇓⇓⇓⇓ Ackerland der Bauern wird vor
Überflutung geschützt Schaffung eines Ausflugsziels
für Touristen
199
Aussendungsbereich Empfangsbereich
Produktion Konsum
2. Konsum
2.1 Externe Nachteile Zerstörung von Weideland durch Skifahrer
Qualm der Raucher in einem Restaurant
⇓⇓⇓⇓ ⇓⇓⇓⇓
Verringerung der Erträge aus
Viehwirtschaft für ansässige Bergbauern (falls nicht durch Lifteinnahmen entgolten)
Einschränkung des Genusses für nichtrauchende Gäste
2.2 Externe Vorteile Kurzhalten bestimmter Wildarten durch (Hobby-) Jäger
Blumenbeet eines Gartenbesit- zers
⇓⇓⇓⇓ ⇓⇓⇓⇓ Erhöhung des Ertrages von
Bauern durch Vermeidung von Wildschäden
Augenweide für Spaziergänger
200
Weitere Vorgehensweise
Nachdem wir nun "externe Effekte" definiert und anhand von Beispielen illustriert haben, werden wir im
Folgenden verschiedene Instrumente zur Internalisierung externer Effekte besprechen.
Solche Instrumente sind Mittel, die für eine finanzielle Kompensation der Effekte sorgen und damit
dazu führen, dass diejenigen, die die Entscheidungen fällen, implizit die Interessen aller Betroffenen
berücksichtigen und nicht nur ihre eigenen (Veränderung der Anreizstruktur).
Konsumexternalitäten
Ich komme jetzt zu den einzelnen Gruppen von externen Effekten und beschränke mich dabei auf die
allokationsrelevanten realen Effekte.
201
Eine erste Gruppe dieser Art ergibt sich aus Konsumaktivitäten. Der Konsum von Menschen kann ja
als "Nutzenproduktion" gedeutet werden, und bei dieser Produktion können "Kuppelprodukte" anfallen,
die nicht nur denjenigen, der über den Konsum entscheidet, sondern auch andere in ihrem
Nutzenniveau tangieren und die vom Preissystem nicht berücksichtigt werden.
Ein häufig genanntes Beispiel für eine Konsumentscheidung mit positiven externen Effekten ist eine
Grippeimpfung :
Diese hilft mir, und deshalb frage ich sie trotz der mir dafür angelasteten Kosten nach; gleichzeitig
vermindert sie aber kosten- und entgeltfrei auch die Ansteckungsgefahr für andere, ist aus der Sicht
dieser anderen also ein Kollektivgut.
Weitere Beispiele in diesem Zusammenhang sind die Sanierung eines Stadtkernes durch die
Anwohner oder die Pflege von privaten Baudenkmälern durch ihre privaten Besitzer:
202
Diese Fälle von positiven externen Effekten des Konsums kann man graphisch durch ein
Marktdiagramm erfassen, in dem sich die (geknickte) Gesamtnachfragekurve DG durch die
Vertikaladdition einer echten Marktnachfragekurve (private Nachfrage Dp) und einer
Pseudonachfragekurve (Kollektivgutnachfrage Dö) ergibt Chart 19.
Die anzustrebende Gleichgewichtsmenge ist die zum Punkt G gehörende Menge XG.
Der Marktmechanismus realisiert von sich aus aber A mit Xp und p1, d.h. es wird eine zu geringe
Menge angeboten.
Deshalb lautet der Organisationsvorschlag:
Man stelle eine steuerfinanzierte Subventionszahlung in Höhe von BG zur Wahl und zahle die
Subvention nach Annahme des Vorschlags an diejenigen, die das Gut gegen Entgelt nachfragen oder
– wenn das billiger ist – anbieten.
203
Solch eine Subvention kann als der Preis betrachtet werden, den das Kollektiv der nicht
Entscheidungsberechtigten (d.h. der Empfänger von positiven externen Effekten) an den
Entscheidungsberechtigten zahlt, damit dieser die Wünsche seiner Umwelt bei seinen Entscheidungen
mitberücksichtigt.
Meist ist es billiger, die weniger zahlreichen Anbieter zu subventionieren. Nehmen wir der Einfachheit
halber (und weil es uns in diesem Zusammenhang hier nur um Nachfrageprobleme geht) an, dass auf
der Angebotsseite die Effizienzbedingung p = DK = K' (langfristiges Konkurrenzgleichgewicht) realisiert
sei, so sinkt die Angebotskurve bei einer Subvention pro Stück in Höhe von BG von Sp auf Sö, denn
diese Subvention kann als Verringerung der Durchschnittskosten aufgefasst werden.
Das hat nun wiederum zur Folge, dass der Marktpreis von p1 auf p2 sinkt und dass x von xp auf xG
steigt.
204
Subventionen als Mittel zur Internalisierung positiver externer Effekte des Konsums
P, D, S
G
B
X
A
DG
XGXP
P2
DÖ
P1
a
SP
SÖ
a
DP
s
Index P: Privat bzw. vor Subventionierung
Index Ö: Öffentlich bzw. nach Subventionierung
Index G: Gesamtwirtschaftlich
205
Subvention als Mittel zur Internalisierung positiver externer Effekte des Konsums - Rechenbeispiel
Pigou schlägt zur Korrektur positiver externer Effekte eine Subvention vor.
1. Gegeben sind folgende Gleichungen:
PIndividuelle Nachfrage D : p 10 0,5x,
Öffentliche Nachfrage/Potenzielle Zahlungsbereitschaft
der begünstigten Dritten
= −
Ö
unsubventioniert S
D : p 5 0,5x,
Angebot S : p 7.
= −
=
2. Vertikaladdition:
Für alternative p-Werte werden die p-Werte der Nachfragefunktion addiert. Zur Bestimmung der Funktionsvorschrift der Marktnachfragekurve werden die sich daraus ergebenen Punktkoordinaten anschließend in die allgemeine Geradengleichung eingesetzt. Die aus unterschiedlichen Sättigungsmengen resultierenden „Verlaufsbrüche“ sind zu beachten.
206
Subvention als Mittel zur Internalisierung positiver externer Effekte des Konsums - Rechenbeispiel
p
x
DGesamt
Abschnitt a
ÖD
Abschnitt b
5
10
PD
15
20 10
Sunsubventioniert
Ssubventioniert
Pigou-Subvention
207
Abschnitt a: Sämtliche x-Werte zwischen den beiden Sättigungsmengen (10 x 20≤ ≤ ); in diesem Abschnitt ist lediglich die individuelle Nachfragefunktion PD zu beachten. Sie ist hier mit der Marktnachfragefunktion identisch. Abschnitt b: Sämtliche x-Werte zwischen der Sättigungsmenge der Nachfragefunktion ÖD und der Ordinate (0 x 10≤ ≤ ); hier sind beide individuellen Nachfragefunktionen relevant. Für x = 10 gilt: P
GesamÖ
tp 0 p 5 p 5= ∧ = ⇒ = .
Für x = 0 gilt: PGesamt
Öp 5 p 10 p 15= ∧ = ⇒ = . Durch Einsetzen der beiden Wertepaare (( 10;5) und (0;15)) in die allgemeine Geradengleichung (p = a – bx) ergeben sich die beiden Gleichungen: 5 a 10b
15 a -
10 10b b 1
p 15 x.
= +=
− = ⇒ = −= −
Damit ergibt sich die folgende Funktion:
Gesamt 15 x für alle 0 x 10D : p
10 0,5x für alle 10 x 20.
− ≤ ≤= − ≤ ≤
208
3. Berechnung der wohlfahrtsoptimalen Menge und der Pigou-Subvention:
Bei einem Angebot von Sp 7= ergibt sich die wohlfahrtsoptimale Menge aus: 7 15 x
x 8.
= −=
Eine Menge von x 8= würde nach individueller Kalkulation bei einem Preis von
Pp 10 0,5 8 6= − ⋅ = nachgefragt. Auf diesen Preis müsste das Angebot also heruntersubventioniert werden, wenn auch im Rahmen des individuellen Kalküls die gesamtwirtschaftlich wünschenswerte Menge nachgefragt werden soll. Die Höhe der erforderlichen Subvention beträgt also
S PPigou Subvention p p 7 6 1− = − = − = .
209
Die privaten Käufer zahlen nun entsprechend ihrem in Geld ausgedrückten Grenznutzen den
subventionierten Preis p2, und die ohne spezielles Entgelt profitierende Öffentlichkeit leistet ihren
effizienten Finanzierungsbeitrag über die steuerfinanzierte Subvention BG .
Die eben besprochene Anbietersubventionierung bietet sich wie gesagt immer dann an, wenn die
Anbieter weniger zahlreich sind und die Transaktionskosten der Subventionierung deshalb billiger als
bei einer Nachfragersubventionierung wären.
Das setzt allerdings zusätzlich voraus, dass das betrachtete Gut in allen Verwendungsweisen positive
externe Effekte erzeugt (Beispiel: Grippeschutzimpfung/Verbilligung des Impfstoffes).
Ist das nicht der Fall, müssen die jeweiligen Nachfrager direkt subventioniert werden.
Beispiel: Erhaltung schöner Hausfassaden durch Zuschüsse an die Hausbesitzer, denn die
Anbietersubventionierung würde ja alle Fassadengestaltungsarbeiten treffen, auch solche, bei denen
es keinen "öffentlichen Nutzen" gibt.
210
In solchen Fällen muss man also direkt die Nachfrager subventionieren und verschiebt dadurch –
technisch gesprochen – die private Nachfragekurve in Chart 19, bis sie durch den Punkt G geht.
Wir sehen an diesem Beispiel, dass Subventionen oder ähnlich wirkende Instrumente an und für sich
zum normalen Instrumentarium einer wohlorganisierten Marktwirtschaft gehören (können).
Das gleiche, was eben für den Fall positiver externer Effekte abgeleitet wurde, gilt mutatis mutandis
auch für den Spiegelbildfall dieser Güter, d.h. für den Fall der negativen externen Effekte des
Konsums, von Individualgütern, die mit Kollektivschäden (öffentlichen Übeln) vermischt sind.
Beispiele hierfür sind Hunde, die unsere Straßen verschmutzen und Nachbarn mit ihrem Bellen stören,
das Laub des Nachbarn, das in meinen Garten fällt, oder – sicherlich wichtiger – Kraftfahrzeuge,
welche die Luft verpesten, Straßen versperren und Unfallgefahren erzeugen.
211
Chart 20 zeigt hier die effiziente Lösung: Der Konsum des betrachteten Gutes verursacht von einem
bestimmten Punkt an mit wachsender Menge zunehmende Kollektivschäden.
Diese zeigen sich darin, dass die Geschädigten im Prinzip eine Prämie (also einen negativen Preis)
erhalten müssten:
Die Nachfragekurve Dö verläuft deshalb im Bereich negativer Preise. Positive Preise sind nämlich
finanzielle Strafen für das Verbrauchen von Produktionsfaktoren, die im Gleichgewichtspunkt gerade
den Grenznutzen eines Gutes kompensieren; analog dazu entsprechen negative Preise einer
finanziellen Belohnung, die das Ertragen eines Schadens kompensieren soll.
Addiert man nun die Pseudonachfragekurve Dö zur privaten Nachfrage Dp, erhält man wieder die
gesamte Nachfrage DG. Ist Sp die von den Produktionskosten bestimmte Angebotskurve, ergibt sich G
mit xG als Gleichgewicht.
Der Markt würde von sich aus jedoch xp realisieren, d.h. zuviel von x anbieten.
212
Deshalb muss man eine spezielle Mengensteuer oder ein ähnlich wirkendes Instrument zur
Erhöhung der Grenz- bzw. Durchschnittskosten erheben, die gerade so hoch ist, dass x von xp auf xG
reduziert wird.
Das ist eine Steuer in Höhe von BG . Dies gilt auch dann, wenn – wie vielleicht bei manchen Hunden –
"keine Produktionskosten" anfallen.
In diesem Extremfall wäre Sp mit der x-Achse und xp mit der Sättigungsmenge identisch und
ansonsten würde sich nichts andern. Auf Alternativen zur Steuer wird später bei der Betrachtung von
Umweltschutzargumenten eingegangen.
213
Ordnungssteuern als Mittel zur Internalisierung negativer externer Effekte des Konsums
P
X
P2
P1
XPXG
GA
B
DP
DG
SP
SÖs
Öffentliche Zahlungsbereitschaftfür Schadensvermeidung
Legende:
: Angebot: Nachfrage: Steuersatz
Index : privat bzw. BesteuerungIndex : öffentlich bzw. BesteuerungIndex : gesamtwirtschaftlich
Punkt : privates GleichgewichtPunkt : gesamtwirtschaftliches GleichgewichtPunkt : Wird nach Steuer am Markt realisiert
vor
nach
SDs
P
Ö
G
AG
B
214
Die hier betrachteten Steuern sollen Nachfrage abschrecken. Sie haben also nicht die Aufgaben,
öffentliche Leistungen zu finanzieren. Deshalb nennt man sie auch Lenkens- oder Ordnungssteuern.
Da sie in der Realität aus politischen Gründen aber oft zu niedrig sein werden, ist es auch vertretbar,
das Aufkommen zu einer weiteren Schadensminderung zu verwenden, also etwa Maßnahmen zur
Neutralisierung der Auswirkungen von Kraftfahrzeugabgasen zu fördern.
Die eben angeklungene Frage nach der richtigen Steuerhöhe ist keineswegs einfach zu beantworten.
Da der Besteuerungsgrund als solcher leicht zu erkennen ist, würde es auch in der Praxis sicherlich
schnell zu einer Debatte über die Höhe der richtigen Mengensteuer (Hundesteuer, Tabaksteuer,
Mineralölsteuer, etc.) kommen.
Wird man aber davon ausgehen können, dass das Ergebnis dieser Debatte einer Präferenzenthüllung
gleichkommt? Werden die Steuersätze geändert werden, wenn sich die Präferenzen ändern?
215
Und wie verhindert man, dass solche Lenkungssteuern vom Staat als Finanzierungsinstrument "an
sich" betrachtet werden? Das sind offene Fragen. Dessen ungeachtet muss betont werden, dass
Lenkungssteuern aller Erfahrung nach durchaus wirksame Instrumente sein können.
Produktionsexternalitäten
Externe Effekte können auch von Produktionsentscheidungen ausgehen. In solchen Fallen spricht
man von externen Effekten der Produktion. Die nicht beteiligten Betroffenen können Unternehmen
oder Haushalte sein. Statt von externen Effekten kann man wie beim Konsum insbesondere bei den
Gebietskörperschaften auch von spillovers sprechen. Ein Beispiel positiver externer Effekte bildet der
Nutzwaldanbau (Klimaverbesserung), ein Beispiel negativer externer Effekte die Flussverschmutzung
durch ein Chemiewerk.
216
Die Beispiele zeigen, dass wir uns hier in einem Gebiet bewegen, das – jedenfalls soweit es um
negative externe Effekte geht – zum Gebiet der Umweltschutzpolitik zählt.
In all diesen Fällen – positiven wie negativen – könnte man auch wieder zu einer Subventions- bzw.
Steuerlösung zu greifen, um den Verursachern der externen Effekte Anreize zu deren Beseitigung zu
geben.
In Chart 21.a wird an einem besonders einfachen Beispiel negativer externer Effekte gezeigt, dass
man Emissionsmengen an Schadstoffen als Funktionen von Steuersätzen für die Emission solcher
Stoffe auffassen kann.
Angestrebt werden müsste eine effiziente Emissionsmenge. Diese liegt – das leuchtet sicher
unmittelbar ein – dort, wo die Grenzgewinne einer Produktion bei Emissionsfreiheit gerade durch die
kalkulatorischen Grenzkosten aufgezehrt wurden, die aus einer zusätzlichen Umweltverschmutzung
resultieren und fälschlich nicht in das Rechnungswesen der Unternehmen eingegangen sind.
217
Beispiele für Ordnungssubventionen und –steuern in Deutschland
Der Vorschlag, externe Effekte durch Subventionen bzw. Lenkungs- oder Ordnungssteuern zu
internalisieren, ist erstmals bereits in den 20er Jahren gemacht worden und geht auf ein Buch von A.C.
Pigou zurück‡‡. Deshalb nennt man solche Subventionen bzw. Steuern auch Pigou-Subventionen bzw.
Steuen.
Beispiele für Pigou-Subventionen in Deutschland sind:
• die staatliche Förderung von Heizanlagen, die erneuerbare Energien verwenden (z.B.
Solarkollektoren, Wärmepumpen, etc.) und
• die staatliche Förderung von Gebäudesanierungen, die zu CO2-Eionsparungen führen.
‡‡ The Economics of Welfare, London 1932 (neueste Auflage).
218
Ähnlich wie staatliche Subventionen wirken Steuererleichterungen und Vorschriften, die Private zu
einer stärkeren Nachfrage nach klimaschonenden Maßnahmen veranlassen. Zu nennen z.B.:
• das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Stromanbieter zwingt, Ökostrom zu
Festpreisen einzuspeisen, die höher sind als die Marktpreise für Strom,
• der Zwang zur Erstellung eines Energieausweises für Häuser, der die Preise für energiesparende
Häuser im Vergleich zu den anderen erhöhen und Energiesparmaßnahmen damit wirtschaftlicher
machen soll, und
• die zeitweilige Steuerbefreiung von Biodiesel.
Wenden wir uns nun Beispielen für Pigou-Steuern in Deutschland zu. Zu nennen sind hier
• die Mineralölsteuer, die allerdings nicht als Pigou-Steuer entstanden ist, sondern ursprünglich in
beitragsähnlicher Weise der Straßenfinanzierung dienen sollte, und
• die Stromsteuer.
219
Internalisierungsinstrumente im Vergleich
Im Folgenden wollen wir uns auf negative externe Effekte konzentrieren und kurz auf die wichtigsten
Vor- und Nachteile verschiedener Instrumente zu ihrer Internalisierung eingehen.
Man kann 4 Typen von Internalisierungsmaßnahmen unterscheiden:
(1) Abgabenregelungen nach dem Vorbild der Pigou-Steuern, (2) den Übergang zu einem ökologisch orientierten Steuersystem,
(3) ordnungsrechtliche Lösungen in Form von Ge- und Verboten sowie Auflagen und
(4) Mengenlösungen (z.B. Umweltzertifikate).
220
(4) Mengenlösungen
Im Rahmen einer Mengenlösung wird nicht der Preis (Pigou-Steuer) festgelegt (bzw. direkt
beeinflusst), sondern die Menge. Die Preisbildung wird dem Markt überlassen, der situationsgerecht
und flexibel reagieren kann. Das wird erreicht durch:
• Emissionslizenzen (Zertifikatslösung): Für eine Region wird eine bestimmte Menge von
Umweltverschmutzungszertifikaten (bzw. C02 Zertifikate) ausgegeben. Regionalisierung ist
erforderlich, weil die Verschmutzungskonzentration in den einzelnen Regionen typischerweise
unterschiedlich ist. Die Zertifikate können unter den Unternehmen frei gehandelt werden und
stellen gemeinsam sicher, dass der Standard eingehalten wird. Zur Verhinderung
unbeabsichtigter Nebenwirkungen ist es dabei sinnvoll, ein Hortungsverbot zu erlassen und den
Handel mit Zertifikaten einer Aufsichtsbehörde zu unterstellen.
Die Abbildung in Chart 22.b zeigt die Zusammenhänge zwischen Zertifikatsmenge (ZM) und
Zertifikatspreis (ZP):
221
Internalisierungsmöglichkeiten für externe Effekte
1. Zertifikatslösung
Die folgende Abbildung zeigt die Zusammenhänge zwischen Zertifikatsmenge (ZM) und Zertifikatspreis (ZP):
ZP
ZM
N1
ZM1ZM2
N2
222
Die Lage der Nachfragekurve hängt von den Grenzverhinderungskosten für Emissionen und von der
Nachfrage nach den Endprodukten ab.
Die Verschiebung N1 � N2 könnte also z.B. durch
o einen technischen Fortschritt bei der Emissionsverhinderung oder
o durch eine exogene Nachfrageverringerung bei den Endprodukten, aber auch
o durch einen exogenen Anstieg bei den Kosten für andere Produktionsfaktoren und einen
dadurch bedingten Nachfragerückgang bei den Endprodukten verursacht worden sein.
Die Lage von ZMi hängt von der zulässigen Menge bzw. einer geforderten Verringerung im Vergleich
zum status quo ante ab.
Je näher ZMi am Ursprung liegt, desto höher ist ceteris paribus der Preis, desto höher ist aber auch
der Anreiz für Fortschritte in der Vermeidungstechnologie und damit zu einer Bewegung N1 � N2.
223
Nationaler Allokationsplan (NAP) für die Bundesrepublik Deutschland
Ein so genannter Nationaler Allokationsplan regelt für einen bestimmten Zeitraum, in welchem Umfang und zu welchen
Rahmenbedingungen Unternehmen in Deutschland handelbare Berechtigungsscheine zur Abgabe von Kohlendioxid erhalten.
Seit Kurzem stehen die Eckpunkte für die Jahre 2008 bis 2012 fest.
Geltungszeitraum
2005 – 2007 2008 – 2012
So viele Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß pro Jahr decken die in
Deutschland ausgegebenen Emissionsrechte ab
499 482
Gemessen an den vom Staat ausgegebenen Emissionsrechten muss der
durchschnittliche jährliche Kohlendioxid-Ausstoß gegenüber dem
Jahresdurchschnitt der jeweiligen Basisperiode um so viel Prozent reduziert
werden
-2,91
(Basisperiode 2000
bis 2002)
Industrie Energiewirtschaft
-1,25 -15,0
(Basisperiode 2000 bis 2005)
Ausgabemodus der Emissionsrechte kostenlos kostenlos
Spezialregelungen für Kleinanlagen keine Kleinanlagen mit einer jährlichen
Kohlendioxidemission bis zu 25.000
Tonnen sind von der
Reduktionsvorgabe ausgenommen
Strafe für einen nicht von Emissionsrechten abgedeckten
Kohlendioxidausstoß je Tonne in Euro
40 100
In den Emissionsrechtehandel einbezogen sind Unternehmen aus der Energiewirtschaft sowie der Eisen- und Stahl-, Zement-, Kalk-, Zucker-, Papier-,
Glas-, Keramik- und Zellstoffindustrie;
Ursprungsdaten: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, im Internet:
http://www.bmu.de/files/emissionshandel/downloads/application/pdf/nap_2008_2012.pdf
224
Vor- und Nachteile der Zertifikatslösung vs. Pigou- Steuer
Nachteile:
Festlegung der „richtigen Menge“ ist ebenso problematisch wie die Festlegung des „richtigen“
Steuersatzes bei einer Pigou-Steuer. Beides ist anfällig für Lobbyismus.
Bei der Pigou-Steuer erhält der Staat die Steuereinnahmen und kann somit wieder in die Verteilung
eingreifen, hat also Handlungsspielräume. Bei der Zertifikatslösung (kostenlose Abgabe) verbleiben die
Zahlungen jedoch direkt im Unternehmenssektor.
225
Vorteil:
Die Reduktion der (Schadstoff-)Menge wird in ökonomisch effizienter Weise erreicht. Die
Mengenreduktion wird gemäß den Grenzkosten der Schadstoffreduktion von denjenigen Unternehmen
vorgenommen, die die Schadstoffe zu den geringsten Grenzkosten reduzieren können.
Die Pigou-Steuer berücksichtigt diesen Aspekt nicht und behandelt alle Unternehmen gleich.
Somit würde ceteris paribus die gleiche Mengenreduktion (Schadstoffreduktion) über die
Zertifikatslösung zu geringeren Grenzkosten erreichbar sein, sofern die Unternehmen unterschiedliche
Grenzkosten bei der Schadstoffreduktion haben.
226
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.3.1 Natürliche Monopole
2.3.2 Externe Effekte
2.3.3 Meritorische und demeritorische Güter (Informationsasymmetrien und Ent-scheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
227
2.3.3 Meritorische und demeritorische Güter
Bisher sind wir – ohne dies besonders zu betonen – davon ausgegangen, dass die Nachfrager ihre
Präferenzen kennen somit keinen Selbst- oder Fremdtäuschungen unterworfen sind und als autonome
Persönlichkeiten Entscheidungen fällen, die ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse entsprechen. Diese
Voraussetzung ist nicht unproblematisch.
In der Literatur wird dieser Problembereich dagegen meist unter den klareren Stichworten "meritorische"
bzw. "demeritorische Güter" abgehandelt (Das Konzept wurde 1957 von Musgrave eingeführt).
"Meritorische Güter" sind solche, die "verdienstvoller" sind als es sich in den kurzfristigen Präferenzen
der Individuen niederschlägt, "demeritorische" solche, die "schädlicher" sind als das Individuum meint.
Aus gesellschaftlicher Sicht (staatlicher Sicht) konsumieren die Individuen von den meritorischen Gütern
zu wenig und von den demeritorischen Gütern zu viel.
Bei einer wohlverstandenen Interessenabwägung müssten die meritorischen Güter also höher bewertet
werden, als es die Individuen tun, und die demeritorischen weniger hoch; es müsste also eine
228
paternalistische Präferenzkorrektur erfolgen, damit die Menschen nicht später Entscheidungen
bedauern müssen, die zu kurzfristig orientiert waren.
Meritorische bzw. Demeritorische Güter machen daher aus gesellschaftlicher (staatlicher) Sicht einen
Eingriff in die Konsumentensouveränität notwendig.
Es wird also ein staatlicher Zwang ausgeübt meritorische Güter zu konsumieren und Konsumverbote
hinsichtlich der demeritorischen Güter erlassen.
Beispiele für staatliche Präferenzkorrekturen bilden die Gurtanlegepflicht, die Sozialversicherungs-pflicht
oder die Einführung der Schulpflicht durch Friedrich Wilhelm I, die damals (1717) in einem Agrarland von
vielen Eltern als soziale Härte empfunden wurde, da Kinderarbeit üblich war.
229
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik 2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
230
2.4 ALLOKATIVE BEGRÜNDUNG DER REDISTRIBUTIONSPOLITIK
Die Ausführungen zu den Allokationsaufgaben des Staates haben gezeigt, dass diese Aufgaben aus
einem Nicht- oder -Schlecht-Funktionieren von Märkten resultieren, das man als Marktversagen
bezeichnet.
Für die Distributions- und die Stabilisierungspolitik gilt nun etwas ganz Ähnliches: Auch die in diesem
Bereich erforderlichen Staatstätigkeiten lassen sich zum großen Teil durch Marktversagen
rechtfertigen, jedenfalls dann, wenn man guten Grund hat zu glauben, dass der Einsatz staatlicher
Machtmittel insgesamt zu einer Funktionsverbesserung führt.
Dies möchte ich im Folgenden etwas näher begründen. Ich wende mich in diesem Abschnitt zunächst
der Distributionspolitik zu und im Abschnitt 2.5 der Stabilisierungspolitik.
231
Im Rahmen der Distributionspolitik befasst man sich vor allem mit vier Sachverhalten:
(1) mit Funktionsdefekten auf Versicherungsmärkten,
(2) der Förderung von Vermögens- und Humankapitalbildung,
(3) der Unterstützung der privaten Bereitstellung von Kollektivgütern und von Sozialleistungen,
(4) der Umverteilung nach ethischen Prinzipien, insbesondere dem Leistungsfähigkeitsprinzip.
Diese Punkte sollen nun kurz angesprochen werden. Näheres hierzu hören sie in Vorlesungen zur
Steuer- und zur Sozialpolitik.
Als Punkt (5) soll ein Blick auf die Gefahren der Umverteilungspolitik geworfen werden.
232
Funktionsdefekte auf Versicherungsmärkten .
Staatliche Maßnahmen können auf Versicherungsmärkten erforderlich werden, wenn man deutlich
erkennen kann, dass die Entstehung und Entwicklung der Märkte durch meritorische Effekte und/oder
vier Arten von Asymmetrien bei der Verteilung von Informationen und Risiken be- oder gar verhindert
werden:
(1) durch die von BÖHM-BAWERK als "Gesetz" bezeichnete Disposition der Menschen zur
Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse,
(2) durch eine Betrugs- und Unterlassungstendenz (moralisches Risiko / moral hazard),
(3) durch eine Tendenz zur Auslese schlechter Risiken (Selektionsrisiko / adverse selection) und
(4) durch eine Tendenz zur Häufung des Eintritts von Risikofällen (Kumulationsrisiko), d.h. zur
gegenseitigen Abhängigkeit von Risiken.
233
Förderung der Vermögens- und Humankapitalbildung
Vermögensbildung schafft – individuell gesehen – Kaufkraftpuffer, auf die in Notfällen zurückgegriffen
werden kann und die deshalb wie Versicherungen wirken. Ähnliches gilt für eine vielseitig verwertbare
Ausbildung, denn diese gleicht einer Selbstversicherung durch Diversifikation, wie sie Unternehmen
vornehmen.
Betreibt jemand Vermögens- und/oder Humankapitalbildung, ergibt sich – gesamtwirtschaftlich oder
jedenfalls vom Standpunkt der Restgesellschaft aus – außerdem ein positiver Effekt:
Vermögensbildung erhöht tendenziell die Sachinvestitionsquote und damit ceteris paribus die
Arbeitsproduktivität, und Humankapitalbildung erhöht ceteris paribus die Arbeits- und
Kapitalproduktivität; beides verringert darüber hinaus Unterstützungsrisiken.
234
Förderungen der Privaten (gemeinnützigen) Bereitste llung von Kollektivgütern und von
Sozialleistungen
Kollektivgüter können durch Mäzene auch privat in einem gewissen Umfang bereitgestellt werden.
Man denke an Stiftungen zur Wissenschafts- oder Kunstförderung. Wenn und soweit der Staat
dadurch Mittel spart, sind so genannte „Vergünstigungen wegen Gemeinnützigkeit“ im Steuerrecht
angemessen.
Umverteilung nach ethischen Prinzipien .
Bei den bisher diskutierten Umverteilungsmaßnahmen spielten Koordinationsmängel oder jedenfalls
(pekuniäre) externe Effekte eine Rolle. Es gibt aber auch Umverteilungsforderungen, die sich nicht auf
solche Effekte, sondern auf Gerechtigkeitsüberlegungen stützen, welche direkt an der Verteilung des
Verfügbaren Einkommens in einer Volkswirtschaft anknüpfen.
235
Von dieser Verteilung wird verlangt – und das spiegelt sich z.B. im deutschen Einkommensteuerrecht
wider
–, dass sie drei Korrelationsforderungen genügt. Das Einkommen, über das jemand verfügen kann,
soll mit den folgenden Größen positiv korreliert sein:
• mit der Marktleistung für andere (Forderung nach Leistungsgerechtigkeit),
• mit dem objektiv geschätzten Arbeitsleid (Forderung nach Kostengerechtigkeit) und
• mit außergewöhnlichen persönlichen Belastungen (Forderung nach Bedürfnisgerechtigkeit).
Die Primärverteilung der auf den Märkten erzielten Einkommen entspricht bestenfalls (d.h. bei einem
Ordnungsrahmen, der Marktmacht und damit verbundene Monopolrenten ausschließt) dem Ideal der
Leistungsgerechtigkeit; soll auch den anderen beiden Forderungen genügt werden, ist deshalb eine
Umverteilung erforderlich.
Man kann davon ausgehen, dass über die Berechtigung der Forderungen nach Kosten- und
Bedürfnisgerechtigkeit ein weitgehender Konsens besteht; über das richtige Ausmaß einer "gerechten"
236
Umverteilung gehen die Ansichten aber sehr weit auseinander. Man sollte dabei auch die Gefahren
der Umverteilungspolitik bedenken.
Gefahren der Umverteilungspolitik
Als Hauptmittel einer rationalen Umverteilungspolitik bieten sich neben Zwangsversicherungen somit
Transfers im Sinne der vorgenannten Zielsetzungen an, die mit Hilfe einer zweckmäßig gestalteten
Einkommensteuer finanziert werden.
Wie im Rahmen der Steuerwirkungslehre gezeigt wird, sind mit dem Einsatz von Steuern und
Transferzahlungen neben den Einkommensumverteilungseffekten jedoch sogenannte Zusatzlasten
verbunden.
Diese äußern sich in Form unbeabsichtigter Substitutionseffekte. Zu nennen sind zum einen negative
Leistungsanreize. Eine Einkommensteuer "belohnt" z.B. die Ausdehnung der Freizeit auf Kosten der
Erwerbszeit und die Ausdehnung des Gegenwartskonsums auf Kosten der Ersparnisbildung.
237
Eher noch gefährlicher dürften jedoch die Schattenwirtschafts- sowie Arbeitsplatzexportanreize sein:
Der "Keil", der durch Steuern (und durch die Lohnnebenkosten) zwischen die Löhne getrieben wird, mit
denen die Arbeitgeber einerseits und die Arbeitnehmer andererseits rechnen, reizt dazu an, schwarz
zu arbeiten und/oder Arbeiten selbst zu übernehmen, die anderenfalls an andere vergeben worden
wären (Reduzierung der Arbeitsteilung durch Do-it-yourself), und/oder Arbeitsplätze ins Ausland zu
verlagern.
Hinzu kommt, dass neben die Zusatzlasten auch noch sogenannte Rent-seeking-Anreize treten:
Unternehmen und Interessenverbände setzen Lobbyisten ein, um die Umverteilungsmöglichkeiten der
Politiker so auszunutzen, dass andere Partialleistungen des Staates für die eigene Gruppe finanzieren
oder dass Ausnahmen vom allgemeinen Steuerrecht erreicht werden.
238
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
2.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
2.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
2.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
2.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
2.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
2.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik) 3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
239
2.5 ALLOKATIVE BEGRÜNDUNG DER STABILISIERUNGSPOLITIK (FISKALPOLITIK)
Hierzu gehen wir von einer Gleichgewichtsbedingung aus, die zeigt, wann in einer Wirtschaft keine
Konjunkturschwankungen auftreten würden. Sieht man der Einfachheit halber vom Wachstum des
Produktionspotentials einmal ab (kurzfristige Betrachtungspunkte), lautet diese Gleichung:
S + M + U + P + T = I + X + A
Die links stehenden Kontraktionsgrößen, die bei einer isolierten Erhöhung jeweils dazu führen würden,
dass das Sozialprodukt sinkt, müssen also den rechts stehenden Expansionsgrößen gleichen, für die
das Umgekehrte gilt.
240
Die vorstehende Gleichgewichtsbedingung kann u.a. dadurch erfüllt werden, dass ein paarweiser
Ausgleich herbeigeführt wird:
S = I M + U + P = X T = A
S = I kann unter günstigen Umständen auf dem Kapitalmarkt durch den Zinsmechanismus realisiert
werden.
M + U + P = X kann unter günstigen Umständen auf den Außenhandelsmärkten durch den
Wechselkursmechanismus herbeigeführt werden.
Wenn diese beiden Mechanismen schnell und zuverlässig reagieren würden – wie es die Klassiker der
ökonomischen Wissenschaft glaubten –, müsste zur Abwehr größerer Konjunkturschwankungen nur
noch dafür gesorgt werden, dass ein Budgetausgleich T = A erfolgt.
241
Dieser war deshalb bis 1969 im Grundgesetz vorgeschrieben. Da die Markträumungsprozesse, die
über Zins- und Wechselkursbewegungen zu S = I bzw. M + U + P = X führen sollen, in Wirklichkeit
aber nicht befriedigend zuverlässig funktionieren, wurde seither eine antizyklische Politik
vorgeschrieben, welche die Schwächen der Kapital- und Außenhandelsmärkte durch eine
entsprechende Gestaltung des Budgetdefizits bzw. der Staatsausgaben ausgleichen soll:
(T - A) = - (S - I) - (M + U + P - X) oder
A = (S - I) + (M + U + P - X) + T !
Bei S = I und M + U + P = X resultiert hieraus wiederum A = T.
Die Abweichungen von A = T sind also durch Mängel beim Markträumungsprozess auf den Kapital-
und Außenhandelsmärkten bedingt.
242
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand
3.0 Staatsquoten und Entwicklungsgesetze
3.1 Planung und Kontrolle öffentlicher Ausgaben
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
243
3. POSITIVE ANALYSE DES AUSGABENVERHALTENS DER ÖFFENTLICHEN HAND
3.0 STAATSQUOTEN UND ENTWICKLUNGSGESETZE
Bisher haben wir analysiert, nach welchen Regeln sich der Staat verhalten müsste, wenn dem
Gemeinwohl nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse am besten gedient werden sollte. Nun
wollen wir uns der Frage zuwenden, wie der Staat sich tatsächlich verhält .
Staatsquoten
Solche Quoten lassen sich aus dem Material zweier Statistiken errechnen: aus dem am Faktorverzehr
orientierten Datenmaterial der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) oder aus dem
Material der zahlungsorientierten Finanzstatistik . Im Folgenden werden die Berechnungen und
Entwicklung der beiden Quoten dieser Art erläutert.
244
Dies sind die Staatsquote im engeren und die Staatsquote im weiteren Sinn.
Die Definitionsgleichung für das Bruttonationaleinkommen Y lautet:
Y = CPr + IPr + X –M – P + CSt + ISt
Wenn man diese Gleichung durch Y dividiert, erhält man:
(1)
Y
IC
Y
P-MX
Y
IC1
StStPrPr ++−++=
Dies ist die Staatsquote im engeren Sinn (auch „Ressourcenverbrauchsquote“).
Diese umfasst also die Ausgaben des Staates für den öffentlichen Konsum und die öffentlichen
Investitionen. Werden Zahlen aus der VGR verwandt, bilden die Zähler in Gleichung (1) Teile von Y.
Die Privatausgaben-, die Außenbeitrags- und die Staatsquote im engeren Sinn sind dann echte
Quoten und ergänzen sich zum Wert 1.
245
Addiert man zur Gleichung (1) eine Transferrelation für die Zinsausgabe (Z) sowie die Ausgaben für
Sozialtransfers und Subventionen (S) , ergibt eine Relation, die üblicherweise als Staatsquote im
weiteren Sinn bezeichnet wird.
(2)
Y
SZIC
Y
PMX
Y
IC
Y
SZ1
StStPrPr ++++−−++=++
Diese Staatsquote im weiteren Sinn ist eine unechte Quote und bildet zusammen mit der
Privatausgaben- und der Außenbeitragsquote eine Summe, die größter als 1 ist.
Im Jahr 1989, in dem es noch keine vereinigungsbedingten Sonderentwicklungen gab, betrug die
Staatsquote im engeren Sinn im früheren Bundesgebiet z.B. 20,1 v.H., die Staatsquote im weiteren
Sinn dagegen 44,4 v.H.
Die Staatsquote im weiteren Sinn ist in den letzten Jahren gestiegen, die Staatsquote im engeren Sinn
und vor allem die Quote der staatlichen Investitionen sind dagegen gefallen.
246
Achtung: Mit Bezug auf die Entwicklung der Staatsquote im weiteren Sinn zu sagen, dass der Staat
fast 50 v.H. des Bruttonationaleinkommens in Anspruch nehme, ist falsch. Hierbei wird nämlich nicht
berücksichtigt, dass die Transferzahlungen doppelt gezählt werden: Die Zins- und
Subventionszahlungen sind Zahlungen, die der Staat zwar entrichtet, mit deren Hilfe aber Private
Ansprüche an das Sozialprodukt geltend machen, die in Cpr und Ipr enthalten sind.
Wie sich die Staatsquote i.e.S. und die Staatsquote i.w.S. seit 1970 entwickelt haben, ist in Chart 24
dargestellt.
247
Die Entwicklung der Staatsquoten in Deutschland: 1970 – 2005
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
55%
60%
1970 1973 1976 1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000 2003
Jahr
in %
des
BIP
Staatsquote im engeren Sinne Staatsquote im weiteren Sinne Transferausgaben-Quote
Hinweis: Die Daten für 1995 sind durch die Umbuchung der Treuhand- und naderer ostdeutscher Altschulden, die Daten für 2000 sind durch die Erlöse aus der UMTS-Versteigerung sehr stark von Einmaleffekten überlagert. _____________________ Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt, bis 1990 Westdeutscland, ab 1991 Gesamtdeutschland
248
Weder die Staatsquote im engeren Sinn noch die im weiteren Sinn erfasst diejenigen Staatstätigkeiten
hinreichend, deren Budget- und speziell Ausgabenintensität gering ist. Das sind vor allem
Regulierungs- und Zwangstätigkeiten:
• Hielte der Staat die Agrarpreise im Rahmen einer nationalen Politik nicht mehr durch
Überschussaufkäufe, sondern durch Vorgaben von Produktionsquoten hoch, fielen die
Staatsquoten ceteris paribus;
• ersetzte er Streitkräfte aus Wehrpflichtigen durch gleichartige aus Freiwilligen, stiegen die
Staatsquoten.
In beiden Fällen hätte sich aber nicht das eigentlich zu messende Gewicht der Staatstätigkeit
verändert, sondern lediglich die Wahl der Mittel. Dies verdeutlicht, dass Quer- und
Längsschnittvergleiche von Staatsquoten nur dann aussagekräftig sind, wenn man davon ausgehen
kann, dass ein Vergleich der Tätigkeiten mit geringer Budgetintensitäten den Eindruck aus dem
jeweiligen Quotenvergleich nicht entscheidend verändern würde.
249
Staatswirtschaftliche Entwicklungsgesetze
Bei den nun zu besprechenden „Gesetzen“ von Wagner , Popiz und Brecht handelt es sich um
Konzentrationsaussagen, die methodisch dem MARXschen Konzentrationsgesetz gleichen.
Anders als erfahrungswissenschaftliche Gesetze, die Ceteris-paribus-Aussagen über Reaktionen auf
Aktionen machen, prophezeien Entwicklungsgesetze Tendenzen, die längerfristig unter allen
Umständen allein aufgrund des Zeitablaufs eintreten sollen.
Bemerkenswerterweise haben sich die Entwicklungsgesetze bis heute in einer gewissen Weise
bewährt.
250
Wagnersches Gesetz
Das bekannteste Entwicklungsgesetz ist das WAGNERsche Gesetz. Es wurde von ADOLPH WAGNER
(1835 - 1917), dem international wohl renommiertesten deutschen Finanzwissenschaftler, bereits Ende
des vorigen Jahrhunderts aufgestellt.
Es prophezeit, dass – so jedenfalls die heute übliche Interpretation – die Staatsquote im weiteren Sinn
längerfristig einen steigenden Trend aufweisen und dass sich somit das Gewicht wirtschaftlicher
Tätigkeiten mehr und mehr beim Staat konzentrieren werden.
Diese Behauptung hat sich bisher sowohl bei Längsschnittuntersuchungen als richtig erwiesen (Chart
25) als auch bei Querschnittsanalysen, bei denen man fragte, ob Länder mit einem hohen Pro-Kopf-
Einkommen eine höhere Staatsquote als solche mit einem niedrigen Pro-Kopf-Einkommen aufweisen.
251
Die Staatsquote in ausgewählten Ländern 1870 – 1996
Frankreich Deutschland Italien Japan Großbritannien USA Niederlande Schweiz 1870 12,6 10,0 11,9 8,8 9,4 3,9 9,1 1913 17,0 14,8 11,1 8,3 12,7 1,8 9,0 2,7 1920 27,6 25,0 22,5 14,8 26,2 7,0 13,5 4,6 1937 29,0 42,4 24,5 25,4 30,0 8,6 19,0 6,1 1960 34,6 32,4 30,1 17,5 32,2 27,0 33,7 17,2 1980 46,1 47,9 41,9 32,0 43,0 31,8 55,8 32,8 1990 49,8 45,1 53,2 31,7 39,9 33,3 54,1 33,5
1996 54,5 49,3 52,5 36,9 43,1 36,5 47,8 35,2 2000 51,6 45,1 46,1 39,2 37,5 34,2 43,7 33,9
2005 54,5 46,8 48,2 36,9 45,1 36,6 45,7 36,4
Quelle: A.Boss, Alarmzeichen - Zahlen und Fakten zur Entwicklung der öffentlichen Finanzen, in: A. Boss et al., Schranken gegen Staatsverschuldung und Steuerlast, Bad Homburg 1996, S. 27 (m.w.N.), sowie OECD, Juli 2006
252
Die Staatsquote in ausgewählten Ländern 1870 – 1996
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
1870 1913 1920 1937 1960 1980 1990 1996 2000 2005
Frankreich Deutschland Italien JapanGroßbritannien USA Niederlande Schweiz
253
Die Staatsquote in ausgewählten Ländern 1870 – 1996
Die öffentlichen Ausgaben heben ab1
0
10
20
30
40
50
1870 1913 1920 1937 1960 1980 1990 1996
Jahr
in %
des
BIP
1 Durchschnittliche Öffentliche Ausgaben im Verhältnis zum BIP in Australien, Österreich, Belgien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Japan, den Niederlanden, Neuseeland, Norwegen, Spanien, Schweden, der Schweiz, Großbritannien und den USA.
. Quelle: Vito Tanzi, Ludger Schuknecht, Public Spending in the 20th Century. A Global Perspective. Cambridge, 2000.
254
Popitzsches Gesetz Auch das POPITZsche Gesetz ist ein Konzentrationsgesetz.
Es geht auf den ehemaligen preußischen Finanzminister JOHANNES POPITZ (1884 - 1945) zurück und
behauptet, dass die Staatsaufgaben mehr und mehr vom Zentralstaat verrichtet werden, dass es also
eine Anziehungskraft des zentralen Etats gibt, die zu einer vertikalen Aufgaben- und
Machtkonzentration im staatlichen Sektor führt (POPITZ, 1927).
Die empirische Überprüfung dieses Entwicklungsgesetztes leidet darunter, dass man zwar feststellen
kann, wie hoch die Ausgaben sind, die eine gebietskörperschaftliche Ebene aus eigenen Mitteln
finanziert hat, dass man aber keine Statistik über das Ausmaß der Fremdbestimmung dieser
Ausgaben hat.
255
In Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA ist der Ausgabenanteil des Zentralstaates
bis zum Ende der 50er Jahre gestiegen (Chart 27).
Dieser Anstieg hat sich in Deutschland danach – auch aufgrund einer Finanzreform – nicht mehr
fortgesetzt. Die Gemeinden klagen jedoch darüber, dass sie vor allem Sozialhilfeleistungen erbringen
und Kindergartenplätze bereitstellen müssen, die ihnen als Ausgabenverpflichtungen vom Bund
vorgegeben wurden ohne sich in der Ausgabenstatistik des Bundes niederzuschlagen.
Berücksichtigt man solchen Einflüsse und die Standards, die „oben“ gesetzt und „unten“ betrachtet
werden müssen, hat die Machtkonzentration bei den zentraleren Haushalten wohl auch in den
Folgejahren angehalten.
Das POPITZsche Gesetz kann in dieser modifizierten Form dann ebenfalls als bewährt gelten.
256
Der Anteil des Zentralstaates an den gesamten Ausgaben der öffentlichen Hand
1913 - 1958 in v.H.
30
40
50
60
70
80
90
100
1913 1925 1932 1938 1940 1945 1950 1955 1958
Jahr
v.H
.
D GB F USA
.
Quelle: ALBERS, W. (1962): Die Aufgaben- und Einnahmenverteilung auf die öffentlichen Gebietskörperschaften und die gemeindliche Selbstverwaltung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1. Jg., S. 65-92; leicht abgeändert (von Gemeindequoten auf Staatsquoten umgerechnet).
Jahr D GB F USA
1913 60 47 75 37
1925 62 58 76 45
1932 58 55 73 56
1938 73 57 75 67
1940 84 70
1945 86 90 95
1950 76 76 84 81
1955 75 70 80 81
1958 76 71 79 75
257
Brechtsches Gesetz Das BRECHTsche Gesetz ist ursprünglich nicht als Entwicklungsgesetz aufgestellt worden; es kann
aber als ein Entwicklungsgesetz aufgefasst werden, das für alle Länder mit bereits hoher und weiter
steigender Bevölkerungsdichte gilt.
ARNOLD BRECHT (1884 - 1977) hat sein „Gesetz der progressiven Parallelität zwischen Ausgaben und
Bevölkerungsmassierung“ bei einem Vergleich von Gemeindeausgaben gefunden:
Gemeinden mit einer hohen Einwohnerzahl und damit auch einer hohen Bevölkerungsdichte weisen
höhere Pro-Kopf-Ausgaben auf als solche mit einer geringeren Bevölkerungsdichte.
Bedenkt man, dass die meisten Kollektivgüter ihren Charakter aufgrund von Kapazitätsreserven
haben, die bei wachsender Nutzerzahl im Wege der Umwandlung von Leer- in Nutzenkosten
aufgezehrt werden, kann man bei Gebietskörperschaften, die viele Kollektivgüter bereitstellen, im
Hinblick auf die Kosten pro Kopf einen u-förmigen Verlauf erwarten:
258
Bei geringer Bevölkerung gibt es bei fast allen Kollektivgütern ungenutzte Kapazitäten. Wächst die
Bevölkerung, brauchen die Anlagen deshalb nicht erweitert zu werden, und die Pro-Kopf-Kosten
sinken.
Bei fortschreitendem Bevölkerungswachstum werden aber mehr und mehr Leerkosten in Nutzkosten
umgewandelt, und zur Erhaltung des Ausstattungsstandards müssen immer mehr Anlagen erweitert
werden, so dass das Sinken der Pro-Kopf-Kosten aufhört.
Gibt es absolut knappe Produktionsfaktoren oder Qualitätsunterschiede und damit verbundene Lage-
und Qualitätsrenten, kommt es aufgrund des Ertragsgesetzes zu steigenden Kosten der
Kapazitätserweiterung und damit zu steigenden Kosten pro Kopf.
Wie die BRECHTschen Untersuchungen gezeigt haben, ist dieser Punkt in einem Land wie Deutschland
überschritten.
259
Sollen Ausstattungsstandards gehalten werden, führt eine steigende Bevölkerungskonzentration in
einem solchen Land also zu steigenden Infrastrukturausgaben pro Kopf.
Damit wächst dann einerseits die Staatsquote (WAGNERsches Gesetz) und andererseits kommt es zu
einer horizontalen Ausgabenkonzentration im Staatssektor, d.h. in dichter besiedelten Ländern und
größeren Städten (BRECHTsches Gesetz).
Die empirischen Untersuchungen zu den Determinanten der Staatsausgaben (KUHN, 1993)
widersprechen dieser Prognose nicht. Auch die in Chart 29 dargestellten Ergebnisse eines Vergleichs
der Bundesländer sprechen dafür.
260
Brechtsches Gesetz: Pro Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte
Ausgaben für Politische Führung und Zentrale Verwaltung
29 1
117 12
1015
13
1416
48
5
63
y = 0,0111x + 346,73
R2 = 0,0432
200225250275300325350375400425450475
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Bevölkerungsdichte in Einwohner pro Quadratkilometer
Eur
o pr
o E
inw
ohne
r
Legende: 1 Baden-Württemberg, 2 Bayern, 3 Berlin, 4 Brandenburg, 5 Bremen, 6 Hamburg, 7 Hessen, 8 Mecklenburg-Vorpommern, 9 Niedersachsen, 10 Nordrhein-Westfalen, 11 Rheinland-Pfalz, 12 Saarland, 13 Sachsen, 14 Sachsen-Anhalt, 15 Schleswig-Holstein, 16 Thüringen.
.
Quelle: Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland 1998-2002. Die Rechnungen beruhen auf den durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Jahre 1995-1999.
261
Brechtsches Gesetz: Pro Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit
von der Bevölkerungsdichte
Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Rechtsschutz
29 137
8
15 101211116
14
4
5
6
3
y = 0,0791x + 290,28R2 = 0,8311
200
250
300
350
400
450
500
550
600
650
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Bevölkerungsdichte in Einwohner pro Quadratkilometer
Eur
o pr
o E
inw
ohne
r
Legende: 1 Baden-Württemberg, 2 Bayern, 3 Berlin, 4 Brandenburg, 5 Bremen, 6 Hamburg, 7 Hessen, 8 Mecklenburg-Vorpommern, 9 Niedersachsen, 10 Nordrhein-Westfalen, 11 Rheinland-Pfalz, 12 Saarland, 13 Sachsen, 14 Sachsen-Anhalt, 15 Schleswig-Holstein, 16 Thüringen.
.
Quelle: Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland 1998-2002. Die Rechnungen beruhen auf den durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Jahre 1995-1999.
262
Brechtsches Gesetz: Pro Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte
Schulen und vorschulische Bildung
129
71115
12
1013
814
416
56
3
y = -0,0118x + 685,97
R2 = 0,0222450500550600650700750800850900
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Bevölkerungsdichte in Einwohner pro Quadratkilometer
Eur
o pr
o E
inw
ohne
r
Legende: 1 Baden-Württemberg, 2 Bayern, 3 Berlin, 4 Brandenburg, 5 Bremen, 6 Hamburg, 7 Hessen, 8 Mecklenburg-Vorpommern, 9 Niedersachsen, 10 Nordrhein-Westfalen, 11 Rheinland-Pfalz, 12 Saarland, 13 Sachsen, 14 Sachsen-Anhalt, 15 Schleswig-Holstein, 16 Thüringen.
.
Quelle: Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland 1998-2002. Die Rechnungen beruhen auf den durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Jahre 1995-1999.
263
Brechtsches Gesetz: Pro Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit
von der Bevölkerungsdichte
soziale Sicherung, Kriegsfolgeaufgaben
12
97
11
15 12 10
13
8
14
416
56
3
y = 0,2426x + 545,37
R2 = 0,8791
350450550650750850950
10501150125013501450
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Bevölkerungsdichte in Einwohner pro Quadratkilometer
Eur
o pr
o E
inw
ohne
r
Legende: 1 Baden-Württemberg, 2 Bayern, 3 Berlin, 4 Brandenburg, 5 Bremen, 6 Hamburg, 7 Hessen, 8 Mecklenburg-Vorpommern, 9 Niedersachsen, 10 Nordrhein-Westfalen, 11 Rheinland-Pfalz, 12 Saarland, 13 Sachsen, 14 Sachsen-Anhalt, 15 Schleswig-Holstein, 16 Thüringen.
.
Quelle: Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland 1998-2002. Die Rechnungen beruhen auf den durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Jahre 1995-1999.
264
Brechtsches Gesetz: Pro Kopf-Ausgaben in Abhängigkeit von der
Bevölkerungsdichte
Vehrkehr und Nachrichtenwesen
36
5
16
414
813
10
1215
11
79
2
1
y = 0,0094x + 164,64
R2 = 0,04145075
100125150175200225250275300
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
Bevölkerungsdichte in Einwohner pro Quadratkilometer
Eur
o pr
o E
inw
ohne
r
Legende: 1 Baden-Württemberg, 2 Bayern, 3 Berlin, 4 Brandenburg, 5 Bremen, 6 Hamburg, 7 Hessen, 8 Mecklenburg-Vorpommern, 9 Niedersachsen,
10 Nordrhein-Westfalen, 11 Rheinland-Pfalz, 12 Saarland, 13 Sachsen, 14 Sachsen-Anhalt, 15 Schleswig-Holstein, 16 Thüringen. .
265
3.1 PLANUNG UND KONTROLLE ÖFFENTLICHER AUSGABEN
3.1.1 Rechtsgrundlagen und Kompetenzverteilung
Wir befassen uns nun mit dem institutionellen Rahmen, innerhalb dessen staatliche
Ausgabenentscheidungen zustande kommen.
Da die Staatsausgaben vor allem über Steuern finanziert werden und dass damit
Zahlungsbereitschaftsinformationen entfallen, wie sie bei einem Verkauf von Gütern am Markt oder bei
einer Kostenumlage in entgeltfinanzierten Verbänden aus der Reaktion der Kunden bzw. Mitglieder
gewonnen werden könnten, müssen die Ausgaben von der öffentlichen Verwaltung mit Hilfe von
Verfahren geplant werden, bei denen Zahlungsbereitschaftsinformationen nicht erhoben werden.
Die Grundlagen für diese Planungsverfahren liefert das Haushaltsrecht . Die wichtigsten Vorschriften
finden Sie in Chart 30.
266
Übersicht über die wichtigsten Vorschriften des Haushaltsrechts
1. Bund
� Art. 109 bis 115 GG
� Bundeshaushaltsordnung (BHO) nebst dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften
� Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)
� Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG)
Zusammenfassende Darstellung: BMF (Hrsg.): Das System der Öffentlichen Haushalte, neueste
Auflage, Berlin
Kommentar: E. Heuer / H. Dommach: Handbuch der Finanzkontrolle. Kommentar zum Bundeshaushaltsrecht, Frankfurt/Main (Ergänzungswerk)
267
Übersicht über die wichtigsten Vorschriften des Haushaltsrechts
2. Länder
� Art. 109 bis 115 GG und entsprechende Artikel der jeweiligen LV
� Jeweilige Landeshaushaltsordnung (LHO) und dazu erlassene Verwaltungsvorschriften
� HGrG
� StWG 3. Gemeinden
Das Haushaltsrecht der Gemeinden ist Sache der Länder. Von der Konferenz der Innenminister ist unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände jedoch ein Musterentwurf erarbeitet worden, der für ein Mindestmaß an Rechtseinheitlichkeit und Vergleichbarkeit im Bundesgebiet sorgt.
Übersicht: W. Bischof: Gemeindehaushaltsrecht, neueste Auflage, Köln u.a.O.
268
Diese Vorschriften definieren gemeinsam ein staatliches Rechnungswesen. Analog zum
betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen kann man die aufzustellenden Rechnungen in
kontinuierliche und fallweise unterteilen:
� Kontinuierlich aufzustellende Rechnungen sind
� der Bundeshaushaltsplan (auch Bundesetat genannt),
� die Mittelfristige Finanzplanung und
� die Langfristpläne einzelner Ministerien (z.B. der Bundeswehrplan).
269
Hinzu treten in mehr und mehr Verwaltungen Kosten- und Leistungs-Rechnungen sowie
regelmäßig zu erstattende Berichte wie z.B. der Subventionsbericht und der Nachhaltigkeitsbericht.
� Fallweise – nämlich nur bei großen Investitionsprojekten – aufzustellen sind dagegen
� eine Kosten-Nutzen-Analyse oder
� eine Kosten-Wirksamkeits-Analyse.
Darüber hinaus gibt es ähnlich aufgebaute Analysen, die z.B. in Fällen erstellt werden, in denen
eine Technikfolgen- oder Umweltfolgenabschätzung erforderlich wird.
270
Gliederung – STAATSWIRTSCHAFTLICHE ALLOKATIONSPOLITIK I
0. Technische Vorbemerkungen
1. Einführung und erster Überblick: Ziele, Instrumente und Träger der Staatstätigkeit in einer Marktwirtschaft
2. Normative Analyse der öffentlichen Finanzwirtschaft 3.0 Grobüberblick über Formen des Marktversagens
3.1 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen bei der Bereitstellung von Kollektivgütern
3.2 Regeln für die Herstellung von Gütern (Selbermachen oder Kaufen)
3.3 Regeln für die Beseitigung von Marktversagen in Form natürlicher Monopole, externer Effekte sowie meritorischer und demeritorischer Güter (Informationsasymmetrien und Entscheidungsmängel)
3.4 Allokative Begründung der Redistributionspolitik
3.5 Allokative Begründung der Stabilisierungspolitik (Fiskalpolitik)
3. Positive Analyse des Ausgabenverhaltens der öffentlichen Hand 3.0 Staatsquoten und Entwicklungsgesetze
3.1 Planung und Kontrolle öffentlicher Ausgaben
3.1.1 Rechtsgrundlagen und Kompetenzverteilung
3.1.2 Haushalts- und Finanzplanung 3.1.3 Informationsgehalt der Haushalts- und Finanzplanung; Ausblick auf weitere Formen des staatlichen Rechnungs- und
Berichtswesens sowie die Haushaltsrechtfortentwicklung
4. Das tatsächliche Finanzierungsverhalten der öffentlichen Hand im Lichte der normativen Analyse: wichtige Soll-Ist-Diskrepanzen
5. Analyse von Verhaltensweisen im politisch-administrativen System sowie von Beseitigungsmöglichkeiten für Soll-Ist-Diskrepanzen
271
3.1.2 Haushalts- und Finanzplanung
Budgetfunktionen und Budgettypen
Wir besprechen zuerst den wichtigsten Teil des öffentlichen Rechnungswesens, den Haushaltsplan. I
Standarddefinition:
Unter dem Staatshaushaltsplan – auch Budget (englisch für "Lederbeutel") oder Etat (französisch für
"Finanzzustand") genannt – versteht man die systematische Zusammenstellung der für ein
Haushaltsjahr vorgesehenen Ausgabenobergrenzen für einzelne Zwecke und der erwarteten
Einnahmen.
272
An sich müsste nun gezeigt werden, wie sich das Haushaltsrecht die Lösung der Probleme vorstellt,
die bewältigt werden müssen, wenn man annähernd optimale Entscheidungen über Art und Umfang
der bereitzustellenden Kollektivgüter treffen will (ggf. auch über die Eigenproduktion von Individual-
oder Kollektivgütern).
Auf diese Fragen ist das Haushaltsrecht jedoch nicht zugeschnitten.
Es hat vielmehr an Verwaltungsvorschriften angeknüpft, die für die ehemaligen Fürstenhaushalte
galten, und ist dann nach Vorschlägen von Finanzwissenschaftlern schrittweise modernisiert worden.
Dieser Prozess ist aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass man von einer Übereinstimmung mit
den Forderungen der Kollektivgütertheorie und der von uns diskutierten Prinzipien sprechen kann.
Deshalb möchte ich mich bei der Darstellung des Haushaltsplans an das traditionelle
verwaltungsorientierte Vorgehen halten.
273
Seit einem Aufsatz von F. NEUMARK über die Budgetgestaltung§§ ist es vielfach üblich geworden, die
folgenden vier Budgetfunktionen zu unterscheiden:
� eine finanzpolitische Funktion (Sicherung des finanziellen Gleichgewichts),
� eine politische Funktion (Sicherung des politischen Gleichgewichts, d.h. der Abwägung von Vor-
und Nachteilen im Lichte der Budgetbeschränkung und des Übereinstimmens des
Verwaltungshandelns mit dem Parlamentswillen),
� eine Kontrollfunktion (interne und externe Überprüfung des Verwaltungshandelns) und
� Eine wirtschaftspolitische Funktion (Abstimmung der Haushaltsführung auf den allgemeinen
wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung und speziell auf ihre Konjunkturpolitik).
§§ F. NEUMARK: Theorie und Praxis der Budgetgestaltung, HdF 1, 2. Aufl., S. 554 ff.
274
Um unsere heutigen Informationsansprüche an das Budget besser herausarbeiten zu können und um
gleichzeitig Parallelen zum betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen aufzeigen zu können, habe ich
nun einmal versucht, diesen unmittelbar einleuchtenden Aufgabenkatalog noch etwas stärker zu
systematisieren und aufzugliedern.
Dabei bin ich von der folgenden Leitidee ausgegangen, dass das Budget der internen Führung der
Verwaltung, der Unterordnung der Verwaltung unter die politischen Willensbildungsorgane und deren
Politikpräferenzen sowie der Ermittlung der Impulse dienen soll, die vom Staat auf die
Gesamtwirtschaft ausgehen.
Oder anders ausgedrückt: Es soll der Realisation eines betriebswirtschaftlichen, eines allokations- und
verteilungspolitischen und eines stabilitätspolitischen Gleichgewichts dienen.
275
Budgetfunktionen
1. Funktionen, die es der Regierung ermöglichen sollen, den Verwaltungsbetrieb zu führen und ein betriebswirtschaftliches Gleichgewicht zu erreichen.
2. Funktionen, die es den Politikern ermöglichen sollen, Budgetniveau und Budgetstruktur allokations- und verteilungseffizient zu gestalten und ein gesamtwirtschaftliches Allokations- und Verteilungsgleichgewicht zu erreichen.
3. Funktionen, die es den Politikern ermöglichen sollen, den Budgetsaldo stabilisierungswirksam zu gestalten und ein stabilitätspolitisches Gleichgewicht zu erreichen.
I. Ausführlicher Funktionenkatalog
1.1 Funktionen, die der Bewahrung des finanziellen Gleichgewichts dienen
1.1.1 Liquiditätsplanungsfunktion
1.1.2 Liquiditätskontrollfunktion
2.1 Programmplanungsfunktion
2.2 Programmkontrollfunktion
3.1 Stabilitätsplanungsfunktion
3.2 Stabilitätskontrollfunktion
276
1.2 Funktionen, die der Überwachung des verwaltungswirtschaftlichen Produktionsprozesses und der betriebswirtschaftlichen Effizienz dienen
1.2.1 Kostenplanungsfunktion
1.2.2 Kostenkontrollfunktion
1.3 Funktionen, die der Rechtfertigung der öffentlichen Finanzwirtschaft vor den Bürgern dienen
1.3.1 Publikationsfunktion
1.3.2 Dokumentationsfunktion
II. Neumarkscher Funktionenkatalog
(a) Finanzpolitische Funktion
(b) Finanzkontrollfunktion
(c) Politische Funktion (d) Wirtschaftspolitische Funktion
277
Die geschichtliche Entwicklung der Budgetfunktionen und damit auch der Informationsansprüche an
das Budget entspricht der Reihenfolge der Ordnungszahlen im oberen Teil von Chart 31:
Am Anfang stand das betriebswirtschaftliche Steuerungsbedürfnis, dem (zunächst meist geheim
gehaltene) interne Pläne und Rechnungen entgegenkamen. 1628 erkämpfte sich das englische
Parlament dann das Recht der Bewilligung der direkten Steuern ("petition of rights"), das mit der "bill of
rights" (1689) auf alle Einnahmen ausgedehnt wurde und mit der Einführung der Appropriationsklausel
(welche die Verwendung der Einnahmen an die vom Parlament beschlossenen Zwecke bindet) zu
Beginn des 18. Jahrhunderts zur Ausprägung der politischen Funktionen führte.
In Deutschland fand dies seinen umfassenden gesetzlichen Niederschlag in der
Reichshaushaltsordnung von 1922.
278
Die explizite Berücksichtigung der konjunkturellen Wirkungen des Haushalts und der damit
zusammenhängenden Informationsbedürfnisse ist schließlich erst in neuester Zeit erfolgt. Diesen
Informationsbedürfnissen Rechnung zu tragen, war eines der Hauptanliegen der Haushaltsreform von
1969, der wir unser heutiges Haushaltsrecht verdanken.
Ein Haushaltsplan kann formal verschieden ausgestaltet werden. Aufgrund von Unterschieden in den
Definitionen, mit deren Hilfe sachliche, räumliche und zeitliche Abgrenzungen vorgenommen werden,
entstehen so verschiedene Budgettypen.
In Chart 32.1 und Chart 32.2 habe ich die wichtigsten Arten zusammengestellt und ihre wesentlichen
Charakterzüge erläutert. Chart 32.3 zeigt, wie das sogenannte Einheitsbudget des Staates (auf VGR-
Basis) durch Konsolidierung aus der VGR abgeleitet werden kann.
279
Budgettypen Man kann die Menge aller Budgettypen nach sachlichen, räumlichen und zeitlichen Gesichtspunkten einteilen. 1. Sachliche Einteilung
Typ Charakteristik
1. Einheitsbudget Alle Ausgaben und Einnahmen werden in einem Budget ohne Zwischensalden ausgewiesen (Gegensatz: siehe z.B. Budgettyp 2). Saldo dieses Budgets ist der Finanzierungssaldo.
2. Vermögenshaushalt/ Verwaltungshaushalt
Im Gegensatz zum Einheitsbudget werden die vermögenswirksamen Einnahmen und Ausgaben im Vermögenshaushalt (auch Finanzhaushalt oder Kapitalbudget) ausgewiesen, der mit dem Finanzierungssaldo abschließt und über Ersparnisse und Abschreibungen mit dem Verwaltungshaushalt (auch laufender Haushalt oder Betriebsbudget) verbunden ist. Letzerer enthält alle übrigen Ausgaben und Einnahmen und weist die Ersparnis als Saldo auf.
280
Budgettypen
Typ Charakteristik
3. Kapitalbudget 2. Art/ laufendes Budget
Verbuchungstechnik wie bei (2) beschrieben. Im Kapitalbudget stehen nun aber alle Ausgaben/Einnahmen, welche mit zukünftigen Nutzen/Kosten verknüpft sind; im laufenden Budget dagegen alle diejenigen, die gegenwärtige Nutzen/Kosten erbringen. Dies entspricht einer Verbuchung nach dem sog. „Pay-as-you-use-Prinzip“.
4. Ordentlicher/außer ordentlicher Haushalt
Bei dieser Verbuchungstechnik, die bis zur Haushaltsreform von 1969 üblich war, werden im ordentlichen Haushalt alle regelmäßigen Einnahmen und die aus ihnen zu bestreitenden Ausgaben verbucht, während im außerordentlichen Haushalt die Einnahmen aus Anleihen (und aus wenigen sonstigen Posten) und die ihnen entsprechenden Ausgaben für werbende Zwecke und für einen außerordentlichen Bedarf aufzuführen sind. Dies entspricht einer als überholt zu betrachtenden, objektbezogenen Beurteilung der öffentlichen Verschuldung.
5. Programmbudget/ Ausgabenbudget
In einem Programmbudget werden nicht – wie in den Ausgabenbudgets (1) bis (4) – Ausgaben für bestimmte Zwecke veranschlagt, sondern Programme zur längerfristigen Realisation von quantifizierten Zielen aufgeführt. Diese müssen dann in kürzerfristige Ausgabenbudgets (auch Exekutivbudgets) umgesetzt werden.
281
Budgettypen 2. Räumliche Unterteilung
Typ Charakteristik
6. Administratives (unkonso- lidiertes) Gesamtbudget auf Kassenbasis/ konsoli- diertes Gesamtbudget auf Kassenbasis/konsolidier- tes Gesamtbudget auf VGR-Basis
Beim administrativen Gesamtbudget werden die Budgets von Gebietskörperschaften der gleichen Ebene (also von Bund, Ländern und Gemeinden) jeweils zusammengefasst und ohne Saldierung der gegenseitigen Zahlungen ausgewiesen; beim konsolidierten Gesamtbudget werden dagegen lediglich die Zahlungen zwischen der Gesamtheit aller öffentlichen Haushalte und dem privaten Sektor der Volkswirtschaft ausgewiesen. Beides kann auf der Basis von Kassenrechnung (Finanzstatistik) oder auf der Basis der VGR-Definitionen erfolgen. In den Finanzberichten des BMF wird der „öffentliche Haushalt“ als konsolidiertes Gesamtbudget auf der Basis der Finanzstatistik veröffentlicht.
282
Budgettypen 3. Zeitlich Einteilung
Typ Charakteristik
7. Einjahresbudget/Mehr- jahresbudget
Beim Einjahresbudget umfasst die Budgetperiode ein Haushaltsjahr, und dieses deckt sich in der Regel mit dem Kalenderjahr; das Mehrjahresbudget umfasst dagegen mehrere Haushaltsjahre, ist im allgemeinen aber in Kalenderjahre unterteilt.
8. Ergänzungs-, Nachtrags- und Eventualhaushalte
Mit diesen Bezeichnungen kennzeichnet man verschiedene Arten von Änderungen eines Haushaltsplanes: - der Ergänzungshaushalt ändert einen Budgetentwurf, der sich noch in der
parlamentarischen Beratung befindet; - durch einen Nachtragshaushalt wird ein bereits verabschiedeter Etat verändert; - der Eventualhaushalt umfasst Maßnahmen zur Konjunkturbelebung, die nur dann
ausgeführt werden, wenn bestimmte Bedingungen eintreten.
283
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR
11.. PPrroodduukkttiioonnsskkoonnttoo ddeess SSttaaaatteess
1A1 Käufe von Vorleistungen
Bruttoproduktionswert 1E1
Gegenbuchung bei 2E1 Abschreibungen
• Eigenverbrauch (=
unentgeltlicher
Verbrauch öffentlicher
Leistungen)
Gegenbuchung
bei 5A1
1A2
Netto
produktions
wert =
Beitrag zum
BIP
Wert
schöp
fung
Löhne
Gehälter
• Verkäufe
22.. EEiinnkkoommmmeennsseennttsstteehhuunnggsskkoonnttoo
Gegenbuchung bei 6E2 2A1 Abschreibungen
Beitrag zum
Bruttoinlandsprodukt zu
Marktpreisen
2E1
Gegenbuchung
bei 1A2
Gegenbuchung bei 4E1 2A2 Indirekte Steuern an den Staat
Gegenbuchung bei 3E1 2A3 Beitrag zum
Nettoinlandsprodukt zu
284 Faktorkosten
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR
33.. EEiinnkkoommmmeennssvveerrtteeiilluunnggsskkoonnttoo
3A1
Beitrag zum
Nettoinlandsprodukt zu
Faktorkosten 3E1
Gegenbuchung
bei 2A3
Empfangene Einkommen
aus Vermögen und
Unternehmertätigkeit 3E2
Verteilte Einkommen
• an private Haushalte
• an das Ausland
• von Unternehmen
• vom Staat
3A2 Zinsen auf öffentliche Schulden • vom Ausland
Gegenbuchung
bei 3A2
• an Unternehmen
Gegenbuchung bei 3E2 • an den Staat
• an private Haushalte
• an das Ausland
286
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR
44.. EEiinnkkoommmmeennssuummvveerrtteeiilluunnggsskkoonnttoo
4A1
Geleistete Subventionen an
Unternehmen Anteil am
Volkseinkommen 4E1 Gegenbuchung
bei 3A3
4A2 Geleistete Transfers
Empfangene indirekte
Steuern
• an private Haushalte • von Unternehmen
• an das Ausland • vom Staat
• von privaten
Organisationen
Gegenbuchung
von 2A2
Empfangene direkte
Steuern 4E2
• von Unternehmen
• von privaten Haushalten
• vom Ausland
Gegenbuchung 5E1 4A3
Saldo: Verfügbares
Einkommen
Sonstige empfangene
Transfers 4E3
287
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR 55.. EEiinnkkoommmmeennssvveerrwweenndduunnggsskkoonnttoo
Gegenbuchung bei 1E1 5A1
Eigenverbrauch (=
unentgeltliches Angebot
öffentlicher Güter)
Verfügbares Einkommen 5E1 Gegenbuchung
bei 4E3
Gegenbuchung bei 6E1 5A2 Ersparnis
66.. VVeerrmmööggeennssäännddeerruunnggsskkoonnttoo
6A1 Anlageinvestitionen Ersparnis 6E1
Gegenbuchung
bei 5A2
6A2 Geleistete
Vermögenstransfers Abschreibungen
6E2 Gegenbuchung
bei 2A1
• an Unternehmen Empfangene
• an private Haushalte Vermögenstransfers 6E3
• an das Ausland • von Unternehmen
Saldo: • von privaten Haushalten
6A3 Finanzierungsüberschuss • von dem Ausland
288
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR
Eliminiert man alle (durchgestrichenen) Positionen, für die eine Gegenbuchung vorhanden ist, ergibt sich als konsolidiertes Budget:
EEiinnhheeiittssbbuuddggeett
Käufe von Vorleistungen Verkäufe
Verteilte Einkommen empfangene Einkommen
Zinsen auf öffentliche Schulden
empfangene indirekte
Steuern
geleistete Subventionen empfangene direkte Steuern
geleistete Transfers
sonstige empfangene
Transfers
Anlageinvestitionen
empfangene
Vermögenstransfers
geleistete Vermögenstransfers
Finanzierungsüberschuss
289
Ableitung des Einheitsbudgets des Staates aus der VGR
Erläuterung 1. Alle Positionen, zu denen es eine Gegenbuchung gibt, sind durchgestrichen. Die Gegenbuchung
ist angeführt. Dabei bezieht sich
- die erste Zahl auf die Ordnungszahl des Gegenkontos - der Buchstabe auf die Kontenseite (Aufwand- oder Ertragsseite A bzw. E) und - die zweite Zahl auf die Ordnungszahl der entsprechenden Position im Gegenkonto.
Unterpositionen sind lediglich mit einem • , nicht jedoch mit einer eigenen Ordnungszahl versehen.
2. Die Unterpositionen von 1E1 (Konto 1, Ertragsseite, Position 1= Bruttoproduktionswert) werden
neuerdings nicht mehr getrennt ausgewiesen.
290
Der Haushaltsplan des Bundes ist ein einjähriges Einheitsbudget. Dieses ist in Einzelpläne und
Übersichten gegliedert, die den Gesamtplan aussagekräftiger machen sollen.
Die Haushaltspläne der Länder werden ähnlich aufgebaut und in ihrer Systematik mit dem Bund
abgestimmt. Manche Länder verwenden allerdings Zweijahreshaushalte (z.B. Hessen, Sachsen), was
dann von politischer Bedeutung ist, wenn eine Regierung während der Wahlperiode ihre
parlamentarische Mehrheit verliert; es ermöglicht dann nämlich eine längere Weiterregierung auf der
Basis eines noch mit Mehrheit beschlossenen Haushaltsplans.
Das BMF gibt jährlich einen Finanzbericht heraus, in dem alle diese Haushalte zu einem konsolidierten
Gesamtbudget auf Kassenbasis zusammengefasst werden, dem sogenannten "öffentlichen
Gesamthaushalt".
291
Gliederung des Budgets I: Übersichten
Im Folgenden wollen wir uns auf den Bundeshaushalt konzentrieren. Hier sind zunächst wichtige
Übersichten zu finden:
� eine Haushaltsübersicht (= Zusammenfassung der Einnahmen, Ausgaben und
Verpflichtungsermächtigungen der Einzelpläne; Verpflichtungsermächtigungen berechtigen die
Verwaltung dazu, Verpflichtungen einzugehen, die erst in späteren Haushaltsjahren wirksam
werden; ihre voraussichtliche Höhe und zeitliche Struktur soll möglichst angegeben werden; im
einzelnen vgl. § 2 HGrG),
� eine Finanzierungsübersicht (= Aufgliederung des Finanzierungssaldos) und
� einen Kreditfinanzierungsplan (= Darstellung der Einnahmen aus Krediten und der
Tilgungsausgaben).
292
Gliederung des Budgets II: Einzelpläne, Kapitel und Titel
Der Bundeshaushalt ist in Einzelpläne, Kapitel und Titel gegliedert.
Die Einzelpläne enthalten die nach dem Ministerialprinzip (auch: Ressortprinzip) oder dem Realprinzip
eingeteilten Haushaltsmittel eines Verwaltungszweiges oder eines größeren Sachzusammenhangs.
Der Einzelplan 01 ist z.B. der des Bundespräsidenten und seines Amtes, der Einzelplan 09 der des
Bundesministers für Wirtschaft.
Chart 33 zeigt am Beispiel des Landeshaushaltsplans NW für das Jahr 1989 und des
Bundeshaushaltsplans für 1992 die kapitelweise Einteilung der Einzelpläne.
293
Die Kapitel umfassen zusammenhängende Verwaltungsbereiche (Behörden oder bestimmte
Sachgebiete) und werden durch vier- oder fünfstellige Nummern gekennzeichnet:
Die ersten beiden Ziffern markieren den Einzelplan, die nächsten zwei oder drei den speziellen
Verwaltungsbereich, d.h. das Kapitel selbst.
Kapitel 0901 ist also das Kapitel 01 im Einzelplan 09, Kapitel 05121 das Kapitel 121 im Einzelplan 05,
hier unsere Universität als dem Wissenschaftsministerium (05) nachgeordnete Behörde Nr. 121.
296
Die Kapitel sind in Titel untergliedert. Diese kennzeichnen die Ausgabenarten nach Input-Zwecken und
sind insoweit den betriebswirtschaftlichen Kostenarten ähnlich. Sie werden nach einer Art
Einheitskontenplan – dem für Bund und Länder verbindlichen und mit den Gemeinden abgestimmten
Gruppierungsplan – nummeriert. Hierbei unterscheidet man Hauptgruppen (1. Stelle), Obergruppen (2.
Stelle) und Gruppen (3. Stelle) von Ausgaben gleicher Art, die dann durch das Anhängen von zwei
weiteren Ziffern näher spezifiziert werden. Alle Titel, die mit der Nummer 527 beginnen, gehören also
in die Ausgabengruppe 7 in der Obergruppe 2 und der Hauptgruppe 5. Es handelt sich hierbei um
Ausgaben für Dienstreisen. Im Zuge der weiteren Unterteilung erhält man als einzelne Titel:
Titel 527 01 = Reisekosten für Inlandsdienstreisen;
Titel 527 02 = Reisekosten für Auslandsdienstreisen.
Bei manchen Ausgabetiteln werden sogenannte Titelgruppen gebildet, früher auch als "Titel mit
gleicher Zweckbindung" bezeichnet. Hierunter sind Ausgaben zusammengefasst, die sich zwar aus
Einzelbeträgen unterschiedlicher Art zusammensetzen und deshalb auch getrennt verbucht werden
müssen, die jedoch einem gemeinsamen ökonomischen Zweck (und damit i.d.R. einer gemeinsamen
297
Funktion dienen). Kennzeichnungstechnisch werden die Titelgruppen gebildet, indem man hinter der
Gruppennummer (also der dritten Stelle) einheitliche Unterkennzeichnungen verwendet (z.B. 94). Die
Titelgruppe 94 ("Ausgaben für Lehre und Forschung") enthält z.B. sowohl Ausgaben aus der
Hauptgruppe 4 (Personal) als auch aus der Hauptgruppe 5 (sachliche Verwaltungsausgaben).
Beispiele sind in Chart 33.1 aufgeführt. In Chart 33.2 findet man ein Beispiel für eine „globale
Minderausgabe“.
298
Ausschnitt aus dem Bundeshaushaltsplan 1995 6002 Allgemeine Bewilligungen
Titel Funktion
Zweckbestimmung Soll 1995
1000 DM
Soll 1994
1000 DM
Ist 1993
1000 DM
97199 Globale Mehrausgabe .........................................
2 299
-
-
-988 Haushaltsvermerk Die Erläuterungen sind verbindlich.
Erläuterungen
Gemäß § 6 HG 1995 nehmen fünf ausgewählte Kapitel des Bundeshaushalts an einem Modellvorhaben zur Erprobung flexibler Budgetierungsinstrumente teil. In den jeweiligen Kapiteln sind globale Minderausgaben als „Flexibilitäts- und Effizienzrendite“ eingestellt. Bei unabweisbarem Bedarf können diese Mittel mit Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen in Anspruch genommen werden.
Bezeichnung 1 000 DM
1. Kap. 0623 – Bundesamt für Sicherheit in der Informations- technik..................................................................................... 229 2. Kap. 0635 – Bundeszentrale für politische Bildung................ 412 3. Kap. 0909 – Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe ........................................................................ 768
.
Quelle: H. GROSSEKETTLER: „Öffentliche Finanzen“, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., München, 2003.
Titel- nummer
Funktionenkennziffer
Einzelplan 60. Kapitel 02.
299
Ausschnitt aus dem Bundeshaushaltsplan 1995 6002 Allgemeine Bewilligungen
Titel Funktion Zweckbestimmung Soll
1995 1000 DM
Soll 1994
1000 DM
Ist 1993
1000 DM 4. Kap. 1008 – Bundessortenamt............................................... 488 Kap. 1103 – Bundesausführungsbehörde für Un- fallversicherung ...................................................................... 402 5. Zusammen ............................................................................ 2299
Titelgruppen
Tgr. 01 Verstärkung von Ausgaben im Personalsektor
Haushaltsvermerk
Die Ausgaben sind gegenseitig deckungsfähig.
Mit Einwilligung des Bundesministers der Finanzen können zur Deckung des Mehrbedarfs in den Einzelplänen
- Ausgaben aufgrund besoldungs- und versorgungsrechtlicher sowie tariflicher Maßnahmen, - im übrigen Mehrausgaben bei den Personalausgaben im jeweiligen Einzelplan gegen Einsparung geleistet werden.
.
Quelle: H. GROSSEKETTLER: „Öffentliche Finanzen“, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., München, 2003.
Titel- gruppe
Einzelplan 60. Kapitel 02.
300
Ausschnitt aus dem Bundeshaushaltsplan 1995 6002 Allgemeine Bewilligungen
Titel Funktion
Zweckbestimmung Soll 1995
1000 DM
Soll 1994
1000 DM
Ist 1993
1000 DM Die Ausgaben sind bei den entsprechenden Titeln der jeweiligen
Einzelpläne zu buchen.
46171 -981
Verstärkung von Personalausgaben der Hauptgruppe 4 1 350000 445 000 -
97171 -981
Verstärkung von Personalausgaben der Hauptgruppe 5 bis 9 150 000 110 000 -
Gegenüber dem Vorjahr entfallene Titel
28101 -019
Erstattung der Länder nach § 21 Abs. 2 des Parteiengesetzes - - -
68101 -011
Für Bewilligungen durch den Bundespräsidenten - 125 91
97209 -989
Globale Minderausgabe aufgrund der Sperre gemäß § 4 Abs. 14 Haushaltsgesetz 1994 - -111 000 -
.
Quelle: H. GROSSEKETTLER: „Öffentliche Finanzen“, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl., München, 2003.
Einzelplan 60. Kapitel 02.
301
Neben ihrer Gruppierungsnummer tragen die Titel eine outputorientierte funktionale Kennziffer, die auf
den (für Bund und Länder einheitlichen) Funktionenplan verweist, der analog zum Gruppierungsplan in
Hauptfunktionen (1. Ziffer), Oberfunktionen (2. Ziffer) und Funktionen (3. Ziffer) eingeteilt ist. Die
Funktionenkennziffer 131 in Chart 33.1 besagt z.B., dass es sich um Ausgaben handelt, die der
Funktion "Wissenschaft" zuzurechnen ist, wie es ja auch schon in der Titelgruppe zum Ausdruck
gebracht worden ist.
Im Gegensatz zur Gruppierungsnummer, die auf inputorientierte Ausgabenarten wie Reisekosten
verweist und Zusammenfassungen ermöglicht, die der Kostenartenrechnung des
betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens ähneln, verweist die funktionale Kennziffer auf Output-
Zwecke, für die Ausgaben geleistet werden (z.B. Wissenschaftsförderung); sie ermöglicht daher
Analysen, die der Kostenträgerrechnung des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens ähneln.
302
Unmittelbar entnehmbare Informationen
Die Analysen von Ausgabenarten (Gruppierungsplan) und Ausgabenfunktionen (Funktionenplan)
können aufgrund des einheitlichen Verbuchungssystems sowohl ressortintern als auch
ressortübergreifend durchgeführt werden. Man kann so z.B. ermitteln, wie sich die Personalausgaben
des Ministeriums 1 im Vergleich zu den Personalausgaben aller übrigen Ministerien entwickelt haben
oder ob die von allen Ministerien zusammen geleisteten Ausgaben zur Förderung von Wissenschaft
und Bildung stärker gestiegen sind als die Ausgaben für soziale Zwecke.
Unmittelbar kann man dem Haushaltsplan somit drei Arten von Informationen entnehmen:
* Welche Arten von Ausgaben werden getätigt? Dies zeigt die der Kostenartenrechnung
vergleichbare Gruppierungsübersicht.
* Welche Stellen und damit auch Personen sind für welche Ausgaben verantwortlich und wie hoch
war ihre Gesamtverantwortung? Dies zeigen die der Kostenstellenrechnung vergleichbare
Haushaltsübersicht und die Einzelpläne.
303
* Für welche großen Zwecke wurden die Ausgaben getätigt? Dies zeigt die der Kostenträgerrechnung
vergleichbare Funktionenübersicht.
Es ist allerdings zu betonen,
* dass die Haushaltsplanung Ausgaben-, nicht jedoch kostenorientiert ist und
* dass sie kurzfristorientiert ist.
Das führt zu einem systematischen Fehlverhalten: Die öffentliche Hand tendiert z.B. dazu, die
Ausgaben für eine neue Heizungsanlage einzusparen, obwohl damit längerfristig Kosten gespart
werden könnten. Und aufgrund solcher falscher Sparsamkeiten tendiert sie auch dazu, ihre
Bediensteten viel schlechter mit z.B. Bürohilfsmitteln auszustatten, als dies in der Privatwirtschaft
üblich ist, und z.B. 30 Prozent der Arbeitszeit von Ärzten für Hilfsdienste zu vergeuden, die
einschlägiges Verwaltungshilfspersonal viel besser verrichten könnte.
304
Aufstellung, Vollzug und Kontrolle des Budgets (Bud getkreislauf)
Das "Leben" eines Haushaltsplans kann man in drei Phasen einteilen:
* die Aufstellungsphase, die ihrerseits in
• die Phase des Entwurfs durch die Verwaltung und
• die Phase der Verabschiedung durch politische Gremien
gegliedert werden kann;
* die Phase des Vollzugs durch die Verwaltung und
* die Phase der Abrechnung und Kontrolle durch Verwaltung, Bundesrechnungshof und Parlament.
Der gesamte Zyklus dauert heute etwa 4 Jahre (früher länger).
305
Die an allen Phasen beteiligte Verwaltung ist deshalb gleichzeitig mit vier Budgets befasst: Sie
erarbeitet den Entwurf für den kommenden Haushalt, vollzieht den gegenwärtigen, rechnet den
vergangenen ab und äußert sich zur Kontrolle des vorvergangenen.
Die Aufstellungsphase beginnt etwa 13 bis 15 Monate vor Beginn des zugehörigen Haushaltsjahres
mit der Übersendung des sogenannten Haushaltsrundschreibens des Finanzministers an die Chefs
der obersten Bundesbehörden.
Dieses Schreiben enthält einen Überblick über die allgemeine Finanzlage und Planungsauflagen, die
der Finanzminister im Vorgriff auf absehbare (und von ihm erwünschte) Parlamentsentscheidungen
macht und die von den Ressortleitern nach unten weitergegeben und konkretisiert werden.
Das Rundschreiben bildet zusammen mit diesen Planungsauflagen das Startzeichen für die
Erarbeitung der Bedarfsanmeldungen der einzelnen Dienststellen, die von unten nach oben
weitergeleitet und auf der jeweils höheren Ebene zusammengefasst und auf Realisierbarkeit geprüft
werden.
306
Der Finanzminister erstellt hieraus einen ersten Vorentwurf und leitet diesen dem Rechnungshof, dem
Finanzplanungsrat und dem Finanzkabinett zu. Der Rechnungshof kann gutachterlich Stellung
nehmen. Der Finanzplanungsrat ist eine Koordinationsinstanz, die unter Vorsitz des
Bundesfinanzministers tagt und dem die Bundesminister für Finanzen und für Wirtschaft, die
Länderfinanzminister und vier Vertreter der kommunalen Spitzenverbände angehören. Er sorgt dafür,
dass die Gebietskörperschaften bei ihrer Haushaltsplanung von gemeinsamen Annahmen ausgehen
und ihre jeweiligen Belange wechselseitig berücksichtigen***.
Das Finanzkabinett ist ein unter dem Vorsitz des Kanzlers tagender Kabinettsausschuss zur
Vorbereitung haushaltspolitischer Beschlüsse, dem der Finanz- und der Wirtschaftsminister
angehören, zu dem aber auch andere Minister Zutritt haben.
*** Vgl. hierzu BMF-Dokumentation Nr. 22/77: Künftiges Verfahren bei der Ermittlung volks- und finanz-wirtschaftlicher Annahmen gemäß ' 51 des Haushaltsgrundgesetzes im
Finanzplanungsrat.
307
Das BMF überarbeitet den Plan nun und legt ihn nach weiteren Verhandlungen zunächst dem
Finanzkabinett und dann dem Gesamtkabinett zur Verabschiedung vor. Synchron dazu wird auch die
Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung (auf die wir noch eingehen werden) ausgearbeitet und
vorgelegt.
Bei den Verhandlungen im Kabinett hat der Finanzminister formal eine sehr starke Stellung, denn er
kann nur überstimmt werden, wenn auch der Kanzler gegen ihn stimmt (§§ 28/29 BHO in Verbindung
mit § 26 GOBReg/s. Anlage). Stimmt das Gesamtkabinett zu, wird der Haushaltsplanentwurf
gleichzeitig (Art. 110 (3) GG) dem Bundestag und dem Bundesrat zur parlamentarischen Beratung und
Verabschiedung zugeleitet. Letztere kann Stellung nehmen und auch den Vermittlungsausschuss
anrufen; das Haushaltsgesetz ist jedoch nicht zustimmungsbedürftig (Art. 110 (3) GG).
Die erste Lesung im Bundestag wird meist im Juli oder August des Vorjahres mit der Etatrede des
Finanzministers eröffnet; dieser legt dabei gleichzeitig den Finanzbericht vor, zu dessen Erstattung er
nach Art. 114 (1) GG verpflichtet ist.
308
Anschließend erfolgt die Überweisung an und die Beratung im Haushaltsausschuss, der für jeden
Einzelplan Berichterstatter und Mitberichterstatter aus den Regierungs- und Oppositionsparteien
benennt. Bei der Beratung des Haushalts 1980 mussten hier etwa 7500 Ausgaben- und 1300
Einnahmetitel geprüft werden†††.
Das geschah in elf Sitzungen mit einer Gesamtsitzungsdauer von 86 Stunden‡‡‡. Im Durchschnitt
stand pro Titel also ca. eine halbe Beratungsminute zur Verfügung oder – bei Ausgaben und
Einnahmen in Höhe von je etwa 215 Mrd. DM – konnten rund 12 Minuten für die Beratung eines
Haushaltsvolumens von 1 Mrd. DM verwendet werden.
Nun hat man sich natürlich auf bestimmte Titel konzentriert – in diesem Fall auf die Personalausgaben;
††† Vgl. Das Parlament Nr. 51/52 vom 22.12.79, 5. 3.
‡‡‡ Vgl. ebenda.
309
außerdem sorgt alleine die Existenz des Parlaments schon dafür, dass vor den Beratungen so viele
gegenseitige Abstimmungen vorgenommen werden, dass der Entwurf mehrheitsfähig wird und man
mit Recht sagen kann, die wesentlichen Änderungen würden bereits vor der Behandlung im Parlament
vorgenommen.
Die Durchschnittszeitberechnung macht aber trotzdem deutlich, dass die Parlamentarier bei der
Haushaltsberatung nicht nur informationsmäßig, sondern auch zeitlich völlig überfordert sind.
Beim BH 80 war das Ergebnis der Ausschussberatungen, dass 1046 Titel verändert wurden und dass
die veranschlagte Haushaltssumme von 215,3 Mrd. DM um 0,8 Mrd. DM auf 214,5 Mrd. DM sank§§§,
also um ca. 0,4 v.H.
§§§ Vgl. Das Parlament Nr. 51/52 vom 22.12.79, 5. 3.
310
In der Zeitschrift "Das Parlament" wurde dies als ein außerordentlicher "Rekord des Streichorchesters"
gefeiert****. Das spricht für sich. Wie die Änderungsvorschläge dem Parlament präsentiert werden, zeigt
Chart 34 am Beispiel des Haushaltsentwurfs 1998. Chart 35 verdeutlicht am gleichen Beispiel, wie der
Bundesrat Stellung nimmt.
**** Vgl. ebenda.
311
Auszug aus einer Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages
Entwurf
Beschlüsse des 8. Ausschusses
(Ausgaben in 1 000 DM)
Kap. 30 03 Berufliche Bildung und Maßnahmen der Weiterbildung
Tit.
681 05 Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung 120 000
Tit.
681 05 Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung 110 000
Tit. 685 06
Sonderprogramm Lehrstellenentwickler sowie Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung in den neuen Ländern (einschl. ehemaliges Ost-Berlin)
Tit. 685 06
Sonderprogramm Lehrstellenentwickler sowie Qualifizierung von Personal der beruflichen Bildung in den neuen Ländern (einschl. ehemaliges Ost-Berlin)
Verpflichtungsermächtigung 25 960 Verpflichtungsermächtigung 48 330 davon fällig: davon fällig:
Haushaltsjahr 1999 bis zu 10 360 Haushaltsjahr 1999 bis zu 17 210 Haushaltsjahr 2000 bis zu 9 400 Haushaltsjahr 2000 bis zu 15 960 Haushaltsjahr 2001 bis zu 6 200 Haushaltsjahr 2001 bis zu 15 160
312
Auszug aus einer Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages - Fortsetzung
Entwurf Beschlüsse des 8. Ausschusses
(Ausgaben in 1 000 DM)
Tgr. 31 Förderung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungsstätten
Tgr. 31 Förderung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungsstätten
Tit. 893 10
Überbetriebliche Ausbildungsstätten -Zuschüsse für Investitionen 102 500
Tit. 893 10
Überbetriebliche Ausbildungsstätten - Zuschüsse für Investitionen 107 500
Verpflichtungsermächtigung 67 800 Verpflichtungsermächtigung 67 800 davon fällig: davon fällig: Haushaltsjahr 1999 bis zu 23 000 Haushaltsjahr 1999 bis zu 33 000 Haushaltsjahr 2000 bis zu 14 800 Haushaltsjahr 2000 bis zu 14 800 Haushaltsjahr 2001 bis zu 30 000 Haushaltsjahr 2001 bis zu 20 000 Su. Tgr: 31 (120 000) Su. Tgr: 31 (125 000)
. Quelle: Deutscher Bundestag (Berichterstatter des Haushaltsausschusses A. Hermenau, St. Kampeter, J. Koppelin, D. Schanz, H. Wieczorek):
Bundestagsdrucksache 13/9021 vom 01.10.1997, S. 5.
313
Auszug aus einer Stellungsnahme des Bundesrates zum Bundeshaushaltsplan und zum Finanzplan des Bundes
Der Bundesrat hat in seiner 716. Sitzung am 26. September 1997 a) zu dem Entwurf eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 gemäß Artikel 110 Abs. 3 des Grundgesetzes und
b) zu dem Finanzplan des Bundes 1997 bis 2001 gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft und gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 des Haushaltsgrundsätzegesetzes
beschlossen, wie folgt Stellung zu nehmen: Zum Bundeshaushaltsentwurf und zum Finanzplan allgemein 1.a) Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit nach der
Prognose der Bundesregierung bis zum Jahre 2000 ist das Eingeständnis einer gescheiterten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nach den Ankündigungen der Bundesregierung aus dem Jahre 1996 sollte
die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 halbiert werden. Nunmehr geht die Bundesregierung davon aus, dass im Jahre 2000 lediglich wieder der Stand von 1996 erreicht wird. Die Bundesregierung hat ihr selbstgestecktes Ziel damit aufgegeben und nimmt hin, dass die Arbeitslosigkeit auch in den kommenden Jahren auf einem unverantwortlich hohen Niveau bleibt.
Der Bundesrat hat in den Beratungen zu den Bundeshaushaltsplänen 1996 und 1997 (BR-Beschlussdrucksachen 450/95, 790/95, 500/96, 900/96 und 599/97) bereits darauf hingewiesen, dass der dramatischen Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird. Obwohl der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit höchste Priorität einzuräumen ist, werden auch im Entwurf des Bundeshaushalts 1998 keine ausreichenden Mittel zum Abbau der Arbeitslosigkeit bereitgestellt. Der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit wird wegen des angenommenen geringeren Bedarfs der
297
Die Ergebnisse der Ausschussberatungen werden in der 2. Lesung erörtert und ggf. noch modifiziert,
und in der 3. Lesung erfolgt dann – ähnlich wie in der ersten – typischerweise noch einmal eine
Generaldebatte über die Regierungspolitik und wird über die endgültige Form abgestimmt.
Chart 36 zeigt am Beispiel des Haushalts 1993 die Ergebnispräsentation.
298
Ergebnisse der Haushaltsplanung 2007
Einzelpla
n (Epl.)
Bezeichnung Soll
2006
Entwurf
2007
Veränderung
gegenüber
dem Vorjahr
Mio. € v.H. Mio. € v.H. v.H. 01 Bundespräsidialamt 25,2 0,0 25,1 0,0 -0,5
06 Bundesministerium des Innern 4.359,0 1,7 4.484,4 1,7 +2,9
08 Bundesministerium der Finanzen 4.874,8 1,9 4.599,0 1,7 -5,6
09 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
5.717,9 2,2 6.036,4 2,2 +5,6
11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
119.551,5 45,7 124.410,7 46,0 +4,1
12 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
23.737,3 9,1 24.606,7 9,1 +3,7
14 Bundesministerium der Verteidigung 27.872,5 10,7 28.389,9 10,5 +1,9
32 Bundesschuld 39.114,4 15,0 40.496,4 15,0 +3,5
60 Allgemeine Finanzverwaltung 3.891,7 1,5 4.773,2 1,8 +22,7
Summe Haushalt 261.600,0 100,0 270.500,0 100,0 +3,4 _________________________________________________________
Quelle: BMF (Bundeshaushalt 2007).
299
Ergebnisse der Finanzplanung 2007
Soll Entwurf Finanzplan 2006 2007 2008 2009 2010 Mrd. €
1. Ausgaben 261,6 267,6 274,3 274,9 276,8
2. Einnahmen 223,4 245,6 252,8 253,9 256,3
darunter: 2.1 Steuern 194,0 214,5 218,2 226,0 231,1 2.2 Sonstige 29,4 31,1 34,6 27,9 25,2 3. Finanzierungssaldo 38,2 22,0 21,5 21,0 20,5 4. Deckung des Finanzierungsdefizits:
4.1 Bruttokreditaufnahme (+) 234,1 237,9 242,5 242,0 239,6
4.2 Tilgungen (-) 195,9 215,9 221,1 221,0 219,1
4.3 Nettokreditaufnahme (4.1 minus 4.2) 38,2 22,0 21,5 21,0 20,5
5. Nachrichtlich: Investitionen 23,2 23,5 23,4 23,6 23,3 _________________________________________________________ Quelle: Vgl. Bundesministerium der Finanzen (Der Finanzplan des Bundes 2006 - 2010, S. 9 u. 71).
300
Ist der Haushaltsplan verabschiedet, wird er als Bestandteil des Haushaltsgesetzes verkündet und
geht in die Phase des Vollzugs über:
Der Finanzminister weist den Behörden ihre Mittel zu (Betriebsmittelzuweisung gemäß § 45 BHO), und
diese bewirtschaften sie in eigener Verantwortung. Früher erfolgte die Betriebsmittelzuweisung
"portionsweise" und diente der Liquiditätssteuerung. Durch den EDV-Einsatz ist das
Liquiditätsmanagement heute aber so zielgenau geworden, das hierauf verzichtet werden kann. Mit
der Zuweisung der Gesamtmittel werden deshalb jetzt nur noch allgemeine haushaltspolitische
Anweisungen verbunden. Bei jeder Dienststelle gibt es einen Beauftragten für den Haushalt, der die
Haushaltsüberwachungsliste (HÜL) führt und darüber wacht, dass die haushaltsrechtlichen
Bestimmungen eingehalten werden.
Sollen Zahlungen geleistet werden, muss eine Auszahlungsanordnung, sollen Einnahmen
angenommen, eine Einnahmeanordnung erstellt werden, aufgrund deren eine von der Behörde
getrennte Kasse dann die Zahlung vornimmt bzw. in Empfang nimmt.
301
Sollen Kredite aufgenommen werden, muss im Haushaltsgesetz eine Kreditermächtigung vorgesehen
sein (§ 18 BHO), sollen Verpflichtungen eingegangen werden, eine Verpflichtungsermächtigung (§ 16
BHO).
Außerdem können Ausgaben vom Bundestag bis zum Eintritt bestimmter Bedingungen gesperrt
werden (parlamentarische Sperre gemäß §§ 22 und 36 BHO) oder vom Finanzminister vorübergehend
mit einer haushaltswirtschaftlichen Sperre belegt werden (§ 41 BHO).
All dies zeigt, dass das Haushaltsrecht dem Finanzminister eine wirksame Liquiditätssteuerung
gestattet.
Die Kontrolle der Planausführung ist dreigeteilt:
302
* Im Rahmen der behördeneigenen Verwaltungskontrolle werden von der Behörde selbst –
insbesondere von ihren sogenannten Vorprüfstellen – Kontrollen durchgeführt. Diese genießen
innerhalb ihrer Heimatbehörden ein gewisses Maß an Selbständigkeit und unterliegen den
Weisungen des Bundesrechnungshofes††††.
* Außerdem prüft der Bundesrechnungshof die Haushaltsrechnung nachträglich auf
Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Die sogenannten Mitglieder des Rechnungshofs
(Präsident, Vizepräsident, Abteilungsleiter und Prüfungsgebietsleiter) besitzen richterliche
Unabhängigkeit‡‡‡‡ und fassen ihr Ergebnis in den sogenannten Bemerkungen zusammen, die der
Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet werden (§ 97 BHO).
†††† Vgl. G. KISKER: Staatshaushalt, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Band IV, S. 289.
‡‡‡‡ Vgl. BMF (Hrsg.), Das Haushaltssystem des Bundes, Bonn 1994, S. 63.
303
* Darüber hinaus untersucht er stichprobenmäßig einzelne Aufgabenbereiche und teilt das Ergebnis
dem Finanzminister und dem Parlament in Form von Denkschriften mit. Das
Bundesrechnungshofgesetz ist 1985 novelliert worden§§§§.
* Und schließlich gibt es die politische Kontrolle durch das Parlament, speziell durch den
Rechnungsprüfungsausschuss, der ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses ist. Sie erfolgt
auf der Basis der Bemerkungen des Rechnungshofes, kann aus zwei Gründen aber nicht als
sonderlich effektiv eingestuft werden:
Zum einen liegen eventuelle Verstöße bereits vier und mehr Jahre zurück, und zum anderen hat die
jeweilige Regierungsmehrheit ein Interesse daran, der für die Verwaltung verantwortlichen
Regierung ein untadeliges Verhalten zu bestätigen und sie ordnungsgemäß zu entlasten (§ 114
BHO).
§§§§ Vgl. hierzu G. K ISKER, ebenda, und die dort angegebene Literatur, insbesondere EICHENBOOM (?)/HEUER.
304
Budgetgrundsätze
Als Budgetgrundsätze bezeichnet man eine Reihe von Basisprinzipien der Haushaltsführung, die –
ursprünglich zunächst nur im finanzwissenschaftlichen Schrifttum diskutiert – inzwischen ihren
Niederschlag im Haushaltsrecht gefunden haben und zwei Funktionen erfüllen:
* Sie dienen einem Entwurf des Haushaltsplans als Veranschlagungsgrundsätze, geben also
Hinweise auf formelle und materielle Anforderungen an das Budget, und
* sie dienen beim Vollzug des Haushaltsplans als Interpretationsgrundsätze, geben also Hinweise für
die Klärung von Zweifelsfragen, die im Zuge der Planerfüllung auftauchen können.
Insgesamt sollen sie die Erfüllung der besprochenen Budgetfunktionen sicherstellen. Ob sie das
können, ist umstritten und wird von älteren Finanzwissenschaftlern eher bejaht als von jüngeren. An
sich müssten solche Grundsätze systematisch aus den Ergebnissen dreier Forschungsrichtungen
abgeleitet werden können:
305
* aus der Kollektivgütertheorie, die uns zeigt, wie wir entscheiden und Tarife gestalten müssten, wenn
die Informations- und Entscheidungskosten vernachlässigbar wären,
* aus empirischen Untersuchungen zur Höhe von Informations- und Entscheidungskosten bei
verschiedenen Arten von Willensbildungsverfahren und
* aus der ökonomischen Theorie der Demokratie (ÖTP), die u.a. auch die Anreize und Strategien zur
Verzerrung von Kollektiventscheidungen untersucht, die den verschiedenen Mitgliedern des
politisch-administrativen Systems zur Verfügung stehen.
Behält man diese Vorbehalte im Auge, wird man vielen Grundsätzen insbesondere an ÖTP-Sicht aber
doch nicht ein gewisses Maß an Berechtigung absprechen können. Ich habe deshalb die heute als
gültig betrachteten Grundsätze in Chart 37 zusammen mit den haushaltsrechtlichen Fundstellen
aufgelistet. Zu ihrer Erklärung ist folgendes zu sagen:
306
Budgetgrundsätze
Gesetzliche Grundlage
Bezeichnung
GG (Art.) HGrG (§) BHO (§)
1. Vollständigkeit 110 (1) 8 11
2. Einheit 110 (1) 8 11
3. Öffentlichkeit 110 (2) - 1
4. Non-Affektation (Gesamtdeckung) - 7 8
5. Spezialität - 15/22/27 5/16/19/20/ 37/45/46
6. Ausgleich 110 (1) 17 25
7. Jährlichkeit 110 (2) 8/9 11/12
8. Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit - 6 7
9. Vorherigkeit 110 (2) - 1
10. Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit - 12 17/45
11. Bepackungsverbot 110 (4) - -
GG = Grundgesetz HGrG = Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) BHO = Bundeshaushaltsordnung
307
(1) Der Grundsatz der Vollständigkeit besagt, dass alle Ausgaben und Einnahmen im Budget
veranschlagt werden sollen, und zwar brutto.
Er wendet sich gegen die Existenz schwarzer Kassen und gegen das Saldieren von Ausgaben
und Einnahmen. Solche Maßnahmen würden nämlich alle Budgetfunktionen beeinträchtigen. Eine
allgemein gebilligt Durchbrechung dieses Grundsatzes gilt allerdings für öffentliche Unternehmen:
Dies brauchen im Haushalt nur mit ihrem Gewinn oder Verlust aufgeführt zu werden. Das ist
einerseits verständlich und richtig, denn das Rechnungswesen von solchen Unternehmen müsste
anderenfalls ja an das öffentliche Rechnungswesen angepasst werden und die zusätzlichen
Angaben würden den Haushalt noch dazu unübersichtlich werden lassen; andererseits eröffnet
sich den Politikern hier aber die Möglichkeit, von öffentlichen Unternehmen Dinge erledigen zu
lassen, die sie im Parlament selbst nicht zur Diskussion stellen wollen (z.B. Schuldaufnahme im
Ausland durch die KfWA). Man spricht dann von einer "Flucht aus dem Budget"*****.
***** Vgl. zu diesen Fragen Chr. Smekal, Die Flucht aus dem Budget, Wien 1977.
308
(2) Der Grundsatz der Einheit verlangt die Veranschlagung in einem einzigen Budget, da allerdings
kein Einheitsbudget zu sein braucht, sondern z.B. in einen Verwaltungs- und einen
Vermögenshaushalt gegliedert werden kann.
Was der Grundsatz verhindern will, ist die schwer zu kontrollierende "Töpfchenwirtschaft", die sich
ergeben würde, wenn für verschiedene Verwaltungseinheiten unterschiedliche Budgets aufgestellt
würden, die in verschiedenen Gremien und/oder Sitzungen verabschiedet und in verschiedenen
Drucksachen veröffentlicht würden. In der Praxis wird dieser Grundsatz häufig mit Hilfe öffentlicher
Unternehmen - vor allem der öffentlichen Kreditinstitute - und mit Hilfe der Parafiski umgangen,
deren Einnahmen und Ausgaben wie gesagt nur netto in das Budget eingehen. Auf diese Weise
kann man - politisch gesehen - verdeckt und ohne parlamentarische Kontrolle Einnahmen
(einschließlich Schulden) erzielen und Ausgaben wie etwa Subventionen tätigen. Als Beispiel mag
eine 1987 erfolgte Schuldaufnahme des Bundes in Milliardenhöhe genannt werden, die im
Bundesetat lediglich mit übernommenen Zinsverpflichtungen in Höhe von rd. 200 Mio DM erschien
und folglich relativ problemlos aussah.
309
Antwort der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen zur aktuellen Verschuldungssituation (1999)
1990 1991 1992 1993 1994 1995 19964 19974 19984
Haushalt Mrd. DM
Bund
Nettokreditaufnahme 46,7 52,0 38,6 66,2 50,1 50,1 78,3 63,7 56,4 Schuldenstand5 542,2 586,0 606,7 685,3 712,5 754,3 833,2 899,1 954,4 Zinsausgaben6 34,2 39,6 43,8 45,8 53,1 49,7 50,9 53,4 56,2
Länder (West)2) Nettokreditaufnahme 18,2 18,7 15,5 20,6 19,6 23,1 25,9 28,6 . Schuldenstand5 326,4 344,6 364,7 391,3 409,5 438,7 468,8 498,1 517 Zinsausgaben6 21,9 23,8 25,1 26,2 26,7 27,1 27,8 28,9 30
Länder (Ost)2) Nettokreditaufnahme . 11,5 16,2 20,0 20,6 15,5 13,3 11,6 . Schuldenstand5 . 3,6 19,3 37,3 51,2 64,6 78,6 88,2 98 Zinsausgaben
6 . 0,2 0,5 2,0 3,1 4,2 5,2 6,1 6
310
Antwort der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen zur aktuellen Verschuldungssituation (1999)
1990 1991 1992 1993 1994 1995 19964 19974 19984
Haushalt Mrd. DM
Gemeinden (West)2)
Nettokreditaufnahme 2,9 5,6 7,8 9,4 3,1 5,6 4,7 3,0 .
Schuldenstand5 114,4 119,6 126,6 134,1 136,3 139,4 141,5 140,6 138
Zinsausgaben6 7,7 8,5 9,4 9,9 9,8 9,6 9,6 9,2 9
Gemeinden (Ost)
2)
Nettokreditaufnahme . 6,2 5,7 6,0 4,2 3,0 1,5 1,7 .
Schuldenstand5 . 7,6 12,3 18,3 23,3 26,3 27,6 29,2 30
Zinsausgaben6 . 0,2 0,5 1,0 1,3 1,5 1,7 1,7 2
ERP-Sondervermögen Nettokreditaufnahme 2,2 7,0 8,0 3,9 - 0,2 6,2 - 0,1 - 0,5 0,5
Schuldenstand5 9,3 16,3 24,3 28,1 27,9 34,1 34,0 33,6 34,1
Zinsausgaben6 0,5 0,8 1,3 2,1 2,4 2,3 2,6 2,5 2,5
311
Antwort der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen zur aktuellen Verschuldungssituation (1999)
1990 1991 1992 1993 1994 1995 19964 19974 19984
Haushalt Mrd. DM
Fonds "Deutsche Einheit"
Nettokreditaufnahme 20,0 31,0 23,6 13,4 3,4 - 2,3 - 2,7 - 3,3 - 0,7
Schuldenstand5 19,8 50,5 74,4 87,7 89,5 87,1 83,5 79,7 79,3
Zinsausgaben6 0,0 2,1 4,4 6,4 7,1 7,2 6,8 6,2 5,9
Kreditabwicklungsfonds
Nettokreditaufnahme . - 0,6 - 0,5 0,1 - 0,0 . . . .
Schuldenstand5 27,6 27,5 91,7 101,2 102,6 . . . .
Zinsausgaben6 0,0 1,7 15,3 8,4 5,4 . . . .
Bundeseisenbahnvermögen Nettokreditaufnahme . . . . 5,4 7,0 - 0,6 - 0,5 - 0,0
Schuldenstand5 . . . . 71,2 78,4 77,8 77,3 77,2
Zinsausgaben6 . . . . 4,8 5,1 5,3 5,2 5,1
312
Antwort der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen zur aktuellen Verschuldungssituation (1999)
1990 1991 1992 1993 1994 1995 19964 19974 19984
Haushalt Mrd. DM
Erblastentilgungsfonds
Nettokreditaufnahme . . . . . -10,2 - 10,9 - 6,7 - 24,2
Schuldenstand5 . . . . . 328,9 323,5 322,0 305,0
Zinsausgaben6 . . . . . 21,5 20,2 18,2 16,4
Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes
3
Nettokreditaufnahme . . . . . . 0,9 0,1 0,7
Schuldenstand5 . . . . . 2,2 3,1 3,2 4,3
Zinsausgaben6 . . . . . . 0,1 0,1 0,1
Öffentlicher Gesamthaushalt2,7
Nettokreditaufnahme 90,1 131,3 114,8 139,5 106,1 97,9 110,3 97,8 .
Schuldenstand5 1 048,8 1 165,5 1 331,5 1 499,2 1 645,1 1 976,1 2 093,6 2 191,3 2 258
Zinsausgaben6 64,3 76,8 100,3 101,7 113,6 128,5 130,2 131,5 134
313
Antwort der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen zur aktuellen Verschuldungssituation (1999)
Fußnoten
1) Negatives Vorzeichen bedeutet Nettotilgung.
2) Bis 1996 einschließlich Krankenhäuser; Länder (West) einschließlich West-Berlin, Länder (Ost) einschließlich Ost-Berlin.
3) Schulden des Fonds werden erst ab 1995 im Schuldenstand der öffentlichen Haushalte berücksichtigt.
4) Ergebnisse der Kassenstatistik. Zum Teil (Zinsausgaben) Schätzungen.
5) Stichtag jeweils 31. Dezember; "Kreditmarktschulden im weiteren Sinn" (einschließlich Ausgleichsforderungen; ohne Schulden bei öffentlichen Haushalten, innere Darlehen, Kassenverstärkungskredite, kreditähnliche Rechtsgeschäfte, Bürgschaften und sonstige Gewährleistungen).
6) Zinsausgaben an andere Bereiche.
7) Summe enthält zusätzlich die Zweckverbände sowie den Entschädigungsfonds. .
314
Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/851. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hans Georg Wagner, Klaus Hagemann, Manfred Hampel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Oswald Metzger, Matthias Berninger, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 22. 04. 99.
315
Man muss allerdings sagen, dass der Grundsatz der Einheit nur so lange plausibel erscheint, wie
alle Einnahmen gemeinsam zur Deckung aller Ausgaben herangezogen werden (worauf gleich
noch einzugehen ist). Wäre es so, dass direkt von den Bürgern kontrollierte Spezialverbände
existierten, bei denen die einzelnen Bürger auch einen Einfluss auf die Tarifgestaltung und auf die
bereitgestellte Kollektivgutmenge hätten, müsste man anders urteilen. Auf jeden Fall vermeiden
sollte man jedoch kontrollferne Gebilde mit eigenen, zwangsfinanzierten Haushalten.
(3) Der Grundsatz der Öffentlichkeit wendet sich gegen die Existenz von Geheimfonds und verlangt
eine aktive Öffentlichkeitsarbeit.
Geheimfonds werden manchmal auch als „Reptilienfonds“ bezeichnet. Dies geht auf eine
Ausdrucksweise Bismarcks zurück. Dieser hatte nach dem Sieg bei Königgrätz und der
Einverleibung Hannovers durch die Preußen (1866) einen Fonds zur Entschädigung der Welfen
(des Hauses Hannover) gegründet. Bis dieser seinen endgültigen Zweck zugeführt wurde,
benutzte Bismarck die Zinserträge, um die Bestellung von hilfreichen Zeitungsveröffentlichungen
zu betreiben. Journalisten – insbesondere solche, die seiner Regierung kritisch gegenüberstanden
316
– bezeichnete er als „Reptilien“. Der Fonds für ihre (geheime) Beeinflussung wurde deshalb
spöttisch „Reptilienfonds“ genannt.
Heute werden Geheimfonds nur für die Fälle zugelassen, in denen eine Veröffentlichung Schaden
für die Bundesrepublik mit sich brächte. Für solche Ausnahmefälle ist ein besonderes
Prüfverfahren vorgesehen.
(4) Das Prinzip der Non-Affektation verbietet die Zweckbindung von Einnahmen und verlangt, dass
alle Einnahmen zur Deckung aller Ausgaben dienen sollen.
Dadurch soll die Wirtschaftlichkeit gefördert werden: Man will, dass alle Ausgaben miteinander um
einen Anteil an der Haushaltssumme konkurrieren und dass es keine Ausgaben gibt, die nur
deshalb getätigt werden, weil ihnen kräftig sprudelnde Einnahmequellen zugeordnet sind. Eine
Durchbrechung dieses Prinzips stellt z.B. die Zweckbindung eines Teils der Mineralölsteuer für
Straßenbaumaßnahmen dar.
317
Dies ist auch zweckmäßig, denn bei dieser Zweckbindung handelt es sich um die Kopplung von
Einnahmen aus der Nutzung von Individualgütern (hier: PKW-Nutzung und damit verbundene
Mineralölsteuereinnahmen), für die es komplementäre Kollektivgüter gibt (Straßen). In solchen
Fällen ist eine Durchbrechung des Zweckbindungsverbotes wohl immer rational. Aber auch sonst
muss man sagen, dass es nicht nur Gründe für den Grundsatz der Non-Affektation gibt, sondern
auch solche gegen ihn gibt und dass die Kollektivgütertheorie eher für mehr Spezialverbände mit
eigenen Tarifen spricht (was ja als eine spezielle Form von Zweckbindungen aufgefasst werden
kann).
(5) Der Grundsatz der Spezialität ist vielschichtig und muss - soll er nicht Unwirtschaftlichkeit zur
Folge haben - mehrfach durchbrochen werden. Ich habe ihn in Chart 39 näher erläutert. Zum
besseren Verständnis zwei Anmerkungen:
318
* Zur qualitativen Spezialität: In qualitativer Hinsicht verbietet der Spezialitätsgrundsatz, dass Titel
prinzipiell als gegenseitig deckungsfähig behandelt werden. Will man dies beurteilen, muss man
bedenken, dass Titel nicht Funktionen, sondern Ausgabenarten kennzeichnen, und d.h., dass sich
die Nichtdeckungsfähigkeit auch gegen eine Substitution von Produktionsfaktoren richten kann, die
im Hinblick auf den gleichen Outputzweck eingesetzt werden soll. Das ist ökonomisch bedenklich.
Beispiele unsinnigen Verhaltens ergeben sich etwa, wenn Titel für Kraftstoff und für
Bundesbahnfahrten bei der Produktion von Verteidigungsleistungen nicht gegenseitig
deckungsfähig sind und Panzer deshalb (wie tatsächlich geschehen) auf die Bahn verladen werden,
um beim Marsch zur Übung besonders knappes Benzin einsparen zu können. Gäbe es diesen
Grundsatz andererseits überhaupt nicht, sondern nur sein Gegenteil - einen Globaletat für ein
Ministerium -, so könnte sich die Verwaltung sehr stark vom Willen des Parlaments lösen.
* Zur quantitativen Spezialität: Siehe Chart 39.
319
Der Grundsatz der Spezialität: Dimensionen und Durchbrechungen
Dimension Durchbrechnung Erlaubnis zur Durchbrechnung
(1) qualitative Spezialität
(§ 27 HGrG/§ 45 BHO)
Virements, d.h. Nutzung von Ausgaben des Titels A zur Finanzierung von Ausgabenarten des Titels B
Erklärung der ein- oder zweiseitigen Deckungsfähigkeit [§ 15 (2) HGRG/§§ 20 und 46 BHO]
(2) quantitative Spezialität
(§ 37 BHO)
a) überplanmäßige Ausgaben
(= Überschreiten eines Etatansatzes)
b) außerplanmäßige Ausgaben
(= Ausgaben ohne Etatansatz)
a) Bei unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnissen und nach Zustimmung des Finanzministers .(§ 37 BHO)
b) Im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung (§ 5 BHO)
(3) temporäre Spezialität
(§ 22 HGrG/§ 16 BHO)
a) Verpflichtungen
b) Übertragungen von Ausgabenresten (d.h. nicht verbrauchten Mitteln) in das folgende Rechnungsjahr (Ausgabenreste dürfen nicht mit Kassenresten verwechselt werden. Letztere sind Soll-Ist-Differenzen in der Kassenrechnung, die aufgrund von Verzögerungen bei der Ausführung von Auszahlungsanweisungen oder Einnahmeanordnungen entstanden
a) Verpflichtungsermächtigungen (§ 22 HGrG/§ 16 BHO) b) Erklärung der Übertragbarkeit
(§ 15 HGrG/§ 19 BHO)
321
* Zur temporären Spezialität: Die grundsätzliche Nichtübertragbarkeit betrifft das Haushaltsjahr (=
Rechnungsjahr). Dies gilt nach der BHO auch dann, wenn Mehrjahreshaushalte aufgestellt werden,
die ja einen Bewilligungszeitraum (t Haushaltsjahr) von zwei Jahren enthalten (vgl. hierzu § 45 (1)
BHO und den Kommentar dazu). Gäbe es den Grundsatz der temporären Spezialität nicht, könnte
es z.B. dazu kommen, dass viele Verwaltungen ihre Mittel unkoordiniert von einem Jahr auf das
andere verschieben, dass sie sich durch "Ansparen" vom Willen der Parlamente lösen, dass auf den
Finanzminister aus der Auflösung solche "Ersparnisse" unerwartete Liquiditätsanforderungen
zukommen und dass sich hier aus Konjunkturschwankungen erzeugende Minderausgaben und
Mittelüberflüsse in einem Jahr 1 sowie Mehrausgaben und eventuell auch Kreditbedarfe in einem
Jahr zwei ergeben.
(6) Der Ausgleichsgrundsatz wurde früher so interpretiert, dass man einerseits realistische und
genaue Einnahmeschätzungen und andererseits den Ausgleich des ordentlichen Haushalts
forderte, d.h. verlangte, dass alle nicht rentablen Ausgaben durch ordentliche Einnahmen - im
wesentlichen also Steuern - gedeckt würden.
322
Das zweite Postulat ist mit der Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes
zugunsten der Forderung nach einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik aufgegeben worden.
Deshalb stellt der Ausgleichsgrundsatz heute einerseits nur noch eine Modifikation des
Genauigkeitsgrundsatzes dar: Der Haushaltsausgleich - der formal bei Einrechnung der Kredite
unter die Einnahmen natürlich immer gewährleistet ist, weil der Einnahmen- und Ausgaben
ausgleichende Finanzierungssaldo ja Bestandteil des Budgets ist - sollte auf der Basis realistischer
Einnahmeschätzungen zustande kommen, und die vorgesehenen Kredite sollten in der
angegebenen Form beschaffbar sein und in ihrer Höhe ebenfalls eine realistische Schätzung
darstellen.
Andererseits ist aber weder nach dem Konzept der antizyklischen Fiskalpolitik noch nach Art. 115
GG ein schrankenloses Budgetdefizit gestattet. Deshalb kann man auch sagen, dass der
Ausgleichsgrundsatz verlangt,
323
* dass die Normalverschuldensgrenze gemäß Art. 115 GG in Zeiten ohne Bedarf für
Konjunkturprogramme eingehalten wird und
* dass Konjunkturprogramme so ausgestaltet werden, wie es dem Stand des ökonomischen
Wissens entspricht.
Beides kann nur schwer gerichtlich eindeutig überprüft werden, sollte aber wenigstens tendenziell
eingehalten werden und ist in diesem groben Sinn auch prüfbar.
(7) Der Jährlichkeitsgrundsatz verbietet nicht etwa Mehrjahresbudgets; er verlangt lediglich, dass die
Haushaltsansätze auch innerhalb solcher Budgets nach Jahren getrennt werden. Das soll
verhindern, dass die Verwaltung zu viel zeitliche Bewegungsfreiheit gewinnt. Würde er nicht
aufgestellt, könnte der Grundsatz der zeitlichen Spezialität durch Viel-Jahresbudgets ausgehöhlt
werden.
324
(8) Dass das Haushaltsgebaren des Staates sparsam und wirtschaftlich sein soll, ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit: Das Sparsamkeitsgebot verlangt, dass Ausgaben nur geleistet werden,
wenn es unbedingt erforderlich ist, d.h. dass bei einem Ausgabenziel dasjenige Realisationsniveau
gewählt wird, das gerade eben noch befriedigend ist; das Wirtschaftlichkeitsgebot fordert dagegen
die Realisation des ökonomischen Prinzips, hier - wegen des vorgegebenen Zielniveaus - in seiner
Minimumvariante.
Beide Postulate können miteinander kollidieren, weil es Kosten gibt, die keine Ausgaben
darstellen, und weil das Einsparen von Ausgaben mit einem Kostenanstieg verbunden sein kann.
Wenn man z.B. das Ausbessern von Frostschäden aus Sparsamkeitsgründen (bzw.
Liquiditätsmangel) unterlässt, wird man in den Folgejahren überproportional höhere Kosten haben;
und wenn man alle Bibliotheken einer Universität zentralisiert, lassen sich dadurch
Mehrfachbeschaffungen vermeiden und Ausgaben einsparen; das Ausleihen von Büchern wird für
das wissenschaftliche Personal damit wegen der längeren Wege und Warteschlangen aber viel
zeitaufwendiger, und deshalb ist es mehr als fraglich, ob solch eine Maßnahme zur Einsparung
von Haushaltsmitteln wirtschaftlich wäre.
325
(9) Dass der Haushalt im Vorhinein verabschiedet werden soll, ist angesichts seiner Planungs- und
Steuerungsfunktion ebenfalls selbstverständlich. In der Praxis ist es allerdings zum ersten Mal
1979 gelungen, den Haushalt für das kommende Jahr rechtzeitig - also vor Beginn des
Haushaltsjahres - zu verabschieden. In allen anderen Jahren musste man zum Hilfsmittel der
vorläufigen Haushaltsführung greifen.
(10) Wahrheit, Klarheit und Genauigkeit sind ebenfalls Selbstverständlichkeiten. Dessen ungeachtet
besteht in der Praxis stets die Versuchung, sich durch möglichst vage Formulierungen
Handlungsfreiheit zu verschaffen. Probleme bei der Realisation des Grundsatzes ergeben sich
insbesondere bei der Schätzung der Ausgaben, die mit bestimmten größeren Projekten verbunden
sind und bei der Einnahmenschätzung. Hierauf gehe ich im folgenden Gliederungspunkt ein.
326
(11) Das Bepackungsverbot bezieht sich nicht unmittelbar auf den Haushaltsplan, sondern auf das
Haushaltsgesetz.
Es verbietet, in das Haushaltsgesetz außer dem Haushaltsplan Vorschriften aufzunehmen, die
sich nicht auf Einnahmen oder Ausgaben beziehen und/oder die einer Zustimmung des
Bundesrates bedürfen und somit dem Charakter des Haushaltsgesetzes als nicht
zustimmungsbedürftiges Gesetz widersprechen (sachliches Bepackungsverbot) oder die für einen
anderen Zeitraum als den der Gültigkeit des Haushaltsplans gelten (zeitliches Bepackungsverbot).
Es ist allerdings zulässig, das Außerkrafttreten von Vorschriften im Haushaltsgesetz vom
Inkrafttreten des nächsten Haushaltsgesetzes oder dem Eintritt eines bestimmten Termins
abhängig zu machen (Art. 110 Abs. 4 Satz 2 GG). Der Sinn des Verbots besteht darin, den
Zeitdruck, unter dem das Parlament bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes zu stehen
pflegt, nicht durch zusätzliche "Bepackungen" noch zu verstärken†††††.
††††† Vgl. K. Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, München 1980, S. 1252 f.
327
Mittelfristige Finanzplanung
Die Mittelfristige (oder Mehrjährige) Finanzplanung stellt einen im Gegensatz zum Budget rechtlich
(nicht jedoch politisch) unverbindlichen Plan dar, der den jeweiligen Haushaltsplan in einen
Mehrjahreszeitraum einbettet und das längerfristige finanzpolitische Programm der Regierung
aufzeigen soll. Gesetzliche Grundlage sind die §§ 9, 10, 11 und 14 StWG sowie die §§ 50, 51 und 52
HGrG. Die Planungsperiode beträgt 5 Jahre. über das zugehörige Haushaltsjahr hinaus werden jedoch
nur 3 Jahre geplant, weil das zur Zeit der Planaufstellung laufende Haushaltsjahr (das ja ein Jahr vor
dem zugehörigen Haushaltsjahr liegt) als erstes Jahr der Planung gilt (§ 50 (2) HGrG). Wie Chart 40
zeigt, ist der zum Bundeshaushalt 2007 gehörende Finanzplan ist 2006 aufgestellt worden und
umfasst die Jahre 2006, 2007, 2008, 2009 und 2010.
328
Ergebnisse der Finanzplanung 2007
Soll Entwurf Finanzplan
2006 2007 2008 2009 2010
Mrd. € 1. Ausgaben 261,6 267,6 274,3 274,9 276,8
2. Einnahmen 223,4 245,6 252,8 253,9 256,3
darunter:
2.1 Steuern 194,0 214,5 218,2 226,0 231,1
2.2 Sonstige 29,4 31,1 34,6 27,9 25,2
3. Finanzierungssaldo 38,2 22,0 21,5 21,0 20,5
4. Deckung des Finanzierungsdefizits:
4.1 Bruttokreditaufnahme (+) 234,1 237,9 242,5 242,0 239,6
4.2 Tilgungen (-) 195,9 215,9 221,1 221,0 219,1
4.3 Nettokreditaufnahme (4.1 minus 4.2) 38,2 22,0 21,5 21,0 20,5
5. Nachrichtlich: Investitionen 23,2 23,5 23,4 23,6 23,3 _________________________________________________________
Quelle: Vgl. Bundesministerium der Finanzen (Der Finanzplan des Bundes 2006 - 2010, S. 9 u. 71).
329
Die Mehrjährige Finanzplanung soll im Grunde genommen den gleichen Zielen wie das Budget dienen.
Sie hat jedoch die spezielle Aufgabe, diejenigen Mängel zu heilen, die aus der Kurzfristigkeit der
Budgetperiode resultieren. Es ist üblich, ihre Zwecke in Anlehnung an den Neumarkschen
Funktionenkatalog zu gliedern (Chart 31):
* Sie soll die Dynamik sichtbar machen, die in manchen Haushaltsansätzen steckt
(finanzwirtschaftliche Funktion). Diese Dynamik kommt dadurch zustande, dass die
Ausgabenschwerpunkte mancher Investitionsobjekte in der Zukunft liegen, dass es Folgekosten von
Investitionen gibt und dass manche Leistungsgesetze mit wachsenden Ausgaben verknüpft sind.
Das Sparprämiengesetz wurde z.B. 1959 beschlossen, erforderte 1960 Ausgaben in Höhe von 0,1
Mio DM, belastete den Etat 1975 aber bereits mit 2,3 Mrd DM. Inzwischen ist das Programm so oft
geändert und in unterschiedliche Teilprogramme aufgesplittet worden, dass man ohne mühevolle
Untersuchungen keine eindeutige Weiterentwicklung mehr feststellen kann.
* Außerdem soll sie den mittelfristigen Ausgaben- und Einnahmenrahmen und die Schwerpunkte des
mittelfristigen Regierungsprogramms zeigen (politische Funktion).
330
Was ein finanzpolitischer Schwerpunkt ist, sollte man nicht danach ermessen, was von den
Politikern so genannt wird. Die Politiker neigen nämlich dazu, jedem Bürger zu versichern, dass
gerade seine Belange Schwerpunkte ihrer Tätigkeit bildeten, und damit praktisch alle Tätigkeiten zu
Schwerpunkten zu erklären‡‡‡‡‡. Wir Volkswirte sollten uns deshalb mehr an den Taten als an den
Worten orientieren und anhand von Kennziffern beurteilen, was politische Schwerpunkte in einer
bestimmten Planperiode waren oder sein sollen.
* Ein drittes Hauptanliegen der Mittelfristigen Finanzplanung besteht schließlich darin, dass sie einen
Rahmen für die mittelfristigen und nach Dringlichkeit gegliederten Investitionsprogramme darstellt,
die von den Ressorts aufgestellt werden (§ 10 StWG) und gem. § 11 StWG als
Schubladenprogramme für den Fall eines Konjunkturabschwunges dienen sollen
(stabilitätspolitische Funktion).
‡‡‡‡‡ Vgl. K. Schmidt - E. Wille, Die mehrjährige Finanzplanung. Wunsch und Wirklichkeit, Tübingen 1970.
331
Bei der Aufstellung des Mittelfristigen Plans in den Referaten, geht man genau wie bei der
Haushaltsplanung vor und schreibt die Budgets einfach für künftige Jahre fort. Für die
Veröffentlichungsfassung werden die Zahlenangaben dann allerdings stark komprimiert. Dies war
ursprünglich nicht so vorgesehen, hat sich aber allein schon daraus ergeben, dass der Plan
gemeinsam mit dem zugehörigen Budget entworfen wird und den Haushaltsplan bis zur
Verabschiedung im Kabinett begleitet. Dabei werden die Empfehlungen des Finanzplanungsrats
berücksichtigt, der die Finanzpläne der einzelnen Gebietskörperschaften aufeinander abstimmen soll.
Von der Bundesregierung wird der Finanzplan dann Bundestag und Bundesrat zur Kenntnis (nicht
jedoch zur Verabschiedung) zugeleitet. Eine Vollzugsverbindlichkeit besteht nicht, und deshalb entfällt
auch die Verwaltungskontrolle. Faktische Wirkungen kommen dem Plan aber deshalb zu, weil der
Finanzminister bei der Budgetplanung regelmäßig anordnet, dass die Finanzplanungsansätze für das
jeweilige Haushaltsjahr zu übernehmen sind, wenn keine guten Gründe für Abweichungen vorgebracht
werden können.
Kritisiert werden an der Mittelfristigen Finanzplanung hauptsächlich 6 Punkte (vgl. SCHMIDT-WILLE,
a.a.O.), nämlich
332
(1) dass die Abstimmung der Finanzpläne der einzelnen Gebietskörperschaften einmal aufgrund der
schwachen Stellung des Finanzplanungsrates und mangels eines Einigungszwangs und zum
anderen deswegen unzureichend ist, weil die Umsetzung der gesamtwirtschaftlichen Daten in
Positionen von Länder- und Kommunalhaushalten schwierig und oft auch von politischem
Wunschdenken gefärbt ist;
(2) dass die eigentlichen Schwerpunkte von der Regierung nicht deutlich herausgearbeitet werden;
(3) dass einige Ressorts(z.B. Verteidigung, Verkehr) längerfristige Pläne aufstellen müssen und diese
durch die Mittelfristige Finanzplanung nicht koordiniert werden;
(4) dass aufeinanderfolgende Finanzpläne wegen wechselnder Systematiken und Bezeichnungen oft
nicht miteinander vergleichbar waren;
(5) dass der Finanzplan an dem gleichen Mangel krankt, der auch schon beim Budget moniert wurde:
an der Ausgaben- statt Kosten- und Leistungsbezogenheit, und
(6) dass die Finanzpläne in der Praxis meist nur mechanische Prolongationen der bisherigen
Budgetentwicklungen darstellen, dass an oberster Stelle also nicht vom Parlament formulierte
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