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Alles ist rund. Alles stimmt. Und doch reicht es nie! „… Kurz vor dem Krimi habe ich wieder Hunger. Ich gehe also in die Küche und öffne die Kühlschranktür. Inspiziere alle Eiscremesorten und Fruchtjoghurts, die deponierten Schokoladen und die Schokoriegel … und habe auf nichts richtig Lust.“ „Kenne ich.“ „Dann schaue ich in der Speisekammer nach. Hundert verschiedene Kekspackungen und tausend Sorten gefüllte Waffeln. Nasche von dem, versuche von jenem, aber es hilft nichts. Es kann aussehen oder schmecken wie es will. Ich kann einen einzigen Bissen probieren oder gleich zwei Tafel Belgisches verschlingen. Am Ende immer dasselbe. Ich bin gestopft aber nicht satt. Und es bleibt ein bitteres Gefühl von … ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Das Wort frustriert beschreibt es nicht ganz.“ HUNGRIGE FRAU ODED NETIVI Sinnbild Verlag ODED NETIVI Hungrige Frau ROMAN

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Alles ist rund.Alles stimmt.Und doch reicht es nie!

„… Kurz vor dem Krimi habe ich wieder Hunger. Ich gehe also in die Küche und öffne die Kühlschranktür. Inspiziere alle Eiscremesorten und Fruchtjoghurts, die deponierten Schokoladen und die Schokoriegel … und habe auf nichts richtig Lust.“

„Kenne ich.“

„Dann schaue ich in der Speisekammer nach. Hundert verschiedene Kekspackungen und tausend Sorten gefüllte Waffeln. Nasche von dem, versuche von jenem, aber es hilft nichts. Es kann aussehen oder schmecken wie es will. Ich kann einen einzigen Bissen probieren oder gleich zwei Tafel Belgisches verschlingen. Am Ende immer dasselbe. Ich bin gestopft aber nicht satt. Und es bleibt ein bitteres Gefühl von … ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Das Wort frustriert beschreibt es nicht ganz.“ H

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Oded Netivi

Hungrige Frau

Roman

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Netivi, OdedHungrige Frau

ISBN 978-3-946876-09-0

© 2018 by Sinnbild-Verlag Karlsruhe

Lektorat: Brigitte Augspurger Korrektorat: Molli HiesingerSatz und Layout: Alan Mellor

Cover: Oded Netivi unter Verwendung seines Gemäldes „Raum“

Druck und Bindung: Esser printSolutions GmbH, Bretten

Printed in Germany1. Auflage 2018

sinnbild-verlag.de

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Die Frau hinter dem Tresen drehte den Computerausdruck um und las den Text, wobei sie mit dem Zeigefinger die Worte verfolgte. Emilia hatte lange am Wortlaut gefeilt und deklamierte im Stillen mit.„Wenn du mir auf der Kirmes einen bunten Lutscher spendierst, schenke ich dir zwei kugelrunde Ballons. Wir mieten uns eine Einzelkabine für das Riesenrad und an der Schießbude darfst du so oft zielen, bis du triffst.“„Habe ich Sie richtig verstanden?“, fragte die Mitarbeiterin der Zeitung noch einmal nach. „Sie wollten die Annonce mit dem Lutscher in der Rubrik Sex & Abenteuer?“„Upps, das war die alte, die falsche Fassung!“Emilia hatte es sich nochmals überlegt und beschlossen, es diesmal ganz anders anzugehen. Sie bückte sich nach vorn und entriss der Frau den Zettel. Dann holte sie einen anderen Papierbogen aus ihrer Tasche und legte ihn auf die Theke. Die Frau warf einen gelangweilten Blick auf den neuen, handschriftlich verfassten Text und zog eine Augenbraue hoch. „Das ist aber ziemlich lang, das wird einen Zuschlag kosten.“ „Ist recht so“, antwortete Emilia „Und es wird nur ein Mal und nur in der Stadtausgabe erscheinen“. Sie schaute hoch zu der geschmackvoll gekleideten Kundin.„Ist recht so“, wiederholte Emilia einsilbig.Die Mitarbeiterin der Zeitung legte sich das Blatt zurecht und überflog den Inhalt, so als würde sie nur die Anzahl der Wörter ermitteln wollen.Als sie endlich den Text eingetippt hatte, erschien auf ihrem Bildschirm die fertig formatierte Annonce.

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Du hast es deinem besten Freund bei einem Bier angedeutet. Im Stillen hast du schon oft daran gedacht. Vielleicht auch heimlich in Internetseiten oder entsprechenden Rubriken geblättert. Mittlerweile sogar eine eigene Annonce aufgegeben. Doch das, was dann auf dich einstürmte, löste bei dir nur Kopfschütteln und Lachkrämpfe aus. Du bist nicht mehr ganz jung, du möchtest deiner Familie nicht wehtun und eigentlich ist doch dein Alltag alles in allem ganz vorbildlich. Wenn nur nicht diese Bedürftigkeit da wäre. Dieser ungestillte Hunger nach einem Menschen, der mit dir einen Raum teilt. Einen Raum nur für dich allein. Etwas, was du schon so lange dem geopfert hast, was gescheite Leute Vernunft nennen. Manchmal nennen sie es auch Zwänge des Alltags. Und im Übrigen, du hättest diesen Text deinerseits ganz ähnlich verfassen können. Antwort unter Chiffre 793762

„Sollte sich jemand melden, schicken Sie bitte die Antwort dorthin“, sagte Emilia. Sie legte der Frau hinter der Theke einen Zettel hin, auf dem eine Adresse per Hand mit Kugelschreiber notiert war. Als auch diese Details eingetippt waren, schnappte sie sich das Papier, zerriss es in kleine Stücke und ließ die Schnipsel wie Schneeflocken in ihre Handtascherieseln.

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Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie einmal im ‚Wiener’ sitzen würde. Das nichtssagende Caféhaus lag in einem südlichen Stadtteil an einer belebten Straße. Es bestand vornehmlich aus im Freien stehenden, altersschwachen und völlig verwitterten Plastikstühlen. Das Neonschild war vor Jahr und Tag von einem genervten Fahrer eines Kleintransporters demoliert und vom Besitzer nie mehr erneuert oder wenigstens repariert worden. Der kleine Innenraum hätte ebenso eine Dönerbude oder ein Nagelstudio beherbergen können. Die rissige Farbe blätterte schon von den kahlen Wänden ab, eine einsame Glühbirne schien die Düsternis des Raumes noch zu verstärken. Der Pächter vom ‚Wiener‘ passte zu seinem Caféhaus. Sein Hemd hätte mal wieder eine Wäsche vertragen, von seinen Fingernägeln ganz zu schweigen. Seine Haare hatte er mit Gel in Form gebracht, nach hinten getrimmt und an seinen Schädel geklebt. Unschlüssig stand er am Eingang und stierte den unzähligen Autos auf der Straße nach. Es war laut und es war heiß und die Frau war seit Ladenöffnung sein erster und einziger Gast. Er betrachtete ihren Rücken und verlor sich in seinen Gedanken.Sie betrachtete die Smileys und die Emoticons auf ihrem Handy, die sie mit diversen Freundinnen austauschte. Auf dem Kunststofftisch stand ein überfüllter und nach kaltem Rauch stinkender Aschenbecher. Auf dem Pflaster unter dem Tisch lagen Dutzende Kippen, Kronkorken verschiedener Biersorten und vertrockneter Hundekot.

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Der Kaffee kühlte in der Sonne kaum ab. Sie hatte sowieso nicht vor, ihn anzurühren.Das Gläschen Weißwein hatte sie in einem Zug geleert. Bei dieser Hitze war der Durst überwältigend. Der junge Mann auf der anderen Seite der vierspurigen Straße erkannte sie schon aus der Distanz. Die Frau fiel auf. Sie passte so ganz und gar nicht in diese Umgebung. In dieser Gegend hier, dachte er, laufen die Weiber nicht wie die Tussis von Bonzen herum. Er wartete auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig den Farbwechsel der Fußgängerampel ab. Er genoss den kleinen Vorteil zu wissen, dass sie auf ihn wartete, ohne dass sie wissen konnte, dass er es war. Und er hatte gerade genug Zeit, um sie aus der Entfernung für einen Augenblick abzuchecken.Etwa vierzig Jahre müsste sie sein, schätzte er. Gebraucht, aber noch sehr gut in Schuss, wenn man davon absah, dass sie sowieso was Besseres war. Die Kategorie mit teurem Parfüm und dem ganzen Schnickschnack. Die Sorte von Weibern, die er nie anbaggern würde. Eine Sache des Prinzips. Das grüne Männchen löste das rote ab und er überquerte die Straße. Ein knallgelber Geländewagen blieb mit quietschenden Reifen knapp vor ihm stehen. Er sprang beiseite und warf einen Blick ins Wageninnere. Er nahm durch die Windschutzscheibe einen kurz geschorenen Mann hinter dem Lenkrad wahr, der allein im Fahrzeug zu sitzen schien. Er überlegte kurz, ob er eine Auseinandersetzung suchen sollte und wie weit er gehen durfte. Wog das Für und Wider gegeneinander ab. Nach wie vor war er nur auf Bewährung draußen. Er beschloss, diesmal die Sache auf sich beruhen zu lassen.

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„Moin“, grüßte er und blieb vor ihrem Tisch stehen. „Sind Sie die, die n Job für n´ Handwerker hat?“

Die Frau schaute hoch und nickte. Wow, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, das ist ja ein Prachtstück von einer Maus. Die hat weder n Abschleppdienst noch n Katalog nötig. Die kann sich die Kerle selbst aussuchen, wie s beliebt. Aber von wegen Maus … dieser direkte, durchdringende Blick. Wenn sie will, erdrückt sie dich wie so ne Riesenschlange, stranguliert und schluckt dich in einem Stück. Ohne Scheiß! Die Frau lächelte verhalten. „Hat Sie die Agentur geschickt?“ Erstaunlicherweise hatte sie zwar eine dunkle, jedoch anschmiegsame Stimme. Und es lag noch etwas in ihrer Stimme, er hätte nicht gleich sagen können, was es war. „Ich habe nach einem Studenten gefragt. Es ist nur ein kleiner Job, weil …“, sie senkte ihre Augen auf ihren auf den Tisch liegenden Arm. Ihre rechte Hand war bandagiert. „Es gibt da nichts Großes zu tun, nur eine Handreichung.“„Geht schon in Ordnung, Frau …“„Aber ich bezahle Sie anständig.“„Ist gut“, der Mann setzte sein schönstes Sonntagslächeln auf. „Hab sowieso nichts Besseres zu tun. Wo soll ich nageln?“ Er schaute kurz hoch, traf den Blick des gelangweilten Wirts und versuchte ein kumpelhaftes Zwinkern. Der Pächter antwortete mit einer kaum merklichen Kinnbewegung, drehte sich um und verschwand hinter dem dunklen Eingang.Die Sonne glühte alle Schatten weg.

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„Mein Wagen steht um die Ecke“, sagte die Frau, stand auf und klemmte eine Banknote unter die Tasse. Sie teilte ein Lächeln in zwei gleiche Hälften. Die eine Hälfte schenkte sie ihrer edlen Krokodilledertasche, die auf dem Boden stand. Die andere dem immer noch verblüfften Mann aus der Agentur für Arbeitsvermittlung. Er bückte sich und staunte über das Gewicht des schicken Accessoires. Was schleppt die Maus so alles mit sich rum, überlegte er und begann hinter ihr her zu trotten. Mit seiner Vermutung zum teuren Parfüm hatte er richtig gelegen. Er hätte ihr auch bei mondloser Nacht und blind wie ein Maulwurf folgen können.Mit einem schnellen Blick vergewisserte sie sich, dass auch er angeschnallt war, schaute kurz in den Seitenspiegel und fädelte sich mit ihrem hellblauen Sportflitzer in den fließenden Verkehr ein. Sie hatte inzwischen genug Ortskenntnisse, um ihre Route bewusst kompliziert wählen zu können, ohne sich am Ende zu verfahren. Das Haus, das sie ansteuerte, hatte sie ebenso mit Bedacht gewählt. Ein sechsstöckiges, heruntergekommenes Gebäude in einer kleinen Seitenstraße. Eine schäbige Mietskaserne, bewohnt von einem bunten Panoptikum aus aller Herren Länder. Eine schillernde Multikultisammlung. Die uralte Eingangstür zur Straße hatte weder einen Schließmechanismus noch eine Türklinke und stand allezeit halb geöffnet. Gleich würden sie ankommen. Sie beschleunigte und bremste gleich wieder ab. Dann fuhr sie an ihrer Werbeagentur vorbei, blinzelte zu ihrem Büro hinter der Glasfassade hoch und bog in eine Einbahnstraße ab. Er hielt sich am Haltegriff über dem Beifahrerfenster fest und blickte sie von der Seite an.

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„Was muss ich eigentlich …, Frau ...?“„Nenn´ mich …“, sie zauderte, bevor sie antwortete, „ Irmgard“. Es war ihm sofort klar, dass sie nie und niemals Irmgard hieß. „Es ist ganz einfach“, begann sie, ihn anzuweisen. „Wenn ich nicht diese Verletzung an der Hand hätte, würde ich es selbst erledigen.“Sie überholte einen Müllwagen und setzte ihre Erklärung fort. „In der Tasche ist eine Einkaufstüte aus Plastik. In der Tüte findest du einen Briefkasten aus Blech, der schon mit einem Namensetikett versehen ist. Außerdem einen Akkuschrauber und einige Stahlschrauben von der Sorte, die man ohne Vorbohren in eine Wand eindrehen kann.“Er blickte zu dem hinteren Notsitz, drehte sich umständlich um und beförderte die Tüte nach vorne. Er stierte hinein und grinste. „Ich denk , ich kiffe! Ein Briefkasten von Anno dazumal. Der hat schon mal bessere Zeiten gesehen, Irmgard, was?“ Der Name auf dem Etikett, überlegte er, ist wohl auch Schmu. Er hielt das rostige und verbeulte Teil in den Händen. „Da könnte höchstens ein Vogel sein Nest drin bauen.“„Nette Idee“, lobte sie seinen Einfall und bremste ab. „Wir sind da“, verkündete sie.Sie parkte ihr Fahrzeug und deutete auf den gegenüberliegenden Hauseingang. „Du suchst dir eine freie Stelle zwischen all den anderen Briefkästen und befestigst dort die alte Blechbüchse an die Wand.“ Im Stillen schätzte sie die nötige Arbeitszeit ab. „Ich denke, du brauchst dafür höchstens zwei Minuten. Sagen wir mal fünfzig Euro. Geht das klar?“ Er nickte wortlos grinsend, stieg aus, überquerte die Straße und betrat das Haus. Im Flur war es düster, er musste sich

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zunächst an die Lichtverhältnisse gewöhnen. Kaum hatte er begonnen, seinen mitgebrachten Briefkasten an einer freien Stelle zwischen den anderen zu befestigen, gingen schon manche Wohnungstüren auf und einige Nachbarn versammelten sich um ihn. Armselig bekleidete Kinder stellten endlose Fragen, Erwachsene boten Ratschläge und Hilfe in fremden Sprachen an. Schließlich hing die anspruchslose Antiquität an ihrem neuen Platz und er konnte sich seinen versprochenen Lohn abholen. Als sie ihn wenig später beim ‚Wiener’ wieder aussteigen ließ, wartete sie noch einen kurzen Moment und entledigte sich dann ihres völlig überflüssigen Wundverbandes.Eine Weile blieb sie grübelnd in ihrem Wagen sitzen.Sie konnte einen weiteren Punkt auf ihrer To-do-Liste streichen. Eine Liste zu einem grandiosen Plan, der jedoch kein konkretes Ziel hatte.

Zu Hause hatte ihr Mann, ein erfolgreicher Programmierer, alle Rechner zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Geórgios besaß eine florierende Softwarefirma und blühte in seinem Metier regelrecht auf. Sein Leben, so schien es, bestand aus Bits und Bytes, in seinen Adern flossen Datenströme. Schade, dachte sie manchmal, dass sich Lebensfreude und Herzlichkeit nicht einfach downloaden lassen.Sie brauche sich um nichts zu kümmern, sagte er ständig. Er sorge schon dafür, dass alle Computer immer ordnungsgemäß gewartet und mit den neuesten Programmen bestückt seien. Sowohl privat wie auch in

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ihrer Werbeagentur. Es war ein bequemes Arrangement. Bis auf eines … Kein Tippfehler auf der Tastatur, kein Anklicken eines Onlineshops, die ihm verborgen blieben. Und ihre privaten Kontakte waren erst recht alles andere denn privat. Nun aber sollte es anders werden. Und pikanterweise mit den altbewährten Mitteln von „damals“. Als sie ihre Annonce bei dieser Zeitung aufgab, hatte sie auch gleich eine Postumleitung mit einem Nachsendeantrag veranlasst. Der Postbote würde ein mögliches Antwortschreiben in ihren nun an der Wand befestigten altmodischen Briefkasten in der Joseph Herzling Straße 74 einwerfen. Und wenn sie alle paar Tage abends ihre Post abholte, so würde keine Menschenseele davon Notiz nehmen oder Verdacht schöpfen. Eine Frau muss sich eben zu helfen wissen, freute sie sich spitzbübisch.Aber, sinnierte sie, was hatte sie letztlich Großes vor? Eigentlich war es doch eine Schande, so einen Riesenterz veranstalten zu müssen, nur um ein wenig freier atmen zu können.

Habe es endlich getan, begann sie im Stillen zu erzählen. Dafür brauchte sie keinen Gesprächspartner. Dafür musste sie sich nur einen eingebildeten Friseur oder eine fiktive Freundin vorzustellen. Was ist denn schon dabei, rechtfertigte sie sich, ohne die Lippen bewegen zu müssen. Jetzt ist mir wenigstens pudelwohl zumute, bestätigte sie sich selbst ihren Erfolg.

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Und wenn ich ein Couvert im Kasten finde und mich das Muffensausen packt, wer kann mich zwingen zu antworten? Die, die da annonciert hat, die gibt es ja nicht. Die, welche auf dem Briefkasten steht, schon gar nicht.Sie lief an einem geschmiedeten Eisenzaun vorbei und glitt dabei mit ihren Fingern an den metallenen Latten entlang, ohne auf ihre gepflegten Hände Rücksicht zu nehmen. Wenn sie nachher abgescheuerten Nagellack oder gar einen abgebrochenen Fingernagel entdecken würde, wären Jammern und Schimpfen an der Tagesordnung. Aber das ist später und jetzt ist jetzt. „Geórgios sagt, ich sei so etwas wie manisch-depressiv. Der muss immer alles verschubladen. Der hat echt keinen Schimmer, der Simpel. So ein Blödsinn aber auch. Ich bin einfach nur sehr, sehr, sehr gefühlsbetont. Und ja, hin und wieder geht es einem eben wie in Hundedreck getreten. Aber dann wieder wie eine Schachtel Pralinen bei der Klatsch-und-Quatsch Serie im Spätnachmittagsprogramm.Tage wie Kot, Tage wie Pralinen.“

„Ich mache mir nichts aus Pralinen, Gnädigste“, sagte die junge Frau und Emilia erschrak. Sie marterte ihr Gehirn, versuchte, sich zu erinnern. Ja, ich habe gerade eben dieser jungen Stadtstreicherin eine Handvoll Münzen in den zweckentfremdeten Hundenapf geworfen. Und ja, ich habe mich zu ihr auf die Parkbank gesetzt und ihren schmierigen Kläffer gestreichelt. Und meine Krokotasche halb geöffnet neben dem Fressnapf aufgestellt habe ich auch. Allerdings nur so zum Spaß habe ich s getan.

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Aber gesprochen? Ich habe doch kein einziges Wort gesagt, das könnt ich schwören. Wie kommt sie also dazu, Pralinen zu sagen! Routiniert streute die wohnsitzlose Frau Zigarettentabak in das Blättchen, wickelte geschickt das Seidenpapier zwischen gelblichen Fingerkuppen und leckte den gummierten Rand mit ihrer Zungenspitze. „Das ist so was von einfach“, begann sie, die nicht gestellte Frage zu beantworten. „Wenn man so ne Wolke um sich trägt und so ne Tasche und der ganze Klimbim … nichts für ungut, ok?“ Sie kramte in ihrer Hosentasche und zog ein Plastikfeuerzeug hervor. „Und wenn man in so schicken Fetzen rumspaziert … an einem stinknormalen Tag und so …“ Sie klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. „Dann ist doch das Puzzle fast fertiggelegt, sag´ ich. Dann muss man doch ehrlich nicht einsteinen, um sich eins und eins zusammenzureimen.“Sie sog gierig den Rauch ein und öffnete mit dem Daumen den Bügelverschluss einer Flasche. Von der Farbe her offensichtlich, dachte Emilia, dass es kein Bier war. Vom Geruch her noch offensichtlicher, dass die helle Flüssigkeit kein Wasser, sondern ein Wässerchen war.Freundlich aber bestimmt lehnte sie kopfschüttelnd das Angebot ab. Einen Roséwein immer, aber Hochprozentiges … würg. Dann beugte sie sich doch vor, griff nach der Flasche und genehmigte sich einen kräftigen Schluck. Hustend und würgend stellte sie den Schnaps neben dem Fressnapf wieder hin.

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Die junge Frau schaute sie nachdenklich an, lächelte maskenhaft. Ihre zwei Zahnlücken wirkten wie geschwärzte Zeilen in einem Geheimbericht. „Das lernst du hier ganz schnell“, sagte sie vielsagend, blickte weg und sog an ihrem Glimmstängel. „Das lernt man auch woanders schnell“, sagte Emilia, „in einem Zuhause womöglich noch schneller.“Die Obdachlose nickte, blickte sie kurz an. „Das Leben eines Wohnsitzlosen beginnt immer in irgendeiner Wohnung.“Emilia drehte sich zu ihrer Gesprächspartnerin um. „Beginnt immer in irgendeiner Wohnung“, wiederholte sie. „Und dann klappt es mit dem Job nicht“, mutmaßte sie, „dann kein Geld für die Miete …“„Manchmal auch so, ja. Aber nicht wirklich.“Emilia zog die Augenbrauen hoch, „und manchmal auch … wie?“Passanten eilten an ihnen vorbei, wie verschwommene Gestalten auf einer verwackelten Fotografie. Diffuse Farbflecke und bunte Tupfer zogen in einem endlosen Band die Straße entlang, Motorengetöse und Verbrennungsdämpfe hinterlassend. Emilia sah dem dahingleitenden Gewühl nach.Hatte die junge Frau ihre Frage überhört? War sie womöglich nur in Gedanken versunken oder, wer weiß, vielleicht war etwas in ihrem Zigarettentabak hineingemischt? Plötzlich vernahm sie ihre Stimme klar und deutlich neben sich. „Soll ich dir auch eine drehen?“ „Nein! Danke, muss nicht sein“, hörte sie sich selbst etwas zu schrill sagen und hatte plötzlich das Bild ihres Mannes vor Augen. Geórgios mit Zigarette im Mundwinkel vor

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seinen Bildschirmen, Geórgios rauchend sogar hinter dem Duschvorhang bei fließendem Wasser, Geórgios hält sein Glimmstäbchen verkrampft mit den Zähnen fest, während er verkrampft sein anderes Stäbchen am Glimmen hält …„Ist schon gut, ist ja schon gut“, hörte sie wieder die Stimme neben ihrem Ohr.„Ich heiße übrigens Eva.“Emilia schaute hoch, Eva grinste. Ihr Zahnlückenlächeln leuchtete und ihr säuerlicher Körpergeruch störte Emilia schon etwas weniger. An den Bäumen wachsen keine Shampoo-Flaschen, schärfte sie sich ein, und im Stadtbrunnen dürfen nur Damen aus italienischem Marmor baden. Sie schaute in ihre Tasche und stutzte. Einige Passanten hatten auch sie mit Almosen bedacht. Sie sammelte die Münzen vom Boden ihrer Modetasche und legte sie behutsam in den Fressnapf. Eva nickte dankend. Dann bückte sie sich, hob die Schüssel mit den vereinzelten Münzen auf und schüttete die magere Ausbeute in ihre Jackentasche. Der Hund zu ihren Füßen schaute interessiert zu. Sie wühlte in ihrem zerschlissenen Rucksack nach einer knisternden Tüte. Der Hund reckte sich und stand auf. Ein mächtiges Tier, überlegte Emilia respektvoll. „Brauchst keine Angst zu haben“, bemerkte Eva. „Der Wauwau wittert Gefahr im Voraus und auf der Straße ist Gefahr immer männlich“, sie lachte. „Dich hat Zerberus schon ins Herz geschlossen.“ Sie schüttete eine Handvoll Trockenfutter in die Blechschüssel. Einen kurzen Augenblick später war der Napf leergefressen und sauber geleckt. Aus dem schimmernden Farbenspiel der Straße heraus kam ein

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einzelnes Geldstück in langgestreckter Flugbahn durch die Luft gesaust, verfehlte den Napf, rollte ein wenig und blieb hinter der Bank liegen. Ein Krankenwagen fuhr vorbei, die Sirene war ohrenbetäubend. Hoch oben zwischen vereinzelten Wolken knisterten die Rotoren eines rötlich schimmernden Hubschraubers.„Manchmal auch so, sagst du, aber nicht wirklich und manchmal auch …“ Emilia hatte nicht vor, auf eine Antwort zu verzichten.Eva drehte sich eine weitere Zigarette. „Ach ja, du meinst das, wo ich sagte, das Leben ohne Wohnsitz beginnt immer in einer Wohnung. Du wolltest wissen, wie ich das meine, richtig?“ Sie legte das Feuerzeug wieder weg, inhalierte den grauen Trost und streifte sich dann ihre Stiefel ab. Ihre Füße waren mit eitrigen Geschwüren übersät. Emilia musste wegschauen. „Alle glauben, weil ich auf der Straße lebe, bin ich zum Arbeiten zu dumm oder zu faul oder was weiß ich. Den Leuten ist s doch scheißegal, die wollen s nur nicht sehen müssen. Schlechtes Gewissen haben sie oder Bammel, selbst mal auf der Platte zu sein.“„Auf der Platte sein?“„Platte schieben, also im Park, unter einer Brücke oder in Hauseingängen übernachten zu müssen.“„Ja, das kann jedem passieren.“„Papperlapapp! Das ist doch gekotzter Blödsinn, du redest Quatsch … `Tschuldigung, wie heißt du überhaupt?“Emilia überlegte kurz und entschied sich, ihren wahren Namen zu nennen. Von hier bis zu jemandem aus dem Kreis ihrer Freunde oder Bekannten, das waren doch Welten, eine andere Galaxie.

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„Also gut, Emilia, ich sag s dir, wie s war“, begann Eva zu erzählen. „Ich hatte, ob du s glaubst oder nicht, super liebe Eltern und eine Bilderbuchkindheit.“Sie schnippte die erloschene Kippe weg und massierte ihre Beine. „Um Stadtstreicher zu werden, muss man nicht unbedingt aus einer sozial benachteiligten Familie kommen, von einem alkoholisierten Vater missbraucht worden sein oder eine Berufsbildung abgebrochen haben.“„Eine Bilderbuchkindheit, ich habe verstanden.“„Mein Papa war Professor für irgendwas Schlaues an einer renommierten Universitätsklinik. Meine Mutter leitete die Europafiliale von diesem Konzern aus Amerika, wie hieß der noch mal? Ist doch egal. Und dann haben die sich kennengelernt und dann kamen wir, meine Schwester, meine zwei Brüder und ich.“„Und dann …“„Worauf sie beschlossen, für uns Kinder alles hinzuwerfen. Raus aus dem Hamsterrad, wie sie immer erzählten. Sie wollten ausreichend Zeit haben, die sie mit uns verbringen konnten. Und eine passende Umgebung. Also kauften sie einen alten Bauernhof mit Tierbestand und allem drum und dran. Wir hatten Pferde, Schafe, Ziegen und Kaninchen. Überall liefen Enten, Hühner, Hunde und Katzen herum. Und die Wiesen und der Heuboden, das Bächlein am Waldrand und der alte Kuhstall, das waren unsere Spielplätze.“ „Klingt wunderbar.“„Papa und Mama legten uns die Welt zu Füßen. Wir wuchsen auf wie im Paradies.“„Klingt herrlich.“

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„Und sie machten sich immerzu Gedanken über fortschrittliche Erziehungsmethoden. Wir wurden zum Beispiel nie für irgendetwas bestraft und durften immer alles tun, was uns gerade in den Sinn kam.“„Ihr durftet alles tun. Wie schön.“„Mama meinte, Kinder wissen am besten, was gut für sie ist und wir sollten einfach unsere Erfahrungen machen.“„Keine Verbote und nie Strafen“, wiederholte Emilia ungläubig. „Ein Kinderleben ohne Einschränkungen.“„Ohne Grenzen, richtig“, bestätigte Eva und Emilia glaubte, in ihrer Stimme einen kritischen Unterton zu vernehmen.„Als ich schließlich größer wurde, begann ich die Grenzen, die mir nie gezeigt wurden, selbst auszuloten. Ich sollte ja lernen und Erfahrungen sammeln. Wie oft kann man zum Beispiel im Tante-Emma-Laden von Gertrude stibitzen, bis man geschnappt wird ? Wie viele Tabletten aus dem Apothekenschrank kann man untereinander mischen, schlucken und überleben? Mit wie vielen Dorfjungen es treiben, bis man schwanger wird? Was macht einen süchtiger, Kokain, Heroin oder Crack? Und so einiges mehr. Verstehst du überhaupt, was ich meine?“„Natürlich verstehe ich“, antwortete Emilia, obwohl sie im Grunde nicht im Geringsten verstand. „Und wie ging es weiter?“„Papa meinte zu guter Letzt, ich wäre eben ein Freigeist, ein nicht zähmbarer Albatros. So wie jene ewig über die Ozeane dahingleitenden Seevögel. Zum mit Auszeichnung bestandenen Magister in Physik schenkte er mir also ein Wohnmobil.“„Dann schläfst du im Auto?“

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„Schön wär s“, erwiderte Eva. „Aber ohne Kennzeichen, keine Fahrerlaubnis. Um ein Kraftfahrzeug anzumelden, braucht es einen festen Wohnsitz. Ein Wohnmobil wird als Wohnsitz nur dann anerkannt, wenn es stillsteht. Wenn es jedoch stillsteht, gibt es keine Nummernschilder. Ich könnte mich natürlich bei meinen Eltern wieder anmelden. Aber …“„Warum aber, das ist doch eine gute Idee“, pflichtete Emilia bei.„Weil ich mich … weil ich mich so schämen würde. Der große Albatros verlässt das unendliche Firmament, um in Papas goldenen Käfig glücklich zu schmachten? Meine Eltern wären so was von enttäuscht!“ „Ich verstehe“, sagte Emilia nickend.

„Ja, das verstehe ich sehr gut“, wiederholte sie und wunderte sich über die schrägen Blicke und die abschätzigen Bemerkungen der Passanten, die ihr entgegenkamen und an ihr vorbeiliefen. Ohne sich um die fremden Menschen zu kümmern, stolzierte sie die Straße entlang. Nach einer Weile kam sie an einer Gartenanlage vorbei. Sie warf einen flüchtigen Blick auf eine junge Frau, die auf einer Parkbank saß. Neben ihr lag ein riesiger Hund mitsamt Fressnapf auf dem Boden. Emilia bemühte sich, diesen Anblick zu vermeiden. Sie mochte die Darstellung des Elends nicht. Ich hätte dieser Stadtstreicherin eine Handvoll Münzen in die Blechschüssel ihres Fifi werfen können, dachte sie. Aber jetzt bin ich schon vorbei und nochmals zurückgehen, das bringt s auch nicht. Es werden schließlich noch andere Leute vorbeikommen. Aber wie komme ich dazu, mich erinnern zu wollen, ich hätte mich tatsächlich zu ihr auf die Parkbank gesetzt?

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Warum glaube ich plötzlich, ihren schmutzigen Hund gestreichelt zu haben? Was habe ich doch für komische Fantasien in letzter Zeit!

Aber das, was wir heute Abend vorhaben, das ist nicht nur in der Fantasie, dachte sich Emilia im Stillen und schmunzelte vergnügt. Sie setzte sich auf genau jenen Plastikstuhl, auf dem sie schon am Vormittag gesessen war. Das ‚Wiener‘ hatte schon geschlossen und die Neonschrift war schon seit langem kaputt. Unter dem Tisch lagen immer noch die alten Zigarettenstummel, die verbeulten Kronkorken und der vertrocknete Hundekot. Eine Straßenlaterne geizte mit ihrem Licht, Autoscheinwerfer strichen hingegen gewagt über Emilias Brust. Ein bläuliches Schimmern glühte zwischen ihren Fingern und tauchte ihr Gesicht in gespenstiges Leuchten. Ihre Augen funkelten im Licht ihres Mobiltelefons wie zwei still lauernde Raubfische.Solche Klubs gibt’s überall, hatte ihr Charlotte erzählt, aber dieses eine Establishment, um einsame Männer kennenzulernen, schwärmte sie, das wäre einsame Spitze. „Geórgios hat einen Auftrag, sage ich dir. Da sitzt er die ganze Nacht dran und wenn nötig bis Sankt Nimmerlein.“„Woher willst du s so genau wissen?“, ertönte es aus dem Lautsprecher ihres Telefons. „Weil ich es ihm persönlich aufgetragen habe, Charly. Einen neuen Programmierauftrag für meine Werbeagentur. Das ist sein Ding, das kann er. Und darüber hinaus reduziert es unsere Steuern.“