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VON UTE WOLTRON GARTEN KRALLE Der Mensch muss warten können: Gut Gerät braucht Weile Gartenschere. Nichts geht über ein wirklich funktionales, bis ins letzte Detail durchdachtes Werkzeug, auch wenn es sich dabei um einen scheinbar einfachen Alltagsgegenstand handelt. Mit Glück und Geduld findet man so etwas doch noch. F rüher sei alles besser gewe- sen, sagen die Leute, aber man soll sehr vorsichtig mit solchen Verallgemeinerungen sein. Dass aber heute auch nicht alles besser ist als früher, steht genauso fest. Idealerweise pickt man sich das Gute aus allen Zeiten heraus, pfeift auf die Sprüche und lebt im Jetzt so zufrieden wie nur möglich. Eine Tugend der noch gar nicht alten Vergangenheit war je- doch die Wertschätzung der Quali- tät diverser Gebrauchsgegenstän- de. Scheinbar einfache, mechani- sche Werkzeuge wurden in höchs- ter Güte für den langjährigen Ge- brauch hergestellt. Solche kriegt man heute, wo es alles im Über- fluss zu geben scheint, nicht mehr selbstverständlich in ebendieser Qualität. Auf die passte man auf. Vor denen hatte man Respekt. Die waren was wert. Alles war was wert. Als bei- spielsweise vor langen Jahren eine Fuhre verrotteten Mistes dieses Grundstück erreichte, fand man darin beim Mistbreiten ein perl- muttschimmerndes Gebiss, das in seiner Nacktheit ewig zu lächeln schien. Das war nur auf den ersten Blick erheiternd. Gleich darauf überkam vor allem die Älteren und gebisstechnisch Erfahreneren un- ter uns die Sorge. Der arme Mensch!, riefen die, wie soll der denn jetzt zurecht kommen, ohne seine Dritten? Hätte man gewusst, welchem alten Bauern, welcher Bäuerin das Gebiss in die Mistgru- be gefallen war, wäre man hinge- eilt und hätte die unverhofft aufge- tauchte Kauhilfe, wahrscheinlich dezent in ein stoffenes Schneuz- tuch gewickelt, zurückgebracht. Zur selben Zeit assistierte ich regelmäßig meinem Großvater beim Beschneiden der Obstbäume – einer Tätigkeit, die er für so ele- mentar hielt, dass er ihr, entgegen baumschulmeisterlichen Rates, rund um das Jahr nachging. Als Mittel zum Zweck führte er stets ein und dieselbe Gartenschere mit sich. Die war silbrig glänzend und hatte vorne zwei rundlich geformte Schneidblätter, die aussahen wie das Maul von Fips dem Affen. Diese Schere war ihm heilig, die lag niemals im Tau oder Regen herum, die wurde geölt, geschlif- fen und überdauerte Jahrzehnte. Wohin sie verschwunden ist, frage ich mich, seit der Großvater selig aufgehört hat, Bäume zu schnei- den. Auf der Suche nach Ersatz versuchte ich an den eigenen Obstbäumen zahllose Produkte der zeitgenössischen Gartensche- renindustrie aus Nah und Fern und Ost. Ich wurde in Form eines nachgebauten Modells nur teils fündig. Das war nicht schlecht, reichte an Schneidkraft, Handlich- keit und Detailraffiness, jedoch nicht an das Original heran. Neue Suchhilfe für Altes: Internet Doch der Mensch muss warten können. Eines Tages, um genau zu sein, gestern, reichte mir der Nach- bar unverhofft eine neue, silbern schimmernde Gartenschere. Das sei seiner Meinung nach genau das großväterliche Modell, aufgefun- den in den virtuellen Weiten des Internets. Darauf eingraviert, ein Löwe auf einem Zahnrad. Irgend- wo in den Abgründen meines Ge- hirnes passierte etwas. Vor mir selbst verborgen, war dieser Löwe jahrzehntelang dort irgendwo ge- hockt, ohne mein Wissen, und als er in Metall graviert vor mir lag, sprang er mit einem Satz aus der tiefsten Vergangenheit ins Heute. Es kann überhaupt kein Zwei- fel daran bestehen, dass diese Schere das Original und die Groß- vaterschere ist. Sie wurde sofort zur Anwendung gebracht und für exzellent befunden. Nie wieder will ich mit irgendwelchen Billiggar- tenscheren meine Zeit verplem- pern. Siebzehn von ihnen wiegen eine wirklich gute Schere nie auf. Allerdings werden die Geschäfte rar, in denen man ebendiese, seit Beginn der Kolumne hier ange- sprochene Qualität bekommt. Eines der wenigen hat sich in Wimpassing erhalten und heißt „Eisenhandlung Zingl“. Gepriesen sei diese Boutique des Handwerks und des Gartens! Ob es die vom Nachbarn im Internet aufgetriebe- ne Löwe-Schere dort gibt, muss ich erst erfragen. Könnte leicht sein. Der Zingl hat normalerweise alles, was gut ist und was es in den gro- ßen Baumärkten nicht gibt. Als ich vor einiger Zeit eine Maurerkelle verlangte, wurde ich gefragt: Welche? Keine Ahnung. Gibt es verschiedene? Ich erntete indigniertes Lächeln, wurde in den Keller geführt, eine Rüstkammer, in der endlos Maurerkellenmodel- le glänzten wie schimmernde Har- nische. Sie empfehle die aus Stahl. Mittlere Größe. Holzgriff. So die alte Frau Zingl. Die halte ewig. So soll es sein. Vererben möchte ich meine Maurerkelle. Nicht weghau- en wie alles, alles, alles. Die Schere für die Laube Wo auch immer Sie die jetzt herkriegen wollen: Die Garten- schere mit dem Amboss-Prinzip – ziehender Schnitt gegen fest stehende Unterlage – wurde 1923 von Walther Schröder erfunden. Das Modell „Löwe 1“ wird seither mit nur geringen Veränderungen produziert. Ich bilde mir ein, dass die Griffe in den 1970er-Jahren nicht glatt, sondern geriffelt waren. Doch das werde ich schon auch noch herausfinden.

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VON UTE WOLTRON

GARTENKRALLE

Kornel Mundruczoschändet CoetzeesRoman „Schande“Bei den Wiener Festwochen bestätigt derungarische Regisseur, wie gern sichProvokation und Dilettantismus paaren.

Kornel Mundruczo und seine BudapesterTheatertruppe, zum vierten Mal en suite zuden Wiener Festwochen eingeladen, sindwahre Wiederholungstäter. Vor zwei Jahrenmissbrauchten sie Vladimir Sorokins Ro-man „Eis“ für eine langatmige Serie vonPornografie, Brutalität und Laienspiel. Siehaben nichts dazugelernt, denn auch dieDramatisierung von J. M. Coetzees Roman„Disgrace“, die am Donnerstag in Wien als„Szegyen/Schande“ (Ungarisch mit deut-schen Übertiteln) Premiere hatte, ist zweipausenlose Stunden lang abartig, dilettan-tisch und so unübersichtlich wie die Bühne(Marton Agh) aus Sperrmüll, der mit Erde,Käfigen und Monitoren angereichert wurde.

Wo die Prosa des südafrikanischen No-belpreisträgers nicht nur bewegt, sondernauch Einsicht bringt, ist diese Umsetzungroh. Wo Coetzee Rassenprobleme vorführt,ist sie rassistisch unter dem Deckmantelder Kritik. Wo im Roman Beziehungen sub-til gezeichnet sind, etwa zwischen dem Va-ter als Täter und der Tochter als Opfer vonMissbrauch, herrscht bei der Aufführungübelster Sexismus. Das Rudel lebt, halb-nackt wird gebellt und gewinselt. Vergewal-tigungen zelebriert Mundruczo explizit, mitBlut, Dreck und Schlägen. Da ist sogar dasKöpfen eines Hundes eine Erholungspause.Wenn die Darsteller Schwarzafrikaner spie-len, setzen sie sich Afroperücken auf undmachen auf primitiv. Die Witze kommenaus der untersten Schublade. Keine Angst:Weißer Mann will nur Spaß! Wir sind dochdie ideologisch Guten, die den Imperialis-mus aufdecken, indem sie seine immanen-te Menschenverachtung geil überzeichnen.

Ein schöner Dienst: Hund einschläfernDas Ganze wirkt wie die Retro-Veranstal-tung einer Putztruppe, die mit Gewalt ge-gen Gewalt demonstriert. Nur kurze Sze-nen heben sich auffällig ab von diesemAuftragswerk, das beweisen will, welch bö-ses Vieh der Mensch, welch armer Hunddas Tier sei: Es sind Gesangsnummern undharte Videosequenzen, die aber doch Dis-tanz zur Gewalt schaffen. Schön anzu-schauen ist es auch, wenn sich ProtagonistLurie (Sandor Zsoter) und Mrs. Shaw (LiliMonori) um verwahrloste Hunde küm-mern, die zu Hunderttausenden von flüch-tenden Weißen im neuen Südafrika zu-rückgelassen wurden. Die ärmsten Tierewerden eingeschläfert – im Ambiente die-ser „Schande“ wohl die beste Lösung. norb

Der Mensch muss warten können: Gut Gerät braucht WeileGartenschere. Nichts geht über ein wirklich funktionales, bis ins letzte Detail durchdachtes Werkzeug, auch wenn es sich dabei um einen scheinbareinfachen Alltagsgegenstand handelt. Mit Glück und Geduld findet man so etwas doch noch.

F rüher sei alles besser gewe-sen, sagen die Leute, aberman soll sehr vorsichtig mit

solchen Verallgemeinerungen sein.Dass aber heute auch nicht allesbesser ist als früher, steht genausofest. Idealerweise pickt man sichdas Gute aus allen Zeiten heraus,pfeift auf die Sprüche und lebt imJetzt so zufrieden wie nur möglich.

Eine Tugend der noch garnicht alten Vergangenheit war je-doch die Wertschätzung der Quali-tät diverser Gebrauchsgegenstän-de. Scheinbar einfache, mechani-sche Werkzeuge wurden in höchs-ter Güte für den langjährigen Ge-brauch hergestellt. Solche kriegtman heute, wo es alles im Über-fluss zu geben scheint, nicht mehrselbstverständlich in ebendieserQualität. Auf die passte man auf.Vor denen hatte man Respekt. Diewaren was wert.

Alles war was wert. Als bei-spielsweise vor langen Jahren eineFuhre verrotteten Mistes diesesGrundstück erreichte, fand mandarin beim Mistbreiten ein perl-muttschimmerndes Gebiss, das inseiner Nacktheit ewig zu lächelnschien. Das war nur auf den ersten

Blick erheiternd. Gleich daraufüberkam vor allem die Älteren undgebisstechnisch Erfahreneren un-ter uns die Sorge. Der armeMensch!, riefen die, wie soll derdenn jetzt zurecht kommen, ohneseine Dritten? Hätte man gewusst,welchem alten Bauern, welcher

Bäuerin das Gebiss in die Mistgru-be gefallen war, wäre man hinge-eilt und hätte die unverhofft aufge-tauchte Kauhilfe, wahrscheinlichdezent in ein stoffenes Schneuz-tuch gewickelt, zurückgebracht.

Zur selben Zeit assistierte ichregelmäßig meinem Großvaterbeim Beschneiden der Obstbäume– einer Tätigkeit, die er für so ele-mentar hielt, dass er ihr, entgegenbaumschulmeisterlichen Rates,rund um das Jahr nachging. AlsMittel zum Zweck führte er stetsein und dieselbe Gartenschere mitsich. Die war silbrig glänzend undhatte vorne zwei rundlich geformteSchneidblätter, die aussahen wiedas Maul von Fips dem Affen.

Diese Schere war ihm heilig,die lag niemals im Tau oder Regenherum, die wurde geölt, geschlif-fen und überdauerte Jahrzehnte.Wohin sie verschwunden ist, frageich mich, seit der Großvater seligaufgehört hat, Bäume zu schnei-den. Auf der Suche nach Ersatzversuchte ich an den eigenenObstbäumen zahllose Produkteder zeitgenössischen Gartensche-renindustrie aus Nah und Fernund Ost. Ich wurde in Form eines

nachgebauten Modells nur teilsfündig. Das war nicht schlecht,reichte an Schneidkraft, Handlich-keit und Detailraffiness, jedochnicht an das Original heran.

Neue Suchhilfe für Altes: InternetDoch der Mensch muss wartenkönnen. Eines Tages, um genau zusein, gestern, reichte mir der Nach-bar unverhofft eine neue, silbernschimmernde Gartenschere. Dassei seiner Meinung nach genau dasgroßväterliche Modell, aufgefun-den in den virtuellen Weiten desInternets. Darauf eingraviert, einLöwe auf einem Zahnrad. Irgend-wo in den Abgründen meines Ge-hirnes passierte etwas. Vor mirselbst verborgen, war dieser Löwejahrzehntelang dort irgendwo ge-hockt, ohne mein Wissen, und alser in Metall graviert vor mir lag,sprang er mit einem Satz aus dertiefsten Vergangenheit ins Heute.

Es kann überhaupt kein Zwei-fel daran bestehen, dass dieseSchere das Original und die Groß-vaterschere ist. Sie wurde sofortzur Anwendung gebracht und fürexzellent befunden. Nie wieder willich mit irgendwelchen Billiggar-

tenscheren meine Zeit verplem-pern. Siebzehn von ihnen wiegeneine wirklich gute Schere nie auf.Allerdings werden die Geschäfterar, in denen man ebendiese, seitBeginn der Kolumne hier ange-sprochene Qualität bekommt.

Eines der wenigen hat sich inWimpassing erhalten und heißt„Eisenhandlung Zingl“. Gepriesensei diese Boutique des Handwerksund des Gartens! Ob es die vomNachbarn im Internet aufgetriebe-ne Löwe-Schere dort gibt, muss icherst erfragen. Könnte leicht sein.Der Zingl hat normalerweise alles,was gut ist und was es in den gro-ßen Baumärkten nicht gibt.

Als ich vor einiger Zeit eineMaurerkelle verlangte, wurde ichgefragt: Welche? Keine Ahnung.Gibt es verschiedene? Ich ernteteindigniertes Lächeln, wurde in denKeller geführt, eine Rüstkammer,in der endlos Maurerkellenmodel-le glänzten wie schimmernde Har-nische. Sie empfehle die aus Stahl.Mittlere Größe. Holzgriff. So diealte Frau Zingl. Die halte ewig. Sosoll es sein. Vererben möchte ichmeine Maurerkelle. Nicht weghau-en wie alles, alles, alles.

Die Schere für die LaubeWo auch immer Sie die jetztherkriegen wollen: Die Garten-schere mit dem Amboss-Prinzip –ziehender Schnitt gegen feststehende Unterlage – wurde 1923von Walther Schröder erfunden.Das Modell „Löwe 1“ wird seithermit nur geringen Veränderungenproduziert. Ich bilde mir ein, dassdie Griffe in den 1970er-Jahrennicht glatt, sondern geriffelt waren.Doch das werde ich schon auchnoch herausfinden.

26 FEUILLETON SAMSTAG, 19. MAI 2012DIEPRESSE.COM Die Presse

Albert Camus’ „Caligula“ fasziniertals atemberaubende SprachoperBurg-Kasino. Der Belgier Jan Lauwers erinnert mit einer drastischen Inszenierung an das Erfolgs-stück des französischen Philosophen von 1944: Eine vitale Revitalisierung mit tollem Ensemble.VON BARBARA PETSCH

D as haben wir jetzt also auch gese-hen: Der Kaiser zwingt eine Frau, esmit einem Pferd zu treiben. Nichts

für schwache Nerven und zarte Seelen istdieser Abend im Burgtheater-Kasino: JanLauwers, der mit seiner Needcompany in-ternational sehr erfolgreich ist, unternimmtnach der missglückten „Kunst der Unterhal-tung“ im Akademietheater einen neuen Ver-such, sich ins Repertoire-Theater einzuklin-ken, was diesmal deutlich besser funktio-niert. Zu danken ist dies vor allem CorneliusObonya, der seine vielfältigen Talente undAusnahmequalitäten als Bösewicht für Al-bert Camus’ „Caligula“ blühen lässt; rekord-verdächtig, nach Kunststücken wie „Cor-doba“ erschien kaum mehr eine Steigerungmöglich. Bei diesem „Caligula“ steheneinem die Haare zu Berge und der Magenzieht sich zusammen. Vor diesem Ungeheu-er müssen Shakespeare-Könige erbleichen.

Der als Sohn französischer Eltern in Alge-rien geborene Albert Camus (1913–1960) po-pularisierte in seinem kurzen Leben, das miteinem Autounfall endete, die Philosophie ge-meinsam mit Jean Paul Sartre, was bis heutenachwirkt. Die beiden waren weit überFrankreich hinaus und auch außerhalb derIntellektuellenszene moralische Instanzen ineinem Europa, das sich nach dem ZweitenWeltkrieg entsetzt die Frage stellte: Wie konn-te das geschehen? Was ist die Essenz, was istdie Existenz des Menschen, worin bestehtseine Freiheit, was macht die Macht mit ihm?Um all diese Dinge geht es in „Caligula“, derin der Nachkriegszeit oft aufgeführt wurde;Camus hatte das Stück unter dem EindruckHitlers umgeschrieben und verschärft.

Maria Happel als wunderbare CaesoniaNach dem Tod seiner geliebten SchwesterDrusilla lebt Caligula schrankenlos seineFreiheit als Tyrann aus. Den echten Caligulaermordete nach nur vierjähriger Gewalt-herrschaft die Prätorianergarde, eine militä-rische Formation. Der Theater-Caligula ver-speist nach seinen Exzessen seelenruhig einSchnitzel und macht womöglich weiter. „DieMenschen sterben, und sie sind nicht glück-lich“, nach diesem Satz von Camus über Ca-ligula hat Lauwers inszeniert. Der Terror,den der Herrscher verbreitet, spiegelt sichim Theater-Terror, der wiederum Sinnbilddes Terrors ist, der in Büros und Staatskanz-leien herrscht. Ein ständiges Sirren von Han-

dys oder auch Überwachungsgeräten erfülltdie Luft, erzeugt Irritation, Störung. Einelange Tafel erstreckt sich im weiten Raumdes Kasinos unter einer Skulptur: ein golde-nes Dreieck, gebildet aus Disken. Das Wer-fen eines antiken Diskus war ein Kraftakt.Hier fliegen hauptsächlich Schuhe und Plas-tikgeschirr.

Zu Beginn sieht man den rundlichenHermann Scheidleder um die Tafel zappelnwie einen nervösen Zeremonienmeister voreinem wichtigen Bankett: Helicon, der Skla-vensohn, der sich in die erste Reihe der Cali-gula-Untertanen vorgearbeitet hat, ist dertreueste Diener seines Herrn, nur übertrof-fen von Caesonia, der mütterlichen Freun-din und Geliebten des Kaisers, zu der diesernach dem Tod Drusillas zurückkehrt. Heli-con und Caesonia (wunderbar authentisch:Maria Happel) beherrschen das kleine unddas große Einmaleins der Unterwerfung ausdem Effeff. Sie wissen in vorauseilendem Ge-horsam genau, was der Chef will, sind alsEinpeitscher, Muntermacher unterwegs. DiePatrizier zögern, sich damit vertraut zu ma-chen, dass der junge Mann, den sie seinerSanftmut wegen auf den Thron gehievt ha-ben, zum Monster geworden ist. Zu dem antotalitäre Architektur erinnernden Dekor(Lauwers) trommelt Nicolas Field eine mo-derne Variante protziger Diktatorenmusik:„The Shimmering Beast“, übrigens auch ein

Film über Männer in der Wildnis. Lauwershat den Text eingedampft, statt fast zweiDutzend sind nur acht Akteure auf der Büh-ne. Die Sprachoper, die hier Schlag aufSchlag abläuft, korrespondiert mit dem mu-sikalischen Affekt. Camus’ Text hat Substanz,die Dramaturgie aber ist ein wenig hölzern,altmodisch. Philosophische Spitzfindigkei-ten erschließen sich nicht immer sofort indiesem hochgestochenen Diskurs. Die In-szenierung lässt alle Mängel vergessen.

Freund und Feind winden sich wie die AaleAnfangs ist Caligula melancholisch, erwünscht sich den Mond. Doch rasch kippt erins Extreme und steigert sich immer mehr inseiner Grausamkeit, speziell nachdem ihmklar wird, dass Innehalten keinen Sinn mehrhat, weil er schon zu viel Schuld auf sich ge-laden hat. Die Ratgeber, Freunde verbiegensich immer heftiger in die verschiedenstenRichtungen, Caligula holt sie jederzeit einmit seiner rhetorischen Keule, mit der fakti-schen sowieso: Hans Petter Dahl als Scipio,wohl Caligulas und Camus’ Alter Ego, AndreMeyer als Cherea, Falk Rockstroh als Lepi-dus steigen und fallen im Feuerregen derSchläge und Argumente Caligulas. Dieschrecklichsten Opfer muss Octavia (Anne-ke Bonnema) bringen. Das Premierenpubli-kum applaudierte am Ende lange, vor allemdem fulminanten „Kaiser“ Obonya.

Camus’ Abrechnung mit Hitler: Cornelius Obonya als grandioses Scheusal Caligula. [ Burgtheater/Georg Soulek ]