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G. Andreas Kämmerer

Abschied von der Integration- eine Expertise zu dem „Arbeitspapier des Magistrats der Stadt Frankfurt

am Main, 'Entwurf eines Integrations- und Diversitätskonzepts für die

Stadt Frankfurt am Main' “

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

- Oktober 2009 – Februar 2010 -

im Auftrag: Freie Wähler Frankfurt am Main

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Über den Autor:

G. Andreas Kämmerer hat ein kommunikationswissenschaftliches Universitätsstudium an

der FU-Berlin abgeschlossen (Lic. rer. publ.) und ist geprüfter Public Relations Berater

(DAPR). Seine fachlichen Schwerpunkte bilden die Fragestellungen ontologische Sys-

temtheorie, Philosophie, Kognitionswissenschaften und Neue Medien. In den letzten drei

Jahren forschte Andreas Kämmerer über die möglichen Grundlagen einer Werte-Theorie:

„Der Wert unserer Werte“ (in Vorbereitung). Im Rahmen dieser Untersuchung wurde auch

der Gegenstand „Vielfalt“ als möglicher universeller Wert thematisiert.

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kontakt: [email protected] / eplus: 0 175 - 1234 333 / fax: 0 32 12 - 1234 333

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Inhalt:

Expertise/Gegenstand..........................................................5

Strategischer Zugang...........................................................7

I. Struktur ...........................................................................9

II. Reichweite.......................................................15

III. Wissenschaftlichkeit.........................................21

IV. Inhaltsanalyse..................................................27

V. Transformation?..................................................................33

VI. Diversity, Vielfalt...............................................39

VII. Kultur-De(sin)formationen................................45

VIII. Vielfalt -Personen.............................................71

IX. Strategie-Szenarien............................................................81

X. Zusammenfassung.............................................................87

XI. Expertise Fazit....................................................................91

XII. Zitate / Quellen...........................................................97 -105

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Expertise und Gegenstand

1. Der Auftrag

Am 7. Oktober 2009 wurde von den Freien Wählern Frankfurt am Main der Auftrag erteilt, vorlie-

gende Expertise zu erstellen. Aufgrund des besonderen Charakters des Quelldokuments als Teil

eines öffentlichen Kommunikations-Prozesses wurde als verbindlicher Termin für die Fertigstellung

der Expertise der 31. Januar vereinbart.

Gegenstand ist das öffentlich verfügbare, 240 Seiten umfassende Dokument: „Arbeitspapier des

Dezernats für Integration, 'Entwurf eines Integrations- und Diversitätskonzepts für die Stadt Frank-

furt am Main'„ (Sept. 2009). Aufgrund des Gegenstandes wurden amtliche Kommentare, Verlaut-

barungen und Teile der begleitenden öffentlichen Kommunikation ebenfalls zum Inhalt des Gegen-

standsbereichs dieser Expertise hinzugezogen und jeweils explizit durch eine Quellenangabe als

externe Information kenntlich gemacht.

Innerhalb der Expertise ist es notwendig, das Quelldokument regelmäßig zu zitieren. Dies ge-

schieht im weiteren Verlauf in Form der Abkürzung: „Eskandari-Papiere“.

2. Maßgaben und Eigenschaften

Als Untersuchungsmaßgabe wurde notwendigerweise die öffentlich kommunizierten Zielsetzun-gen der Eskandari-Papiere selbst als Maßstab vereinbart sowie die Tatsache berücksichtigt, eine

amtliche Verlautbarung der Stadt Frankfurt am Main zu untersuchen.

Die Eskandari-Papiere stehen im Kontext einer öffentlichen Dialog-Phase und bilden die Grundla-

ge von weitreichenden politischen Entscheidungsprozessen.

Aufgrund dieser Eigenschaft des Untersuchungsgegenstands wäre eine eindeutige amtliche Be-zeichnung zu erwarten gewesen.

Jedoch lässt der Magistrat der Stadt Frankfurt eine eindeutige Kennzeichnung des Quelldoku-

ments völlig offen: Ob es sich bei den Eigenschaften der Eskandari-Papiere daher um Teile der of-

fiziellen Kennzeichnungen, um Kombinationen der Teile oder eine andere objektive Charakteristik

handelt, ist ohne vorherige Analyse des Textes völlig unbestimmt, wie auch nicht ersichtlich ist,

warum eine eindeutige Kennzeichnung nicht erfolgte.

Dieser Mangel wiegt um so schwerer, da eine „öffentliche Verlautbarung“ politischer Organe ohne

eindeutige Nennung der Zielsetzung ein Widerspruch in sich selbst darstellt.

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3. Methode und Instrumente

Vorliegende Expertise hat die politische Zielsetzung des Eskandari-Papiers zum Mittelpunkt der

Untersuchung. Da der Gegenstand ein amtliches Dokument darstellt, nämlich eine politische Ver-

lautbarung, jedoch entgegen des amtlichen Charakters eine eindeutige Kennzeichnung nicht er-

folgte, muss eine systematische Untersuchung diesem schwerwiegenden Mangel Rechnung tra-

gen.

Daher wird in einem ersten Schritt untersucht werden müssen, ob aus einer strukturellenAnalyse des Dokuments in Beziehung zur unbestimmten offiziellen Kennzeichnung die ei-gentliche Zielsetzung näher abgeleitet werden kann.

Erst nachdem dieser erste notwendige Schritt erfolgt ist, kann in einem zweiten Schritt untersucht

werden, in welcher Qualität die sich aus der Strukturanalyse ergebenden Zielsetzungen im Eskan-

dari-Papier behandelt wurden. Schließlich kann dann im dritten Schritt auf der Basis der erfolgten

Teil-Analysen eine zusammenfassende Expertise erfolgen.

4. Strategie- und Fachebene

Grundlage politischen Handlungen ist neben der inhaltlichen Fachebene ebenfalls die Strategie-

Ebene zur Konfiguration operativer Maßnahmen. Im vorliegenden Falle gebietet es daher die ziel-

führende Analyse, das zu untersuchende Quelldokument als einen möglichen Teilaspekt einer stra-

tegischen Maßnahme zu betrachten bzw. auf diesen Aspekt hin zu analysieren. Der Umstand,

dass das Quelldokument als kommunikatives Instrument nur ein Teil einer mehrstufigen Dialog-

Phase darstellt, unterstreicht die mögliche Evidenz jener Fragestellung.

5. Zur weiteren Struktur dieser Expertise

Im Verlauf der vorliegenden Arbeit hat sich eine inhaltliche Gliederung ergeben, die den Weg der

verschiedenen Analysen nachzeichnet und im Inhaltsverzeichnis seine übersichtliche Entspre-

chung findet. Insofern vollzieht diese Arbeit einen Weg vom Allgemeinen hin zum Speziellen, wäh-

rend sie den Untersuchungsgegenstand analytisch immer weiter eingrenzt. Aus der ersten, allge-

meinen Struktur-Analyse (I.) ergibt sich die Notwendigkeit, drei weitere Analysen zu realisieren. (II,

III, IV). Aus den Schlussfolgerungen der ersten vier Untersuchungen, sowie aus den Ergebnissen

der sich anschließenden Analyse (V.) kann der Untersuchungsgegenstand weiter eingegrenzt, die

Fragestellung modifiziert, und durch weitere drei Analysen auf diese neue Zielsetzung hin einge-

grenzt werden. In den abschließenden IX., X. und XI. Abschnitten finden alle Ergebnisse zusam-

men und ergeben ein eindeutiges Bild.

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Strategischer Zugang

Vorliegende Expertise hat ein schriftliches Dokument einer amtlichen politischen Verlautbarung

zum Gegenstand. Dabei ist das Dokument im genannten Kontext lediglich ein Teil einer politischen

Planung, nämlich einer sogenannten dreistufigen Dialogphase wie folgt:

1. Kommunikation der amtlichen Verlautbarung, „Eskandari-Papiere“.

2. Öffentlicher Diskurs und Veränderung von 1.

3. Transfer der Ergebnisse von Pkt. 1 und 2 in politische Maßnahmen (Magistrat).

Politik vollzieht sich in der Konkurrenz kontroverser Standpunkte. Die Durchsetzung politischer

Ziele ist dabei ein komplexer Prozess. Daher ist die strategische Planung operativer Maßnahmen

ein übliches Moment jeder zielgerichteten politischen Arbeit. Aufgrund dieser Wechselwirkungen ist

eine fundierte Untersuchung der Eskandari-Papiere nur im o.g. Kontext sinnvoll durchführbar. Kon-

kret bedeutet dies, dass Interdependenzen zwischen Inhaltlicher Fach- und Expertenebene und

Strategischer Planungsebene den analytischen Zugang zum Gegenstand mitbestimmen müssen.

Für die weitere Expertise bedeutet dies, dass die Untersuchungs-Ergebnisse auf der Fachebene

mit den möglichen Zielen und den daraus resultierenden operativen Implikationen der politischen

Strategie-Ebene in Beziehung gesetzt werden müssen.

Im vorliegenden Fall wird dies erfolgen, in dem die Eskandari-Papiere als ein Teil-Prozess einer

übergeordneten politischen Gesamtkommunikation hin untersucht werden. Diese Notwendigkeit

bedingt, dass die abschließende Expertise die verschiedenen Teilergebnisse (Fachebene) unter

dem übergeordneten Primat einer strategischen Planung verorten und subsumieren muss. Diese

strategische schließende Klammer ist der gesamte Dialog-Prozess als übergeordneter Plan.

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I. Struktur

1.1 Begriffliche Kennzeichnung der Eskandari-Papiere

Entgegen der über einen langen öffentlichen Zeitraum kommunizierten Aussage, ein „Integrations-

konzept“ der Frankfurter Bürgerschaft zu präsentieren, wird der Leser bereits auf der Titelseite in-

formiert, dass es sich um einen „Entwurf“ eines „Intergrations- und Diversitätskonzepts für die

Stadt Frankfurt am Main“ handelt.

Fraglich bleibt schon an dieser Stelle, ob sich die qualifizierende Bezeichnung „Entwurf“ auf beide

folgenden Wort-Bestandteile bezieht oder nur auf eines. Logisch sinnvoll wäre auch die Möglich-

keit, dass es sich nach dem Titel um einen Integrationskonzept-Entwurf und ein Diversitätskonzept

handelt wie auch umgekehrt.

Nach dieser ersten Analyse ist festzuhalten, das drei Interpretationen des Titels sinnvoll möglich

sind, und dass ein Hinweis auf die intendierte Kennzeichnung gänzlich fehlt.

Auf Seite 4 dieses „Entwurfs“ wird das Ganze noch komplexer. Denn dort erfährt der Leser, dass

er nur ein „Arbeitspapier“ des „Dezernats für Integration (...)“ in Händen hält. Dies bedeutet, dass

die oben genannten drei Interpretationsmöglichkeiten erweitert werden müssen auf folgende 18

Kombinationsmöglichkeiten (mathematisch: ((1x2x3x4x5 / 1x2x3)-2)

Arbeits-Papier Entwurf Konzept Integration + Arbeits-Papier Entwurf Konzept Diversität x x x x x x x x x

x x x x x x x xx x x x x x x

x x x x x x x xx x x x x x x

x x x x x x xx x x x x xx x x x xx x x x x

x x x x x x xx x x x x x x x

x x x x xx x x x x

x x x x xx x x x x x

x x x x x xx x x x x x

x x x x x x(Tabelle #1 G.A.Kämmerer)

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Festzuhalten bleibt also, und dies ist kein unwichtiges Detail, dass es sich bei dem 238 Seiten

starken Dokument um das „Arbeitspapier“ eines „Entwurfs“ zweier (!) „Konzepte“ handelt, näm-

lich Integration und Diversität, wobei 18 Interpretationsmöglichkeiten sinnvoll denkbar sind.

Nachdem feststeht, dass der Frankfurter Magistrat ein amtliches Dokument veröffentlich hat, dass

18 verschiedenen Kennzeichnungen haben kann, müssen jene Bestandteile daraufhin untersucht

werden, ob sie verschiedene Bedeutungen haben bzw. in der Kombination ggf. eine notwendige

logische Folge ergeben.

Der Begriff: Arbeitspapier

Lt. Duden-Redaktion versteht man unter einem „Arbeitspapier“ einen Begriff in der politischenKommunikation, mit dem ein Papier bezeichnet wird, „dessen Inhalt der weiteren Arbeit zugrun-

de gelegt werden soll“.

Das vorliegende Dokument hat somit zumindest partiell den definitiven Charakter, der weiteren po-

litischen Arbeit zu Grunde gelegt zu werden, also die politische Diskussionsbasis für die Zukunft zu

sein. Doch welcher Basis für was?

Der Begriff: Entwurf

Laut Duden handelt es sich bei einem „Entwurf“ um die „schriftliche Festlegung einer Sache in ih-ren wesentlichen Punkten“. Und der Terminus „wesentliche Punkte“ verspricht eine knappe und

auf den Punkt kommende Darstellung eines Konzeptes, wie es im Titel des Arbeitspapiers weiter

heißt.

Der Begriff: Konzept

Unter einem „Konzept“ bzw. einer „Konzeption“ versteht die Duden-Redaktion u.a. einen „klarumrissenen Plan, Programm für ein Vorhaben“, bzw. die Konzeption „einer Lehre, einem Pro-gramm, Werk zugrunde liegende Anschauung, Leitidee; geistiger Entwurf“.

1.2 Zwischenfazit:

Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, lautet diese: dass das „Arbeitspapier“ eines

„Entwurfs zweier Konzepte“ im Sinne seiner Wortbedeutungen einen komplexen Zweck bezeich-

net: nämlich den Inhalt der weiteren Arbeit in wesentlichen Punkten als klar umrissenes Pro-

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gramm für ein politisches Vorhaben auf der Basis einer zugrunde liegenden Anschauung oderLeitidee in Bezug auf die Begriffe Integration und Diversität festzulegen.

Diese Komplexität präsentiert sich als eine, aus der Sicht des Frankfurter Bürgers sehr ernst zu

nehmende, politische Publikation; als eine dezidierte politische Absichtserklärung von Teilen

des Frankfurter Magistrats.

Dass dieses Vorhaben in einer Art und Weise realisiert wurde (wie im Abschnitt II., 'Reichweite'

dargelegt) , durch die mehr als 95% der Frankfurter Bewohner diese sehr wichtige politische Ab-

sichtserklärung nicht lesen, nicht verstehen und somit nicht zur Grundlage ihrer politischen Wil-

lensbildung machen können, ist entweder auf strategische Planung oder auf das vollkommene

Versagen hinsichtlich der im Arbeitspapier definierten Ziele wie Transparenz und Dialogbereit-

schaft zurückzuführen.

Dass trotz dieses offenkundigen Versagens genau das gegenteilige Ziel, nämlich Transparenz und

Dialogmöglichkeiten, auf breiter Ebene in den Eskandari-Papieren und medienwirksam in Print-,

Online- und TV-Medien propagiert wird, verschleiert die Fakten-Lage, so dass davon ausgegan-

gen werden kann, dass offensichtlich ein wirklicher öffentlicher Diskurs vermieden werden soll. Der

Frankfurter Bürger soll offensichtlich über die Hintergründe und Absichten des Konzepts getäuscht

und vom öffentlichen Diskurs bewusst ausgeschlossen werden.

Neben dieser begrifflichen Verwirrung, die zudem auch noch dazu dienen kann, die gesamte Arbeit

(bei der es sich ja nur um ein „Arbeitspapier eines Entwurfs“ handelt) gegen substantielle Kritik zu

immunisieren, dient diese gleichzeitig dazu, den heutigen „Entwurf“ als spätere substantielle Aus-

sage für folgende Legitimationen zu präparieren – getreu dem Motto: „wir haben alles auf fast 250

Seiten offen zu Diskussion gestellt“.

1.3 Inhaltliche Struktur der Eskandari-Papiere

Strukturell zerfallen die Arbeitspapiere der Entwürfe in drei Teile, die wenig miteinander zu tun ha-

ben, wenn man sie nur partiell zu Kenntnis nimmt, bzw. ob der mangelhaften Zugänglichkeit, Les-

barkeit nur zum Teil zu Kenntnis nehmen kann und u.U. auch soll. Diese bewusste Strukturierung

separiert thematische Inhalte, die für sich alleine unverfänglich erscheinen, die aber bei Zusam-

menschluss einen neuen Kontext und Inhalte bilden, die als sehr bedenklich einzustufen sind.

Die Struktur des 'Entwurfs des Arbeitspapiers' des Dezernats für Integration (Onlineausgabe von

September 2009 datiert) zeigt folgendes Bild:

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1) Programmatische Zielsetzung von Frau Dr. Eskandari-Grünberg (Seite 9 – 17)

2) Theorie Diversität (Seiten 19 – 79)

3) Perspektiven und bestehende Handlungsfelder (Seiten 81 – 236)

Wie sich in der späteren Analyse zeigen wird, übernimmt der erste Teil die Aufgabe, das Publikum

darauf einzustimmen, dass bestimmte politische Konsequenzen notwendig sind, ohne aber die

Konsequenzen im Detail zu benennen.

Der zweite Teil fundiert eine theoretische Basis, die die politische Legitimation bilden soll für

jene Konsequenzen, die im ersten Teil als notwendig erachtet wurden, ohne genannt zu werden.

Im dritten Teil wiederum wird auf sehr breiter Basis eine Zustandsbeschreibung bestehender

Strukturen des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten dargeboten, ohne im Detail zu beschrei-

ben, in welcher Qualität und Quantität jene Strukturen erfolgreich waren und in welcher Qualität

und Quantität jene Strukturen übernommen, reduziert oder intensiviert werden sollen.

Auch die begleitende öffentliche Kommunikation bestätigt, dass in den Eskandari-Papiere keineSchlussfolgerungen in Form neuer Konzepte enthalten seien; vielmehr soll an diese Stelle die

„Vernetzung“ bestehender Konzepte, Projekte treten. Der gesamte o.g. dritte Teil ist daher nicht als

ein qualitativer Beitrag für ein geplantes Integrationskonzept zu bewerten.

1.4 Versteckte politische Implikationen

Die angesprochene kontextuelle „Bedenklichkeit“ kommt dann zum Vorschein, wenn man alle drei

Teile gemeinsam zur Kenntnis nimmt und jene Aussagen analysiert, die im Wust von 238 Seiten

verborgen sind, bzw. sich erst dann vollständig offenbaren, wenn man die programmatische Ziel-

setzung des ersten Teils (z.B. die rechtliche Anspruchs- und Forderungshaltung in Verbindung mit

kultureller Beliebigkeit und Pflichtenlosigkeit) mit den theoretischen Implikationen des 2. Teils (z.B.

die definitorische Negierung der deutschen Kultur) und den Meinungsäußerungen aus dem dritten

Teil (z.B. Deutsch als Zweitsprache und Arabisch und Türkisch als Verkehrssprache in Kindergär-

ten und Schulen und Behörden) in einen gemeinsamen Kontext setzt.

Dieser findet sich bspw. in den Forderungen wieder, die Frankfurter Struktur der öffentlichen Ämter

auf nichtdeutsche Zielgruppen hin zu optimieren, um so dem Umstand Rechnung zu tragen, dass

die Deutschen ohne Migrationshintergrund zahlenmäßig in Frankfurt in wenigen Jahren in der Min-

derheit sein werden.

Neben der fachlichen Kritik liegt der Schluss nahe, dass es eine kommunikative Strategie darstellt,

wenig konsensfähige Forderungen und Aussagen auf 240 Seiten zu verstecken und sie dennoch

als amtliche Verlautbarung genannt zu haben.

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1.5 Schlussfolgerungen Fachebene

Die bisherige Untersuchung hat aufgezeigt, dass die Eskandari-Papiere keine eindeutige Kenn-

zeichnung aufweisen und somit ihre Zielsetzung achtzehn verschiedene Interpretationen zulässt.

So ist ein „Integrations-Konzept“ als amtliches Ziel ein klar umrissener Plan, Politik zu betreiben,

während ein „Arbeitspapier zu einem Entwurf zu einem Konzept“ formal lediglich den amtlichen

Plan zum Ausdruck bringt, also das Vorhaben, einen Entwurf zu entwickeln, auf dessen Basis

dann erst ein Konzept erarbeitet werden soll – und jene mögliche Interpretation der Kennzeich-

nung sagt aus, dass weder ein Entwurf von einem Konzept noch ein Konzept selbst vorliegt. Eine

ledigliche Absichtserklärung auf amtlicher Magistratsebene wäre 100% unverbindlich.

Von der Grundstruktur zerfallen die Eskandari-Papiere in drei Teile, die wenig miteinander zu tun

haben. Während die ersten beiden Teile substantielle, qualitative Aussagen beinhalten, stellt der

dritte Teil lediglich eine große Meinungssammlung dar, die zudem aus den o.g. Gründen für ein In-

tegrationskonzept nicht ins Gewicht fällt.

1.6 Schlussfolgerungen Strategie-Ebene

Hinsichtlich einer möglichen strategischen Planung, die o.g. amtliche Unverbindlichkeit zu konstru-

ieren, kann noch keine Schlussfolgerung getroffen werden; diese Möglichkeit muss jedoch als ein

starkes Motiv im Verlauf der weiteren Untersuchung im Auge behalten werden. Denn es ist unzwei-

felhaft einer amtlichen Behörde zu unterstellen, amtliche Verlautbarungen mit weitreichenden poli-

tischen Folgen für eine Bürgerschaft von über 600.000 Personen gewissenhaft zu adressieren und

keine Verwirrung zu inszenieren, die selbst nur ein Teil einer strategischen Planung sein könnte,

die Bürgerschaft in Gänze über die wahren politischen Absichten im Unklaren zu lassen.

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II. Reichweite

Die „Eskandari-Papiere“ beschreiben und betonen auf ca. 238 Seiten eindeutig und immer wie-

der, wie wichtig die „Mitbeteiligung“ und der „Dialog“ aller „Akteure“ und insbesondere der ganzen

Stadtgesellschaft bei der Diskussion des Arbeitspapiers sind. Die Dezernentin sieht die Stadtbe-

wohner sogar in einer Art moralischen Pflicht zur Mitarbeit; Zitat aus dem Arbeitspapier, Seite 13:

„Wir alle tragen gemeinsam Verantwortung für unser Zusammenleben. Dass ich

hier kein fertiges Konzept vorlege, sondern einen Entwurf, ist eine Konsequenz

dieser Überlegungen.“

Analysiert man die „Eskandari-Papiere“ weiter hinsichtlich ihres eigenen Anspruchs, dass alle

Frankfurter Bürger mitreden, mitgestalten und mitentscheiden können und sollen, wird schnell klar,

wie sehr Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen. Dieses Versagen hat zumindest 7 einfa-

che Gründe.

2.1 Vertrieb:

Das „Konzept eines Arbeitspapiers“ ist online zu downloaden. Das bedeutet, dass alle, die über

keinen Internetzugang verfügen, keinen Zugriff haben. Und jene, die nur über Bekannte oder Dritte

einen Onlinezugriff realisieren können, können in der meist begrenzten Zeit das voluminöse „Kon-

zept eines Arbeitspapiers“ nicht ansatzweise zur Gänze zur Kenntnis nehmen. Aus diesem Um-

stand resultiert eine sehr starke Begrenzung der Zielgruppe. Des Weiteren muss der Bürger erst

einmal von der Quelle und dem diesbezüglichen Link Kenntnis erlangen. Das wiederum verweist

ihn auf Printmedien und auf ein Zeitfenster, in der die Information über die Verfügbarkeit veröffent-

licht wurde. Alleine aus diesen nachgeschalteten Filtern ist leicht ersichtlich, dass nur eine relativ

kleine Zielgruppe der Stadtbevölkerung erreicht werden kann1.

2.2 Umfang und Verschleierung

Das „Konzept eines Arbeitspapiers“ hat einen Umfang von 238 Seiten. Das ist für ein Onlinedoku-

ment extrem überdimensioniert. Selbst jene, die die Datei runter laden können, weil sie Kenntnis

von der Quelle erlangen konnten und über eine schnelle Internetanbindung verfügen, werden sich

keine 238 Seiten ausdrucken wollen. Aber auch die Lektüre über den Bildschirm ist in diesem Um-

1 Kurz vor Drucktermin dieser Expertise spricht Frau Dr. Eskandari am 3. Februar 2010 im Deutschland-Radio von einer Download-Rate von 8.000 Mal der Eskandari-Papiere. (27)

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fang realistisch nicht möglich. So bleibt eine relativ kleine Gruppe übrig, die auch nur partielle

Kenntnis über die Inhalte erlangen konnte.

Zudem: Bei diesem extrem unüblichen Umfang eines „Konzept eines Arbeitspapiers“ stellt sich

die Frage, warum es die Größe einer durchschnittlichen Diplom- bzw. einer knappen Doktorarbeit

umfasst. Es stellt sich die Frage: Soll das fertige Konzept 5000 Seiten umfassen? Oder dient der

Umfang der Verschleierung von einigen wenigen Grundinformationen?

2.3 Sprache und Sprachniveau

Die Sprache ist in zweifacher Hinsicht zu bemängeln. Zum Einen ist sie nur einsprachig deutsch;

wichtige Zielgruppen für Integration, die eben nicht gut Deutsch sprechen, wie bspw. Türken, Ma-

rokkaner usf., können das „Konzept eines Arbeitspapiers“ nicht lesen, und wenn, dann bestimmt

nicht über 238 Seiten. Selbst eine einfach zu erstellende Zusammenfassung in verschiedenen

Sprachen fehlt. Somit wird eine der wichtigsten Zielgruppen, die Migranten, bewusst ausgespart.

Zum Zweiten entspricht das Sprachniveau einer Qualität, wie es im Grunde nur für vorgebildete

Leser verständlich ist. Es wimmelt von Fremdwörtern und Fachtermini, die auch einem durch-

schnittlich gebildeten Leser schnell von dieser Lektüre abschrecken werden.

2.4 Inhalte/Struktur

Die Inhalte des „Konzept eines Arbeitspapiers“ entsprechen nicht der Beschriftung. Ein Konzept,

einen Plan, eine Analyse, ein systematisches Vorgehen sucht der Leser vergeblich, so dass der In-

halt letztlich auf einen 240-Seiten starken Etikettenschwindel hinzielt.

Die Struktur des „Konzept eines Arbeitspapiers“ ist im höchsten Maße undurchsichtig. Was wich-

tig ist und was nicht, erfährt der Leser an keiner Stelle. Und selbst nach der Lektüre des ganzen

„Konzept“ stellt sich kein Erkenntnisgewinn über ein Integrationskonzept ein. Anstatt eines klaren

und einfach zu beschreibenden Konzeptes, das eindeutig eine Analyse und Konsequenzen aus

der Analyse präsentiert, bilden die 238 Seiten ein Durcheinander und einen Wust von impliziten

Aussagen, die sich der Leser erst mühsam selbst erarbeiten muss.

2.5 Mangelhafte Kompaktheit

Das „Konzept eines Arbeitspapiers“ ist aus methodologischen Gründen für wissenschaftsorien-

tierte Zielgruppen ebenso schwer zugänglich wie für jene Klientel, die in Punkt 2.3 genannt wur-

den. Entscheider, Führungskräfte, Multiplikatoren müssen ob der fehlenden Standards auf eine

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schnelle und kompakte Zugänglichkeit, auf einen zeiteffizienten Zugriff verzichten. Somit muss

dass „Konzept eines Arbeitspapiers“ delegierend interpretiert und zusammengefasst oder gänz-

lich als unprofessionell in die Ablage P gelegt werden.

2.6 Unprofessionelle Evaluation

Einfach zu implementieren, fachlich notwendig, und doch nicht geschehen, ist das Einbauen einfa-

cher Instrumente, um die Medienreichweite und m.E. auch die Medienwirkung überprüfen zu kön-

nen(Medienresonanz-Analyse). So bleibt es ein Geheimnis, wie viele Personen das „Konzept“ in

Frankfurt in welch starkem Maß gelesen haben und wie gut sie es verstanden haben. Selektive

Evaluations- und Responsemöglichkeiten wurden völlig außer Acht gelassen, obwohl sie bei einem

Onlinemedium schnell und kosteneffizient implementiert und ausgewertet hätten werden können.

Und selbst bei den nach ca. 3 Monaten kommunizierten 65.000 Zugriffen auf das Onlineportal

bleibt völlig unklar, wieviele Downloads zu wie vielen Lesern geführt haben und wie viele davon die

Geduld aufbrachten, alles gründlich zu studieren. Aufgrund dieser aktuellen Zahlen erscheinen die

gutmütig geschätzten 3 % als sogar viel zu optimistisch.

2.7 Schlussfolgerungen Fach-Ebene

Auf die weitreichend proklamierte Zugänglichkeit rekurrierend kann zusammenfassend der

Schluss nur lauten, dass die öffentliche Zugänglichkeit zu dem „Konzept eines Arbeitspapiers“

physikalisch, sprachlich, inhaltlich und allg. die Verständlichkeit betreffend einen extrem engen Fo-

kus bildet, so dass nur die Autoren selbst sowie Freunde und Förderer dieses Hochglanzprodukts

einen die eigene Erkenntnis erhellenden Platz haben finden können.

Selbst bei extrem großzügiger Berechnung der verschiedenen Wahrscheinlichkeiten dürfte die

nicht erreichte Zielgruppe bei einer Größenordnung von mehr als 97% der Frankfurter Bürger lie-

gen. Ca. 97% der Frankfurter Bürger haben entweder nicht von diesem für ihre Zukunft wichtigen

Konzept erfahren oder sind nicht in der Lage, dessen Tragweite inhaltlich zu verstehen. Ein Wert,

der jeder demokratischen Beteiligung spottet.

Einen Ausweg aus dem oben skizzierten Informationsdesaster ist über den Umweg der späteren

Dialogphase bzw. der Moderation durch öffentliche Kommunikation nicht gangbar. Wäre dies mög-

lich, hätte man sich die Erstellung und Publikation der 240 Seiten gänzlich sparen können und

gleich alles den qualifizierten Fachkräften aus Rundfunk, TV- und Printmedien überlassen können.

Voraussetzung wäre aber hierfür gewesen, dass die Kernaussagen der Eskandri-Papiere auf 2

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Seiten hätten Platz finden können, damit sie massenmedienkompatibel auf breiter Front hätte

kommuniziert werden kann.

Ungeachtet dieses kapazitiven Details ist die örtliche Presse und auch der öffentliche Diskurs kein

objektiver Darstellungsraum, um ein klares und eindeutiges Konzept dieser politischen Tragweite

ernsthaft konzeptionieren zu können. Zudem: Ein Nichts kann nicht dialogisiert werden. So bleibt

hinsichtlich der Frage der Lesbarkeit und somit der Reichweite der Publikation nur das totale

Scheitern der Aufgabe zu attestieren, jedoch mit der zwingenden Frage verbunden, warum dieses

absehbare Scheitern auf ganzer Linie dennoch realisiert wurde, bzw. welche Gründe dafür hinrei-

chend erscheinen.

2.8 Schlussfolgerungen Strategie-Ebene:

Da diese Erkenntnisse auf der Hand liegen und auch den Autoren bekannt gewesen sind, stellt

sich die Frage, warum jenes Informationsdesaster derartig mediengewaltig und öffentlichkeits-

wirksam in sehr vielen öffentlichen Veranstaltungen vor meist elitären Kreisen inszeniert wird. Da-

her muß die begründetet Vermutung geäußert werden, dass unter den Stichworten Desinformati-on und Legitimation anstatt Information und Kommunikation die wesentlichen Motive der Eskan-

dari-Papiere zu finden sind.

Drei wichtige Schlussfolgerung liegen nahe:

1. Dass die o.g. Verhinderung eines breiten, demokratischen Diskurs kein fach-

licher Fehler, sondern ein operatives Ergebnis einer strategischer Planung

darstellt.

2. Dass die schon lange feststehenden strategischen Pläne und politischenAbsichten durch die breite Präsentation zusätzlich zu der aufgeführten Ver-

schleierung moralisch legitimiert werden sollen.

3. Dass durch die extrem erfolgreiche Verhinderung von Information und Trans-

parenz ein Zustand geschaffen werden sollte, der die weitere strategische

Planung befördert.

Im Anschluss dieser 2. Analyse ist festzustellen, dass sich das durchscheinende strategische Motiv

aus der 1. Analyse durch die neuen Ergebnisse verdichtet hat.

Nachdem die 1. strukturelle Analyse ergeben hat, dass ohne amtliche Kennzeichnung die Eskan-

dari-Papiere formal keine amtliche Substanz besitzen (außer der Absichtserklärung in der Zukunft

entwerfen und auf der Basis dieser Entwürfe dann konzeptionieren zu wollen), zeigte die 2. Analy-

se, dass die amtlich reklamierte und propagierte Reichweite völlig verfehlt wurde.

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2.9 Weiterführende FragestellungAuf der Basis dieser prekären Ergebnisse muss in der weiteren Analyse untersucht werden, ob

das nächste auf breiter Basis kommunizierte Kriterium, nämlich dass der Wissenschaftlichkeit der

Eskandari-Papiere“ einer Prüfung standhält.

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III. Wissenschaftlichkeit

3.1 Selbst- und Fremdzuschreibungen

Das vorliegende Dokument weist sich in der expliziten Selbstbeschreibung das Attribut einer wis-

senschaftlichen Arbeit zu. So ist auf Seite 19 der Eskandari-Papiere zu lesen:

"Dafür haben wir unabhängige Wissenschaftler um eine knappe Expertise zur

Ausgangslage und möglichen Handlungsansätzen gebeten. In der Forschergrup-

pe verbinden sich fachliches Renommee sowie eigene Lebenserfahrung in

Frankfurt und im Ausland."

Zuvor wurde auf Seite 16 näher beschrieben, im welchem quantitativen und qualitativem Umfang

akademische Kriterien das Dokument bestimmten:

"Wissenschaftlerinnen und Gastautoren legen ihre persönliche Sicht dar, einige

aus der Praxis, andere aus einer eher akademischen Perspektive."

Neben dieser – im weiteren Verlauf noch zu kritisierenden - Selbstbeschreibung wurden innerhalb

der nach der Veröffentlichung des Dokuments beginnenden Dialogphase im Rahmen der breiten

öffentlichen Kommunikation kontinuierlich und systematisch dem Dokument und den Autoren wis-

senschaftliche Attribute zugeschrieben. Die veröffentlichten Personen-Zuschreibungen reichen von

der allgemeinen „Wissenschaftlerin“ über das fachliche Attribut „Sozialwissenschaftlerin“ (44) bis

hin zur fachspezifischen „Kulturanthropologin“ (31), bzw. die Autoren wurden explizit fachlich quali-

fiziert als „eine bekannte Wissenschaftlerin“ (44). Frau Römhild etwa führt an, eine These „wissen-

schaftlich begründet bestreiten“ zu müssen (38).

Die Betonung des wissenschaftlichen Anspruchs des Dokuments wurde darüber hinaus im öffentli-

chen Dialog regelmäßig und methodisch als Argument für die Aussagekraft der Inhalte verwendet,

bei allen Podiumsdiskussionen und Vorstellungsrunden bis hin bei Auftritten im Fernsehprogramm,

so zum Beispiel von Frau Dr. Eskandari-Grünberg in einer Diskussionsveranstaltung des HR3, als

sie den „wissenschaftlichen Charakter“ des Dokuments vor 100.000 Zuschauern (GFK-Zahlen, Vi-

deotext) als Argument anführte.

Eigen- und Fremdzuschreibung lassen keinen Zweifel darüber offen, dass das Dokument aus-

drücklich als eine wissenschaftliche Arbeit aufzufassen und insbesondere von Seiten der Öffent-

lichkeit in dieser Qualität bewertet werden soll. Ungeachtet dessen wird das Dokument im Titel

(siehe das 2. Kapitel dieses Dokuments), als ein „Arbeitspapier“ eines „Entwurfs“ zweier „Konzep-

te“ bezeichnet. Da nun weder Arbeitspapiere noch bloße konzeptionelle Entwürfe eine wissen-

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schaftliche Arbeit darstellen können, ist schon an dieser Stelle ein eindeutiger, offener Widerspruch

zwischen der diesbezüglichen breiten öffentlichen Kommunikation und der tatsächlichen, nach-

weislichen Faktenlage zu attestieren. Über diese beschriebene Tatsache hinaus sind aber auch die

inhaltlichen, qualitativen Momente des Dokuments in keiner Weise geeignet, die eindeutigen Krite-rien einer wissenschaftlichen Arbeit auch nur ansatzweise zu erfüllen.

3.2 Wissenschaftskriterien

Der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ist eine hohe Hürde. Selbst wenn man diesen Anspruch zu-

vorkommend allgemein fasst - schließlich soll ja die Lesbarkeit gegenüber dem vielfältigen Publi-

kum erhalten bleiben -, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein.

Zum einen ist dies der Anspruch der Intersubjektivität im Vortrag. Ergebnisse und Überlegun-

gen dürfen nicht einfach nur behauptet werden. Der Rezipient muss die Möglichkeit haben, die Ge-

dankengänge hinsichtlich der Methode, der Systematik, der Operationalisierung und der Evaluati-

on nachvollziehen und so die Seriosität und Richtigkeit des Vortrages beurteilen und einschätzen

zu können. Dabei reicht es auch nicht, sporadisch auf Zitate und Fußnoten zu verweisen.

Des Weiteren gehört es zur Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Vortrages, einen möglichst

objektiven Standpunktekatalog, i.a.R. den wissenschaftlichen Forschungsstand zumindest einfüh-

rend kurz zu referieren.

Werden - wie geschehen - einzig und alleine (und dies über alle Themenfelder hinweg) einseitigeAussage aufgeführt, ist dies kein Hinweis auf eine objektive und unabhängige Suche nach Lösun-

gen und Antworten. So findet sich auf 240 Seiten keine Position, die die Integrationsproblematik

kritisch beleuchtet.

Bei der Formulierung des Vorhabens ist es ebenso notwendig, zentrale Begriffe der geplanten For-

schung eindeutig zu definieren, da nur auf der Grundlage einer eindeutigen begrifflichen Abgren-

zung ein eindeutiges Forschungsziel benannt und somit definiert werden kann. Ohne weiter die

Kriterien wissenschaftlicher Forschung aufführen zu wollen, ist abschließend festzuhalten, dass im

vorliegenden Dokument alle wichtigen Kriterien eines Forschungsberichtes nicht erfüllt werden.

Selbst der Weg einer ersten Beschreibung eines möglichen Forschungsprogramms wurde nicht

geleistet. So fehlt in vollkommener Gänze die Darlegung oder die bloße Nennung der Arbeitshy-pothesen, oder zumindest einer einzigen tragfähigen Definition, auf deren Basis die Ableitung re-

levanter Variablen zwecks späterer Operationalisierung möglich gewesen wäre.

Eine wissenschaftliche Arbeit, die den Gegenstand ihrer Untersuchung inhaltlich ausspart, ist wert-

los. Dies trifft auf das Arbeitspapier in vollem Umfang zu. Die Suche nach einer einzigen Definition

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des Begriffes „Integration“ zeigt, dass eine solche grundlegende Arbeit im vorliegenden Dokument

nicht geleistet wurde.

Dieses Auslassen sowohl einer ersten, einfachen qualitativen Definition als auch einer quantitati-

ven Eingrenzung von dem, was die Autoren des Arbeitspapiers als notwendig erachten, ist ein

schwerwiegendes Defizit, so dass das Dokument selbst die schwächeren Kriterien eines Arbeits-

papiers eines Konzepts nicht erfüllt. Denn Handlungspläne ohne den Nachweis einer (über den

Prozess der Analyse abgeleiteten) Notwendigkeit sind ohne Erkenntnisgewinn.

Die Tragweite des beschriebenen Defizits waren den Autoren des Arbeitspapiers offensichtlich be-

kannt; anders ist nicht zu erklären, warum in der o.g. Selbstzuschreibung eine „persönliche akade-

mische Perspektive“ möglich sein sollte. Dies ist ein logischer Widerspruch oder zumindest eine

bewusste Vortäuschung falscher Tatsachen, nämlich das Werben mit Wissenschaftlichkeit und

dem Renommee einer „internationalen Forschergruppe“, obwohl es sich doch nur um Meinungsäu-

ßerung handelt, deren Objektivität durch das private Moment des Dafürhaltens bekanntlich limitiert

ist.Auch die wohl nicht zufällig redundant gehaltene Aussage,

„Wissenschaftlerinnen und Gastautoren legen ihre persönliche Sicht dar, einige

aus der Praxis, andere aus einer eher akademischen Perspektive“,

lässt die Frage völlig offen, welcher Gastautor und welcher Wissenschaftler eine persönliche, pra-

xisnahe oder „eher akademische Perspektive“ darlegt und welches Mischungsverhältnis zwischen

subjektiver Meinung und objektivem Erkenntnishorizont zu veranschlagen ist.

3.3 Theoretische "Blaupause"

Ergänzend zu den weitreichenden Täuschungsmanöver (dem Publikum subjektive Meinungen und

letztlich Ideologie als objektive Wissenschaft zu etikettieren und diese Fehlbehauptung von Akade-

mikern und politischen Funktionären fortgesetzt in der Öffentlichkeit zu vertreten), werden in dem

umfangreichen Dokument sowie in der öffentlichen Kommunikation ein bestimmtes Vokabular und

immer wiederkehrende Argumente verwendet, die bei näherer Betrachtung einer bestimmten so-

ziologischen Theorie zugeschrieben werden können.

Analysiert man jene Theorie, ist zu erkennen, dass diese offensichtlich als eine Art theoretische

Blaupause für die Autoren des Arbeitspapiers sowie für die öffentliche Kommunikation gedient hat.

Inflationär ist der Gebrauch von Begriffen wie „Vielfalt“, „Milieus“, „Vernetzung“, „Minderheiten“,

„Mehrheiten“, u.v.m. sowie der immer wiederkehrenden Argumentationsfiguren, in deren Verlauf

störende Begriffe relativiert und negiert werden und stattdessen opportune Theoriekonstrukte (wie

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bspw. das der „Diversität“) und Begriffe ohne Beweis ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft einge-

setzt und fortwährend wiederholt werden (s.u.a. (33), (35), (36), (37), (49), (50), (51)).

Diese Form der fortwährenden Wiederholung einer einseitigen und höchst subjektiven Kommuni-

kation erfüllt Kriterien von Propaganda.

Die Aufschlüsselung dieses Kommunikations- und Argumentations-Codes erfolgt im weiteren Ver-

lauf dieser Expertise, insb. im Kapitel VII. Vorausgeschickt werden kann jedoch im Kontext dieser

Analyse, dass die Schlüsselrolle der begrifflichen Fachtermini das Theoriekonstrukt der sogenann-

ten „Diversität“ bzw. „Supervielfalt“ spielt. Einer „Supervielfalt“, die als Prämisse die übergeordnete

Ideologie des sogenannten „Transnationalismus“ fundieren helfen soll, einer neuen Ideologie des

Soziologen Steven Vertovec, den alten Begriff der „Multikulturalität“ ersetzend. Dass jene Transfor-

mation nur unter dem Verlust nicht verhandelbarer Grundwerte unserer Gesellschaft vonstatten

gehen kann, wird später ausgeführt. Jedoch ist es aus dieser Perspektive nur folgerichtig, dass

das offiziell als Integrationskonzept geplante Vorhaben zu einem Konzept der „Supervielvalt“ ver-

ändert und deformiert wurde. Dies bedeutet aber im zweiten Schritt die Aufgabe des Ziels der Inte-

gration (entgegen der öffentlichen Aussage wie bspw. in (42), (43) ).

Die Eskandari-Papiere erfüllen in keiner Weise den Anspruch eines wissenschaftlich fundierten

Arbeitsprogramms für Integration. Im Gegenteil: Statt dessen befindet sich das zweite Konzept,

das der Diversität, in mächtiger Dominanz. Es ist offensichtlich, dass der Begriff der „Diversität“,

der sogenannten „Vielfalt“ oder „Supervielfalt“ in dem gänzlich verfälschend als Integrationskon-

zept beworbenen „Programm“ den Mittelpunkt darstellt.

3.4 Schlussfolgerungen Fach-EbeneZusammenfassend ist festzuhalten, dass das vorliegende Dokument explizit Ettikettentäuschungbetreibt, und dies in beachtenswerter Weise, nämlich in zweifacher Hinsicht: bezüglich der Metho-de und bezüglich der Inhalte.

Methodologisch, indem es eine objektive wissenschaftliche Ebene und Systematik vortäuscht, die

das Dokument in keiner Weise widerspiegelt. Vielmehr soll mit der chronischen Überbetonung von

wissenschaftlichen Attributen, Begrifflichkeiten und akademischen Titeln der diesem Konzept zu-

grunde liegende Charakter einer explizit ideologischen Theorie kaschiert werden. Ziel ist somit die

Täuschung über den wahren Charakter, der Ideologie lautet und nicht Wissenschaftlichkeit. Die

geleistete Analyse zeigt eindeutig, dass Eskandari-Papier womöglich alles ist, aber auf keinen Fall

wissenschaftlich oder in einer anderen Form objektiv.

Die zweite Ettikettentäuschung vollzieht sich auf der inhaltlichen Ebene eines sogenannten Inte-

grationskonzepts, dass das Ziel der Integration gar nicht mehr anstrebt (s. insb. (22) und (23)).

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Stattdessen wird als Ziel eine neue Sichtweise propagiert, für die Integration nicht mehr notwendig

ist, und zwar unter Einkalkulierung der relativierenden Auflösung elementarer Grundwerte unserer

Gesellschaft.

Diese Täuschungen werden, wie beschrieben, auf allen möglichen kommunikativen Ebenen syste-

matisch und methodisch kultiviert und von den öffentlichen Vertretern des Dokuments fortwährend

als Argument für die objektive Wahrhaftigkeit des Entwurfs und der daraus resultierenden Notwen-

digkeit der Realisierung angeführt.

Die darin enthaltene „wissenschaftliche Meinungsvielfalt“ bzw. die „wissenschaftlichen Teams“ wer-

den gänzlich von einer Person und von deren Prämissen dominiert: von Prof. Dr. Steven Vertovec,

der das vorliegende Arbeitspapier als Mittel nutzen kann, um seine (das Konzept des „Multikultura-

lismus“ ablösen wollende) Theorie der „Transnationalen Identitäten“ auf breiter Basis ins Gespräch

zu bringen. Frau Regina Römhild spielt in dieser Aufführung lediglich die Statistin, die als Zuarbei-

terin Vertovecs dessen Theorien im Rahmen des Entwurfs und im Rahmen der öffenlichen Kom-

munikation rezipiert. Weitere „Wissenschaftler“ fehlen gänzlich als objektive Instanz. Kritische Ge-

genstimmen fehlen ohnehin völlig.

Abschließend sei ein nicht unwichtiger Aspekt genannt. Nämlich, dass die Notwendigkeit einer wis-

senschaftlichen Analyse von den Vertretern des Arbeitspapiers grundsätzlich selbst, wenn auch in-

direkt, in Abrede gestellt wird.

Dies ergibt sich aus der öffentlichen Kommunikation: Immer wieder wurde nach der Veröffentli-

chung des Arbeitspapiers betont, dass „neue Konzepte“ nicht notwendig sind, sondern die „Vernet-

zung“ bestehender Strukturen (34), (45).

Wenn aber die Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse, nämlich die aus den Ergebnissen abzu-

leitenden Maßnahmen schon vor dem Beginn der Analyse feststehen, ist sowohl die Analyse als

auch das Attribut „wissenschaftlich“ obsolet. Diese Logik, das Ergebnis anstatt und vor einer Unter-

suchung zu liefern, gilt auch für das theoretische Konzept von Integration, als „soziale Annäherung

und Vernetzung“ (32). Warum jedoch die soziale Annäherung und die Vernetzung bereits integrativ

wirken sollen, erfährt der Leser des Konzeptes und der diversen Presseerzeugnisse nicht.

Dieser letzte Aspekt passt jedoch fugenlos in die geschilderte Täuschungsstrategie. Denn selbstre-

dend müssen die - im übrigen unzureichenden - Maßnahmen und Konzepte des Amtes für Multi-

kulturelle Angelegenheiten also nicht modifiziert und verbessert werden (46), denn sie dienten

schon vor dem Auftauchen der Vertovec-Ideologie nicht als Integrationsbeschleuniger sondern als

Integrationsverhinderungs-Konzepte. Dass jene nun für das neue ideologische Paradigma stehen,

nach dem Integration gar nicht mehr nötig ist, sondern nun nur noch neu vernetzt und somit die

Integrationsverhinderungsinstrumente optimiert werden sollten, ist folgerichtig.

25

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3.5 Schlussfolgerungen Strategie-Ebene

Auch im dritten Teil der vorliegenden Analyse verdichtet sich die Faktenlage in Richtung einer stra-

tegischen Planung, die die wesentliche und eigentliche Zielsetzung verdecken soll.

Die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Methoden- bzw. Inhalts-Ebene analytisch nachweisen zu

können und somit eines der wesentlichen Aussagen der Vertreter der Eskandari-Papiere zu bestä-

tigen, wurde durch die Untersuchungsergebnisse nicht bestätigt . Stattdessen ist der Befund über-

wältigend, dass die Eskandari-Papiere kein wissenschaftliches Dokument darstellen. Da dieses

Merkmal jedoch wider besseren Wissens fortlaufend öffentlich zum Beweis der Seriosität und in-

haltlichen Wichtigkeit der Eskandari-Papiere behauptet wurde, stellt dieses Vorgehen eine gezielte

Desinformation dar, die notwendigerweise zweckgerichteten Charakter aufweist.

3.6 Weiterführende FragestellungNachdem nun drei substantielle Merkmale der Eskandari-Papiere entgegen der öffentlichen Dar-

stellung nicht nachzuweisen sind, muss in der weiteren Untersuchung die Frage geklärt werden,

welche thematischen Schwerpunkt in Bezug auf die im Titel formulierten Begriffe Integration und

Diversität überhaupt noch eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck schließt sich eine Inhaltsanalyse

des Quelldokuments an.

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IV. Inhaltsanalyse

„Integrationspolitik wird aus dieser Perspektive neu verstanden als

eine gesamtstädtische,alle Schichten und Herkünfte übergreifende

Politik der Vernetzung sozialer und kultureller Vielfalt.“

(„Arbeitspapier“, S. 22)

„Eine an Vielfalt orientierte Vernetzungspolitik darf nicht darauf abzielen,

kulturelle Unterschiede einzuebnen – insbesondere darf sie nicht das Ziel

verfolgen, gemischte Gemeinschaften implizit oder explizit auf

mehrheitsgesellschaftliche, „deutsche“ Kulturstandards zu verpflichten.“

(„Arbeitspapier“, S. 58, Fettung nicht im Orig.)

Eine wissenschaftliche Arbeit, die diese Bezeichnung zu Recht führen möchte, kommt ohne eine

Grundlage an Fachterminologie nicht aus. Ebenso bestimmt ein vorgegebenes Thema bzw. ein

definierter Gegenstandsbereich notwendig eine begriffliche Referenzierung auf den Forschungs-

stand bzw. die behandelten „Gegenstände“.

Nachdem die Initiatoren, öffentlichen Vertreter und Multiplikatoren der Eskandari-Papiere wortreich

das diesbezügliche Dokument als eine „wissenschaftliche Arbeit“ eines „international renommier-

ten“ „Forschungsteam“ avisiert hatten, ist von einem amtlichen Dokument und einer amtlichen Ver-

lautbarung zu erwarten, dass die genannten Attribute und Themen zumindest ausreichend zu-

treffen. Somit ist von jener wissenschaftlichen Arbeit mit dem Thema Integration eine bestimmte

Menge von Fachtermini und speziellen Funktionsvokabeln zu erwarten.

Die anschließende Untersuchung behandelt folgerichtig die Frage, in welchem qualitativen Ver-hältnis die drei Themenbereiche „Wissenschaftlichkeit“, „Integration“ und „Diversität“ in die „Es-

kandari-Papiere“ Eingang gefunden haben. Als Methode wurde das Instrument der Inhaltsanalyse

gewählt.

Entsprechend werden die Eskandari-Papiere einer kurzen Inhaltsanalyse unterzogen, was den An-

teil eines bestimmten, zu erwartenden Sets an Begriffen anbetrifft. Zu diesem Zweck werden im

ersten Schritt drei Gruppen von jeweils ca. 10 Fachtermini und Funktions-Vokabeln definiert,

hinsichtlich der Themata:

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a) „Integration“,

b) „Diversität“/„Vielfalt“;

c) „Forschungssprache (allg.)“.

Im zweiten Schritt wird das Textvorkommen der Eskandari-Papiere im Fließtext, ohne Anmer-

kungsapparat und ohne Fuß- und Kopfzeilen auf das Vorkommen der definierten ca. 30 Vokabeln

hin analysiert, ausgezählt und die Vorkommen summiert.

Im dritten Schritt wird nach dieser Analyse/Auszählung aufgrund des quantitativen Inhaltes der

zuvor qualifizierten Items eine qualitative Gewichtung des Textes hinsichtlich der o.g. Gegen-

standsbereiche eingeleitet werden.

Nach Abschluss dieser kleinen Inhaltsanalyse wird der inhaltliche Charakter hinsichtlich der defi-

nierten Kriterien zu qualifizieren sein.

4.1 Fachtermini / Gruppen

Items: „Integration“:

( Leitkultur, Prägung, Akkulturation, Wertegemeinschaft, Bundesrepublik, Einheit, Mutterland, Va-

terland, katholisch, evangelisch )

Items: „Diversität/Vielfalt“:

( Vielfalt, heterogen, Pluralität, international / Kosmopolitisch, Einwanderung / Auswanderung,

Religion, Islam/Türkisch, Netzwerk/Vernetzung, global/Globalisierung, AmkA )

Items „Forschungssprache allg.“:

( Variable, Prämisse, Konklusion, Operationalisierung, Beweis, Schlussfolgerung, Schluss, An-

nahme, These, siehe, vergleiche (vgl.) )

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4.2 Items / Vorkommen / Ergebnisse:

Diversität/Vielfalt:

Vielfalt heterogen Pluralität internationalkosmopolitisch

EinwanderungAuswanderung

Religion Islam/Türkisch

Netzwerk/Vernetzung

global/Globalisierung

AmkA

> 200 24 25 148 / 25 60 / 0 71 13 / 57 > 200 78 87

Integration:

Leitkultur Akkulturation Prägung Wertegem. Bundesrepublik Einheit Mutterland Vaterland einfügen kath/evang.

0 0 0 0 4 0 0 0 2 2 / 1

Forschungssprache:

Variable Prämisse Operationalisierung Beweis Schlussfolgerung Konklusion Annahme Hypothese vergleiche siehe auch, vgl.

0 1 2 0 1 0 2 1 3 0

4.3 Interpretation

Die vorliegende, knappe Inhaltsanalyse hat bemerkenswerte Ergebnisse produziert. Während die

Merkmalsgruppe „Diversität, Vielfalt“ über 850 Vorkommen zu verzeichnen hat, summieren sich

die beiden anderen Gruppen „Integration“ und „Forschungssprache“ auf 9 bzw. 10 Vorkommen.

Rein quantitativ ergibt sich ein relatives Mengenverhältnis in den Themenbreichen wie folgt:

Diversität : Integration = 95 : 1

Diversität : Forschungssprache = 85 : 1

Aus dieser klaren quantitativen Gewichtung ergibt sich die qualifizierende Schlussfolgerung, dass

das Thema „Diversität/Vielfalt“ in Bezug auf die Themen „Integration“ und in Bezug auf die Voka-

beln / Items eines „Forschungsprogramms“ nicht einfach nur überwiegen, sondern in ihrer quanti-

tativen Dominanz ausschließen, dass das Thema „Integration“ auf einer wissenschaftlichen Ebene

in dem analysierten Dokument behandelt wird.

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4.4 Diskussion der Ergebnisse:

Wie bei jeder textbezogenen, qualitativen Inhaltsanalyse kann man über die Operationalisierung

der Variablen / Items verschiedene Auffassungen vertreten. So ist diese Auswahl auch im vorlie-

genden Fall eine persönliche und fachbezogene Gewichtung. Trotz dieses Unsicherheitsfaktors ist

die Interpretation hinsichtlich des untersuchten Aspekts der Anwendung eines Vokabulars einer

strukturellen Wissenschaftssprache schwierig in Frage zu stellen. Man möge zum Gegenbeweis

ein beliebiges Forschungsprogramm konzeptionieren, und versuche dabei, o.g. Items zu vermei-

den. Dies ist schlichtweg im direkten Weg kaum praktikabel. Zumindest haben die Autoren des

analysierten Dokuments diese „Heimlichkeit“ weder dokumentiert noch bis heute aufgedeckt.

Des Weiteren ist das Ergebnis des Themenfeldes „Diversität / Vielfalt“ ebenfalls überwältigend.

Wenn, wie hier, auf 238 Seiten:

200 mal die Vokabel „Vielfalt“,

173 mal „International/Kosmopolitisch“,

200 mal „Netzwerk“ oder „Vernetzung“,

71 mal „Religion“ und

78 mal „Globalisierung“ und

87 mal „Amt für multikulturelle Angelegenheiten“

60 mal „Einwanderung“,

eine Erwähnung finden und im selben Dokument:

2 mal „Katholisch“

1 mal „evangelisch“

4 mal „Bundesrepublik“

0 mal „Leitkultur“

0 mal „Akkulturation“

0 mal „Prägung“

0 mal „Wertegemeinschaft"

0 mal „Vaterland“

0 mal „Mutterland“

0 mal „einfügen“

0 mal „Auswanderung“

im Kontrast lediglich Erwähnung finden, ist dies in Verbindung mit den ebenfalls fast gänzlich feh-

lenden Items der definierten Forschungssprache ein klares Votum für die nachfolgenden drei

Schlussfolgerungen.

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4.5 Schlussfolgerungen:

Nach Durchführung dieser knappen und kurzen Inhaltsanalyse lassen sich nachfolgende drei Aus-

sagen (in der Rangfolge ihrer Aussagekräftigkeit) bezüglich des Quelldokuments formulieren:

das Dokument Eskandari-Papiere:

1. verwendet keine wissenschaftliche Methodik/Systematik/Terminologie;

2. spart eine wissenschaftliche oder auch nur analytische/definitorische Behand-

lung des Themas Integration komplett aus;

3. stellt das Thema Vielfalt, Diversität in den Mittelpunkt der Inhalte.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das zweite o.g. einleitende Zitat aus der untersuchten

Arbeit, sehr wohl eine – wenn auch negative – Teil-Definition für den Begriff „Integration“ beinhal-

tet. Dieser „positive“ Aspekt wird durch den Umstand getrübt, dass diese Aussage das Gesamt-

projekt konterkarierend in Frage stellt, bzw. der Aufgabe „Integration“ die Arbeitsgrundlage ent-

zieht.

4.6 Fazit:

Aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung kann mit hinreichenden Gründen gefolgert

werden, dass die weitere Untersuchung den Aspekt der „Diversität“ in den Mittelpunkt der Betrach-

tung stellen sollte. Daher erfolgt im nächsten Schritt eine Analyse der einführenden 1. Abschnitts

der Eskandari-Papiere – ob dort ein thematischer Wechsel vom Thema der Integration oder Inte-

gration und Diversität hin zum bloßen Thema „Diversität“ nachweisbar ist.

31

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V. Transformation?

5.1 Textanalyse

Die in ihrer Funktion als Integrationsdezernentin amtlich tätige Frau Dr. Eskandari-Grünberg ist

nach der hessischen Verfassung allen Frankfurtern Bürgern ohne Ansehen von Rasse oder Religi-

on gegenüber verpflichtet, ihre amtlichen Handlungen, Ziele und Planungen ohne diskriminatori-

sche Elemente zu realisieren. Ein näherer Blick auf die weitreichende thematische und program-

matische Einführung der Eskandari-Papiere (S. 9 – 17) unter der im Abschluss des 4. Kapitels for-

mulierten Fragestellung (Diversität), zwingt zu der Erkenntnis, dass Frau Dr. Eskandari-Grünberg

offensichtlich unter „Integration“ die Diskriminierung und Benachteiligung von Deutschen ohne Mi-

grationshintergrund versteht bei gleichzeitiger Auslegung von Diversität als jene Vielfalt an Rech-

ten und Vergünstigungen, die Frankfurter mit Integrationshintergrund zu fordern legitim sei.

Auf Seite 13 schreibt die Frankfurter Dezernentin für Integration:

"Das Ziel allgemeiner ‚Harmonie‘ ist in einer offenen Gesellschaft kaum zu errei-

chen. Demokratie ist keine Harmonieveranstaltung, sondern betrifft gerade auch

den rechten Umgang mit Dissens und Unterschieden. (...) Wenn wir unsere

Selbstverpflichtungen (...) als ein ‚Konzept‘ bezeichnen möchten, dann sollten wir

eher von einem ‚Integrations- und Diversitätskonzept‘ sprechen.“

Kommentar: Aus dieser impliziten Erklärung, warum das Integrationskonzept auch ein Diversitäts-

konzept sein sollte, geht eindeutig hervor, dass die Erweiterung um den Begriff der "Diversität" auf

die Annahme zurückgeführt werden kann, dass:

a) "Harmonie" in Frankfurt unter den Bürgern mit und ohne Integrationshinter-

grund nicht erreicht werden kann und

b) anstatt der nicht zu erreichenden Harmonie der "rechte Umgang mit Dissens

und Unterschieden" gelernt werden soll.

In dieser unmissverständlichen Aussage, die kein Versehen ist, sondern zweifach in einem Absatz

artikuliert wurde, wird der Begriff der "Diversität" als Synonym für "Dissens" und "Unterschiede"

eingeführt. Aus dieser Interpretation (die im Grunde schon die Absage auf das Funktionieren von

Integration beinhaltet) wird ein weiterer weitreichender Schluss gezogen, und dies im nächsten be-

merkenswerten Absatz:

"Integration kann und wird nichts daran ändern, dass wir in einer pluralen Gesell-

schaft leben und dass dies eine Grundlage unserer Demokratie ist, die unter dem

Schutz unserer Rechtsordnung steht."

33

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Mit dieser Aussage wird klipp und klar ausgesagt, dass eine "Integration" nichts daran ändern darf,

dass "wir in einer pluralen Gesellschaft leben". Daraus folgen fünf Aspekte:

- erstens, dass Integration als ein Prozess angesehen wird, der Pluralität auf-

hebt, stoppt, negiert;

- zweitens folgt daraus, und dies ist noch bemerkenswerter, dass diese Plurali-

tät, die als ein Ort von notwendigem Dissens und Differenzen, kurz als ein Ort

der Disharmonie angesehen wird (!), die Grundlage unserer Demokratie dar-

stellt; und

- drittens folgt aus dieser frappierenden Begründung, dass unsere Rechtsord-

nung herangezogen wird, um diese Disharmonie vor „Angriffen“ wie z.B. der

Integration zu schützen.

Diese Erläuterungs- und Begründungs-Trias ist überaus merkwürdig. Einerseits wird grundsätzlich

dem Ideal und Ziel einer harmonischen, integrierten Gesellschaft eine Absage erteilt, ohne dies nä-

her zu begründen. Danach erfolgt die Aussage, dass an diesem Zustand der Disharmonie auch

nichts geändert werden soll. Und schließlich soll dieses soziale Versagen auch noch auf der

Grundlage einer rechtlichen Ordnung verteidigt und erzeugt werden. Einer rechtlichen Ordnung,

von der man zwar partizipieren könne, in die man sich aber nicht integrieren soll und darf, da ja

Harmonie nicht erreichbar ist. In dieser abenteuerlichen (und Egoismus befördernden) Begrün-

dungs-Trias scheint ein Motiv durch, dass auch im späteren Verlauf der Analyse immer wieder auf-

taucht:

nämlich einerseits, die aufnehmende Gesellschaft als Integrationsziel zu ne-

gieren, andererseits jedoch zur Realisierung dieser Verweigerung auf die

rechtlichen Instrumente eben jener Gesellschaft und Gesellschaftsordnung zu

verweisen und diese einzufordern, denen man sich aber nicht selbst unter-

werfen möchte.

Der vorletzte, vierte Aspekt, ist ebenfalls brisant:

- viertens werden die vermeintlichen Rechte auf Disharmonie und Dissens in

jener nicht-integrationswilligen ("pluralen") Gesellschaft von jenen oder für

jene Gruppen als demokratische Grundrechte eingefordert, die sich noch

nicht in unsere demokratische Gesellschaft integriert haben und dies auch

ausdrücklich nicht sollen!

Das diese in höchster Form jedem Ansatz von Integration zuwiderlaufende Denkweise in ihrer ei-

genen falschen Logik noch steigerungsfähig ist, beweist die anschließende Folgerung der Dezer-

nentin für Integration:

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"In diesem Sinne sollten wir uns darauf verständigen, dass das Ziel von Integrati-

on nicht Gleichheit heißt, sondern Chancengleichheit zur gleichberechtigen Teil-

habe."

Diese Logik ist in in ihrer Zielsetzung eindeutig: Integration soll nicht Gleichheit herstellen, denn

der Dissens und die Disharmonie sollen ja vom Grundgesetz gedeckt aufrechterhalten werden.

Und obwohl das Ziel nicht sein soll, Gleicher unter Gleichen zu sein, soll es aber ganz gewiss so

sein, dass man den gleichen Teil der Gemeinschaft einfordern kann (Teilhabe), auch wenn man

sich der Gemeinschaft nicht einordnen möchte bzw. soll. Die gesellschaftliche Teilhabe wird so zur

Einbahnstraße – weite Teile der Gesellschaft können immense Rechte einfordern, ohne weitrei-

chende Pflichten erfüllen zu müssen.

Mit diesem letzten Punkt der Verweigerung gegenüber der aufnehmenden Kultur und Gesellschaft

schließt sich ein verhängnisvoller Kreis, der in der logischen Konsequenz den vorläufig letzten, 5.

Punkt gebiert:

- fünftes wird mit der ggf. erfolgten rechtlichen und monetären Alimentierung je-

ner Gruppen, die sich der Aufnahme verweigern sollen, ein strukturelles Ab-

hängigkeitsverhältnis geschaffen, dass eine erfolgreiche Integration nicht nur

erschwert oder behindert, sondern aktiv und sehr effektiv verhindert, sogar

geradezu unmöglich macht!

Denn der eigentliche Anreiz, die emotionale Motivierung, Teil einer erfolgreichen Leistungsgesell-

schaft zu werden, beruht ja in erster Linie auf materiellen Vorteilen, wie finanzieller und medizini-

scher Versorgung, wie auch immateriellen Vorteilen im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und somit die

Garantie der körperlichen Unversehrtheit. Alles Gegebenheiten also, die in den Herkunftsländern

oftmals nicht der Fall sind. Es geht den Betroffenen also um massive Verbesserung der eigenen

Lebenssituation und um rechtliche "Einfalt" - im Sinne von Eindeutigkeit gegenüber der „Vielfalt“,

also der Korruption und der Beliebigkeit rechtlicher Standards in den Herkunftsländern. Die Motiva-

tion, für den Erhalt der angeführten Leistungen im Gegenzug individuell einen kulturellen Anpas-

sungsprozess leisten zu wollen (und zu müssen), fällt in dem Moment weg und wird negiert, wenn

die ausgeführten Leistungen und Vorzüge auch dann erteilt und zugebilligt werden, wenn sich der

zu Integrierende gar gegen die aufnehmenden kulturellen Normen stellt.

In diesem letzten 5. Punkt wird somit die Erzeugung eines Zustandes beschrieben, der jedem Inte-

grationsprozess notwendigerweise diametral entgegengesetzt ist: nämlich die wichtigsten

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Vorzüge/Ressourcen einer Gesellschaftsordnung an eine bestimmte Klientel verteilen zu wollen,

die normativen Anforderungen jedoch außen vor zu lassen.

5.2 Schlussfolgerungen Fach-Ebene:

Die Ergebnisse der ersten drei Analysen deuten daraufhin, dass das Thema „Diversität“ den es-

sentiellen thematischen Mittelpunkt der Eskandari-Papiere darstellt. Daraufhin wurde in diesem

Abschnitt die programmatische Einführung von Frau Eskandari auf diese Fragestellung hin analy-

siert. Unzweifelhaft dokumentiert Frau Dr. Eskandari in dem untersuchten Text eine Transformati-on der Thematik Integration hin auf die Thematik Integration und Diversität.

Die Gewichtung jedoch der beiden Anteile lässt Frau Dr. Eskandari völlig offen. Auch ein Hinweis,

in welchem Bezug die Eigenschaften „Arbeitspapier“, „Entwurf“ und „Konzept“ in Bezug auf beide

Gegenstandsbereiche ihre Zusammensetzung und den jeweiligen quantitativen Schwerpunkt bil-

den sollen, lässt die Politikerin in Gänze vermissen.

5.3 Schlussfolgerungen Strategie-Ebene:

Das im Pkt. 3.5 gezogene Fazit aus strategischer Sicht wurde durch die Analyse der programmati-

schen Einführung von Frau Dr. Eskandari im wesentlichen Punkt bestätigt: die eigentliche und sub-

stantielle Zielsetzung der Eskandari-Papiere soll dem Leser verborgen bleiben. Erst eine weitrei-

chende Textanalyse konnte wesentliche Zielsetzungen und Aussagen offen zu Tage treten lassen.

Über die reine Fachebene hinaus ist das Ergebnis bemerkenswert, dass nicht – wie angenommen

werden musste – die aufnehmende Bevölkerung die Zielgruppe für theoretische Annahmen und

Implikationen und Maßnahmen darstellt, sondern jene Gruppen im Mittelpunkt der politischen und

strategischen Überlegungen stehen, die zuwandern.

Der Strategie-Wechsel zeichnet sich in jenen Ausführungen ab, die lediglich ein Nebeneinandervon aufnehmender Gesellschaft und Einwanderern und die Partizipation von sozialen und rechtli-

chen Ressourcen als Zielsetzung gegenüber Letzteren formulieren, sowie in dem neuen Fokus auf

die Einwanderer als jene Klientel, die Forderungen gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft zu

stellen theoretisch, rechtlich und strukturell ermächtigt werden soll, während die Frankfurter Stadt-

bevölkerung ohne Migrationshintergrund theoretisch, rechtlich und strukturell ignoriert bzw. diskri-

miniert werden soll.

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5.4 Weiterführende Fragestellungen

Aufgrund der vorgeschalteten Analyse können wir jedoch im weiteren Verlauf davon ausgehen,

dass der zweite genannte thematische Schwerpunkt, nämlich die Integration, keine große Rolle

spielen kann; zumindest nicht unter dieser Bezeichnung (s. u.a. die Ergebnisse im Abschnitt IV.).

Daher ist der weitere Weg notwendig vorgezeichnet: Die Rolle des Begriffes „Diversität“ muss da-

hingehend untersucht werden, ob dieser als eine wesentliche Ergänzung oder gar als Ersatz für

den Begriff der Integration in den Eskandari-Papieren eine Verwendung finden kann bzw. findet.

Daher wird in nächsten Abschnitt der Begriff der „Diversität“ bzw. „Vielfalt“ daraufhin analysiert, ob

diese dazu geeignet ist, den Begriff „Integration“ zu erweitern.

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VI. Diversity, Vielfalt

6.1 Vielfalt in der Kritik I (logisch) -Die inhaltlichen Dimensionen der Begriffe "Integration" und "Diversität"

Die Begriffe "Integration" und "Diversität" bzw. "Vielfalt" werden im Titel der Eskandari-Papiere in

einen gemeinsamen Kontext gesetzt. Es muss daher davon auszugehen sein, dass es sich nicht

nur um ein Konzept in Bezug auf Integration, sondern auch um ein Konzept um die Bedeutung der

"Vielfalt" handelt. Aus der diesbezüglichen Verwendung der Begriffe geht aber nicht hervor, in wel-

cher Beziehung beide Begrifflichkeiten stehen: Weder ist ersichtlich, ob es sich um zwei getrennte

Gegenstandsbereiche handelt, noch, ob und wenn ja, in welcher Form und Stärke, beide Bereiche

konzeptionell vermischt oder getrennt gedacht und ausgeführt werden.

Diese Unklarheit wird durch das Faktum verstärkt, dass beide Begriffe in der herkömmlichen Ver-

wendung nur dann in einen Kontext gestellt werden können, wenn der Begriff der "Vielfalt" als eine

attributive Beifügung des Begriffes "Integration" sinnvoll angewendet werden kann. Der Grund ist

einfach: "Integration" stellt einen qualitativen Begriff dar, der eine definierte Qualität bezeichnet,

einen bestimmten Zustand oder Vorgang. Dahingehend ist der Begriff der "Vielfalt" ein substanti-

viertes Indefinitpronomen, welches qua Definition einen rein quantitativen Aspekt bezeichnet.

Da nun, selbst wie hier geschehen, als attributive Verwendung die inhaltliche Dimension des Be-

griffes der "Vielfalt" ungeeignet ist, die qualitative Bestimmung des Begriffes "Integration" zu erwei-

tern, passen beide Begriffe nicht nur nicht zusammen, vielmehr stehen sie in einem gewissen Ge-

gensatz, der im Titel des vorliegenden Papiers nicht erläutert wird. Dieser Gegensatz ergibt sich

aus der begrifflichen Dimension des Begriffs "Integration". Denn entbinden wir den Begriff "Integra-

tion" um alle fachspezifischen Konnotationen, bleibt als Minimaldefinition übrig: Eine Untermenge

in eine Übermenge aufzunehmen.

Da sich mengentheoretisch eine Menge dadurch auszeichnet, dass sie inhaltlich durch bestimmte

Attribute zur einer qualitativen Menge wird (Eine Menge Bananen, eine Menge grüne Abgeordnete,

eine Menge Unvernunft, usf.), kann diese Menge durch eine quantitative Veränderung keine ande-

re Qualität annehmen (ob 200 oder 400 Bananen in der Menge der Bananen sind, ändert nichts an

der Menge der Bananen als Menge (Qualität !) von Bananen, wie auch die Menge an Unvernunft

nicht abnimmt, wenn man zu 10 unvernünftigen Politikern 100 unvernünftige einfügt). Das bedeu-

tet nun in einfacher Konsequenz, dass ein Konzept, das integrieren will, integrieren muss, bzw.

das zumindest das Programm "Integration" auf seine Validität hin untersuchen möchte, in seiner

Zielsetzung dem Begriff der Vielfalt entgegensteht.

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Kurz: nach erfolgter Integration ist die "äußere" Vielfalt notwendiger Weise reduziert, vermindert

worden. Somit ist folgende Aussage logisch zwingend: Integration vermindert Vielfalt.

Dieser Verlust an Vielfalt, dieses Minus, nimmt je nach Anwendungsbereich verschiedenartige For-

men an. In kultureller Hinsicht, und um diesen Aspekt handelt es sich ja bei der vorliegenden Auf-

gabenstellung, führt Integration zu einer quantitativen Verminderung an Vielfalt, sofern man akzep-

tiert, dass kulturspezifische Einstellungen notwendig andere Einstellungen „diskriminieren“ und

niemals konkurrierende Einstellungen zu gleichen Zeit Gültigkeit beanspruchen können.

Somit ist "Vielfalt" keine Qualität an sich, sondern lediglich eine Bezeichnung für eine Menge von

Mengen, deren inhaltiche Bestimmung/Qualität erst durch die Leistung einer Integration in eine be-

stehende Qualität erzeugt werden kann. Zugespitzt formuliert ist die Aussage gültig, dass "Vielfalt"

das Ergebnis von Desintegration ist. Wer somit den Begriff der Vielfalt paradigmatisch in seiner po-

litischen Arbeit verwendet, steht dem Programm der Integration notwendig ablehnend gegenüber -

Einpacken und Auspacken kann man nicht zur gleichen Zeit leisten. Vielmehr gilt:

Intergration erzeugt durch Interdependenzen neue Qualität, währenddas Konservieren von Qualitäten (Vielfalt) Stillstand bedeutet und imKontext einer sich rasch verändernden Welt Rückständigkeit prozes-siert.

Die genannten Interdependenzen entstehen bekannntermaßen durch die Konkurrenz von Kultu-

ren. Die Attraktivität, jene Kultur zu wählen und jene zu meiden, bzw. von einer Kultur in die andere

zu transformieren, wohnt konstitutiv das private Moment der Individualität und personalen Freiheit

inne. Wer "Vielfalt" als paradigmatische Staatsdoktrin befehlen will und somit kulturelle Transfor-

mation verbietet, fördert angesichts der bestehenden Situation das kulturelle Koma, den Gehirntot

unserer historisch gewachsenen europäischen Kultur.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 6.2 Exkurs: Argumentationsfigur Vielfalt = Stillstand

Vorausgesetzt werden folgende Annahmen:

1) Im Kulturprozess konkurrieren kulturelle Qualitäten.

2) Kultur ist ein momentaner Ergebnis-Zustand eines Prozesses.

3) Erfolgreichere Qualitäten dominieren den Kulturzustand.

4) Kulturgemeinschaft ist eine Ergebnis-Menge von dominierenden („siegreichen“)

Qualitäten.

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5) Vielfalt ist ein rein numerischer Begriff, eine leere Qualität, eine reine Quantität.

6) Eine qualitative Menge kann durch die Beifügung von leeren Qualitäten (von

quantitativen Elementen) nicht in der Qualität verändert, nicht erweitert werden.

7) Wer Vielfalt als Zustand gesellschaftliche Prozesse definiert, definiert den Stillstand in

der Konkurrenz der Qualitäten.

8) Leere Qualitäten können eine Kultur somit nicht bereichern, da sie den Kulturprozess,

die Konkurrenz stoppen.

10) Die offene, globale Welt entwickelt sich rasant durch die zahlreiche Konkurrenz der

Märkte.

11) Eine singuläre Kultur, die im globalen Markt stillsteht, entwickelt sich de facto zurück.

12) Somit gilt: Vielfalt als gesellschaftliches Paradigma stoppt den gesellschaftlichen

Fortschritt und führt zu einer Zurückentwicklung

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

6.3 Vielfalt in der Kritik II (semantisch-syntaktisch)

Die Verwendung des Begriffes der "Vielfalt" ist noch aus einem weiteren Grund nicht tragfähig in

Bezug auf den qualitativen Kulturbegriff. Und dies wie folgt:

Wer unterstellt, "Vielfalt" sei besser als eine Leitkultur, da diese als Monokultur weniger gut sei,

vollzieht einen Kategorienfehler, indem die Leitkultur rein numerische als Zahlwert eins gezählt

wird („mono“), während die Vielfalt eine größere Zahl suggeriert.

Beispiel: "Integration und Vielfalt". In dieser Verbindung wird suggeriert, Vielfalt sei positiver zu be-

werten, da bei dem Begriff Integration der Begriff "Die Kultur" implizit mitgedacht werden muß.

"Die" Kultur verweist oberflächlich auf ein, 1 Objekt, suggeriert somit eine Einzahl.

"Vielfalt" dagegen suggeriert eine Menge von Dingen und somit in der Beziehungssetzung mit dem

Begriff der Kultur (Singular) eine quantitative Überlegenheit, die einen starken qualitativen Akzent

setzt. Somit geschieht ein zweifacher Fehler:

a) eine Quantität wird zur Qualität transformiert; (semantische Ebene, "Vielfalt" zu einer Qualitäts-

menge)

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und gleichzeitig wird:

b) eine Qualitätsmenge singularisiert, quantifiziert, ihrer Qualität enthoben zu einer bloßen Menge

reduziert. (syntaktische Ebene "Kultur" wird zu "einer" Kultur, ähnlich Monokultur)

D.h. im kategorischen Fehlschluss werden nicht nur Qualitäten mit Quantitäten in Beziehung ge-

setzt (Kultur vs. Vielfalt), es wird zudem der Begriff der Kultur auf eine einzige numerische Quanti-

tät transformiert. In diesem Fehler liegt zudem die Genese inne, den quantitativen Begriff der Viel-

falt zu einer Qualität aufzuwerten. Kultur wird aus diesem Vielfaltsparadigma heraus quantifiziert,

auf eine Quantität reduziert und somit definitorisch vernichtet.

6.5 Schlussfolgerungen auf Fach-Ebene:

Das „Konzept eines Arbeitspapiers“ steht unter dem Motto: "Vielfalt bewegt Frankfurt". Mit dieser

Formulierung wird dem rein quantitativen Begriff der Vielfalt eine qualitative Funktion zugewie-

sen; und dies in mehrfacher Hinsicht:

1) paradigmatisch,

2) negativ konservierend,

3) der Mutterkultur verschließend.

1) wie ausgeführt (s. Abschnitt V.) erweitert die Dezernentin Eskandari-Grünberg den Begriff der

"Vielfalt" in qualitative Hinsicht auf das paradigmatische Niveau einer politischen Doktrin. Eine poli-

tische Doktrin, nach der "Vielfalt" an sich gut und überlegen sei und als politisches Ziel befürwortet,

erreicht und konserviert werden soll.

2) die im Titel unterstellte Dynamik des politischen Willens (Vielfalt bewegt Frankfurt) stellt einen

Etikettenschwindel dar: Denn im Gegensatz zu der apostrophierten Dynamik ("Bewegung"), ist die

programmatische Akzeptanz des Status Quo der sogenannten "Vielfalt" eine Aufforderung zum ne-

gativen Konservatismus: Das Fortschrittsprogramm der Integration mutiert via "Vielfalt" zum Pro-

gramm des Stillstands. "Vielfalt lässt Frankfurt erstarren" wäre das korrektere Bild.

3) das politische Programm, das notwendig aus den falschen Annahmen einer "Vielfalts"-Politik re-

sultiert, mutet der kulturellen Muttergesellschaft das Paradoxon zu, sich grundsätzlich selbst zu

verleugnen und ihre Offenheit zu schließen. Der aufgeklärten, westlichen Kultur ist das Moment

der Offenheit eine Grundbedingung und der Fortschrittsprozess ist dem kulturellen Wettbewerb

grundlegend geschuldet.

Das Vielfalts-Paradigma im o.g. Sinne präferiert den kulturellen Stillstand, indem es die Konkur-

renz der Kulturen außer Kraft setzen will. Im naiven, aber nicht minder gefährlichen Weltbild des

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Vielfalts-Paradigmas ist jede Kultur so gut oder schlecht wie jede andere. Jedes Individuum ist so-

mit an seine Mutterkultur gebunden und könnte den Transfer in eine als vorteilhafter empfundene

Aufnahme-Kultur nicht durchführen dürfen, da die „neue“ Ideologie eine kulturelle Rangfolge kon-

zeptionell in Frage stellt.

6.5 Schlussfolgerungen auf Strategie-Ebene:

Die vollkommen neue und überraschende Verwendung des Begriffs „Diversität“ bzw. „Vielfalt“ in

der öffentlichen politischen Kommunikation in Bezug auf das Ziel von Integration, sowie die über-

zählige Verwendung dieses Begriffes in den Eskandari-Papieren (ca. 200 Fundstellen) muss not-

wendigerweise eine definierte Zielsetzung verfolgen.

Wie jedoch die fachliche Analyse eindeutig ergeben hat, ist der Begriff der „Vielfalt“ definitiv nicht

dazu geeignet, den Begriff „Integration“ qualitativ zu erweitern, wie der Begriff „Vielfalt“ ebenfalls

nicht tragfähig ist, als Paradigma qualitative Erkenntnisse zu erzeugen. Ganz im Gegenteil hat es

sich gezeigt, dass die paradigmatische Verwendung des Begriffes Vielfalt auf gesellschaftlicher

Ebene eine negative Entwicklung befördern würde.

Die eigentliche Zielsetzung der Einführung und Verwendung des Begriffes „Vielfalt“ und „Diversität“

kann daher nicht darin zu finden sein, eine tragfähige Definition des Integrations-Begriffes zu kon-

struieren. Vielmehr – das hat sich überdeutlich gezeigt, können beide Begriffe, Integration und Di-

versität nicht in einem gemeinsamen Kontext sinnvoll Verwendung finden. Da sie jedoch an pro-

minenter Stelle – in der Kennzeichnung des Eskandari-Papiere selbst - dennoch in einen zentra-

len gemeinsamen begrifflichen Kontext gestellt werden, muss dies einen anderen Grund haben,

als die (nicht mögliche) begriffliche Erweiterung.

Auf der Basis der bisherigen Analysen zeigt sich folgendes Bild: Die attestierte „amtliche Unver-

bindlichkeit“ in der offiziellen Kennzeichnung der Eskandari-Papiere (s. Kapitel I. und Pkt. 1.5) führ-

te zu der begründeten Vermutung (in Kaptiel II., s. Pkt. 2.8), Desinformation und Propaganda solle

Information und Kommunikation maskieren, wobei die anschließende Untersuchung in Kapitel III.

die Annahme hinsichtlich einer möglichen Desinformation erhärten konnte (s. 3.5), sowie die an-

schließende qualitative Inhaltsanalyse die Argumentation nochmals stärkte (s. Kapitel IV.), dass die

Eskandari-Papiere weder das Thema Integration noch ein anderes Wissenschaftliches zum Unter-

suchungsgegenstand haben können, vielmehr stattdessen das Thema „Vielfalt“ eine dominierende

Stellung einnimmt; dieser vorläufige Befund wurde durch die Analyse und Aufdeckung der begriffli-

chen Transformation im einführenden Teil der Eskandari-Papiere eindrucksvoll bestätigt.

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Fasst man jene Teilergebnisse zusammen und betrachtet die Grundstruktur der Eskandari-Papiere

(Kapitel I) – deuten alle Ergebnisse auf die Aussage hin, dass der 2. Teil der Eskandari-Papiere, im

Original als 1. Kapitel gekennzeichnet, nämlich die sogenannte Politik der Vielfalt den themati-

schen und essentiellen Schwerpunkt der Eskandari-Papiere bilden und strategisch die Politik für

Integration ablösen sollen.

Sollte sich jene Veränderung der politischen Zielsetzung (weg von einer Politik für Integrationund hin zu einer Politik der Vielfalt) auf strategischer Planungsebene durch weitere Untersuchun-

gen bestätigen lassen, hätte dies für die weitere Analyse der strategischen Planungsebene weitrei-

chende Schlussfolgerungen zur Folge. Insbesondere müsste die Frage behandelt werden, welche

Schwerpunkte im dreistufigen Gesamtprozess den einzelnen Gliedern auf der Basis der bisherigen

Ergebnisse zugeordnet werden können/müssen.

6.6 Weiterführende Fragestellungen

Nach der bisherigen Arbeit zeigt sich weiterführend eine eindeutige und zentrale neue Fragestel-

lung: in welchem quantitativen und qualitativen Maße soll die Theorie der Vielfalt bzw. (Super-) Di-

versität eine neue theoretische Basis bilden als Ersatz für die bisherigen Grundannahmen und Auf-

gaben der Integration.

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VII. Kultur-De(sin)formationen

“So multiculturalism is not dead.

It’s just taken another name, a new representation in the policy market.”

“it’s always ‘Integration und Vielfalt’ [‘Diversity’].”

(1 : 16)

„1. Die Stadt befindet sich in einem unumkehrbaren

demographischen Wandlungsprozess.

2. Die Planer und Entscheidungsträger, erkennen, dass ein Bevölkerungwechsel

stattfindet bzw. stattgefunden hat.

Die Stadt selbst steht vor der Aufgabe, (...) zu überprüfen, wieweit sie als Verwaltung

und politische Vertretung noch für ihre Bevölkerung repräsentativ ist.“

(9)

Im Folgenden wird dargelegt, dass die Eskandari-Papiere im Kern eine von Prof. Dr. Vertovec fun-

dierte Konzeption darstellt, die die auf globaler Basis gescheiterte Theorie des Multikulturalismus

und das dabei entstandene Problem von Parallelgesellschaften durch eine raffinierte Transformati-

on im akademischen Markt unter dem Namen Super Diversity neu zu adressieren versucht.

Zum besseren Verständnis der analytischen Betrachtung sei daran erinnert, dass Gesellschaften

kulturell prägen, und jene Prägung die Einstellungen der Individuen formen sowie deren Verhalten

steuern. Jene Kategorien also - Gesellschaft, kulturelle Prägung, Einstellungen und Verhalten - bil-

den komplexe wechselseitige Abhängigkeiten vom Kollektiv hin zum Individuum und umgekehrt.

Betrachten wir nun diese Zusammenhänge von der Ebene des beobachtenden Analytikers aus,

sehen wir uns gezwungen, eine Theorie zu bilden, wie jene Prozesse miteinander in Beziehung

stehen. Je nach Gesellschaftstheorie werden die Prozesse unter anderen Bedingungen erklärt und

beschrieben. Haben wir nun eine Gesellschaftstheorie „X“ und es gibt ein Problem in der Gesell-

schaft, sagen wir „P“, dann bestimmt und leitet uns die Theorie „X“, wie wir das Problem „P“ defi-

nieren und Lösungen suchen.

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Somit bestimmt die übergeordnete Gesellschaftstheorie nicht nur die Definition des IST-Zustandes

eines gesellschaftlichen Gefüges, sondern auch den SOLL-Zustand, der als erstrebenswert und

als gesund angesehen wird, wie auch der WEG einer notwendigen Lösung in Bezug auf analysier-

te Probleme der übergeordneten theoretischen Weltsicht unterworfen ist.

Diese Feststellung, dass Ist-Analyse, Soll-Definition und Methoden-Wahl für Lösungen an der

theoretischen Nabelschnur der Mutter-Theorie hängen, ist für das weitere Verständnis elementar.

Denn im Folgenden wird aufgezeigt, wie eine schwerwiegende gesellschaftliche Störung nicht da-

durch zu lösen versucht wird, dass die Störung analysiert und behoben wird, sondern vielmehr,

dass die Auffassung dessen, wie die Gesellschaft sein soll, soweit verändert wird, so dass die alte

Störung als ein erstrebter Zustand beschrieben werden kann.

Das Verständnis erschwerend kommt hinzu, dass die angestrebte gesellschaftliche Veränderung

im Verborgenen gegen die Mehrheitsgesellschaft realisiert werden soll. Der Weg dorthin soll die

systematische Veränderung von der Auffassung der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein, indem be-

stimmte Begriffe, die als Werkzeuge die Wirklichkeit beschreiben, ausgetauscht und gegen andere

ersetzt werden, die schließlich nur noch Verwendung finden sollen.

Nach dieser Hinführung ist es möglich, die folgende Argumentation und Analyse in der Grundstruk-

tur zu skizzieren:

Im ersten Teil (A) wird ausgeführt, wie die Theorie des Multikulturalismus scheiterte und wie als

neues Ziel von interessierten Kreisen eine Stärkung der Interessenvertretung der Parallelgesell-

schaften angestrebt wurde.

Im zweiten Teil (B) wird ausgeführt, wie ein Veränderung der Auffassung von der Gesellschafts-

theorie dazu geeignet ist, die Problembeschreibung des ersten Teils in eine Lösung zu transformie-

ren.

Im dritten Teil (C) wird aufgezeigt, wie diese Gesellschaftstransformation notwendigerweise nur zu

realisieren ist, wenn die Realitätsbeschreibung und die Kommunikation von Leitbildern, theoreti-

schen Rahmenkonzepten und Schlüsselbegriffen der o.g. Problembeschreibung soweit modifiziert

werden, dass dem veränderten Bewusstsein der Menschen eine Analyse des alten Problems nicht

mehr möglich ist. Dieser Versuch der Gedankenkontrolle ist bei der folgenden Lektüre im geistigen

Auge zu behalten.

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A.

7.1 Realität: Europäische Parallelgesellschaften

1. "Mulitkulti ist tot!"

Am Anfang steht ein großes Problem: das Scheitern der Multikulturalismus-Theorie an der

globalen Wirklichkeit.

In seiner akademischen und zweifellos auch ausdrucksstarken Brillanz bringt Prof. Vertovec das

Problem der akademischen und politischen Mulitkulturalisten in London, Paris, Barcelona, Berlin,

Frankfurt oder jede andere europäische Großstadt auf den Punkt: "Multikulti" ist faktisch in Verruf

geraten. So sehr, dass sogar das Wort als Begriff nicht mehr gebraucht werden darf. Vertovec

führt aus:

“In recent years across Europe ‘Multiculturalism’ has taken a beating, and many

governments have been purposefully dropping the notion ‘multicultural’ or other

references to cultural diversity in their policy vocabularies.” (2 : 3)

Statt des "M-Wortes" wird deshalb ein neuer Begriff eingeführt, nämlich jener der "Vielfalt" oder

"Diversity":

“Basically we are witnessing the death of the ‘M-word’ of multiculturalism, but a

lot of the policies and institutional arrangements are still in place. Instead we are

seeing the rise of ‘integration’ and ‘cohesion’. These terms convey a new policy

representation of how to incorporate immigrants

and ethnic minorities: but while the M-word is nowhere to be seen in all of these

drives to promote integration, diversity remains a key part of that representation.

(...) right now we are seeing the overturn of one policy model and the creationof another. That is, over the past five or six years or so multiculturalism – theterm that is a kind of policy umbrella – has taken a huge beating particularlyin places like the UK but also across Europe.” (1 : 16)

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Aus dem "Multikulti"-Idee soll und muss etwas Neues werden. Der Grund für die Notwendigkeit ist

das Scheitern des Konzeptes der Mulitkulturalität:

2. Der “Lord Parekh Report” und die Gemeinschaft der GemeinschaftenIm Jahre 2000 wurde in London unter der Schirmherrschaft eines Lord Parekh ein Bericht veröf-

fentlicht, der die Welt der Multikulturalisten veränderte. Vertovec resümiert die Folgen unter dem

bezeichnenden Titel “Multiculturalism Rethought: The Parekh Report” und führt weiter aus:

“The Commission on the Future of Multi-Ethnic Britain (...) has produced what ar-

guably amounts to a new take on multiculturalism. (...) The Future of Multi-Ethnic

Britain (Runnymede Trust 2000), also known as The Parekh Report after the

Commission’s chairperson, Lord Parekh.

(...) The Report is groundbreaking (...)

Vertovec kommt auf der Basis seiner speziellen theoretischen Annahmen zu wesentlichen Aussa-

gen des Reports, die für seine spätere „Konfigurierung von Diversity“ wichtige Grundlagen bilden.

Besonders wichtig sieht Vertovec an, dass die Britische Gesellschaft nicht nur als eine Gemein-

schaft von Bürgern angesehen, beschrieben werden kann, sondern als eine Gemeinschaft von

Gemeinschaften:

“One of the main purposes of the Report is to usher in a new national narrative

and set of policies conveying an understanding that Britain is both a ‘communityof citizens’ and a ‘community of communities.’ “

Mit dieser – in der Tat grundlegenden neuen Sichtweise – vervielfältigt Vertovec eine Gesellschaft

in multiple, viele Gesellschaften. Dies ist aber de facto eine Auflösung jeder Definition von Gesell-

schaft. Mit dem Konzept der „Gesellschaft der Gesellschaften“ wird die Gesellschaft definitorisch

negiert und aufgelöst. Konsequenterweise muss bei dieser Zerstörung des Gesellschaftsbegriffs

auch der alte Begriff von Gesellschaft in Bezug auf den Begriff der "Multikultur" distanzierter be-

trachtet werden, denn Multikulturalität ist eine Bezeichnung für eine gesellschaftliche Qualität, die

ja nun irgendwie auf deren Teile verteilt werden muss:

“As part of this goal, the Commission quite consciously seeks to distance itself

from the bounded, essentialized notions of ‘community’ conveyed in earlier ap-

proaches to multiculturalism. “

Warum u.a. diese Auflösung des nun scheinbar überholten Gesellschaftskonzepts notwendig ist,

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wird noch nicht ausgeführt. Nachfolgendes Zitat weist aber den Weg:

“Further, a considerable section (ibid.: 29-36) show ways in which specific com-

munities – African-Caribbean, Pakistani, Irish, Gypsy, etc. – are multiple in their

makeup.”

In dieser Spezifikation kommt zum Ausdruck, dass mit „Gesellschaft“ nicht jede Gesellschaft ge-

meint ist; vielmehr sind die ethnischen Minderheiten im Fokus, die sich als noch nicht assimiliert in-

nerhalb der aufnehmenden Gesellschaft befinden.

Diese nicht assimilierten „Gesellschaften" sind nach unserem bisherigen Verständnis „Parallelge-

sellschaftten“. Und genau auf diesen Umstand resultierend wird verständlich, warum bei Vertovec

diese einzelnen ethnischen Gesellschaften nun aus vielen Gesellschaften zusammengesetzt er-

scheinen sollen.

Mit diesem „multiple makeup“ nämlich wird es definitorisch nicht mehr möglich sein, den Begriff ei-

ner "Parallelgesellschaft" begründen und äußern zu können. DAS Bestehen des Hauptproblems

bei den bisherigen Integrationsbemühungen könnte somit gar nicht mehr begrifflich artikuliert wer-

den: Eine "Parallelgesellschaft", die plötzlich gar nicht mehr existent ist, sondern selbst aus vielfäl-

tigen "Gesellschaften“ besteht (später werden sie Milieus genannt), kann als GANZES nicht mehr

zu einer umgebenden Gesellschaft abgegrenzt werden: die (singuläre) Grenze fehlt nunmehr!

3. Scheitern von Multikulturalismus und gesetzliche Folgen

Nachdem Lord Parekhs Kommission nach drei Jahren Denk- und Forschungsarbeit festgestellt

hat, dass der Multikulturalismus-Begriff nicht nur in London in Misskredit geraten ist und die Paral-

lelgesellschaften immer mehr in den negativen öffentlichen Fokus geraten, werden eine große An-

zahl von Empfehlungen ausgesprochen. Vertovec führt hierzu in Bezug auf dem „neuen (!) Multi-

kulturalismus“ zustimmend aus, dass eine Reihe von allgemeinen Prinzipien dazu führen werden,

dass Gleichbereichtigung und Vielfalt ein Teil der Arbeit auf allen Regierungsebenen werde.

“What does the Commission concretely recommend by way of a new multicultur-

alism? The recommendations in The Parekh Report mostly focus on measures

and policies designed to mitigate or combat discrimination. The Commission pro-

poses a set of general principles (...) to the effect that concepts of equality anddiversity must be part of government machinery at all levels.”

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Diese Umschreibung für eine gesetzliche Verankerung der Bevorzugung bestimmter Ethnien – die,

wie wir weiter oben festgestellt haben, als "Parallelgesellschaften" das eigentliche Integrationspro-

blem darstellen, umfasst mehr als 140 Empfehlungen unter der Schirmherschaft von Lord Parekh.

Vertovec kritisiert nicht, sondern bringt seine Präferenzen zum Ausdruck und zitiert die bemerkens-

wertesten „Empfehlungen“ wie folgt:

“Its 140 specific recommendations pertaining to given areas of public policy inclu-de some of the following:

there must be systematic representation of ethnic communities on public bo-dies;

ethnic monitoring should run throughout the media, criminal justice, health andeducation systems;

police, probation and prison officers should have training in issues of race anddiversity;

all school inspection reports should include a section on ‘Race Equality and Cul-tural Diversity’;

organizations funded by public bodies should lose their funding if they do notmake their staff and activities more inclusive;

at least one-sixth of the parliamentary second chamber (present House of Lords)should be from Asian and black community backgrounds;

there should be an advisory forum on race equality and cultural diversity foreach government department as well as for the government as a whole;

the government should formally declare that the United Kingdom is a mul-ticultural society and should issue a draft declaration for consultation.“

(7 : 6 ff. Hervorhebungen nicht im Original)

Da diese und ähnliche Empfehlungen im "Arbeitspapier" fast wortwörtlich übersetzt auftauchen,

wundert daher nicht. Und selbst die Forderung nach einer letztlich antidemokratische Quoten-Re-

gelung auf Regierungsebene wurde in Deutschland von entsprechenden politischen Kreisen antizi-

piert und in die öffentliche Forderungs-Agenda eingespeist.

50

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B.

7.2 Realität: Beweisvernichtung eins

„Wie Vielfalt (in messbaren Strukturen) erscheint“2:

Wie geht ein Wissenschaftler mit wissenschaftlichen Mitteln vor, wenn er eine falsche Theorie „be-

weisen“ will? Er stellt die Logik auf den Kopf. Dies tut er, indem er in seine Prämissen schon jene

Schlussfolgerungen als Thesen „versteckt“, die er später als Beweis schlussfolgern möchte. Wis-

senschaftlich elegant nennt sich dies eine Tautologie, und jener logische Widerspruch, sich selbst

zu begründen, vollzieht Vertovec in dem Bemühen, den Multikulturalismus schließlich zu retten.

Dabei ist das wichtigste Ziel, den Beweis vom Scheitern des Multikulturalismus-Konzepts zu ver-nichten. Und das geht so:

2 Alle Abbildungen dieses Kapitels bis auf Tabelle „T1“ sind dem Working Paper (1) von Steven Vertovec entnommen.

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Erstens: Wie täusche ich meine Politiker? Prof. Vertovec führt aus:

“I deal with a lot of policy makers and the press, and this is the first thing they ask

about. They want numbers. They want distributions. They want variables and

correlations.”

Prof. Dr. Vertovec hat erkannt, dass mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung ein wichtiger

Teil jener Wirklichkeit, die wünschenswert ist, in der öffentlichen Wahrnehmung erzeugt werden

kann. Und da diese Fakultät mit den Mitteln der Statistik arbeitet, also die Welt in Eigenschaften

aufteilt und diese Variabeln operationalisiert, also mit den Mitteln der statistischen Mathematik in

Beziehungen setzt, Korrelationen und Beziehungen analysiert, beginnt Prof. Vertovec mit dem Ent-

wurf eines neuen Begriffes, der bestimmte Variablen, Merkmale besitzt.

Der naheliegende Begriff lautet: „Vielfalt“, „Diversity“, oder noch besser: „Super-Diversity“,„Supervielfalt“. Doch wie kommt Vertovec auf diesen Begriff?

Zweitens: Nationen dürfen keine Grenzen habenProf. Vertovec ist mit den Arbeiten des Sozialwissenschaftlers Ulrich Beck vertraut. Beck liefert et-

was, das Vertovec gut gebrauchen kann: Ein Werkzeug mit dem Namen „methodologischer Natio-

nalismus“. Prof. Vertovec dazu:

“Beck, too, notes how transnationalism stimulates, within social science as

well as politics, a shift away from ‘methodological nationalism’, which refers to

‘the explicit or implicit assumptions about the nation-state being the power con-

tainer of social processes and the national being the key-order for studying major

social, economic and political processes’ (2000: 3).”

Dieser sogenannte Becksche „methodologische Nationalismus“ ist eine Kritik an der Auffassung,

dass die nationalen Grenzen eines Landes eine Art Behälter, „Container“ bilden, in dessen Inneren

die Bewohner nach einer bestimmten Kultur geprägt werden. Was passiert aber, wenn wir die

nationalen Grenzen als kulturprägend in Frage stellen oder ganz ignorieren? Nun, wir kommen

zu einer Auffassung, die sich „Transnationalismus“ nennt, ein Begriff, über den Prof. Dr. Vertovec

ein ganzes Buch namens: „Transnationalism“ geschrieben hat. Im Kern sagt dieses Konzept aus,

dass es keine derartigen "Kulturcontainer" mehr gibt, und dass ganz viele Menschen nicht nur eine

kulturelle Identität haben, sondern zwei, drei, viele Identitäten.

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Das macht ja auch scheinbar Sinn, möchte uns das „Arbeitspapier“ weismachen: die moderne

Welt ist grenzenlos, jeder reist überallhin, und wo viel gereist und auch viel aus- und eingewandert

wird, kann man leicht durcheinander geraten und vergessen, welche prägende Rolle die Mutter-

funktion bei der eigenen Identitätsfindung gehabt haben mag. Der moderne Nomade hat also nach

oben beschriebener Theorie mehr als eine kulturelle Identität, weil ja die alten Grenzen der Kultur

nicht mehr existent sind. Und wenn nun sehr viele Menschen neue, transnationale Wesen sind,

macht auch der Begriff „Nation“ eigentlich gar keinen Sinn mehr.

Diese Legende wird aber nur für die Öffentlichkeit gestrickt. Es gibt eine wissenschaftliche Erklä-

rung, die uns Vertovec leider im „Arbeitspapier“ vorenthält. Für das weitere Verständnis ist die

Kenntnis dieser theoretischen Basis notwendig:

Drittens: Diaspora prägt multiple IdentitätenWenn Individuen durch Vertreibung oder anderen Gründen gezwungen werden, ihre Mutterkultur

zu verlassen, geschieht es keinesfalls automatisch, das diese nationale und kulturelle Prägung

einfach aufgegeben wird. Ganz im Gegenteil kann es vorkommen, dass die Zwangsmaßnahme zu

einer Verstärkung jener Bindung führt, die durch Dritte unterbunden wurde. Jene Individuen, die

sich sozusagen unfreiwillig in der Fremde befinden (Diaspora), werden im Anschluss ihrer Vertrei-

bung durch die neue Kultur der aufnehmenden Gesellschaft ebenfalls national und kulturell ge-

prägt. Es entsteht eine doppelte Prägung. Soweit die Theorie (vgl. insbesondere: 11, 12, 13).

Dass jene „Operation“ natürlich im kosmopolitischen Kontext gedacht werden muss, zeigt nachfol-

gendes Zitat:

“Finding a positive correlation between the transnationalization of lifeworlds and the cosmopolitanization of attitudes and values, Mau et al. sug-

gest that,

'People with cosmopolitan attitudes and values are characterized by their recog-

nition of others because of their value and integrity as human beings, quite inde-

pendently of their national affiliations. They share an open and tolerant world view

that is not bound by national categories but is based on an awareness of our in-

creasing economic, political and cultural interconnectedness, which they perceive

as enriching rather than threatening.' (Ibid.: 5) Consequently, we might say, being

a member of a diaspora or transnational community doesn’t automatically pro-

duce cosmopolitan attitudes, but certainly the potential for this is high.” (3 : 6)

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Prof. Vertovec nimmt nun in seiner Denkwerkstatt folgende Operation vor: Da nach dem neuen Pa-

radigma des Kosmpolitismus die exklusive kulturelle Rahmung durch nationalstaatliche Prägung

immer mehr an Wirkung verliert, muss folglich der Anteil der sich bewußtseinsmäßig in einer Art

Diaspora befindlichen Individuen immer weiter steigen. Und so können wir erklären, warum sich in

europäischen Großstädten das Phänomen der „multilokalen, multiplen Identiäten“ laut Prof. Verto-

vec zu einem Massenphänomen ausgewachsen hat. Die Massen der nichtintegrierten Türken,

Araber, Libanesen, Marokkaner usf. in Deutschland befinden sich nach Vertovecs Annahmen in ei-

ner Diaspora und entwickeln folglich eine multiple Identität. Dass dies wirklich so ist, wie die Theo-

rie erklärt, versucht Vertovec durch die Tatsache zu beweisen, dass die Anzahl von Menschen mit

dem Status Doppelstaatlichkeit zunimmt.

Viertens: Multikultur minus Kultur

Nachdem die Nationen keine Grenzen mehr haben, somit die ganze Welt grenzenlos eine Art Nati-

on, eine Art "Globale Nation" bildet, hat die Kultur plötzlich ein Problem: sie findet keinen Ort mehr!

Denn wenn der nationale Ort für die kulturelle Prägung keine Grenzen mehr hat, somit der Ort glo-

balisiert wurde, gibt es auch nur noch eine globale Kultur – das heißt: keine Kultur mehr! Denn

wenn der Ort für die Kultur nicht mehr ein Ort ist, kann auch eine Kultivierung nicht mehr stattfin-

den. Wenn alle Orte gleich sind, gibt es keinen spezifischen Ort mehr; wenn alle Kulturen gleich

sind, gibt es keine spezifische Kultur mehr.

Nehmen wir also dem Konzept des Multikulturalismus (mit Hilfe des "methodologischen Nationalis-

mus") die kulturprägende Nationen-Grenzen weg, und somit auch den Ort für Akkulturation, bleibt

nur noch das "Multi" übrig: und das heißt populär übersetzt "Vielfalt", "Diversity"!

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7.3 Beweis-Beweisung

Nachdem nun auch das Institut der singulär vorhandenen Gesellschaft gestorben ist, kann es nach

der neuen Lesart der Wirklichkeit auch keine Parallelgesellschaften geben. Die frühere Parallelge-

sellschaft besteht in der neuen Sichtweise also nun aus einer Vielzahl von multiplen Gesellschaf-

ten, die sich alle wiederum in Milieus diversifizieren.

So gibt es nicht türkische oder marokkanische oder überhaupt islamische Parallelgesellschaften in

deutschen Großstädten. Nein, nach der neuen Lesart, dem neuen Blick auf die Wirklichkeit, gibt es

unter der Population von Millionen Türken die Kurden, die Aleviten, die Sunniten, die Christen, die

Atheisten, die Männer und Frauen und Kinder und Radfahrer und Schwimmer und Nichtschwim-

mer und SPD-Wähler und Grüne-Wähler und so weiter und so fort. Jedes beliebige Merkmal der

Orientierung, das denkbar ist, gibt es her, einem bestimmten Milieu zugerechnet zu werden.

Doch so weit ist das öffentliche Bewusstsein noch nicht. Dieses eben geschilderte Ergebnis diver-

ser vielfältiger Milieus muss er ja erst noch sozialchirugisch mit den Mitteln der empirischen Sozial-

forschung implantiert, erzeugt werden. Also muss Vertovec wie angekündigt (vgl. 1, 3, 5) , die Prä-

missen theoretisch „aufladen“, so dass auch die späteren Schlüsse schon als Thesen mit darin

verborgen sind: In dem Moment, da die nationale Rahmung zerstört und die äußere Kultur in das

Innere der Köpfe transformiert wurde, entstand aus dem definitorischen Nichts eine komplexe Viel-

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falt an ungeordneten und durcheinander wirbelnden Prägungen, Vorlieben, Einstellungen usf. Der

Physiker würde sagen: die Entropie (Unordnung) eines geschlossenen Systems nimmt unweiger-

lich immer zu. Diese Unordnung verlangt aber nach neuer Ordnung von oben.

Und so ordnet Prof. Dr. Vertovec die Verhältnisse neu: Nachdem er definitorisch eine komplexe,

globale Unordnung erzeugt hat ("Super-Vielfalt"), visiert er danach eine nun folgende "Vernetzung"

der Milieus an.

„Vernetzung ist ein zentraler Begriff der Globalisierungsforschung. Einer verbrei-

teten Definition zufolge (Held u.a. 1999) lässt sich Globalisierung selbst mit zu-

nehmender Vernetzung und weltweiter Interdependenz („interconnectedness“)

gleichsetzen. Eine der größten, sich daraus ergebenden Herausforderungen ist,

diese Weltbeziehungen vor Ort, im Rahmen der Städte und Kommunen, in einem

Netz gegenseitiger lokaler Beziehungen zusammen zu führen. In Weltstädten wie

Frankfurt können alte Modelle einer nationalen „Integration“ in eine scheinbar ge-

schlossene, übersichtliche und homogene Sozial- und Kulturlandschaft nicht grei-

fen (Berking 2008; Römhild 2008). Stattdessen kommt solchen Städten die zu-

kunftsweisende Aufgabe zu, die Disparitäten und Ungleichheiten, die besonders

ausgeprägte Vielfalt einer globalisierten Welt vor Ort durch eine stärkere Vernet-

zung der Akteure und der Institutionen zu überbrücken und damit kosmopoliti-

sche Beziehungen, gegenseitige Anerkennung und Unterstützung auf lokaler

Ebene zu ermöglichen und zu stärken (Beck 2004).“ (8 : 55)

Vertovec konstruiert mit den statistischen Methoden und Werkzeugen der empirischen Sozialfor-

schung aus einem Ganzen eine Vielfalt von soziodemographischen Variabeln, die er nach der Dif-

ferenzierung zu bestimmten Kategorien ganz neu, einem Bausatz gleich, wieder zusammensetzt.

Er arbeitet dabei insofern tautologisch, dass er in die Prämissen jene Aussagen schon zu Anfang

hineininterpretiert, die er in der späteren Konklusion herausfinden möchte. Die alten Beweise bzw.

Widersprüche sind somit definitiorisch „vernichtet“ und das „alte System“ in die Neuzeit der Super-

Diversität gerettet.

Vertovec erweitert daher akademisch den Merkmalsraum des Begriffs "Diversity", indem er die

"Parallelgesellschaft" nicht nur in Untergesellschaften auflöst, sondern die neue Menge an "Gesell-

schaften" mit zugewiesenen Qualitäten auflädt, bei denen unhinterfragt bleibt, inwiefern sie für die

Definition eines Milieus überhaupt taugen. Vertovec nennt dies treffend „1. Configurations of di-

versity”.

Diese neuen Qualitäten sind nicht zufällig „Variablen“ und „Merkmale“ wie man sie jedem beliebig

definierten Milieu zuweisen kann. In Bezug auf die Frankfurter Stadtgesellschaft umfasst dieser

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„willkürliche“ Merkmals-Raum im Originaltext:

„1. eine zunehmende Vielfalt von Herkunftsländern und -kulturen: (...) jede dieser

Einwanderergruppen ist zudem intern weiter differenziert durch unterschiedliche

ethnische Zugehörigkeiten, Sprachen, religiöse Traditionen, regionale und lokale

Identitäten, kulturelle Werte und Praktiken

2. eine zunehmende Vielfalt von Migrationspfaden: dazu gehören die unter-

schiedlichen Zugangswege der Arbeitsmigration (z.B. Saison- und Pflegekräfte,

Aupairs, Expatriates,

angeworbene qualifizierte Fach- und Führungskräfte), der Flucht und des Asyls,

der Anerkennung von Spätaussiedlern und Kontingentflüchtlingen, der Familien-

zusammenführung, der Bildungsmigration (z.B. mittels Stipendien und Studen-

tenvisa) und spezifische Mobilitätsformen wie Pendel- und Transitmigration sowie

vielfältige Formen irregulärer Einwanderung (z.B. mit Touristenvisa). Die unter-

schiedlichen Migrationspfade sind zudem oft stark geschlechtsspezifisch und an

spezifischen Arbeitsmarktnischen ausgerichtet (z.B. erhöht die Nachfrage nach

privater Kinder- und Altenbetreuung die Zahl von regulären und irregulären Mi-

grantinnen in diesem Arbeitssektor); in geographischer Hinsicht folgen sie oft so-

zialen und familiären Netzwerken (etwa durch langfristige Beziehungen der Ar-

beitsmigration in den Süden und Osten Europas);

3. eine zunehmende Vielfalt im Rechtsstatus und der sozialen Lagen (...):“ (8 :37)

Im neu definierten Merkmalsraum der „super diversity“ finden sich plötzlich mehr als 50 neuer

Merkmale, soziale Variablen, nach denen eine beliebige "Parallelgesellschaft" hinsichtlich ihrer

scheinbar qualitativen Vielfalt aufgeteilt und somit "aufgelöst" werden kann.

Diese "Super Vielfalt" kann zudem auch noch untereinander in Beziehung gesetzt werden, indem

beliebige Variablen zusammenhängende Gruppen bilden, also miteinander korreliert werden.

Mathematisch ist eine schier unermessliche Permutation von Merkmalskorrelationen möglich; eine

"Vielfalts"-Explosion faktisch, die gewollt in die Irre führt. Und genau dies war aber auch die Ziel-

setzung, nämlich die Auflösung des für die Anhänger "multikultureller" Ideen so unliebsamen Be-

griffs der „Parallelgesellschaft“. Der Blick auf die nationale Problematik wird, wie im Arbeitspapier

formuliert, umgeleitet:

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„So verdeckt der Blick auf nationale Herkunftsgruppen deren innere kulturelle,reli-

giöse, soziale Differenzierungen: Unterschiede, die für den Alltag der Menschen

und ihre tatsächliche Orientierung weit relevanter sein können als eine (statis-

tisch konstruierte) nationale Herkunftsidentität.„ (8 : 37)

Selbstverständlich ist die nationale Identität nicht statistisch konstruiert, sondern eine abzählbare

Variable. Jedoch ist genau im Gegenteil, das Aufspannen eines Regenschirms an Merkmalen, hin-

sichtlich kulturellen Differenzen, Religion und sozialen Milieus – wie oben zitiert – eine Konstrukti-

on der empirischen Sozialforschung, die mit statistischen Werkzeugen arbeitet.

Vertovec nimmt in einem Interview bezüglich dieser Vorgehensweise kein Blatt vor dem Mund, al-

lerdings nicht im vorliegenden Quelldokument:

„Aber ich hoffe, dass Konzepte wie „Super-Diversity“ verdeutlichen, dass Ethnizi-tät nur eine unter vielen möglichen Variablen ist, deren Dimension individuellbestimmt werden kann. Worum es eigentlich geht, ist anzuerkennen, dass Mit-

glieder aus ein- und derselben ethnischen Gruppe, neue gesellschaftliche Grup-

pierungen formen oder sich den bereits vorhandenen anschließen können. In der

Wissenschaft sprechen wir von Milieus, die sich je nach Wertvorstellungen,

Traditionsbewusstsein, Kosmopolitismus oder Konsumverhalten unter-

schiedlich zusammensetzen. Diese sogenannten Milieus unterminieren oftmals

die Kategorie der Ethnie und sind für die Identität weitaus wichtiger als die ei-

gentliche Herkunft.“ (5)

Wem dies zu akademisch ist, der möge sich diese Argumentation in einem plastischen Beispiel

verdeutlichen: Man nehme eine urdeutsche Ehefrau, die gerne Mercedes fahren will und mit einem

urdeutschen Mann verheiratet ist, der lieber Fahrrad fährt und Autofahren hasst. Jene Ehefrau

steht aus Sicht der o.g. Milieu-Theorie dem Türken im Nachbarhaus, der Mercedesfahren eben-

falls liebt, näher als ihrem eigenen Ehemann - zumindest teilweise.

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C.

7.4 Realität: Beweisvernichtung zwei

Ein Schritt zurück: Prof. Vertovec möchte an die Politik adressiert mit Mitteln der Statistik „bewei-

sen“, dass es keine "Parallelgesellschaften" gibt. Da Vergangenheit jedoch nicht mehr verändert

werden kann, kann nur die Sicht auf die Vergangenheit verändert werden. Er muss somit faktisch

die Beweise für das Scheitern von "Mulitkulti" vernichten. Da seine probaten und erfolgverspre-

chenden Mittel die der empirischen Sozialforschung sind, muss er folglich empirische, also beob-

achtbare und zählbare und vergleichbare Merkmale im „sozialen Raum“ finden, die dafür spre-

chen, dass eine Parallelgesellschaft nicht Parallelgesellschaft ist.

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Das ist nicht mehr so schwierig: Ohne die Begriffe von „Nation“ und „Kultur“, aber dafür mit dem

Institut der multiplen nationalen Identitäten aus der Diaspora-Forschung haben wir auf einmal et-

was Hochinteressantes, etwas sehr Faszinierendes neu zu denken:

Die Kultur(en) befindet sich nicht mehr im prägenden Container der nationalen Grenzen, nein: die

Kultur befindet sich nunmehr als multiple Identitäten in den Köpfen der Menschen!

Und somit hat Prof. Dr. Steven Vertovec mit Prof. Dr. Beck etwas sehr Erstaunliches geleistet:

nämlich

die Multikulturalität vom Außen der nationalen Grenzen der Gesellschaft in das Innere derMenschenköpfe zu transformieren und so ideologisch zu „retten“!

"Mulitkulti" findet ab sofort in den Köpfen statt. Und wenn Mulitkultur in multipler Form IN den Köp-

fen stattfindet, dann ist es nur folgerichtig, dass es eine definierte Gesellschaftsgruppe prinzipiell

nicht mehr geben kann. Denn dort, wo früher die Nation, die Kulturnation, die Leitkultur Gesell-

schaftsgruppen prägte, und die Individuen sich akkulturierten und assimilierten, dort gibt es nun

keine Grenzen und keine prägende Kultur-Nation mehr. An der Stelle der äußeren Kultur, die

sichtbar Gesellschaften bildete, haben wir plötzlich nur noch ein multiples Identitätsgemisch, eine

"Super-Vielfalt", die man nur noch an den vielfältigen Merkmalen und Variablen so genannter

Milieus differenzieren kann.

Nachdem Vertovec es mit den ausgeführten Mitteln vermocht hat, den Gesellschafts- und Kultur-

begriff soweit zu transformieren, dass die Definition von "Parallelgesellschaften" nicht mehr mög-

lich ist, - er somit den ersten Teil seiner Arbeit, die Beweisvernichtung, erfolgreich erledigt hat -

muss der Ersatzbegriff für Multikulturalität an die neue Situation angepasst werden. Das bedeutet

konkret, der neue Begriff muss ohne das alte Gesellschaftskonzept auskommen und er muss ohne

das alte Konzept der Akkulturation durch nationale Rahmung funktionieren.

Vergessen werden darf dabei nicht, dass der Multikulturalismus-Begriff bzw. die Konzeption eine

Antwort darstellte auf die Frage, wie auf massive Einwanderungsbewegungen in Gesellschaften

reagiert werden soll, wenn große Teile der Einwanderer inkompatible kulturelle Standards mit ein-

bringen. Im Konzept der sogenannten Multikulturalität wurde die These vertreten, dass ein Neben-

einander von verschiedenen Kulturen zu einem funktionierenden Miteinander führen werde, da -

so die gedankliche Grundlage - eine symetrische, kulturelle Prägung stattfindet. Schon bei diesem

alten Modell war die Aufgabe einer nationalen Leitkultur zum Teil stillschweigend mitgedacht wor-

den.

Nachdem nun aber im neuen Modell die nationale Rahmung weggefallen ist und auch die großen

ethnischen "Parallelgesellschaften" nicht mehr da sein sollen, stellt sich die Frage: haben wir über-

haupt noch ein Problem? Oder: was kommt an die Stelle der alten Multikulturalität? Die Antwort auf

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diese Frage ist naheliegend und eindeutig: Nachdem das Konzept der großen, integrierenden Ge-

sellschaft gestorben ist, gibt es viele kleine Gesellschaften. Und es gibt zudem nicht mehr eine,

sondern viele, multiple Identitäten. Wir sind somit plötzlich mit einer Vervielfältigung von Katego-rien konfrontiert: Viele Gesellschaften und viele kulturelle Prägungen. Was folgt daraus? Wie kön-

nen wir mir dieser neuen "Vielfalt" umgehen?

Die Antwort darauf ist die "Vielfalt" selbst! Indem wir anerkennen sollen, dass die "Vielfalt" vielfältig

ist, sollen wir anerkennen, dass diese Aussage richtig und gut ist. Und weil diese Aussage richtig

und gut ist, ist auch das Denken in diesen Kategorien die positive Lösung: wir haben also gar kein

Problem mit bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen.

Dass dies so ist, lässt sich sogar beweisen. Bewiesen werden muss die Tatsache, dass es eine

Vielfältigkeit gibt in Bezug auf die Wirklichkeit. Und so muss die „Vielfalt“ als qualitative Kategorie

erst einmal selbst qualitativ aufgefüllt werden: Der "Vielfalts"-Begriff wird definitorisch als eine Art

neuer Container aufgefüllt mit Qualitäten. Dass das notwendig ist, ergibt sich aus zwei wichtigen

Gründen:

Zum einen ist der Begriff an sich selbst ein leerer Begriff. Den Beweis hierfür haben wir an anderer

Stelle geführt. Zum anderen muss der neue Begriff notwendigerweise mehrdimensional sein in

seiner begrifflichen Tiefe, weil „Vielfalt“ nur so ein Werkzeug für die Sozialwissenschaften sein

kann, die Wirklichkeit zu messen, zu vergleichen, zu untersuchen. Ein Maßband, dass keine Skala

anzeigt, eine Waage, die keine Gewichte darstellen kann, ein Sieb, dass keine Löcher hat, eine

musikalische Partitur, die nur mit einem Ton arbeiten kann, und viele anderer Beispiele zeigen,

dass eine Qualität, die die Wirklichkeit differenzieren soll, eine innere Tiefe und Abstufung besitzen

muß; ein „inneres Wesen“, die der „Vielfalt“ bisher abgesprochen werden mußte.

In der weiteren Konstruktion gelingt es aber Vertovec, den an sich leeren Begriff der "Vielfalt" quali-

tativ zu instrumentalisieren, indem er ihn auf Merkmale bezogen auflädt. Und weil Vertovec weiß,

WELCHE Merkmalsgruppen er später „beweisen“ will, fällt die innere Konstruktion und Aufladung

des Vielfalt-Begriffs eindeutig aus. Das Ziel von Vertovec ist es ja, ein Ergebnis zu erzielen, das die

Gesellschaft in seinem modellhaften Sinne beschreibt: als eine Gesellschaft von Gesellschaften

mit multiplen Identitäten, die Milieus bilden.

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7.5 Beweis-Beweisungs-Kommunikation

Zusammenfassend bezeichnet Vertovec seine an die politischen Akteure abzielende Strategie (vgl.

5) der Einführung des neuen Begriffs der Super Diversity anstatt des Multikulturalismus als eine

Konzept-Triade:

“How to bring all this together? I’ve just tried to sketch some of the kinds of things

that can be looked at by studying diversity within different domains. [Referring to

slide of three domains in a triangle] This make sort of triad, a conceptual triad I

call it.” (1 : 25)

Das planvolle, systematische und strategische Vorgehen fasst Vertovec in seinen eigene Worte

kurz und knapp zusammen, indem er

- die „strukturelle Konstruktion“ des neuen Begriffes „Super-Vielfalt“,

- die „Vermittlung neuer bildhafter Begriffe“ als Repräsentanten der

neuen Wirklichkeit,

- die Installation von ethnischen Milieus als „Wirkagenten“ im öffent-

lichen Diskurs,

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als drei miteinander verbundene, sich gegenseitig aufbauende und ergänzende „Domains“ be-

zeichnet, die man mit Strategie, Taktik und Realisierung im strategischen Kontext umschreiben

muss.

“You can also sort of think that the domain ‘configurations of diversity’ has

more to do with structure, ‘encounters of diversity’ has to do with agency, and

‘representations of diversity’ is a mediating domain of meaning, of meaningmanagement.” (1 : 25, Hervorhebung nicht im Original)

Auf dieser Strategie-Basis wird in der:

- Phase 1 (Konfiguration): Eine neue Theorie und ein neuer, neutraler Begriff

sozialwissenschaftlich erfunden: „Super Diversity“. Dieser Begriff wird mit

Merkmalen (Indikatoren) versehen, so dass er politisch und gesellschaftlich

kommuniziert und an die „politischen Akteure“ adressiert werden kann.

- Darauf werden in Phase 2 (Repräsentation) die passenden Begriffe, Bilder

und Fachtermini in die öffentliche Kommunikation eingeführt, um die Auffas-

sung der Wirklichkeit im gewünschten Sinne zu deformieren.

- In Phase 3 (Agenten) wird mit der strukturellen und institutionellen Installati-

on, Vernetzung und Stärkung jener Milieus, die früher als Summe die "Paral-

lelgesellschaften" gebildet haben, eine faktische Evidenz in der aufnehmen-

den Gesellschaft zu erreichen versucht.

Beispiele für dieses systematische Vorgehen der „ Representations of Diversity” finden sich im Ar-

beitspapier durchgängig. Man findet sie sofort, wenn man das Ziel, den Masterplan vor Augen hat,

der mit positiven Images, Bildern kommuniziert werden soll, d.h. jene Merkmale, die Vertovec “er-

funden” hat, sollen nun durch gezielte visuelle Kommunikation verbreitet werden.

Ein beliebiges Beispiel soll dies nachfolgend illustrieren helfen. Vertovec führt aus, dass das Bild

des „Schmelztiegels“ (melting pot) durchaus positiv besetzt ist (1 : 15).

Das „Arbeitspapier“ in Frankfurt (!) folgt zufällig genau dieser Handlungsanweisung für die „Repre-

sentation of Diversity“ 1:1 und es wird auf Seite 35 von einem anonymen Unternehmer3 ausge-

führt:

3 Römhild und Vertovec sind ja in der Tat „Unternehmer“ ...

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"Frankfurt ist ja ein Schmelztiegel. Menschen kommen rein, Menschen gehen

raus. (...). Und das ist kein Nachteil, das ist eine Qualität, aber diese Qualitätmuss man erkennen. (Frankfurter Unternehmer)“ (8 : 35, Hervorhebung nicht im

Original)

Man sieht, durch das Zitat eines anonymen Unternehmers soll gezielt die Tatsache der Parallelge-

sellschaften positiv konnotiert werden. Dabei soll die Schmelztiegel-Metaphorik eine positive Qua-

lität explizit im öffentlichen Dialog verankern, und genau das hat Vertovec als 2. Schritt für seine

Strategie u.a. vorgeschlagen.

Folgerichtig nutzt die alte "Multikulti"-Industrie im neuen "Diversity"-Gewand die sozial-chirugi-

schen Instrumente Vertovecs sowie die resultierende Begrifflichkeit im öffentlichen Diskurs.

Konsequenterweise muss das neue Set an Begriffen in der Öffentlichkeit multipliziert werden, d.h.

die neue Sicht der Wirklichkeit muss auf breiter Basis durchgesetzt werden. Und da die neue Be-

grifflichkeit die alten Probleme definitorisch wegkonfiguriert hat, jeder Kritik also den Boden unter

den Füßen weggezogen hat, müssen die alten, ineffektiven Strukturen der "Multikulti"-Industrie

nicht mehr aufgelöst werden. Die neue theoretische Konzeption erlaubt es leicht, dass die alten

Strukturen und Institutionen auch für die neuen Aufgaben übernommen werden können.

Darauf aufbauend schließt sich Phase 3 an: „3 Encounters of Diversity”. Damit bezeichnet Prof.

Vertovec die interkulturelle Alltagspraxis, jene bspw. religiösen oder kulturellen Unterschiede, die

sich aus verweigerter Integration ergeben, im alltäglichen Miteinander, in der Vernetzung von Mi-

lieus aufzulösen, indem die alten Strukturen ebenfalls nur neu „vernetzt“ werden ... ein Synonym

für finanzielle Optimierung und die Stärkung und Ermächtigung von "Parallelgesellschaften".

Schlussendlich wurde auch die alte Zielsetzung komplett gerettet: Denn: Integration darf nach

amtlicher Verlautbarung nicht stattfinden.

Hierzu ein Auszug aus der amtlichen Verlautbarung der Stadt Frankfurt aus dem Jahre 2009 zu

der Frage, wie Vernetzung als Ziel von Integration als politische Handlungsanweisung zu verste-

hen ist :

„Eine an Vielfalt orientierte Vernetzungspolitik darf nicht darauf abzielen, (...) auf

'deutsche' Kulturstandards zu verpflichten.“ (8 : 58)

64

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7.6 Fazit: Multikulturalität vielfältig diversifiziert

Die Idee des Multikulturalismus hat sich an die Situation ihres Scheiterns akademisch ange-passt, indem nicht als Resultat aus dem gesellschaftlichen Versagen das Konzept komplett zu-

rückgezogen wurde; vielmehr wurde die alte Theorie modifiziert, indem die begriffliche Grundlage

des Multikulturalismus mit der „Theorie“ des „methodologischen Nationalismus“ angereichert

wurde. D.h. konkret: die nationalen Grenzen als Container für die Akkulturation seiner Mitbürger

wurden definitorisch aufgelöst. Auf der neuen Basis der somit nationalen Grenzenlosigkeit wur-

den die „multiplen, nationalen Identitäten“ zu bedeutenden Eigenschaftsmengen. Sie bilden

die Grundlage für den zweiten wichtigen Paradigmenwechsel, den alleinigen Blick auf die„Milieus“.

Vertovec rettet das Konstrukt Multikulturalität also, indem...

1) ...er das theoretische Konzept Multikulturalität um die Merkmale der nationalen Bindungskraftentkernt, somit die „Kultur“ extrahiert ...

(eine Kraft, die schon beim alten Multikulturalismus als äußerst schwach eingeschätzt wurde, ob-

wohl konzeptionell noch die „Mutterkultur“ integrieren sollte),

2) ...er stattdessen die nun in globaler Sicht kosmopolitische Situation als Grundlage nimmt,

nach soziologischen Kriterien auf Marko-, Meso-, Micro-Ebene ein Set an sozio-demografischen

Eigenschaftsmengen zu definieren. Aus diesen Milieu-Eigenschaften werden dann, die aus Verto-

vecs Sicht geeignet erscheinenden, neue Einheiten konstruiert. Neu definierte kollektive Grup-

pen folgen also auf die von Vertovec vorgedachte Auflösung der nationalen und nationalkulturellen

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Grenzen, auf die theoretische Dekonstruktion. Den Oberbegriff jenes Prozesses der intellektuel-

len Auflösung und Neukonstruktion bezeichnet Vertovec als „Super-Diversity“.

3) ...er als wegweisenden Begriff den der Transnationalität nutzt. Vertovec führt also das Merkmal

der Mehrstaatlichkeit als Beweis (Indikator) seiner Theorien an, ein Argument, dass in Frankfurt

beim aktuellen Konzept u.a. durch Römhild gestützt wird. Nicht zufällig führt Römhild in ihrer einzi-

gen grundlegenden akademischen Co-Produktion „global heimat“ (15) die türkische Gemeinschaft

und vor allem ihre Kinder in der Schule als Beweis dafür an, dass eine Akkulturation schon allein

aufgrund der demografischen Verhältnisse nicht mehr geleistet werden kann.

4) ...er somit die Defizite des alten "Multikulti"-Modells und dessen Folgen, nämlich de facto die Bil-

dung von "Parallelgesellschaften" bei Türken und Marokkanern in Deutschland nicht als Beweis

des Scheiterns der "Multikulti"-Ideologie, sondern vielmehr als Beweis seiner neuen Theorie an-

führt.

Folgerichtig muss und kann aus der neuen ideologischen Sichtweise gefolgert werden, dass es

gar keine "Parallelgesellschaften" gibt, sondern vielmehr diverse Milieus in Frankfurt. Das

heißt ganz einfach: dass jedes Merkmal, und jeder Indikator, der früher als Hinweis für eine kultur-

spezifische Gruppenbildung galt, wie z.B. Werteorientierung, Religion, politische Einstellung usf.

nun kein nationaler, kein kultureller Indikator sein darf, vielmehr neutrale Merkmale von Milieus,

deren Definition und Bestimmung dann einzig der Soziologie obliegt.

Da definitorisch ein Milieu „die Gesamtheit der sozialen Lebensumstände, der Umwelt, der natürli-

chen Umstände“ (lt. Duden) umfasst, wird auch an dieser Stelle die sich selbstbegründende, zirku-

läre, tautologische Argumentations- und Theorie-Linie sichtbar: das Soziale ist qua definitionem die

das Individuum prägende Struktur, jedoch ist die Prägung des „Sozialen“ als gesellschaftlichem

Konstrukt eine Folge von Kultur als die Gesamtheit der sie leitenden Werte; wenn aber, wie ge-

schehen, die Kultur als auch der Ort von Kultur, die Nation, negiert werden, ist de facto das

Soziale nunmehr ein leerer Begriff, eine reine Hülle ohne Inhalt, die ein Milieu nicht binden kann.

Somit ist ein Milieu immer das Ergebnis eines Kulturprozesses, so dass notwendigerweise jene Mi-

lieus die quantitativ größten Kohorten bilden, bei denen die kulturelle Bindungskraft, die Leitkultur

des Sozialen am größten ist. Jene Milieus sind es auch, die das größte Potential für eine "Parallel-

kultur" in sich tragen, da sie natürlich einer Akkulturation und einer Assimilation in einer andere

Kultur- und Gesellschaft entgegenstehen.

5) ...er somit den sichtbarsten Beweis für das Versagen der multikulturellen Ideologie und -In-dustrie, nämlich die "Parallelgesellschaften", von den akademischen Führern des Multikultura-

lismus „aus der Welt schafft“, indem die Beweisvernichtung mittels akademischen Begriffstrans-

fers konstruiert wurde.

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Diese Handlung ist folgerichtig und zielführend. Denn die "Parallelgesellschaften" stellen in allen

diesbezüglichen Einwanderungsstädten den Beweis dar, dass Leitkulturen prägen und somit ohne

die Betonung der Dominanz der aufnehmenden Nation, "Parallelgesellschaften" entstehenmüssen; ein Umstand, der nicht geleugnet werden kann (London, Frankreich, Deutschland), ist es

doch der weithin und offen sichtbare Beweis für das Versagen des Multikulturalismus.

Nach diesem „Transfer“ wird aus dem Scherbenhaufen eine vielfältige Fundgrube, deren Schätze

nur geborgen und in den „richtigen“ Kontext gesetzt werden müssen.

6) ...indem wiederum bei dieser „neuen“ Ideologie systematisch mit den fälschenden Mitteln der

unzulässigen Verallgemeinerung von Einzel-Beobachtungen gearbeitet wird ("die Zuwanderer",

"die Ausländer“) und zudem spezifisch-kulturelle Gruppenmerkmale unzulässig größeren Popula-

tionen zugeschrieben werden (Entwicklungen bei Türken oder Marokkanern werden auf alle Aus-

länder übertragen).

In der nachfolgende Tabelle sind die wichtigsten theoretischen Konzepte und deren Interdepen-

denzen in einer ca.-Zeitskala geordnet.

ca. Jahr: 1945 - 1961 1962 - 1980 1980 - 2000 2001 - heute ca. Jahr

Gesellschaften: mono mono mono multiple Gesellschaften

Kosmopolitismus: nein nein ja ja Kosmopolitismus

Transnationalismus: nein nein nein ja Transnationalismus

nationale Rahmung: ja ja ja nein nationale Rahmung

Akkulturation: nein ja nein ja Akkulturation

Parallelgesellschaft: nein nein ja nein Parallelgesellschaft

nationale Identitäten: mono mono mono multiple nationale Identitäten

Einwanderung: nein ja ja nein Einwanderung

Gesell.-Paradigma: national assimiliert multikultural super diversity Gesell.-Paradigma

(T1: Kämmerer, 2010):

Zur Verdeutlichung, wie die obige Tabelle „gelesen“ werden kann, möge man sich die beiden Spal-

ten bis 2000 und nach 2001 vergegenwärtigen. In der Multikulti-Gesellschaft gelten bspw. noch

nicht die Bedingungen des „Transnationalismus“, d.h. die nationalen Grenzen als „container“ sind

noch gültig („ja“). Eine Akkulturation findet (dennoch) nicht statt („nein“), da die verschiedenen

„Kulturen“ innerhalb der einen Gesellschaft nebeneinander existieren (multikulti). Eine Akkulturati-

on hat aber bis ca. 1980 stattgefunden, da bis zu diesem Zeitpunkt das Paradigma der Multikultu-

ralität noch keine Gültigkeit hatte. Parallelgesellschaften gibt es bis 2000, denn Multikulti funktio-

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niert nicht bei einem großen Teil der Einwanderer; danach gibt es keine Parallelgesellschaften

mehr, da der Begriff aufgelöst wurde in eine Vielfalt von Gesellschaften / Milieus. Nationale Identi-

täten gab es in den Köpfen bis 2000 jeweils nur eine, während es danach ab 2001 viele sind (su-

per diversity).

Wer die Tabelle erfolgreich studiert hat, wird die Frage, warum das scheinbare Widersprüchliche

dennoch möglich ist, erfolgreich beantworten können. Nämlich, dass nach dem Jahr 2000 ohne

Einwanderung und ohne nationale Rahmung eine Akkulturation (Hineinwachsen einer Person in

ihre kulturelle Umwelt) dennoch möglich sein soll („ja“ in der Tabelle).

Die Lösung liegt auf der Hand: Einwanderung gibt es in einer globalen Welt nicht mehr („nein“),

denn alle Weltbürger sind Weltbürger, ganz ohne störende Grenzen, daher ohne nationale Rah-

mung („nein“). Eine Akkulturation findet dennoch statt („ja“), und dies ohne Einwanderung und

ohne nationale Grenzen, denn die Weltkultur, das Globale, setzt die Rahmung und bildet die Gren-

zen für die Akkulturierung auf globaler Ebene.

In dieser Zusammenführung zentraler paradigmatischer Annahmen wird der (anmaßende) weitrei-

chende Anspruch der neuen Theorie deutlich. Ulrich Beck hat den revolutionären Charakter dieser

theoretischen Grundlagen seines Fachkollegen Vertovec erkannt und befördert diesen u.a. durch

die folgende Aussagen im Rahmen eines (zufälligen) „Interviews des Monats“ auf Vertovecs Uni-

versitäts-HP über das Thema „Diversity“:

„Wenn man nur hingeht und sagt: Ich kucke mir superdiversity in den verschiede-

nen Kontexten an, fürchte ich, dass man auch nur superdiversity „sehen“ wird.

Und das würde der gesellschaftstheoretischen und politischen Sprengkrafteiner Superdiversity-Forschung nicht gerecht werden.“ (14, Hervorhebung nicht

im Orig.)

Wer nun immer noch Zweifel hegt an der neuen Repräsentation der Wirklichkeit, möge sich ab-

schließendes Zitat zu Gemüte führen:

“In Germany this is the case: there are now a lot of German policy documents

promoting integration, but as elsewhere throughout Europe, it’s always ‘Integra-

tion und Vielfalt’ [‘Diversity’]. Look at the German integration plan from the

Bundesministerium and on every other page is Vielfalt, Vielfalt… So multicultural-

ism is not dead. It’s just taken another name, a new representation in the policy

market.” (1 : 16)

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7.6 Schlussfolgerungen auf der Fach- & Strategie-Ebene

Aufgrund der bemerkenswerten Tatsache, dass Prof. Dr. Steven Vertovecs Arbeitspapier (1) als

soziologische Facharbeit die Entwicklung einer politischen Strategie, an öffentliche Akteure (5)

adressiert, zum Gegenstand hat, kann im nachfolgenden Fazit Fach- und Strategie-Ebene zusam-

men behandelt werden.

Die vorliegende Analyse der Eskandari-Papiere hat aufgedeckt, in welcher Tragweite die Annah-

men und Thesen von Steven Vertovec paradigmatisch Inhalte, Struktur, Aussagen, Schlussfolge-

rungen und Begriffe auf über 238 Seiten bestimmen. Zweifelsohne sollen neue Begriffe und Prä-

missen im thematischen Diskurs installiert werden, die eine völlig neue Sicht der Realität zu fun-

dieren versuchen.

Die gewünschte neue Realität besitzt den großen Vorteil, dass ein Integrationsproblem inklusive

der Parallelgesellschaften nicht mehr existiert und dass die als neue Aufgaben auftauchenden Mi-

lieus mit den alten Konzepten, Netzwerken, Apparaten und milliardenschweren Subventionen wei-

ter wie bisher verwaltet und abgeschöpft werden können.

Vertovecs selbst definierter strategischer Plan und Anspruch, das Vielfalts-Paradigma auf europä-

sicher Ebene institutionalisieren zu wollen, kann im föderalen System Deutschlands in idealer Wei-

se über kommunale Pilotprojekte eine sinnvolle Strategie sein. Gerade Frankfurt böte mit seinem

sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergund einen idealen Ort, um das Vertovec-

Ideologie zu installieren und für die Bundesebene zu empfehlen.

Die analysierten und diskutierten Annahmen und Implikationen auf der Strategie-Ebene in Verbin-

dung mit dem politischen und akademische Gesamtcharakter des Arbeitspapiers sowie die beson-

dere Situation Frankfurts lassen den Schluss nahe liegen, dass in Frankfurt ein Ersatz-Modell für

den gescheiterten Multikulturalismus auf politischer, kommunaler und akademischer Ebene instal-

liert und als "Basislager" einer bundesrepublikanischen "Karriere" dienen soll.

Die überwältigende Wirkung der Vertovec-Strategie kann schon heute im gesamtdeutschen öffent-

lichen Diskurs abgelesen werden, indem in extremer Auffälligkeit immer mehr nur jene Denkfiguren

und begriffliche Metaphern und Begriffe im öffentlichen Diskus und Dialog über Integrationsfra-gen Verwendung finden, wie sie von Vertovecs Theorie konfiguriert und an die politischen Akteure

und Agenda-Setting-Instanzen adressiert wurden.

Die kritische Qualität und Objektivität des journalistischen Systems (Berichterstattung, Analyse und

Kommentar) ist hinsichtlich dieser strategischen Zielsetzung offensichtlich schon gänzlich außer

Kraft gesetzt worden.

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VIII. Vielfalt-Personen

Nachdem die bisherige Analyse ergeben hat, dass die vorliegenden Expertise Empfehlungen und

Einschätzungen präsentiert, die von ihrer Natur her systematisch gegen das traditionelle Bürger-

tum, gegen den Begriff und die Inhalte der deutschen Nation, und gegen die Akzeptanz einer nor-

mativen (deutschen) Leitkultur gerichtet sind, wird dieser Vorwurf der ideologischen Subjektivitäteiner Prüfung unterzogen.

Es werden diverse schriftliche Veröffentlichungen dahingehend einer qualitativen Einschätzung

unterzogen, ob die implizite Kritik, ideologischer Vorurteile und Ressentiments als Arbeitsgrundla-

ge zu pflegen, falsifiziert werden können. Dabei wird diese Analyse nur einen kleinen Ausschnitt je-

ner Publikationen auswerten können. Jedoch wird die Stichprobe unter dem Gesichtspunkt der zu

prüfenden Thematik (Nationalismus, Leitkultur, Deutsche Nation, o.ä.) ausgewählt und gewinnt

hierdurch an analytischer Evidenz.

Den Schwerpunkt wird exemplarisch Frau PD. Dr. Regina Römhild bilden sowie diverse kurze Zita-

te einer Reihe von so genannten „Fachleuten“ des Goethe-Instituts, das als ein ideologisches

Sammelbecken für die Auffassung gelten kann, dass die deutsche Nation und Kultur akademisch

zu bekämpfen und alles Fremde und Kosmopolitische zu unterstützen und zu fördern sei. Neben

Römhild bildet Prof. Dr. Schiffauer einen längeren Abschnitt, da dieser mit Prof. Vertovec theore-

tisch eng zusammenarbeitet und ein sehr gutes Beispiel für das explizit die Deutsche Kultur relati-

vierendes und werterelativierendes Denken darstellt. Vertovec selbst wird nur kurz angemerkt, da

er in einem eigenen Kapitel (VII.) mit seiner zentralen Theorie und jenem „working paper“ analy-

siert wird, welches das eigentliche Herzstück des „Arbeitspapiers“ darstellt4.

1) PD. Dr. Regina RömhildFrau Regina Römhild nimmt als exponierte Vertreterin des „Arbeitspapiers“ die Rolle jener Instanz

ein, die für inhaltliche Kompetenz und wissenschaftliche Objektivität stehen soll. Folglich argumen-

tiert Frau Römhild aus der Perspektive der „Wissenschaftlerin“ in den Massenmedien.

4 Erinnert sei daran, dass die „internationale“ und „renommierte“ „wissenschaftliche Arbeitsgruppen“ lediglich aus Prof.

Vertovec und der „Assistentin“ Römhild besteht und somit bestenfalls ein Paar darstellt. Die Theoretiker Beck, Schiffauer

u.a. arbeiten auf derselben theoretischen Ebene und forcieren die Pläne der „Super Vielfalt“ in Deutschland als neue

Ersatz-Ideologie für den gescheiterten Multikulturalismus.

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Des Weiteren vertritt Frau Dr. Römhild Prof. Dr. Vertovec, der als eigentlicher „Kopf“ hinter dem ge-

samten „working paper“ verantwortlich zeichnet.

Warum Vertovec nur als Nr. 2 im „Arbeitspapier“ genannt wird, auf seiner Universitäts-Webseite

dies aber als „sein“ Projekt darstellt und akribisch alle Presseveröffentlichung listet, und warum er

in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung tritt, jene Fragen dürften eine einfache Antwort finden:

Prof. Dr. Vertovec soll offenbar im Hintergrund bleiben. Es soll verheimlicht werden, dass das „Ar-

beitspapier“ ein in der Gänze auf die Theorie von Vertovec zurückzuführendes „working paper“ ist.

Immerhin ist Vertovec die Redlichkeit zu attestieren, dass er seine eigene Theorie, die noch nicht

bewiesen ist, als „Arbeitspapier“ in das Integrationskonzept packt, und dies auch durch die Benen-

nung als Arbeitspapier transparent wird. Leider weiß dies das Publikum nicht zu erkennen, da

Prof. Dr. Vertovec das originale „working paper“ (u.a. “Conceiving and Researching Diversity”)

nicht im Anmerkungsappart ausweist. Als Ergebnis ist das „Arbeitspapier eines Entwurfs zweier

Konzepte“ zur Kenntnis zu nehmen.

Aber dies ist eben der Ursache geschuldet, dass die Zusammenfassung von Vertovecs Arbeit als

„Arbeitspapier“ in das Konzept „versteckt“ werden musste, und als Konsequenz das ursprüngliche

Ziel, ein Konzept für Integration zu erstellen, in das Ziel eines Konzepts für Vielfalt und Vernet-

zung verändert wurde5. Daher die Klammheimlichkeit von Prof. Vertovec.

Der Öffentlichkeit wäre nicht zu erklären gewesen, dass eine einzige ideologische Theorie das In-

tegrationskonzept „sterben“ lassen soll.

Aus diesen Ausführung wird ersichtlich, dass Frau Römhild eine stellvertretende Schlüsselstellung

in diesem Täuschungsversuch darstellt. Über ihre parteiische Einstellung pro-Vertovec und die

diesbezüglichen Theorien hinaus, muss sich Frau Römhild als Kulturantropologin an dem An-

spruch messen lassen, dass die öffentlichen Äußerungen aus ihrer Feder fundiert sind und wis-

senschaftlichen Kriterien genügen. Dies gilt insbesondere im Rahmen der fachlichen Kommunikati-

on in Form von Vorträgen oder fachlichen Aufsätzen. Des weiteren ist Frau Römhild als Dienstleis-

terin den Zielen das Magistrats verpflichtet und unterliegt somit auch jenen Sorgfaltspflichten, die

sich aus der Natur einer öffentlichen Behörde ergeben. Beide Aspekte nehmen Frau Römhild in

eine zweifache Pflicht, fachliche Äußerungen nach bestem Wissen und Gewissen zu tätigen.

5 Folgerichtig werden die ersten ca. 100 Seiten des „Integrationskonzept“ mit der Kapitelbezeichnung „Vernetzung und

Vielfalt“ subsummiert und das Thema „Vielfalt“ in der Öffentlichkeit in den Mittelpunkt gestellt.

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In mehreren nachfolgend genannten Aufsätzen hat sich Frau Römhild explizit zu den oben ange-

sprochenen Themenbereichen "Nation" und "Kultur" geäußert. Das diese Äußerungen nicht nur

„aus Versehen“ aus der Feder der Autorin geflossen sind, ergibt sich einerseits aus der Tatsache,

dass diese Zitate qualifikativen und definitorischen Charakter haben – eine Güte, die nicht „zufäl-

lig“ in die Tastatur fließt; andererseits habe alle Zitate eine bestimmte Weltsicht als Grundlage, die

als Motiv durchscheint und als Rahmenbedingung die Inhalte der Aussagen motivierte.

In ihrem Aufsatz (16) führt Frau Römhild aus, die eigentliche Ursache von Integrationsproblemen

in Deutschland müsste verstanden werden:

"als Ausdruck sozialer Kämpfe oder als Produkt ethnischer Diskriminierungund sozialer Ungleichheit." (16 : 163 Hervorhebung nicht im Original)

Mit dieser Einschätzung geht Frau Römhild über das Modell der „kulturellen Differenz“ hinaus und

politisiert, indem sie die aufnehmende Gesellschaft Deutschland expressis verbis als einen Ort

der Diskriminierung und Klassenkämpfe definiert6. Dieses Römhildsche "Rassismus"- und Klas-

senkampf- Motiv exekutiert Römhild auch im aktuellen Diskurs des vorgestellten Arbeitspapiers, in-

dem sie öffentlich – in Bezug auf Türken - zu Protokoll gibt:

„Das Problem ist für diese Menschen viel eher, dass sie aufgrund ihres Namensdiskriminiert werden, ihnen Hürden im Weg stehen. Deswegen wenden sich

junge Türken oft von Deutschland ab.“ (17 : 2009)

Möglicherweise wird die spezielle Weltsicht von Frau Römhild durch eine eigene Kooperationsbe-

schreibung transparent:

“In our cooperation with the Kölnischer Kunstverein and DOMiT (Dokumentation-

szentrum und Museum für die Migration aus der Türkei), a multiethnic migrants’

documentation center, we are re-reading the post-war history of labor migration

6 Eine Einschätzung die sich schon aus Gründen der explorativen Vernunft verböte, da Deutschland seit den 60er

Jahren unter die Top-3 von Migranten gewählt wurde – ein Faktum, dass sich mit diesem "Rassismus"- und

Klassenkampf-Argument nicht vereinbaren lässt. Darüber hinaus muss sich Frau Römhild fragen lassen, wie sie ihr

Urteil über Deutschland gerade angesichts des Verschweigens der menschenrechtlichen Situation im türkischen

Herkunftsland vieler Einwanderer rechtfertigen kann.

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as a transnational project that passed the state’s interest of a temporary “guest-

work” and realized itself as immigration. (15 : 7)”

Im o.g. Aufsatz wiederholt Frau Römhild ihre Sichtweise zu in Deutschland lebenden Türken und

gegenüber der deutschen Nation und führt (wie häufig) ein „vom Hörensagen“ als Indizienkette für

ihre Meinung an:

“Consider the story Tulay, a girl with Turkish background, has told us: 'In our

neighborhood, in Griesheim, there is a German … I’m not against Germans - but

this one … My mother wears a head-scarf. When he meets me on the street, he

is friendly all over. But when I walk along with my mother, he gets angry and

shouts: You foreigners, you will ruin all of us, get out of here!' “ (15 : 6)

Dabei spielt die Deutsche Gesellschaft eine wichtige Rolle:

“As in this story, German everyday racism still concentrates on the worn-out

templates of the other, represented in symbols like the head-scarf which evoke

fantasies of a Muslim danger to the own privileges.” (ebd. Hervorhebung nichtim Original)

Der stereotype, tägliche deutsche Rassismus in Deutschland könnte sich also in der Zukunft für

das „neue Deutschland“ als Nachteil erweisen:

“Tulay’s story is a story about integration – but from a reversed perspective. From

such perspective, the Germans would have to ask themselves whether theyare integrated in the new Germany; a Germany of which they do not seemto know much by now. Meanwhile, the current discourse on migration in Ger-

many rather invokes and fosters these same racist stereotypes than works

against them.”

Und etwa über einen Bürger, der Türkinnen in seiner engen Nachbarschaft mit Kopftuch als eine

kulturelle Bedrohung empfindet, urteilt Frau Dr. Römhild, dass dieser Deutsche:

"nicht über einen stereotypen Rassismus hinaus“ kommt, da er „von der simplen

Gleichung Kopftuch = Islam + Türken = Bedrohung ausgeht." (16 : 167)

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Theoretisch bewegt sich Frau Römhild aber immer noch auf bekanntem und ideologisch sicheren

Terrain des „Methodologischen Nationalismus“, der die nationalen Grenzen als den „Hort des Bö-

sen“ ansieht und den Transnationalismus als die Rettung; und so folgert sie im Weiteren:

“The article explores the increasing gap between the cultural dynamics of

transnationalization in Germany and the national self-perception of the German

society. While concepts of migration (Zuwanderung) and integration still stick to

notions of the nation-state as being a container; embracing and controlling a

population and a culture of its own, the various processes of material and imagin-

ary mobility across the national borders contradict and challenge this notionas well as its political implications.” (15 : 1 Fettungen nicht im Original)

“And it is still the nation-state that is expected to govern and control thedanger. The fear of the Muslim migrant as a potential 'preacher of hate' has dom-

inated the debate of the last months, and it has found its way into the text of the

new immigration law where it legitimizes severe measures, including the de-portation of individuals on the basis of mere suspicion. (15 : 6, Fettungennicht im Original).

Das eine solche Sichtweise nicht ohne Folgen bleiben kann, führt Frau Römhild in eindeutiger

Strenge aus:

"Kultur ist - unter den Bedingungen ihrer Ethnisierung - vor allem auch eine po-litische Alltagspraxis, sich in und gegenüber den Machtverhältnissen von

Mehrheiten und Minderheiten, Zentrum und Peripherie zu behaupten, sie zu un-terlaufen und mit eigenen Projekten der Selbstermächtigung zu konterkarie-ren." (16 : 174, Hervorhebung nicht im Original.)

Die bisherigen Ausführungen sind eindeutig. Frau Römhild sieht den deutschen Bürger und die

deutsche Kultur-Nation als Ursache jener negativen Folgen, unter denen im allg. der Migrant zu

leiden habe. So wundert es auch in keiner Weise, sondern folgt der inneren Logik des Römhild-

schen Klassenkampf-Rethorik, wenn sie die deutsche Kultur als einen Zustand auffasst, der vom

Migrant nicht nur abgelehnt werden soll, sondern als Ziel zu bekämpfen sei. In Römhilds Vorstel-

lungen spielt die Auflösung der nationalen Grenzen die wichtigste Rolle, denn im Folge des kos-

mopolitischen Transnationalismus und der neuen „ethnischen Vielfalt“ spielt die deutsche Leit- und

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Mutterkultur keine Rolle mehr: der vorgebliche deutsche Rassismus und die vorgeblichen Diskrimi-

nierungen werden verschwinden, wenn sich das Deutsche definitorisch (Nation und Kultur) auflöst

und die Migranten die Mehrheit stellen.

Kontakte / Verbindungen:

An prominenter Stelle im 1. Kapitel vor Prof. Dr. Vertovec im Arbeitspapier in den Quellenangaben

stehend7 repräsentiert Frau Dr. Römhild8 ein enges Bindeglied in universitärer, thematischer und

institutioneller Ebene zu Beck, Vertovec, Schiffhauer und den anderen „Fachleuten“ am Goethe-

Institut (s.u.).

Die spezielle Schlüsselstellung von Frau Römhild in der Öffentlichkeit ergibt sich aus den o.g. Aus-

führungen. Darüber stellt sie mit Ihrer Orientierung für den Frankfurter Raum einen sehr wichtigen

funktionalen Ansatzpunkt für die Installation der Vertovec-Theorie dar, indem ihre auf dasselbe

theoretische Fundament basierende Forschungsarbeiten mit dem Schwerpunkt „türkischer Mi-

lieus“ nicht nur ideologisch „passen“ sondern auch dem theoretischen Vorgaben von Vertovec in

zwei sehr wichtigen Punkten entgegenkommen: zum Einen vergleicht Vertovec u.a. den Bewußt-

seinszustand Türkische Migranten mit dem von Individuen der Diaspora, um auf diesen Weg das

Modell der „multiplen Identitäten“ und in der Folge als Beweis dieser multiplen Identitäten die ge-

rade unter Türken weit verbreitete „Doppel-Staatlichkeit“ auf Deutschland übertragen zu können

(vgl. 11, 12, 13); zum anderen bilden „türkische Millieus“ in den von Römhild untersuchten Popu-

lationen (Schulen) eine Majorität, so dass von dieser statistisch verzerrten Sichtweise ausgehend

die falschen Annahmen der transnationalen Theorie für den Raum Frankfurt argumentativ gestützt

werden können.

Dabei „benutzen“ sowohl Steven Vertovec (London) als auch Römhild (Frankfurt) die Folgen einer

offensichtlich verfehlten Integrationspolitik, nämlich die Parallelgesellschaften in bestimmten Schul-

formen (für Römhild: ethnisch vielfältige Schulmilieus) als auch die ethnischen Parallelgesellschaf-

ten in europäischen Großstädten als „Beweis“ für die theoretischen Grundlagen der Diversitäts-

Theorie. Diese leistet, wie ausgeführt, jene Parallel-Gesellschaften mit der Vertovec-Theorie der

Super-Vielfalt in eine qualitativ Vielfältigkeit definitorisch aufzulösen (s. hierzu die weiteren Ausfüh-

rungen zum Begriff der Super-Diversity als Ersatz für den Multikulturalismus).

7 Prof. Vertovec korrigiert diesen „Fehler“ auf seiner Webseite und referenziert treffend sein eigentliches „working paper“

mit seiner Funktion.

8 Aktuell nach Angaben des Goethe-Instituts „am Thema `Projekte der Mediterranisierung. Tourismus, Migration und

die Praxis der Imagination an den Grenzen Europas´“, beschäftigt und „am Lehrstuhl für Soziologie an der LMU

München“ lehrend.)

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2. Prof. Dr. Steven Vertovec

Hinsichtlich der ethischen Verantwortung, die Prof. Dr. Vertovec in seinen wissenschaftlichen Ar-

beiten dokumentiert, ist zum einen ein Zitat in seinem weitreichenden, und für das vorliegenden

„Arbeitspapier“ wesentlich mitbestimmenden Buch über die Transnationalität und Vernetzung der

globalisierten Welt von Interesse.

Vertovec führt - und dies ist im Kontext unserer Fragestellung in diesem Abschnitt bemerkenswert -

die global operierende Terroristenorganisation al-Qaeda als ein Erfolgsmodell ("one powerful ex-

ample") transnationaler Entwicklungen auf. Er schreibt:

"Religious-cum-political groups and networks that are dispersed across the bor-

ders of nation-states - or indeed, scattered globally - have in recent times de-

veloped their agendas in arguably new and distinct ways. The rise and develop-

ment of al-Qaeda is but one powerful example. The adoption of diverse modes of

communication (including electronic and computer-mediated forms), the changing

natur and manipulation of resources (channelling people, funds and information

to and from a number of localities), and the maintenance of various kinds of rela-

tionships in relation to encompassing social and political context (including ties

with people in the homeland / settlement and elsewhere in the world) are among

the factors characterizing many politico-religious movements as diasporic or

transnational.” (21)

Besondere Brisanz erhält dieses Zitat, wenn man berücksichtigt, dass der Begriff der "Diaspora"

im Kontext der transnationalen Entwicklung in Bezug auf eine Terror-Organisation wie al-Qaeda

beschrieben wird.

Einen Absatz zuvor kommt ein deutscher Wissenschaftsfreund zu Wort, Prof. Werner Schiffauer,

der sich z.B. wie der Grünen-Politiker Ströbele für einen islamischen Feiertag stark gemacht hat.

Prof. Schiffauer und Prof. Vertovec hab en schon zu früheren Zeiten zusammengearbeitet, u.a. als

Herausgeber und Autoren ("Staat - Schule – Ethnizität"). So wundert es auch nicht, wenn sich Ver-

tovec zum Beginn seines o.g. Buches für hilfreiche Kommentare bei der Entstehung seines Arbeit

"Transnationalism" ausdrücklich bei Schiffauer bedankt. Daher lohnt es sich, einen Blick auf diese

Verbindung der Fachleute zu werfen, die beide in prominenter Weise die bundesrepublikanische

Themenagenda in Fragen Integration mitbestimmen.

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3) Prof. Dr. SchiffauerSich mit Dr. Schiffauer in Bezug auf die Frage zu beschäftigen, ob er ein Freund der deutschen

Nation und Kultur ist oder nicht, fällt einfach. In seinem Buch: "Die Gewalt der Ehre - Erklärung zu

einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt", das ein Klassiker in einschlägigen soziologischen und

migrationsforschenden Kreisen darstellt, führt uns Herr Schiffauer auf über 170 Seiten seine

Haltung in Bezug auf die Ehnie der Türken vor Augen. Wer ob des detailierten Titels : "türkisch-

deutschen Sexualkonflikt" erwartet, Szenen einer Ehe in problematischer Sicht präsentiert zu

bekommen, wird überrascht sein:

"In der Nacht vom 20. zum 21. Mai 1978 wurde in einem Kreuzberger Hinterhaus

die achzehnjährige Petra K. von dreizehn türkischen Jugendlichen und einem Er-

wachsenen vergewaltigt - so jedenfalls sah der Tatbestand vor Gericht aus.Näheres Zusehen lehrt, daß es sich bei dem Tatbestand um ein pefektes Miß-verständnis handelt: den Ausbruch eines Kulturkonflikts zwischen Deutschen

und Türken."

Herr Schiffauer erweist den 14 Türkischen Tätern auf 170 Buchseiten seine besondere fachliche

Referenz, indem er ein ganz besonderes differenziertes Verständnis für die Tätergruppe dieser

Massenvergewaltigung dokumentiert. Dass dieses „perfektes Mißverständnis“ auch noch ursäch-

lich beim weiblichen Opfer seinen Anfang nahm, da es aus einer offenbar fremdenfeindlichen Hal-

tung heraus soviel Angst bekam, dass es sich nicht mit der nötigen Entschiedenheit zur Wehr ge-

setzt hat, weist dem Opfer zusätzlich zu dem grausamen Tatbestand eine große Mitschuld zu und

entlastet die türkischen Täter, die aus einer kulturellen Differenz notwendiger Weise so handeln

mußten, lt. Prof. Schiffauer.

Was Schiffauer am Ende seines Buches dem Publikum mitteilte, spricht für sich:

„Ich habe mich nie getraut, Petra Kaiser zu besuchen und sie über den Fall zu

befragen.“ (22 : 142)

Diesem Ethik- und Grundwerte relativierendem Denken ist Herr Schiffauer heute noch anhängig.

Die in seinem o.g. Buch als Erklärung für eine grausame Massenvergewaltigung angeführten kul-

turellen Differenzen mahnt Schiffauer aktuell u.a. in Bezug auf Muslime an. So ist in einer Selbst-

darstellung des Goethe-Instituts zu lesen in Bezug auf die Gewaltbereitschaft von Muslimen:

„Kluge Politik der Differenz. An die Stelle einer Politik des Drucks muss eine klu-

ge Politik der Differenz treten. Diese sollte positive Entwicklungen in den Gemein-

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den wahrnehmen und unterstützen; sie muss eine Politik der Einbindung anstelle

der Ausgrenzung sein und sie muss dem legitimen Bedürfnis nach dem Rechtauf Differenz Rechnung tragen.“ (23, Fettung nicht im Orig.)

Weitere aussagekräftigen Schlaglichter bilden nachfolgend unkommentierte Zitate von Fach-

wissenschaftlern, die beim Goethe-Institut – sozusagen Tür an Tür mit Schiffauer, Beck, Römhild -

beschäftigt sind:

4) Ha, Kien Nghi: „Integrationsmaßnahmen in Deutschland sind diskriminatorischIntegrationsassimilation statt Selbstbestimmung – Generalverdacht statt Gleichberechti-

gung.

Ha richtet sich gegen die erzwungene Eingliederung von Individuen in Ethnien

und Nationen, er fordert die Anerkennung multipler Identitäten und eine kulturelle

Praxis, die es erlaubt, verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften gleichzeitig

anzugehören. Erst dadurch wird das Verständnis der Migration als ein Leben im

Übergang ermöglicht. Erst dann kann sich das Subjekt seine Identität durch die

aktive Gestaltung kultureller Transformationen aneignen“ (25)

5) Hage, Ghassan: „Feinde der IntegrationWährend seiner frühen Feldforschungen konzentrierte sich Hage vornehmlich auf die Erfahrung

von Nationalismus, Rassismus und Multikulturalismus der weißen Australier (“White Nation” 2000).

Phallische Demokratie

Ghassan Hage prägte auch den Begriff der 'phallic democracy'. Gemeint ist damit die Art von De-

mokratie, die man hat - nicht die man lebt. So werden demokratische Werte, wie Meinungsfreiheit,

freie demokratische Wahlen und demokratische Ordnung, zum Symbol moralischer Überlegenheit,

die man als Waffen gegen den 'Anderen', den Barbaren, verwendet.

Schlagworte

Rassismus ist nicht einfach schwarz und weiß. Integration ist Exklusion.“ (24)

6) Bommes, Michael: "Keine Alternative zur Integration"Es gibt keine Alternative zur Integration von Migrantinnen und Migranten. Integrationspolitikkann, genau betrachtet, aus nichts anderem bestehen als aus

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1) Bündeln von Gesetzen, die z.B. Diskriminierungen verbieten,

2) der Bereitstellung von Geld für Programme und Maßnahmen, die Beschäfti-

gung und Ausbildung fördern, sowie

3) aus 'mobilisierenden Überredungen', welche den Zusammenhalt der Zivil-

gesellschaft stärken.

Europaweite Mobilisierungsformeln

'Managing diversity' und 'interkulturelle Öffnung' müssen deshalb die europaweiten Mobilisierungs-

formeln lauten. Integration von Migranten ist eine generationenübergreifende und keine vorüberge-

hende Problemstellung – das wird mit diesen Maßnahmen ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Dazu wird ein europäisches Migrationsmanagement nötig sein! Und zwar nicht als Sonderanstren-

gung, sondern als regulärer Teil einer ohnehin schwieriger gewordenen Gesellschaftspolitik in den

europäischen Wohlfahrtsstaaten.“ (26)

Schluss:Die gegen Ende stehenden Zitate von anerkannten Migrationsforschern im Kreise von Vertovec,

Schiffauer, Beck, Römhild usf. illustrieren, welche Ideologie und politischen Absichten hinter der

sogenannten Migrationsforschung unter den Stichworten „Diversity“ und „Transnationalismus“ u.ä.

stehen. Michael Bommes (und die anderen Referenten) ist dabei kein Anfänger und kein Unbe-

kannter,

„Der Soziologe Michael Bommes (*1954) leitet seit 2005 das Institut für Migrati-

onsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS). Seit 2006 ist er Dekan des Fach-

bereichs Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück sowie Associate Fellow

der "Migration Research Group" des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts

(HWWI).“

hat, wie auf der vorhergehenden Seite zitiert, akademischen Klartext gesprochen, aus welchen

Elementen Integrationspolitik nur bestehen kann.

Abschließend die umgangssprachliche Übersetzung:

1. Kritik mittels Strafandrohung verbieten;

2. Geld, Geld, Geld!;

3. Zusammenleben erzwingen.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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IX. Strategie-Szenarien

Im Folgenden werden die bisherigen Ergebnisse der strategischen Analyse einer qualitativen Ge-

wichtung unterzogen mit dem Ziel, jene Strategie isolieren zu können, die die bisherigen Analysen

der Fachebene stützten. Anhand dieser Einschätzung sollte es möglich sein, die qualitativen Ein-

schätzungen der fachlichen Analysen einer Prüfung auf Plausibilität zu unterziehen („Strategische

Klammer“, siehe Seite 7). Dabei ist ein gedanklicher Wechsel der Analyse-Ebene notwendig. Das

bedeutet, eine objektive mindere Qualität auf Fachebene kann innerhalb eines strategischen Plans

eine sehr gute Qualität im Sinne der gewünschten Wirkung bedeuten. Wenn beispielsweise wie in

dieser Expertise, überwältigende Ergebnisse darauf hinweisen, dass öffentlich verlautbarte Ziele

bei näherer Betrachtung nicht die Ziel-Qualität besitzen, kann dieser „Mangel“ aus strategischer

Sicht ein geplanter sein. Ob wiederum ein Defizit auf der Fach-Ebene einen Gewinn auf der Stra-

tegie-Ebene bedeutet, ist nur zu eruieren, wenn das Gesamt-Szenario als Vorlage zur Prüfung auf

„Passgenauigkeit“ Verwendung findet. In diesem Sinne kann eine absolut mangelhafte Verbreitung

und inhaltliche Verständlichkeit der Eskandari-Papiere (entgegen der vielfältigen Aussagen und

Ankündigungen) eine Gewinn-Strategie sein, da mangelhafte Transparenz über Inhalte und Ziele

wirkungsvolle Gegenargumente und Gegenstrategien im Ansatz zu verhindern hilft. Zur Verdeutli-

chung folgt anschließend ein Beispiel aus dieser Arbeit, das aufzeigen helfen soll, wie mit einer

mangelhaften Qualität (als Ergebnis (!) einer strategische Planung) in Wirklichkeit die Handlungs-

optionen extrem verbessert werden können (operativer Zugewinn).

Strategiebeispiel auf operativer Ebene

Die Initiatoren der Eskandari-Papiere haben durch die Wahl einer explizit mehrdeutigen Bezeich-

nung in verschiedener Hinsicht Vorsorge getroffen, den Unwägbarkeiten politischer Entwicklungs-

Prozesse begegnen zu können. 18 verschiedene sinnvolle Interpretationsmöglichkeiten spannen

einen Raum an Möglichkeiten auf, aus denen die Initiatoren je nach Situation und Anforderung

eine adäquate Bedeutungs-Kombination auswählen können.

Ob beispielsweise die Eskandari-Papiere ein „Arbeitspapier zu einem Entwurf für ein Konzept für

Integration“ und ein „Diversitätskonzept“ offiziell darstellen sollen, oder aber umgekehrt, ein „Inte-

grations-Konzept“ und ein „Arbeitspapier für einen Entwurf des Konzepts einer Diversitätstheorie“

– um nur zwei Möglichkeiten aus den mehr als 18 sinnvoll Möglichen zu nennen, bleibt völlig of-

fen und wird in keiner Weise und an keiner Stelle in den Eskandari-Papieren spezifiziert.

Aufgrund der spezifischen amtlichen Mehrdeutigkeit der Eskandari-Papiere als eine Verlautba-

rung des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main ist es den Initiatoren des selbigen Dokuments

möglich, die politische Funktion des Quelldokuments nach Belieben zu konfigurieren.

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In der Phase der Vorstellung der Eskandari-Papiere und der anschließenden Diskussion kann die

amtliche Charakteristik des Dokuments beispielsweise in der öffentlichen Diskussion beliebig um-geschaltet werden und verhindert so sehr effektiv jeden Ansatz von substantieller Kritik – indem

ggf. nur von Plänen für einen Entwurf eines späteren Konzepts gesprochen werden kann und so

jegliche diskursive Diskussionsgrundlage verhindert wird.

Gleichzeitig bietet die ungewisse amtliche Charakteristik des Dokuments die Möglichkeit, in der

Dialogphase kritische Stimmen willkürliche nach eigenen Vorgaben zu filtern (Agenda-Setting) und

nur jene Beiträge zuzulassen, die der eigenen, verdeckten Strategie entgegenkommen.

In der Phase der politischen Entscheidungsfindung auf Magistrats-Ebene können die Initiatoren

die politische Funktion des Quelldokuments dann soweit umschalten, dass es bspw. nun als de-

mokratisch legitimierter Nachweis dient, ein amtliches „Integrations-Konzept“ öffentlich diskutiert

zu haben und eine Mehrheitsmeinung der beteiligten Bevölkerung gesammelt zu haben.

Die operativen Möglichkeiten, u.a. je nach Notwendigkeit der politischen Situation sind z.B.:

- dem Dokument in der Öffentlichkeit verschiedene amtliche Bedeutungen zu-zuweisen,

- die öffentliche Diskussion thematisch und inhaltlich situationsbedingt zensie-ren zu können,

- im Nachhinein öffentliche Meinungsäußerungen thematisch neu zu verortenund somit öffentliche Legitimation zu manipulieren,

- auf politischer Entscheidungs-Ebene die Charakteristik amtlicher Verlautba-

rungen im Nachhinein zu verändern,

bildet einen Raum an vielfältigen operativen (gefettet) Handlungsoptionen, die aus strategischer

Sicht als optimal einzustufen sind – jedoch notwendigerweise totalitären Machtanspruch und

Durchsetzungswillen kennzeichnen.

Strategische Ergebnis-Szenarien:

Nachfolgend sind zwei mögliche Ergebnis-Szenarien der bisherigen strategische Analyse aufge-

führt. Die drei jeweiligen Phasen bilden als Ganzes die horizontale Zeitachse, die das geplanten

Zeitfenster von der Veröffentlichung der Eskandari-Papiere bis zum Ende, der Verabschiedung

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neuen Gesetzte im Frankfurter Magistrat darstellt. Nachfolgendes Beispiel zeigt eine idealisierte

Vorstellung der drei aufeinander aufbauenden Phasen:

Phase 1 Phase 2 Phase 3

Szenario #X „Ideal-Ausgewogen“

Phase 1 stellt die Inhalte und Aussagen der „Eskandari-Papier“inklusive aller

Medienwirkungen vor der Veröffentlichung dar.

Phase 2 bildet der öffentliche Diskurs inkl. aller Kommunikations- Maßnahmen

und

Phase 3 bezeichnet die anschließenden politischen Prozesse auf der Magis-

trats-Ebene.

Alle drei Phasen stehen in strenger Wechselwirkung, da sie funktional aufeinander aufbauen wie

folgt:

1. Die Wirkungen von Phase 1 bestimmen, wie stark die Prozesse in Phase 2

notwendig sein müssen..

2. Die Stärke der notwendigen Wirkung von Phase 2 ist abhängig von der Wir-

kung von Phase 1.

3. Der Prozess in Phase 3 baut auf den Wirkungen von Phase 1 und 2 auf und

wird hierdurch substantiell bestimmt.

„Wirkung“, „Stärke“, „Prozess“ und „Phasen“ sind abstrahierende Termini, die den Blick auf we-

sentliche qualitative und quantitative Gewichtungen im Gesamtprozess erlauben.

Die Wirkung von Phase 1 ist maßgeblich von der amtlichen Charakteristik der Eskandari-Papie-

re sowie der allgemeinen Verständlichkeit/Reichweite der Inhalte abhängig.

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Szenario #A:

Phase 1 Phase 2 Phase 3

Szenario #A „amtlich-transparent“

Ist die amtliche Charakteristik hoch (z.B. wie in Zeile 2 auf Seite 9 von Tabelle 1 dargestellt), führt

dies zu einer starken Wirkung auf Phase 2; verständlicher Weise, denn deutliche Aussagen und

eine deutliche amtliche Charakteristik (ein amtliches Konzept) befördern den öffentlichen Diskurs

in Phase 2 und verkürzen diese Phase und deren Wirkung sehr stark.

Diese ausgeführte Gewichtung ist in dem Prozessbalken durch die horizontale Breite der Phasen

dargestellt: je breiter der Balken, umso stärker wird die Wirkung eingeschätzt, die ja auch in Bezie-

hung steht zur Wirkungsdauer auf der Zeitebene.

Da im Szenario #A die Phase 1 eine starke Wirkung entfaltet, d.h. die „Amtlichkeit“ sowie die „Ein-

deutigkeit/Reichweite“ der Konzepte sind beide stark, können der Prozess des Diskurses in Phase

2 kurz und knapp verlaufen, da auf der Basis maximaler Nachprüfbarkeit von dokumentieren Aus-

sagen und der amtlichen Charakteristik ein kritischer Dialog relativ zügig und nachprüfbar vollzo-

gen werden kann. Daraus resultiert eine Qualität des Szenarios 2 vom hoher offizieller und öf-fentlicher Transparenz, daher: „amtlich-transparent“.

Szenario #B

Phase 1 Phase 2 Phase 3

Szenario #B „informell-maximal-intransparent“

Kontrastierend sieht es im Szenario #B aus. Dort ist die amtliche Charakteristik von Phase 1

niedrig (z.B. wie in Zeile 1 oder 4 in der Tabelle 1 auf Seite 9 dargestellt, da lediglich von Plänen

die Rede ist für einen Entwurf, der dann zu einem Konzept führen soll/kann) sowie die angenom-

mene thematische Eindeutigkeit/Reichweite ebenfalls wenig gegeben.

Das bedeutet, die Wirkung von Phase 1 in Szenario #B ist niedrig, so dass notwendigerweise in

Phase 2 des Szenarios #B eine entsprechend viel größere Wirkung entfaltet werden muss. Das

bedeutet, die fehlende amtliche Güte und die fehlende Eindeutigkeit/Reichweite in der themati-

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schen und inhaltlichen Zielsetzung muss nun in Form eines öffentlichen Dialogs bewirkt, als Er-

gebnis nachträglich erzeugt werden.

Aufgrund dieser extrem starken notwendigen Wirkung ist der Balken der Phase 2 sehr breit darge-

stellt – er verdrängt Phase 1 und auch, wie erläutert werden wird, Phase 3 (!).

Aufgrund der aufgeführten Defizite und hierdurch geschuldeten minderen Wirkungsqualität von

Phase 1 in Szenario #B wird dem Gesamtprozess (Phasen 1-3) eine sehr niedrige Qualität zuteil in

Bezug auf öffentlicher Transparenz und formeller Verbindlichkeit. Denn jene Wirkungen, die in

Phase 3 überführt werden, werden weitgehend für die Öffentlichkeit und für jene Teile des Magis-

trats im Verborgenen bleiben, die an dieser strategische Planung nicht beteiligt waren/sind.

Dieses zweite Szenario ist daher informell und maximal intransparent.

Ein weiterer Effekt, der weiter oben schon angedeutet wurde, ergibt sich aus den Interdependen-

zen von Phase 1 zu Phase 3. Wenn Phase 1 in der Wirkung schwach ist, muss daraus auch eine

Schwäche von Phase 3 gefolgert werden. Denn die Grundlage der politischen Arbeit im Magistrat

ist in Szenario 2 stark unverbindlich informell und wenig bis nicht dokumentiert, bzw. nicht objektiv

dokumentiert. Auf einer solchen schwachen Basis kann eine öffentlich transparente politische Ar-

beit nicht erzielt werden.

Ergebnis-Analyse Strategie: Eine Aussage, welche strategische Planung mit hoher Wahr-

scheinlichkeit dem Gesamtprozess zu Grunde liegt, ist (auf der Basis der theoretischen Modellie-

rung von zwei möglichen strategischen Szenarien in Beziehung zu den detaillierten Untersu-

chungsergebnissen) eindeutig möglich. Die überwältigende Menge an Untersuchungsergebnissen

lässt als Schlussfolgerung das zweite Szenario #B mit maximaler öffentlicher Intransparenz und

mangelhafter formeller Güte als wahrscheinlich erscheinen.

Diskussion der Ergebnisse Strategie

Bei der Beurteilung der erzielten Ergebnisse ist die Frage, ob es sich grundsätzlich um ein geplan-

tes Vorgehen oder aber nur um ein bspw. zufälliges Ergebnis handelt, von der Wirkungs-Analyse

her als nachrangig zu betrachten; jene Antwort auf die Frage nach dem Kausal-Nexus obliegt dem

politischen und öffentlichen System selbst.

Stellt man jedoch alle strategischen Vorüberlegungen sowie die fachlichen Analysen in den Zu-

sammenhang einer Plausibilitäts-Prüfung, zeichnet sich eine Gesamtperspektive ab, die o.g. Er-

gebnisse nicht als eine Zufallsereignis erscheinen lassen.

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Vielmehr zeigen die Untersuchungsergebnisse der Fachebenen, wenn sie mit den möglichen Zie-

len und den daraus resultierenden operativen Implikationen der politischen Strategie-Ebene in Be-

ziehung gesetzt werden, dass jene Fachebenen dem übergeordneten Primat einer strategischen

Planung als sinnvoll untergeordnet und durch diese dominiert gedacht werden können.

Die strategisch schließende Klammer ist der gesamte Dialog-Prozess in drei Phasen als überge-

ordneter Plan, nicht Integration konzeptionell befördern, sondern ein neues Gesellschaftsmodell in-

stallieren zu wollen, kurz: die Politik für Integration hin zu einer Politik der Vielfalt zu transformie-

ren.

Jenes zweite Strategieszenario „Informell-maximal-intransparent“ bietet sich insbesondere unter

der Handlungsmaxime an, öffentlich nicht durchsetzungsfähige Planungen als maximal demokra-

tisch-legitimiert zu inszenieren und sie als medienwirksames Politik-Theater an allen demokrati-

schen Kontrollinstanzen vorbei kommunale Struktur und Gesetz werden zu lassen. Die öffentliche

Überbetonung und Agenda-Setting-Aktionen, ein leeres Konzept vier Monate lang ohne substanti-

elle Inhalte zu oberflächlich zu diskutieren, stellt in den Phasen 1 und 2 die maximale Wirkung her,

um für Phase 3 im Magistrat jedwede öffentliche Legitimation „simulieren“ zu können.

Die Notwendigkeit der politischen und wissenschaftlichen Akteure, im Verborgenen wirken zu wol-

len und zu müssen, ergibt sich zwangsläufig aus den gesellschaftspolitischen Implikationen, die

niemals auf eine Basis der Zustimmung stoßen würden, wenn sie offen und klar ausgesprochen

werden würden (siehe hierzu den Abschnitt „XI“, Seite 93 ff.).

Weiteres Vorgehen

Bevor die schließende Klammer eine strategischen Gesamtbeurteilung die Grundlage für die ab-

schließende Expertise liefern kann, wird im nächsten Abschnitt eine kurze Gesamtschau der bishe-

rigen Ergebnisse der unterschiedlichen Analysen dargelegt sowie eine erste fachliche Zusammen-

fassung geleistet.

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X. Zusammenfassung

1. Struktur, Ziele und Reichweite: völliges Scheitern

Die Eskandari-Papiere sind unter anderem hinsichtlich Verbreitung, Umfang, Sprache, Sprachni-

veau mangelhaft zur Anregung einer offenen und öffentlichen Diskussion und somit nur für eine

kleine Zielgruppe inhaltlich erreichbar. Die Reichweite dürfte sich in einer quantitativen Größen-

ordnung von unter 5% der Frankfurter Stadtbevölkerung bewegen. Eine demokratische Dialog-

Grundlage ist nicht zu erreichen und somit der zu realisierende öffentliche Diskurs de facto unmög-

lich.

2. Wissenschaftlichkeit, Anspruch und Realität: reine Propaganda

Das Arbeitspapier ist nicht von „unabhängigen Wissenschaftlern verfasst worden; die beworbene

„Forschergruppe“ existiert nicht, die vorliegende 238 Seiten starke Arbeit erfüllt kein einzigesKriterium einer wissenschaftlichen Arbeit. Das vorliegende Dokument stellt in dieser Hinsicht einen

expliziten Ettikettenschwindel dar, und dies bezüglich der Methode und der Inhalte. Dabei arbei-

ten die Autoren systematisch mit den wirklichkeitsdeformierenden Mitteln ideologischer Propagan-

da, indem willkürliche Ausschnitte der Realität unzulässig verallgemeinert, offensichtliche Gegen-

beweise verschwiegen und Individual- oder Kollektivmerkmale in unzulässiger Weise einer Ge-

samtheit oder einer Untergruppe zugewiesen werden. Diese Methodik, induktive oder deduktive

Schlüsse von der empirischen Datenbasis zu entkoppeln, einerseits, oder rein formal vordergründi-

ge Annahmen in Forschungsprämissen und -Thesen tautologisch zu „verstecken“, so dass auf die-

se Weise ebenfalls die gewünschte oder ideologisch zu erzeugende Wirklichkeit als „Beweis“ im

„Forschungsprogramm“ beobachtet werden kann, zieht sich durch alle Niveau-Ebenen der vorlie-

genden Dokuments.

Das vorliegende Dokument ist ein Propaganda-Instrument für die Installation einer neuen sozio-

logischen Ideologie, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein keiner Weise objektiv entspricht.

Gemäß dieser „Theorie“ soll nur noch mit jenen Worten und Begriffen gedacht und analysiert wer-

den dürfen, die eine klare Formulierung und Analyse der Probleme nicht mehr zulassen. Der Be-

griff „Vielfalt“ ist dabei der wirkungsvolle Spaltpilz jeglicher Vernunft, indem er sprachlich und (ver-

steckt) logisch den auf theoretische Integration abzielen müssenden Erkenntnisprozess ent-zweit und somit vergiftet.

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3. Ist-Analyse, Statistiken, Demographie: fehlt gänzlich.

Das Arbeitspapier entbehrt völlig einer Analyse des aktuellen Ist-Zustands jener Bereiche, die die

Integration als Aufgabe grundsätzlich dringlich erscheinen lassen: „Soziale Kosten“ und „SozialeSicherheit.“ Diese Ignoranz der statistischen Realität kann nur als eine bewußte Weigerung ver-

standen werden, jene Probleme, die Integration als Aufgabe anmahnen, zur Kenntnis nehmen zu

wollen. Dabei wird nicht nur eine differenzierte quantitative Bestandsaufnahme sondern auch eine

qualitative sozio-demographische Analyse bezüglich der (nicht im Arbeitspapier !) vorliegenden

Statistiken vollkommen ausgespart. Selbst die einfachste Differenzierung zwischen EU-Bürgern

und Nicht-EU-Bürgern hinsichtlich der Frage, ob Integrationsaufgaben zu leisten sind und die ent-

sprechende Untersuchung von Unterschieden zwischen beiden Populationen wurde nicht einmal

ansatzweise geleistet. Dass hierdurch jene Migranten, die sich problemlos und erfolgreich inte-

griert haben und etwa dem EU-Staatsbürger-Kreis zuzuordnen sind, mit Gruppen von Integrations-

verweigernden oder Integratiosunfähigen außerhalb des EU-Kreises gleichgesetzt und somit stig-

matisiert werden, scheint die Integrationsdezernentin nicht zu kümmern.

4. Vielfalts-Paradigma und Dynamik: Ergebnis ist Bewegungsstillstand

Das Arbeitspapier missbraucht in weitreichender Weise den Begriff der „Vielfalt“ als einen ideolo-

gischen „Kampf-,“ und Marketingbegriff. Wie die verschiedenen Analysen gezeigt haben, ist der

Begriff der Vielfalt jedoch nicht dazu geeignet, im Sinne von Integration einen qualitativen Zuge-winn zu generieren. Vielmehr ist zu attestieren, dass „Vielfalt“ als ideologische Struktur-Funktionzu einem expliziten Stillstand und zu einer Zurückentwicklung der Stadtgesellschaft führen

würde, da diese paradigmatisch negativ konservierend den kulturellen Prozesscharakter verschlie-

ßen würde und grundlegend jedem Erkenntnisgewinn entgegensteht. Interessanter Weise ist es

der theoretische Vordenker selbst, Vertovec, der – wenn auch kontextuell versteckt und nur an ei-

ner einzigen Stelle der Eskandari-Papiere – den propagierten qualitativen Zuwachs lediglich als

ein Desiderat formuliert.

5. Multikulturalismus minus Kultur: leere Vielfalt

Das Arbeitspapier ist in seinem inhaltlichen Umfang und seiner Zielsetzung ein auf breiter Basis

dokumentierter Versuch, die ideologische Theorie von Prof. Dr. Vertovec des kosmopolitischen

Transnationalismus (und der Super Diversity in der Folge der Annahmen des Kosmopolitismus) als

einen Ersatz für den in Verruf geratenen Multikulturalismus-Begriff zu installieren.

Super-Vielfalt negiert den Kulturbegriff essentiell. Der Begriff der Super-Vielfalt ist dabei der um

die Dimension der Kultur entkernte Begriff der Multi-Kultur. Die Nation als Ort von Kulturierung

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verschwindet im globalen Kontext, denn ein Ort, der überall Ort ist, existiert nicht mehr: Mit den na-

tionalen Grenzen veschwinden die kulturellen Grenz-Setzungen. Durch diese explizite theoriege-

leitete Negation von Kultur innerhalb nationaler Grenzen im herkömmlichen Sinne ist eine Integra-

tion nicht mehr notwendig. Dabei werden sowohl das schwerwiegende Versagen des multikultura-

len Konzepts, etwa die Parallelgesellschaften als Folge, wort- und theorienreich in Abrede ge-

stellt als auch ein Milieu-Konzept ad hoc eingeführt, dass die integrationsbehindernde Migrations-

industrie weiterhin über die vermeintliche Notwendigkeit einer „neuen Vernetzung“ am Leben er-

halten möchte. Eine deutsche Kultur und Nation wird konzeptionell verneint, zugleich die explizit

nutzerorientierte Mehrfachstaatlichkeit von Migranten schon als „Beweis“ für die Auflösung des

Konzeptes der Nationalstaatlichkeit an sich angeführt.

6. Die politische Transformation von Integration ins Gegenteil: „Diversität“

Die Analyse des Arbeitspapiers hat deutlich gezeigt, dass die politische und programmatische Ziel-

setzung der Dezernentin für Integration eine qualitative Veränderung, eine Transformation vollzo-

gen hat, nach der „Integration“ durch das kosmopolitische Konzept des Transnationalismus ersetzt

werden soll. Die Dezernentin für Integration verwendet chronisch die neuen Wortbausteine der

„neuen Wirklichkeit“ und beteiligt sich aktiv an dem Versuch, eine ideologisch erwünschte neue

Wirklichkeit begrifflich und theoretisch herbeizureden; die traditionelle Deutsche und Frankfurter

Kultur soll somit mithilfe der Methoden der Massenkommunikation "sturmreif geschossen" wer-

den. Eine Akkulturation findet nur noch in die sozialen Netze und juristischen Netzwerke statt.

7. Konzentrierte Kulturvernichtung: Vertovec, Römhild et. al.

Die Verfasser und Vordenker des Arbeitspapier lassen sich ausnahmslos einer ideologischen

Denkrichtung zuweisen, die mit objektiven wissenschaftlichen Standards nichts zu tun haben. Ver-

tovec, Beck, Römhild, Schiffhauer und jene anderen aus dem Kreise des Goethe-Institut Genann-

ten lassen nur den Schluss zu, dass es scheinbar kein Widerspruch ist, in Deutschland als „Akade-

miker“ finanziell im großen Stile zu partizipieren, und gleichzeitig die eigene Kultur und die eigene

Nationszugehörigkeit explizit zu negieren sowie mit ihrer täglichen Arbeit herabzuwürdigen und zu

bekämpfen.

8. Begriffe, Denken, „Wirklichkeit“: Gedanken-Entzweiung

In bemerkenswerter Vorgehensweise haben die Autoren und Initiatoren des Arbeitspapier sowie in-

teressierte Multiplikatoren die neuen Begriffe, Denkfiguren und Thesen der ideologischen Vorden-

ker übernommen, um die Wirklichkeit an die gewünschte Theorie anzupassen. „Für die Be-

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schreibung dieser Wirklichkeit fehlt uns noch das geeignete, treffende Vokabular“, führt die

Dezernentin für Integration auf Seite 10 aus und beschreibt damit sehr treffend, dass alle Frank-

furter ihren gesunden Menschenverstand vergessen und stattdessen begierig den neuen "Gedan-ken-Entzweiungs-Zentrale" auf den nächsten 240 Seiten lauschen sollen, wie denn gefälligst die

Begriffe lauten, damit die neue Wirklichkeit nach Vorschrift korrekt gedacht werden kann. Diese

hochgradig vordergründigen Versuche, die Realität zu manipulieren, zeigen den Geist dieser

"Wissenschaft": Die Realität muß zuförderst mit neuen Begriffen und Denkvorschriften soweit de-

formiert werden, damit die Wissenschaftler ihre Theorien mit der eigenen Theorie „beweisen“ kön-

nen. Hierbei ist die neue Verwendung des Begriffes der Vielfalt für Realitäts-Konstrukteure ein

ideales Tool. Obwohl ein absolut inhaltsloser Begriff, vermag es „Vielfalt“ dennoch, in den richtigen

Kontext gesetzt, emotionale Nähe und moralische Zustimmung zu erzeugen. Vielfalt vervielfältigt

seine Gegenstände, indem die Relationen relativiert werden, Beziehungen in Beziehung gesetzt

werden. Und so transformiert jede denkbare Qualität, jedes Definitive, jede Begründung und jeder

Standpunkt, jede Eindeutigkeit und somit jede Antwort und jede Frage, jedes Problem und jede

Lösung zu einer relativen Leere: Gedanken-Entzweiung.

Zusammenfassendes Fazit auf der Fachebene

Die acht verschiedenen Analysen der Eskandari-Papiere haben ein eindeutiges Bild ergeben: dieNotwendigkeit der Aufgabe von Integration wird von den Autoren des Arbeitspapiers in Abredegestellt. Anstatt auch nur ansatzweise eine analytische Annäherung an die Aufgabe der Integration

zu leisten, dient das umfangreiche Dokument als Propaganda-Instrument für die Ideologie von

Kosmopolitismus und Transnationalismus. Im eindeutigen Gegensatz zum Begriff der „Integration“,

der das eigentliche Ziel sein sollte, dokumentieren die Eskandari-Papiere den nachweislichen Ver-

such, theoretisch und begrifflich das riskante Gesellschaftsmodell des transnationalen Kosmopoli-

tismus salonfähig zu machen; ein Modell, nach dem Integration nicht mehr notwendig sei und

einen Widerspruch zur „neuen“ Ideologie darstellen würde9. Vielmehr soll ideologisch die deutsche

Leitkultur und die deutsche nationale Identität definitorisch, begrifflich und historisch vernichtet

werden, während nach der neuen Vielfalts-Ideologie das Individuum zu einer nationalen Schizo-

phrenie genötigt wird, sogenannte multiple, mehrortige kulturelle Identitäten in dem globalisierten

Dorf Frankfurt einzunehmen. An die Stelle der notwendigen und zielführenden Akkulturation und

Assimilation von Eingewanderten und der kulturellen Erziehung der deutschen Nation soll das

Konzept der vielfältigen Milieus treten, die von den neuen Imperatoren der Soziologie beliebig defi-

niert, vernetzt und bemächtigt werden können.

9 Auf interessante Weise sprach die als „Fachwissenschaftlerin“ und „Autorin der Expertise“ derEskandari-Papiere geladene Frau Römhild am 3. Februar 2010 im Deutschlandfunk sinngemäß davon,ob es denn nicht besser sei, zu sagen: 'Sind wir nicht alle Migranten? Da macht doch der Migrations-Begriff in Deutschland keinen Sinn mehr.'

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XI. Expertise Fazit

Vorliegende Untersuchung hatte das amtliche Dokument: „Arbeitspapier des Dezernats für

Integration des Magistrats Frankfurt am Main“ mit dem Titel „Entwurf eines Integrations-

und Diversitäts-konzepts für die Stadt Frankfurt am Main“ zum Gegenstand. Dabei wurden

sowohl die inhaltlich aufgeführten Zielsetzungen des o.g. Arbeitspapiers als auch jene der

begleitenden öffentlichen Kommunikation selbst als qualitativer Maßstab der Untersuchung

definiert. Daher mussten drei wesentliche Eigenschaften des Untersuchungsgegenstand

notwendig analytische Berücksichtigung finden, nämlich als:

(1) amtliches Dokument,

(2) als politische Willenserklärung und

(3) als Teil eines (zumindest) dreistufigen Planung

in einem in mehrfacher Hinsicht übergeordneten , Eigenschafts-, Sinn- und Wirkungs-

Kontext zu stehen.

Aus dieser komplexen Situation heraus mussten drei verschiedene entsprechende Unter-

suchungsebenen notwendigerweise aufgespannt werden:

1. Qualitäts-Ebene,

2. Interpretations-Ebene,

3. Strategie-Ebene.

Jener ungewöhnlich weit zu fassender Fokus eines Untersuchungsgegenstandes war der

Tatsache geschuldet, dass das Arbeitspapier als amtliche Verlautbarung und politische Wil-

lenserklärung nach dem ersten Augenschein 18 verschiedenen amtlichen Kennzeichnun-

gen aufwies und in einem Umfang von 240-Seiten keine einzige Definition für Integration

beinhaltet.

Dieser formellen, inhaltlichen und zielgerichteten Mehrdeutigkeit, Intransparenz und Irre-

führung musste notwendigerweise in Breite und Tiefe der Untersuchung verantwortungsvoll

Rechnung getragen werden. Auf diesem Wege wurden systematisch fachliche Expertisen

durchgeführt, die Punkt für Punkt jene fachlichen und begrifflichen Qualitäten der Eskanda-

ri-Papiere auf dem Prüfstand objektiver Betrachung mit den öffentlich kommunizierte Zielen

verglichen und das Ergebniss gewichteten.

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In dem Maße, wie die Ergebnisse der einzelnen fachlichen Analysen Schritt für Schritt das

Scheitern der formulieren Ansprüche eindeutig offenlegten, entstand die Frage nach der

Plausibilität, nämlich der Frage nach dem ursächlichen Sinn, sich einer eindeutigen Aufga-

be in vollem Umfang zu verweigern und stattdessen ein völlig anderes Thema in den Mittel-

punkt der Betrachtung zu rücken.

Diese ergänzende Plausibilitäts-Prüfung konnte mit den bewährten Mitteln eine Strategie-

Analyse in Angriff genommen werden.

Jene Untersuchungs-Ebene lag nahe, da politische Willenserklärungen wie das untersuch-

te Eskandari-Papier naturgemäß einer strategischen Planung unterliegen, ohne diese offen

zu legen. Die Mittel einer rekonstruierenden Strategie-Analyse zielen auf das Erkennen der

Strategie-Planung, indem die eingesetzten operativen Mittel in verschiedene Kontexte,

Strategie-Szenarien gestellt werden.

Die Mittel und Wege waren im vorliegenden Fall einfach zu erkennen, zumal mit den Verto-

vec-Papieren ein strategischer Plan vorlag, dessen operativen Mittel mit den analysierten

Ergebnissen der Fachanalysen der Eskandar-Papiere deckungsgleich übereinstimmten.

Und so zeichnet sich ein grundlegende Strategie ab, die Frankfurter Stadtbevölkerung mit

allen Mitteln der strategischen und wissenschaftlichen Kunst zu täuschen und zu hinterge-

hen. Jene Gesamt-Strategie wir nachfolgend kurz resümiert:

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Strategie-Plan (Kurzfassung):

1) Problem 1 ist der gescheiterte Mulitkulturalismus und das Bestehen von Parallelgesell-

schaften. Denn gäbe es diese nicht, wäre ein Integrationsplan nicht notwendig.

2) Lösung 1: Bestimmte politische Kreise und Wissenschaftler entwickeln einen Plan,

durch den die Parallelgesellschaften (auf dem Papier) nicht mehr existieren.

Mittel: neue Theorie des Transnationalismus.

Folgen: - die „Vernichtung“ Deutschlands,

- die „Vernichtung“ der Deutschen Kultur,

- ein „Paradigmen-Wechsel“: die Anmaßung, dass sich die Deutschen ohne

Migrationshintergund in die „neue Mehrheitsgesellschaft mit Migrations-Hin-

tergrund“ zu integrieren und anzupassen haben, gesetzlich fixiert!

3) Problem 2: Teile von Politik und Wissenschaft befinden in der Planung, das

der Plan zwar gut ist, aber niemals von der Deutschen „noch-Mehrheit“ ak-

zeptiert werden wird.

4) Lösung 2: Strategie wird entwickelt, ein Plan:

Mittel 1: Ideologie „Super-Vielfalt“ baut neue gedankliche Bilder und Begriffe.

Mittel 2: Mit Mittel 1 kann Gedanken- und Bewußtseinskontrolle betrieben

werden.

Weg: Mit den Mitteln neuer gedanklicher Bilder und neuer Begriffe wird die

Lösung 1 mit allen „Nebenwirkungen“ verborgen und an den Menschen vor-beigeschmuggelt. Die Eskandari-Papiere sind Teil dieses Plans in Phase 1

und als Grundlage für Phase 2 und 3.

5) Ergebnis: Die Eskandari-Papiere als Teil eines dreistufigen Masterplans.

6) Der erste Augenschein der Eskandari-Papiere zeigt 18 verschiedene amtliche Kenn-

zeichnungen/Zielsetzungen und keine Definitionen für Integration auf 240 Seiten.

Eindruck des ersten Augenscheins: Verdacht auf gezielte Desinformation und Vertu-

schung.

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Strategie-Plan (Langfassung)

Das Ergebnis der im vorherigen Abschnitt skizzierten strategischen Rekonstruktion lässt

sich mit den fachlichen Implikationen erläutern und ergibt ein überzeugendes Gesamtbild.

Das politische System stand und steht mit der Lösung des eigentlichen Hauptproblems

mangelhafter Integration, der Existenz und dem Wachsen von Parallelgesellschaften

mit den Rücken an der Wand. Die Konzepte des Multikulturalismus waren und sind ge-

scheitert. Mit dem Scheitern des Multikulturalismus stehen auch sehr viele finanzträch-

tige Positionen in der wissenschaftlichen und operativen Migrations-Industrie zur Dis-

position.

Situation: Zwei öffentliche Akteure (aus Politik und aus Wissenschaft) mit zwei schwe-

ren Problemen standen somit am Anfang, Hand in Hand mit einem veralteten und un-

tauglichen gesellschaftspolitischen Ideologie-Lösungs-Modell der Multikulturalität.

Das neue Ziel war, eine politische Handlungsanweisung zu entwickeln, dass in der

Lage ist, das o.g. Problem zu lösen.

Der flexible wissenschaftliche Apparat schuf eine Lösung für die Politik; eine attraktive

Lösung: sie versprach mit wenig Aufwand maximale Wirkung. Grundlage der neuen

Lösung war eine neue Theorie, wie die Gesellschaft anders zu denken sei. Bei diesem

neuen Denken über die Realität verschwinden die Parallelgesellschaften wie von Zau-

berhand. Denn auf der Grundlage der neuen Ideologie sind bestimmte Begriffe in der

Analyse der Probleme nicht mehr erwünscht und akademisch verboten. Es darf nur

noch mit den neuen Wörtern gedacht werden. Und diese neuen Wörter lassen die

Analyse des alten Problems als Ergebnis nicht mehr zu.

Die 1. Lösung für das 1. Problem war somit gefunden und die Welt für die beiden Ak-

teure völlig in Ordnung.

Leider gab es bei der Lösung des 1. Problems eine Menge Nebenwirkungen. So sollen

zum Beispiel die deutschen Bürger in FFM akzeptieren, dass sie keine Deutschen

mehr sind. Auch sollen die Deutschen in Frankfurt akzeptieren, dass es keine Deut-

sche Kultur mehr gibt. Uns so sollen die Deutschen in FFM akzeptieren, dass es keine

deutschen Grenzen mehr geben soll, dass es nur noch die große weite Welt gibt und

alle Menschen sind nur noch eins: Weltenbürger ohne Grenzen mit dem Recht, über-

allhin zu reisen und sich überall nach ihrer Wahl niederzulassen und zu leben.

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Fairer Weise muss man den Akteuren aus Wissenschaft und Politik zugestehen, dass

sie zumindest in einem Punkt Realisten waren: dieser Plan konnte niemals demokra-

tisch legitimiert werden. Es ergab sich somit ein zweites Problem, das der zu erwarten-

den Ablehnung.

Doch die Wissenschaft konnte auch in diesem Fall helfen: Es wurde eine Strategie

ausgedacht, wie man den Menschen die bittere Pille schmackhaft machen kann. Die 2.

Lösung bestand darin, die Nebenwirkungen im Kleingedruckten zu verbergen und da-

für den Werbeaufdruck besonders bunt, vielfältig und in einfachen großen Worten im-

mer und immer wieder zu wiederholen, zu propagieren, und somit ideologische Propa-

ganda zu betreiben.

Die bunten Zauberworte heißen „Vielfalt“, „Super-Vielfalt“, „Schmelz-Tiegel“, „bunte Mi-

schung“, „vielfältige Ressourcen“, „internationale Vielfalt“, „vielfältige Chancen“, „neue

Blickwinkel“, „das Neue mutig Denken“, „Differenzen als Chance erkennen“, „Differen-

zen zulassen“, „Milieus“, „Vernetzung von Milieus“, „Kreuzungspunkte“ und so weiter

und so fort und so weiter und so fort ...

Die prächtige Umverpackung für diese Sammlung bunter Wort-Bausteine ist der Ge-

genstand dieser Expertise. Der Beipack-Zettel mit dem Kleingedruckten über die Ne-

benwirkungen fehlt leider gänzlich in der Packung.

Der Zug, auf dem diese ideologischen Mogelpackungen von Frankfurt durch ganz

Deutschland transportiert werden soll, ist der analysierte Strategie-Plan mit drei Pha-

sen. Ganz groß steht „Dialog“ darauf, doch wenn man die Türen öffnet, in die Abteile

schaut, die Schränke öffnet und alle Abteile durchsucht,: blickt man in das Antlitz geisti-

ger Leere. Es ist ein gespenstisch leerer Geisterzug der durch Deutschland rollen soll.

Die schwache Pointe am Schluss mag niemanden trösten: Obwohl die Eskandari-Pa-

piere in keiner Weise die Integration von Ausländern fördern, ist es doch in einer ge-

wissen Weise ein Integrations-Konzept:

Denn es zeigt als politischer Handlungsplan, wie sich die „alte Gesell-schaft“ in die „neue Gesellschaft“ zu integrieren hat. Der Deutsche ohneMigrationshintergund ist das neue Problem, das es zu entsorgen gilt.

Dass bei diesem Versuch der Eindruck von demokratischer Teilhabe, objektiver Wissen-

schaftlichkeit und ethischer Redlichkeit auf breiter öffentlicher Basis kommuniziert wurde,

jedoch schon bei der Darstellung, Information und Einführung des Dokuments in den öf-

fentlichen Raum die darin befindlichen falschen Vokabeln und Begriffe benutzt wurden, um

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die Sicht auf die Wirklichkeit der Menschen politisch motiviert zu verfälschen, ist in einem

großen Maße ein in der Praxis undemokratisches und wissenschaftlich unredliches Un-

terfangen.

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XII. Quellen / Zitate

Quellen

(1) Vertovec, Steven, “Conceiving and Researching Diversity”, MMG Working Paper, 09-01

(2) Vertovec, Steven/ Susanne Wessendorf, “Assessing the backlash against multiculturalism inEurope”, MMG Working Paper 09-04

(3) Vertovec, Steven, “Cosmopolitanism in attitude, practice and competence”, MMG Working Pa-per, 09-08, letzter Zugriff, 09.12.2009

(4) Quelle: http://www.mmg.mpg.de/Forschung/index.html#frankfurt),

(5) „Ethnie ist nur eine unter vielen möglichen Variablen“ – Steven Vertovec erklärt das Konzept der„Super-Diversity", von Evi Chantzi, letzter Zugriff: Mittwoch, 17. Juni 2009

(6) Beck, U. (2000) ‘Cosmopolitan manifesto: the cosmopolitan society and its enemies,’ paperpresented at Theory, Culture and Society Conference, Helsinki

(7) Vertovec, Steven “Transnational Challenges to the ‘New’ Multiculturalism”, University of Oxford,WPTC-01-06

(8) „Arbeitspapier des Dezernats für Integration Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, 'Entwurf ei-nes Integrations- und Diversitätskonzepts für die Stadt Frankfurt am Main', September 2009

(9) Nagel, Helga, „Handlungsfeld: Integration und Migration“, Amt für Multikulturelle Angelegen-heiten, PDF-Dokument: „FBF_09_nagel“, vom 29. April 2008

(10) Runnymede Trust/Commission on the Future of Multi-Ethnic Britain (2000) „The Future of Multi-Ethnic Britain“ [The Parekh Report], London: Profile Books

(11) Kunz, Naomi, „Multiple Identitätskonstruktionen türkisch-jüdischer Immigranten in Israel“, Ar-beitsblatt Nr. 49, Institut für Sozialanthropologie, Universität Bern, Bern 2009

(12) Cohen, Robin, 1997, „Global Diasporas. An Introduction“, Seattle, University of WashingtonPress.

(13) Cohen, Robin und Vertovec, Steven (eds.): „Migration, Diaspora and Transnationalism.“, Ed-ward Elgar Publishing. ix-xiii.

(14) http://www.mmg.mpg.de/cgi-bin/institute/geschichte/, „Interview des Monats“

15) Römhild, Regina, (2005), „Global Heimat Germany. Migration and the Transnationalization of

the Nation-State“, TRANSIT, 1(1), .Onlinequelle: http://escholarship.org/uc/item/57z2470p

16) Römhild, Regina, (2007), "Fremdzuschreibung - Selbstpositionierungen. Die Praxis der

Ethnisierung im Alltag der Einwanderungsgesellschaft" in: „Ethnizität und Migration – Einführung in

Wissenschaft und Arbeitsfelder“, Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.)

17) Regina Römhild (2009), Interview am 7.10.2009 in der Frankfurter Rundschau,, „Das gibt

sicherlich Irritationen“

97

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18) Vertovec, Steven, MMG Working Paper, 09-01,“Conceiving and Researching Diversity”

19) Vertovec, Steven, MMG Working Paper 09-04, Steven Vertovec / Susanne Wessendorf,

“Assessing the backlash against multiculturalism in Europe”

20) Vertovec, Steven, MMG Working Paper, 09-08, Steven Vertovec, “Cosmopolitanism in attitude,

practice and competence”, letzter Zugriff, 09.12.2009

21) Vertovec, Steven, "Transnationalism", Routledge, 2009)

22) Schiffauer, Werner, “Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem deutsch-türkischen

Sexualkonflikt.”

23) 4) http://www.goethe.de/ges/pok/prj/nac/ref/sch/deindex.htm

24) 5) http://www.goethe.de/ges/pok/prj/nac/ref/hag/deindex.htm

25) 6) http://www.goethe.de/ges/pok/prj/nac/ref/kha/deindex.htm

26) 7) http://www.goethe.de/ges/pok/prj/nac/ref/bom/deindex.htm

27) Quelle: Deutschlandradio, 3. Februar 2010, 10:10 Uhr, „Kulturzeit“,

(31)

„Der gängige Multikulturalismus, dem habe die Vorstellung 'eines beschaulichen Nebeneinanders'

zugrunde gelegen, sagte die Wissenschaftlerin am Montagabend (...) Die Realität sei diesem

Denken inzwischen 'weit enteilt', befindet die Kulturanthropologin Römhild.“

(Frankfurter Rundschau, 6.10.2009, „Was Vielfalt sein soll“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(32)

„(...) die dem Konzept zugrunde liegende grundsätzliche Auffassung von Integration: Sie wird

verstanden als 'soziale Annäherung und Vernetzung' von Menschen der unterschiedlichen

Milieus in der Stadt – und nicht etwa als Eingliederung von Minderheiten in eine großeMehrheitsgesellschaft.“

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.10.2009, „Die Debatte kann beginnen“)

(33)

„Die Kulturanthropologin Regina Römhild (..) definiert Integration als `soziale Annäherung und

Vernetzung von Menschen unterschiedlicher Milieus´ in der Stadt. (...) Anders als bei der früheren

Auffassung einer multikulturellen Gesellschaft (...) müsse man heute (...) mehr Menschen über

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nationale und soziale Barrieren hinweg miteinander in Kontakt bringen, so die Wissenschaftlerin."

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.10.2009, „Frankfurt will verbindlichere Integrationspolitik“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(34)

„Die Stadtregierung will eine breite Diskussion über die Integration von Ausländern anstoßen. Dazu

stellte die Integrationsdezernentin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg am Donnerstag ein Konzept

vor. Sie betonte das Recht auf Selbstverwirklichung, das für jeden gelten müsse. KonkreteMaßnahmen für bessere Integration nannte sie nicht. Das müsse jetzt im öffentlichen Dialoggeschehen.“

(hr-text, hr online, 1.10.2009, „Dialog über Integrationspolitik“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(35)

Stadträtin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg hat heute in Frankfurt den Entwurf für ein neues

Integrationskonzept vorgestellt. Daraus geht hervor, (...) aufstiegsorientierte Türken hätten zum

Beispiel mit aufstiegsorientierten Deutschen mehr gemeinsam als etwa mit traditionsbewußten

Türken.“

(Rhein-Main.tv, 1.10.2009, „Neues Integrationskonzept für Frankfurt“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(36)

„Das ist das Multikulturalismus-Modell gewesen, das am Anfang wichtig war, um die

Nationalgesellschaft zu durchbrechen. (...) Damit allerdings hat sich das Bild von den

Minderheiten verfestigt. Die neben einer Mehrheit stehen. Von diesem Bild aber können wir nicht

mehr ausgehen.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(37)

FR: „Bislang ist von Jugendlichen mit Migrationshintergrund immer dann die Rede, wenn es um

Sicherheitsfragen geht. Probleme durch Gewalt entstehen. Wo finden Sie denn Ihr Problemfeld?“

Römhild: „Das Problem ist unsere Perspektive: wir sehen nicht, dass die deutsche Gesellschaft

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längst durch Minderheiten durchkreuzt ist. Aus der Vielfalt der Kulturen ergeben sich für

Frankfurt Potenziale.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(38)

FR: „Da kann man sich Kritiker vorstellen, die Ihnen entgegen halten, Sie hingen einer utopischen

Vorstellung menschlichen Zusammenlebens an. Es gibt Parallelgesellschaften.“

Römhild: „Dieser Sicht der Dinge muss ich wissenschaftlich begründet bestreiten. Wir haben

uns Frankfurt genau daraufhin angeschaut.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(39)

FR: „Sie bestreiten, dass es Parallelgesellschaften gibt?“

Römhild: „Es kommt auf die Sichtweise an. Wenn ich mir nach dem alten Modell ansehe, wo die

Menschen mit ausländischem Pass leben, finde ich die entsprechenden Migrantenviertel im

Bahnhofsviertel, im Gallus.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(40)

FR: „Der Main ist im Grunde die Linie der Migranten.“

Römhild: „Aber selbst in dieser Sicht wird übersehen, dass es sich um viele unterschiedliche

Migranten handelt. Das ist keine national geschlossene Gesellschaft (...) In der

Einwanderungsgesellschaft gibt es eine Menge Menschen, die an Bildung orientiert sind und

nach Aufstiegschancen suchen. Das Problem ist für diese Menschen viel eher, dass sie

aufgrund ihres Namens diskriminiert werden, ihnen Hürden im Weg stehen. Deswegenwenden sich junge Türken oft von Deutschland ab.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(41)

FR: „Der Abschied vom Multikulturalismus dürfte nicht ohne Ängste gelingen.“

Römhild: „Das wird sicherlich Irritationen erzeugen. Der Prozess läuft aber bereits, wir können dasnicht aufhalten. Was wir aber machen können: Wir können (...) viele Menschen in diese

Diskussion einbinden.“

(Regina Römhild Interview, Frankfurter Rundschau, 7.10.2009, „Das gibt sicherlich Irritationen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(42)

„Der Titel verweist auf die doppelte Aufgabe: 'Es ist beides zu tun, Integration fördern undlernen, mit Vielfalt umzugehen', so die Dezernentin.“

(Tagesdienst, 2.10.2009, „Im Dialog mit der Öffentlichkeit“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(43)

„Abschied von Multikulti. Integration fördern, aber Vielfalt anerkennen – nach dieser Formel will

Frankfurt Politik für Einwanderer machen.“

(Frankfurter Rundschau, 2.10.2009, „Abschied von Multikulti“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(44)

„Für die Studie holte sich Eskandari-Grünberg Hilfe bei Kulturanthropologen und

Sozialwissenschaftlern. Etwa bei Regina Römhild, in Frankfurt eine bekannteWissenschaftlerin (...) für die Studie arbeitet sie mit Steven Vertovec zusammen (...). Sehe man

sich die 'komplexe Diversität' genauer an, entdeckt man diese Vielfalt über die gesamte Stadtverteilt, also nicht 'nur in den klassischen Einwanderungsvierteln'. Ein Befund, der verbreiteten

Befürchtungen von Parallelgesellschaften widerspreche. (...) 'Die Gesellschaft der Einwandererist so vielfältig wie die Gesellschaft der Deutschen.' „

(Frankfurter Rundschau, 2.10.2009, „Andere Realitäten“)

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(45)

„'Integration fördern, aber mit der Diversität umgehen', fasst Eskandaris Referent Armin von

Ungern-Sternberg den Grundgedanken des Konzepts zusammen. Dabei solle es nicht darumgehen, neue integrationspolitische Projekte auszuprobieren. Daran mangele es in der Stadt

sicherlich nicht. 'Allein', setzt Eskandari-Grünberg hinzu, 'es gehe darum, das Spektrum desAngebots zu entfalten, um Vernetzungen möglich zu machen.' „

(Frankfurter Rundschau, 2.10.2009, „Andere Realitäten“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(46)

„Im Grunde also soll das vor zwei Jahrzehnten geschaffene Amt für MultikulturelleAngelegenheiten eine Schnittstelle sein, von der aus sich ein dichtes Netz spannen lässt. In

diesem Netz können künftig sämtliche Initiativen zusammenfinden, die sich mit Integration

befassen, um die ökonomischen und kulturellen Potenziale der Wirtschaftsmetropole und der

Einwanderungsstadt stärker als bisher zueinander in Beziehung zu bringen und für eine allseitige

Anerkennung und Förderung weltstädtischer Entwicklung zu nutzen.“

(Frankfurter Rundschau, 2.10.2009, „Vielfältige Bewegungen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(47)

„Wohlgemerkt, fügt die Politikerin hinzu: Es geht um eine neue Integrationspolitik (...) Deswegen

ließen sich Überlegungen über das Ausländerwahlrecht anstellen, diese seien aber nicht

Zielsetzungen der Expertise gewesen und blieben deshalb unkonkret.“

(Eskandari-Grünberg, Frankfurter Rundschau, 2.10.2009, „Vielfältige Bewegungen“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(48)

„Bislang sprachen die Einheimischen über die Fremden meist nur, wenn es um Sicherheitsfragen

und religiöse Differenzen ging. Da kamen jugendliche Schläger in der U-Bahn zur Sprache, dann

stritt man über den Bau neuer Moscheen. Das Bild der Einheimischen blieb bestimmt von der des

Deutschen unkundigen türkischen Mutter, die mit Kopftuch unterwegs ist. Nicht in den Blick gerieten

beispielsweise aufstrebende junge Menschen, die von Kopftüchern nichts wissen wollten,

sondern in der Nacht zum Samstag den nächtlichen Tanz in der Hanauer Landtstraße suchen. Mit

der Empfehlung für eine neue Blickrichtung hat sich Eskandari-Grünberg vorgewagt, in der

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Hoffnung, eine breite Diskussion loszutreten.“

(Matthias Arning, Frankfurter Rundschau, 2. 10.2009, „Kampf um Anerkennung“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(49)

„Das Papier wechselt den Blickwinkel. Statt die verschiedenen Zuwanderergruppen nach ihrer

Herkunft zu betrachten (Multikulturalismus) soll jetzt die sich aus der verschiedenen Herkunft

ergebende Supervielfalt im Mittelpunkt stehen. 'Supervielfalt ist keine Wertung, sondern meint eine

Vielfalt, die über das Normale hinausgeht', betonte Regina Römhild, die an dem rund 30.000 Euro

teuren Konzept mitgearbeitet hat. Bei der Untersuchung der Supervielfalt wird ein Blick auf die

Unterschiedlichkeiten der Einwanderer-Gruppen geworfen, mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten zusuchen. So gebe es Aufsteigermentalität unter den Zuwanderern genauso wie unter der

ansässigen Bevölkerung, erläuterte Römhild.“

(Frankfurter Neue Presse, 2.10.2009, „Abschied vom Multi-Kulti-Denken“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(50)

„Es geht um die an Defiziten orientierte Wahrnehmung und Stigmatisierung von Einwanderern.

Dass die Zugewanderten nicht einer Gruppe zugeordnet werden können, sondern sich inunterschiedlichen Milieus wiederfinden, die Sicht der Dinge soll die Grundlage künftigerIntegrationspolitik in Frankfurt am Main sein, wie die zuständige Stadträtin Nargess Eskandari-

Grünberg ankündigte.“

(Frankfurter Rundschau, 9.Oktober 2009, „Helden in Frankfurt“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(51)

FR: „Frau Eskandari Sie suchen nach neuen Begriffen, um die Wirklichkeit der multikulturellen

Gesellschaft zu beschreiben. Welche Begriffe könnten das sein?“

Eskandari: „Wir suchen nicht nach neuen Begriffen. Uns geht es um die Realität: Wir sind seit

Jahrzehnten eine Einwanderungsgesellschaft und reden darüber, dass sich Minderheiten einer

Mehrheit anpassen müssen, als gäbe es diese 'eine homogene Gesellschaft'. Doch wir sind

eine plurale Gesellschaft mit unterschiedlichen Kulturen, Subkulturen, Milieus,

Generationen ... Integration heißt: wie gehen wir mit Unterschieden konstruktiv um. (...) Was soll

das auch heißen: 'Migrant'? Die 'Migrantenmilieus' sind mittlerweile so divers wie die 'deutsche'

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Gesellschaft und zwischen beiden gibt es vielfältige Schnittmengen.“

(Frankfurter Rundschau, 14. Juli 2009, „Raus aus der Nische“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(52)

FR: „Also kann man sagen: Integration ist nicht die Anpassung einer Minderheit an die Mehrheit,sondern die Kooperation der gesellschaftlichen Spieler?“

Eskandari: „Darum geht es. Integration heißt jedenfalls nicht: Gleichförmigkeit. Sondern:

Ressourcen bündeln und nutzen.“

(Frankfurter Rundschau, 14. Juli 2009, „Raus aus der Nische“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(53)

FR: „Lassen Sie uns versuchen, einen Begriff zu bestimmen: 1989 steht in der Vorstellung über

das Multikulturelle das Eigene neben dem Anderen. Fertig. Später sagte man, Multikulti sei mehr

als Döner. Wie definieren Sie das?“

Eskandari: „Ich glaube, die Gesellschaft hat sich total verändert. Nehmen Sie Frankfurt. Bald

werden in dieser Stadt mehr Kinder mit so genannten Migrationshintergrund geboren als ohne. Da

lässt sich nicht mehr um Multikulti reden, da geht es um Vielfalt.“

(Frankfurter Rundschau, 6. September 2008, „Heimat lebt durch Vielfalt“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

(54)

FR: „Im Grunde könnte man sagen: die 1989 entstandene Unsicherheit erreicht gegenwärtig einen

Höhepunkt, an dem deutlich wird, dass die Mehrheitsgesellschaft zur Minderheit wird.“

Eskandari: „Genau diesen Gegensatz wollen wir überwinden, um zu einer gemeinsamen

Gesellschaft zu kommen. (...) Das kann beispielsweise über die Gründung eines Rat derReligionen anlaufen: In einer säkularen Stadt sollten die Religionsgemeinschaftenuntereinander einen Dialog führen.“

(Frankfurter Rundschau, 6. September 2008, „Heimat lebt durch Vielfalt“)

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(55)

FR: „Ist die Debatte um den Bau der Moschee beendet?“

Eskandari: „Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt, der ist erledigt. Für mich als

Integrationsdezernentin ist die Auseinandersetzung nicht erledigt, denn in diesem Stadtteil müssen

die Menschen miteinander leben. Also will ich den Dialog in Gang setzen. Die Voraussetzung

dafür ist respektvoller Umgang.“

(Frankfurter Rundschau, 6. September 2008, „Heimat lebt durch Vielfalt“)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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